M artin W alser Tod eines K ritikers R om an
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M artin W alser Tod eines K ritikers R om an
Erste A uflage 2002 Suhrkam p V erlag Frankfurtam M ain 2002 A lle Rechte vorbehalten,insbesondere das derÜ bersetzung,des öffentlichen V ortrags sow ie der Ü bertragung durch Rundfunk und Fernsehen,auch einzelnerTeile. K ein Teildes W erkes darfin irgendeinerForm (durch Fotografie,M ikrofilm oderandere V erfahren)ohne schriftliche G enehm igung desV erlagesreproduziertoderunterV erw endung elektronischerSystem e verarbeitet,vervielfältigtoderverbreitetw erden. Satz: D ruck: Printed in G erm any
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FÜR DIE,DIE M EINE KOLLEGEN SIND
Q U O D E ST S U P E R IU S E S T S IC U T IN F E R IU S
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I.VERSTRICKUNG
D a m an von m ir,w aszu schreiben ich m ich jetztveranlaßtfühle,nichterw artet,m uß ich w ohl m itteilen,w arum ich m ich einm ische in ein G eschehen,dasauch ohne m eine Einm ischung schon öffentlich genug gew orden zu sein scheint.M ystik,K abbala,A lchem ie,Rosenkreuzertum –,das ist,w ie Interessierte w issen,m ein Them engelände.Tatsächlich unterbreche ich,um m ich in ein täglich m itneuen W endungen aufw artendesG eschehen einzum ischen,die A rbeitan m einem Buch Von Seuse zu Nietzsche.Essind eherdie V orbereitungen zu diesem Buch,die ich unterbreche,alsdie A rbeitan ihm .Inhalt:In die deutsche Sprache kom m tderpersönliche Ton nichterstdurch G oethe,von dem N ietzsche gierig profitierte,sondern schon durch Seuse, Eckhartund Böhm e.W eildas bürgerlich G eschriebene unsere Erlebnis-und Fassungskraft besetzthat,haben w ir,dasPublikum ,nichtw ahrnehm en können,daß die M ystikerihre Ichw ichtigkeitschon so deftig erlebthaben w ie G oethe und w ie nach ihm N ietzsche.N urw aren sie glücklich und unglücklich nichtm itM ädchen,M ännern und Frauen,sondern m itG ott... Ich m uß daserw ähnen,w eildurch m ein sonstigesSchreiben gefärbtsein kann,w asich m itteile überm einen Freund H ansLach.Beide,H ansLach und ich,sind Schreibende. Ich w arin A m sterdam ,als es passierte.BeiJoostRitm an w arich,eingeladen,seine Sam m lung anzuschauen.M iristkein Privaterbekannt,derso viele Specim ena derM ystik,K abbala, A lchem ie und desRosenkreuzertum sgesam m elthatw ie JoostRitm an.Ich w ohnte im Am bassade,w o ich in A m sterdam im m erw ohne,ich lasbeim Frühstück den NRC,den ich dort im m erlese,und erfuhr,daß H ans Lach verhaftetw orden ist.M ordverdacht.O bw ohles beim ir, sobald ich im A usland bin,zu den Erholungsqualitäten gehört,nurdie jew eilsausländischen Zeitungen zu lesen,besorgte ich m irsofortdie Frankfurter Allgem eine.D a lasich nun,H ans LachsneuestesBuch M ädchen ohne Zehennägelseivon A ndré Ehrl-K önig in seinerberühm ten und beliebten Fernseh-Show SPRECH STU ND E unsanftbehandeltw orden.D erA utorhabe den K ritiker,als der,w ie es üblich sei,nach seinerFernseh-Show in derBogenhausenerV illa des Ehrl-K önig-V erlegers Ludw ig Pilgrim erschien,grob angepöbelt.N och seiungeklärt,w ie es H ansLach überhauptgelungen sei,sich Zutrittzu derParty zu verschaffen,die Ehrl-K önigs V erlegernach jederSPRECH STU ND E in seinerV illa veranstalte.A ufderG ästeliste seiH ans Lach nichtvorgesehen gew esen,w eiles unüblich sei,A utoren,die unm ittelbardavorin EhrlK önigsSPRECH STU ND E „dran“ w aren,nachherzurParty einzuladen.H ansLach seizw ar selberA utordes PILG RIM Verlags,aberan diesem A bend hätte ernach den Regeln desH auses nichtdabeisein dürfen.H ansLach habe offenbarsofortgegen A ndré Ehrl-K önig tätlich w erden 3
w ollen.A ls ihn zw eiButlerhinausbeförderten,habe erausgerufen:D ie ZeitdesH innehm ensist vorbei.H errEhrl-K önig m öge sich vorsehen.A b heute nachtN ullU hrw ird zurückgeschlagen. D iese A usdrucksw eise habe unterden G ästen,die sam tund sondersm itLiteraturund M edien und Politik zu tun hätten,m ehralsBefrem den,eigentlich schon Bestürzung und A bscheu ausgelöst,schließlich seiallgem ein bekannt,daß A ndré Ehrl-K önig zu seinen V orfahren auch Juden zähle,darunterauch O pferdesH olocaust.A ufdem K ühlervon Ehrl-K önigs Jaguar,der am nächsten M orgen im m ernoch vorderV illa des V erlegers stand,seiderberühm te gelbe Cashm ere-Pullover,den derK ritikerin seinerFernsehshow im m erum seine Schultern geschlungen trage,gefunden w orden.V on A ndré Ehrl-K önig fehle jede Spur.Es seiin dieser N achtfastein halberM eterN euschnee gefallen.M ünchen im Schnee-Chaos.H ansLach sei schon am Tag danach unterV erdachtgestelltund,da erkein A libinachw eisen konnte und nicht bereitw ar,auch nureine einzige Frage zu beantw orten,verhaftetw orden.Sein Zustand w ird als Schock bezeichnet. Ich konnte,alsich daslas,garnichtm ehrrichtig atm en.A berich w ußte doch,daß H ansLach es nichtgetan hatte.So etw asw eiß m an,w enn m an einen M enschen einm alm itdem G efühl w ahrgenom m en hat.U nd obw ohlich überseine Freundschaften nichtvielw eiß,beherrschte m ich,alsich daslas,soforteine einzige Em pfindung:erhataußerdirkeinen Freund. Ich riefsofortJoostRitm an an und sagte,daß ich sofortzurück nach M ünchen m üsse.A lsich noch sagen w ollte,w arum ich sofortzurück m üsse,m erkte ich,daß dasgarnichtso leicht m itzuteilen sei.Ich sagte:Ein Freund istin eine N otgeraten.M anchm alsprichtm an,w enn m an genau zu sein versucht,w ie ein A usländer. W eilich zu hastig aufgebrochen w ar,prüfte ich erstaufdem Bahnsteig,ob nichtsvergessen w orden sei.D erA usw eisfehlte.M an hatte ihn an derRezeption erbeten und,w eilich esbeim A ufbruch so eilig hatte,vergessen,ihn m irw iederzugeben.H intelephoniert.Ein jungerA siate brachte ihn sofort.Ich versäum te den Zug,den ich herausgesuchthatte,nicht.A bernach einer Stunde Fahrtblieb derZug stehen,auffreiem ,holländisch w eitem Feld.U nd keine Erklärung. A ls einige Reisende schon lautw urden,endlich die A nsage:D eze trein is afgeschaft.W ir m ußten aussteigen,aufden Ersatzzug w arten.Fürm ich hing dasallesm itH ansLach,EhrlK önig und M ünchen-Bogenhausen zusam m en.M irsollte Zeitgegeben w erden zu überlegen,ob ich w irklich so überstürztnach M ünchen zurückfahren sollte,m ußte,durfte.M eine Em pfindung w arunm ißverständlich.A berda,w o in einem gerechnet,berechnetund geprüftw ird,m eldete sich die G egenstim m e.Sind H ansLach und ich w irklich befreundet? D erbekannte,fastpopulär bekannte H ansLach und derim Fachkreisherum geisternde M ichaelLandolf? V ielleichtsind w ir nurbefreundet,w eilw irkeine fünfM inuten (zu Fuß)von einanderentferntw ohnen.Erin der 4
Böcklin-,ich in derM alsenstraße,also im M alervierteldes lieblichen Stadtteils G ern.W irpassen beide besserhierheralsnach Bogenhausen,hatH ansLach einm algesagt.Eristallerdings deutlich jüngeralsich.H ältalso noch m ehrfürm öglich alsich.W irhaben einanderfastein bißchen scham haftgestanden,daß w irohne die G ernerN achbarschaftkaum Freunde gew orden w ären.Er,im m erm itten im schrillen Schreibgeschehen,vom nichtsauslassenden Rom an bis zum atem losen Statem ent,ich im m erim funkelndsten A bseitsderW elt.M ystik,K abbala, A lchem ie.A bernachdem w iruns beidem auch aktuelltendierenden Philosophieprofessor W esendonck in dessen G rünw alderV illa kennengelernthatten,haben w irkeinen G rund em pfunden,unsnichtm iteinem sorgfältig betonten A ufW iedersehn zu verabschieden. Zeitgeizig sind w irbeide.W irsind keine sogenannten engen Freunde,vielleicht,w eilw irbeide vorsichtig gew orden sind.Ich noch mehrals er.D raußen beiW esendoncks haben w iruns zw ar gleich beiunseren V ornam en genannt.D as heißtabernur,daß w irbeide in derW elt,besonders in derenglisch-am erikanischen,herum gekom m en sind.Erhatm ich gleich beiderzw eiten oder dritten A nrede M ichelgenannt.D astun,nach m einerErfahrung,nurdie,die esgutm einen m it m ir,oder,sagen w ir,die H erzlichen.H ansLach isteine H erzlichkeitsbegabung.D asspürte ich sofort.W irhaben beide bem erktund esauch nichtvoreinanderverheim licht,daß w irnichtzum engeren K reisderhierEingeladenen gehörten.Beide in G ern w ohnend,teilten w irnachherein Taxi,auch beiderBezahlung,w eilkeinersich vom anderen einladen lassen w ollte oderkonnte. D aß w irda beide gleich kleinlich w aren,w arm irsym pathisch.U nd w irsagten unsaufdem H eim w eg auch die G ründe auf,die unsdiese Einladung bescherthatten.M ich hatW esendonck überdie K abbala ausgefragt,w eilerein Buch G ershom Scholem s fürdie Süddeutsche rezensieren sollte.D aß ich,als m irW esendonck dasm itteilte,den typischen Enttäuschungsstich verspürte,gestand ich natürlich nicht.Ich,in nichts so zu H ause w ie in M ystik,K abbala, A lchem ie,w urde nichtum diese Buchbesprechung gebeten,w ohlaberderdoch ganz und gar aktuelltendierende W esendonck.A bererhatte,bevorerm ich ausgefragthatte,selbergesagt, daß ihm diese Besprechung nurangeboten w orden seiund ersie nurangenom m en habe,w eiler m itG ershom Scholem befreundetgew esen sei. H ansLach führte sein Eingeladenw ordensein daraufzurück,daß erin derFrankfurter Allgem einen gerade ungutbehandelt,ja sogarrichtig beschim pftw orden sei,als Populist.U nd zw arvon einem derH erausgeberpersönlich.D adurch seierfürW esendonck einladbar gew orden.W esendonck habe ihn,H ansLach,diesen A bend lang richtig geprüft,ob erin die W esendonckphalanx passe.Ich m üsse ja bem erkthaben,daß W esendonck den N am en jenes H erausgebersim m erm itdem Zusatz Faschistversehen habe.D iese Schm ähfloskelstam m te
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deutlich aus den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts.A berdie,die sie dam als im M und führten,konnten offenbarauch jetzt,obw ohlselberdeutlich gealtert,nichtdaraufverzichten. O bw ohlich nirgendsdazugehöre – w ergeschichtsträchtige Bücherschreibt,kann die A bende nichtverplaudern –,kriege ich,w eilich,w enn ich erschöpftbin,Zeitungen durchblättere,doch m it,w ergerade m itw em und w ergegen w en ist.D en Restsagtm irProfessorSilberfuchsim K am m erspiel-Foyeroderam Telephon.Erist,w ie eres selberfröhlich ausdrückt,m itG ottund derW eltbefreundet,und ich gehöre zu seinen Telephonnum m ern.Erhatm ein M ystik-Buch überalle M aßen gelobt.In derZeitung und im Radio.D ann m ich angesprochen im Foyerder Kam m erspiele.Erhabe dam itw irklich gew artet,aberals erm ich zum vierten M alaufdem Platz zw eiReihen vorsich gesehen habe,habe ersich und dann auch m ich daraufhinw eisen m üssen, daß w irdem gleichen A bonnem entangehörten.A lserhörte,daß ich in G ern w ohnte,sagte er sofort:H ansLach auch.U nd sagte gleich noch dazu,daß erseinen Spitznam en H ansLach verdanke.U nd erseiüberhauptnichtbeleidigt.Erfinde,dervon H ansLach fürihn gefundene Spitznam e könnte auch beiW agnerin den M eistersingern vorkom m en.Jetztm ußte ich doch gestehen,daß ich seinen Spitznam en nichtkenne.A ch,riefer,w ie lustig.Sie sind dereinzige in ganz M ünchen,derden nichtkennt.U nd esm ache ihm überhauptnichtsaus,seinen Spitznam en selberzu verbreiten.Silbenfuchshabe H ansLach ihn genannt,nachdem er,Professor Silberfuchs,den vorvorletzten Rom an von H ansLach in irgendeinerK onversation ein W erk von grandioserSelbstbehinderung genannthabe.W asm an in M ünchen irgendw o sage,sage m an im m erderganzen Stadt.Zum indestin derK ulturszene.D ie seinirgendsso tratschselig w ie in M ünchen.D asalles rauschte im Foyeraufm ich ein,w eilich,als ersich als H arlachinger ausgew iesen hatte,m ich zu G ern bekannte.U nd G ern heißtfüreinen Professorder Literaturw issenschaftH ans Lach.H ans Lach seiinzw ischen,sagte ernoch schnell,w eildas K lingelzeichen m ahnte,doch fastschon zu prom inentfürdasliebe K leinbürgerviertel.D er gehörtlängstnach Bogenhausen,sagte derProfessor.U nd Ton und Schm unzeln konnten bedeuten,derSatz seiauch ironisch gem eintgew esen.D aß ich nichtnach Bogenhausen,sondern eben doch nach G ern gehörte,hatte derProfessorm itdiesem Satz sichernichtsagen w ollen.Ich hatte nichtverm eiden können,dasherauszuhören. K eine PolizeiderW eltw ürde m ich eines M ordes verdächtigen.H ans Lach schon.O bw ohler den M ord so w enig begangen hatw ie ich.A lsich las,w asüberH ansLach in derZeitung stand, überlegte ich nicht,ob erm ich brauche odernicht.Ich w arnichtfähig,m irvorzustellen,daß es in M ünchen und in ganz D eutschland m ehralsgenug M enschen gäbe,die H ansLach von diesem absurden V erdachtbefreien w ürden.G arnichtskonnte ich m irvorstellen.N ichteinm al,daß ich aufdringlich w irken könnte.Erm ußte Freunde haben,die vielernsthafterseine Freunde w aren 6
als ich,derZufallsnachbar.M iristsonstim m eralles zu schnellpeinlich.U nd jetztgarnicht.H in m ußte ich.Sofort.N ach M ünchen.U nd hinausnach Stadelheim .
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D erBeam te,derm ich an derPforte abholte,sagte:D erChefm achtden Besuch selber.W ie lang, fragte ich.Er:W enn ich den Besuch m achen tät,könnte ich nureine halbe Stunde erlauben,der Chefkann m achen,so lange erw ill.D erH errO berregierungsratw ußte also im m erhin,w ersein U ntersuchungshäftling w ar.In einem polizeigrün gestrichenen Raum w urde ich an ein rundes Tischchen in derEcke gesetzt,dann kam derH errO berregierungsratm itseinem H äftling herein. H ansLach und ich am Tischchen in dereinen,derBeam te an dem Schreibtisch in deranderen Ecke.A ls w olle eruns zeigen,daß erunserG espräch nichtüberw ache,fing der O berregierungsratsofortm itdem A ktenstudium an.H ansLach sah m ich an,zuckte m itden Schultern und sagte m ehrzu dem Beam ten alszu m irhin:Rauchen darfm an.D erBeam te:M an darf.D erH errO berregierungsratseiheute offenbarbesondersgutaufgelegt,sagte H ansLach. O b ersich überihn beklagen w olle,fragte derBeam te.Sie m üssen w issen,sagte H ansLach zu m ir,derH errO berregierungsratfliegtjedesJahrin seinem U rlaub nach N epalund bringtvon dortV ideos m ir,die erdann den Insassen hiervorführt.H interdem Berg,den Sie hiersehen, sagterdann,liegtein englisches H otel,in dem haben w irschw edisches Biergetrunken.D erH err Lach hatsich schnellstensüberm ich inform iert,sagte derO berregierungsrat.D rückte aberdurch den Ton,in dem erdas sagte,aus,daß erw eiterhin konzentriertseiaufseine A rbeit,und an dem G espräch dortam Tischchen nichtteilzunehm en gedenke.D askonnte nurheißen,H ansLach und ich sollten nichtglauben,erhöre unserG espräch ab.Beam te sind vielfleißiger,alsm an denkt,sagte H ansLach.D ann sagte ernichtsm ehr.W enn derBeam te noch etw asgesagthätte, hätte ersicherauch noch etw asgesagt.Ersah m ich zw aran,abernichtso,daß ich hätte fragen können:W ie gehtesIhnen.Ersah m ich kein bißchen erw artungsvollan oderneugierig.Er gähnte.W ollte dasG ähnen aberhöflich verbergen.Je längerich ihn anschaute,desto w eniger w ares m irpeinlich,daß ich nichtw ußte,w ie ich das G espräch beginnen sollte.Ich w ar gekom m en,um ihm zu sagen,daß ich w isse,erseiesnichtgew esen.A ndré Ehrl-K önig hatsich durch seine A rt,überSchriftstellerzu urteilen,sicherviele zu Feinden gem acht.W arum sollte sich ausgerechnetH ansLach so vergessen!Esgab andere,die vielschlechterw eggekom m en w aren.D urch ProfessorSilberfuchs hatte ich aus dieserSzene im m ervielm ehrerfahren alsich w issen w ollte.Ich hoffte,H ansLach begriff,w arum ich gekom m en w ar.Ich w ollte etw astun für ihn.D aß ich gekom m en w ar,w arein A ngebot.Erm ußte daraufreagieren.Ersah m ich ruhig an, vollkom m en ruhig.Ererw artete nichts von m ir.W ahrscheinlich hatte sein V erlegerschon die besten A nw älte zusam m engespannt.W ahrscheinlich em pfing eran diesem Tischchen täglich 8
seine Freunde und Freundinnen.Ich kam m irplötzlich ganz überflüssig vor.Ich hätte w irklich in Am sterdam bleiben sollen,JoostRitm ans K abbala-Blätteranschauen,vergiß M ünchen,m orgen w ird das Feuilleton derRepublik H ans Lach feiern,erw ird Interview s und Interview s geben,das arm e Schw ein,derw irkliche M örder,w ird sein G eständnis herausstottern,die M uttereine Prostituierte,eraufgew achsen im W aisenhaus,vom K aplan vergew altigt,seitdem siebzehnten Lebensjahrstraffällig,m itachtundzw anzig – grade w iederm alausdem K nastentlassen – schreibtersein Leben auf,schicktdasM anuskriptA ndré Ehrl-K önig,derläßtihm durch seine Sekretärin m itteilen,daß erkeine A nlaufstation seifürverpfuschte Biographien,also keim tin dem K nastheinieine W ut,ersiehtEhrl-K önig im Fernsehen,erfragtsich durch,ein Pförtner verrätihm ,w o gefeiertw ird,nichtsw ie hin,gew artetim fallenden Schnee,bisderStarkom m t, zugestochen ... Entschuldigen Sie,bitte,daß ich gekom m en bin.D askonnte ich auch nichtsagen.Esw ar übereilt.Ein G efühleben.G efühle sind im m erübereilt.G efühle dürfen übereiltsein.G efühle m üssen übereiltsein.Basta.Zum G lück brauchte erm ich nicht.W ashätte ich denn tun können fürihn? A berersah m ich nichtan,alsw ollte ersagen:W as w ollen denn Sie hier.Ersah m ich ruhig an.Tendenzlos.Fastohne jede Stim m ung.Erkratzte m iteinerH and aufdem H andrücken deranderen.Ernahm m irnichtsübel.D aß w irbeide so sitzen konnten,ohne etw aszu sagen,daß diesesN ichtssagen überhauptnichtpeinlich w ar,dasem pfand ich alseine A rtÜ bereinstim m ung m itihm .Erfand,daß ich gekom m en w ar,nichtaufdringlich.M itw em hätte ich eine Stunde lang so sitzen können,ohne etw aszu sagen!M itw em hätte er...ach,erschon eher,erw ares vielleichtgew ohnt,daß m an,w enn ernichtssagte,auch nichtssagte.W enn ich,obw ohlerso deutlich nichtssagen w ollte,doch angefangen hätte,etw aszu sagen,irgendeinen V erlegenheitsquatsch,dann hätte ich die Situation verfehlt.D ie Prüfung nichtbestanden.D asist eben so.D erProm inente kann sich benehm en,w ie erw ill,erbenim m tsich richtig.N urdu kannstetw asfalsch m achen.Selbstw enn du diesesRitualüberhauptnichtanerkennst,du verhältstdich doch genau so,w ie es von einem w ie direrw artetw ird.A berjetztseizufrieden, daß du einerSchw eigestunde verlegenheitsfreistandgehalten hast.M ensch.Freibleibend.W as solldas jetzt? W eiß nicht.Einfach das W ort,das m ich jetztanzieht.Freibleibend ... Es w arderBeam te,dersagte,es seiZeit.Ich fand es erstaunlich,daß erdas Schw eigen nicht kom m entierte.Erhätte doch sagen können,erw isse eszu schätzen,daß die beiden H errn ihn so garnichtbeiseinem A ktenstudium gestörthätten.A berdaß erdasSchw eigen garnicht erw ähnte,w arnoch besser.N iveau,dachte ich,derH errO berregierungsrathatN iveau.Beide gingen m itm irbiszum Pförtner.D a ich nichtjetztnoch etw asdurch banalen Sarkasm usoder
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halbgare Ironie verderben w ollte,verabschiedete ich m ich sozusagen so stum m ,w ie ich bis dahin gew esen w ar.A berich verm ied es,das N ichtssagen pathetisch w erden zu lassen. HansLach zog ganz zuletztnoch ein paarSeiten,von H and beschriebene,aus seiner Jackentasche und übergab sie m ir.Sein Blick dazu w arnichts als sachlich.D raußen in der beglückend kalten W interw eltm erkte ich erst,w ie w arm es da drinnen gew esen w ar.W ie oftbei Behörden,überheizt.A ufderH eim fahrtw urde m ir(w iedereinm al)bew ußt,w ie w enig m an von sich braucht,um ein A uto durch eine Stadtzu lenken,die m an kennt.Ich dachte nuran ihn,sah nurihn vorm ir,w urde nichtfertig m itihm ,w eil,w asm irdortalsRuhe vorgekom m en w ar,jetzt garnichtm ehrso vorkam .Tendenzlos,ja.A berruhig? Sein Bild in m einerV orstellung,sein im m erungeschütztw irkenderBlick,die rötlichen H aare,kurze,sich gleich w iederdem K opf zubiegende H aare,rötlich grau.W ürde ersie w achsen lassen,garnichtvorstellbar,daß das je lange H aare w ären.Eine zu hohe,zu runde Stirn.Flache A ugenhöhlen.A ch,H ansLach.Ich schaute und schaute ihn an.U nd w ußte doch,daß erm irnichtruhig gegenübergesessen hatte, sondern ...Rauchend.N ichteinm aldie von ihm gerauchten Zigaretten hatte ich gezählt.U nd hätte w irklich Zeitgehabt.N a ja.H ansLach.Ich m ußte durchprobieren,w ie dieserN am e in den m irgeläufigen europäischen Sprachen klingen w ürde.Suchte ich eine Fluchtm öglichkeit? Ich hoffte,nicht.
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A m m eisten istG ern noch das,w aseseinm algew esen sein m uß,w enn derSchnee alleszudeckt, allesneuerdingsD azugebaute.U nd dasgelingtdem Schnee fastjeden W interein-,zw eim al. W enn dann die Straßen nichtgeräum tw erden,die schw arzen M enschen,G leichgew icht suchend,durch die Luftrudern,dann kann ich arbeiten.H ätte ich arbeiten können,w enn ich nichtin dieses G eschehen hineingeraten w äre. Ich kam heim und m erkte,daß ich im m ernoch nichtw ußte,w ie esH ansLach ging.D ieses Schw eigen.A ch w as,Schw eigen.D a lerntm an W örterkennen!W enn sie nichttaugen!D ieses V oreinandersitzen und N ichtssagen.D askann m an doch nichtSchw eigen nennen.Ertatm ir leid.D as w ares.Jetzterstgestand ich es m irein:ertatm irleid,w eilich glaubte,daß eres getan haben könnte.Fürm ich w aresim m erdie fürchterlichste V orstellung überhaupt:jem anden um gebrachtzu haben.M anchm al– sehrselten zum G lück – träum te ich das:du hastjem anden um gebracht,m an istschon aufdeinerSpur,du siehstdeinerÜ berführung entgegen,du m ußt,um daszu verhindern,noch jem anden um bringen.D ie Tage nach solchen Träum en sind im m erdie glücklichsten Tage überhaupt.D en ganzen Tag könnte ich sum m en vorG lück:du hastkeinen um gebracht,H alleluja. Ich w arvon A m sterdam so jäh w eggefahren,ich m ußte soforthinausnach Stadelheim ,w eilich glaubte,erkönnte esdoch getan haben.U nd fürchterlicherkonnte nichtssein.A lso hin zu ihm . D ann sitzen und nichtssagen.Einfach w eilm an,w enn jem and jem anden um gebrachthat,nichts m ehrsagen kann.Jetztm erkte ich,daß m irderTote kein bißchen leid tat,nurderTäter.D er Tote leidetdoch nichtm ehr.A berderTäter...derkann keine Sekunde lang an etw as anderes denken als an die Sekunde derTat.Ich m üßte m ich,w enn m irdas passierte,sofortselber um bringen.N icht,um m ich zu strafen,nicht,um zu sühnen.N urw eilesnichtauszuhalten w äre, diesesew ige,unablässige D randenkenm üssen.U nd dersaß m irgegenüber,sah m ich an,ruhig. D as habe ich m ireingeredet.Ruhig.Erw arerledigt,zerquetscht,erhatte sicherim m ernoch keinen ruhigen Schlafgefunden.D ie A ugen.Jetzterstverstand ich diesen Blick.D ieses vollkom m en Tendenzlose.K eine G esellschaft,bitte.K eine Teilnahm e.A chten Sie,bitte,m ein N ichtinfragekom m en füralles.Ich kom m e in Frage nurnoch fürnichts.U nd diesen A usdruck hatte ich fürruhig gehalten.H alten w ollen.Etw asU nw iderruflichesgetan haben. Ich konnte nichtsitzen bleiben,m ich nichtvom W interbild draußen einw iegen lassen,ich rannte im Zim m erhin und her,bism irLachs H andgeschriebenes einfiel.U nd las.Es w aren Seiten eines
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D IN A 5-Blocks.M itLinien,an die sich derSchreiber,w eilsie ihm zu w eitauseinanderstanden, nichtgehalten hat.D ie H andschriftw arschw erlesbar. LieberM ichelLandolf,las ich,hierein paarN otate aus derEttstraße.Zw eiTage und zw ei N ächte.Bitte,aufbew ahren fürw asauch im m er.H erzlich IhrEx-N achbarLach. Ich las:
Versuch über G röße.Zuerstdas G eständnis,daß D enken m ir nichts bringt.Ich bin auf Erfahrung angewiesen.Leider.Erfahren gehtja viellangsam er als denken.D enken kann m an schnell.D enken gehtleicht.D enken istkeine Kunst.D enken istgroßartig.D urch D enken wird m an H err über Bedingungen,unter denen m an sonstlitte.Alldas istErfahren nicht.Nach m einer Erfahrung,der ich neuestens bis zur U nerträglichkeitausgesetztbin.In einem Satz gesagt:Im m er öfter m erke ich,daß M enschen,m itdenen ich spreche,während wir m iteinander sprechen,größerwerden.Ich könnte auch sagen:Ich werde,während wirsprechen,kleiner.D as isteine peinliche Erfahrung.U nd am peinlichsten,wenn das öffentlich vor sich geht.In einem Restaurant.O der – am allerschlim m sten – im Fernsehstudio.Katastrophal...Aber – und das ist die neueste Erfahrung überhaupt– auch wenn andere Leute in einer gewissen Artüber m ich sprechen,werde ich kleiner.U nd das,ohne daß ich m itdiesen Leuten zusam m en bin oder auch nur weiß,daß die gerade über m ich sprechen.Ich sitze zu H ause an m einem Arbeitstisch,und wenn ich aufstehen will,reichen m eine Füße nichtm ehr aufden Teppich hinab,aufdem m ein Schreibtischstuhlsteht.D as istnichtso schlim m ,weilich aufm einem Keshan,wenn ich vom Stuhlhinunterspringe,weich lande.U nd – das istbeidieser Erfahrung das W ichtigste und eigentlich auch das Schönste – nachts regeneriere ich m ich.Jeden M orgen,wenn ich aufwache, habe ich wieder m eine alte G röße.Bis jetzt.Einszweiundachtzig.Seitich diese Erfahrung des Schrum pfens und W iederwachsens m ache,m esse ich m ich jeden Tag.Tatsächlich genügtes,um wiederdie Norm algröße zu gewinnen,nicht,wach im Bettzu liegen.Ich m uß schon schlafen. U nd nichtjeder Schlafbringtgleich vielRegeneration.Inzwischen m esse ich m ich abends und m orgens.W enn m ir abends öfter m alzehn Zentim eter fehlen,fehlen m ir nach nichtganz störungsfreiem Schlafdoch noch zweioder dreiZentim eter.Ich habe von Schuhen gehört,die so geschaffen sind,daß m an in ihnen zweibis dreiZentim eter größer ist,und m an erkenntvon außen nicht,daß es sich um eine Schuhkonstruktion handelt.Nach so etwas werde ich jetztauf jeden Fallsuchen.Nach traum losem Schlaf,in den die W eltalso nichthineinwirkt,habe ich im m er m eine einszweiundachtzig.Ich glaube noch nicht,daß das G anze ein Problem für den Psychiater oder Psychotherapeuten ist.Ich werde dieser Erfahrung m itAufzeichnungen folgen, sie dadurch anschaubarund vielleichtsogarüberwindbarm achen.Allerdings:Erfahrungen sind 12
nichtso leichtbeherrschbar wie das D enken.D urch D enken herrschtm an ja selber. Erfahrungen istm an eher ausgeliefert.Aber sie aufzeichnen,hilft.D as istauch eine Erfahrung.
