Ernst Schering Research Foundation Workshop Supplement 12 Von der Wahrnehmung zur Erkenntnis – From Perception to Under...
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Ernst Schering Research Foundation Workshop Supplement 12 Von der Wahrnehmung zur Erkenntnis – From Perception to Understanding
Ernst Schering Research Foundation Workshop Supplement 12
Von der Wahrnehmung zur Erkenntnis – From Perception to Understanding Symposium der Schering Forschungsgesellschaft zu Ehren von Prof. Dr. Dr. h.c. Günter Stock, Februar 2004 M. Lessl, J. Mittelstraß Herausgeber
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Series Editors: G. Stock and M. Lessl ISSN 1431-7133 ISBN 3-540-24060-8
Springer Berlin Heidelberg New York
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar. Library of Congress Control Number: 2004117276
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Vorwort
Monika Lessl
Die vorliegende Publikation möchte zu einer Reise von der Wahrnehmung zur Erkenntnis einladen. Sie führt von einem evolutionären Rückblick ,,Woher kommen wir, was macht uns erkenntnisfähig?“ bis hin zur Philosophie des Erkennens. Im Zentrum der Betrachtung stehen dabei der Mensch und seine Wahrnehmung. Das Symposium mit dem Titel ,,Von der Wahrnehmung zur Erkenntnis“ fand am 7. Februar 2004 in Berlin statt. Anlass war der sechzigste Geburtstag von Professor Dr. Dr. h.c. Günter Stock, Vorstand der Schering AG im Bereich Forschung und Begründer der Schering Forschungsgesellschaft, die ihn mit diesem Symposium für seinen leidenschaftlichen Einsatz für die Forschung und die Aktivitäten der Schering Forschungsgesellschaft ehren wollte.
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Vorwort
Ein Grund für die Wahl des Themas lag auf der Hand: Mit der Entwicklung neuer bildgebender Verfahren, mit deren Hilfe Prozesse in menschlichen Gehirnen sichtbar gemacht werden können, hat das Wissen im Bereich der Neurobiologie in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Inwieweit diese neuen Erkenntnisse über die Funktionsweise des Gehirns uns dem eigentlichen Wesen des Menschen, seinem Bewusstsein und seiner Erkenntnisfähigkeit näher bringen, ist eine Frage, die in den vorliegenden Beiträgen aufgegriffen wird. Ausschlaggebend für die Wahl des Themas war aber nicht allein die Frage nach den Wurzeln von Wahrnehmung und Erkenntnis, sondern auch das seit langer Zeit bestehende, von eigenen Forschungsarbeiten ausgehende Interesse des Wissenschaftlers Stock an der Amygdala, einem wichtigen Zentrum für Gefühle im menschlichen Gehirn. Die Festschrift beginnt mit den einführenden Worten von Hubertus Erlen, dem Vorstandsvorsitzenden der Schering AG. Nach einer Laudatio von John Dormandy vom St George’s Hospital in London, der die Leistungen von Günter Stock als Wissenschaftler, Forschungsmanager und Wissenschaftspolitiker würdigt, führt Hubert Markl von der Universität Konstanz mit seinem Beitrag zum Thema ,,Evolution der Wahrnehmung, was macht uns erkenntnisfähig?“ in die verschiedenen Stufen der Entwicklung des Erkenntnisvermögens ein. Da die Wahrnehmung des Menschen nicht losgelöst von Gefühlen und Emotionen betrachtet werden kann, versucht Antonio Damasio, vom Iowa College of Medicine, in seinem Beitrag zu erklären, was unter Emotionen, was unter Gefühlen zu verstehen ist und welche Rolle diese für das menschliche Bewusstsein spielen. Neueste bildgebende Verfahren, so genannte Neuroimaging-Techniken, sind dabei eine wichtige Voraussetzung für seine Arbeiten. Mit ihrer Hilfe kann die Anatomie und Aktivität des menschlichen Gehirns kartiert und bestimmten Verhaltensweisen zugeordnet werden. Welche neuen Erkenntnisse damit zum Verständnis von Krankheiten gewonnen werden können, erläutert Richard Frackowiak vom University College London in seinem Beitrag. Den Weg der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in neue Therapieformen beschreibt Björn Wallmark, ehemaliger Forschungsmanager der Schering AG, denn wie bereits Elias Canetti formulierte:
Vorwort
VII
Es kommt nicht darauf an, wie neu ein Gedanke ist, es kommt darauf an, wie neu er wird. Und einen Schritt weiter, von ,,Making science useful“ (Zitat nach John Dormandy), zu ,,Making science understandable“, geht Renate Köcher vom Institut für Demoskopie in Allensbach. Sie unterstreicht die Bedeutung von Medien im öffentlichen Diskurs neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und erörtert in ihrem Beitrag die Frage ,,Ist wissenschaftliche Erkenntnis in der modernen Mediengesellschaft kommunizierbar?“ Dass dabei Bilder eine zentrale Rolle spielen, ist unumstritten, denn ,,Nur das Bild, nicht der Gedanke erfüllt das Gehirn“ (Peter Handke). Diesem Thema widmet sich Horst Bredekamp von der Humboldt Universität zu Berlin in seinem Beitrag zur Bildkunst der Naturwissenschaften. Zum Abschluss führt Jürgen Mittelstraß, Philosoph an der Universität Konstanz wieder dorthin zurück, wo wir begonnen haben, nämlich zum Menschen und dem was ihn ausmacht. ,,Erkenne Dich selbst ist die ganze Wissenschaft. Erst am Ende der Erkenntnis aller Dinge wird der Mensch sich selber erkannt haben. Denn die Dinge sind nur die Grenzen des Menschen“ (Friedrich Nietzsche).
Inhalt · Contents
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Begrüßung Hubertus Erlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Laudatio John Dormandy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Auf dem Weg zur Erkenntnis – Die Biologie der Wahrnehmung On the Path to Understanding – The Biology of Perception
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Introduction Peter Gruss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Evolution der Wahrnehmung Was macht uns erkenntnisfähig? Hubert Markl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Emotion and Feeling in the Making of the Conscious Mind Antonio Damasio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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X
II
Inhalt · Contents
Der Blick nach innen – Signalverarbeitung sehen, verstehen und in Wirkstoffe umsetzen The View from the Inside – Signal Transduction: Observing, Understanding, and the Subsequent Development of Drugs
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Introduction Ernst-Ludwig Winnacker . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Imaging Human Brain Function Richard Frackowiak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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From Understanding Molecular Pathways to Innovative Drugs Björn Wallmark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III Gemachte Meinung – Wie Wissenschaft in der Öffentlichkeit und den Medien wahrgenommen wird Manipulated Opinion – How Science Is Perceived by the Public and the Media 9
Einführung Manfred Erhardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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10 Sind wissenschaftliche Erkenntnisse in der modernen Mediengesellschaft kommunizierbar? Renate Köcher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt · Contents
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IV Wahrnehmung und Erkenntnis in der Kunst und Philosophie Perception and Understanding in Art and Philosophy 11 Einführung Dagmar Schipanski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 12 Denkende Hände Überlegungen zur Bildkunst der Naturwissenschaft Horst Bredekamp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 13 Zur Philosophie des Erkennens Jürgen Mittelstraß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 14 Von der Wahrnehmung zur Erkenntnis – Schlußworte Jürgen Mittelstraß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
Herausgeber und Autoren Editors and Authors
Herausgeber · Editors Lessl, M. Schering Forschungsgesellschaft mbH, Friedrichstraße 82, 10117 Berlin Mittelstraß, J. Fachbereich Philosophie und Zentrum Philosophie und Wissenschaftstheorie, Universität Konstanz, Universitätstraße 10, 78457 Konstanz
Autoren · Contributors Bredekamp, H. Kunstgeschichtliches Seminar der Humboldt Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin Damasio, A. Department of Neurology, University of Iowa College of Medicine, 200, Hawkins Drive, Iowa City, Iowa 52242, USA Dormandy, J. St George’s Healthcare, Department of Vascular Surgery, Level 4, St James’ Wing, Blackshaw Road, London SW17 0QT, UK
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Herausgeber und Autoren · Editors and Authors
Erhardt, M. Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Barkhovenallee 1, 45239 Essen Erlen, H. Schering AG, Müllerstraße 178, 13342 Berlin Frackowiak, R. Wellcome Department of Cognitive Neurology, University College London, Institute of Neurology, 12 Queens Square, London, WC IN 3AR, UK Gruss, P. Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., Hofgartenstraße 8, 80539 München Köcher, R. Institut für Demoskopie Allensbach, Radolfzeller Straße 8, 78472 Allensbach Markl, H. Fachbereich Biologie, Universität Konstanz, Universitätstraße 10, 78457 Konstanz Schipanski, D. Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Freistaates Thüringen, Werner-Seelenbinder-Str. 8, 99096 Erfurt Wallmark, B. Corporate Research, Schering AG, Müllerstraße 178, 13342 Berlin Winnacker, E.-L. Deutsche Forschungsgemeinschaft, Zentrale Bonn, Kennedyallee 40, 53175 Bonn
1 Begrüßung
Hubertus Erlen
Lieber Herr Stock, liebe Frau Stock, meine sehr verehrten Damen und Herren, heute ist ein außergewöhnlicher Tag: Günter Stock hat einen besonderen Geburtstag, er wird 60 Jahre alt. Für uns alle ist es eine Freude festzustellen, dass er diesen Tag mit großer Vitalität begeht. Dem Vorstand und Aufsichtsrat ist es ein Anliegen zu gratulieren und viel Glück für die Zukunft zu wünschen. Es ist uns aber auch ein Anliegen, Günter Stock zu ehren und ihm eine Freude zu machen. Wie könnte dies besser geschehen als durch ein Ereignis, an dem viele seiner Wegbegleiter beteiligt sind. Das heutige Symposium ist ein solches Ereignis, mit dem die hier Versammelten den Kollegen,
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Begrüßung
den Wissenschaftler, den Freund oder den Förderer ehren und erfreuen wollen. Von der Wahrnehmung zur Erkenntnis: Das Thema des Symposiums ist charakteristisch für den Lebensweg von Günter Stock. Charakteristisch für den Schüler und Studenten, der viele Lerninhalte in sehr kurzer Ausbildungszeit in sich aufsog, sein Wissen erweiterte und dadurch auch sein Wahrnehmungsvermögen verbreiterte und schärfte. Es ist charakteristisch für den Forscher, der viele Jahre lang Experimente angelegt hat und sich mit den komplizierten Fragen von Wahrnehmung und Erkenntnis auseinandersetzen musste. Charakteristisch ist es auch für den Vorstandskollegen, der sich nicht mit Vordergründigem zufrieden gibt und ständig nach hintergründigen Beziehungszusammenhängen fragt. Und schließlich ist es charakteristisch auch für den engagierten Bürger, der häufig auch bei komplexen und kontroversen Fragen seinen Standpunkt öffentlich vertritt. Von der Wahrnehmung zur Erkenntnis: Das Motto des Symposiums könnte direkt aus dem Zeitalter der Aufklärung entlehnt sein. Diese Gedankenbrücke passt gut zu Günter Stock, den ich als einen Mann der Aufklärung charakterisieren möchte. Dazu gehört sein stark ausgeprägter Glaube an den Menschen als vernunftbegabtes Wesen, das immer offen ist für die richtigen Argumente; sein Glaube an die Wirkungsmächtigkeit des gesprochenen und geschriebenen Wortes; und sein öffentliches Eintreten für eine rationale Nutzen-Risiko-Abwägung bei neuen Technologien. Zu diesem Profil gehört Günter Stocks Auffassung, der mündige Bürger habe einerseits das Recht, wissenschaftliche Ergebnisse in ihrer Dialektik von Fortschritt und Risiko vom Wissenschaftler erläutert zu bekommen. Der Bürger habe andererseits aber auch die Pflicht – ich zitiere – ,,eine Argumentation in ihrer Gesamtheit anzuhören und sich dem sehr schwierigen Sowohl-als-Auch der in vielen Fällen komplizierten Nutzen-Risiko-Abwägung zu stellen“ (Stock). Dieser Appell entspricht geradezu bilderbuchartig dem Leitthema der Aufklärung ,,Sapere aude“. Zu diesem Profil gehört weiter Günter Stocks tiefe Skepsis gegenüber Gewissheiten, Entweder-Oder-Aussagen und scheinbar einfachen
Begrüßung
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Lösungen; seine Vorliebe für den Diskurs über wichtige gesellschaftliche Themen, vor allem dann, wenn sie höchst konfliktträchtig sind. Diesen Diskurs führt Günter Stock mit Leidenschaft zur Sache und ohne Furcht vor Anfeindungen. Er führt diesen Diskurs in der Überzeugung, dass es auf viele Fragen oftmals nur ,,Wahrheiten auf Zeit“ (Stock) geben kann und dass ein erreichter Konsens immer nur vorläufig ist, abhängig vom Stand der Wissenschaft. Zu seinem aufklärerischen Impetus gehört auch seine Aufforderung an die Wissenschaftler, dem offenen und transparenten Dialog mit der Öffentlichkeit über Chancen und Risiken moderner Forschung nicht auszuweichen, sondern ihn aktiv zu führen. Nur dadurch könne den Menschen die Ängste vor den neuen medizinischen Technologien genommen und die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Technologien erreicht werden. Die Aufzählung wäre unvollständig, wenn ich nicht Günter Stocks Engagement für die Freiheit der Forschung erwähnen würde. Zum Beispiel bei der Debatte zur Stammzellenforschung hat er dafür plädiert, Forschungswege offen zu halten und auch die Forschung mit embryonalen Stammzellen unter präzise definierten Bedingungen zuzulassen. Er wendet sich in diesem Zusammenhang gegen das Nicht-Handeln als scheinbar beste Lösung, nur weil es ethisch kompliziert werden könnte. Ich zitiere: ,,. . . in vielen Fällen ist das Nicht-Handeln, das Nicht-Voranschreiten nur scheinbar die einfache Lösung. . . . Unterlassene Hilfe ist zwar schwieriger nachzuweisen als falsche Hilfeleistung, ist aber ethisch und moralisch nicht grundsätzlich anders zu bewerten.“ All dies charakterisiert auch treffend Günter Stocks Wirken in unserem Unternehmen und weit darüber hinaus. Im Vorstand spielt Günter Stock seit 14 Jahren eine wichtige Rolle. Er besitzt nicht nur die Begeisterungsfähigkeit für Visionen. Er besitzt auch – um mit Robert Musil zu sprechen – die seltene Gabe des Möglichkeitssinns. Diese Gabe befähigt ihn in besonderer Weise, Potenziale von neuen Forschungsansätzen zu erkennen und sie für Schering nutzbar zu machen. Außerdem liebt er es, ganz unkonventionelle Denkanstöße in die Debatte zu werfen. Zu fragen, ob man nicht auch ganz andere Prämissen setzen könnte als die wohlvertrauten, historisch gewachsenen Setzungen. Oder ob wir das Thema nicht viel breiter und grundsätzlicher an-
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Begrüßung
legen sollten. All dies macht ihn zu einem so wichtigen Partner bei der Diskussion um Kernfragen des Unternehmens. Lieber Herr Stock, die inhaltliche Ausgestaltung des heutigen Symposiums mit Beiträgen aus der Neurobiologie, der Kommunikationswissenschaft, der Kulturgeschichte und der Philosophie dürfte so recht in Ihrem Sinn sein, denn unterschiedliche Disziplinen aus den Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften thematisch zusammenzubringen, gehört zu einem Ihrer wichtigsten Anliegen. Ich wünsche Ihnen und uns allen einen spannenden Tag und viel Freude.
2 Laudatio
John Dormandy
I first met Günter Stock 20 years ago. We were introduced to each other by the object shown in Fig. 1. It is, of course, a white blood cell. About every 20 years or so the leucocytes are discovered to have yet another part to play in the body’s reaction to attack; and about 20 years ago we were both investigating its pathological role in reperfusion injury and ischaemia. Günter Stock came over to visit my laboratory in London, accompanied by Berndt Mueller, who is still, in a sense, accompanying him. Günter and I then began a conversation that has continued ever since, albeit the topics have changed. My pleasant task here is to try to summarise Günter Stock’s life – so far. But most of you know him well, and all I can hope is to illustrate some aspects of his remarkable personality and career, which may perhaps not be familiar to all of you.
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Laudatio
Fig. 1. White blood cell
My searches began with his military service in the Bundeswehr. It requires a considerable stretch of imagination to picture Günter in a uniform – there is nothing uniform about Günter Stock. But this was a peacekeeping army and that is precisely what he had to do, on a small scale. I am told that his nine companions in the small, cramped hut that was their sleeping quarters appeared to have been selected aiming at maximum diversity in terms of education, politics, and alcohol consumption. In order to get any sleep, Günter had to spend the last part of every day stopping his hut-mates from fighting. It was no doubt a formative experience. He then studied medicine in Heidelberg and as soon as he qualified as a doctor he began on the path – we would now call it a mission – which in the broadest sense, he has followed ever since: that is, the interpretation of science. Interpreting it by simplifying to the public; by unravelling it, to students; and decoding it, to his colleagues. Interpreting science, or facts, appropriately to each audience has always been Günter’s forte. Aldous Huxley said: “Facts are only like ventriloquists’ dummies. Sitting on a wise man’s knee they can be made to utter words of wisdom; elsewhere they say nothing or talk nonsense.” Günter is a wise ventriloquist. It has always been a pivotal belief of his that science needs to be part of everyday life. It is not an optional extra. His work at the University Institute of Physiology in Heidelberg was always on issues
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that potentially could have a direct application to clinical problems (in management-speak we are now only permitted to speak of challenges, but I think in science we are still allowed to have problems). His special interest at that time was the nervous system, looking specifically at the interaction between the brain and its somatic expression. In general terms he studied the mechanisms of cardiovascular control (Fig. 2) recording from single cells in different parts of the amygdala (in the dorsomedial temporal pole, just anterior to the hippocampus). In the cat the amygdala is responsible for the integrated somatic response to arousal. He showed its importance in modulating the baroreceptor, that is, the blood pressure reflex. He showed that in hypertensive rats there is an exaggerated suppression of the baroreceptor reflex by the amygdala. Interestingly, he also showed a differential response to emotion in nor-
Fig. 2. Oscilloscope tracing of unitary activity in the amygdala
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Fig. 3. Painting by Emil Schumacher
motensive and hypertensive animals. A natural extension of this work was to look at the cardiovascular effects of different types of sleep, for instance REM sleep, which is associated with dreaming. Much of this work was scientifically groundbreaking. But also, characteristically, it was felt to impact everyday life. His experiments were quoted in Stern. Günter Stock already had a high “impact factor”. Simultaneously with his research work he also began his life-long dedication to education; a kind of messenger of science. One of the first original works of art in his house is shown in Fig. 3. It is by the wellknown painter Emil Schumacher, then not yet famous, and was presented to him by his grateful students at that time (none of my students has ever done that). He was also already a populariser playing an active role in the Funk College (in England we call it the Open University). That is education in the broadest, non-elitist way.
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The head of the Department of Pharmacology in Heidelberg at that time was Franz Gross. (He was the man who first described the angiotensin system, which we now know is central to the issue of hypertension.) One day Professor Gross got a phone call from his friend Professor Gerhards, who was working at Schering at the time, enquiring whether he could recommend a bright young scientist who could build up cardiovascular research at Schering. Gross did, and Günter Stock began his meteoric career in Schering, realising that this was a golden opportunity to pursue further his guiding vision of making science useful. That was when I got to know Günter Stock. We even edited a book together (Fig. 4). Just one of over 250 publications, recently ranging from the molecular biology of multiple sclerosis to issues of public–private partnerships. At that time he was also famously always punctually 15 minutes late, the “academic quarter of an hour”. People working with him created a new unit of time, the “stöckchen”. As always he was a fountain of originality and innovation. Crucially, he introduced molecular biology and pharmacology in research at Schering. Perhaps the most interesting and our longest-lasting joint venture of the academic kind was initiating and promoting one of the earliest and most substantial Clinical Consensus Processes; and it is one that is still evolving. We brought together the twelve principal international societies representing every speciality concerned with the pathology and management of patients with peripheral ischaemia, from surgeons and radiologists to haematologists. The published recommendations, all agreed to and endorsed by each participating society, are now the most referenced in the field. The process satisfied Günter’s delight in informed debate with the realisation that in clinical medicine, as in the management of R&D, often decisions have to be made on insufficient evidence. Not making a decision is almost always the worst option. During this project I experienced at first hand Günter’s skills as a negotiator and mediator; in this role, a kind of scientific Kissinger. When the Iron Curtain began to melt Günter and I decided that we should make a special effort to involve clinicians and scientists from Eastern Europe, who until then had been sidelined from the international scientific scene. We therefore invited some experts from Eastern Europe together with some colleagues from the West who had been working with us on our Consensus process. It was all meant to be an informal
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Fig. 4. Critical Leg Ischaemia, co-edited by J. Dormandy and G. Stock
and friendly exchange of ideas. For the opening session we picked what we believed was one of the least controversial recommendations of the Consensus Group and, I think a Frenchman briefly presented it. Before we had even started inviting comments, a very senior Russian surgeon, brought up in the Krushchev era, banged the table and loudly announced to us all: “It is a lie.” (What he meant to say was that he did not fully agree.) I remember well Günter and I looking at each other and we both thought: “This time we really have made a big mistake”. But in fact Günter saved that situation, by a combination of wisdom, tact, and humour. His is not the humour of the formal joke. It is the humour that comes from an amalgam of intelligence, imagination, and a fair dose of lateral thinking. It is a dry humour, that does not splash. It is wit. Günter was now head of the Institute of Pharmacology, where he built up a unique team – men and women whose loyalty continues to
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serve Schering well. Günter realised what a famous American baseball coach also knew: “Individual talent may win you games, but you need teamwork to win a championship”. Moreover, then as now, people followed his leadership because they admired and respected him as a leader, and not out of fear. Through Steffen Stuerzerbecher’s inspired detective work I can present a poster that Günter himself created at this time, in 1984, for a charity auction. Many of you will recognise some of the characters represented (Fig. 5), for instance, Professor Losert and Berndt Mueller. When Günter left, yet another promotion, his laboratory assistants presented him with the composition shown in Fig. 6, mostly of needles and syringes, which still is in his office. I toyed with the idea of giving you my own interpretation of its significance, but then decided to let you read into it what you will. One day in 1989 Günter was helping his daughter lay the carpet in her new apartment. That in itself was not so exciting, but that was when he received a telephone call from Dr. Vita, which was the beginning of the process which ended with Günter
Fig. 5. Poster created by Günter Stock in 1984 for a charity auction
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Fig. 6. Composition made by Günter Stock’s lab assistants
Stock being appointed member of the Vorstand, and now in charge of all research and development. Dr. Erlen is in a unique position to comment on Günter Stock’s contribution to his work in the Vorstand. I just want to focus on two special qualities Günter has brought to the immensely challenging task of directing research and development: firstly, the intellectual capacity to truly understand in depth an enormous range of scientific disciplines, and secondly the skill, or call it a knack, for its correct interpretation. His scientific armamentarium is as profound as it is extensive. He needs, and does, have an understanding of clinical targets as varied as multiple sclerosis and cancer. This alone would daunt most full-time clinicians. But he then has to appreciate the range of pathological processes underlying these diseases. And then, to mastermind the design of new strategies to combat these diseases, he needs to be at the cutting edge of developments in the basic sciences. But at least as important is the inclination, or skill, to treat these facts with imagination and the ability to make the correct judgements about the future developments. During drug development there are always missing facts, often crucial; and yet important decisions have to be
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made. There is a need for imaginative leaps (preferably forward). You need to be at least one step ahead of what is actually proven and in particular to consider solutions that are not obvious. It was Apollinaire who pointed out: “When man wanted to make a machine that could walk, he created the wheel, which does not resemble the leg”. When Günter and his colleagues in the Vorstand acquired Betaferon, nobody could know that it would be the first effective pharmacotherapy for multiple sclerosis. But it was, and Günter pushed its clinical development as hard as he could. The very first Central European licence of Betaferon for indications of multiple sclerosis is shown in Fig. 7. As soon as he was appointed director of R&D, Günter Stock set about globalising research. Before, medical departments in each major country had been pursuing their own pet topics. He then globalised clinical development, crucial in the present era of international registration processes. But Günter Stock realised that globalisation of clinical development does not have to equate with mega-trials. If you have to randomise 30,000 patients to show a statistical probability of efficacy, the magnitude of any benefit is probably not worth having, or paying for. In some ways unfortunately, we have moved a long way from James Lind’s discovery, almost exactly 250 years ago, that citrus fruits cured scurvy. Lind did it in a controlled study of six groups of sailors, two patients in each group. Equally important achievements of Günter Stock were the modernisation of regulatory affairs, informatics, drug safety monitoring, and risk management. All this was essential for a modern pharmaceutical company, and it was done. One can almost quantify Günter Stock’s development, or metamorphosis, from Stock the basic scientist to Stock the manager and director of a large research and development function. In his 12 years in Heidelberg as a basic scientist, he published 34 full articles in peer-reviewed journals; by definition, all representing new and original research. In the last 14 years with Günter as an executive director in charge of research and development, 17 new compounds have been approved for clinical use. But, Günter extended the boundaries of science and research further. Research under his direction is not a hermetically sealed laboratory. He established crucial research links with top non-commercial research
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Fig. 7. National licence of Betaferon
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organisations: with the Rockefeller Foundation, Scripps Research Institute, NIH, the Salk and the Harvey Institutes, as well as the World Health Organisation. Also top hospitals like the Karolinska, Peter Bent Brigham, and the Albert Einstein, as well as leading universities of Milan, Heidelberg, Fribourg, Basle, California, and Berlin; and I am glad to say, my own institution in London. By the late 1990s Günter Stock and Dr. Habenicht had established and described such a co-operative network in the field of fertility control which many saw as a model for mutually beneficial co-operation between industrial and non-industrial scientists. This is all part of Günter’s objective of linking the pharmaceutical world to the scientific community in general. And it was only possible because he is accepted by the scientific and clinical opinion leaders as, at least, their equal. But there is yet another side to Günter Stock – the pursuit of his lifelong theme of putting science at the centre of everyday life and professionalising science policy. I will just give three examples: In 1992, Professor Erhardt, who will be speaking later and who was at the time Senator for Science in Berlin, recommended to the Federal President Günter Stock’s appointment to the Board of the German Scientific Council (Wissenschaftsrat). Of the 32 scientific commission members, Günter Stock is the only one from the pharmaceutical industry. He is now one of the key advisors to the State and Federal governments on science policy. Günter Stock was also appointed a senator of the German Research Foundation (The Deutsche Forschungsgemeinschaft), whose President, Professor Winnacker, will also be participating today. Finally, a little over 10 years ago Günter Stock joined the senate of the Max Planck Society, its principal policymaking body. He was also chairman of the search committee leading up to Professor Gruss’ appointment as President. Professor Stock himself is the only external Vice-President. Talking to these colleagues of his, a very clear picture quickly emerges of what is really Günter Stock’s contribution to these key institutions: It is the industry and energy of somebody who illustrates perfectly the principle that if you want something done well and quickly, you ask a busy man. It is the independence and experience to have a dispassionate overview of the whole arena of science. It is the imagination and curiosity to be flexible. It is the intelligence to see that there is a danger of the
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technology of science outstripping its sociology. And it is the integrity and courage to face such difficult ethical issues. But the product of all these qualities has to be interpreted and disseminated. Communication becomes crucial, and Günter excels at that. As in this case when he had to defend the third-generation contraceptive pill – successfully in the High Court in London (Fig. 8). Günter is an eloquent and charismatic speaker: whether he is warning us not to jump to conclusions too quickly (Fig. 9), or when in a more philosophical mode (Fig. 10). Here he is perhaps lamenting our ignorance (Fig. 11), or simply being puzzled when a wrong slide is projected (Fig. 12). And
Fig. 8. The third-generation contraceptive bill was successfully defended in London’s High Court
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Fig. 9. An eloquent and charismatic speaker
Fig. 10. Warning the audience not to jump to conclusions
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Fig. 11. In a philosophical mode
Fig. 12. Lamenting the audience’s ignorance!
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Fig. 13. Puzzled
finally (Fig. 13), or just complaining about the size of his R&D budget. (Fig. 14). His success in the interpretation of science has been recognised in the invitations to join several eminent academies and societies including the Berlin-Brandenburg Academy of Sciences, the Academy Leopoldina in Halle, Acatech, and the European Academy of Sciences and Arts. But his interests are not only scientific. One of his most treasured and most recent honours is his association with the Max Planck Institute for Art History in Rome.
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Fig. 14. Complaining about the R&D budget
It was this same desire to put pharmaceutical industry research at the centre of the scientific community and further education which prompted Günter to establish the Ernst Schering Research Foundation, a little over 10 years ago. It promotes bright young scientists in every discipline and from every country. It has so far supported over 150 doctoral and postdoctoral fellows, allowing them to move to top establishments in their particular areas of interest. The Ernst Schering Research Foundation also awards the annual Ernst Schering Prize. In our deliberations about the most appropriate recipient of this honour, we have always tacitly accepted Günter Stock’s principle that we should try and identify exceptional scientists, before they had reached universal recognition. Ideally, the Ernst Schering Prize should identify a kind of short-list for the Nobel Prize. That is what happened with Christiane Nüsslein-Volhard, who received the Ernst Schering Prize in 1993 and the Nobel Prize for physiology and medicine 2 years later. Today’s programme honours Günter Stock the scientist. I have tried to describe the qualities that make him a great scientist: the innate
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Fig. 15. Günter Stock pictured with his wife
curiosity and perceptiveness, the insight into the heart of a problem, and the technical ingenuity and persistence in seeing a job through. But what kind of person can possibly encompass successfully such a range of qualities? Foremost, he is a man of kindness and compassion, who genuinely cares about people whatever their position. He likes challenges. He is the kind of person who prefers to find a solution to every problem, rather than a problem for every solution. He prefers mental to physical exercise. He would probably agree with Konrad Lorenz that: “The only regular exercise needed for a research scientist is to discard one pet hypothesis every day before breakfast”. He is exceptionally quick, an accelerator of events; but he also knows when it is necessary
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to slow down, for instance when smoking a cigar. He does not court public acclaim. Compliments do no harm to Günter Stock, because, as with cigars, he does not inhale them. He does occasionally take time off to relax, although I must admit that it is not altogether clear to me when. And, of course, there are some things which are irresistible, like his wife (Fig. 15) and grandchildren. The initials of one of them, Johanna Marie, are on the number plate on his car. This is not an after-dinner speech, so I cannot conclude by inviting you to drink a toast to Günter Stock. But I can invite you to join me in recognising the exceptional life of an exceptional person; and to thank him for allowing all of us to share in it.
I Auf dem Weg zur Erkenntnis Die Biologie der Wahrnehmung
I On the Path to Understanding The Biology of Perception
3 Introduction
Peter Gruss
To begin with, I would like to congratulate Günter Stock on behalf of the Max Planck Society on his 60th birthday. The title of our first session is “On the Path to Understanding: The Biology of Perception”, not only a highly interesting topic from the scientific point of view but also a topic which I feel does justice to the work of Günter Stock in many ways. In your day-to-day work you have perceived the need to link basic research with the development of industrial medication in an exemplary manner. Your work has helped numerous patients worldwide. You remind me of another science-oriented MD, Ed Skolnick, who at that time was the head of research of Merck Sharp & Dohme. When I asked him why he left NIH to work for Merck Sharp & Dohme, his answer was short and to the point. He said: “I can do more for the people.”
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I am especially pleased and grateful about your commitment to the Max Planck Society in your capacity as Vice President and Senator. In doing so, you again link basic research and its application in a manner which only few can do. You are, to use biological terms, a rare cross of a Homo academicus, oeconomicus, and, not to forget, politicus. But it was a long path in the evolution of this one particular and of the many other Hominum. There were numerous stages, starting from the first relatively simple stimulus–reaction behavior systems to the complex sensory perception and processing of a vertebrate, and finally to the integration of information in a highly complex social and cultural interactive context. This last point is a result of the most complex and puzzling organ, which we call the brain – the only piece of matter in the cosmos we refer to in the first person. This complex subject matter makes the study of perception, sensation, emotions, and feelings one of greatest challenges in modern science. Nevertheless, these areas have surged into the forefront of today’s scientific research. Indeed, these aspects touch on the deepest core of our very human being, namely, our very own understanding of ourselves. How was nature able to develop such a magnificent cognitive instrument? Thanks to new methods that have led to novel findings we are now in a better position than ever to investigate this question. Especially noteworthy is that in research into the sensory organs and the development of the central nervous system the same genetic cascades pop up exhibiting only slight variations in seemingly unrelated organisms such as in fruit flies, mice, and humans – truly an impressive piece of evidence that points to the basic principles underlying evolutionary processes. For many years now, Hubert Markl and Antonio Damasio have been performing in-depth research into the area of evolution, perception, and sensation. Hubert Markl I am sure does not need an introduction in this circle. He is known not only as the former president of the Max Planck Society and the former president of the DFG but also as a researcher who has been interested in the field of evolution for roughly 35years and who is regarded as one of Germany’s foremost supporters of sociobiology. In addition to his numerous papers on various insects, he has investigated sociobiological questions using the mouse model, a topic as some of you know I sympathize with very much. All of you certainly do know that
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he has an uncanny gift for conveying new scientific findings to society at large displaying an unmatched linguistic virtuosity. The second speaker this morning, Antonio Damasio, is one of the exceptional individuals in the field of evolution of emotions and feelings, devoting himself to the most difficult of all biological systems – namely, to humans. As Head of the Department for Neurology at the University of Iowa Medical Center, Antonio Damasio has been working very intensively with patients for years now. By correlating brain damage with the resulting changes in cognitive and emotional characteristics of individuals, he has been able to gather completely new insights into the development and function of emotions and feelings. Moreover, like Hubert Markl, Antonio Damasio also possesses the ability to explain often complex scientific contexts to interested lay people and spread enthusiasm for his work. Both speakers promise an exciting introduction to today’s symposium in honor of Prof. Stock.
4 Evolution der Wahrnehmung Was macht uns erkenntnisfähig?
Hubert Markl
Was können wir erkennen? Warum können wir erkennen? Wie zuverlässig ist unser Erkennungsvermögen? Dies sind Fragen, die die naturwissenschaftliche Sinnes- und Wahrnehmungsphysiologie und -psychologie seit jeher genauso beschäftigen wie die philosophische Erkenntnistheorie. Zwar wird man nicht behaupten können, dass beide dabei immer in Übereinstimmung waren.
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Manche Naturwissenschaftler sind sicher davon überzeugt, dass Philosophen selten etwas zum Fortschritt der Naturerkenntnis beitragen: zwar mögen sie kritisch bellen, aber die erfahrungswissenschaftliche Karawane zieht dennoch unaufhaltsam weiter. Umgekehrt gilt dies allerdings auch kaum anders. Wann hätte schon ein Forscher, der sein Ansehen naturwissenschaftlichen Leistungen verdankte, philosophisch Bedeutendes vollbracht – doch allenfalls nach eigener Alterseitelkeit. Was die gegenseitigen Vorurteile angeht, können es die zwei Kulturen also ganz gut miteinander aufnehmen: sich vermeintlich himmelweit zu unterscheiden; scheint ihre größte Gemeinsamkeit! Allenfalls wenn Naturforscher feiern, oder gefeiert werden sollen – Ehrungen, Geburtstage, Lebensrückblicke, Jubiläen usw. – haben sie es doch gerne etwas philosophischer, von feingeistigen Zitaten geziert, wohl um nicht allzu naturburschenhaft als reine Wissenschaftshandwerker dazustehen. Deshalb kann man auch Günter Stock, den herausragenden Naturwissenschaftler, Arzt und Pharmaforschungsmanager, zu seinem 60.Geburtstag wohl gar nicht angemessener ehren, als wenn man dazu Naturwissenschaftler auf philosophische Fragestellungen loslässt – und vice versa. ,,Von der Wahrnehmung zur Erkenntnis“ ist genau ein solches Thema. Als Erfahrungswissenschaftler brauchen wir zwar vielleicht die Antwort auf die Frage, wieso wir erkennen können, genauso notwendig wie einen Kropf, aber vielleicht tut es uns gerade deshalb gut, aus solchem Anlass diesen Kropf einmal philosophisch zu leeren oder geleert zu bekommen, damit man – nach Karl Valentin – erkennen kann, dass wir Naturwissenschaftler nicht nur dumm, sondern auch gebildet sind. Es macht auch Sinn, dabei einen Naturwissenschaftler beginnen und einen Philosophen enden zu lassen, denn wer zuletzt spricht, hat immer recht, jedenfalls, wenn Jürgen Mittelstraß das letzte Wort hat. Er kann dann nämlich nicht nur, – wie es sich gut philosophisch gehört, – die Selbstgewissheiten seiner Vorredner gehörig in Frage stellen, er kann uns vielleicht auch sagen, wo es lang geht, während wir Naturwissenschaftler in der Regel nur etwas davon verstehen, wie es vorangeht. Als Naturwissenschaftler sollten wir wohl auch mit der Zuverlässigkeit und Praxisbewährung unserer Erkenntnisse zufrieden sein. Deren Wahrheit zu bewerten, überlassen wir wirklich besser den Philosophen.
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Die dergestalt wohlbedachte kontrapunktische Programmgestaltung der Ehrung für Günter Stock aus Anlass seiner bevorstehenden Vergreisung, eingerahmt zwischen den bereits fortgeschritteneren Greisen Markl und Mittelstraß, die über unser Erkenntnisvermögen hin- und herreflektieren sollen, wurde mir vor kurzem durch die Mahnung meines Freundes Mittelstraß bewusst, bei der Erkenntnis nicht Genese mit Geltung zu verwechseln. Damit hatte er, wie zumeist, sicher recht, und deshalb werde ich im Folgenden weitgehend von der Genese sprechen, damit er zum Schluss umso besser zur Geltung kommen kann. Aber eines sei dem doch vorausgeschickt: für uns Evolutionsbiologen hat die Genese eben doch immer ganz besondere Geltung! Ich will meinen skizzenhaften Überblick über die Genese unseres Erkenntnisvermögens – das ich sogleich genauer als unsere Fähigkeit zu erkennen bezeichnen sollte – mit zwei etwas frappanten Zitaten eines Philosophen beginnen, dessen Rang in der Erkenntnistheorie zumindest bei uns Naturwissenschaftlern besonderes Ansehen genießt, nämlich von Karl Popper: ,,Ich bin sogar der Auffassung, dass [die Naturwissenschaft] nicht mehr ist als aufgeklärter bakterieller ‘common sense’!“ ,,Von der Amöbe zu Einstein ist es nur ein Schritt“ (zitiert nach Gerhard Vollmer: Wieso können wir die Welt erkennen? 2003, p 78, p 66) Dies sind gewiss kräftige Worte von jemandem, der dem Erkenntniswert der Evolutionstheorie bekanntlich recht kritisch gegenüberstand. Nun war Karl Popper zwar mit kaum über 1,50 m von eher bescheidener Körpergröße – aber als Zwischenglied zwischen Amöbe und Einstein möchte man ihn deshalb wohl doch nicht einordnen. Was kann er also mit diesen zugespitzten Aperc¸us gemeint haben? Vielleicht doch, was die evolutionären Sinnes-, Neuro- und Verhaltensbiologen seit Johannes Müllers und Charles Darwins Zeiten über die Wahrnehmungsfähigkeiten von Tieren erforscht haben – von Amöben angefangen, genau genommen wirklich schon von Bakterien an, deren Leistungen in der Rezeption von und Orientierung nach chemischen Reizen heute bis zu den molekularen Grundlagen aufgeklärt werden konnten. Es gibt ja durchaus bakterienjagende Bakterien wie
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Bdellovibrio bacteriovorus, dessen komplettes Genom wir seit kurzem kennen, die schließlich auch bereits erkennen müssen, wo sie molekular hineinbeißen dürfen. Auf diesen sehr physiologischen, zunächst gar nicht erkenntnisphilosophisch motivierten Forschungsergebnissen haben später der Biologe Konrad Lorenz, der Psychologe Donald Campbell und eingehender der Naturphilosoph Gerhard Vollmer und andere eine manchmal etwas hochtrabend daherkommende ,,evolutionäre Erkenntnistheorie“ aufgebaut, deren philosophischen Gehalt ich gerne Herrn Mittelstraß zu bewerten überlasse, deren evolutionsbiologische Grundlagen sich jedoch recht gut auch ohne Bezug auf ihre Geltung und auf die Wahrheit ihrer Weltsicht behandeln lassen. Dabei macht die evolutionäre Erkenntnistheorie viel Aufhebens davon, dass unser Erkenntnisapparat nur auf die mittleren Dimensionen eines ,,Mesokosmos“ abgestimmt sei. Nun ja, für Milliarden Lichtjahre von uns entfernte Galaxien reicht das immer noch aus. Und selbst wenn unser biologischer Wahrnehmungsapparat seine natürlichen Grenzen hat, unser denkender Erkenntnisapparat scheint ebenso wenig Grenzen zu kennen wie die Einbildungskraft unserer Fantasie – und diese sind doch auch evolutionär entstanden! Als Biologen betrachten wir solche Fragen in jenem zwar nicht mehr völlig naiven, aber dennoch unvermeidlich pragmatischen, ,,hypothetischen Realismus“, der als Common sense der Erfahrungswissenschaftler davon ausgeht, dass es außerhalb unseres Kopfes eine Wirklichkeit gibt, dass wir sie mittels unserer Sinnesorgane in beschränktem Umfang wahrnehmen können, weil sie auf uns einwirkt und weil wir wiederum auf sie einwirken können, ohne dass wir uns deshalb anmaßen wollen die ganze, wahre Wirklichkeit der Welt, noch nicht einmal ihrer physischen, geschweige denn möglicher metaphysischer Grundlagen zu erfassen. Aber wer uns einreden wollte, dass es eine solche wirkliche Welt gar nicht gebe, dass wir sie uns nur einbilden, als träume uns nur von ihr, den würden wir sicher nicht weiter beachten – oder, was er sagt, gar selbst für eine Einbildung halten. Mit dem Erkennen der Welt geht es uns nämlich ähnlich wie mit dem Bewusstsein unserer Freiheit von Willensentscheidungen: wir sind uns der Befähigungen dazu durch primäre Evidenzerfahrung ganz gewiss und brauchen dafür nicht erst eine Lizenz von einer naturwissenschaftlichen oder philosophischen Begründungsagentur. Deshalb können auch weder Naturwissenschaft noch Philosophie solche Evidenzerfahrungen
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hinwegdisputieren. Sie sind vielmehr eher dazu aufgerufen, deren Voraussetzungen und Grenzen durch kritische Analyse erkennbar und verständlich zu machen. Eine dieser Voraussetzungen ist die Evolutionsgeschichte dieser Befähigung, wenigstens etwas von dieser Wirklichkeit der Welt zu erfassen – so begrenzt dies auch sein mag. Lassen Sie mich daher auf Poppers Amöbe zurückkommen oder anders ausgedrückt: wie konnte es dazu kommen, dass in wenigen hundert Millionen Jahren aus einem Protozoon, aus einem Fadenwurm oder aus einem Lanzettfischchen ein Forschungsvorstand eines globalen Pharmakonzerns hervorgehen konnte? Alles hat – soweit wir dies zu durchschauen vermögen – mit lauter Gier angefangen: mit Neugier, mit Habgier, mit Raffgier, auch mit Sexgier und Vermehrungsgier, alles in allem mit Gier auf vielerlei Chancen. Denn nicht Geiz ist geil – Geiz ist dumm. Gier ist geil! Oder genauer gesagt: Gier macht geil, gemäßigt allerdings durch ständige Aufmerksamkeit vor Gefahren und Scheu vor Risiken. Und dies alles, weil diese Protozoen oder Würmer oder Insekten oder Fische sich in eine Wirklichkeit hineinversetzt fanden, die niemals und nirgends gleichförmig und unveränderlich vorhersehbar, aber genauso wenig völlig chaotisch und unvorhersagbar war: sondern eben in Zeit und Raum so strukturiert und wandelbar zugleich, um immer Chancen und Risiken zu bergen. Nun muss dies noch lange nicht bedeuten, dass lebende Zellen – sagen wir einmal: Mikroben, die unsere Erde mehr als eine Milliarde Jahre lang als einzige Lebensformen besiedelten – deswegen notwendigerweise Tiere oder Menschen und sogar Unternehmer hervorbringen mussten. Die lebendige Natur hat immer wieder Alternativen gefunden. Es sind ja auch Pflanzen aus diesen Mikroben hervorgegangen, die das, was ihre anorganische Umwelt anbot – Licht, Wasser, Kohlendioxid, Mineralstoffe – auf sich einströmen ließen oder, soweit sie dies konnten, aktiv aufnahmen, und alle physikochemischen Anstrengungen darauf verwandten, dies möglichst effizient und verlustarm zu tun, um am Ende wieder mehr von ihresgleichen hervorzubringen. Wäre es denn so abwegig, sich den Vorstand einer biochemischen Fabrik gleich selbst als eine reich verzweigte biochemische Fabrik vorzustellen, die aus Licht und Luft und Wasser eine Fülle von chemischen Produkten erzeugt? Vielleicht besser doch nicht, denn was wäre dies für ein Vorstand, der davon leben wollte, als Baum fest verwurzelt lebenslang unbeweglich
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zu verharren und dabei nur sein Blätterdach möglichst wirkungsvoll zu entfalten, um zu ernten, wo er nicht gesät hat? Vielleicht gibt es ja analoge vegetative Gebilde auch in der Wirtschaftswelt, aber dies war jedenfalls nicht der Weg zur Erkenntnis, den ein anderer Zweig der Mikrobenevolution einschlug und dem wir selbst unser Einsichts- und Handlungsvermögen verdanken. Ein Evolutionsweg, der Zellen immer größer werden ließ und immer beweglicher, sodass sie sich statt gelöster Nährstoffe gleich ganze Happen davon, nämlich kleinere Zellverwandte einverleiben konnten, am Ende so reichlich davon, dass eine einzige Zellhaut die Leibesfülle gar nicht mehr bändigen konnte, sodass man besser vielzellig aufgeteilt einen noch viel größeren Schlingeschlauch für noch viel größere Beute daraus bilden konnte, aus lauter Fressgier und Wachstumsgier und Vermehrungsgier. Aber ein solcher Weg der Gier hat seine Folgen: nichts von der erhaben-würdigen Ruhe eines Mooses oder Kohlkopfs: wehrlos aber edel. Rafftiere müssen sich auf ganz anderes einstellen: Erstens müssen sie sich, wenn irgend möglich, auf die Suche nach den Objekten ihrer Begierde begeben, ob ihrer Fress- oder Sexgier; dazu beweglich genug sein, aber vor allem fähig, das Gewünschte zu finden, zu erkennen, zu ergreifen und angemessen zu bearbeiten. Zweitens müssen sie aber auch ständig auf der Hut vor Feinden sein: kleineren als sie selbst, die sie als Parasiten befallen können; größeren als sie selbst, die sie als Fressfeinde selbst wieder verschlingen können; und dann auch noch vor den gleichgroßen, gleich gearteten Konkurrenten, die ihnen als Wettbewerber Fress- und Sexpartner streitig machen können. Und auch diese kleinen und großen und gleichen Biester wollen erkannt, gemieden, bekämpft sein. Man muss Karl Popper wohl darin zustimmen, dass diese Entwicklungen tatsächlich bereits auf der Stufe einer ,,Amöbe“, also eines heterotrophen, tierischen Einzellers begannen. Sehen wir uns aber etwas näher an, ob von dort tatsächlich nur ein Schritt zu Einstein führt. Anatomisch-physiologisch ist es zunächst von großer Bedeutung, dass die Evolution des Erkennungsvermögens in mehreren entscheidenden Stufen perfektioniert wurde: 1. Reizempfindlichkeit oder Rezeptivität besitzen schon Einzeller, ja selbst Pflanzen: z. B. für elektromagnetische Strahlen (Licht), für
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Wärmereize, vor allem aber für chemische Reizstoffe, die Nahrung, Feinde oder Artgenossen kennzeichnen. Im gesamten Organismenreich gibt es dafür molekulare ,,transient receptor potential“ (TRP)Zellwandkanäle, die jeder Zelle von Mikroben an Sensoreigenschaften verleihen. 2. Schon bei den einfachsten Vielzellern – Schwämmen oder Hohltieren – setzt eine arbeitsteilige Spezialisierung der nun vermehrten Zellen eines Organismus ein, übrigens ein wesentlicher Vorteil der vielzelligen Organisation gegenüber der einzelligen! Spezialisten für Reizwahrnehmung, für Beweglichkeit, für Nahrungsverarbeitung und -transport, für den Aufbau einer Körperstruktur und für Vermehrung und weitere Aufgaben wirken arbeitsteilig zusammen. 3. In zunehmendem Maße schalten sich mit weiterer Höherentwicklung – schon auf der Stufe von Würmern und Weichtieren aller Art – zwischen die ihrerseits auf bestimmte Reizformen und Reizenergien spezialisierten Sinneszellen und die zu Muskeln vereinten Bewegungszellen eigene Koordinationszellspezialisten ein, die wir als Neuronen (Nervenzellen) bezeichnen. Mit ihrer Entwicklung lassen sich zunehmend die Funktionen von Rezeption (in den Sinnesorganen) und Perzeption oder Wahrnehmung im, den Sinnesorganen nachgeschalteten, Nervensystem (ZNS) unterscheiden. Dem Beobachter werden die perzipierten Reize, die aus der Fülle der rezipierten Meldungen aus der Umwelt, aber genauso aus dem eigenen Körper (Propriorezeptionen) durch zentralnervöse Verarbeitung der Reizmeldungen ausgewählt werden, durch reizspezifische Verhaltensreaktionen erkennbar: nicht jeder rezipierte Reiz kann Verhalten hervorrufen; das zwischengeschaltete perzipierende Nervensystem bestimmt, welche Reizkonfigurationen tatsächlich verhaltenswirksam werden. 4. Damit ist es jedoch mit den Stufen zum Erkennen keineswegs getan. Denn alles Erkennen ist eigentlich ein Wiedererkennen und ohne verhaltenseffektive Bewertung des Erkannten – positiv oder negativ, anziehend oder abstoßend usw. – können Verhaltensreaktionen nicht situationsgerecht fitnessoptimierend wirken. Dazu bedarf es jedoch nicht nur der Fähigkeit des Rezipierens, des Perzipierens und des Evaluierens, sondern auch noch des Memorierens, also des Lernens und des Gedächtnisses. Dafür finden wir Belege bei allen Tieren mit
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einem entwickelten Zentralnervensystem, weniger eindeutig selbst bei ihren einfacheren Vorgängern. Rein anatomisch-physiologisch betrachtet, werden also aus Poppers einem Schritt schon mindestens die erläuterten vier Schritte. Es fällt übrigens auf, wie groß dabei doch die Ähnlichkeiten zwischen amöboidem und unternehmerischem Handeln sind: Chancen erkennen und beurteilen und mit dem eigenen Zustand vergleichen; mit anderen Worten: wissen was man will; rasch entscheiden; beherzt handeln; Risiken minimieren; aus Erfolgen wie aus Fehlern lernen und sich zur richtigen Zeit daran erinnern – aber vor allem: am Ende bei alledem profitabel produktiv sein: klingt dies alles nicht nach den Rezepten der smarten Berater mit den MBA-Abschlüssen von Harvard, Fontainebleau, St. Gallen, Koblenz-Vallendar oder Oestrich-Winkel? Funktional lassen sich die Bausteine des Wahrnehmungs- und Erkennungsvermögens auf andere Weise noch ein wenig differenzierter darstellen, wobei auch die Zusammenhänge mit Eigenschaften unseres eigenen Erkenntnisvermögens deutlicher werden. Wichtig dabei: wenn Tiere wahrnehmen und dabei Kenntnisse über ihre Umwelt erwerben, sind Wahrnehmung und Handeln immer untrennbar verbunden. Dabei folgen die kreisförmig verknüpften Prozesse von Erkennen – Handeln – Lernen – Wiedererkennen in einer ständig spezifischer werdenden Spirale der Wissensbildung, dem reinsten Spiral-Curriculum, aufeinander – wobei mit den Begriffen ,,Wahrnehmung“, ,,Erkennen“, ,,Wissen“ zunächst keinerlei bewusste, oder gar begriffliche Denkprozesse unterstellt sein sollen – das Sinnesnervensystem eines Tieres leistet solche Prozesse, die, etwa bei der Meeresschnecke Aplysia von Eric Kandels Arbeitsgruppe bis zum zellbiologisch-molekularen Detail aufgeklärt werden konnten, wofür er zurecht mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, zunächst durchaus als molekular-physiologische, komplex verschaltete Maschine und zeigt uns diese Leistungen durch sein situationsgerechtes Verhalten an. Wir werden gleich noch darauf zurückkommen, dass es auf dem Weg zu Einstein durchaus noch weitere Stufen der Genese zu betrachten gilt, die solchen Begriffen eigentlich erst vollen Gehalt geben. Wir kennen inzwischen außer der besonders einfach strukturierten Meeresschnecke viele weitere Beispiele für die sensorisch-neural-
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motorischen, kreisförmig verschalteten Erkennungs-, Verhaltens- und Lernnetzwerke, mittels derer Tiere ihre Umwelt ausforschen. Meist geht es dabei um Beutefang, Feindvermeidung, Konkurrenz- oder Partnererkennung. Ich könnte – z. T. auch aus früheren Arbeiten meiner eigenen Arbeitsgruppe – Beispiele von Blutegeln, Flusskrebsen, Schmetterlingsraupen, Fröschen, Erdkröten, Grillen, Honigbienen, elektrischen Fischen, Mäusen oder vielen anderen Tierarten anführen, an denen Neuroethologen diese neuronalen Schaltungen bis in verschiedene Detailtiefe aufklären konnten. Ich will dafür jedoch das Beutefangverhalten einer anderen, besonders gut erforschten, faszinierenden Tiergruppe wählen, der Fledermäuse, um damit zugleich dem leider vor kurzem verstorbenen Nestor von deren Verhaltenserforschung, Donald R. Griffin, Reverenz zu erweisen, bei dem ich in meiner wissenschaftlichen Jugend als Postdoc in Harvard und Rockefeller arbeiten durfte. Wie immer beginnt jeder Erfahrungserwerb unter dem Einfluss innerer Bereitschaft, hier wachsenden Hungers bei Einbruch der Dunkelheit, mit der explorativen Suche nach Beuteobjekten im Suchflug. Ich beeile mich hier im Beisein von Antonio Damasio sogleich nachdrücklich zu betonen, dass dieser emotionale Antrieb, der von der unaufhörlichen, umfassenden Information über den eigenen inneren Zustand des Tierkörpers herrührt, vermittelt durch einen ständigen Strom vielfältiger propriosensorischer und hormoneller Zustandsmeldungen, die grundlegende Voraussetzung für alle unbewussten – oder bei Fledermäusen vielleicht auch schon teilweise bewussten – Prozesse der Informationsgewinnung aus der Umwelt ist. In dieser Phase der suchenden Exploration gehen selbstverständlich auch mannigfache genetische Vorprogrammierungen des gesamten Systems ein: seines Körperbaus, seiner Physiologie, neuraler Dispositionen, kurzum: genetisches Vorwissen, das im Genom jedes Organismus verschlüsselt von Generation zu Generation übertragen wird und das den Organismus überhaupt erst funktionsbereit in der Anpassungsumwelt macht, auf die die genetischen Anpassungen jedes Individuums gleichsam artspezifisch vorbereiten. Zwar sucht z. B. in einem neuen Gelände eine unerfahrene Fledermaus ohne selbst erworbene Erfahrungen nach Beute. Doch sie besitzt dafür ein ganzes, genetisch programmiertes Arsenal an Routinen: der Flugtechnik, der Wahl eines Suchareals, der dort zu erwartenden Signale. Vor allem aber verfügt sie über ein einzigarti-