So w eitw arich gerade,als das Telephon läutete.K rim inalhauptkom m issarW edekind vom K 111.D erLeitereinerM ordkom m ission fürvorsätzliche Tötungsdelikte,jetztbeauftragtm itden Erm ittlungen im FallEhrl-K önig/Lach.V on m einem Schw eigebesuch hatergehört,erbittet m ich,trotzdem nichtaufzugeben.Ich seiim m erhin dereinzige von allen,die um Besuchserlaubnisgebeten hätten,den H errLach em pfangen habe.M ich und seine Frau Erna, alle anderen habe erabgelehnt.Erm üsse seinen Schw eigestreik beenden.D asseiüberhaupt keine Taktik,die Erfolg haben könne.W ahrscheinlich spekuliere Lach darauf,daß w irohne Leiche keine A nklage zustande bringen.D a täuschtersich.W irhaben den blutgetränkten PulloverdesO pfers.D ie Schneem assen in derM ordnachtbegünstigen m om entan den Täter,und in einem Poeten kann das die Illusion fördern,derSchnee w erde,w as erin dieserN achtbegrub, im Frühjahrm itsich nehm en.V ielleichtistdie Leiche überdie Thom as-M ann-A llee hinüberund dann die steile Böschung hinunterund noch übersU fergelände biszurIsargeschlepptund dann derIsaranvertrautw orden.D erTäterhatw irklich G lück gehabt.Fastfünfzig Zentim eter N euschnee in dieserN acht.V ielleichthaterden W etterberichtgekannt.A berw erw eiß,w as die Schneeschm elze dann entblößen w ird.D as alles hatsich H errLach von m irschon sagen lassen, und hatdazu geschw iegen.A berIhnen haterSchriftlichesm itgegeben.V erzeihen Sie einem Polizisten,w enn erneugierig fragt:H aben Sie’sschon gelesen? Ich w argerade durch,alsIhrA nrufkam . U nd? fragte K H K W edekind. A ufzeichnungen ausderEttstraße. D a haben w irihn fürachtundvierzig Stunden untergebracht,sagte H errW edekind. Ersprach m itm ir,als w isse ersicher,daß ich,w ie die Polizei,an derraschen A ufklärung dieses Falls interessiertseiund,so gutich könne,m itarbeiten w erde.D aß H ans Lach derTätersei,der nurnoch überführtw erden m üsse,schien festzustehen.H errW edekind w argerade dabei,H ans LachsBücherzu lesen,da w erde erH errn Lach genauerkennenlernen,alsdem lieb sein könne. Ich m öge bitte nichtm einen,erhabe etw asgegen H errn Lach oderH errLach seiihm auch nur im m indesten unsym pathisch.Esgebe natürlich fürden LeitereinerM ordkom m ission für vorsätzliche Tötungsdelikte auch Fälle,die den Beam ten zum engagierten V erfolgerdesTäters m achten,D elikte,in denen dasO pfergrausam oderbestialisch und ausniedrigsten M otiven hingem ordetw orden sei,dergleichen liege hierja überhauptnichtvor.U nd trotzdem liege M ord vor.A bereben ein M ord derfeineren,w enn nichtderfeinsten A rtüberhaupt.D erTäterein 13
K ünstler.U nd sovielverstehe er,derK H K ,auch von K unst,insbesondere auch von Literatur– erseiein Leser,w enn auch,bisherw enigstens,kein Lachleser,aberdas ändere sich ja gerade –, daß ereinen Schriftstellerdurchausauch alsein O pferzu sehen im Stande sei.W enn auch nicht im strafrechtlichen Sinn.Im A ugenblick lese er,ja,durchforsche ergeradezu Lachsvorletztes Buch D er W unsch,Verbrecher zu sein.D erautobiographische A nteilseiunübersehbar.Erhabe aberzuerstLachsletztesBuch lesen m üssen,M ädchen ohne Zehennägel.Seine bisherigen Erm ittlungen – bitte,ohne auch nurdie geringste M itw irkung Lachs– könnten ihn verm uten lassen,dieses Buch,das heißt,die A rtw ie A ndré Ehrl-K önig in derSPRECH STU ND E dam it um gegangen ist,habe alles,w assich in Lach gegen Ehrl-K önig angesam m elthaben kann,in den Zustand einerjähen Entzündung versetzt,dann habe ereben seine Fassung verloren und so w eiter.D ie Party in derV erlegervilla in Bogenhausen,die nach derSendung im m erstattfinde, w enn m an die rekonstruieren könnte,w äre derFallgelöst,m an könnte ihn H errn Lach sozusagen alsM anuskriptvorlegen,erm üßte nurnoch unterschreiben.Er,K H K W edekind,w olle m it diesen A ndeutungen nureinserreichen:H errn Landolfbitten,dranzubleiben,sich durch keine Reaktion Lachsabschrecken zu lassen.JederM ordfallseieine Tragödie.U nd zw arim vollen historischen Sinn dieses W ortes.A beres seiuns einfach nichtgestattet,eine solche Tragödie geschehen zu lassen,ohne zu versuchen,ihrgerechtzu w erden,w as sovielheiße w ie,seine Stim m e w urde jetztganz leise:W irm üssen sie aufnehm en,in unsere Sprache,in unsere ganze daraufvorbereitete Tradition,w irm üssen sie uns zu eigen m achen,durch Teilnahm e,w erter H err,und den,dem sie passiertist,aus seinerentsetzlichen Isolierung erlösen.G lauben Sie m ir, so etw as kann einerallein nichttragen.D afürgibtes uns.D ie sogenannte M enschheit. Entschuldigen Sie,bitte.Ich sagte:Ich bitte Sie.D ann schaltete erw iederum .Ihm seiberichtet w orden,daß sich H errLach in derG em einschaftszelle in derEttstraße ausschließlich m iteinem BenediktBreithauptbeschäftigthabe,derzurZeitfasttäglich von Stadelheim dorthin zu V ernehm ungen überstelltw erde.Seine,W edekinds,Frage nun:G eben die handgeschriebenen Seiten überdieses intensive M iteinanderreden irgendeine A uskunft.M ituns,Sie,H errLandolf, eingeschlossen,kein W ort,m iteinem iksbeliebigen U ntersuchungshäftling stundenlanges G etuschel. Ich w ußte nicht,w arum ,ich w ußte nur,daß ich dasm irA nvertraute jetztnichtw eitergeben sollte.G enau so sagte ich es.D erK H K zeigte oderheuchelte V erständnis.A berda w irdoch sichernoch m iteinanderzu tun hätten,lade erm ich ein,einm alzu ihm in die D ienststelle zu kom m en.In die Bayerstraße,w o die M ordkom m ission logiere.Erhoffe nicht,daß dasW ort M ordkom m ission m ich abschrecke.A lso. Ja,sagte ich,w arum nicht. 14
N a ja,w arum dann abernichtgleich,sagte er.N ach seinerErfahrung altere alles,w asm iteinem Fallauch nurentferntzu tun habe,ungeheuerrasch.D abeibleiben,dran bleiben,dasseinicht nursein Rezept,sondern sein Bedürfnis.Erw ürde,solange so ein Fallnoch ein blühendes Rätsel sei,die D ienststelle am liebsten überhauptnichtm ehrverlassen.A lso:W ann seh ich Sie.A m N achm ittag,sagte ich.Erw iederholte fastsingend:A m N achm ittag!So kann sich nurein Freischaffenderausdrücken.A bererfinde das ansteckend.D ienststellendienstzeitseivon siebenuhrfünfzehn bisfünfzehnfünfundvierzig.K äm e ich um halb vier,dann hätten erund ich Ruhe und könnten gründlich reden. A lsich aufgelegthatte,ging ich an m ein rundbogigesvon Sprossen schön eingeteiltes G roßfensterund sah hinausaufdie die Straße säum enden Schneebäum e,aufdie hohen Schneeborten,die alle Zäune und A utos zierten.V erschneitkann es das V iertel,w as Stille angeht,m itjedem W interw ald aufnehm en.H ansLach hatw irklich G lück gehabt.U nd hatim m er noch G lück.O ftgenug folgtaufeinen solchen ausgiebigen Schneefallin M ünchen ein W ärm eeinbruch,derFöhn schm ilztin ein paarStunden alle Schneelasten w eg,die ganze Stadt rauschtnurso vornichtschnellgenug abfließen könnendem Schneew asser.Jetztaber,nach w ie vorkalt,die Schneedecke hältsich.Ich unterstellte H ansLach also auch schon,daß eresgetan habe. Ich holte ausdem Regal:D er W unsch,Verbrecher zu sein. Ich hatte in dieses Buch,als es vorzw eiJahren erschienen w ar,zw arm anchm alhineingeschaut, abernie lange darin gelesen.D erU ntertitel:Flüchtige Notizen hatte m ich abgeschreckt.D ann auch die ...ja,die TonartdieserNotizen.Ich hatte gedacht:Ernim m tsich w ichtigerals erist.A ls ich dasBuch jetztw iederaufschlug,dachte ich,daß das doch m enschenüblich sei,sich w ichtiger zu nehm en alsm an ist.G ew isserm aßen lebensnotw endig.A lso verständlich,w enn schon nicht verzeihlich.Ich fragte m ich,ob m an auch noch schriftlich bezeugen m üsse oderdürfe,daß m an sich w ichtigernehm e alsm an sei.Jetztaberhatte ich sovielA nlaß,dasBuch aufzuschlagen w ie derK H K . Ich las querdurch:
Ein Tag,an dem die M aske verrutschte.Jetzthastdu zu tun,sie wieder zurechtzurücken.D as gelingtnur m itVerletzung der M aske und des G esichts.Paß also aufdas nächste M al,wenn du wieder an deiner M aske zerrst.H ände weg von der M aske.
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Es gibtnichtwenige,die achte ich m ehr als sie m ich.Ich verharre gern beidieser D ifferenz.Es tutm ir geradezu gut,sie m ehr zu achten,als sie m ich achten.W ahrscheinlich glaube ich,daß ich schon deswegen ihre Achtung,die sie m ir vorenthalten,verdienthätte.
Erkann sich nichtwegwenden von sich,solange erso schwach ist.D erVerliereristunersättlich m itsich selbstbeschäftigt.D er Sieger wendetsich neuen Aufgaben zu.
W enn du ein bißchen herausgehstaus dir,bistdu sofortunm öglich.
M ein Feind läßtam H orizontdie W affen blitzen.Es gibtnichts,das ihm nichtdiente.
Schriftsteller sind ununterbrochen (und ununterbrechbar)m itdem Notieren ihres Alibis beschäftigt.
G estern nachtvom M ord geträum t,wieder vom längstgeschehenen.Nichts vom O pfer.Nur die Angst,entdecktzu werden.D iesm aldas O pfer im eigenen H aus vergraben.Einzige Chance, nichtentdecktzu werden:ausgraben und irgendwo weitweg loswerden.D as istdoch vorstellbar.D as m uß gehen.Aber eben dabeikann m an,m uß m an entdecktwerden.D ie Angst quältso,daß m an sich wünscht,das Entdecktwerden endlich hinter sich zu haben.Aufwachen. W ie im m er,froh,weiles doch nur ein Traum war.
D u bistfroh,daß D eutschland aus der Fußball-W M ausscheidetim Viertelfinale gegen Bulgarien,weildu einen G egner hast,der fanatisch aufden deutschen Sieg hofft.D en trifftdie deutsche Niederlage m ehr als dich,deshalb bistdu glücklich über die deutsche Niederlage.
Er hatsich lange genug beherrscht.Im m er hater stattandere sich selber verletzt.
Er m uß in Träum en jetztöfter Leichen verstecken,und wo im m er er eine Leiche hinbringt(unter das H otelbettzum Beispiel),liegtim m er schon eine andere Leiche,die nichtvon ihm stam m t.
Als er sich hineinfühlte in seine Verbrecherhaftigkeit,fühlte er sich wohl.Solange er es nicht gewagthatte,Verbrecherzu sein,hatte ersich Vorwürfe gem acht,hatte sich überspanntgefühlt, gespalten.Seiter sich annahm als Verbrecher,war er einig m itsich selber.Vielleichtkönnte er jetztsogar wieder etwas genießen.Vorher war ihm im m er alles durch Vorwürfe,die er glaubte, 16
sich m achen zu m üssen,verdorben worden.Als anständiger M ensch durfte er ja an allem ,waser tat,keinen G efallen finden.
Alles,was er tat,war vorwerfbar,schlecht.Als Verbrecher m ußte er sich keine Vorwürfe m achen.
Ich w urde gestört. D asK om m issariat111,eine Frauenstim m e,H errK rim inalkom m issarM eisele w olle m ich sprechen,sie verbinde.D ann H errM eisele im heitersten Ton.Tutihm leid,w enn erm ireine N achrichtverklickern m uß,die m ich sichernichtnurerfreue.Sein großerK ollege W edekind könne m ich heute nichtm ehrem pfangen,m üsse dasG espräch,an dem ihm gelegen,sehrviel gelegen sei,verschieben.In derH offnung auf m ein V erständnisbitte sein großerK ollege W edekind um eben diesesV erständnisund m elde sich w ieder.O b die Botschaftangekom m en sei.D as bestätigte ich.D ann seies ja gut.D as seim ehrals er,derK K M eisele,seinerseits habe erhoffen können.D ann fastschroff:G uten Tag.U nd aufgelegt. N a ja,ob m irderK H K w irklich dashätte erzählen können,w oraufesm irangekom m en w äre? Ich w ürde m ich selberaufden W eg m achen m üssen.Im W unsch,Verbrecher zu sein w ollte ich jetztnichtw eiterlesen.
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Eine W oche nach derdann abgesagten U nterredung m itK H K W edekind hatte derw ieder angerufen,hatte sich darübergew undert,daß ich die V erabredung ohne w eitere M itteilung einfach habe ausfallen lassen.Ich klärte ihn auf.A ch,sagte er,derarm e,derelende M eisele. U nd erklärte m ir,daß auch beiihnen derZw ang erfolgreich zu sein,im m erspürbarerw erde. M eisele rudere seitW ochen in einem Fallherum ,eshabe ja zuerstauch in den Zeitungen gestanden,ein M aschinenschlosser,zerfressen vom Ehrgeiz,Ingenieurzu sein,hateinen N obody erschossen,w ahrscheinlich aus ethno-ästhetischen G ründen,derTäterhabe m itH ansLach in der G em einschaftszelle in derEttstraße genuschelt,und seitdem w iderrufe eralle paarTage das,w as ergerade noch gestanden hatte,so kom m e derarm e M eisele überhauptnichtw eiter,und habe jetzt,w ahrscheinlich ausunzurechnungsfähig m achenderV erdrossenheit,versucht,ihm ,dem K H K ,das Spielauch zu verderben.D as w erde fürden A rm en leiderdesaströse Folgen haben, eine V ersetzung m indestensnach Freising oderStraubing.A nfangsseiM eiselesTätereher geständnissüchtig gew esen.Er,W edekind,verm ute,daß Lach diesen Breithauptindoktriniert habe und ihn beiden H ofgängen in Stadelheim w eiterindoktriniere:gestehen,w iderrufen, gestehen ...biszurvölligen A ufhebung jedw eden Sachverhalts.Ihm ,W edekind,kom m e dasvor, als liefere H ans Lach da eine V ariante zu seinem Schw eigen.D erErm ittler,hierderarm e M eisele,w erde zurSchreibkraft.Er,K H K W edekind,verm ute,daß M eisele naiv genug sei,ihm , W edekind,einen Fallzu neiden,beidem derw ahrscheinliche Täterund das O pfer gleicherm aßen prom inentsind.So zu denken seitypisch füreinen fastprinzipiellSubalternen w ie M eisele.Er,W edekind,verspüre die Prom inenz abw echselnd als G as und als Brem se. Ich w arim A ugenblick nichtw ichtig fürihn,w eilererfahren hatte,daß H ansLach auch m ich nichtm ehrzu sich ließ.A ußerseinerFrau Erna w olle erniem anden sehen.A berauch ihr,so der K H K ,sitze erw ortlos gegenüber.SeinerFrau aberhabe erdas,w issend,daß der O berregierungsratzuhöre,erklärt:Ergehöre zu einerV ogelart,die in G efangenschaftnicht singe.W edekind sagte,H ansLach seifürihn,den Erm ittler,die Provokation schlechthin.Ihm seiausderK rim inalgeschichte kein V erdächtigerbekannt,derkein bißchen an seiner V erteidigung interessiertzu sein scheint.A berergebe nichtauf.V on ihm w erde jetztverlangt, H ansLach ausseinerErstarrung zu lösen,ihm beizubringen,daß nurein G eständnisein W eiterleben erm ögliche.D ie Schuld beisich behalten w ollen,das seieine A nm aßung,eine tödliche A nm aßung.
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Beidiesem G espräch begriffich m eine Rolle.Ich,derG egenspielerW edekinds.Erw illdie Schuld bew eisen,um H ansLachszu erlösen natürlich,ihn w iederaufzunehm en in die M enschheit,ich m uß die U nschuld bew eisen.Eristüberzeugtvon H ansLachsSchuld,ich bin überzeugtvon seinerU nschuld. Ich m achte m ich aufden W eg.Ich m ußte die Tatnachtrekonstruieren.U nd dasheißt:die Party in derV erleger-V illa.U nd ich habe sie rekonstruiert.Party-A rchäologie habe ich betrieben.W ie verläßlich sind die W ände,die von Pom pejierzählen,verglichen m itdem ,w as Intellektuelle übereinen solchen A bend berichten.Ich habe nichtversucht,w as ich erfuhr,fürirgendeine V erm utung in D ienstzu nehm en.Ich habe m ich einerA rtEm pfindungsaskese unterw orfen. V ielleichtw ürde sich,aus allem ,w as sich erfahren ließ,irgend etw as Bestim m tes ergeben.N ach etw asBestim m tem zu fragen odergarzu fahnden,habe ich m irverboten,diesesV erbothabe ich m irvorjedem G espräch w iederaufgesagt.W enn H ansLach unschuldig ist,und dasisterganz sicher,dann m ußte sich ausdem ,w assich beim irzusam m enfand,ergeben,daß ernichtder Tätersein konnte.U nschulds-Indizien,und zw arIndizien einerhöheren Q ualitätals blutgetränkte Pulloverund zugeschneite Spuren im Schnee.D ie Erm ittlerhatten den Schnee im H ofderV erleger-V illa und aufderThom as-M ann-A llee,sow eitdie V illa an sie grenzt, w egblasen lassen,um m ehrere Phasen dieserN achtvon einanderunterscheiden zu können,also etw a Fußspuren um M itternacht,die späterzugeschneitw urden,von solchen unterscheiden zu können,die von G ästen stam m ten,die erstum zw eiU hrm orgensdie Party verlassen hatten.D ie letzten hatten die V illa um fünfU hrm orgensverlassen.Ehrl-K önig selberw arschon kurz nach zw ölfgegangen.O b erallein gegangen seioderob Cosim a von Syrgenstein m itihm gegangen sei,w arden einen so,den anderen anders in Erinnerung.D iese CosiG enannte selberw arnicht aufzufinden.Sie hatte allerdings,bevorEhrl-K önig die V illa betreten hatte,zu m ehralseinem gesagt,sie fliege am nächsten Tag w eitfort.W ohin und m itw em ,hatte sie nichtdazugesagt. BerntStreiffw ollte gehörthaben:A ufeine Insel. ZurSache selbst.D ie Intellektuellen huren heute m itderÖ ffentlichkeitgenau so w ie vorherm it G ott.W erdas füreinen V orw urfhält,w eiß nicht,w as G ottw arund w as die Ö ffentlichkeitist. W ochenlang w arich unterw egszu den K ulturm enschen jederA rt;abernurzu solchen,die auf derParty in derPILG RIM -V illa gew esen w aren.Ich habe im m erschriftlich erbeten,kom m en und fragen zu dürfen.M ein M otiv:H ansLachsim m ernoch w ährendesSchw eigen.Ich nannte es auch sein alarm ierendesSchw eigen.U nd im m ersagte ich dazu,daß ich m itH ansLach befreundetsei. Ich w ollte anfangen m itderPerson,die den größten Ü berblick hatte,die gründlichste K enntnis und vielleichtsogardasheftigste Bedürfnisnach A ufklärung:Frau Julia Pelz,selberD ichterin 19
und V erlegergattin.Sie w eist,w ie ich von ProfessorSilberfuchs w eiß,beijedem G espräch daraufhin,daß ihre Lyrikbände nichtbeiihrem M ann erschienen sind,sondern beiSuhrkam p. D aß das jederw eiß,w eiß sie auch.D aß sie im m erdaraufhinw eisen m uß,w ird,w enn sie erw ähntw ird,im m eralsihre Charakteristik dazugesagt.Silberfuchs:W enn sie sich von ihrem M ann verlegen ließe,könnte sie’sgleich bleiben lassen.U nd fügte leise,obw ohlkein M ensch in derN ähe w ar,hinzu:D as sollte sie,sagen m anche,sow ieso.Er,sagte Silberfuchs,sage das nicht.W enn jem and schon G edichte schreibe,dürfe erdie auch gedrucktsehen.D asseiein M enschenrecht.G edichte zu schreiben seisow ieso A usdruck einerw eitreichenden,jedes M itgefühlverdienenden Schw äche.D ie könne,w enn überhaupt,dann nurdurch G edrucktw erden gelindertw erden. Zu allererstsprach ich dann doch,einfach,w eilw ireinanderschon kannten,m itSilberfuchs,der m itderLach-Prägung Silbenfuchsbesserbezeichnetist.Erw ird esm ir,dashabe ich m itgekriegt,nichtverübeln,w enn ich beiSilbenfuchs bleibe. W o reden w ir,fragte ich am Telephon.G ern in G ern,sagte erund lachte sein im m erbereites Lachen.O ftgenug erw ähnter:Ich kom m e ausBingen am Rhein. A lso beim ir,sagte ich. Ich lernte herauszuhören,ob m ein jew eiligerG esprächspartnerH ans Lach die Tatzutraute oder nicht.K einersagte:Erw ar’s.N atürlich auch Silbenfuchs nicht.Interessantw aren die Einschränkungen derjew eiligen Bezeugung derLachschen U nschuld.Tenor:W erkenntschon den M enschen!Istnichtjedervon unsein M örder,derseine Tatnichtbegeht!BerntStreiffging, beieinem ersten Telephongespräch am w eitesten.W enn er,Streiff,D EM ,näm lich Ehrl-K önig, begegnetw äre direktnach derSendung,in derEhrl-K önig ihn,Streiff,den unbarm herzigsten Langw eilerderdoitschen G egenw artsliteratürgenannthatte,w enn diese Begegnung aufeiner eherdunklen Straße stattgefunden hätte,dann hätte er,Streiff,fürnichtsgarantieren können. U nd zitierte den Satz,den jetztalle zitierten,den Satz,mitdem Ehrl-K önig an dem bew ußten A bend seine SPRECH STU ND E eröffnethatte.Ich hatte m irnatürlich inzw ischen eine K assette besorgtund die Ehrl-K önig-Sendung nichtnureinm al,sondern täglich einm alangesehen.Ich habe dasA uftritts-Zerem oniellstudiert.D asLichtim Zuschauerhalbkreisistfastw eg,nicht ganz,die Leute sollen einanderw ahrnehm en,erleben können.Ehrl-König kom m tin einem scharfbegrenzten Lichtschachtam Rand derSitzreihen herein,betrittüberdreiStufen die Bühne,hinterihm seine TV-A ssistentin Beatrice,von derderProfessorsagt,sie heiße in W irklichkeitInge.Beatrice w artet,bis erüberzw eiw eitere Stufen zu seinem Sesselsteigt.D er istschön im itiertes Em pire,helles H olz,m an sollan M arm ordenken,goldene Rillen und Blätter, Zeus-Sym bole (A dlerund Blitz),die vierFüße,auslaufend in Löw entatzen,die aufvier 20
Büchersockeln stehen.V ielleichtA ttrappen.A ufjeden Fallsinken die Löw entatzen ein bißchen in die ledernen Buchdeckelein.D ie Buchrücken sind so beleuchtet,daß m an lesen kann,w orauf Ehrl-K önig thront:FAU ST,EFFIBRIEST,ZAU BERBERG ,BERLIN ALEXAND ERPLATZ.D er A uftrittistvon M usik begleitet.H ändel,irgendeine Festm usik.Ehrl-K önig stehtfastfeierlich neben seinem Sessel.Sobald die M usik aufhört,nim m tergestenreich Platz.M an m erkt:aus H ochachtung vorderM usik isterstehengeblieben.N eben dem Thronsessel.Sobald ersitzt,geht Beatrice zu einem Tisch,holtvon dortein Buch und reichtesihm .Ernim m tes,kann esaufein hochbeinigesTischchen legen,w enn eresnichtm ehrin den H änden halten w ill.K ann esaber, um etw as dam itzu bew eisen,jederzeitw iederin die H and nehm en.D erÜ berraschungsgast w ird,sobald Ehrl-K önig dasBuch in H änden hat,von Beatrice hereingeführtund darf aufeiner A rtBarhockerm itRundlehne so Platz nehm en,daß ersow ohlzu Ehrl-K önig hin w ie zum Publikum hin agieren kann.Beatrice selbersetztsich hinten an die Seite,verfolgtalles aufm erksam und scheintjederzeitbereitzu w eiteren D iensten.Sobald derÜ berraschungsgast m itdeutlicherG este von Ehrl-K önig begrüßtistund sich gesetzthat,sagtEhrl-K önig (offenbar jedesm al):Spätkom m ich,doch ich kom m e.D asistdasSignalfürdie Leute im w eiten H albkreis:alle klatschen begeistert.Erlächeltgenießerisch.D ann kom m tdererste Satz.D en Eröffnungssatz kannte ich,alsBerntStreiffihn m irvortrug,längstausw endig:W arum sollH ans Lach,solange ereinen V erlegerhat,derschlechte Büchergutverkaufen kann,gute Bücher schreiben? U nd sein im w eiten H albkreisvorihm ,fastum ihn herum und ein wenig unterihm sitzendesPublikum lachte.U nd er:Ja,Sie lachen,m eine lieben D am en und w erte H erren,das letzte M al,Sie erinnern sich:Botho Strauß w ardran,habe ich eröffnet:W erberühm tist,kann jeden D reck publizieren!Ich w ette m itIhnen,um w as Sie w ollen,daß jetztschon ein Professor dabeiist,m irzu bew eisen,daß ich überpointiere,um nachherüberallzitiertzu w erden.D a kann ich nursagen:H errProfessor,unterpointieren liegtm irnicht.U nd alle lachten.Erhabe sich nichtgem eintgefühlt,sagte ProfessorSilbenfuchs,aberdaß Ehrl-K önigsEröffnungen nachher jedesm alZitatgutw erden,seinichtsalsw ahr.A berdoch eherm ündlich alsschriftlich.M ündlich eben,w eilEhrl-K önig so leichtzu im itieren ist,daß es dazu keinerschauspielerischen Begabung bedarf.Silbenfuchsist,w ie erselberbetont,ausPflichtgefühlim m ervom tröpfelnden A nfang biszum prasselnden Ende in derSzene,w o denn sonstkönne ein LiteraturprofessorLiteraturso aufschäum end lebendig erleben w ie in derPILG RIM -V illa.Silbenfuchs genoß es sichtlich,m ir die D etailseinersolchen Party servieren zu können w ie H äppchen von einerfeinen Platte.W enn also Ehrl-K önig den Raum betrete,abernein,da ich,M ichaelLandolf,noch nie dabeigew esen sei,seies irreführend,von Raum zu sprechen.In derPILG RIM -V illa gehen alle Räum lichkeiten in einanderüber,auch alle N iveaus,dashöchste N iveau habe w enigerFläche alsdie ihm 21