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ges aktives Erkennungs- und Ortungsverfahren mittels in regelmäßiger Folge ausgestoßener, frequenzkontrollierter Ultraschallschreie gewaltiger Lautstärke. Diese breiten sich wie ein akustischer Suchstrahler in einem kegelförmigen Bereich vor dem rasch fliegenden Räuber aus und werfen von allen dort befindlichen Objekten Echos zurück, die das extrem darauf spezialisierte Gehörsystem der Fledermaus auf viele verschiedenen Kennzeichen hin auswertet (also Rezeption + Perzeption): Größe, Bewegung, Oberflächenbeschaffenheit, Form, Entfernung, Richtung, z. B. einer fliegenden Motte, zum Unterschied von unbewegten Zweigen oder Blättern des Hintergrunds. Dass eine Fledermaus ein potentielles Beuteobjekt erfasst hat, können wir akustisch daran erkennen, dass sie ihre Suchlautfolge in bestimmter Weise verändert: die Laute werden kürzer und folgen schneller aufeinander, bis die Beute ergriffen oder verfehlt wird. Manche Arten können auf diese Weise sogar Fische mittels der von diesen an der Wasseroberfläche hervorgerufenen Rippelwellen detektieren und mit eintauchenden Krallen ergreifen. Wir haben hier also eine ganze Serie – z. T. angeborener, z. T. auch erlernter kombinierter Erkennungsleistungen vor uns: – Detektion und Diskrimination vom Hintergrund – eine extrem wichtige Leistung zur Erfassung strukturierter Wirklichkeit; auf die Unterscheidung kommt es dabei vor allem an: keine Erkennung ohne Unterscheidung und daher auch keine Entscheidung (z. B. zu Angriff oder Abwenden) ohne Unterscheidung (z. B. schmackhafter von ungenießbarer Beute). Erst durch die perzeptorische Ablösung vom Hintergrund wird eine Motte als Motte erkennbar und diese Kenntnis auf beliebige Situationen transferierbar. Detektion und Diskrimination sind damit die Voraussetzung für jede Identifikation eines Objekts, sei es nach angeborenem Programmwissen, das in sensoneuralen Rezeptionsmechanismen niedergelegt ist, oder dank früherer Erfahrung nach eingespeicherter Information. – Lokalisation im freien Raum nach Entfernung und Raumwinkeln, sozusagen in dreidimensionalen Polarkoordinaten; zugleich aber auch in der 4. Dimension der Zeit, die durch die Raumkoordinatenänderungen aufeinander folgender Echos widergespiegelt wird. Wenn also Immanuel Kant mit seiner Beschreibung von Raum und Zeit als apriorischen transzendentalen Anschauungsformen recht hat, dann gelten
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diese nicht nur bereits für unsere Fledermaus, sondern sogar auch noch für die angepeilte Motte, denn sie bewegt sich ja in eben den Raumzeitkoordinaten, auf die das Detektionssystem der Fledermaus genau abgestimmt sein muss – in diesem Fall wirklich genetischapriorisch, da sie diese Lokalisationsfähigkeit nicht erst zu erlernen, allenfalls genauer zu eichen braucht. Mit Verlaub: als Evolutionsbiologe leuchtet es mir schon eher ein, dass die Wirklichkeit da draußen eben 3+1-dimensional in Raum und Zeit strukturiert ist und dass das sensorisch-neurale Beuteerkennungssystem schon bei der Fledermaus, aber genauso bei Frosch, Insekt oder Krebs, genetisch daran angepasst wurde, als dass erst die bewusste Raum-Zeit-Wahrnehmung des Menschen in prästabilierter Harmonie diese transzendentalen Anschauungsformen verpasst bekommen hat. Aber da verwechsle ich wohl schon wieder Genese mit Geltung. Mag sein, aber vielleicht ist der empiristische Common sense in seinem hypothetischen Realismus nicht so sehr naiv, sondern einfach zutreffend, da vielfach bewährt: so wie ja auch das naive Kind des Königs fehlende Kleider erkennt, während Gelehrte noch deren Faltenwurf bewundernd beschreiben. Zweierlei ist hier noch zusätzlich anzumerken. Eine konstruktivistische Sicht des Erkennens passt erstens gar nicht schlecht auf die Detektionsleistungen unserer Fledermaus: konnte die richtige sensoneurale Netzwerkstruktur doch nur durch Versuch und Erfolg in der Wirklichkeit in deren Genom einprogrammiert werden. Und zum zweiten: Wer gerne – ethisch minderwertiges – Verfügungswissen von – ethisch hochwertigem – Orientierungswissen unterscheidet, sollte an der kleinen Flattermaus zur Kenntnis nehmen, dass Orientierungswissen – was, wo, woher, wohin, wie weit entfernt – für sie das allernotwendigste Verfügungswissen ist! – Denn darauf kommt es ja nun an: Detektion, Diskrimination, Identifikation – alles schön und gut, aber nun muss sofort bewertet werden, was da in den Suchstrahler der Echoortung geriet: Beute oder Feind, schmackhaft oder ungenießbar, zu klein, zu groß oder gerade recht? Von dieser ersten Evaluation des Entdeckten hängt dann schließlich – die Determination, die Entscheidung ab, was im gegebenen inneren Zustand von Nahrungsgier und bei gegebener Erfolgswahrschein-
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lichkeit und unvermeidlichem Falschentscheidungsrisiko geschehen soll, und zwar nicht erst nach langer Deliberation, sonst ist die Motte weg, sondern in blitzschnellem, gekonnten Zugriff mit Flügelfangkorb und finalem Zubeißen in der Luft, oder anderenfalls Ignorieren und Weitersuchen. Auf diese untrennbare Verbindung von Detektieren, Evaluieren und Aquirieren möchte ich nochmals hinweisen: wir – ob Fledermaus oder Mensch – können erkennen, weil wir entscheiden müssen, sonst gibt es kein Überleben. Wenn dem Erkennen kein Entscheiden folgt, hilft auch die schönste Erkenntnis wenig – klingt dies nicht durchaus politisch? Aber wir sind noch nicht am Ende des Kreislaufs, denn – gilt es nun in einer zweiten Evaluation die Folgen des eigenen Handelns erneut zu bewerten; Erfolg oder Misserfolg, und dieses Ergebnis auf die vorangegangenen Erfahrungen rückzukoppeln, also durch Assoziation und, durch Erfolg oder Misserfolg, des sensorischen und motorischen Geschehens, operant zu lernen: learning from consequences und – situationsgerechtes Memorieren, also Speichern dieser Erfahrungen, damit bei einer nächsten Runde auf diese gemachten Erfahrungen zurückgegriffen werden kann – und zwar genau zum Zeitpunkt erneuter erster Evaluation einer Reizsituation, so dass aus dem vorherigen Erkennen ein bewertetes Wiedererkennen und ein erneuter Kreislauf der ununterbrochenen Lernspirale eingeleitet werden kann, ständig weiter präzisiert, angereichert, perfektioniert. Bevor ich jedoch unsere Fledermaus ganz davon flattern lasse und dann noch einen Blick darauf werfe, was vom ,,Erkennen“ einer Beute durch den Räuber hin zur ,,Erkenntnis“ eines Wissenschaftlers führen könnte, seien noch einige weitere Anmerkungen zu dem gestattet, was ich bis hierher über das wissensbasierte und wissensakkumulierende System ,,Tier“ skizziert habe. Zunächst ist offenkundig, dass – wie der Philosoph Thomas Nagel in einem berühmt gewordenen Artikel ,,What it is like to be a bat?“ (Philos. Rev. 83, 435–450, 1974) sehr schön expliziert hat – die flatternde Motte für die Fledermaus etwas ganz anderes (für uns gar nicht Vorstellbares oder Empfindbares) ist, als für uns: eine Art Glitzergeräuschantwort auf
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eigenen Zuruf muss das sein, nicht etwa ein bunt beschuppter Schmetterling mit vier Flügeln, sechs Beinen und zwei Fühlern, wie wir ihn sehen. Die Motte als ,,Ding an sich“ kennt die Fledermaus so wenig wie wir, aber sensorische Zeichen ihrer Wirklichkeit, das können wir beide in Erfahrungen bringen, Erfahrungen, die zwar beschränkt, aber dennoch nicht ganz falsch oder zueinander im Widerspruch stehend sein können. Dies kann uns Zuversicht geben, empirischer Erkundung dieser verborgenen Wirklichkeit doch mehr Vertrauen in ihre Zuverlässigkeit zu schenken, als wir dies geträumten Mottenhirngespinsten entgegenbringen würden. Zum zweiten ist daran zu erinnern, dass Immanuel Kant, dessen 200sten Todestages am 12. Februar wir derzeit gedenken, – vielleicht auch deshalb das Thema dieses Symposiums – ja nicht nur von den apriorischen transzendentalen Anschauungsformen von Raum und Zeit gesprochen hat, in denen alle Erkenntnis über die Welt für uns möglich wird, sondern auch ein Dutzend weiterer apriorischer Kategorien unserer Erkenntnis aufgelistet hat. Ich will hier nur die vielleicht Wichtigste nennen, die Kausalität, die uns im Zusammenhang von Ursache und Wirkung nicht nur Struktur, sondern sozusagen naturgesetzliche Prozessordnung der Wirklichkeit erkennen lässt. Nun weiß ich natürlich nicht, ob die Fledermaus eine Ahnung von Kausalität, geschweige denn eine begriffliche Vorstellung davon hat, vermutlich nicht, aber sie muss über eine andere Leistung verfügen, die die wichtigste Voraussetzung dafür sein könnte: sie muss aus der zeitlichen Ordnung von Sinneswahrnehmungen, eigenem Verhalten und dessen positiven oder negativen Konsequenzen lernen, also dauerhafte Gedächtnisinhalte einspeichern; aus dem post hoc also durch Assoziation und zeitliche Kontiguität ein propter hoc erschließen, oder – wenn schon nicht erschließen – ihr Verhalten so einrichten, als sei dies so. Was jedoch noch wichtiger ist: dies darf kein ein für allemal unveränderlich einprogrammierter zwingender Schluss von der Korrelation auf eine immer verlässliche Kausalbeziehung sein, denn Assoziationen haben ja nicht nur Kontiguität – zeitliche Nähe –, sondern auch Kontingenzeigenschaften, können also zufälliges Zusammentreffen als Kausalbeziehung missdeuten. Dies muss immer erneut – gleichsam im Testverfahren von Kontrollexperimenten – auf die Probe gestellt wer-
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den können: eine Motte, die sich im Echo noch so schön anhört, könnte ja z. B. auch ekelhafte Stinkdrüsen haben, die einem speiübel werden lassen. Es kommt also darauf an, jedem Echo, d. h. jeder Erfahrung zugleich zu vertrauen – da ist etwas Interessantes! – und dennoch auch zu misstrauen – mal genau hinhören, ob es wirklich schmackhaft klingt. Zweifel am eigenen Wissen, neben dem Wundern und dem Erschrecken bekanntlich der Urgrund aller Philosophie, muss also schon im Erkennungssystem einer Fledermaus angelegt sein. Einige solche Ekelmotten sagen es der Fledermaus sogar, wenn sie deren Suchlaut entdeckt haben, indem sie schrill ihre Ungenießbarkeit kundtun (und andere, durchaus schmackhafte, machen dies sogar nach, um den Jäger zu täuschen) und dies muss die Fledermaus wieder unterscheiden usw. Dass bei jedem überhaupt denkbaren Lernvorgang der konsekutive Ablauf der Ereignisse so wichtig ist – erst der Reiz, dann die Handlung, dann Belohnung oder Bestrafung – und dass es dabei nicht nur um die Anordnung der Geschehnisse geht, sondern sogar um den präzisen zeitlichen Abstand, in dem sie aufeinander folgen, dies könnte die wichtigste neuro- und verhaltensphysiologische Grundlage jeder, also auch unserer, Zeitempfindung sein. Kants Annahme, es gebe ,,synthetische Apriori“, also auf die Realität bezogenes Vorwissen im erkennenden Subjekt, findet so vielleicht ihre Bestätigung, aber deren Geltung in der Wirklichkeit erklärt sich dann vielleicht gerade aus der evolutiven Genese des sensorisch-neuralen Erfahrungsapperats tierischer Lebewesen. Kausalität wird bei solchen assoziativen Lernprozessen also zu einer Schätzung der Wahrscheinlichkeit von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen aus der relativen Häufigkeit zeitlich richtig kombinierten Auftretens von Ereignissen, Handlungen und deren Folgen. Aber dies muss nicht die einzige Quelle unserer – wiederum apriorischen – Fähigkeit zur Wahrscheinlichkeitsschätzung in tausend Lebenszusammenhängen sein. Wo immer zwei Lebewesen – Jäger, Beute, Konkurrenten, Kooperationspartner, Eltern und Nachkommen etc. – mit ihrem Verhalten aufeinander treffen, gibt es für beide Seiten Optionen alternativen Agierens und Reagierens, übrigens die wichtigste physiologische Voraussetzung von Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit, die wir als Willkür kennen. Auch die armen Motten sind der Echoortung keineswegs immer hilflos ausgeliefert. Es gibt zahlreiche Arten, die ihrerseits
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Hörorgane entwickelt haben, die genau auf Fledermaussendefrequenzen abgestimmt sind und die den Motten – wie Kenneth D. Roeder vor vielen Jahren entdeckt hat – durchaus die Chance verschiedenartiger Reaktion ermöglichen: leise Ortungsrufe, Fledermaus weit weg, ruhig weiterfliegen; oder laute aber gleichmäßig ertönende Ortungsrufe, Gefahr im Anflug, sofort gezielt von der Rufquelle wegfliegen; oder sogar sehr laute, sich im Stakkato beschleunigende Rufe, höchste Lebensgefahr, ich bin entdeckt, sofort Flügel anlegen und erratisch zu Boden stürzen – lieber eine Gehirnerschütterung als gar keinen Kopf mehr! Aber die Fledermaus kann ihrerseits an den Echos ihrer Ortungsrufe die unterschiedlichen Situationen, in denen sich eine solche Motte befindet, auch wieder bewerten und ihre Jagd- und Zugriffsstrategien ihrerseits darauf einstellen: so kommt es zu einem gegenseitigen Wettbewerb von Wahrscheinlichkeitsschätzungen, die sich spieltheoretisch analysieren lassen und die uns alle, also viele Tiere und uns Menschen am allermeisten, zu fantastisch berechnenden Wahrscheinlichkeitsschätzern machen. Gehirne sind allein dadurch daraufhin optimiert, ständig solche Kalküle und (wiederum: unbewusst-unbenannte oder bewusst-begriffliche) Kalkulationen auszuführen. Bevor wir Fress-, Flucht-, Angriffs- oder Sexmaschinen sind, sind wir allemal schon vorher – notgedrungen – BeRechenmaschinen! Führt dies uns also doch direkt von der Amöbe zum theoretischen Physiker Einstein? So leicht können wir es uns sicherlich nicht machen. Ich habe schon auf Tierniveau – von dem allein ich als einfacher Zoologe und Tierverhaltensforscher wirklich etwas zu verstehen glaube – von mindestens vier Schritten, von der einfachsten Reizempfindlichkeit zur Erkennungsfähigkeit, als Voraussetzung jeder Wissensfähigkeit gesprochen. Wir müssen jedoch mindestens drei weitere Schritte hinzufügen, um von der Fledermaus im Blätterdach zur Fledermaus in der Silvesteroperette (geschweige denn zum manchmal ja auch etwas flatterhaften Kaiser-Wilhelm-Instituts-Direktor Albert Einstein) zu gelangen: freilich drei Riesenschritte, für die wir auch heute noch eher die Siebenmeilenstiefel der Fantasie als solide Nagel-Schule wissenschaftlichen Erkenntnisfortschrittes benutzen 5. Schritt: Die Entwicklung von Bewusstsein als Vorstellungsraum von Wirklichkeit oder besser von verschiedenen Wirklichkeitsmodellen und unserem Handeln in ihnen. Vielleicht hat die Fledermaus ja schon
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etwas davon: sie bildet die vor ihr fliegende Motte ja keineswegs mittels Ultraschall wie mit einem akustischen ,,Foto“apparat ab; sie analysiert vielmehr die zurückgeworfenen Echos auf bestimmte Kennwerte hin – acoustic features – wie Frequenz- und Lautstärkeverteilung, Aufoder Abwärtsmodulation etc., ähnlich wie unser Gehirn Sprachlaute auf solche Kennwerte hin prüft, damit wir b und p, d und t, oder a, e, i, o oder u auseinander halten können – Grundlage aller Abstraktion, des Schlusses von Einzelfällen auf Klassen von Objekten, von der Empirie zur Theorie. Wo aber tut sie das, in welchem virtuellen Raum der Repräsentation? Wir wissen es nicht und würden doch zu gerne wissen ,,What it is like to be a bat?“ Allerdings geht mit dieser bewussten Fähigkeit des Denkens alternativer Welten, diesem grandiosen Fortschritt vom Erkennen zum Wissen, auch ein hässlicher Schlagschatten einher: bewusst denkende Lebewesen können nun nicht nur besser wissen, was der Fall ist, sondern sich auch allerlei vorstellen, was gar nicht der Wirklichkeit entspricht, und können ihre Mitwelt darüber in Unkenntnis halten, täuschen und in die Irre führen. Bewusstes Lügen und Betrügen ist ein kostspieliger Preis für solchen Erkenntnisfortschritt. (Siehe dazu: ,,Lug und Trug als Preis des Wissens“, in: Hubert Markl: ,,Schöner neuer Mensch ?“, Piper Verlag, München, 2002.) Dem folgt dann – nun sicher fern aller Fledermauspsychologie – als 6. Schritt die Entwicklung von Sprachvermögen, von begrifflichem Denken, von logischem Schlussvermögen und allem anderen, was uns erst zu Menschen, Einstein zum Nobelpreisträger und Karl Popper zum Erfinder von Welt III werden ließ, die mit all diesen und vielen weiteren Gedankengebilden möbliert ist: mit Geschichte und Geschichten, Mathematik, Literatur, Kunst, Musik. Erst durch begriffliche Sprache geht das Denkbare über das Wahrnehmbare und sogar über das Vorstellbare hinaus – denken Sie nur an Einsteins Relativitätstheorie oder gar die Quantentheorie! Im 7. und letzten Schritt gelangen wir schließlich auch zu dem, was wir Wissenschaft nennen, jenem intersubjektiv sozial und sprachlich verfassten System von geordneter, zusammenhängender, geprüfter und daher zuverlässiger Erkenntnis der Wirklichkeit so wie sie im Prinzip für alle Menschen Wissen schafft, das von Generation zu Generation unaufhaltsam wächst. Erst hier können wir eigentlich ohne Anführungszeichen von Erkenntnis – und nicht nur von Erkennungsfähigkeit – spre-
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chen. Erst hier kann – nach all der popeligen evolutionären Bio-Genese – endlich der Philosoph voll zur Geltung kommen. Er kann uns hoffentlich sagen, ob die Welt so ist, wie wir sie wahrnehmen, weil wir sie wahrnehmen (Kant)? Oder nehmen wir die Welt so wahr, weil wir ganz und gar ihr Bestandteil sind (Darwin)? Sind die Anschauungsformen von Raum und Zeit und die 12 apriorischen Kategorien transzendental erfahrungsbedingend (Kant) oder erfahrungsbedingt (Darwin)? Der Biologe kann dies nicht beantworten, selbst wenn er eine naive Meinung darüber äußert. Es wird höchste Zeit, zum Schluss zu kommen. Wenn man von El Paso in Texas auf Highway 25 über Las Cruces nordwärts nach New Mexico hinein fährt, durch ein mir lieb gewordenes Halbwüstenland, wo in den Bars so schöne Sprüche hängen wie ,,In GOD we trust – all others pay cash!“, dann gelangt man in eine etwas gottverlassene Stadt, von der man eigentlich keine erkenntnistheoretischen Erleuchtungen erwartet. Aber erstaunlicherweise vielleicht doch: wurde sie möglicherweise nach einem wohl ziemlich rabiat durchgreifenden Sheriff benannt, der dem Recht nach einer einfachen, aber wirkungsvollen Formel Geltung zu verschaffen wusste, weshalb die Stadt nach ihm genannt wurde? Nach anderer Quelle vielleicht auch nach einer TV-Game-Show der fünfziger Jahre gleichen Titels ? Sie heißt nämlich ,,Truth or Consequences“. Dahinter mag wieder einmal ein etwas unkritischer Begriff von Truth, von Wahrheit, stecken. Aber die Consequences, die dem angedroht wurden, der nicht bei der Wahrheit blieb, kann man sich wohl westerngemäß ausmalen. Truth or Consequences: so hat sich jedenfalls das gesamte Erkennungsund Lernvermögen im Lauf der Evolution durch die hart zugreifende ,,natürliche Selektion“ entwickelt: Wahrnehmungen und Verhaltensreaktionen, die der Wirklichkeit nicht so wahrheitsgetreu, wie für beschränkte Lebewesen eben möglich, entsprachen, fielen den bitteren Konsequenzen zum Opfer, während jene, die wirklichkeitsgemäßer waren, die dazu Befähigten ebenso konsequent mit Darwinischer Fitness belohnten. ,,The proof of the pudding is in the eating“: die Zuverlässigkeit und vielleicht auch Wahrheitsnähe theoretischer Erkenntnis erweist sich am besten an ihrer Bewährung in der Wirklichkeit. Insofern ist eine richtige Theorie eine eminent praktische Sache, wie von Kant bis Einstein viele kluge Köpfe bemerkt haben. Oder: ,,Wer heilt, hat recht“,
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wie niemandem geläufiger sein kann, als dem Forschungsvorstand eines Pharmaunternehmens. Warum er und womit er heilt und warum er recht hat, vor allem aber, warum er immer wieder irrt, warum es so oft leider keine Heilung gibt und wie man neue Wege zur Heilung finden kann: dies alles lässt noch genug für die Wissenschaft zu erforschen und zu erkennen. Dafür sind 60 Jahre und selbst nochmals so viele Jahre, die man jedem Forscher dafür gerne wünschen möchte, ganz sicherlich noch viel zu wenig. August Comte (nach Vollmer, S. 93) hat die zentrale Aufgabe wissenschaftlicher Forschung in einen Satz gefasst: ,,Savoir pour prévoir, prévoir pour prévenir“. Wer erkennt, weiß; wer weiß, kann vorhersagen; wer vorhersagen kann, kann auch Vorsorge treffen. Mit der Fähigkeit zur Voraussicht kommt allerdings auch die Last der Verantwortung für unsere Entscheidungen und daher das Bedürfnis nach Entscheidungsregeln, an die wir uns zum eigenen wie zum Gemeinwohl halten können, also nach moralischen Grundlagen unseres Verhaltens – aber das ist eine andere Geschichte. Das alles freilich nur, wenn es die Welt, die die Wissenschaft erforscht, da draußen außerhalb unserer Köpfe wirklich gibt. Vertrauen wir darauf, dass dies so ist und dass wir sie annähernd wahrheitsgetreu erkennen können, wenn es dazu auch noch vieler Mühe des Forschens bedürfen wird. Aber wir dürfen auch darauf vertrauen, denn einige hundert Millionen Jahre der Genese erkennender neuraler Systeme haben für die Geltung ihrer Erkenntnisleistungen sicherlich einiges Gewicht – vielleicht nicht endgültig beweiskräftig, aber doch in der Lebenspraxis zuverlässig bewährt.
5 Emotion and Feeling in the Making of the Conscious Mind
Antonio Damasio Parts of this text were originally published in Scientific American and are used with full permission of the journal.
One question towers above all others in the field of the life sciences: how is it that the set of processes we call mind emerges from the activity of the organ we call brain? The question is not new, of course. On and off, in one form or another, it has been formulated for centuries, and once it was possible to pose it and not be burned at the stake, it was voiced openly and insistently. Of late, however, the question has become a preoccupation both for the seeming experts of the problem – neuroscientists, cognitive scientists, and philosophers – and for almost anyone else who wonders about the origins of the mind, specifically, the
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conscious mind. For some, expert and non-expert alike, there is little doubt that an answer will be found; for others, again both expert and non-expert, no answer is likely, in principle. The debate is intriguing and even unexpected, considering that no comparable doubts have been raised over the likelihood of explaining the brain basis for processes such as vision or memory, which are obvious contributors to the larger process of the conscious mind. Somehow, nervousness sets in when the mind is considered as a whole and especially when the aspect of mind identified as consciousness becomes the focus of the inquiry. Here I argue that a substantial answer to this stirring question will be given, sooner rather than later. I also suggest that the hardest part of the problem – the nature of the self – will be elucidated as a consequence of our increased understanding of the neurobiology of emotion and feeling.
5.1 The Timing of a Question: Why Now? It is useful to begin by indicating why this question has finally come to center stage. The reason for the current excitement is simple: biology, in general, and neuroscience, in particular, have made such a remarkable success out of discovering the hidden secrets of life that the neurobiological basis of the conscious mind, which is a version of the classic mind-body problem, has virtually become the residual challenge. It has been said that we have learned more about the mind and the brain during the so-called decade of the brain than during the entire history of psychology and neuroscience prior to 1990. Examples of progress in the understanding of the relation between mind and brain abound, driven by the availability of new techniques at both ends of the neuroscience spectrum: molecular neurobiology and the combination of functional neuroimaging technologies with cognitive experimentation. These techniques have joined the classical approaches of neuroanatomy and neurophysiology, of neurochemistry and pharmacology, and have helped produce a multidimensional view of the brain engaged in mindful activity. Another topic where recent progress is especially notable is emotion. Emotion was largely neglected by neuroscience during most of the twentieth century, but it is now the focus of intense scrutiny. The neuro-
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biological underpinnings of the emotions have begun to be elucidated, and it has become clear that the brain handles different emotions with the help of different components. For instance, from both animal and human studies, it is apparent that the amygdala, a collection of nuclei in the depth of each temporal lobe, is a critical component in the brain system that processes fear. Surprisingly, not only is the amygdala necessary for us to learn that a certain stimulus can cause fear, but it is also important for us to experience fear in relation to such a stimulus, and even for us to recognize, from a facial expression, that someone else is experiencing fear. Such discoveries, along with the subsequent exploration of other components of the systems related to the processing of fear, are essential for the understanding of phenomena such as anxiety, which figures prominently in many psychiatric diseases. Moreover, the processing of fear is also a key to a variety of social behaviors, for instance, the judgment of the degree to which another person is trustworthy. Understanding the neurobiology of such systems will play a role in the elucidation of the neurobiology of social navigation. Recent studies show that fear is not alone in depending on a specific neural system. For instance, sadness recruits the participation of the ventral and medial prefrontal cortex and of the hypothalamus to an extent different from that of other emotions. The discovery offers important clues in the investigation of diseases such as depression or mania. For example, in patients with depression and mania there is a malfunction of the sector of ventromedial prefrontal cortex just below the corpus callosum. Remarkably, most of the brain components that in one combination or another form the systems that support each particular emotion are involved with both the regulation and representation of internal body states – this is true of the hypothalamus, of sectors of the upper brain stem, of basal forebrain, and of somatosensory cortices – underscoring the degree to which emotion and feeling are inextricably interwoven with the mechanisms that ensure the maintenance of life. This finding offers another clue regarding the possible mechanisms of mood disorders and the design of possible interventions. As noted in the pages ahead, it also is relevant to the elucidation of the self. The relentless and exponential rise of new knowledge has created the vertiginous feeling that no problem can resist the assault of science if only the theory is right and the techniques are powerful enough. It just
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seems reasonable to expect that the mind–body problem (to which I will refer from now on as the conscious mind problem) will be solved at this point. Behind that giddy feeling, however, lie some sobering difficulties that often go unrecognized in the midst of so much enthusiasm.
5.2 Acknowledging the Difficulties In no particular order of importance, here is a short list of the main difficulties faced by a search for the biological basis for the conscious mind. A sobering difficulty has to do with the perspective that must be adopted when we study the conscious mind in relation to the brain in which we believe it originates. This has to do with the fact that the body and its brain – anyone’s body, anyone’s brain – are observable by third persons, while the mind is only “observable” by the first-person who owns it. Multiple individuals confronted with the same body or brain can make precisely the same verifiable observations of that body or brain, while no comparable direct “third-person” observation is possible for anyone’s mind. The mind is a private, hidden, internal, unequivocally subjective entity. The body and its brain are public, exposed, external, and unequivocally objective entities. How and where does the dependence of a first-person mind on a third-person body occur, precisely? The naysayers argue that, at the end of the day, once we put together all the images from refined brain scans and from the patterns of activity in brain neurons, we come up with correlates of mental states rather than with anything that resembles a mental state. At the conclusion of our observations of living matter we find not the mind but, quite simply, a more detailed view of living matter. This argument is false, as I will explain in a moment, but it tends to silence most hopeful investigators of the conscious mind. As a consequence, the naysayers tell us, we have no hope of reaching the Holy Grail, the understanding of how living matter generates the sense of self that hallmarks a conscious mind – the sense that the images in my mind are mine and are formed in my perspective. The problem is so hopeless that we cannot even explain why the mind is about something – why mental states represent external objects or feelings inside an organism, the property of mind that philosophers identify by
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the confusing term “intentionality”. This argument is also false, as we shall see. Naysayers deliver their last blow when they remind us that the very fact that we can ask the question of how a conscious mind arises in a brain depends on the existence of that same conscious mind. The investigation of the question is to be conducted with the very same instrument that is being investigated, a situation that makes both the definition and the approach of the problem especially complicated. Given the conflict between observer and observed, we are told, the human intellect is not likely to be up to the task of understanding how the mind emerges from the brain. Here the conflict is real but the notion that it cannot be overcome is false. In short, the apparent uniqueness of the problem and the difficulties that surround its approach are not just daunting for those who are committed to finding a possible solution: they are positively forbidding for those who intuitively never believed a solution could be found. The question of how the mind arises in the brain may be center stage now, but there is a considerable resistance to the idea that an answer is possible, let alone likely. There is nothing more familiar than the mind and yet, when it comes to inquiring about the sources and mechanisms behind the mind, the problem becomes one vast region of strangeness.
5.3 Evaluating the Difficulties Dealing effectively with the conscious mind problem requires a position regarding these difficulties. I will address first the difficulties that pertain to the circumstances in which the conscious mind is being investigated, for example, the notion that the current understanding of living matter has reached its limits without succeeding in identifying the “substance of mind.” This notion is entirely unacceptable. The current description of neurobiological phenomena is quite incomplete, any way we consider it. We have yet to unravel numerous details of the function of neurons and circuits at the level of molecules; we have yet to understand the behavior of populations of neurons within a local brain region; and our understanding of the level of large-scale systems formed by multiple brain regions is quite incomplete. We are barely
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beginning to address the fact that pathway interactions among many non-contiguous brain regions probably yield highly complex biological states that are not the result of merely adding up the local contributions of those multiple regions. Declaring the conscious mind problem insoluble because we have studied the brain to the hilt and have not found the mind in it is ludicrous. In fact it is not even true that the understanding of physics as it relates to biological events is in any way complete. For example, the comprehensive account of how the brain generates the integrated sensory images that hallmark the mind process may gain from our understanding of quantum physics. At the finest level of description, the swift construction, manipulation, and superposition of many sensory images may require explanation at the quantum level. Incidentally, the acknowledgement of a possible role for quantum physics in the elucidation of the mind, an idea usually identified with the mathematical physicist Roger Penrose, is not an endorsement of his specific proposals in this area – namely that consciousness is based on quantum-level phenomena occurring in the subcomponents of neurons known as microtubules. Moreover, I regard the quantum level of operations as unnecessary to explain the part of the conscious mind problem that pertains to the self. In conclusion, it is reasonable to say that we have not elucidated the full biology of mental phenomena because we do not know enough of either neurobiology or its related physics – which means that the main reason behind the strangeness of the conscious mind problem has to do with traditional intuitions and ignorance. The traditional intuitions tell us that the “mind” is something different from the body, in terms of its substance or lack of it. This is a perfectly understandable conception but it need not be true. As for ignorance, it limits the imagination and has the curious effect of making the possible seem impossible. The appearance of a gulf between mental states, on the one hand, and physical/biological phenomena, on the other, comes from the large disparity of two bodies of knowledge: the fairly well described complexity of “mind processes”, and the very defectively described biological processes that correspond to them, that, in fact, are them. There is a mismatch between the form and wealth of phenomena available directly and automatically in the mind processes, and the form and wealth of phenomena in the current neuroscientific description of neurobiological processes. There is a gap
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between the mental specification we have achieved through centuries of introspection and the efforts of cognitive science, and the neural specification we have achieved through the efforts of neuroscience. But there is no reason to believe that the gap cannot be filled as further research in neurobiology continues, and that even our traditional intuitions about the nature of the mind will not change under the weight of new knowledge. Nothing indicates that we have reached the edge of an abyss that would separate, in principle, the mental from the neural. As for the idea that the real conflict between observer and observed makes the human intellect unfit to study itself, it is important to point out that brain and mind are not a monolith: they have multiple structural levels, and the highest of those levels create instruments which permit the observation of the others. We should be modest about the fact that we may never be able to observe our whole nature, but that is different from declaring defeat before we even try, especially complete defeat.
5.4 Possible Solutions The solution I have proposed for the problem of the conscious mind calls for breaking it into two parts: the problem of how we generate what I call a “movie-in-the-brain”, an integrated composite of images in diverse sensory modalities – visual, auditory, tactile, olfactory, and so on; and the problem of “self”, which pertains to how we generate automatically a sense of ownership for the movie-in-the-brain. The two problems are related, the latter being nested in the former, but they require individual solutions, and it is helpful to separate them in terms of research strategy. 5.4.1 A Neurobiology for the Movie-in-the-Brain It is fair to say that for most of the history of neuroscience, unwittingly, we have been attempting to solve the “movie-in-the-brain” problem, a metaphor for the integrated and unified composite of diverse sensory images that constitutes the multimedia mind show. When Paul Broca and Carl Wernicke first suggested that different regions of the brain were involved in processing different aspects of language, a century-and-ahalf ago, we had begun mapping brain regions involved in constructing
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the movie-in-the-brain. In recent years, with the advent of ever more sophisticated tools, the effort has begun to pay handsome rewards. It is possible to record the activity of single neurons or groups of neurons directly, and relate that activity to aspects of a mental state – for instance, the perception of a color or a curved line or the notion of a point in space. Using PET scans or fMR scans we can determine how the different brain regions of a normal living person are engaged by a certain mental state – for instance, finding the word specific to a certain object or learning a given face. And we can investigate how molecules within microscopic neuron circuits participate in such diverse tasks, and identify the genes whose activity is necessary for the particular molecules to be formed and deployed. Examples of progress abound and have not stopped accumulating ever since the neurophysiologists David Hubel and Torsten Wiesel demonstrated that neurons in the primary visual cortex were selectively tuned to respond to edges oriented in varied angles, thus providing us with a first clue for how brain circuits represent the shape of a given object. Later, David Hubel and Margaret Livingstone would show that other neurons in the primary visual cortex respond selectively to color but not to the building blocks of a shape, while Semir Zeki showed that brain regions located downstream from the primary visual cortex were relatively specialized for further processing of color or of movement. These results provided a counterpart to the observations made in living neurological patients which showed that damage to distinct regions of the visual cortices might lead, for instance, to a loss of the ability to perceive color while preserving the ability to perceive shape and movement. As studies have progressed on both experimental animals as well as neurological patients and normal humans, knowledge of how the brain constructs a visual representation of the objects that impress the retina has revealed a demonstrable correspondence between the structure of a particular object, as presented to the eyes, and the pattern of neuron activity generated by that presentation within the visual cortex of the organism confronted by the object. Another case of remarkable progress is the understanding of the mechanisms of learning and memory. In rapid succession we have discovered that the brain uses one system to learn facts, pertaining, for instance, to persons, places, and events, and another system to learn
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skills, for instance, playing a musical instrument or riding a bike. The hippocampus is a key component in the system that serves the learning of facts, while the basal ganglia and the cerebellum are critical for the learning of skills. We have also discovered that the structures that are so indispensable for learning facts are not used to store the long-term memories of those facts. It turns out that memories are actually laid down in brain systems made up of many components and that those components are located importantly though not exclusively in the vast brain expanses known as the cerebral cortices. Moreover, we have discovered that for learning to occur, that is, in order for a fact that is now being held in short-term memory to be consolidated in long-term memory, it is not sufficient to have properly working hippocampi and cerebral cortices. It is indispensable that, at the level of neurons and molecules, certain processes take place such that the neural circuits are etched, so to speak, with the “impressions” caused by the newly learned fact. It has long been known that the etching depends on strengthening or weakening of synapses, but an exciting finding is that etching the impression requires the synthesis of new proteins, and that, in turn, requires the engagement of certain genes within the neurons that support the consolidated memory. These findings emerge from investigations such as those of Eric Kandel and Tim Tully. These new facts, along with others we could mention from the study of language, emotion, and decision-making, indicate that whatever mental function we turn to it is possible to identify distinct brain regions which contribute to the production of the function by working in concert. There is a close correspondence between the appearance of a mental state or behavior, on the one hand, and the state of activity of a select number of brain regions. Moreover, the correspondence can be established both at the level of a macroscopically identifiable region, say the primary visual cortex, a language-related area, or an emotion-related nucleus, and at the level of the microscopic neuron circuits that constitute a given region. But there should be little doubt that the current successes, impressive as they may be, are a mere beginning. Techniques are improving both in terms of our ability to analyze neural function at the molecular level, and to analyze the high complexity of large-scale phenomena arising from the whole brain. Our ability to establish ever finer correspondences between mental states and brain states will increase correspondingly.
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As technology develops and the ingenuity of researchers grows, the fine grain of physical structures and biological activities which constitute the “movie-in-the-brain” will be gradually revealed. 5.4.2 The Problem of Self and the Role of Emotion and Feeling The momentum of current research on cognitive neuroscience and the sheer accumulation of powerful facts may well convince many doubters that the neural basis for the movie-in-the-brain can be identified. But the naysayers will still find it difficult to accept that the second part of the conscious mind problem – the emergence of a sense of self – can be solved at all. And although it must be granted that solving this part of the problem is by no means obvious, there are possible solutions, and here I outline aspects of a hypothesis that is now being tested. The main ideas behind the hypothesis are as follows. First, unlike cells in the kidney or the liver, which perform their assigned functional roles and do not represent any other cells or functions, brain cells at every level of the nervous system represent entities or events occurring elsewhere in the organism. By virtue of their design, brain cells are about other things and other doings. They are born cartographers of the geography of an organism and of the events that take place within that geography. The often-quoted mystery of the “intentional” mind relative to the objects external to an individual turns out to be no mystery at all. The philosophical despair that surrounds the “intentionality” hurdle to which I alluded earlier is lifted when one realizes that the brain is in the business of directly representing the organism, and, indirectly, of representing whatever the organism interacts with. Second, the brain’s natural intentionality takes us to another established fact: within its structure the brain possesses devices that are designed to manage the life of the organism in such a way that the internal chemical balances indispensable for survival can be maintained at all times. The brain devices that regulate the life state also represent, of necessity, the constantly changing states of the organism as they occur incessantly. There is nothing hypothetical or abstract about these devices: they are located in the brain’s core, in the brainstem and the hypothalamus. In other words, the brain has a natural means to represent the structure and state of the whole living organism. In my book The
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Feeling of What Happens I have argued that the biological foundation for the sense of self can be found in these brain devices which represent moment by moment the continuity of the same individual organism. Of necessity, that foundation is closely allied with the phenomena of emotion and feeling. But how is it possible to move from such a biological self to the sense of ownership of one’s thoughts, the sense that one’s thoughts are constructed in our own perspective, without falling into the trap of invoking an all-knowing homunculus who interprets the situation? How is it possible to know about self and surroundings? In the simplest of outlines, my hypothesis suggests that the brain uses mapping structures informed by both maps of the organism and maps of objects, to create a fresh second-order representation which indicates that the organism, as represented in the brain, is involved in interacting with an object. Such newly created knowledge is introduced in the ongoing mental process and adds important new information to that mental process. Specifically, it presents within the mental process the information that the organism is the owner of the ongoing mental process. It creates the sense of a first-person, a sense of self in the act of knowing. Returning to the metaphor of the mental process as multimedia movie, my solution is, in fact, that the sense-of-self-in-the-act-of-knowing emerges within the movie, that it is a part of the movie, and thus creates, within the same frame, both the “seer” and the “seen”, both the “thinker” and the “thought”. There is no spectator for the movie-in-the-brain. The idea of spectator is constructed within the movie. There is no homunculus at all in this solution of the conscious mind problem, although there is a possible answer to the vexing question of how allegedly objective brain processes ever create the subjectivity of the conscious mind. The first-person subjectivity is constructed from the ground up, made up of the cloth of sensory mapping. And because the most fundamental sensory mappings pertain to body states and are imaged as feelings, the sense of self in the act of knowing emerges as a special kind of feeling, the feeling of what happens in an organism caught in the act of interacting with an object.
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5.5 A Word About the Future It is foolish to make predictions about what can and cannot be discovered, about when something can be discovered, and about the route through which a discovery may take place. Nonetheless, it is probably safe to say that, by 2050, as continuities of biological phenomena are identified in living organisms, the traditional dualistic separations of body and brain, body and mind, and brain and mind will be less strong than they are today. A substantial part of the mind–body/brain problem, including the specific problem of consciousness, will have been elucidated. There is an understandable fear that by pinning down its physical structure, something as precious and dignified as the human mind may vanish or be downgraded. It must be clear, however, that when we explain the origins and workings of the mind in biological tissue, the mind does not disappear and is not cheapened. The mind remains after it is explained, and the awe we have for it can be extended to the amazing microstructure of the organism and to the immensely complex functions which allow such a microstructure to generate the mind. By understanding the underpinnings of the mind at a deeper level, we will simply see it as the most complex set of biological phenomena rather than as a complete mystery. The magic will remain.
References References for the publications describing the theories and facts discussed above can be found in the following: Damasio AR (1994) Descartes’ error: emotion, reason, and the human brain. Putnam, New York Damasio AR (2000) The feeling of what happens: body and emotion in the making of consciousness. Harcourt, New York Damasio AR (2003) Looking for Spinoza: joy, sorrow and the feeling brain. Harcourt, New York Hubel DH (1988) Eye, brain and vision. Scientific American Library, New York Squire LR, Kandel ER (1999) Memory: from mind to molecules. Scientific American Library, New York
II Der Blick nach innen Signalverarbeitung sehen, verstehen und in Wirkstoffe umsetzen
II The View from the Inside Signal Transduction: Observing, Understanding, and the Subsequent Development of Drugs
6 Introduction
Ernst-Ludwig Winnacker
Progress in science relies on two prerequisites, good questions and good answers. One way to fulfill these prerequisites has been to explain observable phenomena by reducing them to their elementary components. This concept of reductionism has its limits, though, when it comes to the analysis of systems that represent more than the sum of their parts. Examples of such complex systems abound and include the genome, the brain, the expanding universe, the world economy and, of course, Günter Stock. Günter Stock definitely represents a complex system. His valences are many. He is at the same time the “white angel” of the private–public partnership efforts, not only in Berlin or Munich, as a member of the DFG Senate or the Max-Planck board of directors, but in the entire country. His contributions to the recombinant DNA and later in the stem cell debates are well remembered in the scientific com-
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Introduction
Fig. 1. Biocomplexity pyramid
Protein-protein interaction map of Drosophila melanogaster
Sub-Cellular Localization View Extracellular Extracellular Matrix Plasma Membrane Synaptic Vesicle Mitochondria Endoplasmic Reticulum Golgi Lysosome Cytoplasm Cytoskeleton Peroxisome Ribosome Centrosome Nucleus Unknown
Interaction Ratings 0.9–1.0 0.8–0.9 0.65–0.8 < 0.65
Nuclear Proteins Cytoplasmic Proteins Membrane and Extracellular Proteins
Quelle: http://www.sciencemag.org/content/vol302/issue5651/images/large/zse473032102004b.jpeg.
Fig. 2. Protein–protein interaction map of Drosophila melanogaster
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munity as a welcome contrast to the idiosyncrasies of the public debate. He stands indeed for the best of worlds in such a partnership, and we could not be more grateful to him. In order to understand complex systems we have to envisage a complexity pyramid, as shown for the example of biology (Fig. 1). Beginning at the bottom with the gene, we move up the hierarchy of entities until we reach the level of entire organisms or even groups of organisms. With the two lecturers of this session we move inside this pyramid, onto its different levels, in order to understand the respective degrees of organization. One such level is that of the proteins in a living cell (Fig. 2). In such a conundrum of molecules we have to identify order and to understand those interactions which cause complex shapes, like that of a fly, or complex diseases to arise, like those of the nervous system. I am happy to tell you that the speakers of this session not only are extremely prominent in their fields but will provide answers to various complex questions in the field of biology and, particularly Neurobiology.
7 Imaging Human Brain Function
Richard Frackowiak
7.1 Scientific Imaging with Voxel-Based Morphometry The imaging we are considering here, scientific imaging with voxelbased morphometry, is not radiology; it is scientific measurement involving taking a series of images which constitute massive data sets. Corrections are made for various artifacts that might occur at the time the images are being recorded (Fig. 1). To obtain information about subject groups, images are taken from a population with brains of different sizes and shapes and all of the image data are put into a common stereotactic space which can be referenced with coordinates. The results need to be statistically robust. Thresholds for inference must be set appropriately, because there are many millions of data points in the images collected in a typical experiment; a recent advance in statistical theory
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Imaging Human Brain Function
Fig. 1. Overview
from the early 1990s permits us to do that. In addition, investigators often attempt to relate the data to hypotheses or models to derive meaningful results, which are usually presented as images of a standard brain on which statistically significant changes or correlations are identified. Thus, with functional neuroimaging we examine brain states and modify them experimentally under different conditions or contexts and then try to draw functional inferences about how the brain is organized and how it responds to manipulation or injury. The functional image data sets are matrices of voxel-elements (voxels). One can carry out exactly the same types of analysis on structural images. This is a method known as voxel-based morphometry (VBM). Essentially one collects appropriate images, puts them into standard space and then segments out those parts of the image that are of interest, e.g., gray matter, white matter, CSF, etc. (Fig. 2). The composite (or average) structural image can be that of an individual or, more interestingly for us, that of a group. So, for example, one can create a structural image of 60-year-old males, or of people who were diagnosed with Alzheimer’s disease 5 years ago. One could check how that image changes every year by constructing a parametric image of the structural changes over 5 years. One has
Richard Frackowiak
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Fig. 2. Voxel-based morphometry
the opportunity to bring structural images together to answer specific questions about brain anatomy in a wide variety of conditions and states. To show how these methods work, here is a very simple analysis of some quantitative data (Fig. 3). The gray matter volume of 465 individuals depends on age (the males are shown in blue and females in red). It is clear that males’ gray matter density declines faster than females’, a fact you may all realize! The only thing that should be highlighted is the fact that we start off at a different level – so much for the equality of the sexes. As far as white matter goes there is no differential change with age; with age there is, however, an increase of cerebrospinal fluid volume that compensates for progressive cortical atrophy.
7.2 Genes and Behavior: Turner’s Syndrome Thus, using these powerful tools, let us go straight into an analysis of the link between genes, behavior, and cognition. The particular model I will be using for illustration is Turner’s syndrome (TS), which has the
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Imaging Human Brain Function
Fig. 3. Changes in volume of tissue. VBM, voxel-based morphometry; red, females; blue, males
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45X0 karyotype with one X missing in the female. TS gives interesting insights into possible links between genes, behavior, and cognition. The IQ of TS patients is on average not far below normal, but there are various minor cognitive abnormalities. Verbal skills are normal but there are mildly impaired visual–spatial and visual–perceptual abilities; motor function may be mildly impaired, and subjects show behavioral differences and social adjustment problems, some resembling autistic features. All of these observations indicate that the missing X in some way influences brain development. We took this model disease and asked the following question: How does the X chromosome influence brain development? Half of TS subjects lose the paternal X chromosome and the other half the maternal one, giving an opportunity to contrast the influence of each. There is also a much less well-known variant of TS in which there is only partial deletion of the second X – partial TS or XXp-. Each of these individuals has a break in the short arm of the X chromosome of different length (Fig. 4). This feature gave an opportunity to map individual brain structure according to the length of deletion on the X chromosome. Thus, a second question arises: Is there any impact of
Fig. 4. Turner’s syndrome
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Imaging Human Brain Function
increasing deletion length on the structure of the human brain? – a deletion mapping strategy. We constructed the experiment in the following way: We scanned normal females (XX), TS subjects (XO), and a number of XXp- subjects. We arranged the data of the XXp- subjects according to deletion length, and we divided the maternally and paternally divided XOs. We accounted for the effects of age and a number of other factors that could interfere with the results (Fig. 5). We looked at the differences between XX and XO subjects first. We found that there is a very specific change in brain structure attributable to the chromosomal difference localized to the amygdala, orbitofrontal cortex, and cerebellum (Fig. 6). The first conclusion is that the genetic abnormality results in a very specific change in brain structure, suggesting that there are genes on the
Fig. 5. Design matrix
Richard Frackowiak
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Fig. 6. VBM-detected changes in the amygdala and orbitofrontal cortex; 45 X0 vs. 46 XX
absent X chromosome responsible for the normal development of these particular parts of the brain. To narrow this association down a little further we examined the amygdala as a function of deletion length in XXp- subjects. In Figure 7, it is clear that the amygdala size suddenly increases between patient 8 and patient 9. This highly significant change can be related to the difference between the chromosomes of patients 8 and 9, suggesting dependence on this critical region that perhaps contains a gene or genes that determine the development of the three involved brain structures (Fig. 8). Using the human genome, one can look at markers and find candidate genes in the critical region, and indeed there are 18 recognized genes here, one of which codes for MAO-B. A group of scientists is currently looking at mouse models, knocking genes in and out of this particular critical region, looking at the amygdala in order to see whether one can find which gene or combination of genes participate in the development of the amygdala. The amygdala is associated with the emotion of fear. The discovery of structural changes in TS led us to postulate that there maybe something wrong with fear expression or perception in TS subjects. Indeed when we carried out cognitive tests of the recognition of fearful faces with this population, we found a huge deviation from the normal population mean (Fig. 9). There is therefore a major categorical behavioral change that maps onto
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Imaging Human Brain Function
Fig. 7. Sizes of cerebral regions: amygdala
this particular area of the genome, bringing us full circle from genome to structure to behavior, and we can add to the cognitive behavioral phenotype of the 45X0 karyotype face and emotion recognition difficulties which were suspected from an analysis of brain structure. I think this is a proof of principle experiment. It opens up an enormous perspective
Fig. 8. Chromosomes of subjects 8 and 9
Richard Frackowiak
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Fig. 9. Recognition of fearful faces
that I personally hope to explore over the next 5 years. I hope that I have given you an adequate indication of the way we would like to proceed with VBM and mapping of genomic abnormalities to behavioral difficulties.
7.3 A Study of Huntington’s Disease Patients There are also ways in which the association between genetics and structural change in the brain could help patients. Here is another proof of principle study done to demonstrate this idea. Huntington’s disease is a dominant disease that is relatively common – it affects one in 100,000 of the adult population. It is associated with a mutation consisting of polyglutamine repeats, CAG-repeats, on the huntingtin gene on chromosome 4. The critical number of repeats
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Imaging Human Brain Function
leading to manifestations of disease is 36; the greater the number of repeats, the earlier the disease becomes manifest. In Tasmania there are many patients with Huntington’s disease, and they are followed up by a specialized clinic (with which I collaborate). The clinic scanned unaffected family members with structural MRI who had not developed the disease, and assessed them with sensitive clinical tests and genotyped them (Fig. 10). I present some of the data from this group of 36 subjects who do not have Huntington’s disease, but who do come from Huntington’s families. We set out to answer the following question: Are there any structural changes, focal or generalized, within the brains of this population that correlate with a post hoc analysis of the number of polyglutamine repeats in the huntingtin gene? In fact there are characteristic focal decreases in the size of a number of structures in this population of asymptomatic subjects that correlate with the number of CAG-repeats (caudate nucleus, thalamus, tectal plate, and brain stem). This atrophy precedes symptoms in those subjects who, if they live long enough, will manifest the disease (Fig. 11). Anyone who deals with neurodegenerative disorders knows that there is an enormous safety factor in the brain. It must be noted that a 70% destruction of substantia nigra neurons is required for a person to develop the first symptoms of Parkinson’s disease. Therefore, if you are trying to prevent a neurodegenerative disorder, it is quite illogical to start tackling the disease after it has appeared. There is an urgent need for some disease marker to indicate when there is 10%, 15%, or 20% degeneration, before the disease manifests. Again, I believe that scanning techniques are going to provide us with good intermediate and presymptomatic markers of disease and are going to permit early diagnosis to facilitate preventive treatment and to monitor it. We need to create prototypical images that characterize early stages of degeneration, so that an individual’s scan can be compared with them to decide at what stage the patient is in the disease process. That is a very difficult task that I hope to devote myself to in the coming years. Interestingly, the degree of atrophy in these areas of the brain is better correlated to the genotype than to clinical scoring. Many of these patients are asymptomatic and even the family members don’t realize that they have the disease, but there are already subtle changes, such
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Fig. 10a–m. Huntington’s disease (HD) gene status–correlation with gray matter volume
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Fig. 11a–c. Huntington’s disease risk. Gene and clinical status: effects on gray matter volume
as eye movement disorders, little ticks of the eyebrows and so on, that the practiced neurologist can score. When we correlated brain structure regionally with clinical scores we found a significant effect, but less of the variance in the size of the caudate nucleus was explained with this factor than with the genotypic characterization. So again, this information strongly suggests that going for anatomical changes before the presence of symptoms is a very profitable way to go. The other interesting neurobiological feature, which perhaps was not well appreciated previously, is that the atrophy in these people from Huntington’s disease families – who are asymptomatic – is very asymmetrical. Although this finding may be a surprise, one should remember Parkinson’s disease and how this disease develops unilaterally with preponderant unilateral atrophy in the early stages. I think this tells us something of neurobiological importance.
8 From Understanding Molecular Pathways to Innovative Drugs
Björn Wallmark
We have recently witnessed an enormous expansion of our understanding of molecular pathways, molecular biology, and diseases. How to transform this knowledge into innovative drugs is the task of biomedical research and the pharmaceutical industry. Paradoxically, despite continually increasing research and development (R&D) expenditures, the number of new drugs has generally declined. Here, I will share with you some aspects of how we at Schering, in drug discovery, are meeting this challenge. There are several criteria for innovations in drug discovery: the drug’s efficacy in treating a disease, its side-effect profile, ease of use, and the cost/benefit ratio of the new treatment option (Fig. 1).