zugeordneten niedrigergelegenen N iveaus,am m eisten Fläche habe dastiefste N iveau,um das herum an dreiW änden jede A rtPolsterangebote bereitseien.D ie dreiW ände ergäben natürlich keinen Raum ,sondern eine A ndeutung von etw asRäum lichem .A ufdem obersten N iveau tritt im m erEhrl-K önig auf,seine SPRECH STU ND EN-A ssistentin,sein Ü berraschungsgastund Ludw ig Pilgrim selber.D a hinaufseien die m iteinem A ufzug ausdem Souterrain gefahren.U m die oberste Plattform laufe ein G eländerw ie eine Reling.D as G anze da droben sehe aus w ie die K om m andobrücke eines stattlichen Schiffes.U nd das solle es w ahrscheinlich auch.D as A uffallendste dortistaberdie gew altige A ufzugstür:w enn die sich öffnet,atm e förm lich der ganze Raum aufund halte den A tem an,und dann trete eben m itG efolge Ehrl-K önig heraus. D en gelben Pulloverum geschlungen.D iese kühnste Villa derM oderne,von jenem Chikagoer Star-A rchitekten gebaut,w irke,w enn Ehrl-K önig m itG efolge aufden breiten Treppen überzw ei w eitere Ebenen zu uns in die Polsterbuchtherunterschreite w ie fürdiesen A uftrittgebaut.Bitte, alle Senkrechten w eiß,alle W aagrechten schw arz,auch an den Treppen,schw arzw eiß,darauf jetztderhellgelbe Cashm ere und derjetztnurnoch strahlende Ehrl-K önig.A ufallen N iveaus G äste,alle w ollen ihn grüßen,abererschreitetlächelnd w eiterabw ärts,bis erunten ist,in der Polsterbucht,einerw ahrhaften Polsterlandschaft,w o die m eisten G äste w arten.A ufallen N iveaus sind jetztalle aufgestanden,die G läserhaben sie schon w eggestellt,alle klatschen, standing ovation.D a er,sagte Silbenfuchs,nichtjedesm alzu dieserParty geladen sei– die Einladung folge irgendw elchen schw erdurchschaubaren Strategien –,w isse ernicht,ob standing ovation Routine seiodernur,w enn die SPRECH STU ND E alsbesondersgelungen em pfunden w urde.So oftSilbenfuchs aberdabeigew esen sei,so ofthabe esstanding ovation gegeben,w as verm uten lasse,daß essich um ein Ritualhandle.U m ein schönes,im m erw iederherzlich aufgeführtesRitual.G erade habe m an ja noch die SPRECH STU ND E angeschaut,kollektiv,auf eineraus derD ecke herabgelassenen Leinw and.D a diesm alH ans Lach dran w arals Schlechtes Buch und Philip Roth alsG utesBuch,w arLach M ittelpunkt.Seitw ann istein A utor,der drankom m t,Partygasthabe er,Silbenfuchs,noch gedacht.D asw arnoch nie.U nd dann auch noch derA utordesSchlechten Buches.D aszeichnetja Ehrl-K önigsSPRECH STU ND E aus. Büchersind G utoderSchlecht.D erRestistK orruption.SagtEhrl-K önig.D asSchlechte Buch, das G ute Buch,dann derobligatorische Ü berraschungsgast,von dem Ehrl-K önig sich bestätigen läßt,w ie genau seine D iagnose,sein U rteil,dasübersSchlechte und dasübersG ute Buch zutreffe.A n diesem A bend w arM artha Friday aus N ew Y ork derÜ berraschungsgast.Ihre lockeren und ein bißchen bem ühtlasziven Schriften erscheinen D eutsch ja auch beiPILG RIM . Jetztschilderte Silbenfuchs die Sendung,schilderte,w ie sie in derPILG RIM -V illa gew irkthabe. Ernahm w ohlan,die Sendung seim irunbekanntgeblieben.D a ich w issen w ollte,w ie die 22
Sendung in derPilgrim-V illa angekom m en ist,verrietich nicht,daß ich die Sendung inzw ischen schon zehnm algesehen hatte.A lso die Sendung.M artha Friday habe allem ,w asEhrl-K önig sagte,fastgenau so heftig zugestim m t,w ie deresgesagthabe,dasheißt,sie habe w ie ein V erstärkergew irkt;w as beiEhrl-K önig grellherauskam ,habe sie durch A ugenverdrehen, M undaufreißen und Indiehändeklatschen noch grellergem acht.W urde ernachdenklich odergar leidend,littsie noch m ehralser.Einen besseren Ü berraschungsgastalsdiese M artha Friday habe Ehrl-K önig in den siebzehn Jahren SPRECH STU ND E nichtgehabt,blitzgescheitund schön und eine D arstellungsvirtuosin,fürlautund leise gleich gut.Ü berhaupt,w ie die zusam m engespielthaben,einanderbisinsfeinste M im ische oderinsgröbste A kustische einfach idealergänzend.D asG ute Buch,das von Philip Roth,hatte sie natürlich gelesen,das von H ans Lach natürlich nicht.A berda Ehrl-K önig m itH änden und Füßen und w ild kreisendem K opfund einersich biszum Ü berschlagen steigernden Stim m e dem onstrierte,w ie erdaruntergelitten habe,dieses Buch lesen zu m üssen,w arsie einfach m itgerissen w orden,klatschte lautin die H ände,alsersagte,ob dasdenn kein U rteilsei,w enn einem ein Buch im m erw iederausden H änden rutsche,w eilm an beiseinerLektüre eingeschlafen sei.D ie Leute im Fernsehstudio schlossen sich dem Lachen und K latschen M artha Fridaysim m erw iederan.Zuersteinm al m üsse festgestelltw erden,daß H ans Lach dieses Buch vorsätzlich gegen ihn,Ehrl-K önig, geschrieben habe.Seiter,Ehrl-K önig,hierSPRECH STU ND E halte,also im m erhin seitsiebzehn Jahren,habe ernichtaufgehörtzu sagen,daß ein Rom an,derm ehralsvierhundertSeiten lang sei,ihm ,dem LeserA ndré Ehrl-K önig,zu bew eisen habe,w arum erm ehralsvierhundertSeiten lang sein m üsse.H ansLach denke nichtdaran,diesen Bew eis zu liefern.Zw eitens:D ie w eibliche H eldin diesesRom ansseieine beschränkte Person,deren Beschränktheitvom Rom an selbstsozusagen aufjederzw eiten Seite zugegeben w erde.Er,Ehrl-K önig,predige in einerihm schon selbstaufdie N erven gehenden H artnäckigkeit,daß erbeschränkte W eibspersonen w eder im Leben noch in Rom anen ertrage.W astutFeroind Lach:schiebteine unbelehrbar bescheränkte W eibsperson übervierhundertneunzehn Seiten durch einen Rom an,derdann auch noch M ädchen ohne Zehennägelheißt.O h,w ie habe er,dieses Buch lesen m üssend,die Putzfrauen,Pardon,die Reinigungsfrauen in öffentelichen G ebäuden beneidet.W asfüreine interessante,spannende Tätigkeit,den Staubsaugerüberim m erneue Bodenschattierungen zu führen,begeleitetvom w underbaren G erundton desElekterom otors.U nd erm uß einen Rom an lesen m itbald sovielen Personen w ie Seiten.A ch w as,Personen!W enn’s doch Personen w ären, nurN am en seien's,Pappfiguren m itderaufgekelebten N am en,bishunderthabe erm itgezählt, dann habe er’s gelassen,da lese erdoch liebergleich das Telephonbuch,habe ergedacht.M artha Friday lachte hellheraus,klatschte,so auch dasPublikum .A ch ja,M artha,seufzte erdann,Sie 23
w issen nicht,w asm an m itm acht,w enn m an sein Leben fürdie doitsche Literatüropfert.Fastnur däm liche Ferauenfiguren,keine Erotik,die einem unterdie H autgehe,keine Sexualität,die es m iteinem G lasCham pagneraufnehm en könnte,nichtsalsFanta,Fanta,Fanta,aberohne -sie. Bitte,M ädchen ohne Zehennägel,schon derTitel,ach,w arum hatm an nichtin einerZeitleben dürfen,in derdie BücherM adam e Bovary,Anna Karenina und EffiBriesthießen.M ädchen ohne Zehennägel,w ashatdieserA utorbeloß gegen Zehennägel,und auch noch beiM ädchen,M artha, ich bin sicher,Sie haben die entzückendsten ZehennägelderW elt!U nd M artha Friday:Stim m t! A berw oherw issen Sie das? Er:Phanta-sie.N ein,im Ernst,ich seh’san Ihren Fingernägeln.Er seiein scharferBeobachter,sagte M artha.U nd er:D as seija das,w as die A utoren an ihm nicht liebten,daß erscharfhinschaue.M ädchen ohne Zehennägel.N eugierig bin ich schon gew esen, ein bißchen bekelom m en auch,verstehen Sie,beiM ädchen ohne Zehennägeldarfm an bekelom m en sein.D arfm an? U nd M artha:M an darf.Er:M artha,ich danke Ihnen.M artha: Y ou’re w elcom e.D asPublikum lachte.D ann erläuterte er,daß derRom an in einem TennisCelub spiele.O riginellseidas gerade nicht,w as sich unserFeroind da w iedergeleistethat.Er, Ehrl-K önig,seibeim Lesen öftervon derV orstellung heim gesuchtw orden,erlebe im Jahr2030, ihm seiein Buch in die H and geraten,M ädchen ohne Zehennägel,geschrieben von H ansLach, erschlägtauf,liest,und ihm w ird von Seite zu Seite deutlicher:eine Fälschung.Ein N achm acher,ein derittklassigerN achm acherspieltsich da als H ans Lach aufund spekuliert:w ir m erken dasnicht.Fehlspekulation.W irhaben esbem erkt.EindeutigerBefund,H ansLachIm itation deritterK elasse. D abeiw arferdie H ände so heftig schräg nach oben,daß es aussah,als w olle ersie losw erden. D asw arbeiihm im m erdie G este seinervölligen H ingerissenheitvon sich selbst,sein Publikum kenntdasund reagiertseinerseitsaufjeden so von ihm produzierten H öhepunktm it H ingerissenheit,Lachen,K latschen,auch schon m alm itbegeistertem Johlen.Sein runderK opf falle,w enn erdie H ände so fortw erfe,schräg nach unten,sagt,vom G enauigkeitsehrgeiz befallen,derProfessor. Erseideshalb schon m itChristusverglichen w orden.D asseiihm einm alin einerdervielen Talk-Show s,die erabsolviere,gesagtw orden,halb spielerisch natürlich.Eraberhabe sofortzugegriffen m iteinerH eftigkeit,die zw ischen Spielund Ernst keinen U nterschied m ehrgestatte:Ihm seivom gescheitesten derjungen DAS-Intellektuellen bescheinigtw orden,daß erdurch seineSPRECH STU ND E die Tradition des elenden Sow ohl-alsauch in derLiteraturkritik beendethabe,erseida gefeiertw orden als derEntw eder-O der-M ann, und seitdem seierdann und w ann dergenanntw orden,derdie PraxisChristi:IhrsolltJa sagen oderN ein und die flauen Lauen ausspucken auseurem M unde,derdiese Entschiedenheitin die Literaturkritik eingeführthabe.Erkönne diesen Satz seinesV orfahren nurw iedergeben,esstehe 24
ihm nichtzu,daszu kom m entieren,ihm schon garnicht,da erum seine Eitelkeitw isse,also geradezu süchtig seinach G elegenheiten zurSelbstbescheidung.A berin einerH insichtseijeder, dersich im keritischen D ienstverzehre,in derN achfolge des N azareners:derhabe gelitten für die Sünden derM enschheit,derK eritikerleide unterden Sünden derSchschscheriftstellerrr. D as bleibtin keinerTalk-Show ohne Lacher. W ie im m ernach einem H öhepunkt,sagtderProfessor,nim m terdie w eggew orfenen H ände zurück und hebtden schräg hinuntergefallenen K opfw ie eine kostbare Lastund setztan zu einer Pathetique-Fuge.Im m erw ird er,w enn erdie Leute zum Lachen gebrachthat,so ernst,alsw olle erden Leuten nachträglich noch ihrLachen vorw erfen.So auch diesm al.V ibrierend vorErnst fuhrerfort:Erseija,das könne M artha nichtw issen,m itH ansLach beferoindet,erschätze ihn alseinen außerordentelich begabten Schschscheriftstellerrr,in derkeleinen und keleinsten Form gelinge ihm gelegentlich durchausG utes,m anchm alsogarV orzügeliches,aberim Rom an:Eine Enttoischung nach deranderen.Erkann alles m ögliche,unserH ans Lach,aberdas,w as er offenbaram liebsten tut,am ausdauerndsten tut,erzählen,daskann ernicht,daskann erum s V errecken nicht.U nd daseinem Feroind zu sagen,liebe M artha,dastutw eh.A berderK eritiker hat,w enn erK eritikerist,w ederFeroind noch Feind.Seine Sache ist,solange erurteilt,die doitsche Literatür.W enn er,Ehrl-K önig,ein paarTage hintereinanderdoitsche G egenw artsliteratürlesen m üsse,beneide erdie Loite von derM üllabfuhr.W ie elegant schw ingen die die K übelvolldesübelen Zoigshinaufzum Schelucker,schw upps,und w eg ist das Zoig,derK übelw iederleichtund leer,aberw ie lange habe er,derK eritiker,zu w ürgen und zu gacksen,biserso einen doitschen G egenw artsrom an dorthabe,w o derhingehört:in den M üll.D aß Pelatz istfürdas Bessere.D as G ute.FürPhilip Roth,zum Beispiel.Jetzthabe EhrlK önig einen A ugenblick lang geschw iegen,ganz und gardüster.M artha habe ihn gestreichelt, tröstlich.Ja,M artha,habe ergesagt,erbeneide sich nichtum seinen Job.Erfühle sich nun einm alverantw ortlich fürdie G egenw artsliteratür.V orallem eben fürdie doitsche.U nd schw ieg.D as Publikum schw ieg.Schw ieg heftig,schw ieg pathetisch,schw ieg solidarisch, schw ieg m itihm .Littm itihm .U nterdieserdoitschen G egenw artsliteratür.Erzählen Sie ein bißchen von N ew Y ork,sagte erdann,Sie sind eine geroßartige Erzählerin,eine Erzählerin w ie esseitH ilde Spielkeine m ehrgegeben hat.Beringen Sie m ich aufandere G edanken.M ich w ürde schon m alinteressieren:Teragen Sie nie einen Büstenhalterodernur,w enn Sie im Fernsehen auftereten.U nd schon habe erdasPublikum w iederzum Lachen gebrachtund zum K latschen.D ann fielihm noch eine Frage ein,die ereinerso phantastisch Begabten w ie M artha stellen m üsse,um m itihrerA ntw ortsich selber,seine eigene Zurechnungsfähigkeitzu überprüfen.G anz im Ernst,M artha:M ädchen ohne Zehennägel,w as em pfindetM artha,w enn sie 25
einen solchen Titelhört? M artha hob die Schultern,hob die H ände noch höherals die Schultern, da eran ihre Em pfindung appelliere,m üsse sie englisch antw orten dürfen.Bitte,sagte er,bitte, das dürfe sie,sie seija zu G astin einerW eltstadt.M ädchen ohne Zehennägel,sagte sie,a bit crazy,som ething betw een autistic,narcissistic and crazy.Butitm akesm e curious.Ihn eben auch.U nd w issen Sie,w asdann passiert? N ichts.K ein einzigesM ädchen ohne Zehennägel.Im ganzen Rom an,nichts.A ufvierhundertneunzehn Seiten kein einzigesM ädchen ohne Zehennägel.O b derPudding gutist,stelltsich erstbeim Essen heraus.A lso iß,also lies,und dann nichts,einfach nichts.D afürein paarhundertN am en.D afürdie Laute derFrauen beim Tennis.N achtigallich hördirterapsen.A berdas istes schon.W ie steht’s,feragtdas M ädchen. Und er:Forty love.D asistdoch zum A usw andern,forty love!U nd stattEinstand sagterim m er Einstein.V erstehen Sie,dasistdasintellektuelle N iveau desPaarsin dem Rom an M ädchen ohne Zehennägel.Forty love!U nd unserallerV erleger,Ludw ig Pilgrim ,derw irklich ein geroßer V erlegerist,vielleichtsogarein genialer,aufjeden Falldergerößte V erleger,den w irhaben diesergeroße V erlegerläßtin den K elappentextschereiben,derRom an erzähle die berutale Ü berlegenheitdes Seelischen überdas K örperliche.A ufdem Tennispelatz!A berTennis interessiertm ich nicht.M artha schnell:M ich noch w eniger.Ernoch schneller:M ich am w enigsten.Beide schlugen ihre H andflächen gegen einanderw ie Fußballer,die gerade per Zusam m enspielein Torgeschossen haben. D ie Leute seien begeistertgew esen.D ie K am erasholten feuchte Blicke derH ingerissenheitin die G roßaufnahm e.A berEhrl-K önig habe noch m ehrgew ollt.G ibtesetw as,riefer,w aseinen noch w enigerinteressieren kann als Tennis,riefer.M artha w ußte nichts.D och,riefer,brüllte er fast,ein Rom an überTennis.M artha lachte hoch aufund rief:Y ou m ade it.Jetztseien die beiden irgendw ie aufeinanderzugesunken,dasPublikum habe gelachtund geklatscht,alsw olle essich jetztselber,ohne Ehrl-K önig,einem Höhepunktentgegenklatschen,den m an dann nurnoch O rgasm usnennen könnte.A berdasseija auch jedesM aldie Tendenz derEhrl-K önigSelbstdarstellung.Ersinke dann zurück in seinen m itZeus-Sym bolen prangenden Sessel.D ann aber,w ie ein letztesA ufbäum en unteralldem Schm erz,den ihm dieserA utorw iedereinm al angetan hat,sagterleise,kraftlos,fasterlöschend:Ein Rom an von übervierhundertSeiten über eine ferigide,perim itive Ferau,fürdie es in derganzen W eltnureine Bezeichnung gebe: Dum m e Gans,das em pfinde erals persönliche Beleidigung,w eildieserA utorgenau w isse,daß Ehrl-K önig nichts so zuw iderseiw ie eine ferigide,perim itive Ferau,eben eine dum m e G ans. PfuiTeufel.G efühlfürgroße G esten habe Ehrl-K önig zw eifellos gehabt.N ach dem letzten Satz derpom pöse H ändel.A ssistentin und Ü berraschungsgastdirigiere erm itsanften G esten hinaus, dam iterden Schlußbeifall,den nie endenden,ganz allein fürsich habe.W irw erden keinen m ehr 26
erleben,derihm gleicht,sagte Silbenfuchs im feierlichsten Ton.Ich stim m te zu,w enn auch nicht so feierlich. W irsaßen w ie in stum m em G edenken,dann gab ich zu verstehen,daß ich um H ansLachs w illen,von dessen U nschuld w irdoch beide überzeugtseien,gern noch w üßte,w ie die Party dann verlaufen sei. Zuerstganz w ie im m er.Ehrl-K önig kom m talso von derBrücke aufdasnächste N iveau,dann w iederaufdasnächste und schließlich isterbeiunsherunten in derPolsterw anne,standing ovation,dann brülltals ersterBerntStreiff,offenbarschon völlig voll:Egal,w ie m an inhaltlich zu dem ,w as derM eisterheute gesagthabe,stehe,es seitierisch gutgew esen.Ehrl-KönigsM und reichte vornichts als Lächeln aufbeiden Seiten bis zu den O hrläppchen.Ja,sagte er,so leid es m irtut,ich fürchte,ich w äre heute fastüberm ich hinausgew achsen.M artha m eintdasüberigens auch.U nd sie kom m tausN ew Y ork.U nd w ie kom m tM artha,die m ich heute erstzum deritten M alin derSPERECH STU ND E erlebthat,dazu,so etw as zu sagen? Sie hates so gesagt:A nderé, besserkann m an nichtsein.M artha,habe ich gesagt,du sperichstein geroßesW ortgelassen aus. U nd jetztw erfe erM artha deredelen M oite derdoitschen Intellektuellen vor.M artha fragte sofortnach H ansM agnus,w om itsie natürlich Enzensbergerm einte,und w urde belehrt:derist gerade in N ew Y ork.D asfand sie funny.Ludw ig Pilgrim führte Ehrl-K önig zu dessen Polsterstelle,derließ sich nieder,aufseinen Polsterthron,ein Butlerstand schon m itdem Cham pagnerbereit,Ludw ig Pilgrim sagte,w ie im m erin diesem Stadium ,etw as Salbungsvolles. W eilerbald achtzig ist,also w eiße H aare,w eiches Fleisch plus K raw atte,und w eilsein Salbungsvollesbayerisch angehauchtist,grinstm an nicht.Ein großerV erlegerm üsse kein großerRednersein,auch w enn ernichts so gern w äre w ie eben das.N urJulia Pelz,seine dritte Frau,aberunschätzbaren A lters,sage m anchm aletw asÄ tzendes,w oraufLudw ig Pilgrim im m er sage:M ach eseinerLyrikerin recht.A n diesem A bend kam sie nichtdazu,ihren M ann zu kom m entieren.H ansLach hatgebrüllt:M om entm al,H errA ndré Ehrl-K önig.U nd schon drehten sich alle zu H ans Lach,deraufeinen derniederen G lastische gesprungen w ar,sind ja dicke G lasplatten aufdicken silbern gleißenden Stahl-oderA lum inium kurven.M om entm al,und begann garnichteinm allaut,sondern fasteinläßlich,als w olle erdem onstrieren,zu w elch vernünftigem Ton erim Stande sei.D ieserTon änderte sich dann allerdings.N ichtinsLaute oderA llzulaute,sondern ins irrsinnig Leise,ins totalInsichgekehrte.U nd w as erda aufsagte, w ardann doch sensationell.G oethe.
Ich kenne nichts Ärm eres U nter der Sonne als euch,G ötter! 27
Ihr nähretküm m erlich Von O pfersteuern U nd G ebetshauch Eure M ajestät U nd darbtet,wären NichtKinder und Bettler H offnungsvolle Toren
Einige klatschten,H ansLach zischte und sagte:M om ent.EsfolgtSeite vierhunderteinsausdem Rom an M ädchen ohne Zehennägel.U nd dasm üsse er,Silbenfuchs,m irjetztauch vorlesen,sonst begriffe ich nichtsvon dem ,w asdortvorgegangen sei. Ich reichte ihm dasBuch,erlas:
Ein großer W urm aufihrer Seite.Sie verlor,weilsie im m er um den herum spielen m ußte.D er W urm hatte sich durch seine Bewegungen im roten Sand förm lich paniert.Er rührte sich nicht m ehr.D ann doch wieder.Als sie nachher den Platz aufihrer Seite abzog,hatte sie den W urm vergessen,dann sah sie ihn,sie hatte ihn m itihrer m eterbreiten Riesenbürste m itgerissen, wiedertieferin den Platzhinein,von dem ersich hatte fortbewegen wollen.Noch einm albiszum Rand,das würde der W urm nichtschaffen.Sie riß ein Efeublattab,kriegte den W urm m itH ilfe dieses Blatts zu fassen und warfihn durch den Zaun.D er W urm blieb im Zaun hängen.Noch einm alnahm sie ihn m itH ilfe eines Blatts,warfihn,er blieb wieder hängen.D reim alm ußte sie ihn vom Zaun nehm en,bis es ihr gelang,den inzwischen ganz Erschlafften durch das D rahtgeflechtdurch und hinaus ins G ras zu werfen.Rich hatte ihr zuerstzugeschaut,dann hatte er ihr einen Kuß zugeworfen:D ann eben nicht!U nd hatte den Platz verlassen.Trübsinnig fuhr sie nach H ause.
A ls w iederein paarklatschen w ollten,zischte H ans Lach:Bitte,nicht.Beifallistetw as,w as ich, seitich gesehen habe,w ie m an dergleichen erw irbt,entbehren kann.U nd jetzt,H errEhrl-K önig, jetztClaqueure allerFarben,das letzte M al,jetzt,lieberLudw ig,jetzt,verehrteste Julia,jetztdas allerallerletzte M alein Textvon H ans Lach,hier,denn daß jetztSchluß ist,habtihrja heute alle m iterlebt,A lso:M ädchen ohne ZehennägelSeite vierhundertsechzehn,also ganz kurz vor Schluß ausdem Buch überdie prim itive Frau,die dum m e G ans.U nd lasgew isserm aßen stim m ungslos,sozusagen alsreine Textanbietung,die drittletzte Seite seinesBuches.U nd auch das m üsse er,Silbenfuchs,m irvorlesen. 28
Sie sagte ihm ,als er in ihr war,seies zum ersten M alschön gewesen,eine Frau zu sein.D aß m an so seiner selbstinne werden könne,habe sie nichtgewußt.Ach so,so istdas,eine Frau zu sein:dashabe sie erlebt.D ann sagte sie ihm noch alldas,wasihrM ännerabverlangthatten,all jene Sätze,aufdie sie nie gekom m en wäre,die ihr aber von M ännern durch Fragen förm lich souffliertworden waren.W ie findestdu m ich,fragen die M änner.Bin ich dir zu klein? Bin ich von den M ännern,die du gehabthast,derkleinste? Bin ich derG rößtestärkstetollste? Also bitte, nur im Fallich der G rößtestärkstetollste von allen M ännern wäre,die du je gehabthast– ja: gehabthast!sagen sie –,dann wäre es ganz nett,wenn du es m ir jetzt,bitte,jetztsofortund laut und deutlich verraten würdest.U nd m anche fragen nichteinm al,die sagen es einem vor,die diktieren dir einfach:sag sofort,daß ich der G rößtestärkstetollste bin,den du je G EH ABT hast. D u kannstauch,wenn dir danach ist,noch verm uten,daß ich der G rößtestärkstetollste bin,den überhauptje eine Frau G EH ABT hat.U nd aus diesen ihr insinuierten Sätzen bildete sie jetzt Sätze für Rich.D ie freuten den.U nd sie wunderte sich am m eisten darüber,daß er ihr alldiese Sätze über seine W underbarkeiteinfach glaubte.D ie m ännliche Bedürftigkeithat,dachte sie, keine G renze.W ie arm ,wie elend m uß jem and dran sein,daß er solche Sätze annim m tals wahr, als überhauptzutreffenkönnend.M itleid fühlte sie.U nd eine ArtW ut.W ie kann von ihr erwartet werden,diesen überhauptnichtdurch sie persönlich hervorgerufenen M angelauszugleichen! Aber vielleichtistgerade das ihre Aufgabe.Ihre Arbeit.D azu istsie da.Ach ja,dann bringen wir es hinter uns.Kann ja sein,daß ihr etwas fehlte.W arum hatte sie so wenig davon? Im m er wieder istes nichtdas,was sie braucht.Im m er wieder nichtder M ann,aufden sie gewartethat. Auch Rich istes nicht.Ihm m ußte sie das G egenteilbezeugen.W ieder einm al.U nd um dazu im Stand zu sein,m ußte sie glauben,es liege an ihr,daß sie fastnichts em pfand.U nd da sie nichts em pfand,m ußte sie ihm doch sagen,wie unendlich vielsie em pfinde.Für ihn.D urch ihn.In ihr.