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From Understanding Molecular Pathways to Innovative Drugs
Fig. 1. Innovation in drug discovery
Fig. 2. The integrated approach to drug discovery is disease-driven
An integrated approach to drug discovery is not driven by a drug’s target or by the available technology (Fig. 2). Rather, it is disease-driven, beginning with the indication (medical need) for drug development, followed by the development of a treatment paradigm (which is the strategy of how to approach the disease), ultimately leading to new targets. As an example, myocardial infarction should be discussed here. The disease “myocardial infarction” can have many causes and thus various treatment paradigms, such as lowering blood pressure, lowering cholesterol, preventing thrombosis, or even treating underlying diseases
Björn Wallmark
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Fig. 3. Strategies to develop new therapies
such as diabetes (Fig. 3). Each of these treatment paradigms can have multiple molecular targets that can ultimately lead to new classes of drugs to affect these specific targets. One message that can be derived from this example is that the diseases of modern society are multifactorial. This relates not only to myocardial infarction but also to cancer, osteoporosis, diabetes, and others. Hence, several treatment modalities or combinations thereof will be required for effective treatment. Furthermore, strategies must be developed by pharmacogenomic approaches to more efficiently identify patients who will respond to a particular treatment of these complex diseases. This will reduce the cost of development and will avoid unnecessary exposure of non-responding patients. With this as a brief introduction to some overall guiding principles for drug discovery and development, I will now be more “Schering-specific” by sharing with you some examples of how we approach drug discovery. This will certainly reflect the visionary R&D leadership of Prof. Stock, who has shaped the foundation for the discovery of innovative drugs and their subsequent development. I will now outline some examples of the different areas in which we are involved today. Clearly, Prof. Stock recognized the well-established leading position of Schering in the fields of gynecology and andrology. Equally important
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From Understanding Molecular Pathways to Innovative Drugs
was his awareness of the financial importance of this field to Schering and his very clear vision that future discoveries in gynecology and andrology will depend on our understanding of the molecular mechanisms underlying reproductive biology and gender-specific diseases. I remember well one of my very first days in Schering, when Prof. Stock discussed – or rather instructed me – “Wallmark, wissen Sie, unsere Zunkunft liegt in einem tieferen Verständnis für die molekularen Mechanismen der Nuklearrezeptoren”. In “Stock speak” this meant that I was not paying enough attention to this area. Today we see the fruits of his vision. A prominent example is our pioneering project “Estrogen Beta Receptor Agonist”, where we have identified a molecule with a much higher affinity for the second estrogen receptor (estrogen receptor beta) than for the classical one (now called estrogen receptor alpha). In fact, we have today a very promising research portfolio of projects for gynecology and andrology. We evaluated a number of targets to develop new contraceptive choices for women and men (Fig. 4). Examples of this innovative research are Yasmin (a novel oral contraceptive) and Angeliq, both of which are based on the unique molecule drospirenone. Both products play an important role in women’s healthcare and underline our commitment to this field. Coming to Schering as a physiologist, one clear goal of Prof. Stock was to establish the area of therapeutics, again with the notion that
Fig. 4. Possible targets for contraception
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what we do here must be based on understanding pathophysiology and cellular mechanisms. For example, in oncology, we have gained a deep understanding of the complex nature of this disease. Indeed, it is not a single disease, but rather a multifactorial assortment of causes that give us multiple opportunities for targeting biological mechanisms that cause the disease so often simply referred to as “cancer”. In the field of specialized therapeutics, Betaferon is one of our “mega products”. Under Prof. Stock’s leadership, the Schering R&D portfolio for multiple sclerosis has matured significantly. Furthermore, he has led the discovery and development of Ilomedin/Iloprost – a clear advance in the treatment of pulmonary hypertension. In addition, Schering holds the leading positions in imaging agents used in computer tomography and magnetic resonance imaging. In modern medical treatment, imaging diagnostics have come to play an ever more important role. Again, starting with our basic understanding of the molecular mechanisms of diseases, Schering is uniquely able to develop such innovative products. We possess not only knowledge of the imaging modalities but also insight to convert these capabilities into therapies (Fig. 5). This too is a result of Prof. Stock’s clear vision that the future of imaging will be based on our understanding of the molecular nature of disease. This has led to the establishment of a project portfolio focused on organ-specific agents and also encompasses the concept of molecular-
THERA
PEUTIC
S
Functional understanding of
Validation
Individual
EFFICACY
normal and
of surrogate
adaptation
pathological
parameters
of treatment
SAFETY MONITORING
molecular events
DIAGNO
STICS
Fig. 5. The DG&RP Research Portfolio
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From Understanding Molecular Pathways to Innovative Drugs
Fig. 6. Elements to maintain and develop innovation in drug discovery at Schering
targeted agents. Hence, the entry of Schering into molecular imaging modalities. The title of my presentation is “From Understanding Molecular Pathways to Innovative Drugs”, and I have tried to illustrate our key research areas and to show how – under the visionary leadership of Prof. Stock – this has resulted in real products in the market and innovative project portfolios in R&D. But this involves more than “only science”. The creation of new drugs requires true interdisciplinary teamwork which we at Schering carry out on three continents (Fig. 6). Each site seeks to attract the best talents in the world and to network with local academic and business partners. This is supported by informatics processes to facilitate knowledge transfer. To make it work, we also have developed effective management practices. Our drug projects link the different disciplines to reach our common goals. Furthermore, collaborations are needed not only within the company itself; equally important is the networking outside of the company environment. Indeed, at Schering we have established a strategic network of collaborators. Figure 7 describes Schering’s partnering to support both disease indications and the drug discovery processes. In Fig. 8 an example is given of effective partnering, namely for target identification and validation. This highlights how with flexibility we can build the drug discovery process effectively by partnering with small biotech companies specialized in certain technologies. The concept of such external networks as
Björn Wallmark
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Fig. 7. Strategic partnering to support both the indications and drug discovery process
Fig. 8. Effective partnering: target identification and validation
a prerequisite for new project generation and for drug discovery was pioneered long ago by Prof. Stock, and today Schering profits from the multitude of networks that we have on several levels. In one of my first discussions with Prof. Stock it was very clear that we needed to incor-
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From Understanding Molecular Pathways to Innovative Drugs
porate not only the research but also the “search” component in order to reach out for new ideas. We have all witnessed an explosive development in biomolecular research. This has benefited not only our understanding of biology and medicine, but also the technologies that enable modern drug discovery. However, without strategic selection of drug discovery technologies via an ordered process, investments in very costly technologies would not be defendable. In addition, very important in industry – as well as in academia – is the effectiveness of the development of a new drug, that is, the combination of speed and quality. Figure 9 compares the traditional approach to effectiveness and Schering’s approach to enhancing the quality and reducing the time for drug discovery. As you see, we are doing well, but we always need to compare – and benchmark – our investments in drug discovery. This figure highlights how investments in skills and technologies contribute to reduced timelines. The race against patent timelines makes the pharmaceutical industry so unique – every month counts. These modern technologies now enable the discovery of novel drug targets that would never have been possible without advances in DNA/RNA technology, robotics, and sophisticated computerized data management support.
Fig. 9. Enhancing the quality and reducing the time for drug discovery
Björn Wallmark
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Fig. 10. Technology platforms support drug discovery
Likewise, in medical chemistry we have observed a revolution in terms of small-molecule drug discovery; this relates to the way we synthesize small molecules in a combinatorial fashion and evaluate their respective effects in high-throughput screening processes (Fig. 10). In modern drug discovery, small molecules are not the only technology to be used; equally important is the need for novel approaches using, for example, antibodies and gene therapy. Clearly, the requirements for supporting drug discovery have changed fundamentally. As a consequence, the organizational structure and the capabilities within the research organization have also changed significantly. Instead of having traditional “Institutes of Cell and Molecular Biology” or “Physical Chemistry”, which merely mirrored structures in the universities at that time, Prof. Stock worked tirelessly to enable the recruitment of top new scientists with the background necessary to take up the new demands that drug discovery presents. Instead of these traditional institutional names, we find today department titles such as “Genomics and Bioinformatics”, “Automated Chemistry”, “Computational Chemistry and Drug Design”, and “Assay Development and High-Throughput Screening”. With these brief remarks, I hope to have given you a deeper appreciation of Prof. Stock’s visionary leadership. He not only identified
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From Understanding Molecular Pathways to Innovative Drugs
the challenges for the future but also enabled and supported the often cumbersome transition from the old to the new organization at Schering. It has indeed been a great honor for me to speak to you on the occasion of Prof. Stock’s 60th birthday, celebrating his contributions to Schering, the pharmaceutical industry, and to medicine.
III Gemachte Meinung Wie Wissenschaft in der Öffentlichkeit und den Medien wahrgenommen wird
III Manipulated Opinion How Science Is Perceived by the Public and the Media
9 Einführung
Manfred Erhardt
In Meinugsumfragen schneiden Wissenschaft und Wissenschaftler gar nicht so schlecht ab. – In der öffentlichen Gunst liegt die Berufsgruppe der Professoren nach Ärzten, Rechtsanwälten und Geistlichen auf Rang 4, die Journalisten auf Platz 13, nur zwei Plätze vor den Politikern. – Von Allensbach 1999 befragt, erklären 57% der Bevölkerung, man habe von den deutschen Professoren und Wissenschaftlern eine gute Meinung. Nur 8% haben keine gute Meinung. – Gefragt, worauf man als Deutscher stolz sein könne, werden schon an 4. Stelle und mit einer Zustimmungsquote von 67% ,,Wissenschaft und Forschung“ genannt.
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Einführung
– Heuchelei wird nur von 7% der Bevölkerung mit Professoren in Verbindung gebracht. Keine Berufsgruppe gilt als ehrlicher, während über Politiker 83%, Journalisten 41% und selbst Geistliche 37% sagen, dass ,,besonders viel geheuchelt wird“. Aus alledem schließt Frau Professor Noelle-Neumann, ,,dass sich Wissenschaft und Wissenschaftler in Deutschland in einem Meinungsklima befinden, um das andere sie nur beneiden können.“ Ist also die Bevölkerung in Deutschland besonders wissenschaftsfreundlich gesonnen? – Warum aber rangieren dann beim Bürger, aber auch in den Medien und der Politik die Aufgabenbereiche Arbeit, Gesundheit, Soziales, Innere Sicherheit, Umwelt und Kultur allesamt vor Wissenschaft? – Warum dienen den Parteien die Vokabeln ,,Innovation“ und ,,EliteUniversität“ lediglich als Stimmungsaufheller, ohne dass die Rahmenbedingungen und Finanzierungsvoraussetzungen so verändert werden, dass sich Innovationen und Spitzen-Universitäten tatsächlich entwickeln können. – Taugen Bildung, Forschung und Wissenschaft als Vokabeln mit Verheißungscharakter nur für Sonntagsreden und Parteitage, aber nicht für Wahlerfolge? Vergleicht man die steigenden Konsumausgaben der öffentlichen Hände mit den sinkenden Zukunftsinvestitionen, dann macht es Volk und Politik offenbar weniger Sorgen, das Saatgut zu verzehren als die Zukunft zu verlieren. Zwar sollen die FuE-Aufwendungen am BIP erklärtermaßen von 2,5 auf 3% erhöht werden, in den mittelfristigen Finanzplanungen ist aber keine Vorsorge getroffen, das Ziel bis 2010 tatsächlich zu erreichen. Warum genießen Wissenschaft und Wissenschaftler hohe Reputation und Wertschätzung, ohne dass sich dies in der politischen Prioritätensetzung und im Staatsbudget niederschlägt? Liegt es vielleicht daran, dass Bevölkerung, Medien und Politik gegenüber Wissenschaft eine ausgeprägt ambivalente Einstellung haben, dass der große Respekt mit großer Distanz gepaart ist? ,,Vertrauen reduziert die Komplexität“, sagt Niklas Luhmann. Ist das Vertrauen in die förderlichen Wirkungen von Wissenschaft geschwunden? Verbinden sich mit der Wissenschaft eher Zukunftsängste als Fortschrittshoffnungen?
Manfred Erhardt
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Überfordert die durch wissenschaftliche Forschung ausgelöste Innovationsdynamik unsere Gesellschaft? Warum finden technologiekritische Einstellungen und antiaufklärerische Ressentiments so viel Zustimmung? Einstellungen, wie sie in der Bevölkerung vorherrschen, beeinflussen auch die Medien und die Politik. ,,Regierungen sind Segel, das Volk ist der Wind, der Staat das Schiff, die Zeit die See“, schrieb der Schriftsteller Ludwig Börne. Was könnte und sollte getan werden, um mehr Verstehen und mehr Verständnis für Wissenschaft in die Gesellschaft hineinzutragen? Damit bin ich beim Thema von Frau Dr. Köcher angekommen: Ist wissenschaftliche Erkenntnis in der modernen Mediengesellschaft kommunizierbar? Frau Dr. Köcher ist Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allenbach. Sie hat Volkswirtschaftslehre, Publizistik und Soziologie studiert und über ,,Berufsethik von Journalisten“ promoviert. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört die Frage der Akzeptanz neuer Technologien.
10 Sind wissenschaftliche Erkenntnisse in der modernen Mediengesellschaft kommunizierbar?
Renate Köcher
Es liegt nahe, die Frage nach der Kommunizierbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnis spontan zu beantworten mit: Wenn nicht heute, in diesem Umfeld, wann dann? Wirtschaft, Politik und der breiten Bevölkerung steht heute ein Informationsangebot in einer Tiefe und Breite zur Verfügung wie nie zuvor. Auch die Voraussetzungen für den direkten Zugang zu Informationsquellen sind im Zeitalter der modernen Medien so gut wie nie zuvor. Die Bevölkerung wird fast täglich mit Wissenschaftsthemen konfrontiert, seien es spektakuläre Fortschritte der Wissenschaft, wie beispielsweise Erkenntnisse über die Gegebenheiten auf dem Mars oder die
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Wissenschaftliche Erkenntnisse in der Mediengesellschaft
Entschlüsselung des Genoms, seien es noch ungelöste Herausforderungen an die Wissenschaft, wie sie beispielsweise die Bekämpfung vieler Alterskrankheiten bilden. Die Bevölkerung ist überzeugt, dass die nächsten Jahre umwälzende technische und medizinische Entwicklungen bringen werden. Die überwältigende Mehrheit erwartet insbesondere bahnbrechende Fortschritte bei der Bekämpfung schwerer Krankheiten, teilweise die Ausrottung von Krankheiten, die heute noch eine Quelle von Ängsten sind. Vier Fünftel sehen die Fortschritte der Medizin überwiegend positiv. In der alternden Gesellschaft entwickelt die Vorstellung eines Alters, das nicht oder zumindest weniger von physischen Beeinträchtigungen und Krankheiten überschattet ist, zwangsläufig eine große Anziehungskraft. Wenn die Bevölkerung gebeten wird, ihre Hoffnungsträger für die Zukunft zu benennen, die Gruppen und Institutionen, denen sie am ehesten zutraut, die Gesellschaft voranzubringen, so nennt sie an erster Stelle mit breiter Mehrheit Wissenschaftler. Der Anteil der Bevölkerung, der Wissenschaftlern überwiegend misstrauisch und kritisch gegenübersteht, macht gerade einmal 8% aus. Es wäre daher zu einfach und nicht zutreffend, das gesellschaftliche Klima pauschal als wissenschafts- und innovationsfeindlich zu beschreiben. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung hofft beispielsweise auf rasche Fortschritte der Forschung bei der Bekämpfung von Krankheiten, gerade auch mit Hilfe der Gentechnologie: Vier Fünftel der Bevölkerung befürworten eine Forcierung der Genforschung zur Heilung schwerer Krankheiten, knapp zwei Drittel unterstützen auch deren präventive Bekämpfung über die Beeinflussung von Erbanlagen. Ebenso sprechen sich zwei Drittel der Bevölkerung dafür aus, mit Hilfe der Gentechnologie Pflanzen und Getreidesorten zu entwickeln, die dazu beitragen können, die Lebensmittelunterversorgung in der Dritten Welt zu mildern oder gar zu beseitigen. Dasselbe Land, in dem diese Einstellungen gemessen werden, hat jedoch kostbare Jahre bei dem Vorantreiben dieses wichtigen Forschungsgebiets verloren und führt durch Diskussionen über Beschränkungen und Kontrollen der Forschung zu einer anhaltenden Verunsicherung, wieweit Deutschland ein guter Standort für solche Forschungsarbeiten ist. Die apokalyptischen Visionen, die in der öffentlichen Diskussion mit Gentechnologie assoziiert wurden, stehen heute nicht mehr im Vordergrund.
Renate Köcher
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Doch der Boden, auf dem Emotionen und Ängste gedeihen können, existiert nach wie vor; die überwältigende Mehrheit ist überzeugt, dass die Gentechnologie ein Forschungsgebiet ist, dessen Risiken die Menschen nie beherrschen werden. Drei Viertel der Bevölkerung plädieren aus diesem Grund dafür, der Forschung Grenzen zu setzen. Aber hier beginnen natürlich die Probleme: Wieweit ist es möglich, dass sich Wissenschaftler, Politiker und Bevölkerung über Risiken und Begrenzungen der Forschung rational verständigen? Erschwerend kommt hinzu, dass in der öffentlichen Diskussion nicht sauber zwischen Grenzen für den Erkenntnisgewinn und Grenzen für die Anwendung von Erkenntnissen getrennt wird. Die Bewertung von Risiken ist neben der Überbrückung sehr unterschiedlicher Informationsniveaus eines der Kernprobleme des Diskurses zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Risiko ist für die Wissenschaft eine Rechengröße, kühle Wahrscheinlichkeitsrechnung, für ein Laienpublikum Synonym für Gefahr, für Medien die Chance einer Sensation. Die Ungewissheit, die mit jedem Neuland verbunden ist und für Forscher mit den Reiz ihrer Tätigkeit ausmacht, liegt quer zu dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung, die mögliche Risiken der Anwendung schon im Stadium der Erkenntnis unterbinden möchte. Die größten Schwierigkeiten für den öffentlichen Diskurs über Wissenschaft resultieren meines Erachtens heute nicht aus einer festgefügt wissenschaftsfeindlichen Haltung in Medien und Bevölkerung, sondern aus einer wachsenden Entfremdung zwischen den Wissenschaftswelten und den Arbeitsweisen und Denkmustern in Medien und Bevölkerung. Analysiert man die Entwicklung von Medien und Gesellschaft, so kennzeichnet beide eine zunehmende Spontaneität und Oberflächlichkeit, sinkende Anforderungen an Exaktheit und Disziplin, eine zunehmende Tendenz zum impressionistisch-fragmentarischen Denken und die Absorption durch Themen und Sensationen, die häufig kaum Erkenntnisgewinn versprechen. Ein Merkmal der modernen Mediengesellschaft ist die Aneinanderreihung von Aufregungszyklen, die sich außerordentlich rasch entfalten, Medien und Bevölkerung über kurze Frist vollständig absorbieren und dann wieder in sich zusammenfallen. Ein Beispiel ist die kurzfristige heftige öffentliche Erregung über die Rinderseuche BSE am Jahresbeginn 2001: Drei Viertel der Bevölkerung veränderten vorübergehend ihre
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Wissenschaftliche Erkenntnisse in der Mediengesellschaft
Ernährungsgewohnheiten – ein Indiz für eine enorme Erregung und Verunsicherung in der Bevölkerung. Diese enorme Verunsicherung entstand jedoch zu einem Zeitpunkt, als BSE schon lange Zeit ein Thema war und in Großbritannien über 100.000 infizierte Rinder registriert waren. Der erste deutsche Fall führte dann zu einem ausgesprochen heftigen Erregungszyklus. Die Folge war unter anderem ein deutlich gestiegenes Interesse an Fragen der Nahrungsmittelproduktion und Nahrungsmittelqualität. Das 114. registrierte Rind war dann allerdings nur noch eine Meldung unter ,,Vermischtes“. Die Ernährungsgewohnheiten entsprachen zu diesem Zeitpunkt wieder weitgehend den ursprünglichen; der Aspekt Nahrungsmittelqualität trat wieder gegenüber einer ausgeprägten Preisorientierung bei Lebensmittelkäufen zurück. Generell gibt es bisher wenig Indizien dafür, dass Aufregungszyklen zu dauerhaften Lerneffekten und Änderungen des Verhaltens führen. Dazu sind diese Zyklen meist zu kurzlebig und werden binnen weniger Wochen, oft weniger Tage bereits durch andere Themen überdeckt. Nur stichwortartig einige Beispiele aus den letzten zwei, drei Jahren: BSE, PISA, spektakuläre Terroranschläge, Nitrophen, Amoklauf von Erfurt, Geiselnahme von Moskau, Jahrhundertflut, Irak-Krise, SARS, Vogelgrippe. Bei solchen Aufregungszyklen kommen in der Regel auch Wissenschaftler in den Medien zu Wort. Die Möglichkeiten, Aufregungszyklen für die Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu nutzen, sind jedoch eng begrenzt. Die Kühle der Wissenschaft steht meist quer zur Interessenlage der Medien, insbesondere wenn der wissenschaftliche Erkenntnisstand dazu angetan ist, die Aufregung zu begrenzen und die Risiken zu relativieren. So war im Zug der Berichterstattung über die Vogelgrippe in Asien zu beobachten, dass die eher beruhigenden Aussagen der Wissenschaft in den Medien in hohem Maße durch spekulative Aussagen ergänzt oder teilweise auch ersetzt wurden. Die Verläufe der Aufregungszyklen in der Bevölkerung hängen zwangsläufig in hohem Maße mit den Themenkarrieren und Aufregungszyklen in den Medien zusammen, und Langzeitanalysen der Medienberichterstattung belegen, dass die Aufmerksamkeit der Medien für Themen und Risiken nur teilweise synchron zur objektiven Entwicklung von Risiken verläuft. So kommen Inhaltsanalysen, die der Mainzer Kommunikationsforscher Hans Mathias Kepplinger zu diesen Fragen
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durchgeführt hat, zu dem Schluss, dass die Berichterstattung über Technikunfälle und Schäden teilweise asymmetrisch verläuft, so dass die Verringerung eines Risikos oder Schadens von einer Ausweitung der Schadensberichterstattung begleitet wird, oder umgekehrt, dass objektiv große Schäden und Risiken lange Zeit im Schatten der Aufmerksamkeit der Medien und damit natürlich auch der Öffentlichkeit liegen (Kepplinger 1989). Dies lässt sich an vielen Beispielen illustrieren, ob an den Themen Waldsterben, Aids, Datenschutz oder BSE. Die Analyse der Entwicklung solcher Themenkarrieren, was sie auslöst und in ihrem Verlauf beeinflusst, ist eine der spannendsten Fragen der gesellschaftlichen Information und Diskussion überhaupt. Die Wissenschaft steht mitten in solchen Aufregungszyklen oft auf verlorenem Posten. Ihre Tendenz zur nüchternen Analyse steht in solchen Momenten entgegen der öffentlichen Erregung, ihre Fakten verschwinden in der Hitze eines Aufregungszyklus wie ein Bauwerk in einem außer Kontrolle geratenen Feuer. Wenn ein Aufregungszyklus ausläuft, entsteht ein neues Problem, nämlich die Medien als Plattform für ein Thema überhaupt noch zu gewinnen. So ist Aids nach wie vor ein Problem, aber schon lange kein Thema mehr. Gewalt an den Schulen existiert als Problem fort, ist aber, nachdem die Aufregung über den Amoklauf von Erfurt abgeflaut war, nur noch ein Randthema der öffentlichen Diskussion. Die Qualität des Bildungssystems hat sich seit der kurzen hitzigen Diskussion über die Ergebnisse der PISA-Studie nicht nennenswert verbessert, das öffentliche Interesse an diesem Thema jedoch wieder dramatisch verringert. Doch auch abseits der Gesetzmäßigkeiten kurzlebiger Aufregungszyklen gibt es zahlreiche Erschwernisse für eine nüchterne Vermittlung von Fakten, Forschungsfragen und -befunden. Es gibt ausgeprägte und teilweise wachsende Verständigungsprobleme zwischen Experten und Laien. Die Emotionalität vieler Debatten und die bewusste Verteidigung der Berechtigung emotionaler Reaktionen auf kühl-nüchterne Faktenargumentationen sind für viele Experten oft nicht nachvollziehbar. Mitte der 80er-Jahre wurde im Allensbacher Institut ein Test entwickelt, um die Emotionalität von gesellschaftlichen Kontroversen messen zu können. Dabei wurde eine Expertendiskussion simuliert, bei der Fachexperten auf dem Podium Statistiken und Sachargumente austauschen. Plötzlich springt ein Zuhörer auf und protestiert: ,,Was interessie-
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ren mich Zahlen und Statistiken in diesem Zusammenhang? Wie kann man überhaupt so kalt über ein so wichtiges Thema reden!“. Ob Kernenergie oder Gentechnologie, ob Umweltschutz oder Verteidigungspolitik das Thema der Diskussion sind – durchgängig ist die Mehrheit der Bevölkerung auf der Seite des Zwischenrufers, auf der Seite des emotionalen Protestes gegen die nüchterne, faktenorientierte Argumentation. International vergleichende Untersuchungen belegen, dass wir in Deutschland eine besondere Begabung haben, Diskussionen emotional und ideologisch aufzuladen, aus Sachdiskussionen Weltanschauungskriege zu machen. Kaum ein Land hat so erbittert über die Kernenergie diskutiert wie die Bundesrepublik, kaum ein anderes Land die Gentechnologie in den 80er- und frühen 90er-Jahren derartig stigmatisiert, wie das in Deutschland der Fall war. Dovifat, der Nestor der deutschen Zeitungswissenschaft, hat bereits vor vielen Jahrzehnten auf die ,,Freude der Deutschen am Meinungskampf“ hingewiesen, die die öffentliche Diskussion wie auch die Berichterstattung der Medien dauerhaft präge (Dovifat 1927). In Bezug auf die Medien wies Max Weber schon 1919 darauf hin, Journalismus in Deutschland sei immer auch Spielart einer weltanschaulichen, einer politischen Karriere und nicht bloßes Nachrichtenhandwerk wie im angelsächsischen Raum (Weber 1919). In diesem Zusammenhang ist ein Merkmal der Organisation von Redaktionen außerordentlich wichtig: die strikte Trennung nach Ressorts. Es gibt in Deutschland durchaus vorzügliche Wissenschaftsredaktionen. Inhaltsanalysen belegen jedoch, dass Wissenschaftsthemen in dem Moment, in dem sie kontrovers diskutiert werden, nicht mehr primär von den Wissenschaftsressorts, sondern vorrangig von den politischen Ressorts behandelt werden. Dies führt zu einer völlig anderen Behandlung von Themen, als es die Wissenschaftsredakteure tun: Die Berichterstattung ist spekulativer, Fakten und die Aufklärung über Zusammenhänge treten teilweise gegenüber subjektiven Wertungen zurück, die Qualität der befragten Experten ist wesentlich heterogener als in den Wissenschaftsteilen. Dazu kommt, dass die politischen Redaktionen nicht nur weniger Voraussetzungen für die Behandlung von Wissenschaftsthemen mitbringen, sondern auch in der Regel unter einem wesentlich größeren Zeitdruck als Wissenschaftsredaktionen operieren. Generell nehmen die Konkurrenz und der Zeitdruck in den Medien zu. In den Medien gibt es einige Entwicklungen, die Sorge bereiten müssen
Renate Köcher
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und nach der Chance der Gesellschaft fragen lassen, sich ein realistisches Bild von Problemen und Risiken zu machen. Die Zeit für gründliche Recherchen wird immer weniger zugestanden. Damit wächst die Gefahr von Fehleinschätzungen, wie auch die Gefahr einer Instrumentalisierung der Medien zur Erzeugung von Aufregungszyklen. Die Konkurrenzsituation und auch die Gesetzmäßigkeiten der elektronischen Medien in Verbindung mit der Entwicklung des Zeitklimas fördern Oberflächlichkeit, eine Berichterstattung nach der Maxime ,,Es kommt nicht so darauf an“. Diese Entwicklungen werden durch einen tiefgreifenden Umbruch des Informationsverhaltens und der Mediennutzung der Gesellschaft verstärkt – Entwicklungen, die dem Aufbau von Wissen und der Stärkung der Urteilskraft der Gesellschaft zuwiderlaufen. Dieser Umbruch wird in seinem ganzen Ausmaß bisher kaum gesehen, seine Konsequenzen zu wenig analysiert. Trendanalysen der Mediennutzung zeigen über das letzte Jahrzehnt eine Zunahme der Fernsehzeiten und einen steilen Anstieg der Internetnutzung, gleichzeitig jedoch einen Rückgang der regelmäßigen Zeitungslektüre, der in der jungen Generation in Form eines erdrutschartigen Verfalls abläuft. Vor zehn Jahren lasen noch knapp 50% der 20Jährigen regelmäßig eine Tageszeitung, heute gerade noch 31%. Kohortenanalysen belegen, dass das Leseverhalten der 20-Jährigen von hohem Prognosewert ist für die Einschätzung des Leseverhaltens der 30-Jährigen in zehn Jahren, der 40-Jährigen in 20 Jahren – das heißt: in dem erdrutschartigen Verfall der regelmäßigen Tageszeitungslektüre in der jungen Generation kündigt sich eine Abkehr von der regelmäßigen Nutzung von Tageszeitungen in der gesamten Bevölkerung an; zur Zeit lesen noch zwei Drittel der Bevölkerung regelmäßig eine Tageszeitung, jedoch mit sinkender Tendenz. Wir sind dabei, eine Entwicklung nachzuvollziehen, die in den USA schon vor ein bis zwei Jahrzehnten stattgefunden hat. Die Zunahme der Fernsehnutzung und die steile Zunahme der Internetnutzung sind keine wirkliche Kompensation der rückläufigen Tageszeitungsreichweiten. Untersuchungen belegen einen klaren Zusammenhang zwischen regelmäßiger Tageszeitungslektüre und Wissen und besonders dem Begreifen von Zusammenhängen. Jedes neue Medium verändert die Mediennutzung insgesamt – nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ. Zu beobachten sind vor allem zurzeit
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eine wachsende Ungeduld der Nutzer und eine flüchtigere Nutzung, eine schärfere Selektion, eine Präferenz für immer kürzere Darstellungen, abgebrochene Rezeptionsvorgänge, Zappen (bei TV, aber auch analoge Phänomene bei der Print-Nutzung), die zunehmende Simultannutzung von Medien und eine verstärkte Bildorientierung.