Jetztklatschte niem and m ehr,H ansLach hüpfte von derG lasplatte und zündete sich eine Zigarette an.Erhatte so gutvorgelesen,dasheißt,erw arso sehreinsm itseinem Text,daß erihn nichthatte vortragen m üssen,w asja im m erbeschäm end w irkt,ervergegenw ärtigte sich den Text,dasgenügte. G egen die Rettung von W ürm ern ausTennisplatzsand und gegen M onologe ferigiderFerauen sei nichtseinzuw enden,sagte Ehrl-K önig,w ohlabergegen die A nw esenheiteines A utors,derin der SPERECH STU ND E dran w ar,H errPilgrim ,unterdiesen U m ständen,dasheißt,um w eiteren A npöbeleien zu entgehen,verlasse ich dieses H aus und w erde es,da ich hiervorA npöbeleien offenbarnichtm ehrsichersein kann,nie m ehrbetereten.H errLudw ig.G nädige Ferau.A dieu. 29
G oethe,A npöbelei!RiefH ansLach. A berH errPilgrim hatte sich Ehrl-K önig schon in den W eg gestellt.U nd H errPilgrim w arzirka zw eiM etergroß und sicherhundertK ilo schw er. W enn hierjem and geht,dann der,dernichteingeladen ist.Ich m uß dich bitten,H ansLach. D ann sagte eretw as in einerosteuropäischen Sprache,sofortstellten die zw eiButlerihre Tablettsab und gingen aufH ansLach zu.D erriefnoch etw as,eskann W irsehen unsnoch! geheißen haben. Ich fragte nach den Sätzen,die in derFrankfurter zitiertgew esen w aren:D ie Zeitdes H innehm ens istvorbei.Sehen Sie sich vor,H errEhrl-K önig.A b heute nachtN ullU hrw ird zurückgeschlagen. D iese H itler-V ariation hatSilbenfuchsnichtgehört. D ie zw eiButlerverständigen sich noch in einerslaw ischen Sprache,w ie sie H ans Lach hinausbefördern sollten,packten ihn unterden Schultern und trugen ihn m üheloshinaus.Schw er isterja nicht,und gew ehrthatersich auch nicht.Ehrl-K önig habe sich doch noch bew egen lassen,seinen Platz einzunehm en und w ie im m erseien allm ählich alle G rüppchen um ihn herum gruppiertgew esen.Erbeschw erte sich überdie U ndankbarkeitderScheriftsteller.N achgew iesen sei,daß auch Bücher,die erverreiße,sofortzw anzigtausendm alverkauftw ürden.G ut,die er pereise,seien soforteinhunderttausendm alverkauft,aberzw anzigtausend von einem schlechten Buch,dafürkönne doch jederA utordankbarsein.Solange Ehrl-K önig überm ich spericht,gibt esm ich,habe einergesagt,und erhabe m itRechtnichtgesagt:gutüberm ich spricht,sondern überm ich spericht.D ieserkrankhafte Egom ane H ansLach m üßte ihm ,Ehrl-K önig die H and küssen dafür,daß Ehrl-K önig so etw as w ie M ädchen ohne Zehennägelüberhauptvornehm e,es sozusagen in einem A tem zug m itPhilip Roth nenne.A ber,habe erdann gerufen,haben Sie schon einm aleinen Scheriftstellergesehen,derdankbarist? Ehrl-K önig könne ja ausirgend einerM undunpäßlichkeithintereinem sch kein raussprechen, hintereinem K onsonanten schon garnicht.D asgehöre zu den vielen Sprecheigentüm lichkeiten, die es so leichtm achten,ihn zu im itieren.Er,Silbenfuchs seisicher,daß Ehrl-K önig vorallem w egen seinerleichten Im itierbarkeitso populärund deshalb so einflußreich sei.In derganzen Literaturgeschichte habe keinersovielM achtausgeübtw ie Ehrl-K önig,singen und sagen seine Chorknaben im DAS-M agazin.Tatsächlich w itterte Ehrl-K önig in jedem ,den ertraf,w ie erihn fürseine,Ehrl-K önigs,M achtsteigerung nutzen konnte.So ofterEhrl-K önig begegnetseiund sei’s im ICE-Speisew agen,jedesm alhabe Ehrl-K önig ihn dam itbegrüßt,daß Silbenfuchsihn im m ernoch nichtzum H onorarprofessorderLudw ig M axim iliansU niversitätvorgeschlagen habe.Leute w ie U nseld und Festseien H onorarprofessoren in H eidelberg,Tübingen und 30
sonstw o,käm en dann einm alhin,sprächen übereine Schriftstellerin,aus deren Bettsie gerade käm en,dann tauchten sie nichtm ehrauf.Silbenfuchslachte dann,und in sein Lachen hinein habe Ehrl-K önig gerufen:N ichteinm aleinen D r.h.c.haben Sie übrig fürm ich.U nd darauf Silbenfuchs:A berSie sind doch schon h.c.in ...und zählte die U niversitäten auf.D arauf,EhrlK önig,daß m an garnichtgenug h.c.’saufsich versam m eln könne.D ie G espräche m itihm seien im m ererstaunlich form elhaftverlaufen.N ach dem h.c.seien die A kadem ien und die Preise drangekom m en.K eine A kadem ie w ähle ihn zum M itglied.W ederdie D eutsche,noch die Berliner,noch die M ünchner.U nd noch nie,noch nichtein einzigesM alseiihm ein Literaturpreis verliehen w orden,obw ohldoch,w as erfürdie doitsche Literatürgetan habe,sich w irklich m essen könne,m itdem ,w as dieserund jenerpreisgekrönte Ich-Erzähleraufdie W aage bringe.Einm alhabe Silbenfuchs an dieserStelle desstereotypen G esprächsverlaufsrichtig unanständig reagiert.A nstattzu sagen,daß Richterkeine Präm ien bräuchten,habe ergesagt,da Ehrl-K önig in m ehralseinem D utzend Juryssitze und Preise und nochm alsPreise vergebe, könne ersich doch auch einm alselbereinen Preis geben.O h je.D a habe Ehrl-K önig sein ebenso blankesw ie m assivesH auptaufStierartgesenkt,habe von unten hervor-und heraufgeschautund habe gesagt:Sie nehm en m ich nichternst.Ich m uß darübernachdenken,ob ich je w iederm it Ihnen sprechen w ill.H abe sich gedrehtund seilangsam ,als m ache ihm jederSchrittM ühe, w eggegangen.Tatsächlich seiEhrl-K önig dann dreiJahre lang in keinerG esellschaftm ehrauf ihn,Silbenfuchs,zugekom m en,vielm ehrseiSilbenfuchsvon dem und jenem angerufen w orden, w as denn passiertsei,m an dürfe Ehrl-K önig gegenüberProfessorSilberfuchsnichterw ähnen. N urüberdie M adam e seiesSilbenfuchsgelungen,w iedergegrüßtund einbezogen zu w erden. Erhabe derZigarillos rauchenden M adam e näm lich ein besonders raffiniertes Zigarillo aus Jam aika angeboten,sie habe esauch gleich probiertund großartig gefunden und habe m itihrer Silberstim m e gezw itschert:A ndré,unserProfessoristein Entdeckungsreisenderin der Tabakw elt.D a habe ihrM ann sich w ie untergroßen Schm erzen noch biszu Silbenfuchs hingedrehtund gesagt:Ich w illIhnen noch einm alvergeben.U nd diesesnoch einm alhabe er sehrbetont. Ich fragte,ob derProfessorw isse,w ie H ans Lach ausgekom m en seim itEhrl-K önig.D ie könnten doch nichtnurim K onfliktgelebthaben.Ü berhauptnicht,sagte Silbenfuchs.H ansLach seiim m erw ieder,w enn erEhrl-K önig irgendw o begegnetw ar,insSchw ärm en geraten.M an m uß ihm persönlich begegnen,habe erdann gesagt,sonsthältm an ihn nichtaus.Ehrl-K önig habe ja jedesseinerBücherfürH ansLach m itstürm ischen W idm ungen versehen und habe diese gew idm eten Bücherselberin derM alsenstraße in den Briefkasten gesteckt.Ehrl-K önigsW ieBüchervon W ie ich verreiße überW ie ich lobe,W ie ich lebe biszu W ie ich bin,seien ja nie sehr 31
dick.Ich solle m irvon H ansLachsFrau diese W idm ungen zeigen lassen.H ansLach habe die, w enn m an zu ihm kam ,im m erhergezeigt,stolz,ein bißchen sarkastisch vielleicht.D a stand im m erin Französisch ein bedeutenderSchm us.D asseieben dasK reuz dieserBeziehung gew esen.D ie unm ittelbare H ingerissenheitH ans Lachs von derPerson Ehrl-K önig.H ansLach seija nichteben m itFreunden gesegnet.Er,Silbenfuchs,habe von H ansLach selbernurvon beendeten,verendeten Freundschaften gehört.U nd dann diese Freundschaftsbeteuerungen EhrlK önigsvon Buch zu Buch.U nd derschrieb beziehungsw eise veröffentlichte ja fastJahrfürJahr ein Buch.A llerdingskeine geschriebenen Bücherm ehr,sondern gesprochene.Esfinde sich jedes Jahrm indestens ein G esprächspartner,derm itEhrl-K önig plaudere,Professoren und Journalisten von Rang,dasw erde abgeschrieben,gedrucktund verkauft.D ie Leute w ollen Büchervon ihren Fernsehstarsbesitzen,von den so verzehrend A ngeschauten. U nd H ansLach könnte geglaubthaben:Ehrl-K önig,vielleichtistdas,vielleichtw ird das ein Freund.D ie W idm ungen klangen nichtsalsw erbend. U nd,fragte ich,w arum ,glauben Sie,w urde nichtsdaraus? U nd Silberfuchs:Sie kennen ausvielen Interview sden H ansLach-Satz:Ich bin Segler,K ritik ist derW ind,den ich zum M otorm ache.W asein solcherSatz w ertist,erkenntm an nur,w enn m an ihn aufsich selber,aufdie eigene Erfahrung anw endet.W enn erbeim irstim m t,stim m ter überhaupt.U nd beim irstim m ternicht.A lso glaube ich nicht,daß erbeiirgend jem andem stim m e.D asG egenteilvon K ritik istnichtLob,sondern Zustim m ung.D asistetw asanderesals Lob.Lob istÜ berheblichkeitüberden,den m an lobt.Lob istA nm aßung,w ie K ritik A nm aßung ist.M achtausübung beides.W enn m an nichtzustim m en kann,sollm an den M und halten.D a ist jederM ensch G oethe,deraus tiefsterSeele gesagthat,geschrieben hateres,als er fünfundsiebzig w ar:„W erm ich nichtliebt,darfm ich auch nichtbeurteilen.“ U nd so w eiter, lieberFreund,hätte ich jetztbeinahe gesagt.A berdas w ardas K reuz m itden beiden:EhrlK önig,seinerseitsnichtm itFreunden versehen,Sie w issen,RH H istdereinzige M ensch,m it dem erperD u w ar,außerm itderM adam e,sonstm itallen:dasvehem enteste Sie!RH H kennen Sie? Ich:K ennen nicht,gehörtgenug.Silberfuchs:O hne RH H istEhrl-K önig nichtverständlich, vielleichtüberhauptnichtm öglich.A lso Ehrl-K önig,freundesarm ,unsereiner,geboren in Bingen am Rhein,kom m tda nichtm it.D ie treffen aufeinander.Beruflich.Entw ederEhrl-K önig schreibtdie w erbenden W idm ungen jedem insBüchel,dann istdasalsbedenkenloszu nehm en, w illsich Leute vielleichtaufjede A rtunterw erfen,das fände ich fies,odererm eintes.U nd H ans Lach hatw ahrscheinlich geglaubt,erm eine es.D ann die mehroderw enigerpeinlichen Treffen in allerÖ ffentlichkeit.Ehrl-K önig hatLach sichernichtm ehrniedergem acht,alser Böllfrischgrasshandke niedergem achthat.Böllund Frisch haben ihn,jederfürsich und ohne 32
vom anderen zu w issen,Scheißkerlgenannt.Ehrl-K önig rühm tsich dessen lautund gern.Böll habe ihm nach derScheißkerl-Taufe herzlichstdie H and gedrückt.Frisch seisicher zurückhaltendergeblieben.G rasshatihm Zeichnungen geschenkt.Eshaben ihm ja alle etw as geschenkt.U nteranderem sich.U nd sei’sin derH offnung aufdasG egengeschenk.Schließlich w arerderM ächtigste,derje in derLiteraturszene Blitze schleuderte.Im DAS-M agazin einer seinerChorknaben:Ehrl-K önig,dereinflußreichste K ritikerin derG eschichte derdeutschen Literatur.So etw assprichtsich herum .Jedertöntda gern noch m it.D aß ersich m itLessing verw echselte,darfm an ihm nichtübelnehm en.Erw arvon seinen eigenen Blitzen geblendet. Silberfuchsstand auf,ging zum großen Rundbogenfenster:W enn m an da hinausschaut,könnte es 1912 sein,sagte er. Besonders im W inter,sagte ich. Erw ohne in derH ochleite ja fastein bißchen feiner,sagte er,aberdas hierist...istselten innig. U nd H ansLach hatfünfM inuten w eitergew ohnt,sagte ich.W ahnsinnig,sagte er.U nd drehte sich um .W irsind beide H istoriker,sagte er,das heißt,w irstellen,w as w irzu w issen kriegen,so vor,daß es uns selberverständlich w ird.D ann drehte ersich w iederzum Fenster. Ich dachte:W enn w irFreunde w ären,stünde ich jetztauch aufund stellte m ich neben dich,so nah,daß unsere Jackenärm eleinanderberührten. Einm al,sagte erdann,es w arauch im FoyerderKam m erspiele,da hatH ans Lach,es w arvor dreiJahren,m ein G ott,und w ie absolutvergangen istdas jetztdurch das,w as passiertist,da hat er,vielleichtw eiles die Pause in einem Tschechow -Stück w ar,da hatersich m ir,m an m uß schon sagen,geöffnet.Im Foyer.U nd,w eilderTschechow unsforderte,nachhernoch im Rom a. Ein paarTage davorw arsein California Fragm entdran gew esen in derSPRECH STU ND E. W iederw arsein Buch das Schlechte Buch.Es istschon eine schw ertscharfe Einteilung,die EhrlK önig da in die W eltgebrachthat.H ansLach hatte die Sendung selbernichtgesehen. A ngeblich.Erbehauptete schon seiteinigen Jahren,und behauptete es in derTschechow -Pause w ieder,daß erdiese Sendung nichtm ehranschaue,w eilihn,w as jem and überein Schlechtes Buch sage,nichtinteressiere.A berihm w erde,das hateröftererw ähnt,von anderen berichtet, w ie Ehrl-K önig m itihm w iederverfahren sei.D as seiüberhauptinteressant,w ie K ollegen und K olleginnen,auch solche,die einem sozusagen nahe stünden,überdiese Show berichteten.U nd alle bestünden darauf,w assie w eitergäben,seiein Bericht.Inzw ischen teile erLeute genau danach ein,w ie sie ihm überEhrl-K önig-Show s berichteten.N ichts seiein so verläßliches Zeugnis von W ohlw ollen odergarN ähe,w ie w enn dirjem and berichtet,w ie überdich da und dortgesprochen odergarbefunden w urde.Esgebe ja unendlich viele M öglichkeiten teilzunehm en.N ichtscharakterisiere einen M enschen genaueralsdiese Fähigkeit.Schon daß 33
sie’sihm überhauptm itteilen m üßten,w ie überihn gesprochen beziehungsw eise befunden w urde,isteine U nverfrorenheitoderA nm aßung oderA ufdringlichkeit,daß erdann nurnoch daraufw arte,w ie deroderdie das durch den Berichtw iedergutm ache,das heißt,w ie sie sich durch die A rtihresBerichtsdafürrechtfertigen können,daß sie ihm überhauptzu berichten w agten.Ernehm e seine Frau von dieserPrüfung nichtaus.Sie versäum e keine Ehrl-K önigShow ,egal,ob ervorkom m e odernicht.U nd w enn sie ihm nachherberichte,erlebe erdeutlicher alsbeijederanderen K om m unikation zw ischen ihnen,G eschlechtsverkehrinklusive,ihre N ähe oderauch N icht-N ähe.Erm üsse sich,w enn erseine Frau so prüfe,natürlich andauernd bew ußt bleiben,daß erdie Beziehung zw ischen ihrund ihm überfordere.K ein M ensch kann dir,w enn du gedem ütigtw irst,noch nahe sein.K einerkann esdirda noch rechtm achen.Esgibtnurdie V erfehlung,sonstnichts.A llenfalls noch die M ehroderw enigerverfehlung.D u spürstüberscharf: du erträgstkeinen m ehr.A ußerdich selbst.D ich selbsterträgstdu nie so gutw ie in den Zeiten derD em ütigung.D u bistdann w irklich eins m itdir.D as schafftjeder,derdich dem ütigt.N ach diesereherallgem einen V orbereitung,das,w as erm irsagen w ollte.Erm üsse m irdas sagen. Jetztsagen.Ein paarTage nach derletzten Schlacht.W as füreine Schlacht,w o einerglorios schlachte und derandere keinen Fingerrühren könne zu seinerV erteidigung.Ein Schlachten sei’s,nichteine Schlacht.U nd nach dem ,w asihm berichtetw orden seivon allen,die überhaupt m itihm telephonierten,habe sich Ehrl-K önig w iedereinm alalsH ansLachsFreund aufgeführt. U nd er,H ans Lach,w isse als Ehrl-K önig-K enner,daß Ehrl-K önig dasnichtinfam m eine,dassei einfach sein aufSuperlative angew iesener,von Superlativ-Entgegensetzungen lebenderShow Instinkt.Erkann dich am effektvollsten vernichten,w enn eraufstöhnt,m ithochgew orfenen H änden aufschreit:U nd das m üsse ersagen überdas Buch eines Feroindes.D aß derM ächtigste dein Feind ist,istnichtdas Schlim m ste,sondern daß erjedesm alw enn erdich erledigt,bevorer dich erledigt,w iederm itzum H im m elgedrehten A ugen seufzt,w ie ungern ersage,w aserjetzt überH ansLachsneuestesBuch sagen m üsse,daß esnäm lich von G rund auf m ißglücktsei,das überden Feroind H ansLach zu sagen,den ertrotz diesesw iederm ißglückten Buchesfüreinen unsererinteressantesten,zurechnungsfähigsten Scheriftstellerrhalte,das schaffe ernur,w eiler sich stetsderhöheren W eisung bew ußtsei,daß erzu dienen habe dem W ohlund G edeihen der doitschen Literatür. A ch ja,ach nein,seufzte Silbenfuchs,überhauptach,ach,ach.U nd daß W esendonck,zw arkein Literat,aberw ohldie hellste Farbe im PILG RIM -W appen,daß ernichtda gew esen sei,sei vielleichtvon schicksalsschw ererBedeutung.W enn einer,dann hätte W esendonck H ansLach brem sen,ihn zu Ehrl-K önig hinziehen und die beiden in irgendeine bizarr-theatralische, schicksalsübergreifende V ersöhnung hineinbugsieren können,die nichtlängerhätte halten 34
m üssen als diese eine N acht.A berW esendonck w arnichtda.Ehrl-K önig w arpolitisch überhauptnie faßbar.D aß derV aterderM adam e zuerstPrivatsekretärPétains und dann G eheim dienstchefdesV ichy-Regim esgew esen sein soll,kann genauso in den Strauß der G erüchte gehören w ie dasG ruselfaktum ,Ehrl-K önig habe,um zu überleben,selberderSûreté zugearbeitet.U nd:erhabe zurResistance gehört.W ahrscheinlich w ollte RainerH einerH enkel, derD irigentderG erüchte,so dem onstrieren,w as G erüchte sind.Ehrl-K önig hatzu keinerlei politischerEntschiedenheitgetaugt,erhatdie W eltim G runde nurals Belletristik begriffen. G eschichte w arihm nurzugänglich in jenerboulevardesken Schrum pfform ,die m an Literaturgeschichte nennt.A berda derradikalsystem kritische W esendonck seine Legitim ität von A nfang an alsantifaschistische begriff,w aren sie sozusagen natürliche V erbündete.D aß W esendoncksA ntifaschism usgenau so w ie derPilgrim sausbraungrundierterK indheitstam m e, m ache ihn nurnoch ernsthafter.W esendonck und Pilgrim seien Jugendführergew esen und hätten,w enn allesschlim m ausgegangen w äre,braune K arrieren m achen können,die noch über ihre V äterhinausgeführthätten.D aherdie W achheit,die Em pfindlichkeit,m itdersie aufjedes Sym ptom reagieren,dasvon nachlassendem A ntifaschism uszeugt.A lso W esendonck,w äre er nurdagew esen,hätte allesverhindern können,Ehrl-K önig w ürde noch leben und Freund Lach auch.Erkann ja das,w enn eresdenn getan hat,garnichtverkraften.D enken Sie doch nur einm alan diese A ugen,diesen Bubenblick.A llerdings,derstetsdasüberentw ickelte K inn überw ölbende W ulstm und sprichteine andere Sprache.U nd auch die vom übrigen G esichtnichts w issende,w eilgenau so kräftige w ie feine N ase. U nd die Party,sagte ich dann,m ich gestisch fürm eine H artnäckigkeitentschuldigend. Ja,die Party.Einer,es w arW ilhelm Thronsberg,derhatte gerade noch vorderSendung gesagt: D aß Ehrl-K önig gestorben ist,w ißtihr? U nd w ißtihr,w oran? Logorrhöe!D ergratulierte jetztso enthusiastisch,daß Ehrl-K önig nach dem N am en fragte. Thronsberg,aberm itt-h,W ilhelm . U nd Ehrl-K önig,w irklich leidend:Thronsberg,t-h,U N D W ilhelm !G nade!Cosi,hilfm ir,sag du,w ie ich w ar,dirglaub ich am m eisten. U nd setzte sich aufseinen,in seinen Polsterthron.Cosisetzte sich aufden Boden,lehnte den Blondkopfan sein K nie,erbekraulte N acken und H aare,auch an ihrerN ase knetete erherum , also,dachte m an da,sind die roten Ränderan Cosim a von SyrgensteinsN ase nichtvom N asenbohren rot,sondern von den knetenden Fingern desM eisters. Jetzt,sag,w ie w arich heute,sagte er. U nd sie:N im m m ir’snichtübel,A ndré,du w eißt,ich bin im m erso furchtbargerade raus,aber du w arstheute nichts als um w erfend,leiderso gutw ie noch nie. 35
U nd er:Ich spüre durchaus,w ie du m ich nachträglich fürdie letzte Sendung kritisieren w illst, und w eiß nicht,ob ich dirdasübelnehm en soll,denn dadurch arbeitestdu ganz direktm einen Feinden zu.Cosifan tutte. Jetztkniete sie,legte den schönen Blondkopfaufseine O berschenkelund w einte.Ergriffm it beiden H änden zu.D ie eine H and in den H aaren,die andere fuhrihrinnerhalb ihresK leidsden Rücken hinab.Sie schluchzte.Ich w ollte doch nursagen,daß du noch nie so gutgew esen sein kannstw ie heute,riefsie.Ja,ja,ja,riefer,ich sollim m erderalles V ergebende sein.G ut,Cosi, ich vergebe dir.A berdergleichen,bitte,nichtnoch m al.Ich finde,ich darferw arten,daß,w er m ich loben w ill,m ich nichtzuerstbeleidigen m uß.Sonstm öchte ich liebernichtgelobtw erden. Sonstistdie W eltnichtm ehrin O rdnung.W ie sagtdoch Shakespeare? Spätkom m tihr,doch ihr kom m t.Jetztlachten alle,w eilersich offenbarim Zitatvergriffen hatte.A bererlachte m it.Er siehtdann schnellverdrießlich aus.Ü belgelaunt.W eilergelachthat.A ch ja,die Party.Jetzt aber,sagte derProfessorund lachte und stand heftig auf,m üsse erseinen A bschied nehm en.Ich begleitete ihn hinunter,erlobte unsere schm ale,fasthundertJahre alte Eichentreppe,w irtraten beide hinausinsFreie und m ußten die A ugen schließen.A usblauestem H im m eldie hellste Sonne und überallderalles noch grellerm achende Schnee.M ünchen blendet,sagte derProfessor und lachte und ging nach herzlichem H ändedruck Richtung U-Bahn.W eilderSchnee noch im m erhartgefroren w ar,ruderte auch derProfessorbald m ithochgew orfenen H änden um G leichgew icht.Ich dachte an Ehrl-K önigshochgew orfene H ände.V ielleichthaterauch nurum G leichgew ichtgerudert,derA rm e.
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Zum K H K W edekind in die Bayerstraße bin ich erstgegangen,alserm irtelephonisch m itgeteilt hatte,daß K K M eisele versetztsei.D em zu begegnen w äre m irpeinlich gew esen.V ielleicht glaubte er,ich seischuld an seinerStrafversetzung.Ich hätte,denktervielleicht,seinem V orgesetzten nichtsagen sollen,daß erund w ie erangerufen hatte.Ich hätte sagen sollen,daß ich w egen irgendeines M ißverständnisses die V erabredung nichteingehalten hätte ...A ch,w as fürein W ustgleich,jede W irklichkeit.Ich sehnte m ich zurück zu Seuse.W aseinem hiererzählt w ird!W asda aufeinen einstürm t!Ich kam m irganz unvorbereitetvor!M eine A ufm erksam keit schärfte ich aufeins:K ein U rteil. M anchm algriffich nach linksinsRegal,w o im m erin Reichw eite Seuse steht.Schlug auf.Eine Predigt,in derich,dasw ußte ich natürlich,A ufnahm e fand.U nd schlürfte die vorU nschuld brausende Seusesprache:
Villieben kynder,derdiesen gruntallein erreichen kunde,derhette erreichetden allernehisten, kurtzesten,slechsten,sichersten weg zu der höchsten nehisten warheit,die m an yn der zyt ervolgen m ag.Zu diesem enistnyem antzu altnoch zu kranck,noch zu dum p,noch zu jung,noch zu arm e noch zu riche,das were:Non sum ,ich inbyn nicht.Ach,was lytunsprechlich wesen an diesem Non sum !Ach,diesen weg enwilnyem antwanderen,m an kere war m an um m er kere!G ot segen m ich,entruwen,wir syn und wollen und wolden ye syn,ye einer uber den andern.H ie m yt syntalle m enschen also gefangen und gebunden,dassich nyem antlassen enwil;im e were lichter Zehen wercke dann eyn gruntlich lassen.
Biszum N ichtsein sich lassen,sich N icht-Ich sein lassen,bisdarausIchsagen gelerntw ird,w enn m an Fichte heißt,und alsG oethe und N ietzsche dann ernten.N ichtsalsSprache gründetdiesen W eg,abernachherfühltessich an,alsseim an ihn w irklich gegangen. A ndererseits,daß die Sprache m indestensaussovielN aturw ie G eschichte besteht,erlebtm an an solchen Texten m iteinem G efühl,dasgem ischtheißen darf.D en slechsten,sichersten weg zu der höchsten nehisten warheit...D aß uns die tausend Ü berliefererslechsten in irgendeine Sackgasse haben geraten lassen,daß w irm itschlechthin nichtsm ehranzufangen w issen,w eil w irdas schlichtnichtm ehrdarin sehen,das doch drinsteckt!W ie vielschönergräbt’s sich da als im G ehege derSchuld.
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A berH errW edekind gab nichtnach,ich m ußte hin zu ihm ,ein Büro vollerStatistikkurven und N achschlagew erken.D ie Com puterim Extra-Raum .W ie ein zarterSportleroderw ie ein trainierterSchauspielerkam erm irvor.G anz am K opfbleibende H aare w ie beiH ans Lach,aber nichtrötlich,sondern dunkel,nichtschw arz. Seine Botschaft:H ansLach bringtihn zurV erzw eiflung.Inzw ischen istbew iesen,daß erandere Untersuchungshäftlinge im W iderrufen trainiert.Breithauptw arnurderA nfang.H ofgang hater jetztnurnoch allein.Jeden dritten Tag überstelltm an ihn in die Ettstraße zurV ernehm ung.Er, K H K W edekind,hatihm zw eiW ochen Schockw irkung zugebilligt,aberanstattins K om m unikative zurückzukehren,w ird erim m ernoch unzugänglicher.A m A nfang haternoch Sarkasm en losgelassen überdie Erm ittlung,dererhierausgesetztw erde.W edekind hatihm klargem acht,daß er,H ansLach,nurnoch biszurSchneeschm elze den versteinerten Stum m en spielen könne.Sobald die Isarauen freiseien,w erden die Indizien blühen.U nd zw argegen einen,deroffenbarnichtdie SpureinesA libishat,sonsthätte erdasja zurA bkürzung und Ersparung von allem einfach heraussagen können.Schw eigen gelte in derK rim inaltechnik als halbesG eständnis.D a fehle einfach noch die psychische K raftund die seelische G röße,sich durch ein G eständnisw iederden M enschen anzuvertrauen,zu denen m an doch gehöre,letzten Endes.A uch w enn m an ein kom plizierterSchriftstellersei.A berso kom pliziertkom m e H ans Lach ihm ,dem H ansLach lesenden K rim inalbeam ten,garnichtvor.Erhabe inzw ischen das m eiste gelesen.A lle neun Rom ane und einigesvom D rum herum auch.A lle A chtung vordem Leidenspark derLach-Rom ane,alle A chtung vorderK raftzurZuw endung.A berselbstw enn er H ansLach in ein Literaturgespräch ziehen w olle – keine Reaktion.D asheißt:einen Zettelkriegt m an schon m alvon ihm .D ie Lippen w ie zugenäht.W ie fürim m er.O ffenbarhabe sich Lach angewöhnt,überjeden,dem ergegenübersitze,hinw egzuschauen.In die A ugen schauen,geht nicht.Linksoderrechtsvorbeioffenbarauch nicht.V orsich hin,auch nicht.A lso überden hinw eg.In die H öhe.A n die W and.G estern habe H ansLach ein M esserausderTasche gezogen, ein K lappm esser,M odellSchw eizerA rm eem esser,habe es aufgeklappt,dann ihn,W edekind, angeschaut,w ahrscheinlich um zu sehen,ob W edekind A ngsthabe,da dasnatürlich nichtder Fallgew esen sei,habe Lach das M esserw iederzugeklappt,habe es aufden Tisch gelegt,dazu einen Zettel,aufdem stand:M itdiesem odereinem M esserdieses M odells w erde ich dem nächst, w enn Sie m ich w eiterhin belästigen,in Ihrem G esichtSchaden anrichten.H ansLach.U nd in K lam m ern darunter,groß:U nschuldiger. A berw arum sprichterdann nichtm ituns,sagte W edekind. D aß m an ihm einen zu V erhörenden m iteinem A rm eem esserüberstellt,habe zurzw eiten D ienstaufsichtsbeschw erde seinerseits geführt. 38
Ich sagte,ich seinoch nichtso w eit,um irgend etw assagen zu können.Ich seiallerdingsm it nichtsanderem beschäftigt,alsm itdem N achw eiseben derU nschuld,die aufLachsZettel verm erktsei. W edekind w iederholte dann,w asich schon kannte,zusam m enfassend.W ie Ehrl-K önig die N iederm ache des Lach-Buchesinszeniertund praktizierthabe,das seinichts als m eisterhaft. U nd Lach habe,w ie eine V ernehm ung desdurch sein heiteresG em ütvorallergrellen Parteilichkeitgeschützten Professors Silberfuchs ergab,dam itrechnen können,gerade diesm al gutwegzukom m en.Ehrl-K önig habe in den letzten dreiW ochen vorderSendung gesagt,H ans Lach stehe aufSEINER LISTE,und aufSEINE LISTE kom m en,so Silberfuchs,fastnurBücher, die nachherdie G uten sind.Erhabe allerdingsauch schon BücheraufSEINE LISTE genom m en, die nachherals Schlechte Bücherbehandeltw urden.A bervielhäufigerkom m t,w en erauf SEINE LISTE nim m t,gutw eg.D ie Presse veröffentlichtja vorderSendung SEINE LISTE,die V erlage drucken sie in ihren Inseraten.D iesm alalso habe H ansLach ausallen erreichbaren D aten schließen können,seinsw erde dasG ute und dasvon Philip Roth dasSchlechte Buch sein. BerntStreiff,ein K ollege und fastein Freund von H ansLach,habe näm lich ausdem PILG RIM V erlag,dessen A utorStreiffist,gehört,daß Ehrl-K önig in einem Telephongespräch m itLudw ig Pilgrim gesagthabe:A ch,Philip Roth!D ashabe geklungen,alshabe Ehrl-K önig essatt,schon w iederein Philip Roth-Buch gutfinden zu m üssen.A lso m ußte ja H ansLachsBuch dasG ute sein.Lach seidann,das habe das G espräch m itJulia Pelz,derV erlegergattin ergeben,nurzur Party geladen w orden,w eilim H ause PILG RIM gedachtw urde,die SPRECH STU ND E w erde endlich ein Trium ph w erden fürH ans Lach.A llerdings w ares nurund ganz allein Julia Pelz,die H ansLach einschleuste.Ihrem M ann w agte sie das,w eiles sich doch um eine Sünde gegen das Ritualhandelte,nichtvorherzu sagen,abersie w ollte durch ihre Initiative bew eisen,daß sie, w as Ehrl-K önig sagen w ürde,schon vorherund durch eigenes U rteilgew ußthabe.Sie w ollte sich als V erlegergattin profilieren.Einen Trium ph feiern gegen die Regel.D arausw urde dann nichtsbeziehungsw eise etw asganz Furchtbares. O b ich,fragte er,noch einm alum ein G espräch m itH ansLach ansuchen könne? D assagte ich zu. O b ich m itihm in derPolizeikantine M ittag essen w olle.V ollw ertkost.H eute G em üsestrudel. V orherG erstensuppe.Sehrbillig und sehrgut.Ich m achte ihn daraufaufm erksam ,daß seine K ettenrauchereinichtzu diesem Schw ärm en von derV ollw ertkostpasse. Eine V ernehm ung dauere gelegentlich achtStunden,sagte er.N ach sechsStunden und zw anzig Zigaretten,sage erdann schon einm al:Sie w issen,Sie sind derTäter,w irw issen,daß Sie der Tätersind,aberSie w ollen esunsnichtsagen.D ann verlasse erdie V ernehm ungszelle im vierten 39
Stock in derEttstraße,renne zum Bahnhofund fahre heim und hoffe,derSitzengelassene leide jetztdarunter,daß die V ernehm ung so jäh abgebrochen w orden sei.Erhabe übrigensH ansLach, um ihm näherzukom m en,gestanden,daß erdurch die Lach-Lektüre sensibilisiertw orden sei. W enn erjetztabends,von derBayerstraße kom m end,querdurch den H auptbahnhofzu seinerSBahn gehe,schaue er,ob die Speichelbatzen,denen eram M orgen ausgew ichen sei,noch da lägen.A beresseiihm noch nichtgelungen,Lach zu beeindrucken. M ich zu beeindrucken seiihm gelungen. W issen Sie,sagte er,ich darf H errn Lach nichtm erken lassen,w ie schw er m ireine Erm ittlung fällt,beiderkeine Leiche vorliegt.D ie Leiche,derZustand derLeiche,das istm otivierend. Ohne Leiche verkom m talleszum Q uiz.D aß Sie m ich nichtganz falsch verstehen,sagte erdann, w enn die Täternachhergetötetw erden w ürden,könnte ich nichterm itteln.W irverabschiedeten unsherzlich.Zw eiM enschen,von denen einerdie U nschuld,derandere die Schuld einesD ritten bew eisen w ill. Ich konnte m eine U nschuldsverm utung schützen vorallem ,w assie gefährden w ollte.Ich verhieltm ich faktenfeindlich,bew eisabw eisend,w irklichkeitsfrem d.Seuse w ürde,w ie ich m ich verhielt,gelassen nennen. M eine nächste A dresse:Julia Pelz.Frau Pilgrim .Frau Pelz-Pilgrim .A ufden Photographien stand sie im m erso neben ihrem M ann,alsstim m e sie ihm zu.N ichtganz ohne freundliche H erablassung.A bervielleichtblitzte dieserhübsche Spott im m erin ihren A ugen,und da m an sie m eistensm itihrem M ann sah,glaubte m an,derseiderA nlaß diesesim m erein bißchen frechen Blicks.Ja,das w arihrBlick,frech,nichtspöttisch.A berganz schön frech. Liebensw ürdig frech.D erProfessor,dersie,als PILG RIM -A utor,öfterdirekterlebte,hatte gesagt,sie seiim m erso angezogen,als w äre sie gerade vom Pferd gesprungen.Erhatgesagt: gesprungen. Ich gebe zu,ich w araufdiese Frau gespannt.A berdasm itderK leidung stim m te dann schon einm alnicht.Eine A rtM antel,schw arz,eng,offen getragen,ohne daß eraufgegangen w äre,aber m an sah dasschw arze Top m itV-A usschnittund sah auch,daß die schw arze H ose erstan der H üfte begann und erstvon den K nien an w eiterw urde.A n den blassen O hrläppchen funkelten w inzige Fläm m chen.W ahrscheinlich doch etw asD iam antenes.In den V-A usschnitthing,fastzu groß,ein in einem silbernen K reis schw arzgleißenderStern,dersofortauffiel,w eilerstattfünf odersechsZacken sieben hatund sechssind schw arz und die siebte Zacke,die nach unten w eisende,istreines strahlendes G old.D aß ich,deram liebsten in den alchem istisch-m ystischen Labyrinthen herum tappt,von einem solchen Stern nichtgleich w iederw egschauen kann,ist w ohlverständlich.U nd em pfangen w urde ich in einem Raum ,dernichtin den elsternhaft 40
farbasketischen M odernism us derschw arz-w eißen Treppen-und Plattform architekturpaßte,den derberedte Professorso lebhaftgeschilderthatte.Schw ere Tapete,Seide dachte ich oderBrokat, ein w ilderBilderbogen aufallen W änden.U nd nichts als verblüffend:ich kannte diese Bebilderung.Ich m ußte sie kennen.Bloß w oher? D iese m anierierten,eingebildeten H irsche m it ihren etw aszu groß geratenen G ew eihen.U nd lassen sich von Schim pansen streicheln und belehren.U nd Blum en,von denen jede aussieht,alsseisie die einzige Blum e derW elt,und das w isse sie.U nd V ögel,die einm alnichtselbersingen,sondern zuhören.A berw em ! Schm etterlingen hören sie zu.U nd die steigen aufauseinem goldenen G rund,derdie W eltist. Ich hatte dergleichen schon gesehen,gerade gesehen,nichtzum ersten M algesehen,ja, natürlich,A m sterdam ,A bteilung Saturnische Kunst. O dernicht!? V orerstkonnte ich nurden K opfschütteln. Bitte? fragte sie,w eilich im m ernoch stand und schaute,anstattm ich zu setzen und ihre Frage TeeoderK affee zu erw arten und Tee zu sagen.D iese Tapete,sagte ich im m ernoch kopfschüttelnd,w issen Sie,w oherdie M usterIhrerTapete stam m en? Sie lachte auf,drehte sich w ie zu einerPirouetten-Parodie eineinhalbm alum sich selbstund sagte:Sie sind gut.D ie sind aus Splendor solis,m einem saturnischen Lieblingsbuch.U nd w ie kom m tso w asnach Bogenhausen? fragte ich und verm ied gerade noch,dazuzusetzen:...in dieses H aus. LieberH errLandolf,sagte sie,setzen Sie sich bitte.N ach allem ,w as ich von Ihnen bisjetzt w ahrgenom m en habe,trinken Sie Tee. Ich nickte.Sie sagte irgendw ohin:Tee,bitte. D ann sagte sie:Sie hätten sich doch w undern m üssen,daß Sie,kaum rufen Sie an,sagen Ihren N am en,hiersofortem pfangen w erden.Ich gab zu,m ich gew undertzu haben,aberderA nlaß H ansLach seim irdann G rund genug gew esen,so rasch und um standslosem pfangen zu w erden. JoostRitm an auch,sagte sie. W ie bitte? Ja,sie seieine Sam m lerin von Specim ena aus A lchem ie,K abbala und M ystik.A lso telephoniere sie ein-,zw eim alim M onatm itJoostRitm an,den sie kennengelernthabe aufA uktionen in London und N ew Y ork und Zürich,w eilerihröfterm alStücke vorderN ase w eggekaufthabe, die sie gerne gehabthätte.U nd w eilihm und ihrStücke vorderN ase w eggekauftw orden seien, die erund sie gern gehabthätten.A ls das in N ew Y ork m itW illiam Blakes Songs ofInnocence and ofExperience passiertsei,seien sie m iteinanderessen gegangen und hätten gew eintund gelacht.A berLessing Rosenw ald,derw ahrscheinlich hinterdem unerschütterlich alles Ü berbietenden gestanden habe,hätte sich dieses letzte verfügbare von den dreivon Blake selber 41
gem alten Exem plaren einfach nichtnehm en lassen.1,2 M illionen D ollarsind zw arfürdieses Buch ein absolutlächerlicherPreis.M an stelle sich bloß vor,derw eltgrundtiefe Blake persönlich bem altdreiseinerSongs ofInnocence selber,die schw ärzeste LichtgestaltderLiteratur überhaupt,und dasistdasletzte Exem plar,daszu kriegen ist!A berw enn ich w eitergesteigert hätte,hätte ich nichtm ehrheim kom m en dürfen.Ludw ig Pilgrim sam m eltbayerischesBarock. U nd die Tapete? fragte ich. D ie stam m tausden Bordüren von Splendor solis,die hatim 18.Jahrhundertein Saturnistin A ntw erpen w eben lassen,ich habe sie in Luzern entdecktund gekauftfürw enigeralsein bessererBM W kostet,dernach zehn Jahren nichtsm ehrw ertist. Schw eigen. D ann sie:A lsich vorachtTagen m itJoosttelephonierte,erzählte erm irvon einem Besuch aus M ünchen,und daß derBesucher,derüberauskundig und sym pathisch gew irkthabe,daß der w egen einesfurchtbaren V orfallsganz rasch abreisen m ußte,und alsSie dann anriefen,w arich zw arüberrascht,abernichtverblüfft. Ich bin,sagte ich,im m ernoch verblüfft. Saturn,sagte sie und ließ ihre Fingeran ihrem im K reisgefangenen siebenzackigen Stern spielen. D erSiebenzackige,sagte ich,um endlich ein bißchen aufzuholen.A usdem M editationsbild des Stolciusvon Stolcenberg,V iridarium chym icum ,Frankfurt1624. U nd ich hab’sm irsiebenzackig m achen lassen in A m sterdam ,sagte sie.SchönesV iridarium , sagte sie und spielte m itihrem Siebenzackigen im K reis. Blake,sagte ich,die sieben Brennöfen derSeele. Schließlich istSaturn unterden Planeten dersiebte,sagte sie. M irw ird ein bißchen schw indlig,sagte ich. Endlich,sagte sie und riefirgendw ohin:Calvados.D araufsah sie m ich so an,daß ich sagen konnte,sagen m ußte:Jaaa. Jetztaberzu H ansLach.Sicherw isse ich schon,daß sie ihn eingeschleusthabe,ohne esihrem M ann zu sagen,also seisie schuld an dem ,w as dann passiertist. Ich:A bererw ar’s doch garnicht. Sie:Passiertistpassiert.U nd erw ares.M om entm al. U nd griffausdem Regal,in dem die m eisten Buchrücken vorW ürde schim m erten,ein schlichtes Buch,ich erkannte essofort:D erW unsch,Verbrecher zu sein.H ören Sie,sagte sie,und las:
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Fortsein,ganz drunten,sich im Eis m ästen,G edanken schleifen wie M esser zu nichts anderem als Trennung,Trennung,Trennung.
Illegitim leben.Im Verstoß leben.Nichtzu rechtfertigen.Aber es m achtnichts.M an behilftsich. D ie G eschichte hatviele Türen,die ins Freie führen.U nd wenn’s einem paßt,trittm an wieder ein.M iteinem verlegenen Räuspern oder m iteiner auftrum pfenden G ebärde.W eder das eine noch das andere isternstgem eint,ihr Aufpasser.
Eine Figur,deren Tod m an für vollkom m en gerechtfertigthält,das wäre Realism us.
D ie W espen,so zudringlich,als wollten sie so schnellwie m öglich getötetwerden.
Sie sah m ich an,m itblitzendem Blick sozusagen und verw egenem M und und zückte ihren rechten Zeigefingerw ie einen D olch.W oran denken Sie,w enn Sie dashören? Ich ahnte,w as sie m einte,tataberso,als ahnte ich nichts. Feigling,riefsie.D as istdoch Ehrl-K önig pur,das istdie V orstufe,besser:das V orspiel.W eiter:
W ie verständlich sind m ir die M örder.Schon wegen der Notwenigkeit,die sie zum Ausdruck bringen.Sie geben zu,daß sie nichtanders können.Ich kann auch nichtanders.Ich tue nur so, als könnte ich anders.D eshalb istin m ir und an m ir alles so verrenkt.
W ir stoßen einander von den Planken eines sinkenden Schiffs.
Er dürstetnach U nm enschlichkeit,weiler sein willwie die,die ihn so gem achthaben.
Sie erweisen m ir Freundlichkeiten,die nichts als beleidigend sind.
W iederschaute sie aufund m ich an.U nd sagte:H ören Sie:
W enn du noch einm alhingehst,irgendwo,gehörstdu entm ündigt.Vorwärts nur noch durch Bewegungslosigkeit.
Ö ffentlichkeitschm erzt,vergleichbar dem Sonnenbrand.
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M an kann sich aufden Augenblick des Ü berführtwerdens nichtvorbereiten.M an tutzwarnichts anderes m ehr,als sich aufdiesen Augenblick vorzubereiten,aber m an weiß schon,daß m an nichts von dem sagen wird,was m an sich wieder und wieder zurechtgelegthat.Es wird einem einfach nichteinfallen.D ie Scham verhindertjede Regsam keitdes G eistes und der Seele.Nicht die Scham ,daß m an das und das getan hat– ach,diese Tat,das istdie reifste Frucht,die je ein Baum getragen hat–,sondern die Scham ,daß m an gleich überführtsein wird.D ie Tatund das Ü berführtsein berühren einander nicht.D ie Scham hatnur einen G rund:du wirstnichtnur überführtsein,du wirstm itarbeiten an deinem Ü berführtwerden.Aus jeder G este und Regung, die du jetztnoch verm agst,stürztnichts als das G eständnis.U nd dafür schäm stdu dich.D aß du ihnen das G eständnis lieferst.
Es ist,als bem ühte ich m ich,die Vorwürfe,die m an m ir m acht,zu rechtfertigen.Als die Vorwürfe gem achtwurden,gab es noch wenig G ründe für sie.D ie liefere ich jetztnach.
D ie Bestrafung.Titelfür m eine Autobiographie.
W as geschieht,wenn du gestehst? D u brichstein.Aufder Stelle,aufder du stehst.Keine H and strecktsich nach dir.Also los.G esteh.Endlich.
U nd jetzthören Sie,bitte,die rein saturnistische Stelle:
W eitdraußen unterm schwarzgefleckten H im m el,aus dem Boden schießtdas weißeste Eis. Barfuß und stolpernd weiter.D ie Sohlen schreien.Es regnetglühende Nägel,denen nichtzu entkom m en ist.Schwefelm eere brodeln m itweltfüllendem G estank.In diesem Augenblick senkt sich der universale Arsch G ottes aus dem W eltraum und scheißtseine Schöpfung ins Exit.Für im m er.W elch ein G lück,denktm an,während m an in der göttlichen Scheiße erstickt.
Und zum guten Schluß:
W ahnsinnsfragm ente und Pointenschutt.Klettergeräusche im Leeren.Zersprungene G ipfelvision.H orrorm arm elade aufs vergiftete Showbrot.Sadism us zu Tageskursen.Lückenlos nur die Kontrolle.W inziger als die Freiheitistnichts.Euch entwachsen,bin ich in eurem G riff wie noch nie.Lebenslänglich eine Enthauptung.
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A ls ich das las,sagte sie,habe ich gew ußt,daß w irzusam m engehören,erund ich.D asistdie Beendigung derchristlichen Finsternis.Saturn,das w issen Sie,w ird m itseinereigenen Pisse getauft.D eshalb isterzw arin jeden Schm utz und A bgrund gestoßen,abererbleibtin jedem D reck,in den ergew orfen w ird,derG roßvaterA polls.Saturn istdie ZeitvorderZeit.U nd nach ihr.D ie absolute A nti-U topie.Fortund fortfrißterdie eigenen K inder.H ans Lach istder gequälte Christ,dersich helfen kann zuerstnurm itD elirium ,dann m itderTat.Ehrl-K önig w ar die O perettenversion des jüdisch-christlichen A bendlandes,das A ntisaturnische schlechthin. Pleasure now ,das istEhrl-K önig.Instantpleasure.Blind fürden Zustand.Taub fürdie G em arterten.Sie sind zu m irgekom m en,um etw aszu erfahren. Inzw ischen w arauch derCalvadosgebrachtw orden.In einerK araffe.W irtranken an diesem N achm ittag die ganze K araffe leer. Sie sagte,sie habe,w as sie m irsage,natürlich derPolizeinichtgesagt.Sie hoffe im m ernoch, daß H ansLach die Tatgestehe. Ich schüttelte den K opf.Sie w ollte w issen,w arum . W egen ein paarFernsehplänkeleien tötetm an nicht. U nd sie:D erglücklichste M ensch desZeitaltersm ußte sterben,w eilihn derU nglücklichste nicht ertrug. Stilisierung,riefich. Passen Sie auf,sagte sie und streckte dabeibeide Zeigefingeraufdas zierlichste in die H öhe;sie spielte eine ernstaufgelegte Pädagogin.Sie m ache m ich jetztm itM aterialvertraut,dassich im LaufderJahre beiihrgesam m elthabe.O hne ihrZutun sozusagen.Sie m üsse mirdavornoch sagen – übrigensohne aufV erständnism einerseitszu hoffen:N urw enn H ansLach gestehe, erw eise ersich seinerTatw ürdig.W enn ernichtgesteht,unterw irftersich derSpießerm oral: W eiße W este,gutdavonkom m en,heucheln.W enn erzu seinerTatsteht,leuchtetsie.M acht G eschichte.Entw ickeltunsU nterentw ickelte. A lso,das Ehrl-K önig-M aterial.V on heute ausgesehen,m üsse sie sagen,daß sie,w asjetzt geschehen ist,im m erhabe kom m en sehen.N och zw eiBem erkungen vorw eg.Erstens:A lsG attin des Ehrl-K önig-V erlegershabe sie natürlich m ehrm itgekriegtalsjederandere M ensch,Ludw ig Pilgrim ausgenom m en.A berihrLudw ig seiein so durch und durch harm loserM ensch,ihm w ürde es nie einfallen,ein solches Existenz-D ossierw ie das,w as sie hatentstehen lassen, überhauptzu bem erken.U nd zw eitens:W enn H errLandolfaufdie Idee kom m e,das,w assie ihm vortrage,füreine Rache dervon Ehrl-König nie auch nurzurKenntnisgenom m enen Lyrikerin Julia Pelz zu halten,dann allerdingshabe Ehrl-K önig gesiegt,überseinen Tod hinaus, eben fürim m er.Ihre dreiG edichtbände G oldsand,Traum stein und Q uarzherzseien ihr 45
Innenverm ächtnis.Sie stam m ten aus einerZeit,in dersie,Julia Pelz,nichtm ehrlebe,in dersie leidenschaftlich gern zu G astw ar,als sie allesnoch nach seinerErscheinungsqualität einschätzte.Seitsie Saturn zu ihrem Paten gem achthabe,fühle sie sich unverw undbar.Richtig sei,gew isse Bücherbrauchen K ritikerfolg,überhauptA pplaus.Sie m öchte kein solchesBuch schreiben.Sie m üsse überihre Lyrikbücherüberhauptkein U rteilhören.In ihrseidiesen drei Büchern eine A rt N achhaltigkeitgesichert.D asgenüge ihr.Jetztalso N achrichten,A ndré EhrlK önig betreffend. Sie nahm einen O rdnerund lasvor.N ach jederN achricht,auch w enn sie ganz kurz w ar,w urde eine neue Seite aufgeschlagen.
Ehrl-K önig-V ortrag in derU niaus:W ie ich lese.A lserw eg ist,w erden seine Sätze im kleinen K reis vollerV erachtung zitiert.A ls erda w ar,hatihm in derD iskussion keinerw idersprochen.
Ludw ig:Ehrl-K önig hatzu seinem G eburtstag vierFestschriften organisiert.Esistihm nicht verständlich zu m achen,daß beiPILG RIM höchstenszw eierscheinen können.
Ehrl-K önig im Interview :Ich habe m ich im Richtigen entw ickelt.D asm ag selbstgefällig klingen,aberim G runde w ird so etw as ja doch auch von anderen festgestellt:das,w as ich aus m irgem achthabe,istdas,w asheute kein andererin D eutschland kann.
In einerTalkshow Ehrl-K önig zum Schluß zu dem M aster:Ich schenke Ihnen zum A bschied eine geniale Idee.D erM aster,gierig:O h ja,bitte.Ehrl-K önig:M achen Sie eine Reihe.D ie LiteraturderM oderne und derm oderne M ensch.D erM oderatorbedankte sich bem üht,sagte aber:W enn dasnichtgenialist!D asPublikum klatschte.
Ludw igsG eburtstagsparty,BertStreiffzitierteinen Ehrl-K önig-Satz so laut,daß Ehrl-König ihn hören m uß.D erdrehtsich herum ,verdrehtdie A ugen w ie ein vergifteterSchm ierenkom ödiantin einerSchm achtszene,w irftdie H ände hoch,alsgehörten sie ihm nichtund ruft:U nd so w as m erken Sie sich,pfui!A lle lachen.
Lucie B.,seitJahren Ehrl-K önigsLektorin,beklagtsich beiLudw ig:Sie kann nichtm ehr.Seit einundzw anzig Jahren zw ingtEhrl-K önig sie zu K om plim enten.ErlobtjedesM anuskript,daser bringtund esistklar,daß sie zustim m en,sein Lob überbieten m uß odererhaßtsie.D am itkann sie leben.A berjetztverlangter,daß sie jedesm alauch seine früheren Bücherandauernd lobe. 46
D as gehe zu w eit.Sie w eiß,daß seine M utterihn abgelehnthat,w eilerklein und häßlich w ar. D afürw illerjetztvon jedem andauernd entschädigtw erden.Eristein K ind geblieben,das eine liebere M uttersuchtals es hatte.A bersie w eigertsich,diese M utterzu sein.Ludw ig Pilgrim soll helfen.