Es gibt mittlerweile Indizien dafür, dass eine teilweise Rückentwicklung zur Bildorientierung stattfindet, mit entsprechenden Auswirkungen auf unsere Art, zu denken und Informationen aufzunehmen: Die Informationsaufnahme und Verarbeitung erfolgt zunehmend ,,impressionistisch“ und fragmentarisch statt logisch-deduktiv, auch zunehmend bildhaft und beispielhaft statt auf einem höheren Abstraktionsniveau. Diese Entwicklungen begünstigen eine Emotionalisierung von Themen und erschweren Diskussionen, die einen gewissen Abstraktionsgrad erfordern. Dies wiederum erschwert die Verständigung zwischen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Experten und der Bevölkerung, die eigentlich für ein fundiertes Urteil immer wichtiger wird. Durch die wachsende Komplexität hängt die Urteilskraft zunehmend von einem intakten Transfer gesicherten Wissens in die Bevölkerung, in Politik und Wirtschaft ab. Die Möglichkeiten, dies zu leisten, sind jedoch auch in der so genannten Informationsgesellschaft beschränkt. Das Problem beginnt bereits bei der Identifikation von wirklichem Sachverstand. Wie erkennt die Bevölkerung den kenntnisreichen, den wirklichen Experten? Wie unterscheidet sie den soliden Experten von Scharlatanen? Ausbildung, akademische Grade, beruflicher Werdegang und Position sind hilfreiche, wenn auch nicht immer zuverlässige Indizien; schon diese Informationen erreichen die Bevölkerung jedoch nur hochselektiv. Im Regelfall werden ihr Personen schlicht mit Namen und dem durch Politik, Wirtschaft oder Medien vergebenen Prädikat ,,Experte für . . . “ vorgestellt. In der modernen Mediengesellschaft werden zunehmend Medienpräsenz und Prominenz zu einem Indiz für Expertentum, einem Indiz von allerdings zweifelhaftem Wert. Die Mechanismen der Berichterstattung wie der öffentlichen Diskussion sind häufig darauf ausgerichtet, Positionen mit ,,Expertenstatements“ zu unterfüttern, ohne die Qualität der zu Wort kommenden Experten und Pseudoexper-
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ten zu hinterfragen. Für die Bevölkerung wie auch für die Medien ist es schwer, sich ein Urteil zu bilden, wie fundiert die ihr vermittelten Stellungnahmen der Experten sind. Es ist für die Bevölkerung auch schwierig, weitgehenden Konsens und Außenseiterpositionen von Experten zu erkennen. Moderne Mediengesellschaften haben unter anderem die Eigenheit, dass sie die Möglichkeiten der Bevölkerung eher mindern als verbessern, sich ein Urteil über die Geschlossenheit der Experten eines Feldes, über Mehrheitsmeinungen und Minderheitenpositionen zu bilden. Bereits in den 80er-Jahren zeigten Untersuchungen von Stanley Rothman und Robert S. Lichter in den Vereinigten Staaten, dass Wissenschaftler, die bei kontroversen Themen Minderheitenpositionen vertraten, ihre Isolation in der Scientific Community häufig durch die bewusste Hinwendung zu Medien und Öffentlichkeit kompensierten. Dies galt für wissenschaftliche Kritiker der Kernenergie wie der Gentechnologie, die sich durch weit intensivere Kontakte zu Journalisten und eine überdurchschnittliche Bereitschaft, sich mit einem Laienpublikum zu verständigen, von der Mehrheit ihrer Fachkollegen unterschieden. Die große Mehrheit der wissenschaftlichen Experten, insbesondere der naturwissenschaftlichen und technischen Experten hat in der Regel nur eine geringe Neigung, über Medien und öffentliche Auftritte den direkten Kontakt zu einem Laienpublikum zu suchen. Untersuchungen in den Vereinigten Staaten wie in Deutschland zeigten übereinstimmend eine ausgeprägte In-Group-Orientierung der Experten, die Neigung, vor allem mit Gleichqualifizierten zu kommunizieren und die Vermittlung des eigenen Wissens an ein Laienpublikum für fast aussichtslos zu halten. Die Kommunikation von Fachthemen an ein Laienpublikum wird natürlich auch kaum trainiert, weder an den Universitäten noch in den meisten Unternehmen. Dabei liegt hier eine der größten Herausforderungen der modernen Gesellschaft. Da die Welt wie nie zuvor durch technischen und wissenschaftlichen Fortschritt geprägt und verändert wird und deswegen auch eine permanente Diskussion über Teilbereiche der wissenschaftlichen Forschung stattfindet, ist es eines der wichtigsten Anliegen, den Transfer gesicherten Wissens zu verbessern. Die Kommunikation mit einem Laienpublikum muss trainiert werden; das ist nicht nur eine Frage der Vereinfachung ohne Verfälschung, der Terminologie und des didakti-
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schen Geschicks, sondern setzt auch voraus, dass man sich intensiver mit den Adressaten dieser Informationen und Botschaften auseinandersetzt, wie mit den Übermittlern, den Medien.
Literatur Dovifat E (1927) Der amerikanische Journalismus. Berlin, S 214 Kepplinger HM (1989) Künstliche Horizonte. Folgen, Darstellung und Akzeptanz von Technik in der Bundesrepublik. Campus, Frankfurt New York Weber Max (1919) Politik als Beruf. München Leipzig, S 28
IV Wahrnehmung und Erkenntnis in der Kunst und Philosophie IV Perception and Understanding in Art and Philosophy
11 Einführung
Dagmar Schipanski
Die naturwissenschaftliche Seite von Wahrnehmung und Erkenntnis wurde bereits beleuchtet. Wir haben erstaunliche, neue Erkenntnisse über unser Gehirn, über unsere Veranlagung, über Emotionen, über Gefühle erfahren. Unsere Emotionen und unser Denken, auf das wir Menschen immer besonders stolz sind, weil wir meinen, dass es uns von den anderen Lebewesen gravierend unterscheidet, wurden auf Signalverarbeitung und einfache chemische Reaktionen zurückgeführt. Für manche von uns eine ernüchternde, eine erschreckende Tatsache. Doch uns wurde auch bewusst, wie komplex das Zusammenwirken der Grundbausteine ist, wie kompliziert die Abhängigkeiten und Bedingtheiten des Gesamtsystems sind. Und uns wurde deutlich, wie
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Einführung
lückenhaft unsere Erkenntnisse in diesen Forschungsgebieten noch sind. Hier erwarten wir in der Zukunft noch viele neue Erkenntnisse. Nun wollen wir uns Wahrnehmung und Erkenntnis in Kunst und Philosophie zuwenden. Allein diese Themenwahl spricht für Günter Stock, dem ich an dieser Stelle herzlich gratulieren möchte und ihm alles erdenklich Gute wünsche. Denn sein Interesse gilt eben nicht nur den wissenschaftlichen Zusammenhängen unserer Welt. Für ihn spielt immer die künstlerische Betrachtung, die künstlerische Widerspiegelung eine ebenso große Rolle. Wir haben in der Laudatio verschiedene Facetten der Persönlichkeit Günter Stocks kennen gelernt und einen Eindruck von seinen vielfältigen Interessen und Tätigkeiten erhalten. An dieser Mannigfaltigkeit wird schnell deutlich, dass die ordnende Kraft der Philosophie für ihn selbst notwendig und hilfreich ist. Somit ist die Wahl der Thematik auch für die Persönlichkeit Günter Stocks folgerichtig. Philosophie und Kunst stehen nie beziehungslos nebeneinander. Philosophie sucht nach Orientierung und Wahrheit. Kunst drückt in der ihr eigenen Weise Orientierung und Wahrheit aus. In ihrem Zusammenhang, der sicherlich nicht immer spannungsfrei ist, befruchten sich Kunst und Philosophie gegenseitig, bedingen sich einander. Kunst und Philosophie spiegeln unser Leben wider, interpretieren es. Kunst ist eine subjektive Widerspiegelung der uns umgebenden Welt, aber auch von uns selbst. Philosophie versucht zu objektivieren, zu kategorisieren. Künstler nehmen unsere Welt mit ihren eigenen Augen wahr und lassen uns an ihrer Sicht teilhaben. Philosophie ordnet und erfasst verschiedene Sichtweisen. Prof. Bredekamp hält einen Vortrag zum Thema: ,,Denkende Hände – Überlegungen zur Bildkunst der Naturwissenschaften“. Er wird also dem Wechselspiel von naturwissenschaftlicher Erkenntnis und der Darstellung im Bild seine Aufmerksamkeit widmen. Am Ausgangspunkt seiner Überlegungen steht ein für mich sehr aufschlussreiches Zitat. ,,Ein Mathematiker, möge er so groß sein wie er wolle, ist, wenn er nicht zeichnen kann, nicht nur ein halber Mathematiker, sondern auch ein Mensch ohne Augen“, schrieb der Künstler Ludovico Cigoli im August 1611 an seinen Freund Galileo Galilei. Er gab damit eine Überzeugung des ausgebildeten Zeichners Galilei wieder, der das Medium der Zeichnung nicht nur als Illustration, sondern als Mittel der Erkenntnis eingesetzt hat.
Dagmar Schipanski
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Bildliche Darstellungen in den Naturwissenschaften haben in den letzten Jahren eine neue Bedeutung erlangt, weil sie auf Computerbildschirmen zu einem Medium des Erkenntnisgewinns geworden sind. Komplizierte Zusammenhänge in der Mathematik, der Physik, der Chemie werden anschaulich durch die dreidimensionale Darstellung vermittelt. Die Bilder bewegen sich im Raum. Details können so exakt erfasst werden. Eine neue Dimension von Wahrnehmung und Erkenntnis wurde in den letzten Jahren eröffnet! Neue Erkenntnisse der Molekularbiologie werden in Bildform gewonnen. Bilder haben teilweise eine größere Aussage- und Ausstrahlungskraft, als wir mit Worten beschreiben können. Denken Sie nur an die Entschlüsselung des menschlichen Genoms: Diese Erkenntnisse entziehen sich teilweise der Aussagekraft der Schriftsprache. Doch man kann auch so argumentieren, dass sich durch alle Technisierungen und Medienumbrüche hindurch das Vermögen erhalten hat, Gedanken durch modellierende Zeichnungen zu gewinnen, festzuhalten und zu überprüfen. Welche Rolle spielen dabei die Hände? Ist die Hand auf der Tastatur oder beim Mausklick mit der Hand, die Feder oder Pinsel hält, vergleichbar? Der Vortrag ,,Denkende Hände – Überlegungen zur Bildkunst der Naturwissenschaften“ von Professor Bredekamp wird Etappen dieses Zusammenspiels von Kopf und Hand verfolgen und dessen Erkenntniskraft zu bestimmen versuchen. Prof. Bredekamp studierte Kunstgeschichte, Archäologie, Philosophie und Soziologie in Kiel, München, Berlin und Marburg. 1974 erfolgte die Promotion in Kunstgeschichte an der Universität Marburg. Er war dann Assistent und später Professor für Kunstgeschichte an der Universität Marburg. Seit 1993 lehrt er Kunstgeschichte an der HumboldtUniversität Berlin und ist seit 2003 Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin. Prof. Bredekamp erhielt 1980 den Aby-M.-Warburg-Förderpreis der Stadt Hamburg, 2001 den Sigmund-Freund-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt. Seit 1995 ist er Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Er war Scholar des Getty Center for the History of Art and the Humanities, Santa Monica und Los Angeles sowie am Collegium Budapest. Im letzten Beitrag thematisiert Prof. Mittelstraß die Philosophie des Erkennens. Wenn die Philosophie von Erkennen und Wahrnehmen
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Einführung
spricht, geht es nicht um die Erklärung des empirisch Gegebenen, sondern um die Beurteilung von Geltungsansprüchen dieses gewonnenen Wissens oder, einfach gesagt, um Wahrheit. Prof. Mittelstraß legt diese Aufgabe der Philosophie als Erkenntnistheorie dar. Er betrachtet Wahrnehmung aus philosophischer Sicht, nachdem sie in den vorigen Kapiteln aus naturwissenschaftlicher erfolgte. Wahrnehmung spielt für die Philosophie eine große Rolle, weil alle Orientierungen mit Wahrnehmungen beginnen. Wahrnehmen heißt unterscheiden. Wo wir nicht unterscheiden, werden wir nicht erkennen und werden wir nicht wissen. Prof. Mittelstraß, Direktor des Zentrums für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Universität Konstanz, ist uns allen als einer der führenden Philosophen in Deutschland bestens bekannt. Wir schätzen ihn als brillanten Redner, der uns mit bestechender Logik seine Gedankenwelt darlegt. Prof. Mittelstraß ist uns allen aber auch als ein Streiter für die Wissenschaft bekannt. Er war Mitglied des Senats der DFG, Mitglied des Wissenschaftsrates, von 1993 bis 1994 Mitglied des Strategiekreises beim Bundesministerium für Forschung und Technologie und von 1995 bis 1998 Mitglied des Rates für Forschung, Technologie und Innovation beim Bundeskanzler. Prof. Mittelstraß hat in zahlreichen Hochschulstrukturkommissionen der Bundesrepublik mitgearbeitet oder sie geleitet, so in Sachsen, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Hamburg und Thüringen. Von 1998 bis 2003 war er Mitglied des Rates für Wissenschaft und Forschung in Bayern und von 1994 bis 1998 Mitglied des Landesforschungsbeirats Baden-Württemberg.
12 Denkende Hände Überlegungen zur Bildkunst der Naturwissenschaften
Horst Bredekamp
12.1 Das Problem der Illustration Die Zeitschrift Nature des Jahres 1953 hat insgesamt nur wenige Abbildungen, unter denen sich auch das enigmatische Diagramm der Doppelhelix befindet (Abb.1)1 . Die visuelle Askese der Zeitschrift wird auch daran sichtbar, dass peinlich vermieden wurde, den Artikel von Watson und Crick gestalterisch auf nur eine Seite zu bringen. Konzessionslos laufen die Beiträge über, und seien es wie in diesem Fall um ganze drei Zeilen.
1 James D. Watson und Francis H. Crick, Molecular Structure of Nucleic Acids. A Structure for Desoxyribose Nucleic Acid, in: Nature, 25. April 1953, S. 737.
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Abb. 1. Gesamtseite von: Nature, 25. April 1953, S.737
Horst Bredekamp
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Diese Situation hat sich in den letzten zwanzig Jahren so erheblich gewandelt, dass die Zeitschrift ,,Nature“ den Kunsthistoriker Martin Kemp gebeten hat, die visuellen Mittel der Naturwissenschaften in einer Serie von Artikeln zu analysieren. Im Ergebnis bestätigte sich, dass die ehemals von protestantischer Askese geprägten Publikationen der Naturwissenschaften die Farbenpracht und Eleganz von Kunstzeitschriften eingeholt hatten2 . Im letzten Jahr hat dieser Vorgang zu einem wiederum in Nature publizierten Aufruf geführt, in der Verwendung von Bildern sorgfältiger vorzugehen, den Realitätscharakter zu beachten und alle überflüssigen Effekte zu vermeiden (Abb. 2)3 . Von Phantasiegebilden wie dem preisgekrönten Bild einer so genannten Nanolouse spricht der Autor insofern mit Recht als ,,beautiful drawings“, als alle computergenerierten Bilder den konstruktiven Gesetzen der Malerei, und nicht etwa den indexikalischen Regeln der Fotografie unterworfen sind. Aus genau diesem Grund machen derartige Gebilde einen Kern dessen aus, was mit dem Begriff des gegenwärtig ablaufenden ,,iconic turn“ versehen worden ist4 . Allerdings unterscheiden sie sich in der Tat erheblich von Galileis Mondaquarellen, die den Aufhänger des Artikels von ,,Nature“ ausmachen. Beginnend mit Galilei, möchte ich daher die spezifische Bedeutung der Handzeichnung an Hand von fünf Beispielen darzustellen versuchen.
12.2 Galileis Mond Galilei war ein beachtlicher Zeichner. Unter den Manuskripten der Florentiner Biblioteca Nazionale Centrale befindet sich zwischen den Kalkulationsreihen der Jupiter-Monde beispielsweise die lässig hingeworfene Skizze zweier Flusslandschaften (Abb. 3). Im oberen Feld ist links eine aufragende Kuppel zu erkennen, von der aus sich nach rechts Ge-
2 Martin Kemp, Bilderwissen. Die Anschaulichkeit naturwissenschaftlicher Phänomene, Köln 2003, S. 260–266. 3 Julio M. Ottino, Is a picture worth 1,000 words?, in: Nature, Bd. 421, 30. Januar 2003, S. 474–476. 4 Der Begriff wurde geprägt durch Gottfried Boehm, Die Wiederkehr der Bilder, in: Was ist ein Bild? (Hg.: ders.), München 1994, S. 11–38.
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Denkende Hände
Abb. 2. Gesamtseite von Nature, Bd. 421, 30. Januar 2003, S.474
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Abb. 3. Galileo Galilei, Zwei Uferlandschaften, Federzeichnung, Florenz, Biblioteca Nazionale Centrale, Ms. Gal. 48, Fol. 54v
bäude und Bäume abtreppen. Segel deuten an, dass diese Anlage am Wasser liegt. Die zweite, darunter liegende Szenerie präsentiert einen schärfer akzentuierten Flusslauf. Am gegenüberliegenden Ufer ragt eine Burg auf, während ein Pulk von vier Einmastseglern auf dem Wasser dahinzieht. Die Skizzen überzeugen in ihrem sicher und modern wirkenden Charakter und ihrer spontanen, unaufwendigen Form5 . Galilei hat nach seinem abgebrochenen Medizinstudium an der florentiner Kunstakademie studiert und dort gelernt, unebene Oberflächen perspektivisch zu erfassen. Dies hat ihn in die Lage versetzt, bei seinem Blick durch das auf den Mond gerichtete Fernrohr am 30. November 1609 zu erkennen, dass die Oberfläche des Planeten gegen alle Regeln der Kosmologie nicht eben, sondern ebenso zerklüftet war wie die der Erde (Abb. 4). Im Ausschnitt der perspektivisch verkürzten Mondoberfläche hat Galilei das Dunkel eines tiefen Kraters eingetragen, der mit dem Grad seiner Einschwärzung einen Kontrast setzte (Abb. 5). Durch diese Akzentuierung des Schattens entstand der Eindruck von Tiefe. Die Überlegungen, die Galilei und andere Astronomen zu dieser Zeit angestellt haben, um aus dem Schattenwurf auf die Höhe bzw. Tiefe der Gebilde auf der Oberfläche des Mondes zu schließen, sind hier in einer virtuosen, allein aus
5 Vgl. Horst Bredekamp, Gazing Hands and Blind Spots: Galileo as Draftsman, in: Galileo in Context (Hg.: Jürgen Renn), Cambridge 2001, S. 153–192.
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Abb. 4. Galilei Galilei, Mondphase, Tuschzeichnung, Florenz, Biblioteca Nazionale Centrale, Ms. Gal. 48, Fol. 28r
den Effekten von Licht und Schatten aufgebauten Plastizität bekräftigt. Derselbe Effekt, der an diesem ausgewählten Krater verdeutlicht wird, bestimmt die Mondzeichnungen insgesamt; so bietet die untere Zone der sechsten Kugel eine ungeheuer eindrucksvolle, plastische Weltlandschaft von Kratern und Gebirgen (Abb. 6). Gegenüber der intellektuellen Feinheit der Zeichnungen fallen die Stiche, die im folgenden Jahr 1610 in Venedig publiziert wurden, ab (Abb. 7). Dem mechanischen Druck ist die höchst inspirierte Zeichnungstechnik, die den Zwist mit der überkommenen Astronomie durch
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Abb. 5. Galileo Galilei, Krater der Mondoberfläche, Tuschzeichnung, Florenz, Biblioteca Nazionale Centrale, Ms. Gal. 48, Fol. 28r
Abb. 6. Galileo Galilei, Mondphase, Tuschzeichnung, Florenz, Biblioteca Nazionale Centrale, Ms. Gal. 48, Fol. 28r
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Abb. 7. Mondphase, Kupferstich, Galileo Galilei, Sidereus Nuncius, Venedig 1610, S.8r
die zeichnenden Bewegungen der Hand erledigt, unvergleichlich überlegen. In den Tupfern und Abstufungen der mit höchster Sensibilität eingetragenen, ersten Einschattierungen auf der Sonnenseite der Mondoberfläche ist die Gedankenarbeit unmittelbar spürbar, in der Galilei seine Mondblicke auf Papier gebracht und dann aquarelliert hat. Es waren diese Zeichnungen, die das platonische Bild des Kosmos mit seinen vollendet runden Sternen zum Einsturz brachten. Ludovico Cigoli, der Malerfreund Galileis seit den gemeinsamen Tagen an der florentiner Kunstakademie, hat dies in die Einschätzung abstrahiert, dass ,,ein Mathematiker, möge er so groß sein wie er wolle, ohne die Fähigkeit des Zeichnens nicht nur ein halber Mathematiker, sondern auch ein Mensch ohne Augen sei“6 . Für Cigoli setzt die adäquate 6 ,,Ora io ci ò pensato et ripensato, nè ci trovo altro ripiegho in sua difesa, se non che un matematico, sia grande quanto si vole, trovandosi senza disegnio, sia non solo un mezzo matematico, ma ancho uno huomo senza ochi“ (Lodovico Cigoli, Brief an Galilei,
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Erfassung der Wirklichkeit nicht nur deren Rezeption, sondern auch deren Wiedergabe und keinesfalls allein deren Wahrnehmung, sondern auch deren Konstruktion voraus. Sehen und Zeichnen sind für Cigoli die Grundlage der Erkenntnis, und daher wünscht er Galilei zum Abschluss seines Briefes ein ungetrübtes Sehvermögen: ,,Es genügt, dass Ihr das Auge habt, damit Euch nicht der Kurs Eurer Studien abhanden kommt“7 .
12.3 Leibniz’ Knoten Im Gegensatz zu Galilei war Gottfried Wilhelm Leibniz ein miserabler Zeichner, aber dennoch hat er unentwegt skizziert. So befindet sich am Rand einer seiner zahlreichen Texte und Exzerpte eine kleine Zeichnung (Abb. 8)8 , die sich mit ihren zwei nach oben weisenden Schlaufen, der nach unten fallenden Schleife und den ausfransenden Streifen als Variation eines Kleeblattknotens erweist9 . Leibniz’ Erläuterung dieses Gebindes wirkt zunächst wie ein Scherz, gelangt aber in atemberaubender Geschwindigkeit zu fundamentalen Fragen der Erkenntnistheorie. Ihm geht es um die Unterscheidung von undeutlicher und deutlicher Erkenntnis, Cognitio confusa et distincta,
11.8.1611, in: Galileo Galilei, Le Opere, Edizione Nazionale [Hg.: Antonio Favaro], 20 Bde., Florenz 1890–1909, Bd. XI, S. 168); vgl. Samuel Y. Edgerton, The Heritage of Giotto’s Geometry. Art and Science on the Eve of the Scientific Revolution, Ithaca und London 1991, S. 253, Anm. 41 und Fernand Hallyn, Introduction, in: Galileo Galilei. Le Messager des Étoiles, Paris 1992, S. 58. Den Kontext des Briefes bietet James M. Lattis, Between Copernicus and Galileo. Christoph Clavius and the Collapse of the Ptolemaic System, Chicago und London, 1994, S. 195ff. 7 ,,Basta che abbiate l’ochio che non vi impedischino il corso dei vostri studi“ (Cigoli, Brief vom 11.08.1611, in: Galilei, Opere [siehe Anm. 6], Bd. XI, S. 168f.). 8 Gottfried Wilhelm Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe (Hg. von der Preußischen, später Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin), Berlin 1923 [AA], VI, 4, B, Nr. 241, S. 1230. Es handelt sich um Leibniz’ Auseinandersetzung mit dem Hamburger Naturforscher und Philosophen Joachim Jungius. 9
Zur von dem Arzt Heraklas im ersten nachchristlichen Jahrhundert begründeten und von Vidus Vidius und Francesco Primaticcio im sechzehnten Jahrhundert wieder aufgenommenen Tradition der Knotenkunde: Moritz Epple, Die Entstehung der Knotentheorie. Kontexte und Konstruktionen einer modernen mathematischen Theorie, Wiesbaden 1999, S.32f., 40.
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Abb. 8. Gottfried Wilhelm Leibniz, Strumpfbandknoten, Federzeichnung, Hannover, Niedersächsische Landesbibliothek, LH IV 7C Bl.120r
die von größter Bedeutung für die Wahrnehmung der Ideen und der Perzeption der Welt ist: ,,Das Strumpfband mit drei Falten, mit oben zwei Zipfeln zu binden, gibt ein schönes Beispiel der undeutlichen und deutlichen Erkenntnis, wie auch der aus der undeutlichen und deutlichen Erinnerung bestimmten Handlung“10 . Das Binden des Knotens wird, wie Leibniz fortfährt, ,,also undeutlich behalten und zur Gewohnheit, wie ein Knabe die Buchstaben im Munde zu formen lernt“11
10 ,,Confusio Conceptuum. Strumpfbandel binden mit 3 falten ohn die zwey zipfel gibt ein schohn exempel confusae cognitionis et distinctae, item operationis ex confusa memoria et ex distincta“ (Leibniz, in: AA [siehe Anm. 8], VI, 4, B, Nr. 241, S. 1230, Z. 4–6).
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Durch Praxis, an der die Augen und die Hände, aber auch der sprechende Mund und das hörende Ohr beteiligt sind, vermag der Knabe folglich nicht nur den Mechanismus zu begreifen, sondern ihn auch sprachlich wiederzugeben und damit zu belegen, dass seine klare Erkenntnis von der undeutlichen in eine deutliche, distinkte übergegangen war: ,,Wenn er es nun deutlich wußte, konnte er einem sagen, was seiner Hand zufolge das längste [Band] sein und dann wie eine Schürze oder Schlinge in welcher Ordnung übereinander gehen mußte“12 . Es ist überaus bezeichnend, dass Leibniz sofort auch zu verallgemeinern sucht: ,,Diese zweite Verbindung ist in allen Schürzen, die auch vier oder zwei Falten aufweisen“13 . Indem Leibniz die Schlaufen des Knotens ,,Falten“ nennt, verwendet er einen der zentralen Begriffe seiner Kosmologie. Das Universum ist Leibniz zufolge als eine sich nach innen unendlich tief hinabdifferenzierende Einfaltungsmaschine zu denken. Leibniz’ Strumpfbandtext bezieht das Haptische, das Visuelle und gleichfalls auch das Akustische in die Mittel der Erkenntnis dessen ein, was als immerwährende Einfaltung die Struktur des Kosmos ausmacht. Ein banal scheinendes Phänomen wie ein Strumpfbandknoten wird auf diese Weise zu einem Modell der Erkenntnisfähigkeit. Er verändert das gewohnte Bild von Leibniz’ Philosophie insofern, als der Knoten das Zusammenspiel von Hand, Auge und Ohr als intellektuelles Training erfordert, das die Selbstentfaltung der Monade ermöglicht. Eine winzige Zeichnung überwindet den erkenntnistheoretischen Autismus, der mit der Vorstellung der ,,Fensterlosigkeit der Monaden“ bislang verbunden war14 .