A ch,H errLandolf,m an m uß kein D on Q uijote sein,um Ehrl-K önig füreine W indm ühle zu halten. D as w äre ein hübscherSatz,sagte ich,w enn Ehrl-K önig nichterm ordetw orden w äre. Sehen Sie,so kreisen w irdoch alle um ihn,sagte Julia Pelz dann und ließ ihren M und als geschürzten w irken.Ich nickte:Sein letzterG eburtstag,sagte sie dann,in Brüssel,Bonn,Berlin und,als Breslau-Ersatz,W ien.Ü berallw o die junge M utterihn geboren haben könnte.Sie hates ihm ja angeblich nie gesagt.A lso hatsie die H om erm asche inszeniert.A berdie Städte m achten ja m it.Ludw ig m ußte vierm alsprechen,RH H zw eim al,M uschg und Jandlje einm al.U nd natürlich auch noch alles,w asda und dortRang hat.Ehrl-K önig,öffentlich,jedesm al:das seidie H auptfeier,allesandere seien unbedeutende N ebenfeiern.U nd so w eitw ie H om er,von sieben Städten reklam iertzu w erden,bringe eresleiderdoch nicht.U nd sprichtauf jederV eranstaltung zu jedesm alfünf-bis siebenhundertPersonen überdie Einsam keit. W issen Sie,H errLandolf,sagte sie dann,jem and,dem derTod oderein M ord alles so verdreht, dersich nichtm ehrgestatten darf,einen Erm ordeten schlim m zu finden,derblendetsich aus. A ls G eist.A ls Seele.A ls K örper.A ls Existenz.H aben Sie noch Fragen? N och viele,sagte ich. W enn einem etw asnichtgefällt,istesschlecht,sagte sie.D avon hatergelebt.W asihm nicht gefiel,w arschlecht.U nd dafürhatihn die Chorknabenherde seinerFeuilletonsverhim m elt.Seit dem m uß m an nichtsm ehrbew eisen,nurnoch sagen schlechtodergut.D ashatergeschafft. Ich habe nichtgew ußt,daß Sie ihn so w enig geschätzthaben,sagte ich. Erhataus derÄ sthetik eine M oralgem acht,sagte sie.D ie M oraldes G efallens,des V ergnügens, derU nterhaltung.D ie Pleasure-M oral.W asm ich nichtunterhält,istschlecht.O b’sihm klarw ar odernicht,ob’s seinerClique und Claque klarw arodernicht,sein G utund Schlechtist ästhetisch getünchte K atechism usm oral.Einen,derein schlechtesBuch schreibt,m uß m an niederm achen.M üllbeseitigung.G egen Botho Strauß haterso eröffnet:W erberühm tist,kann jeden D reck publizieren.Sein Publikum w ieherte.D a die Todesstrafe abgeschafftist,brauchen die so w as.G utund schlecht,ein W örterpaarw ie gutund böse.Ü berhauptrichten. W enn Ehrl-K önig m iteinem diskutierte und nichtdirektobsiegte,sagte ereinfach:V on M usik verstehen Sie nichts,da sind Sie schw ach aufderBrust.Eine seinerV erbalgesten.D as sagte er, 47
auch w enn von etw asganz anderem die Rede w ar.D assagte erauch zu Ludw ig Pilgrim ,dessen V aterschöne spätrom antische K am m erm usik kom ponierthat,derleiderbeiden N azisnichtganz schlechtangeschrieben w ar.Ernehm e ihm seinen V aternichtübel,so w enig w ie W esendonck den seinen.A lsLudw ig sagte,sein V aterhabe zustim m ende Briefe bekom m en von Chatschaturian und D allapiccola,riefEhrl-K önig:Sag ich esnicht:von M usik verstehen Sie nichts. Sie schw ieg,erschöpft,unschlüssig.Ich konnte nichthelfen.D ann sie:Ich habe gerade an den Satz aus:D er W unsch,Verbrecher zu sein denken m üssen:Verlassen von der M usik,schauen wir zurück,um zu sehen,wann sie uns verlassen hat.Und dann sagterzu HansLach:Von M usik verstehen Sie nichts.Ü berdiese Sorte Sprachgefühlgrinstjeder.A berhintervorgehaltener H and.Sie habe ein paarEhrl-K önig-Sätze,die sie da und dortgehörthabe,notiert,habe dazu notiert,w ie oftgehört,also von w ievielverschiedenen Zeitgenossen ein und denselben Satz,und jederhabe m erken lassen,daß Ehrl-K önig diesen Satz ihm höchstselbstgesagthabe.A lso gleich m al:V on M usik verstehen Sie nichts,elfm alhatsie den von V erschiedenen gehört.Sechsm al m itdem Zusatz,Tristan und Isolde m einend:D erCoitusfindetim O rchesterstatt.D reizehnm al: Ein A utorruftihn im H otelan,esgehtum eine V erabredung,derA utor:Treffen w irunsan der Rezension.V ierzehnm al:D ie deutschen D ichterm einen im m er,die Leute m üßten deutsche D ichterlesen,w eitgefehlt. Plötzlich klappte sie die A kte zu und sagte,sie w erde sich,im m erw enn sie sich m itEhrl-K önig beschäftige,selberunangenehm .IhrEkelvorseinerM akellosigkeitseiihrunangenehm und doch verm öge sie nichtsgegen diesen Ekel.Im m erschon.Seitsie Ehrl-K önig kenne.Sie kenne ihn natürlich nurvon Parties,vom Fernsehen,also im m ernuralsden,um den sich allesdrehte, dersich präsentierte,derim m eralle anderen schlechteraussehen ließ als sich.Selbstw enn er lobte,ein Buch odereinen M enschen,habe esim m erso geklungen,alserw eise ereine G unst. ER lobte!D a konnte dasBuch oderderM ensch w irklich froh sein,so gutw eggekom m en zu sein.M itjedem Lob,m itjedem Tadelw urde erselbergrößer,m ächtiger.U nd diesem W achstum seisie nichtgew achsen gew esen.Sie habe,w enn sie sich gegen ihn eingenom m en fühlte,im m er gespürt,daß sie dam itgegen das G ute votiere,denn erverkörperte ja das G ute schlechthin, im m erim D ienste derA ufklärung,w ie außerihm allenfalls noch W esendonck,derinzw ischen ja deutlich K reuzschm erzen hatvorlauteraufrechtem G ang.U nd sie w ardagegen.N annte ihr D agegensein dann allm ählich saturnisch.W issend,daß das Ersatzw örterseien fürein tiefer sitzendesG efühl:esgibtdasG ute nicht,dasistihrG efühl.U nd w enn einerdasG ute repräsentiert,dann lügter.Bew eisen kann sie nichts.W illsie auch garnicht.H errLandolfm uß ihrauch garnichtantw orten.Ihrreichtesfürheute.Sie isterschöpft,enttäuscht,verbittert, 48
erledigt!Eine Figur,deren Tod m an fürvollkom m en gerechtfertigthält,dasw äre Realism us. D as istihrSatz.A ls sie diesen Satz las,entdeckte sie H ans Lach.V on da an w uchs in ihr,ohne daß das je zw ischen ihrund ihm ausgesprochen w urde,V ertrauen.Sie entschuldige sich nicht dafür,daß sie das erlebte w ie eine Schw angerschaft.V ertrauen als Frucht.W egen derspürbaren Zunahm e.W egen desW achstum s.Jetztsage sie auch dasnoch – und esseiüberhauptnoch nicht das Ä ußerste –,sie habe gew ußt,daß Ehrl-K önig die M ädchen ohne Zehennägelals Schlechtes Buch niederm achen w erde.Ehrl-K önig habe natürlich Pilgrim gegenüberschon vorher herausgeplappert,w aservorhabe.Erw ußte ja,daß Pilgrim gegen ihn keinen seinerA utoren schützen konnte.Erw ardie M achtund die M achtw arer.U nd w enn m an w issen w ill,w as M achtist,dann schaue m an ihn an:etw asZusam m engeschraubtes,eine K ulissenschieberei, etw as H ohles,Leeres,das nurdurch seine Schädlichkeitbesteht,als D rohung,als A ngstm achendes,V ernichtendes.Sie habe m itgekriegt,w ie viele Schräubchen Ehrl-K önig drehte und drehen ließ,biserderK olossw ar,vordem alle in die K nie gingen.U nd dasim N am en derLiteratur.Im N am en Lessings,G oethes.N ichtim N am en H ölderlins.D a hatja sein Chorknabe N um m ereins geschrieben,daß es das große V erdienstEhrl-K önigsseim itallem D unklen und H album nachteten aufgeräum tzu haben in derdeutschen Literaturund Literaturgeschichte.U nd hatH ölderlin genanntalsA hnherrn jenerTradition,die sich tiefsinnig gibt,abernurm ißglücktesD enken ist.H ölderlin!Im N am en derA ufklärung.D esLichts.Ja,w er sollte da dasLichtnichthassen lernen!Eine Figur,deren Tod m an fürvollkom m en gerechtfertigt hält,das w äre Realism us.D iesem Satz seisie gefolgt.Sie habe aufdasgehofft,w asdann passiertsei,w enn sie sich auch nichthabe vorstellen können,w ie es passieren w ürde.A berdaß espassieren w ürde,habe sie nichtnurgehofft,dashabe sie gew ußt.U nd esbedurfte zw ischen ihrund H ansLach keinerV erabredung.Sie w aren verbunden durch gem einsam e Erfahrung. Schicksalsgem einschaftbrauchtkeinen Plan,keine Intrige.D asführtunterallen U m ständen zum einzig m öglichen V erlauf.Sie w erde H ansLach besuchen.Esfehle jetztnurnoch das G eständnis.Ehrl-K önig seiein O pfer.D erM acht.D ie erw ar. Biszu diesem Satz hatte sich ihre Linke an dem siebenzackigen Stern festgehalten.Jetztließ sie ihn los.A ufatm en,beiderseits.D ie sieben Brennöfen derSeele.O h W illiam ,oh Blake. V ielleichtkönnten Sie und ich unsunternoch günstigeren U m ständen w iedereinm alsehen, sagte sie.In diesem V iridarium ,sagte sie und lächelte w ie nursie lächeln konnte:sie drehte dabeidasG esichtum eine W inzigkeitw eg von m ir,konnte dadurch ihre A ugen um ein W inziges zu m irherdrehen,die Lippen auch,so w urde daraus ein virtuoserSpottaufalles Erdenkliche, inklusive sie und m ich.O dereine verzw eifelte V erw egenheit.M an m uß dasnichtzuordnen.A uf jeden Fallw arsie da unendlich schön.D as m uß ich schon sagen.M irw arnoch nie ein M ensch 49
so schön vorgekom m en.W ie danach w eiterleben,dachte ich im H inausgehen.N irgendsnoch etw as Entsprechendes.Schw änin. Sie ging m irflottvoraus.W arsie doch vom Pferd gesprungen? A n derTüre,die ein Portalw ar, entließ sie m ich m iteinem N eigen ihres K opfes.Ich w artete,bis derK opfsich w iederhob,ich w ollte ihreinm aldirektinsG esichtsehen.N ichtneugierig.N ichtzudringlich.A berdoch forschend.Ihre Lippen sagten etw asLautloses,dashätte consum m atum estheißen können.A ber derÜ berriß blieb.D asU neindeutige.D asnach allen Seiten W irkende.D ie richtungslose K raft. A lsich heim fuhr,fielm irein,daß ProfessorSilberfuchsm ir,alsich ihm von diesem bevorstehenden Besuch erzählte,gesagthatte:V ergessen Sie nie,sie hatm itPicasso geschlafen, als jüngstes M ädchen,vielleichtw arersogarihrErster,und zw arim Stehen,w obeinicht überliefertist,ob das etw as überdie Flüchtigkeitoderdas Raffinem entdieses Beischlafs aussagen soll.U nd hatte sein etw as schepperndes Lachen ertönen lassen.Jetztfand ich es erstaunlich beziehungsw eise nichterstaunlich,daß ich w ährend desganzen Besuchsnichtein einziges M alan diese M itteilung gedachthatte.A ls Schlußw ortblieb m irfürsie:Spitzbübin.
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In derSteinheilstraße dasG egenprogram m .Zu allem .BerntStreiff,Lydia Streiff.Ich durfte erst kom m en,w enn Lydia Streiffvon derA rbeitzurück sein w ürde.Seine Frau w olle dabeisein .Es seiihrzu riskant,ihn allein überdiesen A bend vorderTatreden zu lassen.U nd da sie ihn ernähre,sagte eram Telephon,könne sie bestim m en. Eine enge,sich w indende Treppe,am Schluß die reine H ühnerleiter,bis ins D achgeschoß.K leine Zim m erchen,schiefe W ände,M ansardenfenster.Ein K lavierdurften Streiffssich nicht w ünschen.D achte ich.U nd bedauerte die beiden.Sie m ehrals ihn.D as isteinfach so.W enn es etw aszu bedauern gibt,sind die Frauen zuerstdran.A lsw ären im m erdie M ännerschuld an dem ,w asm an bedauernsw ertfindet.U nd die Frau,die unbedingtdabeisein w ollte,w ardann doch nichtda.N och nicht.A berkaum saß ich,hastete sie herein,fluchte bayerisch aufihren Chef,BerntStreiff,hatte H äppchen vorbereitet,dazu gab es Bier.Ertrank,solange w irredeten, vierFlaschen,seine Frau zw ei,ich ließ von eineretw as übrig.D aß ich H ans Lachs Unschuld bew eisen w ollte,w ußten sie schon.D aß ich allesErfahrbare erfahren,esentgegennehm en w ollte,ohne es zu w erten,erklärte ich ihnen.Es sollte sich aus dem Erfahrbaren H ans Lachs U nschuld sozusagen von selbstergeben. N achdem H ansLach von zw eiButlern hinausbugsiertw orden w ar,w ie istesdort w eitergegangen? Beide erzählten,ergänzten einander. Sobald Ehrl-K önig Platz genom m en hatte,setzte sich die Syrgenstein so aufden Boden,daß sie ihren K opfjederzeitan sein K nie lehnen konnte,und erkraulte,w ährend ersprach,in ihren nicht gerade üppigen H aaren herum .Cosim a von Syrgenstein w arin derSPRECH STU ND E noch nicht drangekom m en,aberEhrl-K önig hatschon zw eim alihren N am en genannt.Sie stehtaufm einer Liste,habe erzw eim algesagt.W eraufSEINER LISTE steht,derexistiert.Cosim asRom an Einspeicheln istallerdings auch noch nichterschienen.D a saß sie also an seinem Bein m itihrer rotgeränderten N ase.Erm achte gelegentlich an dieserN ase herum ,w asnahelegt,erseian den roten Rändern beteiligt.Er,BerntStreiff,habe an diesem A bend m ehralseinen Fehlergem acht. Plötzlich habe eresnichtm ehrfassen können,daß Pilgrim m itEhrl-K önig befreundetseiund den doch nichtdazu bringen könne,endlich ein W ortzum zw eiten und dritten Band seiner,Bernt Streiffs,Tulpen-Trilogie zu sagen.Schließlich blicke er,BerntStreiff,jetzt,nachdem derdritte Band erschienen seiund,bitte,beiPILG RIM erschienen,aufeine neunjährige A rbeitsstrecke zurück,neun Jahre,und von Ehrl-K önig ...Ersolljetzt,bitte,sofortaufhören m itseinerTulpen-
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M isere,sagte seine Frau.D ie G ründe füreinen M ißerfolg sind das U ninteressanteste,w as es überhauptgibt.IhrM ann habe leiderin derPILG RIM -V illa nurnoch W hiskey getrunken ... M alt,sagte er. U nd sie:D ann habe BerntEhrl-K önig nurnoch beschim pft,habe ihn ein M ichelinm ännchen genannt,einen Fürsten derA ufgeblasenheit,eine M arionette derEgom anie,eine Fernsehlarve und den Totengräberderdeutschen Literatur. BerntStreiffgab zu verstehen,daß erzu diesen Bezeichnungen im m ernoch stehe. Sie:Sie habe ihn nichtm ehrretten können.Sie seiaufgestanden,habe ihm gezeigt,daß sie gehe. Sie m üsse ja m orgens gleich nach sechs aus dem Bett.So eine Trilogie,die sich nichtverkauft, w illfinanziertsein.A lso,sie seiverschw unden,aberauch w enn sie nichtfrüh heraus m üßte, w äre sie verschw unden,w eilsie esnichtm ehrausgehalten hätte,w ie sich Berntan diesem Tongötzen,deran seinerBlondine herum fingerte,einfach zerrieb.H alten Sie sich fürfähig,habe Berntgerufen,auch nureine einzige Seite dieserTrilogie zu schreiben.U nd Ehrl-K önig habe m it dem höchsten G rinsen derW eltgesagt:N ein.N ichteinen Satz dieserTrilogie könnte er schreiben. A lso hatBerntgerufen:H örtalle,alle einm alher,ich bitte um nichtm ehralsum eine M inute G ehör!D ieser,unserallerH err,hatgerade vorZeugen zugegeben,daß ernichtfähig w äre,auch nureinen einzigen Satz derTulpen-Trilogie zu verfassen,und gleichzeitig w eigertersich seit Jahrund Tag,diesesW erk auch nurzu erw ähnen.W enn Sie dazu nichtfähig sind,dann m üssen Sie doch w enigstens etw as tun dafür. D iesen G lanzsatz einerIrrenlogik habe sie noch gehört,dann seisie draußen gew esen,sagte Frau Streiff. D a die beiden offenbarvergessen hatten,daß ich w egen H ansLach gekom m en w ar,fragte ich einigerm aßen übergangslos:H atH ansLach esgetan,hateresnichtgetan? Sie w ollte etw as sagen,abererkam ihrzuvor:H ans Lach habe es getan,er,BerntStreiff,habe es im m ernurtun w ollen,im m ernurdaran gedacht,Tag und N acht.G etan!Ja,in G edanken!Echt BerntStreiff,rum gem urkstbiszum G ehtnichtm ehr,und derLach gehthin,stichtzu,basta.U nd erkom m tfrei.H underte w erden bezeugen,daß die G ew altvon dem ausging,derdann dasO pfer w ar.H under-te!EsgibtFälle,A utoren,die sich um gebrachthaben,die nichtsm ehrgeschrieben haben,die einfach krepiertsind.H ans Lach,derhat’s gepackt.D eristjetztdurch.D am itister Spitze.D asnim m tihm keinerm ehr.Erw ird eingehen in die G eschichte alsTyrannenm örder.Er, BerntStreiff,seieinfach epigonal.D ie richtigen V isionen,aberesfehltderPepp,derK ick.Zu dick heißtzu spät.V on A nfang an.U nd klopfte aufseinen Bauch. M irfielw iedereinm alein:D ie D icken sind die M ärtyrerderreligionslosen G esellschaft. 52
M om ent,sagte erund hatte den W unsch,Verbrecher zu sein in derH and und hatte gleich die Stelle:
Ich konnte nichts m ehr zwischen m ich und den bringen.Tag und Nachtkam en aus m einem M und die Sätze des Allm ächtigen.Ich hatte selber nichts m ehr zu sagen.M ußte wiederholen,was der Allm ächtige gesagthat.U nd nurweilderdie M achthatte,waren seine Sätze m ächtig.Alssolche belanglos,m itM acht,vernichtend.M eine Eingeweide verhärten sich,m ein Atem willnichtm ehr. H inausrennen ins Freie.Er oder ich.W ahrscheinlich der gleiche Effekt,wie wenn m an in einer kom m unistischen D iktaturausderParteiausgestoßen wurde.M an wird unangenehm fürdie,die nichtausgestoßen worden sind.U nd wenn du’s getan hast,wird es deine Tatsein.Kein Affektim Spiel.G eplant.W ie ein Stück Prosa.D ie gleiche zunehm ende Notwendigkeit,die m an zwar nicht durchschaut,die aber nichts Affektives hat.M an spürt,daß m an m uß.D ann spürtm an,daß m an kann.D as Ü bersetzen m einer Notwendigkeitin die Paragraphensprache gehtm ich dann nichts m ehr an.
K lartext,sagte er.W enn es aberbeim V orsatz bleibt,sagte ich.Sie sind w eitw eg,sagte er,das spüre ich.U nd verstehen Sie m ich nichtfalsch.Ich hab m ein Lehen und hab Lydia.Esgibt Erfolglosere als m ich,die halten m ich fürerfolgreich.U nd hassen m ich.D eshalb w eiß ich,w ie angenehm esist,gehaßtzu w erden.U nd nach einerPause!Erfinde esaberdoch beängstigend, daß ernichtm ehrfernsehen könne.O ffenbargehörtSelbstbew ußtsein dazu,sich unterhalten lassen zu können.In ihm seinichtsA nsprechbaresübrig geblieben.Erüberlege,ob ereine A rt V erein oderClub gründen solle m itsolchen,in denen nichts A nsprechbares übrig geblieben ist. Club derer,die nichtm ehrzuschauen können.W issen Sie,Sie können jeden Schriftstellernach derA rtseinesöffentlichen A uftretensbeurteilen.N ichtim Fernsehen.D asFernsehen verfälscht alle und alles.A ußerEhrl-K önig.D en hatdasFernsehen förm lich zu sich selbstgebracht.A ber in den Sälen,da treten die Schriftstellerauf,w ie sie gesehen w erden w ollen.U nd es istegal,w ie w eitsie,w as sie sein w ollen,sind.D ie einen treten aufw ie eine D orfkapelle,die anderen w ie siegreiche Sportler,andere w ie schw erelose Seelenw olken.Ertrete im m eraufhalb H eiliger Franziskus,halb D racula.U nd fühle sich w ohldabei.W iederPause.Ich zeigte w enigstens,daß ich w eiterhin neugierig sei.D asm itM arbach w issen Sie,sagte erdann.U nd fuhr,m ein N ichtw issen w ahrnehm end,gleich fortund sprach jetztüberEhrl-K önig so,daß deutlich w urde, erhatte die ganze ZeitüberEhrl-K önig gesprochen.Ü bersich und Ehrl-K önig.Ehrl-K önig hat, sagte er,dem A rchiv in M arbach eine Büste von sich geschenkt,Bronze,eine schöne N ische
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w urde dafürgefunden,Ehrl-K önig hältdie Rede aufsich,ziehtdasTuch von dem Büstenkopf und sagt:Fürchteteuch nicht,ich bin es. Ich w ollte sagen,daß m an darüber,w enn Ehrl-K önig noch lebte,leichterlachen könnte alsjetzt. Ersagte,erhabe sich nichts vorzuw erfen.Erhabe alles versucht,m itEhrl-K önig auszukom m en. A m A nfang habe erEhrl-K önig,w o im m ererden traf,zuersteinm algratuliert,einfach gratuliert.Jedesm alhabe Ehrl-K önig die G ratulation entgegengenom m en und aufetw as bezogen,w asBerntStreiffnoch garnichtkannte.Erdann zu Ehrl-K önig:Erglaube,das sei w irklich das Beste,w as Ehrl-K önig je gem achthabe.U nd Ehrl-K önig dann:Erhabe es,als es fertig w ar,m ehrere W ochen liegen lassen,dann w iedervorgenom m en,um zu prüfen,ob es w irklich so gutsei,w ie erbeim ersten D urchlesen fand.U nd siehe da,es w arw irklich so gut. Ehrl-K önig seisicherdurch nichts so m ächtig gew orden w ie durch seine U nberechenbarkeit. V ielleichtseiihm die dann zum V erhängnisgew orden.Zw eiW ochen vordem fatalen Ereignis zeigtersich noch beim PILG RIM -Em pfang aufderobersten Plattform m itH ansLach,im G espräch,an derReling,niem and durfte stören,also die reine H arm onie zw ischen zw eien,die m an sich traulichernichtdenken konnte.A m nächsten Tag sehe ich H ansLach in derStadt.D er gehtw ie m itanderen Schuhen.Richtig federnd gehtder.W enn ernichtaufpaßt,fliegterbei jedem Schrittein bißchen in die Luft.U nd erpaßttatsächlich nichtauf.Erhüpftbeijedem Schritt.A bernichtdurch A nstrengung und K raft,sondern von selbst.Esw irftihn einfach in die H öhe.Eristleicht.Erhebtab.W irsehen gerade noch sein G esicht.W ie geliftet.U nd zirpt.V or Zufriedenheit.Zum G lück haterüberhauptkeine Zeit.Ich hätte nichtgew ußt,w ie ich hätte reden sollen m itihm . So ein Blödsinn,sagte Lydia Streiff. Und er:Ich sag dasnur,daß ihrversteht,w ie derH ansLach dann seine V ernichtung erlebthat. D u kannstnoch so genau w issen,derund deristunberechenbar,w enn du’snötig hast,verläßtdu dich doch aufihn,als seierdas kleine Einm aleins.U nd dann isterplötzlich die K ehrseite des M ondes,von derdu nichts w eißt. D u w eißtsow ieso nurw as von dir,sagte seine Frau. U nd er:Bloß gut,daß du nichts von dirw eißt,sonst... Sie:Sonst?!IhrTon w ardrohend. Er:W irhaben Besuch. Sie:Eben! D ie beiden w ürden ihrG espräch m itnoch m ehrBierauch ohne m ich fortsetzen.Ich sagte,ich m üsse gehen,sie starrten m ich an,offenbarüberrascht,w eilich noch da w ar.U nd sprachen schon w eiter,alsich noch garnichtganz draußen w ar.Ich w ußte,daß ich m ich jetztganz und 54
gardaraufkonzentrieren m ußte,überdiesesH ühnerleitertreppenw erk ohne Sturz hinunterzukom m en. Lydias G esichtw irkte nach.D ie Frau eines M annes,dersich fürerfolglos hält.Ich stellte m ir vor,daß BerntStreiff,w enn ihm in ein paarJahren plötzlich ein Erfolg gelingt,ein ganz anderes G esichthaben w ird als jetzt.D as G esichtseinerFrau w ird,w as es jetztausdrückt,nichtm ehr los.D iese Zeichnung bleibt.Er,rund,disponibel.D aß erEhrl-K önig M ichelin-M ännchen nannte und dabeisich selberübersehen hatte,w underte m ich. Sobald ich aufderStraße w ar,w ußte ich,daß ich,als die zw eim irunbequem w urden,nicht einfach hätte gehen dürfen.D iesesPaarlebte schon im m erin derSzene.W enn BerntStreiffvon dieserSzene sprach,nannte ersie ssien. A beram nächsten M orgen rieferan.D asnichtvorhergew ußtzu haben,w arfich m irgleich vor. D ashätte ich m irausrechnen können.A usrechnen m üssen.Erm ußte doch noch sagen,w aser, w enn seine Frau dabeiw ar,nichtsagen konnte. Lydia w arm ager,m ehrK nochen alsFleisch,und dasdurch Erfahrung verhärm te G esicht,aber sie w ardoch die,dereres rechtm achen m ußte.Erkonnte sich ihrgegenüberw enigerleisten,als sie sich ihm gegenüberleistet.Sie w ardie Chefsekretärin,die von ihrem Chefsprach,als w äre derihrSekretär.V ielleichthatte Lydia,w asBerntStreiffm irdann am Telephon sagte,schon oft anhören m üssen.D ann w aresZartgefühl,w asBerntStreiffbew og,m irdiese Erfahrungen erst am Telephon vorzutragen. Pilgrim istan allem schuld.So begann er.Pilgrim m ochte m ich noch nie.So reich w ie Pilgrim w erden einm alm eine Erben,w enn sie veröffentlichen,w as ich alles geschrieben habe.Es w äre allesandersgekom m en,w enn er,BerntStreiff,nichtdiesen Fehlergem achthätte,diesen alles entscheidenden Fehler.Ehrl-K önig,dam alsnoch ein in Zeitungen schreibenderK ritiker,habe die Sonnenflecken,den ersten Band derTulpen-Trilogie,eherw ohlw ollend besprochen,und er, BerntStreiff,m achtden FehlerallerFehler,erschreibtdem einen Briefund bedanktsich für diese K ritik.U nd erw isse todsicher,daß Ehrl-K önig ihn seitdem füreine N ulpe halte.Sich bedanken,das heißt,gestehen,du hastes nichtverdient,diristetw as geschenktw orden. D ann eine Passage,die m irdem onstrierte,daß es in dieserSzene keine Tatsachen gibt,sondern nurV ersionen. Erhabe nichtübersehen können,sagte er,daß jederin seinen A rbeiten etw asanderesschlecht finde.Ich w ollte schon sagen,das seidoch w underbar,da w idersprächen die einander,höben sich also auf.A bereraddiertdie M äkeleien und sagt:sovielistschlechtbeim ir,daß jederetw as Schlechtesfinden kann.D ann lachte erund sagte:D asw arjetztIronie.Ich sagte:G ottseiD ank. D ann erw iederganz nüchtern:W enn m an einen ganz und gartreffen w ill,m uß m an im Stande 55
sein,gegen ihn so extrem zu verfahren,daß er,auch w enn ersein Leben lang darüber nachdenken w ürde,aufnichtskäm e,w asihm die H ärte desV orgehensgegen ihn erklären könnte.D erSchlag,fürden m an kein M otiv findet,dersitzt.D as istderreine Schlag.U nd die zw eite Bedingung fürdasG eschlagenbleiben desG eschlagenen:Erhatkeinen,dem ereinen solchen Schlag versetzen könnte.Bitte,kom m entieren Sie jetztnicht.Esgehörtzu m einem Beruf,m irdasN ötige selberzu sagen.W ettern gegen dasG eschick isteinesIntellektuellen unw ürdig.W enn allm ählich alleszurV erletzung w ird,w eiß m an,daß m an falsch eingestelltist. D as zu w issen nütztnichts.Es isteine Zusam m enarbeitvieler,die nichts von einanderw issen. Jedertutda nurseine A rbeit. O b erm iretw asvorlesen dürfe? Eshabe m itdem Fallzu tun.A uch w enn esdam itnichtszu tun hätte,sagte ich,ich seigespannt.Bitte keine Blankoschecks des W ohlw ollens,sagte er.Erm üsse m ich w arnen,M ißerfolg seieine K rankheit,die den davon Befallenen sozialunverträglich m ache.D erM ißerfolgreiche,w enn ich ihm diese Prägung gestatte,seifürseine U m gebung peinlicherals fürsich selber.D em M ißerfolgreichen istsein M ißerfolg ein ungeheures V ergrößerungsglas,m itdem erdie ganze W eltsieht.So genau,w ie sie kein Erfolgreicherje sehen kann.D as seija eine derBedingungen des Erfolgs,und zw arin jedem Beruf:diese U nfähigkeit,die W eltw ahrzunehm en,w ie sie w irklich ist.D erErfolgreiche verklärtvon A nfang an.U nd selbstw enn ergegen etw as odergegen jem anden ist,eristes aufeine verklärende W eise.Erbleibtim m erübrig alsprim a,die W eltkann froh sein,daß esihn gibt.U nd die W eltist gut,w eiles einen w ie ihn gibt.U nd sie istgut,w eileinerw ie erin ihrErfolg hat.A lso die fundam entale M ißglücktheitderW eltw ie sie ist,kom m tnichtvorbeiihm .D asm achtihn erfolgreich.W as nichtso ist,w ie es sein soll– und daskann vielsein –,w ird von ihm radikal gerügt,verdam m t.Eristgekom m en,dam itdie W eltbesserw erde.Eristderradikalste K ritiker des Zustands derW elt,aberdurch seine Seinsstim m ung w ird erlebbar:die W eltistzu retten. Eben durch ihn.U nd dafüristdie W eltihm dankbar.U nd w enn m an dasnichtbringt,diese V erbesserbarkeitderW elt,w enn m an findet,die W eltseiein ew iges System zurV ereitelung des Lebens,dann istm an derM ißerfolgreiche,gehtden Leuten aufdie N erven,sich selberaber nicht.Zum G lück.D ie Befriedigung des M ißerfolgreichen isttatsächlich,daß erdie W elt,derer aufdie N erven geht,absolutkennenlernt.U nd dadurch w ächstin ihm ein K enntnisreichtum ,in dem sich leben läßtw ie in einem farbensatten,klangüberström ten Paradies.D aß die Bedingung jederEinsichtderM ißerfolg ist,m achtden M ißerfolg,w ie Sie sich denken können,zum höchsten G utüberhaupt. Sind Sie noch da? Ja,natürlich,sagte ich in einem m öglichstfröhlichen Ton. 56
Ich w ollte Ihnen doch etw as vorlesen,sagte er.A bernur,w enn es Ihnen rechtist. Es seim irrecht,sagte ich. K lingtnichtüberzeugend,sagte er. Ich seiw irklich gespannt,und w enn das,w aserm irvorlese,auch noch m itdem Fallzu tun habe, erstrecht.A lso bitte. A lso bitte,sagte er,ich lese vor. V orläufigerN achruf. Sie sind noch da? Ja,natürlich. A lso:
Vorläufiger Nachruf. Ü ber den Tod eines M enschen sich freuen,das schließtdich aufeine bisher noch nicht em pfundene W eise aus der G em einschaftder M enschen aus.Sich über den Tod eines M enschen, der dir nichts als U ngutes getan hat,nichtzu freuen,m achtdich vor dir selber zu einem G eknebelten,zu einem H euchler,zu einem ein für allem alBetäubten.H ans Lach in D erW unsch, V erbrecherzu sein:Eine Figur,deren Tod m an für vollkom m en gerechtfertigthält,das wäre Realism us.D er Satz istrichtig,kann ich sagen,als Satz in der Kunstwelt.In W irklichkeit, unanwendbar.O der bin ich feige,H ans Lach aber istkühn? Trotzdem ,ich wage nichtzu sagen, daß ich m ich freue über den Tod des M annes,dessen Nam en ich nichtnennen will.Ich wage nichtzu sagen:Ich freue m ich.Ich freue m ich ja auch nicht.Bin ich vielleichtfroh? Ich werde keine G ram m atik finden,die es m ir erm öglicht,aufdiese Nachrichtm itG enugtuung zu reagieren.Ich gehe so weit,wie ich überhauptkann,wenn ich sage:Ich finde,ich seifeige,wenn ich nichtsage,daß m ich dieser Tod nichttraurig m acht.D as G em eine ist,daß dieser Tod unsereinen zwingt,sich zu verhalten.D ie gewöhnliche Trauer,das übliche Bedauern,das schnelle Zurück zur Tagesordnung — ,dieserTod,derTod dieserFigur,läßtdasnichtzu.Esist, als ob dieser jetztTote uns zwingen wolle,zu seinem Tod Ja zu sagen oder Nein zu sagen.D er Entwederoderm ann!U nd ich war im m er ein G egner seines Ja oder Nein.Im m er!Von Natur aus. Aus Erfahrung und aus Bedürfnis.U nd behalte dies bei.D as spüre ich.Auch jetztim Todesfall lasse ich m ich nichtvon H errn E-K zwingen,m ich aufein Ja oder Nein einengen zu lassen, sondern ich juble geradezu hinaus,daß ich zu seinem Tod ganz genau so lautJa rufe wie Nein. G enauso lautNein wie Ja!Ich singe m ein Sowohlalsauch. D er Tod istzwar die schroffste Erscheinungsartdes Entwederoder,aber durch das Sowohlalsauch wird er erstzu einem Erträglichen,erträglich für M enschen.Ich bin so freiund 57
verbessere H ansLachs:Eine Figur,deren Tod m an fürvollkom m en gerechtfertigthält,daswäre Realism us,wie folgt:Eine Figur,deren Tod m an sowohlfür vollkom m en gerechtfertigtwie auch für überhauptnichtgerechtfertigthält,das wäre Realism us.U nd warum Ehrl-König es uns so schwer gem achthat,uns zu ihm sozusagen m oralisch zu verhalten,kann daran liegen,daß er charakterlich etwa den Zuschnitteiner D isney-Figur hat.G roßkasper,das wäre überhauptder einzig richtige Nam e für ihn.G roßkasper!