11
,,(...) also confuse behalten und gewohnt, wie ein knabe die lettern im munde formiren lernet“ (Leibniz, in: AA [siehe Anm. 8], VI, 4, B, Nr. 241, S. 1230, Z.9f.).
12
,,Wenn ers nun distincte wuste kondte er einem sagen, was nach seiner hand das langste seyn mus, und denn wie eine schürz oder schlinge und mit was ordnung über einander gehen“ (Leibniz, in: AA [siehe Anm. 8], VI, 4, B, Nr. 241, S. 1230, Z.10–12).
13
,,Diese andre confusio ist in allen schürzen, die auch von 4 oder 2 falten seyn“ (Leibniz, in: AA [siehe Anm. 8], VI, 4, B, Nr. 241, S. 1230, Z.12f.).
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Vgl. allgemein: Horst Bredekamp, Die Fenster der Monade. Gottfried Wilhelm Leibniz’ Theater der Natur und Kunst, Berlin 2004.
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12.4 Darwins Koralle Gut hundertfünfzig Jahre später hat Charles Darwin auf eine verwandte Weise der Zeichnung als dem Medium des Denkens vertraut. Er war davon überzeugt, dass die Fülle der Naturphänomene die Beschreibung überbiete; ohne Bilder sei der Forscher verloren15 . In dem im Juli 1837 begonnenen Notizbuch B, das die Erfahrungen der Reise auf der Beagle festhielt, hat Darwin erste, kryptische Formulierungen einer natürlichen Selektion mit dem Baummotiv als Metapher der Makroevolution versehen und durch erste Skizzen dieses Evolutionsprozesses gewürzt (Abb. 9). Die obere Zeichnung zeigt am Boden eine aus Punkten gebildete Linie, welche die ausgestorbenen Arten bezeichnet, wohingegen sich die drei durchgezogenen Striche auf die rekonstruierbaren Entwicklungen noch lebender Arten der drei Lebensbereiche des Wassers, der Erde und der Luft beziehen. Die untere Krakelur bildet bereits am Ausgangspunkt eine Verästelung, die in den nach links abgehenden Punkten eine hypothetische Abstammungslinie zeigt16 . Auch hier markieren die Punkte die nur in Fossilien überlieferten Bereiche der ausgestorbenen Arten. Beide Skizzen sind von eher kümmerlicher Gestalt, aber dennoch bergen sie eine kaum zu übertreibende wissenschafts- und kulturgeschichtliche Bedeutung. Erstmals formulieren sie die Tradition der Lebens- und Naturbaummodelle nicht als gegebenen Plan, sondern als sich zeitlich entwickelnden, evolutionären Prozess. Die Skizzen lassen an Baumstrukturen denken, zeigen aber kein arboreskes Modell, sondern die Skizzen von Korallen: ,,The tree of life should perhaps be called the coral of life“17 Mit der Koralle besaß
15 Charles Darwin, On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life, London 1859, S. 431. 16 Das Gebilde sucht die gegenüber den Fischen komplexere Abstammung der Vögel zu formulieren (Charles Darwin, Charles Darwin’s Notebooks, 1836–1844. Geology, Transmutation of Species, Metaphysical Enquiries, Transcribed and Edited by Paul H. Barrett, Peter J. Gautrey u.a., British Museum (Natural History), London 1987, B 27, S. 177); vgl. Howard Gruber, Darwin’s ,,tree of nature“ and other images of wide scope, in: Judith Wechsler (Hg.), On Aesthetics in Science, Boston und Basel 1988, S. 121–140, 126. 17
Darwin, 1987 [siehe Anm. 16], B 25, S. 177.
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Abb. 9. Charles Darwin, Zwei Evolutionsdiagramme aus Notebook B, Federzeichnung, 1837, Cambridge, University Library, Dar. Ms. 121, Fol. 26
Darwin ein Modell der Evolution, das den zeitlichen Prozess insofern entschiedener visualisieren konnte, als es auf einen Blick die Trennung von noch lebenden und bereits ausgestorbenen Arten zu metaphorisieren vermochte. Wie eine dritte Skizze zeigt (Abb. 10), ist die Koralle als Bildmetapher der Evolution vor allem in der Lage, das hierarchische Telos des nach oben weisenden Baums zu vermeiden und den Prozess der Evolution als ziellosen, in sich kontingenten Vorgang zu verdeutlichen. Aus diesen ersten Skizzen entstand jedoch im Jahre 1859 jenes zu einer Ikone der Moderne gewordene Diagramm der Evolution (Abb. 11), das eine Baumstruktur vorzugeben scheint. Mit ihren Verästelungen verspricht sie die Entwicklung der Arten über Millionen von Generationen auf einen Blick verfolgen zu können. So jedenfalls ist es verstanden worden, und so wurde es von Ernst Haeckel und anderen als verbindliches
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Denkende Hände
Abb. 10. Charles Darwin, 3. Evolutionsdiagramm aus Notebook B, Federzeichnung, 1837, Cambridge, University Library, Dar. Ms. 121, Fol. 36
Abb. 11. Charles Darwin, Diagramm der ,,Natürlichen Auslese“, in: Darwin, Origin of Species, 1859, S. 116
Horst Bredekamp
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Modell popularisiert18 , um bis heute die Vorstellung vom Entwicklungsgang der Natur zu bestimmen19 . Das in der ,,Origin“ publizierte Diagramm bewahrt jedoch jene Bedenken gegen das Baummodell, welche Darwins frühe Skizze formuliert hatte20 . Indem sie die Evolution der Natur nicht als geordnetes Ästesystem, sondern als chaotische Wucherung zeigen, offenbaren erneut die Zeichnungen das komplexere Modell.
12.5 Machs Auge Antonio Damasio hat in seinem jüngsten Buch sowie in einem Artikel der Zeitschrift ,,Nature“ die Frage nach dem Bewusstsein des Ich neu gestellt21 . Er trennt zwischen einem Beobachter des eigenen Körpers und einem Perzeptionsapparat, der die Außenwelt wahrzunehmen in der Lage ist. Damit aber entsteht das Problem eines neuen Dualismus, der weniger dramatisch ist als die kartesische Spaltung zwischen Vernunft und gleichsam maschinellem Körper, gleichfalls aber die Frage nach der Vermittlung zwischen Innen- und Außenperspektive provoziert. In einer Antwort eines Kunsthistorikers und eines Mediziners auf Damasio ist kürzlich an Ernst Machs Darstellung des Ich von 1886 erinnert worden, welche die Grenzlinie zwischen Binnenkörper und Außensicht suggestiv inszeniert22 . Von innen geht der Blick des auf einer Liege gelagerten Mach entlang den Rändern der Augenhöhle und dem Nasenrücken in den Raum (Abb.12). Man glaubt sich förmlich auf der
18
Ernst Haeckel, Generelle Morphologie der Organismen. Allgemeine Grundzüge der organischen Formen-Wissenschaft, Berlin 1866, II, S. 397–399; Tafeln I–VIII.
19
Elisabeth Pennisi, Modernizing the Tree of Life, in: Science, Bd. 300, Nr. 5626, 13. Juni 2003, S. 1692–1697.
20
Horst Bredekamp, Darwins Evolutionsdiagramm oder: Brauchen Bilder Gedanken?, in: Grenzen und Grenzüberschreitungen. XIX. Deutscher Kongress für Philosophie. Vorträge und Kolloquien [2002] (Hg.: Wolfram Hogrebe in Zusammenarbeit mit Joachim Bromand), Berlin 2004, S. 862–876.
21 22
Antonio Damasio, The person within, in: Nature, Nr. 423, 15. Mai 2003, S. 227.
Karl Clausberg und Cornelius Weiller, Mach dir ein Bild vom Hirn. Wie Denken aussieht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 26, 31. Januar 2004, S. 31.
124
Denkende Hände
Abb. 12. Ernst Mach, Selbstanschauung ,,Ich“, Holzstich, aus: Analyse der Empfindungen, Jena 1886, S. 14
Grenze zwischen einem Blick, der expansiv den Raum zu erschließen vermag, und einer Sicht, die gleichsam einen Schritt zurücktritt und allein der Introspektion gewidmet ist. Die unbeholfene Vorzeichnung unterscheidet sich von dem Holzstich vor allem durch die Hände (Abb. 13). In der Skizze hält die Linke eine Zigarette, während die Rechte, die in der Illustration demonstrativ den Bleistift hält, fehlt. Auf einer weiteren Skizze, welche die Buchillustration vorbereitet, hat sich Mach allerdings auf diesen Arm konzentriert und ihn nochmals auf der linken Seite seines Notizbuchs wiederholt (Abb. 14). Die zeichnende Hand wirkt, als wolle Mach den Kommentar Cigolis, dass das denkende Sehen und das zeichnende Denken zusammengehören, seinerseits zeichnen: die Hand skizziert die ,,Selbstschau-
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Abb. 13. Ernst Mach, ,,Wie man die Selbstanschauung ,Ich‘ ausführt“, Zeichnung aus einem Notizbuch, Verbleib unklar, s. Anm. 23
Abb. 14. Ernst Mach, Selbstanschauung ,,Ich“, Zwei Zeichnungen, Notizbuch vom April 1882, Mach-Nachlass, jetzt Deutsches Museum, München
126
Denkende Hände
ung des Ich“23 . Erneut ist es die Zeichnung, welche die Dynamik des suchenden Begreifens zu erfassen versucht.
12.6 Cricks Spirale Das letzte Beispiel gilt dem Summenzeichen. Seit etwa fünfhundert Jahren sind Künstler auf der Suche nach einer Bildformel, welche sowohl die Bewegungen des Denkens wie auch die der Natur in sich vereint. Als Kanon haben sich die Gerade und der Kreis, vor allem aber die S-Linie herausgebildet. Wie Dürer in seiner ,,Unterweysung der Messung/mit dem Zirkel und richtscheyt“ von 1525 ausgeführt hat (Abb. 15), ist es vor allem die Schlangenlinie, welche die Doppelbestimmung der Zeichnung, sowohl auf die Natur zuzuführen, als auch die Innenbewegung des Gehirns zu offenbaren, vollendet zu zeigen vermag: ,,darumb das sie hin und her gezogen mag werden/wie man will“24 .
Abb. 15. Albrecht Dürer, Drei Grundlinien, in: Unterweysung der Messung, 1525
23 Karl Clausberg, Neuronale Kunstgeschichte. Selbstdarstellung als Gestaltungsprinzip, Wien und New York 1999, S. 12f., mit weiteren Deutungen. 24 Albrecht Dürer, Unterweysung der Messung/mit dem Zirkel und richtscheyt (...), Nürnberg 1525, S. A2.
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Abb. 16. Benvenuto Cellini, Diana Ephesia, Zeichnung, ca. 1564, London, British Museum
Als der Bildhauer Benvenuto Cellini etwa 1564 ein Amtssiegel der Florentiner Kunstakademie entwarf, hat er eine vielbrüstige, ephesische Diana als magna mater imaginiert, der rechts der Florentiner Löwe und links eine sich schlängelnde Schlange assistieren (Abb. 16). Diese Zeichnung, die ein Symbol aller Zeichnungen darstellt, ist für Cellini jene Äußerungsform, die wie kein zweites Medium an die Denkbewegungen des Gehirns heranreicht und die zugleich geeignet ist, diese in Handlungen zu überführen. Als das materiell feinst mögliche Produkt
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Denkende Hände
Abb. 17. Benvenuto Cellini, Werkzeugalphabet, Zeichnung, ca. 1564, London, British Museum, Ausschnitt aus Abb. 16
des Menschen verklammert die Zeichnung die Welt der Ideen und der Modelle, und in dieser Doppelstellung wird sie zum Symbol und Medium aller schöpferischen Tätigkeiten25 . Aus diesem Grund hat Cellini den Rhombus, in dem die göttliche Verkörperung der Zeichnung erscheint, in einen Streifen einschneiden lassen, in dem die Werkzeuge des Schaffens von der Zange bis zum Flaschenzug als mnemotechnisches Alphabet abgebildet sind (Abb. 17). Das Ende des Werkzeugalphabets bilden ein Flaschenzug und eine gedrehte Linie, die auf den ersten Blick als Ornamentband wirkt, sich bei genauerer Betrachtung mit ihrem verdickten Kopfende aber als Schlange erweist. Es handelt sich um eine belebte Variation von Dürers S-Linie. Diese hat sich auf Wegen, die nicht zu rekonstruieren sind, bis in die Mathematik vermittelt. Leibniz, der mathematische Symbolbildner par excellence, hat sich sein Leben lang mit der von François Viète begründeten Symbolisierung mathematischer Rechnungen beschäftigt26 .
25 ,,Che il disegno essendo veramente origine, e principio di tutte le azzioni dell’ uomo“ (zit. nach Wolfgang Kemp, Disegno. Beiträge zur Geschichte des Begriffs zwischen 1547 und 1607, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, Bd. 19, 1974, S. 219–240, 223).
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Leibniz’ Stolz auf seine Tätigkeit als malender Mathematiker bezog sich unter anderem auf seine Verwendung des schlangenhaften S der lateinischen Summa für das Integralzeichen, das seither gültig geblieben ist27 . Möglicherweise hat sich Leibniz durch die im Jahre 1584 publizierte Kunst- und Naturtheorie des Künstlers Giovanni Paolo Lomazzo inspirieren lassen, in der die figura serpentinata (geschlängelte Linie) der Schlangen und der tanzenden Flammen in Form des S als Zeichen der idealen Naturbewegung wie auch der künstlerischen Vollendung definiert worden war28 . Es ist nicht zu beweisen, dass Leibniz Lomazzos Kunsttheorie gekannt hat, aber er selbst hat einen solchen Zusammenhang nahe gelegt. Da die auf Unähnlichkeit beruhenden Repräsentationsformen der Mathematik die Freiheit zur Schönheit besitzen, sind diese Leibniz zufolge mit den Kunstwerken von Malern zu vergleichen. Im Jahre 1677 hat er den Gebrauch dieser Zeichen als Mittel beschrieben, um ,,die Gedanken zu malen“29 . Der englische Künstler William S. Hogarth hat dann in Lomazzos Schlangenlinie das Grundelement aller Schönheit begriffen. Hogarths Analysis of Beauty von 1753 zeigt sie als Emblem der Variety, die als Zeichen der Summe aller Bewegungs- und Darstellungsformen gemeint war (Abb. 18)30 . Gut hundert Jahre nach Hogarths Bestimmung der S-Form als Linie der Vollendung hat August Kekulé den kunsttheoretischen Topos von
26
Florian Cajori, Leibniz, the Master-builder of Mathematical Notations, in: Isis, Bd. VII, 1925, Nr. 3, S. 412–429, 418–428.
27
Hartmut Hecht, Gottfried Wilhelm Leibniz. Mathematik und Naturwissenschaften im Paradigma der Metaphysik, Leipzig 1992, S. 45–49.
28
Paolo Giovanni Lomazzo, Trattato dell’arte de la pittura, Mailand 1584, Buch I.1, S. 22– 24. Hierzu und zur Rezeption der Schlangenlinie als ästhetisches Urelement: Peter Gerlach, Zur zeichnerischen Simulation von Natur und natürlicher Lebendigkeit, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Bd.34/2, 1989, S. 243–279.
29
,,(...) de peindre non pas la parole (...), mais les pensées“ (Brief an Gallois, 1677, in: Gottfried Wilhelm Leibniz, Mathematische Schriften (Hg.: Carl Immanuel Gerhardt), Bde. I–VII, Berlin und Halle 1855–1863 [Nachdruck Hildesheim 1962], Bd. I, S. 180f.
30
David Bindman, Hogarth and his Times, Ausstellungskatalog, London 1997, S. 168f.
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Denkende Hände
Abb. 18. William S. Hogarth, Variety, in: The analysis of beauty. London 1753
der Schlangenlinie als dem Bild der bewegungsfähigen Natur dan für das Gebiet der Chemie aktiviert. Seine Entdeckung der sechseckigen Anordnung der Benzolmoleküle beschrieb er als Produkt des Theaters seines geistigen Auges, also jenes inneren Bereichs, dessen unmittelbarer Ausdruck die Zeichnung darstellt. Im Halbschlaf das Kaminfeuer betrachtend erkannte er in den Flammen die Lösung: ,,Alles in Bewegung, schlangenartig sich windend und drehend. Und siehe, was war das? Eine der Schlangen erfasste den eigenen Schwanz und höhnisch wirbelte das Gebilde vor meinen Augen. Wie durch einen Blitzstrahl erwachte ich“31 . Schließlich, um zum Ausgangspunkt zurückzukehren, taucht die hogarthsche S-Form der Natur in der Struktur der Doppelhelix wieder auf, wie sie von Odile Crick für ,,Nature“ gezeichnet wurde (Abb. 1). Es erscheint ausgeschlossen, dass sie als Malerin Hogarths Vollendungszeichen der Natur oder auch Paul Klees ,,Pädagogisches Skizzenbuch“, das ebenfalls die S-Linie als Schlangenlinie der Natur schlechthin begriff, nicht gekannt hätte (Abb. 19). Odile Crick hat eine Ikone der
31 ,,Alles in Bewegung, schlangenartig sich windend und drehend“ (Richard Anschütz, August Kekulé, 2 Bde., Berlin 1929, Bd. 2, S. 942). Jeder Chemiker kennt diese Geschichte, aber kaum jemand wird wissen, daß es sich um einen kunsttheoretischen Topos handelt, der die Natur an sich mit der Bewegung der Schlange gleichsetzte. Die sich in den Schwanz beißende Schlange war zudem das überkommene Symbol der sich im Verzehr erneuernden Zeit, dem Ouroboros. Die Struktur des Benzol ist daher auch das Produkt einer in der Imagination des Gehirnes gezeichneten Fassung des Symbols der Natur und der Zeit.
Horst Bredekamp
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Abb. 19. Paul Klee, Pädagogisches Skizzenbuch (Bauhausbücher, Bd.2), München 1925, S.6
Naturwissenschaft dadurch geschaffen, dass sie das überkommene Summen-Zeichen des Denkens und der Natur mit dem Modell der Doppelhelix verschmolz (Abb. 20). Um nicht den geringsten Zweifel darüber aufkommen zu lassen, dass hier nicht etwa die Natur an sich, sondern ein ihr gewidmetes Modell abgebildet sei, besagt die Bildlegende, dass die Figur ,,purely diagrammatic“ sei32 . Es sind Zeichnungen und diagrammatische Linien, die auf der Grenze zwischen Gedanken und Materialisierung eine eigene, keiner anderen Äußerungsform zukommende Suggestivkraft entwickeln. Unabhängig von jeder künstlerischen Begabung verkörpert die Zeichnung als erste Spur des Körpers auf dem Papier das Denken in seiner höchstmöglichen Unmittelbarkeit.
32
Watson und Crick [siehe Anm. 1].
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Denkende Hände
Abb. 20. Odile Crick, Modell der Doppelhelix, in: Nature, 25. April 1953, S.737
In der Regel wird digitale Visualisierung gegen die denkende Bewegung der zeichnenden Hand ausgespielt. In der Tat stellt die Digitalisierung großartige Möglichkeiten der konstruktiven Simulation dar. Die Vorstellung, dass diese Kulturtechnik die Zeichnung vollständig ersetzen würde, verkennt jedoch die unübertragbare Komplexität und Dynamik dieser Äußerungsform. Beide Verfahren müssen vielmehr in einem sich wechselseitig bestärkenden Ensemble agieren, um die gesamte Potenz der Imaginationskraft zu entfalten. Die Geschichte der zeichnend denkenden Hände auch und gerade von Naturwissenschaftlern ist keineswegs beendet.
13 Zur Philosophie des Erkennens
Jürgen Mittelstraß
13.1 Vorbemerkung Wenn die Philosophie vom Erkennen und seinen begrifflichen Nachbarschaften spricht – vom Wahrnehmen, vom Glauben, vom Meinen, vom Fürwahrhalten, vom Wissen und von Erkenntnis –, bewegt sie sich auf einer anderen Ebene als diejenigen Wissenschaften, unter ihnen die Biologie und die Psychologie, die entweder die physischen Bedingungen von Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozessen oder die empirischen Umstände dieser Prozesse zur Aufgabe ihrer Forschungsanstrengungen machen. In der Philosophie geht es nicht um die Erklärung des empirisch Gegebenen, des empirisch Erhobenen, auch nicht um die Beschreibung des Werdens im Physischen und Empirischen, sondern um die Beurteilung von Geltungsansprüchen – früher hätte man ganz unbefangen
134
Zur Philosophie des Erkennens
gesagt: um Wahrheit – und um die Klärung ihrer begrifflichen und methodologischen Voraussetzungen. Dieser Aufgabe entspricht die Philosophie als Erkenntnistheorie, d. h. als eine Theorie des Erkennens, die vom Faktum des Wissens (im Empirischen wie im Theoretischen) ausgeht, aber mit diesem nicht konkurriert, sondern es in seinen begrifflichen und methodologischen Teilen sowie hinsichtlich seiner Geltungsansprüche zu rekonstruieren sucht. Diese Aufgabe bzw. deren Wahrnehmung gehört zugleich zu den konstitutiven Elementen des Anfangs der Philosophie, verbunden mit dem Anfang des wissenschaftlichen Denkens. Sie findet ihren expliziten Ausdruck in Platons Beantwortungsversuch der Frage ,Was ist Wissen?‘. Oder anders formuliert: die Entdeckung der Möglichkeit von Philosophie und Wissenschaft ist auch der Anfang der Erkenntnistheorie – weil sich das Erkennen selbst erkennen muss, um mit seinen Geltungsansprüchen zurechtzukommen. Davon soll im Folgenden kurz unter den Stichworten Wahrnehmungen, Begriffe und Theorien die Rede sein.
13.2 Wahrnehmungen Auch die Philosophie liebt die Wahrnehmung. Zu naheliegend ist, gerade in erkenntnistheoretischer Hinsicht, der Gedanke, dass alle Orientierungen mit Wahrnehmungen beginnen, als Orientierungen im Wahrnehmungsraum. Deshalb beginnen auch alle erkenntnistheoretischen Überlegungen mit Wahrnehmungsthesen – verworfen von Platon, der, allein an der Beantwortung von Geltungsfragen orientiert, auf die Normalität von Sinnestäuschungen hinweist, rehabilitiert von Aristoteles, der die Wahrnehmung als erste Wissensstufe auf dem Wege zur Theorie bestimmt. Genauer bestimmt schon Aristoteles ein Wahrnehmungswissen als ein Unterscheidungswissen, d. h. als ein Wissen, das auf Unterscheidungen im Wahrnehmungsraum beruht, womit, im logisch-begrifflichen Sinne, eine Theorie der Unterscheidung den Anfang einer Rekonstruktion der Wissensbildung bildet. Wo nicht unterschieden wird, wird nicht wahrgenommen, wird nicht erkannt, wird nicht gewusst. Das heißt in systematischer Form: auch das theoretische Wissen setzt eine elementare Praxis des Unterscheidens, des Unterscheidungen-Verwendens und
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des Argumentierens für oder gegen unterscheidungsabhängige Behauptungen voraus. Es gibt, mit anderen Worten, keinen Anfang, auch keinen Anfang einer wissenschaftlichen Theorie oder Empirie, der sich außerhalb von Unterscheidungen stellen könnte, weshalb, erkenntnistheoretisch und methodologisch formuliert, ein elementares Unterscheidungs- und Orientierungswissen (in der ,Wahrnehmung‘), ausgedrückt in elementaren Aussagen, der elementaren Prädikation, ein Apriori jeglichen Erkennens darstellt. Oder noch anders formuliert: Da das theoretische Wissen die elementare Prädikation weder zu erklären noch zu begründen vermag, ohne selbst schon von ihr Gebrauch zu machen, und da es ferner keine, auch keine apriorische Begründung einer Theorie geben kann, in die nicht selbst schon jene vortheoretische Unterscheidungs- und Orientierungspraxis als ein apriorischer Bestandteil Eingang gefunden hätte, stellt die elementare Prädikation ein Unterscheidungsapriori dar. In der jüngeren Philosophieentwicklung nimmt in einem speziell wissenschaftstheoretischen Sinne eine Theorie der Beobachtungs- und Erfahrungssätze die Stelle einer ,Wahrnehmungstheorie‘ ein, etwa, im Rahmen des so genannten Logischen Empirismus, als Theorie von Protokollsätzen – das sind elementare Beobachtungssätze unter (phänomenalistischer) Verwendung von Wahrnehmungsbegriffen – oder einer Zweistufenkonzeption, in der zwischen einer Beobachtungssprache und einer Theoriesprache unterschieden wird. In der Beobachtungssprache entscheidet die Wahrnehmung über die Anwendbarkeit von Begriffen auf Objekte und Eigenschaften; in der Theoriesprache werden Begriffe, so genannte theoretische Begriffe, eingeführt über die Grundpostulate der entsprechenden Theorie, ohne Rekurs auf Beobachtungen bzw. Wahrnehmungen, allein nach ihrer Erkenntnisleistung im Rahmen der Theorie und auf die Bedingungen ihrer empirischen Bewährung bezogen bestimmt und beurteilt. Weniger wissenschaftstheoretisch als erkenntnistheoretisch in einem allgemeineren Sinne sind in der Philosophie des Erkennens – gelegentlich durch den untauglichen Versuch bestimmt, hinter ein Unterscheidungsapriori zu kommen oder dieses ,ontologisch‘ zu erklären – abbildtheoretische Konzeptionen. Diese sind Ausdruck der ,realistischen‘ Auffassung, dass das Erkennen, in gewissem Sinne auch schon die Wahrnehmung, eine (natürlich oder ,an sich‘) gegliederte Welt abbildet, d. h.
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Zur Philosophie des Erkennens
Repräsentation eines Weltausschnitts ist. Hier kommt es dann auf den jeweils verwendeten Repräsentationsbegriff an, welcher Art die Abbildtheorie ist, die im übrigen stets eine Korrespondenztheorie der Wahrheit – eine Aussage A ist genau dann wahr, wenn A der Fall ist – nach sich zieht. Ferner ist philosophisch relevant, ob unter einem Abbild selbst ein (partikularer) Gegenstand oder ein (universales) Zeichen, d. h. eine Repräsentation im engeren Sinne, verstanden wird. Hier treten häufig Verwechslungen auf, die sich wiederum schon mit den Anfängen eines philosophischen Nachdenkens über das Erkennen verbinden. So bilden z. B. die Platonischen Ideen nicht die Realität (im Sinne von Außenwelt) ab; vielmehr ordnet die Abbildung einer Idee (als universalem Urbild) einen Gegenstand als (partikulares) Abbild zu. Das Erkennen ist hier das Ergebnis einer vom Abbild zum Urbild führenden Abbildung. Damit wird aber die eigentliche Zeichenfunktion des Abbilds nur auf einem Umweg erfasst und später immer wieder übersehen – nämlich in einer Konstruktion des Mentalen, in der die Sprache in ihrer eigentümlichen Doppelrolle, sowohl (in ihrem dinglichen Charakter) zur Außenwelt als auch (in ihrem instrumentellen Charakter) zur Innenwelt zu gehören, unerkannt bleibt. Im so genannten Mentalismus, der sich vornehmlich mit rationalistischen Positionen verbindet, werden die Repräsentationen der Dinge (in Platonischer Bedeutung: die Abbilder von Abbildern) mit mentalen Tatsachen (,Vorstellungen‘) identifiziert; im so genannten Sensualismus, der sich vornehmlich mit empiristischen Positionen verbindet, gelten die Ideen (oder Vorstellungen) als Produkte der über die Wahrnehmung gewonnenen mentalen Abbilder primärer Eigenschaften der Dinge. In materialistischen Widerspiegelungstheorien schließlich wird diese Auffassung radikalisiert, insofern nunmehr ,alle‘ Eigenschaften und Beziehungen der Dinge unter sich in ihren (mentalen) Abbildern wiederkehren. Heute sind diese erkenntnistheoretischen Kinderkrankheiten überstanden. Aus Isomorphie- bzw. Homomorphietheorien, in denen es um den Begriff der umkehrbar eindeutigen Abbildung, bezogen auf strukturelle Eigenschaften, geht, werden Abstraktionstheorien (noch Wittgenstein spricht von einem ,logischen Bild‘ und meint damit eine abbildende interne Beziehung zwischen Sprache und Welt, die sich in Aussagen über Sprache und Welt ,zeigt‘). Hier werden Eigenschaften und Beziehungen zu Abstrakta; die Welt wird nur noch in ihrer sprachlichen Darstel-
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lung ,wirklich‘. Damit ist denn auch eine Psychologismuskritik, die den Mentalismus in allen Stadien begleitet – Kritik der Verwechslung von Sätzen, Gedanken und Propositionen mit psychischen Zuständen, von logischen Gesetzen mit ,Denkgesetzen‘ –, an ihr Ziel gelangt. Zugleich führt dieser Weg zur Klarheit über den (erkenntnistheoretischen) Status von Begriffen.