Sind Sie noch da? Ich sagte:Ja. U nd,sagte er. Sow ohlals auch,sagte ich. Er:D anke. Pause.Ich w agte nichtaufzulegen.Erhatte angerufen,erm ußte auflegen. D ann sagte erplötzlich:W enn ich eine A kadem ie w äre,w ürde ich eine Preisaufgabe stellen: W ann hatesdasletzte M alim Literarischen eine solche M achtausübung gegeben w ie in der Ehrl-K önigschen SPRECH STU ND E? D ie A ntw orten könnten ebenso interessantw ie peinlich ausfallen. U nd hierfängtsein G rollan,seine W ut,auch gegen H ansLach.W ie kann ein denkender M ensch derG erechtigkeitso in den A rm fallen.Ehrl-K önig w aralles durch M acht.G ut,die hatte ersich geschaffen.A bererhätte sich,um erfahren zu können,w ererw irklich w ar,seiner M achtentledigen m üssen.D ann hätte ererfahren,w asdie speichelleckenden Professoren und andere A rm leuchterw irklich halten von ihm .So eine naiv-idealistische V orstellung:als gebe es zuerstihn,dann die M achtalseine Zutat,eine Ergänzung,ein Schm uck.Erw arnichtsalsseine M acht.Irgendw ann w äre die zerfallen,und übrig geblieben w äre dasgrinsende M ännlein m it einem etw aszu breiten M und.Theorielosund praxisfern.M an hatseine Zitate gezählt,essind dreiundzw anzig.A dieu. U nd legte auf.D iesesdann doch rasche A uflegen hatdem G espräch entsprochen.Irgendw ie eben beziehungsw eise sow ohlalsauch.Ich hab m ein Lehen,und ich hab Lydia.W as doch die A nlaute nichtverm ögen!H ieße seine Frau K arin,hätte ergesagt:Ich hab m ein K onto und ich hab K arin.N ein,eherso:Ich hab K arin und hab m ein K onto.Zum G lück haterLydia.
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W irw erden Sie m itunserem Besuch beehren,schuld daran sind Sie selber,m ein Lieber,da Sie doch ein Buch überEhrl-K önig schreiben. So hatte noch nie jem and ein Telephongespräch m itm ireröffnet.RainerH einerH enkel.M it W IR,m einte ersich und seine Schw esterIlse-Frauke von Ziethen.Sovielhatte ich auch schon m itgekriegt,daß derfastberüchtigtgeheim nisvolle RH H nie ohne seine Schw esterauftritt.U nd so fuhrerfort:U nsnichtgehörtzu haben zum Them a Ehrl-K önig,dasw äre einesG elehrten vom Rang M ichaelLandolfsnichtw ürdig. Es dauerte,bis ich dazu kam zu beteuern,daß ich kein Buch überEhrl-K önig schreiben w olle, m ein Projektheiße:N achw eisderU nschuld H ansLachs.A ber,riefer,eben dazu m üssen Sie ein Buch überEhrl-K önig schreiben.Ernehm e doch an,m irgehe esum die U nschuld perM otiv, daß Lach esgetan habe,stehe außerZw eifel.W ie auch im m er,Ilse-Frauke von Ziethen und er m üßten beim ireindringen.U m m einetw illen.W ann also? Ende derW oche vielleicht,sagte ich. A berm ein Lieber,w irsind heute in derStadt,haben heute m orgen um fünfU hrdreißig die Baldsburg verlassen,w ollen aberheute abend w iederdroben sein,also unsere Stadtw ohnung,die w irhassen,w erden w irgarnichtbetreten.W ann also? G egen drei,sagte ich. D as lasse sich hören,bis dann. Ich riefsofortSilbenfuchs an,erbatInform ationshilfe.D erProfessorw ußte im m erm ehr,alsich w issen konnte.D aß ich nichtselberversuchthatte,RH H zu erreichen,nahm ich m irjetztübel. Ü berEhrl-K önig alles w issen w ollen,und das ohne RH H — ,das w arlächerlich.Ich w ürde auch dem KHK hinreiben,w ie ich dasfände:Erm ittlungen im FallLach/Ehrl-K önig,und dann Rainer H einerH enkelnichteinbeziehen! D erProfessorw arda.D as Schöne beidiesem M ann:Erfreute sich,w enn m an ihn etw as fragte. W arum w eiß ich,w as ich w eiß,w enn keinerkomm tund es w issen w ill,das w arim m erseine Eröffnung.U nd erw ußte viel.Erw arein Spezialistfüralles.Berühm tsein Satz:Europa,das ist fürm ich H eim atkunde. D a erin seinem A rbeitszim m ereine Freisprechanlage hatte,konnte er,w ährend ersprach,gehen. D aß er,um sprechen zu können,gehen m ußte,w arbekannt.A uch an derLudw ig M axim ilians U niversitätging er,je heftigerersprach,um so heftigerhin und her.Ernannte sich auch einen H in-und H erdenker,im U nterschied zum Einbahnstraßendenker,und seine Zuhörerw ußten,w er 59
gem eintw ar:W esendonck.Ich setzte m ich,seitw irunsbesserkannten,öfterin seinen H örsaal. A m liebsten,w enn erüberM ittelalterliches sprach.RH H ,rieferalso,RH H ,Ehrl-K önigs Souffleur,Einpeitscher,aberauch D om pteur,da sind Sie beim iran derrichtigen A dresse.U nd legte los:RainerH einerH enkel,genanntRH H ,ein farbenblinderK unsthistoriker,läßtzuerst fünfG edichtbände drucken.D ie gehören sozusagen in sein W appen.W eithin bekanntw ird er dann durch sein Buch:W arum ich keine G edichte m ehr schreibe.Leute,die sich nie fürRH H ’s G edichte interessierten,lasen neugierig bis gierig,w arum RH H keine G edichte m ehrschrieb. N äm lich:FünfBände G edichte habe erschreiben m üssen,bis ererkannt habe,w ie rechtA dorno gehabthabe,als ersagte:nach A uschw itz keine G edichte m ehr.A berertröste sich auch dam it, gab erbekannt,daß die Erde in 5 758 Jahren von denen,die diese Erde bis dahin bis zur U nbew ohnbarkeitverw üstethätten,verlassen w erde,und diese A usreisenden w ürden alles m itnehm en nurkeine Literatur,und schon garkeine G edichte,also w ozu noch etw asschreiben fürnichtsalsdie terrestrische V ernichtung.Erw erde sich den Lebew esen zuw enden,die allein späteraufdiesem Planeten gedeihen w erden:den Spinnen.Erw urde also A rachnologe,und hat inzw ischen lesbare BücherüberSpinnen geschrieben.Ein paarJahre lang auch Fernsehkritik. Durch Henkelkom m tEhrl-K önig überhaupterstzum Fernsehen.U nd:Erund seine Zw illingsschw estersind außerderM adam e die einzigen lebenden M enschen,m itdenen EhrlK önig perD u gew esen ist.RH H entw irftauch W ahlprogram m e fürdie SPD .Erw arund ist im m erlinks.A bervon derBibelher.V om N euen Testam enther.Beilinken Politikern und A dm inistratoren istam m eisten geschätztsein Buch Jesus von Nazareth,Politiker.Trotz all dieserInteressen — ,seine ausgiebigste Beschäftigung seigew esen:Ehrl-K önig.D as legendäre Telephongespräch.Im m erzw ischen M itternachtund dreiU hrm orgens.V on Ehrl-K önig in H underten von Interview sbekanntgegeben,von RH H nie ein W iderspruch.„M eine Schlaue Em inenz“,so Ehrl-K önig überRH H ,seitJahren.Ehrl-K önig hatjede A bendgesellschaftum M itternachtverlassen.Telephonterm in,sagte erdann und verschw and.M an seinichtsicher gew esen,ob eigentlich Ehrl-K önig derM ächtigste im K ulturland seiodernichtdoch RH H .U nd dann die Sensation.Ehrl-K önig beklagtsich beiH ansLach überRH H .FünfW ochen vorder Schicksalsnacht.A ufeinem PILG RIM -Em pfang.D asdurfte H ansLach füraufregend halten,für w eitersagensw ert.U nd ersagte esw eiterin den Tagen und N ächten nach dem PILG RIM Em pfang,derstattfand am 17.D ezem ber.W ie Ehrl-K önig da überRH H sprach,sprichtm an nichtübereinen Freund.Beispiel:W enn in RH H ’s G egenw artdas W ortProstata falle,verlasse dersofortden Raum .O der:RH H ’s Zw illingsschw esterIlse-Frauke von Ziethen,die nach einer N eunw ochenehe m itdem D erm atologen von Ziethen w iederzurückgeschlüpftseizu Bruder RainerH einer,die nenne ihren BruderM äuserich.D as abernur,w enn von der 60
M illiardenm enschheitniem and anw esend seiaußerEhrl-K önig.U nd dersagtdas w em w eiter? H ansLach.O der:D ie Rednerliste fürden nächsten G eburtstag w ird nichtm ehrvon RH H erdacht.Seine runden G eburtstage w urden ja im m erfünfm algefeiert.In Brüssel,in Bonn,in Berlin und,stellvertretend fürdas ehem alige Breslau,in W ien,und im Fernsehen.Ehrl-K önig sagte im m er,erfüge sich dem ihm A ngedichteten.V ierStädte stritten sich darum ,seine G eburtsstadtzu sein.U nd das ließ ergern zu.Seine M uttersei,als sie m itihm schw angerw ar, vielunterw egs gew esen.A ls w eroderals w as unterw egs,das w eiß niem and genau.A ufjeden Fallm itG esang.O b m itSchlageroderA rie,darüberdarfgetratschtw erden.In diesen anregenden G erüchteturbulenzen spürte jederdasRH H -Dirigat.U nd diesen Spiritus Rector verrätderM eisterw enige W ochen vorseinerErm ordung an einen Einzigen:H ansLach.U nd dann die N iederm achung dieses auserw ählteinzigen in derJanuar-SPRECH STU ND E.Und dann die Erm ordung des K ritikers,überden die Frankfurter Allgem eine regelm äßig bekanntgab,essei in derganzen deutschen G eistesgeschichte noch keinerm ächtigeristgleich einflußreicher gew esen als er.W ie sehrdaran RH H beteiligtw ar,ahnen w irm ehr,als w ir’s w issen.RH H ,der religiös erregte Sozialist,derFünfbändelyriker,derfarbenblinde K unsthistorikerund ehem alige Fernsehkritiker– das w arübrigens die RH H -Periode,in dererungeschütztsehen ließ,daß auch erM achtw ollte,Fernsehen,das M odem edium schlechthin,RH H als Fernseh-Lessing –,RH H derIm m ernoch-A rachnologe– das übrigens dürfe vielleichtdoch als A usdruck einer unerbittlichen V erbitterung gew ertetw erden –,RH H ,derM ann hinterEhrl-K önig.U nd der verrätihn intim stan H ansLach,den erin derJanuar-SPRECH STU ND E böse traktieren w ird. A berdas w eiß H ans Lach noch nicht.D as w eiß,behaupte ich,auch Ehrl-K önig am 17. D ezem bernoch nicht.Sein Instinktw eiß es.Ernoch nicht.Erziehteinen radikalinsV ertrauen, den ergleich radikalvernichten w ird.K ann m an M achtdeutlichergenießen!A berH ansLach, dem solche fürsich selbstsorgenden Instinkte frem d sind,w arnach dem D ezem bergespräch nichtsalsaufgeregt.Schön aufgeregt,bitte,ganz und garpositiv aufgeregt.Schließlich m ußte Ehrl-K önig,alsersich H ansLach gegenüberso öffnete,die M ädchen ohne Zehennägelschon gelesen haben.D asBuch w arschon ein paarW ochen aufdem M arkt.Ehrl-König m ußte schon w issen,daß erdas Buch in derSPRECH STU ND E behandeln w erde.U nd hatsich aufdiesem Em pfang ausschließlich m itdem A utordiesesBuchesunterhalten.A ufderobersten Plattform sitzend,an derReling.W erim m ersich habe nähern w ollen,seiw eggescheuchtw orden,von Ehrl-K önig,derseinem G esprächspartnernichts m elden w ollte als das jähe Ende der Freundschaftm itRH H .D ie G ründe,beziehungsw eise den G rund,kennen Sie ja. Ich m ußte gestehen,daß ich ihn nichtkenne.
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Fabelhaft,rieferProfessor,in ihre V ergangenheitslabyrinthe dringtkein G egenw artslicht.Ende A ugustplötzlich ein A rtikelin irgendeinerIllustrierten,daß Ehrl-K önig seine Schuhe in A ntw erpen m achen lasse,Spezialanfertigung fürihn,innen so verarbeitet,daß erzw eieinhalb Zentim etergrößerist,alserist,und von außen m erktm an’snicht.D asw arim M edienSom m erloch da und dorteine häm ische Zeile w ert.Ehrl-K önig ließ nachforschen.D ie Q uelle dieserN achricht:H enkels BruderPirm in,ein M asseur,notdürftig im Ruhestand,A lkoholiker.Er hatdie unangenehm e N achrichteinem Journalisten verkauft.A bererm uß,w aserverkaufte,von seinem Bruderhaben.Ehrl-K önig verlangte von H enkel,daß dersich öffentlich von dieser Falschm eldung und von seinem Bruderdistanziere.H enkelw eigerte sich.D as w arderBruch. H enkelgab sich eigensinnig und ließ w issen,da essich nichtum eine Falschm eldung handle, könne ersich nurfürdie Indiskretion entschuldigen,abernichtfürden Inhalt.Ehrl-K önig w ar entsetzt.Sein einzigerFreund.W enn derA nlaß nichtso lächerlich w äre,könnte m an sagen: tragisch.U nd kurz nach dieserG roteske offenbartEhrl-König Schm erz und Enttäuschung ausgerechnetdem A utor,den eröfterschlechtalsrechtbehandelthat. H ansLach riefdanach nichtnurm ich an,seinen Silbenfuchs,sondern,w ie sich von selbst herum sprach,m indestenszehn andere ausdem K ulturbetrieb,und jedem posaunte erseine glückliche Erregung hin:eine neue Epoche,Ehrl-K önig istganz anders,alsviele geglaubtund verbreitethaben,und er,H ansLach,nehm e sich da überhauptnichtaus!Ehrl-K önig könne eine G esprächszärtlichkeitentfalten,eine N ähesprache,nie hätte m an diesem Literatürm akelnden M achtm enschen zugetraut,daß erüberhauptso flüstern,so einen Tuchfühlungston riskieren könnte.N och nie habe m itihm ,H ansLach,jem and so geschm eidig gesprochen.Ja,so m üsse er Ehrl-K önigsPräsenz beidem PILG RIM -Em pfang nennen,geschm eidig.Sie seien an derReling gesessen,also aufderobersten Plattform ,w eshalb dasW egscheuchen von Zudringlichen auch besonders leichtgew esen sei,und – das seiihm ,H ans Lach in jederSekunde dieses V ertraulichkeitsdialogsbew ußtgew esen – alle,die aufden unteren N iveaus ihrG las in derH and hielten und A nw esenheitm arkierten,alle sahen natürlich im m erw iederheraufund w underten sich:w ie lange redetEhrl-K önig jetztschon Stirn an Stirn m itH ansLach,w asistdenn da passiert.Ehrl-K önig habe nach dem G espräch den A ufzug heraufbefohlen,habe sich von den im m ertheatralisch sich öffnenden und pathetisch sich schließenden A ufzugstüren schlucken und hinabführen lassen in die A uto-U nterw elt.H ansLach seivon N iveau zu N iveau hinabgestiegen in die Polster-W anne und habe die zudringliche N eugierderaufihn Einstürm enden m it V erw underung beantw ortet.W assie denn w ollten!Erhabe im m erschon eine Beziehung zu Ehrl-K önig gehabt,die nichtaufeine M einung reduziertw erden könne.Ü berhauptseidas,w as ausseinem V erhältniszu Ehrl-K önig eine Beziehung m ache,am w enigsten im 62
M einungsm äßigen zu suchen,erglaube,eshandle sich um eine G em einsam keitdurch Fülle,um eine Bevorzugung desLebendigen,sogardem G eistigen gegenüber.U nd alsm an ihn fragte,w as denn heute zw ischen ihnen das Them a gew esen sei,ob sich Ehrl-K önig gegen jede G ew ohnheit etw a schon überdie M ädchen ohne Zehennägelgeäußerthabe,tatH ansLach dasab.D as gehörte doch garnichtdazu.V on Büchern seinichtdie Rede gew esen.Ü berhauptnichtvon D etails.Ja,bitte,abervon w asdann? Sow eitD etailsbeziehungsw eise Personen vorgekom m en seien,fühle ersich,obw ohlesnichtsgegeben habe,w asm an eine A bm achung nennen m üßte,zu vollkom m enerD iskretion verpflichtet.Ihm ,seinem Silbenfuchsgegenüber,habe erdann Einzelheiten sehrw ohlgenannt.Ich glaube sogar,riefSilbenfuchs,erw ollte,daß auch ich es w eitersage.A lles näm lich,w as ihm überH enkelgesagtw orden w ar.Erglaubte,auch EhrlK önig w olle,daß,w as erLach anvertrauthabe,zirkuliere. W enn Sie w issen,w elche Rolle H enkelin Ehrl-K önigs U rteilsw esen zugesprochen w ird, verstehen Sie H ans Lachs Bedürfnis,das Reling-G espräch w eiterw irken zu lassen.H ansLach hatesoffenbarfürm öglich gehalten,daß ereine A rtRH H -N achfolge antreten könne.Und noch kühner,seine V erm utung:die V erurteilungen,die V errisse,die er,H ansLach,im LaufderJahre habe hinnehm en m üssen,seien m ehrdem direkten SouffleurRH H zuzuschreiben alsdem eigentlich doch vielrunderen,gem ütreicheren Ehrl-K önig.M itw elcherSchärfe Ehrl-König zu H ansLach an derReling überRH H sprechen konnte,seidurch eine von Ehrl-König m it sarkastischem Behagen verm ittelte M iniaturdeutlich gew orden.Ehrl-König und RHH im vergangenen Som m eraufeinem Spaziergang rund um RH H ’sBaldsburg.Ehrl-K önig habe seinen Schirm m itgenom m en und den,w eildasW etternoch schön gew esen sei,alsSpazierstock benützt.RH H siehtdasund sagtim G ehen,ohne herüberzuschauen:H astdu Schw ierigkeiten beim G ehen.In diesem Sätzchen seisovielG ier,sovielböse H offnung,sovielargesK euchen zum Ausdruck gekom m en,daß Ehrl-K önig erschrocken sei.So sehrhatsich Ehrl-K önig bei diesem G espräch aufhöchsterPILG RIM -Ebene aufgetan.W ie abernach dieserV orgeschichte die V ernichtung aufH ansLach gew irkthaben muß,können Sie jetztzu ahnen versuchen.M ir hatH ans Lach gesagt,derbleibende Eindruck des G esprächs an derReling seibeiihm : G eschm eidigkeit.Beide,H ansLach und Ehrl-K önig seien eins gew esen in G eschm eidigkeit,so daß er,H ansLach,jetztzu sagen versuchtsei:G eschm eidigkeitseibeiihnen beiden das alles andere D om inierende.Existenz-G eschm eidigkeit,hateres sogar,schw ärm erisch w ie erist, genannt.U nd dann die A bkanzelung in derSPRECH STU ND E.Inzw ischen w erde ja geraunt,w ie es dazu nach dieserV orgeschichte habe kom m en können!Ihm ,Silberfuchs,überhauptkein Rätsel.W enn esnichtM achtinstinktw ar,dann eine K alkulation.N ichtsw arEhrl-K önig so w ichtig w ie derG lanz seinerU nbestechlichkeit,seinerU nabhängigkeit.Es lassen sich in seiner 63
G eschichte im m erw iedersolche inszenierten K raßheiten nachw eisen.U nd das kann so eine Inszenierung gew esen sein:Sehtalle her,w ie lieb vertraulich,m enschlich nah ich hierm itH ans Lach plaudere,erinnerteuch gefälligstdaran,w enn ich ihn im Januarvernichte,ich bin näm lich unbestechlich,w ie esnoch niem and w ar.U nd,sagte derProfessor,selbstm eine im m ernoch dürftige M enschenkenntnissagtm ir:W erso seine U nbestechlichkeitdem onstriert,derm uß unterseinerK orrum pierbarkeitzu leiden haben.D arüberkönnte inzw ischen w irklich nurnoch RH H A uskunftgeben.Fragen Sie ihn danach.U nd sagen Sie’sm irw eiter.D as M enschenm ögliche m uß m an in derG egenw arterfahren.W ernichtgeradezu gierig ist,das M enschenm ögliche zu seinerZeitzu ergründen,derbleibtin derG eschichte – um eshenkelsch zu fassen – ein farbenblinderK unsthistoriker. Bleiben w irbeiRH H ,dem A utor– um esim Superlativstildeserm ordeten M eisterszu sagen – derfünferfolglosesten LyrikbücherderLiteraturgeschichte,den w irauch den ErfinderEhrlK önigsnennen können.Erhätte seine Ehrl-K önig-Erfindung beim D eutschen Patentam tdrüben anm elden können. A ls Ehrl-K önig vordreiJahrzehnten alsein M onsieurN ichtsausLothringen in unserLand w echselte,w eilihm derSprung nach Paris schw ierigervorkam als dernach Frankfurt-H am burgM ünchen,da traferaufRainerH einerH enkel.H eute istdas längstLegende.U nd w ie alles,w as m itEhrl-K önig zu tun hat,w iderspruchsreich bestückt,also ein Strauß von G erüchten;die aber w irken nichtbeliebig zusam m engestückelt,sondern sind arrangiertvon einergenialen Floristin: Ilse-Frauke von Ziethen,geborene H enkel,die Sie heute kennen lernen w erden.H enkels Zw illingsschw ester,die nach derD erm atologenehe den G atten so w enig geschonthat,öffentlich, daß H errvon Ziethen die A usw anderung vorzog. H eute hatereinen Pharm abetrieb fürA nti-A llergika in Colum bus/O hio.U nd Ilse-Frauke und RainerH einersind w iederin inzestuöserJosefs-Ehe vereint.So genanntvon Ehrl-K önig persönlich.A ls m an auseinanderw ar,w urde erdeutlich.D a beide H enkelsdem Sexuellen abgeneigtseien,m üsse das so gesagtw erden.A berals Ehrl-K önig in derTatnachtkurz nach M itternachtaufbrach,sagte erschm erzbew egt,ergehe jetzt,obw ohlkein Telephongespräch m ehrm itdem alten Freund stattfinden w erde.Im Rundum gespräch nachherw aren viele der A nsicht,Ehrl-K önigsSPRECH STU ND EN-Eröffnung m itdem Jahr2030,m itderEntlarvung der M ädchen ohne Zehennägelals einerdrittklassigen Lach-Fälschung,stam m e noch ausRH H ’s K üche.Etw as sorgfältig V ernichtendes,das nichtausschließlich von einem Superlativ der H em m ungslosigkeitlebte,dasseinichtEhrl-K önig,sondern reinerRH H . Eine V ernichtung sorgfältig vorzubereiten,dasw arw ahrscheinlich im m erRH H ’sG eschäft gew esen.D azu gehörte sicherauch Ehrl-K önigsSuperlativstilistik.Ein so guterA utor,und 64
w iederein so schlechtes Buch!W arten w irw eiter!Erm ußte ja die A utoren,aufdie er einschlagen w ollte,sozusagen am Leben lassen,am literarischen,um späterw iederaufsie einschlagen zu können.RH H habe sichereinen nichtzu überschätzenden A nteilgehabtan allen V ernichtungsgesten,die dann in derSPRECH STU ND E exekutiertw urden.W ahrscheinlich hat er,derdurch eine A rtErfolglosigkeitsschicksalzu einem zerm ürbenden A nsichhalten verurteilt ist,Ehrl-K önigsA nlage zurH em m ungslosigkeitentdecktund sie dann ausgebildet.O hne RH H ´s bittere K om petenz hätte Ehrl-K önig sich nichtso schnellzum D rauflosvirtuosen entw ickelt. RH H hat,könnte m an sagen,Ehrl-K önig so w eitgebracht,daß dann ein besondersunglückselig Schw achernichtm ehranderskonnte,alsdiesen göttlich um sich schlagenden M achthaberzu töten.D aß dieserbesondersSchw ache H ansLach gew esen sein m uß,w illich kein bißchen verm uten,sagte Silbenfuchs,aberausschließen kann ich esso w enig,w ie ich esverm uten kann. Zum Besuch derinzestuösen Josefszw illinge w ünsche erm irvielV ergnügen.Ich dankte heftig. M irw ardanach.W ie naiv w äre ich,ohne diese Einw eihung inskonkretW irkliche,dem H enkelpaarausgesetztgew esen.JetztJuliPelz.Zuerstnoch einen M arc de Cham pagne,ans Fenstergehen und in den noch im m erw ährenden Schnee hinausschauen.M ärchen,dein N am e istSchnee,dachte ich und fühlte kindheitlich. A berJulia die G roße m ußte sein.Erstens sehnte ich m ich nach dieserandauernd zw ischen zw ei Tonlagen hin-und herschw ankenden Stim m e,nach diesem M ännersound im Frauenton, zw eitensspürte ich ein radikalesV ertrauen zu ihr,eins,dasnichtnach Begründung verlangte, ein bodenloses also.Sie kannte doch alle,also m ußte sie RH H auch kennen.U nd ob,sagte sie. Eine W oche vorderN achtderH andlung seierbeiihrim Saturnischen Salon gesessen.U nd zw arohne seine Schw ester.D am itdas nichtals sensationellverbuchtw erde,entschuldigte er Ilse-Fraukes A bw esenheitm iteinerBlasenentzündung.Sie,Julia,habe dasfüreinen beeindruckenden V orw and gehalten.Sie seisofortsichergew esen,daß erm itihrallein sprechen w ollte – und derV erlaufdesG esprächshabe dasnachherbew iesen –,aberaufeine Blasenentzündung alsV orw and kom m e eben nichtjeder.Ein RainerH einerH enkelschon.U nd beidieserSchw estersow ieso.U nd dann beziehtsich dieses Initialgebläse gleich ganz frech darauf,daß jetztzw eivon derW eltm ißhandelte Lyrikereinandergegenübersäßen.Sie,Julia, habe sofortgesagt,sie seiniem alsm ißhandeltw orden.Ergibtdaraufunum w unden zu,daß er auch hiersei,um einen V erlag zu finden fürsein G esam tes,füralles.A berdaskönne w irklich den Schluß bilden unseresPlauschs.Erkom m e natürlich w egen Ehrl-K önig.Erw isse,daß ich O pposition sei.Ehrl-K önig w isse dasauch und arbeite an m einem Sturz und schaffe den auch. Bisherseinoch niem and,den erstürzen w ollte,ungestürztgeblieben.D as zu m elden seier, RH H ,überhaupthier.U nd um jetztganz offen zu sein:Ehrl-König habe ihm ,RH H ,vordem 65