13.3 Begriffe Was sind Begriffe? Im Unterschied zur gemeinhin schlampigen Verwendung des Ausdrucks ,Begriff‘, auch in wissenschaftlichen Kontexten (weitgehend synonyme Verwendung von ,Wort‘, ,Ausdruck‘, ,Terminus‘ und ,Begriff‘), sind in einer logisch geklärten Verwendung Begriffe (intensionale) Bedeutungen von Prädikaten – wie Gegenstände Bedeutungen von Eigennamen sind. Wie Prädikate über eine Äquivalenzrelation ,sprachgleich‘ abstraktiv aus Äußerungen gewonnen werden, so Begriffe über eine Äquivalenzrelation ,bedeutungsgleich‘ (bzw. ,intensional äquivalent‘ oder ,synonym‘) abstraktiv aus Prädikaten. Als Vertreter eines Begriffs ist ein Prädikat dann ein Terminus. Alle Termini im Definiendum der Definition eines Terminus, d. h. des Definiens, sind wiederum Merkmale dieses Terminus und damit des durch ihn dargestellten Begriffs (womit sie auch zu dessen Intention oder Inhalt gehören). Begriffe sind folglich nichts, was man etwa auf eine Tafel schreiben könnte. Vielmehr ist die Rede von Begriffen eine besondere Art der Rede über Prädikate. Wir sagen statt ,das Wort Baum‘ oder ,das Prädikat Baum‘ ,der Begriff Baum‘, wenn es uns allein auf die mit Baum getroffene Unterscheidung (etwa gegenüber Sträuchern) ankommt, nicht auf die Wortgestalt. Die Wortgestalt ,Baum‘ lässt sich z. B. bedeutungsäquivalent auch durch ,tree‘ oder ,arbre‘ ersetzen. Noch einmal: Begriffe sind abstrakte Gegenstände, gewonnen aus Prädikaten hinsichtlich einer Relation ,bedeutungsgleich‘ zwischen diesen Prädikaten. Wir sagen deshalb auch, dass bedeutungsgleiche Prädikate denselben (abstrakten) Begriff darstellen. Begriffe liegen also nicht herum; sie werden auch keineswegs in Definitionen gebildet. Sie sind vielmehr das Ergebnis einer besonderen
138
Zur Philosophie des Erkennens
Weise, über Unterscheidungen (artikuliert in Prädikaten) zu reden. Orientierungen, auch wahrnehmungsbezogene, beginnen nicht mit Begriffen; sie resultieren in Begriffen. Insofern aber sind Begriffe von vornherein Bestandteil von Konstruktionen, d. h. einer konstruktiven Konstitution der Wirklichkeit. Sie stellen ein Begreifen dar, dessen Wahrheit nicht die Welt, wie sie ist, sondern die Welt, wie wir sie machen (,sehen‘), ist. Begriffe sind eine bestimmte Sicht der Dinge – nicht die Sicht der Dinge. Als klassische Beispiele dafür mögen die Begriffe der Kausalität und des Gesetzes (in den Naturwissenschaften) gelten. Wenn wir von Kausalität oder Gesetz reden, dann nicht im Hinblick auf etwas, das sich empirisch zeigt, sondern in der erklärten Absicht, empirische Vorgänge unter bestimmten Gesichtspunkten, nämlich kausalen und gesetzmäßigen, zu erklären. Die Begriffe der Kausalität und des Gesetzes gehören insofern nicht zur Natur oder zur ,Realität‘, sondern zu unserer Sicht der Natur bzw. der Realität. Anders ausgedrückt: in der Begriffsbildung – und das gilt natürlich, wie wir gleich sehen werden, auch von der Theoriebildung insgesamt – verschaffen wir uns ein zusätzliches Organ, mit dem wir die Welt ,sehen‘, nicht, wie sie ist, sondern wie sie unsere Welt ist. Die moderne Wissenschaftstheorie diskutiert diesen Umstand unter anderem unter dem Begriff der Theoriebeladenheit, gemeint ist die Bestimmung oder Beeinflussung von Beobachtungen bzw. Beobachtungssätzen durch theoretische Annahmen (z. B. in Form von theoretischen Begriffen) oder Hintergrundüberzeugungen, womit die zuvor erwähnte Unterscheidung zwischen einer Beobachtungssprache, d. h. einer theorieunabhängigen Beschreibbarkeit von (wahrnehmungsbezogenen) Sachverhalten, und einer Theoriesprache aufgegeben wird.
13.4 Theorien Was von den Begriffen gilt, gilt auch von den Theorien. Auch diese sind Konstruktionen, nämlich Produkte zweckgerichteten Handelns, nichts, das Dingen oder Prozessen bzw. der Natur auf der Stirn geschrieben stünde. Deutlich wird dies z. B. an dem Umstand, dass es oft mehrere Möglichkeiten gibt, eine Theorie auszudrücken, und dass es in der Regel nicht allein wissenschaftliche Gesichtspunkte im engeren Sinne sind, die zur Auszeichnung einer dieser Möglichkeiten führen, ferner dass auch
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die mit einer Theorie verbundenen Deutungen oft nicht eindeutig sind. Dazu ein Beispiel aus der Physik. Es gibt heute sehr unterschiedliche Möglichkeiten, die Quantenmechanik, d. h. die moderne Theorie der mikrophysikalischen Struktur der Materie, zu interpretieren. So charakterisiert die so genannte Kopenhagener Deutung der Quantentheorie die Quantenwelt als eine überaus merkwürdige Welt, in der sich die Teilchen nicht mehr, wie in der klassischen Physik, auf Bahnen bewegen. Außerdem wird hier das Kausalitätsprinzip verletzt; eine deterministische Beschreibung der Welt scheint aus prinzipiellen Gründen nicht möglich zu sein. Wir befinden uns, so könnte man auch sagen, mit unseren theoretischen Vorstellungen in einer Heisenberg-Welt. Anders sieht es dann in einer Welt aus, die man mit Blick auf eine neuere Deutung nach ihrem Begründer als eine Bohm-Welt bezeichnen könnte. Abgesehen von einer zusätzlichen, in der klassischen Physik nicht auftretenden nicht-lokalen Kraft, auf die sich alle vom Standpunkt der klassischen Physik aus sonderbaren Beobachtungen letztendlich zurückführen lassen, unterscheidet sich diese Welt kaum von der vertrauten Welt Newtons, also einer Newton-Welt. Beide Deutungen sind demnach konzeptionell völlig unterschiedliche, aber dennoch empirisch äquivalente Formulierungen ein und derselben Theorie. Deshalb lässt sich auch aufgrund von Beobachtungen allein keine Entscheidung für die eine oder die andere Variante der Quantenmechanik treffen. Philosophisch bedeutet dies, dass die Abhängigkeit des Wissens und des Erkennens von seinen theoretischen Formen auch vor der Wissenschaft nicht halt macht. Zum einen kann das Wissen unter unterschiedliche Darstellungsformen treten – unterschiedliche theoretische Ansätze, die dasselbe erklären –, zum anderen lässt sich ein theoretischer Ansatz unterschiedlich deuten. Theorien, philosophische wie wissenschaftliche Theorien, sind eben Konstruktionen, in die wir einerseits aufnehmen, was wir von der Welt schon wissen, und in die wir andererseits unsere Vorstellungen über einen geordneten Aufbau der Welt und unseres Wissens über die Welt stecken. Diese Vorstellungen wiederum sind in der Regel sehr philosophische Vorstellungen. Auf dem Hintergrund des Umstandes, dass Wissenschaft stets eine Forschungsform und eine Darstellungsform besitzt, dass sie, mit anderen Worten, nicht nur darin besteht, herauszufinden, was der Fall ist, sondern auch darin, in theore-
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Zur Philosophie des Erkennens
tischer Form darzustellen, was sie forschend herausgefunden hat, macht die Philosophie deutlich, was im erkenntnistheoretischen Sinne das Wesen aller Wahrheit ist, nämlich die Aneignung des Gegenstandes durch seine Darstellung.
13.5 Schlussbemerkung Zur Philosophie des Erkennens gehören also, wie diese kurzen Bemerkungen zu den Stichworten Wahrnehmungen, Begriffe und Theorien gezeigt haben, auch sehr wissenschaftsnahe Überlegungen. Sie machen unter anderem deutlich – das sei zum Schluss noch kurz erwähnt –, dass Versuche, das Erkennen selbst allein naturwissenschaftlich zu erklären, nicht gelingen können. Dagegen steht der konstruktive Charakter allen Erkennens, zumindest des wissenschaftlichen. Insofern macht es aber auch wenig Sinn, Grenzen des Erkennens – ein derzeit besonders beliebtes Thema zwischen Naturwissenschaft und Philosophie – etwa in unserer biologischen Organisation bestimmen zu wollen. In den Naturwissenschaften führt eine solche Vorstellung in einen erkenntnistheoretischen Evolutionismus, der übersieht, dass entsprechende Konzeptionen (,Theorien‘) selbst Produkte des naturwissenschaftlichen Verstandes sind und Geltungsfragen anders zu beantworten sind als Fragen der Genese, in der Geschichte der Philosophie immer wieder einmal in müßige Spekulationen über die Grenzen der Vernunft und des Verstandes. Faktisch widerlegt die Wissenschaftsgeschichte alle Vorstellungen über Grenzen des Erkennens; und auch erkenntnistheoretisch sind derartige Grenzen nicht bestimmbar. Noch einmal bezogen auf einen erkenntnistheoretischen Evolutionismus: Die Evolutionstheorie erklärt nicht alles, auch wenn Biologen und manche Philosophen, die zu tief ins Glas der Evolution geschaut haben, zu einer derartigen Annahme neigen. Umgekehrt erklärt aber auch die Erkenntnistheorie nicht alles. Sie beschränkt sich vielmehr, wenn sie gut – und das heißt wiederum: philosophisch – beraten ist, auf diejenigen Elemente des Erkennens (und dessen wahrnehmungsbestimmte Vorstufen), die Teil unserer erkenntnisorientierten Konstruktionen sind. Wo diese Beschreibung in Richtung einer empirischen Theoriebildung aufgegeben wird, droht ein neuer (erkenntnistheoretischer) Naturalis-
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mus, der überall dort zum Schicksal der Philosophie wird, wo diese, ermuntert durch den naturwissenschaftlichen Verstand, meint, alle Geltungsansprüche müssten allein auf natürliche bzw. naturwissenschaftlich erfasste Tatbestände zurückgeführt werden. Dagegen stehen, wie dargestellt, das Unterscheidungsapriori im Wahrnehmungskontext, die Konstruktivität der Begriffsbildung und die Deutungsabhängigkeit der Theoriebildung. Richtig ist im Übrigen, dass auch unser Denk- und Erkenntnisapparat, wie unser Wahrnehmungsapparat, d. h. deren Struktur, ein Evolutionsprodukt ist. Daraus folgt aber eben nicht, dass auch Geltung und Wahrheit, die wissenschaftliche wie die philosophische, so verstanden werden müssen. Oder anders ausgedrückt: Geltung hat gewiss eine Genese, aber sie ist nicht identisch mit dieser. Und Wahrheit ist immer die Wahrheit über Gegenstände oder Sachverhalte (auch empirische), die ihr vorausgehen, aber sie ist nicht Teil dieser Sachverhalte, sie ist deren Richter. Die ,evolutionäre Angepasstheit‘ des Denk- und Erkenntnisapparates verbürgt eine evolutionär zureichende Funktionalität wahrnehmungsbezogener Erkenntnisse, nicht aber deren Wahrheit. Diese ist und bleibt das Resultat eines konstruktiv begriffenen Argumentierens und Begründens. Und das ist zugleich das Besondere an einer die Philosophie in ihren erkenntnistheoretischen Teilen mit der Wissenschaft und die Wissenschaft in ihren grundlagentheoretischen Teilen mit der Philosophie verbindenden philosophischen Theorie der Wahrnehmung und des Erkennens.
Literatur Zur vorstehenden Darstellung: Carrier M (1996) Wissenschaftstheorie. In: Mittelstraß J (Hrsg) Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie IV, Stuttgart Weimar, S 738–745 Gethmann C F (1996) Wissenschaftstheorie, konstruktive. In: Mittelstraß J (Hrsg) Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie IV, Stuttgart Weimar, S 746–758 Janich P (2002) Mensch und Natur. Zur Revision eines Verhältnisses im Blick auf die Wissenschaften, Stuttgart
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Zur Philosophie des Erkennens
Mittelstraß J (2001) Konstruktion und Deutung. Über Wissenschaft in einer Leonardo- und Leibniz-Welt, Berlin (Humboldt-Universität zu Berlin. Öffentliche Vorlesungen 110) Wolters G (1995) Erkenntnistheorie, evolutionäre. In: Mittelstraß J (Hrsg) Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie I, Mannheim Wien Zürich 1980, Stuttgart Weimar, S 578
14 Von der Wahrnehmung zur Erkenntnis Schlußworte Jürgen Mittelstraß
Dem Vorsitzenden des Kuratoriums der Schering Forschungsgesellschaft fällt nach dem Willen der Organisatoren die Aufgabe zu, das Schlußwort zu sprechen. Das ist nicht einfach angesichts eines thematisch überaus dichten und zugleich differenzenreichen Programms. Wer da zusammenfassen will, was selbst schon auf prägnante Weise zusammengefaßt an wissenschaftlichen Einsichten vorgetragen wurde, ist schon verloren. Dieses Risiko will ich nicht eingehen und mich daher auf zwei Bemerkungen beschränken, eine zum exoterischen Thema unseres Symposions, ,,Von der Wahrnehmung zur Erkenntnis“, und eine zum esoterischen Thema dieses Symposions: zu Günter Stock. Vorab allerdings einige Worte des Dankes: Dank Ihnen allen für Ihre Teilnahme an diesem Symposion, allen voran den Rednern und Laudatoren. Dank den Organisatoren, allen voran Frau Dr. Lessl, der Geschäftsführerin der Forschungsgesellschaft, und Ihrem tüchtigen Stab. Dank der Schering AG für ihr segensreiches wissenschaftliches und gesellschaftliches Engagement in der Forschungsgesellschaft und (neuerdings) in der Schering Stiftung. Dank Günter Stock für seinen Geburtstag, der der Anlaß zu diesem Symposion war, und Dank denjenigen, die seinem mildtätigen Aufruf gefolgt sind, statt der üblichen Geburtstagspräsente
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Von der Wahrnehmung zur Erkenntnis
mit ihrer Zuneigung die Schering Forschungsgesellschaft zu fördern. Wir freuen uns sehr darüber. Erste Bemerkung: Wir haben (von wahrhaften Experten) erfahren, wie Wahrnehmung entsteht, was sie ist und was sie erkennt, und wir haben erfahren, wie Erkenntnis entsteht, was Erkenntnis ist und was sie wahrnimmt. Zugleich wurde der Bogen von der Wahrnehmung zur Erkenntnis geschlagen – auf unterschiedlichen Wegen: evolutionstheoretischen, neurophysiologischen, kommunikationstheoretischen, kunsttheoretischen und philosophischen Wegen. So vielfältig Wahrnehmung ist und so weit der Blick auf das Erkennen, so vielfältig und weit auch die disziplinären Perspektiven auf Wahrnehmung und Erkenntnis. Nur wer einfache Fragen und einfache Antworten erwartet hat, mag hier enttäuscht sein. Und nur wenn die Welt einfach wäre, wären auch unsere Wahrnehmung und unsere Erkenntnis, und die Erklärung beider, einfach. Aber so ist es eben nicht – aus den dargelegten Gründen. Zweite Bemerkung: Wir haben nicht nur viel Kluges darüber gehört, wie wir wahrnehmen und wie wir erkennen, sondern wir wissen nun auch besser als zuvor, wie wir Günter Stock wahrnehmen und wie wir ihn kennen. John Dormandy hat uns auf eine unnachahmliche Weise Günter Stock beschrieben, wie wir ihn alle kennen, und unser Symposion war ein lebendiger Spiegel nicht zuletzt seines Denkens und seines Tuns. Als ich vor knapp einem Jahr anläßlich der Verleihung des Arthur Burkhardt-Preises an Günter Stock selbst die Laudatio halten durfte, schien es mir angebracht, darauf hinzuweisen, daß Katzen, wie man sagt, neun Leben haben – wohl weil sie klug, zielstrebig, ausdauernd und zäh sind –, und festzustellen, daß es Günter Stock, auch im Hinblick auf diese Tugenden, immerhin schon auf vier, auf je ihre Weise höchst erfolgreiche Leben gebracht hat: ein Leben als Forscher, ein Leben als Forschungs- und Wissenschaftsorganisator, ein Leben als Unternehmensmanager und, natürlich, ein privates Leben. Das hat uns John Dormandy wunderbar vor Augen geführt. Und in der Tat – wenn ich das am Ende unserer schönen Veranstaltung noch einmal wiederholen darf, die Situation schamlos ausnutzend, daß Günter Stock nun nicht mehr replizieren kann: wo sich Wissenschaft und Forschung ihrer organisatorischen und strategischen Probleme bewußt werden und die richtigen Köpfe suchen, ist Günter Stock der gefragteste Kopf. Er ist ein heimlicher Dirigent des deutschen Forschungswesens, omnipräsent und
Jürgen Mittelstraß
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nachhaltig, früher hätte man gesagt: eine graue Eminenz – überaus eminent, aber gar nicht grau. Im Gegenteil quicklebendig, weltzugewandt, profilscharf, im Lichte (wissenschaftlicher Aufmerksamkeit), nicht im Schatten gehend. Und er ist, was auf den ersten Blick nicht so erscheinen mag, ein leidenschaftlicher Mann. Er liebt den Kampf der Argumente, allerdings nur den der besseren Argumente untereinander, und vermittelt zugleich, stets erfolgreich, zwischen den Fronten. Er geht – nie um einen Einfall, eine andere Sicht der Dinge verlegen – weit voraus und läßt sich doch, der Sache zuliebe, immer wieder einholen, um erneut vorauszugehen. In ihm und seinem Tun und Denken wohnt das Visionäre neben dem Handfesten, der Idealist neben dem Realisten. Es ist wohl nicht zuletzt diese schöne Mischung, die das Geheimnis dieses erfolgreichen Mannes ausmacht und die Art und Weise, wie wir ihn wahrnehmen, wie wir ihn kennen – und wie wir ihn mögen.
Ernst Schering Research Foundation Workshop
Editors: Günter Stock Monika Lessl Vol. 1 (1991): Bioscience Societly Workshop Report Editors: D.J. Roy, B.E. Wynne, R.W. Old Vol. 2 (1991): Round Table Discussion on Bioscience Society Editor: J.J. Cherfas Vol. 3 (1991): Excitatory Amino Acids and Second Messenger Systems Editors: V.I. Teichberg, L. Turski Vol. 4 (1992): Spermatogenesis – Fertilization – Contraception Editors: E. Nieschlag, U.-F. Habenicht Vol. 5 (1992): Sex Steroids and the Cardiovascular System Editors: P. Ramwell, G. Rubanyi, E. Schillinger Vol. 6 (1993): Transgenic Animals as Model Systems for Human Diseases Editors: E.F. Wagner, F. Theuring Vol. 7 (1993): Basic Mechanisms Controlling Term and Preterm Birth Editors: K. Chwalisz, R.E. Garfield Vol. 8 (1994): Health Care 2010 Editors: C. Bezold, K. Knabner Vol. 9 (1994): Sex Steroids and Bone Editors: R. Ziegler, J. Pfeilschifter, M. Bräutigam Vol. 10 (1994): Nongenotoxic Carcinogenesis Editors: A. Cockburn, L. Smith Vol. 11 (1994): Cell Culture in Pharmaceutical Research Editors: N.E. Fusenig, H. Graf Vol. 12 (1994): Interactions Between Adjuvants, Agrochemical and Target Organisms Editors: P.J. Holloway, R.T. Rees, D. Stock Vol. 13 (1994): Assessment of the Use of Single Cytochrome P450 Enzymes in Drug Research Editors: M.R. Waterman, M. Hildebrand Vol. 14 (1995): Apoptosis in Hormone-Dependent Cancers Editors: M. Tenniswood, H. Michna Vol. 15 (1995): Computer Aided Drug Design in Industrial Research Editors: E.C. Herrmann, R. Franke
Vol. 16 (1995): Organ-Selective Actions of Steroid Hormones Editors: D.T. Baird, G. Schütz, R. Krattenmacher Vol. 17 (1996): Alzheimer’s Disease Editors: J.D. Turner, K. Beyreuther, F. Theuring Vol. 18 (1997): The Endometrium as a Target for Contraception Editors: H.M. Beier, M.J.K. Harper, K. Chwalisz Vol. 19 (1997): EGF Receptor in Tumor Growth and Progression Editors: R.B. Lichtner, R.N. Harkins Vol. 20 (1997): Cellular Therapy Editors: H. Wekerle, H. Graf, J.D. Turner Vol. 21 (1997): Nitric Oxide, Cytochromes P 450, and Sexual Steroid Hormones Editors: J.R. Lancaster, J.F. Parkinson Vol. 22 (1997): Impact of Molecular Biology and New Technical Developments in Diagnostic Imaging Editors: W. Semmler, M. Schwaiger Vol. 23 (1998): Excitatory Amino Acids Editors: P.H. Seeburg, I. Bresink, L. Turski Vol. 24 (1998): Molecular Basis of Sex Hormone Receptor Function Editors: H. Gronemeyer, U. Fuhrmann, K. Parczyk Vol. 25 (1998): Novel Approaches to Treatment of Osteoporosis Editors: R.G.G. Russell, T.M. Skerry, U. Kollenkirchen Vol. 26 (1998): Recent Trends in Molecular Recognition Editors: F. Diederich, H. Künzer Vol. 27 (1998): Gene Therapy Editors: R.E. Sobol, K.J. Scanlon, E. Nestaas, T. Strohmeyer Vol. 28 (1999): Therapeutic Angiogenesis Editors: J.A. Dormandy, W.P. Dole, G.M. Rubanyi Vol. 29 (2000): Of Fish, Fly, Worm and Man Editors: C. Nüsslein-Volhard, J. Krätzschmar Vol. 30 (2000): Therapeutic Vaccination Therapy Editors: P. Walden, W. Sterry, H. Hennekes Vol. 31 (2000): Advances in Eicosanoid Research Editors: C.N. Serhan, H.D. Perez Vol. 32 (2000): The Role of Natural Products in Drug Discovery Editors: J. Mulzer, R. Bohlmann
Vol. 33 (2001): Stem Cells from Cord Blood, In Utero Stem Cell Development, and Transplantation-Inclusive Gene Therapy Editors: W. Holzgreve, M. Lessl Vol. 34 (2001): Data Mining in Structural Biology Editors: I. Schlichting, U. Egner Vol. 35 (2002): Stem Cell Transplantation and Tissue Engineering Editors: A. Haverich, H. Graf Vol. 36 (2002): The Human Genome Editors: A. Rosenthal, L. Vakalopoulou Vol. 37 (2002): Pharmacokinetic Challenges in Drug Discovery Editors: O. Pelkonen, A. Baumann, A. Reichel Vol. 38 (2002): Bioinformatics and Genome Analysis Editors: H.-W. Mewes, B. Weiss, H. Seidel Vol. 39 (2002): Neuroinflammation – From Bench to Bedside Editors: H. Kettenmann, G.A. Burton, U. Moenning Vol. 40 (2002): Recent Advances in Glucocorticoid Receptor Action Editors: A. Cato, H. Schaecke, K. Asadullah Vol. 41 (2002): The Future of the Oocyte Editors: J. Eppig, C. Hegele-Hartung Vol. 42 (2003): Small Molecule-Protein Interaction Editors: H. Waldmann, M. Koppitz Vol. 43 (2003): Human Gene Therapy: Present Opportunities and Future Trends Editors: G.M. Rubanyi, S. Ylä-Herttuala Vol. 44 (2004): Leucocyte Trafficking: The Role of Fucosyltransferases and Selectins Editors: A. Hamann, K. Asadullah, A. Schottelius Vol. 45 (2004): Chemokine Roles in Immunoregulation and Disease Editors: P.M. Murphy, R. Horuk Vol. 46 (2004): New Molecular Mechanisms of Estrogen Action and Their Impact on Future Perspectives in Estrogen Therapy Editors: K.S. Korach, A. Hillisch, K.H. Fritzemeier Vol. 47 (2004): Neuroinflammation in Stroke Editors: U. Dirnagl, B. Elger Vol. 48 (2004): From Morphological Imaging to Molecular Targeting Editors: M. Schwaiger, L. Dinkelborg, H. Schweinfurth Vol. 49 (2004): Molecular Imaging Editors: A.A. Bogdanov, K. Licha
Vol. 50 (2005): Animal Models of T Cell-Mediated Skin Diseases Editors: T. Zollner, H. Renz, K. Asadullah Vol. 51 (2005): Biocombinatorial Approaches for Drug Finding Editors: W. Wohlleben, T. Spellig, B. Müller-Tiemann Vol. 52 (2005): New Mechanisms for Tissue-Selective Estrogen-Free Contraception Editors: H.B. Croxatto, R. Schürmann, U. Fuhrmann, I. Schellschmidt Vol. 53 (2005): Opportunities and Challanges of the Therapies Targeting CNS Regeneration Editors: D. Perez, B. Mitrovic
Supplement 1 (1994): Molecular and Cellular Endocrinology of the Testis Editors: G. Verhoeven, U.-F. Habenicht Supplement 2 (1997): Signal Transduction in Testicular Cells Editors: V. Hansson, F.O. Levy, K. Taskén Supplement 3 (1998): Testicular Function: From Gene Expression to Genetic Manipulation Editors: M. Stefanini, C. Boitani, M. Galdieri, R. Geremia, F. Palombi Supplement 4 (2000): Hormone Replacement Therapy and Osteoporosis Editors: J. Kato, H. Minaguchi, Y. Nishino Supplement 5 (1999): Interferon: The Dawn of Recombinant Protein Drugs Editors: J. Lindenmann, W.D. Schleuning Supplement 6 (2000): Testis, Epididymis and Technologies in the Year 2000 Editors: B. Jégou, C. Pineau, J. Saez Supplement 7 (2001): New Concepts in Pathology and Treatment of Autoimmune Disorders Editors: P. Pozzilli, C. Pozzilli, J.-F. Kapp Supplement 8 (2001): New Pharmacological Approaches to Reproductive Health and Healthy Ageing Editors: W.-K. Raff, M.F. Fathalla, F. Saad Supplement 9 (2002): Testicular Tangrams Editors: F.F.G. Rommerts, K.J. Teerds Supplement 10 (2002): Die Architektur des Lebens Editors: G. Stock, M. Lessl Supplement 11 (2005): Regenerative and Cell Therapy Editors: A. Keating, K. Dicke, N. Gorin, R. Weber, H. Graf Supplement 12 (2005): Von der Wahrnehmung zur Erkenntnis – From Perception to Understanding Editors: M. Lessl, J. Mittelstraß
This series will be available on request from Ernst Schering Research Foundation, 13342 Berlin, Germany