Bruch aufgetragen gehabt,ihrzu m elden,daß eran m einem Sturz,dasheiße an m einerTrennung von Ludw ig Pilgrim arbeite.D as istseine A rt,sagte RH H ,erintrigiertnicht,ergehtgeradew egs zu aufdasZiel.Ehrl-K önig w isse,daß ich es sei,die das Ehrl-K önig-A rchiv im PILG RIM V erlag verhinderthabe,die Sponsoren gescharthabe,daß siebzehntausend ZettelEhrl-K önigN otizen alsN achlaß beiLebzeiten vom Literatur-A rchiv in M arbach erw orben w erden konnten. A n den zw eiM illionen,die erkassierte,lag ihm erstin zw eiterLinie.M arbach istfürrelative U nsterblichkeiteine gute A dresse,aberer,Ehrl-K önig,w äre eben lieberin M ünchen unsterblich gew orden als in M arbach.Erw arsicher,w äre das Ehrl-K önig-A rchiv im PILG RIM V erlag erst etabliertgew esen,hätte die StadtM ünchen diesesA rchiv unterdie Sehensw ürdigkeiten aufnehm en können und Besucherausderganzen W elthätten sich andauernd überseine siebzehntausend Zettelgebeugt.A ufdenen,so RH H ,erbärm lich w enig zu finden sei.Er,RH H , habe,vordem Bruch diesen Plan bekäm pft.G enau so w ie sie,Julia Pelz-Pilgrim .U nd zw arganz offen habe erda gekäm pft.D erM eisterhabe näm lich schon im V orgefühldesG elingens– und w ann w äre ihm je etw asnichtgelungen – verfügt,daß Ilse-Frauke von Ziethen A rchivdirektorin des Ehrl-K önig-A rchivsim H ausPILG RIM w erde.U nd eben deshalb habe er,RH H ,in Frau Pelz-Pilgrim eine Bundesgenossin gesehen.Seine Schw ester,ohne die eraufderBaldsburg w ederTage noch N ächte verbringen könnte,w äre ihm entzogen,entführtw orden,herab von der Baldsburg,in dersie innig und alles überblickend geistreich hausen,hinein ins ödeblödeschnöde M ünchen.U nd dashatFrau Pelz-Pilgrim verhindert.D afürseiihrsein ew igerD ank sicher.A ber fürEhrl-K önig istsie seitdem casus belli.D as sagterihrfreim ütig.U nd w ie gesagt,erdarf’s. D enn erist,w ie jetztschon jederw isse,nichtm ehrEhrl-K önigsFreund.Jetztw erde sich zeigen, w as Ehrl-K önig ohne RH H sei.Erseiselbergespannt.Eigentlich halte erEhrl-K önig ohne ihn, RH H ,fürw enigerals ein Schem en. Jetzthabe dieserw angenlose fadenscheinige D ünnling losgelegt.U nd eskam heraus,w asm an ahnte,fastw ußte,und doch nichtglaubte.D erG erüchtedschungel,in dem Ehrl-K önig prachtvoll und unfaßbarherum tigerte,w arseine,RH H ’s,Schöpfung.A llerdingsim A uftrag Ehrl-K önigs. A bererfunden,in die W eltgesetztund andauernd durch phantastisch genaue Produktionen am im m erw iedersich steigernden Leben gehalten nurdurch RH H .N atürlich seien die G erüchte,die erhabe kursieren lassen,alles andere als freierfunden gew esen.Erhabe die G erüchte im m eraus intim erK enntnisund genauer,geduldigerBeobachtung gew onnen.Besondershabe eres genossen,w enn etw as kursierte,w as erin U m laufgesetzthabe,w as überhauptkein G erüchtsei, w as aberbehandeltw urde w ie ein G erücht,jedererzählte es w eiter,jederglaubte,es seieine typische Ehrl-K önig-D ekoration,in W irklichkeitseiesabernichtsalsdie fastreine W ahrheit gew esen.D ie reine W ahrheitnatürlich nie.D ie M edien sind w ahrheitsim m un.Schönstes 66
Beispiel:Ehrl-K önig schreibtnebenherunterdem N am en Siegfried Lernerklassizistische G edichte,vorallem Sonette,sieben Bände dieserLyrik seien in einem TessinerV erlag erschienen,in Leder.Erschienen eigentlich nicht.Schönstensgedruckt,A usstattung historisch,á la Brem erPresse,aberunterV erschluß gehalten,vorerst.Frau Ehrl-K önig,die zigarrenrauchende M adam e,zw inge er,alle seine klassizistischen G edichte insFranzösische zu übersetzen.V erhandlungen m itG allim ard seien im G ange.D as halte jederfürein polem isches G erücht,das seiaberW ortfürW ortw ahr.Ehrl-K önigsinnigsterW unsch seiesnäm lich,daß seine von derM adam e insFranzösische übersetzten und in Parispublizierten G edichte dann von H ansM agnusEnzensbergerinsD eutsche übersetztw erden w ürden.U nd dann – die K rönung – seine Selbstpreisgabe m itderTrium phnachricht:seine deutschen O riginale seien besserals Enzensbergers deutsche Ü bersetzungen.D ie G edichte sind allerdings denen von K arlK raus ähnlich.Er,RH H ,spreche alsverstum m terLyriker,verstum m t,w eilseine A nsprüche zu hoch seien,aberverstum m tauch,w eildie Erde bald von ihren V erw üstern verlassen w erde,und zw ar ohne Lyrik im G epäck,und verstum m taushoch historischem O pportunism us,w eilerseine ganze Em pfindungsfähigkeitdem D asein derSpinnen verschrieben habe,w eildasdie W esen sind,die diese Erde dann endgültig beherrschen w erden,also erdürfe sich fürLyrik kom petent fühlen,A ndré leistetw ie K arlK raus als LyrikerZuckerbäckerarbeit,W ortkonditoreim it Spritzgußtechnik. N un seiaberendlich zu gestehen,daß er,RH H ,ohne die M itarbeitderganzen G esellschaft seinen G erüchtedschungelnichtbetreiben könnte.JedesLegendchen,daserin U m laufgesetzt habe,seiw ild aufgeblüht,habe sich verm ehrt,m anchm alhabe er,w aserin die W eltgesetzt habe,selbernichtm ehrw iedererkannt. So habe derw angenlose D ünnling geredet,m itsäbelnden H änden und löchrigerStim m e.W arum erdas ihrerzähle,habe sie gefragt.W irsind V erbündete,habe ergesagt,und sollten das w issen. V ielen D ank,habe sie gesagt.U nd er,gew isserm aßen stolz:K eine U rsache,gnädige Frau.Ersei sicher,daß sie,sobald Ehrl-K önig sich an ihrrächen w erde,ohnehin aufihn,RH H ,zukom m en w erde.D iesem Tag sehe ergelassen entgegen.U nd ging.Ihrseiesindesdurch den G ang der D inge erspartgeblieben,RH H gegen Ehrl-König in Anspruch zu nehm en. Julia die G roße schnaufte auf.D ieserRH H und sein Ehrl-K önig seien nichts als K om plizen bei einem V erbrechen,von dem sie nichteinm aleine A hnung hätten:die A uflösung desW esensder Show .D ie Show m ache ja vornichts m ehrH alt.Religion,Politik,K ultur.A bergut,so bereite sich derErzsturz vor,Saturn kichere drunten im D reck.Sein A uftrittknistere schon in aller Erscheinung.
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Ich bedankte m ich.Falls ich Sehnsuchtnach Splendorsolis habe,seiich jederzeitw illkom m en. Ich sprach esausw ie eine Floskel,m einte esaberernst,alsich sagte,seitich in ihrem Saturnzim m ergew esen sei,gebe esfürm ich in M ünchen keinen O rtm ehr,derm ir gegenw ärtigersei. G ut,riefsie. Rechnen Sie m itm ir,sagte ich. Sie stieß einen Lautaus,derihre beiden Stim m lagen vereinte.Saturnlaut,dachte ich.U nd dachte noch:W enn Engelgrunzten,dann so.Ein durch und durch gehenderLaut.W asfüreine Frau! U nd w ie w eitw eg.U nerreichbareben. Es läutete. Ich holte die beiden an derG artentüre ab.M eine Frau hatte,w eilsie heute keine Sprechstunde abhielt,einen Teetisch vorbereitet. Ich hatte sie gebeten,nichtin Erscheinung zu treten.M ein G efühl:keine A blenkung,H enkelpur. D ererste Eindruck:W eristerund w ersie? A lssie ausihren völlig gleichen,sich zu Bayern bekennenden M änteln geschlüpftw aren,w ar diese Frage noch unbeanw ortbarer.G enau gleich groß,einsachtzig,gleich braungebrannt,die Baldsburg – heißtes – liegtaufachthundertM eterH öhe,beide im vollkom m en gleichen A nzug, allerdings eine anspruchsvolle G leichheit:braunes Sam t,unauffällig beige gesprenkelt,darunter beide im Rollkragenpullover,da,G ottseiD ank,ein U nterschied:ein Pulliin Schw arz,einerin H ellbeige.Ich entschied m ich,in H ellbeige Ilse-Frauke von Ziethen zu verm uten.D ie Stim m en bestätigten das.Erfastein Bass,sie eine reine M ädchenstim m e.M ädchenstim m e stim m tnicht. Eine überraschend hohe Stim m e.N ichtquieksend.A berscharfschon.Bassfürihn,stim m tauch nicht.Tiefschon,aberso brüchig,daß im m erw iederhohe,w ie durch Reibung entstehende Fieptöne vorkom m en.D unkelkrächzend,könnte m an sagen.D ie Führung desG esprächslag eindeutig beiihm .Sie sagte w enig,w irkte aberbeaufsichtigend,kontrollierend,auch schützend. Sie schaute und hörte zu,als seialles,w as ersage,m itihrabgesprochen,und sie m üsse prüfen, ob erjetztalles so bringe,w ie sie es abgesprochen,vielleichtsogareingeübthatten.Ersah ja auch im m erim m erw iederzu ihrhin,ihre Zustim m ung durch G esten und Pausen erbittend,die gab sie.Fastim m er.Je längersie da w aren,desto lieberm ochte ich sie.Ein w underbares Paar. Ich fühlte m ich bezaubert.D ie kassierten m ich.Ihre Zusam m enarbeitbeidiesem K assieren w ar virtuos.Ersetzte seine langen schm alen H ände ein.D ie konnten an den G elenken rechtw inklig w eggebogen w erden.Sie benutzte zum Betonen nurden Zeigefingerihrerrechten H and.Ihre linke H and lag reglos aufihrerlinken Bügelfalte.O bw ohlseine Stim m e klang w ie die eines W ahlrednersnach m onatelangem W ahlkam pf,m ußte m an nie fürchten,sie könne ganz versagen. 68
A llesan ihm und von ihm drückte eine unbändige W illenskraftaus.Erbestand ausnichtsals Entschlossenheit,Eifer,Sicherheit,eben ausK raft.G erade w eilerphysisch überhauptnichtstark w irkte,erlebte m an dasausK ehle und Seele Sprühende um so m ehrals D em onstration der reinen G eisteskraft.A beram m eisten beeindruckte m ich die in jederSekunde m anifestierte A bhängigkeitvon ihr,von ihrerZustim m ung.Ich hatte noch nie zw eiM enschen erlebt,die so zärtlich zusam m engehörten w ie diese zw ei.U nd dasw irkte alsreine Schönheit.Ich hätte am liebsten in die H ände geklatschtvorZustim m ung. Ersagte,erseiw ie ich H istoriker,also daran interessiert,daß letzten Endes keine Falschm eldungen dasFeld beherrschten.W asich in m einem Ehrl-K önig-Buch ausseinem Beitrag m achte,seim eine Sache.Sein V ertrauen zu m irgründe in seinerA chtung vorm einer w issenschaftlichen Leistung,w enn auch m eine Them enfelderuntereineranderen Sonne lägen alsseine.Erseidurch und durch derA ufklärung verpflichtet,dasw isse ich ja.A berden dunklen Rändern unsererExistenz hum anesoderw enigstensanthropologischesPotentialabzugew innen seides Schw eißes eines Edlen w ert.U nd hellerals ich habe überdie in uns beheim ateten D unkelheiten niem and geschrieben. Ich bin ihm und derSchw esternichtw egen diesesdeutlich zu dick aufgetragenen Lobsverfallen. Im G egenteil.D ie Portion A nerkennung,die erm irverpaßte,em pfand ich alsdas Zw eckrationalste in seinem ganzen A uftritt.Beide hatten sich übrigensaufm eine vage einladende H andbew egung hin aufs Sofa gesetzt,allerdings so w eitw ie m öglich auseinander. Ich saß ihnen also gegenüber.Sie lobte den Tee.Erbeendete deutlich das,w as V orrede gew esen sein sollte,dann fing eran.Zeitw eise saßen da zw eiV ögelaufdem Sofa.Lange H älse, schm alste G esichter,ruckartige K opfbew egungen,große A ugen,seine H ände w ie sich entfalten w ollende Flügel.Sie anw esend m itdersanften Betulichkeit,die m an beiV ogelw eibchen beobachten kann,am m eisten beiEnten.D azu habe ich ja fünfM inuten vom H aus,am N ym phenburgerK anal,reichlich G elegenheit. Ertrug dann vor,w asich dem Inhaltnach schon durch den Professorund durch Julia erfahren hatte.A berertrug es beteiligtervor.U nd redete sich trotz allerBeherrschtheitin eine V erurteilung Ehrl-K önigshinein,die vornichtsH altm achte.H aterdasbeabsichtigt? Istesihm passiert? Ich w eiß es nicht.A lles,w as ervortrug,w urde durch die A rt,in dereres vortrug, sozusagen beschädigt,abereben dadurch glaubhaft.Erselberw arbeschädigt,verletzt,beleidigt, gedem ütigt!D asdrückte sich in allem aus.M an spürte,w arum erso reden m ußte.M anchm al klang es,als rede da einfach ein Feind Ehrl-K önigs,derviele Jahre lang hatte w arten m üssen auf den A ugenblick,in dem erzu W ortkom m t.A bererfand auch im m erw iederzurück zu einer Bew underung fürden,gegen den erda redete.Erging nie unterim bloßen G eschim pfe.D afür 69
sorgte schon streng seine Schw ester.M itihrem rechten Zeigefinger,derso lang w arw ie ihr M ittelfinger,und derw arsehrlang.Sie dirigierte eigentlich seinen V ortrag,als seierein O rchester.Ein O rchesterderTonlosigkeitallerdings.A berw as erbeiunbehebbarerTonlosigkeit seinerStim m e aus seinerK ehle an A usdrucksunterschieden herausw irtschaftete,w arerstaunlich. Ich dachte an sein erfolgreichstesBuch Jesus von Nazareth,Politiker.Ich w ürde es lesen. Lassen Sie sich durch m ich nichtgegen Ehrl-K önig einnehm en.Sie haben kein Recht,gegen ihn zu sein.Ihnen haternichtsgetan.V orallem :erhatte ein Rechtzu sein,w ie erw ar. V on allen um -und durcheinanderlaufenden Legenden und H istörchen stim m e am genauesten alles überdie M utter,die große D am e,die gebe es so,w ie er,RH H sie bekanntgem achthabe. Eben einhundertdreiJahre altgew orden.A berschon,daß sie w irke w ie entw orfen von K lim t plus Stefan G eorge seisein Einfall,den Ehrl-K önig fortund fortbenutze alsV erehrungsform el fürdiese unentbehrliche Backgroundbelezza.D erV ater,auch derstim m e,Bankierin N ancy, schon lange tot,abereben eine schauderhafte U ngestalt,klein,dicklich,große rote O hren,die M utterhater,als sie siebzehn w ar,geschw ängert,sie aber,so derM eister,seim itachtzehn aus dem K indbettaufgestanden alseine D am e,und die seisie geblieben.Ihren Sohn hatsie im m er verachtet.Sagte derSohn.W eileraussah w ie sein V ater.Fürden habe er,RH H ,um der U nterhaltung w illen,auch kursieren lassen,daß derein lothringischerPferdehändlergew esen sei,dersechzehn Sprachen fließend gesprochen habe.W ozu dann eben gepaßthabe,daß erdie Siebzehnjährige vordem Schw ängern aufsPferd gesetzthabe.Ehrl-K önig verehrte seine M utter, und erhaßte sie.Erhaßte sie,w eilersich verurteiltfühlte,sie,die ihn verachtete,zu verehren. Jederkenne die Photos,aufdenen erm itfünfzig,sechzig und siebzig Jahren an ihrerSeite steht. Sie,die große schöne,w ie erfunden schöne D am e,er,derrundliche K leine,dem m itsechzig plötzlich die vorherschon w eißen H aare ausgingen,die erim m erlang getragen und im N acken zusam m engefaßtgehabthabe.U nd die großen roten O hren vom V ater.Im Fernsehen w urden die vorjedem A uftrittblaßgepudert.Ehrl-K önig selbersagte übrigens,daß seine H altung aufden Photosm itseinerM utterbew ußtgew ähltsei.D ie Leute,die spotteten,daß erda w ie ein Behinderteroderw ie ein bösartigerund doch bedauernsw erterZurückgebliebenerneben der aufragend Schönen stehe,die reagierten genau so,w ie eres w ünsche.D iese Rolle spielte erauf jedem Photo m itseinerM utter.D arum habe erdoch den K opfzurSeite hängen lassen,als gehorche derihm nichtm ehrganz,und grinste.D ieses G rinsen sollte alles vernichten,w as die M utteran Belezza darstellen w ollte.Er,dergeniale K retin,sie die K lim tpuppe in der Stefangeorgepose.Sie in m ärchenhaftan ihrhinabfließenden G ew ändern,erin schaurigen K onfektionsanzügen.Ehrl-K önig habe solche A nzüge nurgetragen,w enn erzu seinerM utter reiste.Erw ollte ihren Schönheitssinn beleidigen und protestieren gegen ihren,w ie eres nannte, 70
drittklassigen K lim t-V erschnitt.Ja,so um sichtig,so konzentriert,so energisch habe erim m er gelebt.Esseieine Freude gew esen,ihm V orschläge zu m achen,w eilerjeden V orschlag m it Leidenschaftgeprüftund ihn,w enn erihn brauchbarfand,m itkältesterPerfektion in W irklichkeitum setzte.W oherdiese Energie,diese U nerm üdlichkeit? D afürgibtes ein einziges M otiv:U nsterblichkeit.K lar,U nsterblichkeitistknapp,esgibt,angesichtsderN achfrage,vielzu w enig U nsterblichkeit,also entbrenntein K am pfum U nsterblichkeitw ie um nichtssonst.U nd da istjedem jedesM ittelrecht,von H euchelschw ulstbiszu kalterG ew alt,um noch ein Fetzchen U nsterblichkeitzu erhaschen.U nd jederistda eines jeden Feind.Todfeind,da paßtdas W ort. D ashabe ja H ansLach,den er,RH H ,sonstgarnichtschätze,in seinem W unsch,Verbrecher zu sein,akzeptabelausgedrückt:W ir stoßen einander von den Planken eines sinkenden Schiffs. D aß H ans Lach fürdiese entsetzliche Tatin Frage kom m e w ie kein anderer,liege aufderH and. Ehrl-K önig hatihm die A ussichtaufU nsterblichkeitgründlich verm asselt.D asheißt,erhatte diese A ussichtnie,aberEhrl-K önig w ardas historische W erkzeug,dasdiese angem aßte A ussichtzu zerstören hatte.D aß erdie Erfüllung dieserhistorischen Funktion m itdem Leben bezahlen m ußte,gibtseinem Sein und W irken dasPathos,daserzw arim m erw eggegrinsthat, von dem eraberin seinem Innersten ganz erfülltw ar.Erw arein großerM ann.Einem Laffen hätte ich nichtvierunddreißig Jahre gedient.Ich habe ihm gedient.So w ie derBildhauerdem Stein dient,ausdem erdie Figurschlägt.Erhatesversucht,m irzu danken.A berD anken w ar seine Sache nicht.D ie M utterdürfte versäum thaben,ihn so zu hegen,daß ergerne gedankt hätte.Erw ollte undankbarsein.V orsätzlich.Erw ollte böse sein.Erglaubte,dafürG ründe zu haben.Erw ollte groß sein im Bösesein.Seine Tragödie:erblieb ew ig hängen im G iftigsein. Giftzw erg seiein W ort,dasm an in seinerG egenw artniem alsgebrauchen durfte.W asbeiihm lautw urde und rauschte,w arnichtdas Flügelrauschen eines gew altigen und bösen Engels, sondern die W asserspülung,die zu betreiben ihn dasSchicksalverdam m that.U nd dann im m er Lessing im M und führen w ie andere Leute K augum m i,Lessing,dergesagthat,w enn G ottihm etw as zuteilen w olle,dann nichtdie W ahrheit,sondern das Streben danach.Eristim m er aufgetreten als die hem m ungslose G ew ißheit,die Zw eifellosigkeitschlechthin,die diam antene U rteilsunanfechtbarkeit.ErhatdasEntw ederodereingeführtin die Literaturkritik,haben seine Chorknaben in den Feuilletonsgesungen.U nd ich,RainerH einerH enkel,habe,w eilerm irin seinem A uftrittsfortissim o allm ählich komisch vorkam ,an ihm gearbeitetin Richtung reisender H enkerim W estern,dasistderm itdem A rztköfferchen,in dem dasH inrichtungsbesteck blitzt. A berfürK om ik w arernichtm ehrzu haben.Sein Erfolg panzerte ihn allm ählich gegen jede Einrede.U nsere Freundschaftw äre auch ohne den Fehltrittm einesarm en Brudersverendet.Er w arbeziehungsunfähig.M anchm alhaterm ich angeschaut,w ie erschaute,w enn erin der 71
SPRECH STU ND E dasSchlechte Buch behandelthat.W enn w irzusam m en saßen und tranken und ich,als erzum dritten M alvom K lo zurückkam ,sagte:W as istlos m itdir,protestiertbeidir die Prostata,dann stam pfte eraufund schrie:W enn du noch einm aldiesesW ortin den M und nim m st,sind w irgetrennte Leute.K urz vordem Bruch sagte ereinm al:W ie ich mich beeindrucke,das schafftsonstnurnoch die M usik.U nd das w ardie Begabung,die alles entschied:V on sich selberrückhaltlosbeeindrucktsein zu können.D asw ardann im m erdas M itreißende:In kindlichem Ü berschw ang in Jubelauszubrechen übersich selbst.Erhatte einen unbeirrbaren Instinkt,in jedem A ugenblick die einzig richtige Bew egung zu m achen,sich auf den einzig richtigen Fleck zu stellen und dann zu sagen,erhabe sich sein Leben lang im m er zw ischen alle Stühle gesetzt.D as w arseine G enialität:sich alleszu glauben,w enn esihm nützte. D as m itim m erzw ischen alle Stühle gesetztistübrigens die Form eljedes zw eiten Erfolgreichen. Sie haben kassiert,w as es zu kassieren gibt,und sagen nachträglich leidensglorios,daß sie sich im m erzw ischen alle Stühle gesetzthätten.Zu Ehrl-K önigs Ehre seiübrigens gesagt,daß so ziem lich alles,w asvon G eschlechtsverkehrhandelt,nichtvon RH H stam m e,sondern von ihm selbst.Er,RH H ,seireligiös gebunden,Ehrl-K önig nicht.Ehrl-K önig seiderfreieste M ensch gew esen,dem er,RH H begegnetsei.U nd alsererlebte,w ozu ein w ahrhaftfreierM ensch im Stande sei,fand erFreiheitnichtm ehrdesiderabilis. N ichtvergessen dürfe er,w ie w ichtig es füreine solche A utoritätsfigursei,alle anderen herabzusetzen.A lser,RH H ,diese H erabsetzungslustbeiEhrl-K önig entdeckthabe,habe ersie richtig entw ickeltund fortund fortm itD etailsgefüttert,die dann einfach zu jedem Ehrl-K önigA uftrittgehörten.W enn ergerade einen positiven Superlativ gelandethatte,zum Beispielüber Thom asM ann,dann im nächsten Satz,derhochgerühm te EssayistThom asM ann hatalle seine Zitate aus zw eiterH and,w edervon N ietzsche noch von W agnerhaterje etw as in derH and gehabt.O derw enn erG oethe gerade als den A llergrößten gelobthat,dann gleich draufgesetzt, daß auch dieserG oethe eine gute Besprechung seinerW ahlverwandschaften vom V erlegerhat extradrucken lassen,um sie w ie w ild herum zuschicken.Ehrl-K önig habe einm alzu ihm gesagt, erseizu reinerV erehrung nichtim Stande.U nd da nichts in derW eltreinerV erehrung w ertsei, erfülle ereine fürdie W eltunersetzbare Funktion:D ie A ufhebung jederV erehrung durch ein G egenteil.Ü bersehen habe derM eisterdabei,daß erzurSelbstverehrung sehrw ohlim Stande w ar. Er,RH H ,w isse,H errLandolfseidurch solche N achrichten nichtzu erschrecken,ihm sei bekanntgenug,daß kaum einervon den W ichtigen,w enn erim Fernsehen auftritt,eigenen Text spricht.A ngesichtseinesPublikum s,dasin die M illionen geht,w äre daseinfach zu riskant. Stellen Sie sich vor,da spräche einer,w ie ihm gerade um sH erz ist,dann käm en die M illionen 72
aufdie Idee:deristja auch nichtbesserals ich,und das w äre das A us.W erauftritt,m uß Paradesätze haben,und w enn erdazw ischen Eigenesbringt– jetztrede ervon Ehrl-K önig –, dann m uß erdas Eigene,egalw as es ist,so superlativisch em otionalisieren,aufblasen,daß das Publikum ,w enn schon nichtdurch eine Pointe,dann doch vom H eftigkeitsgrad betäubtw ird.Er, RH H ,habe Ehrl-K önigs A ussprache gew isserW örtersolange m itihm geübt,bisdadurch eine Ehrl-K önig-K enntlichkeiterreichtw ar.D adurch w urde Ehrl-K önig von jedem im itierbar,und nichtsm achtpopuläreralsIm itierbarkeit.D enken Sie nuran den Ehrl-K önig-Sound,w enn er überdoitsche Scheriftstellerrrsperichtund überdie Sperache,die sie schereiben und w ie scherecklich esist,sein Leben gew eihtzu haben einerLiteratür,die zu m ehralsnoinzig Perozent langw eilig ist.D as hatergesagt!U nd vielleichthaterrecht. Ich w arübrigens garnichtüberrascht,als erm ich einm alregelrechtbeauftragte, herauszubringen,aufw elchem W eg,m itH ilfe w elcherLeute m an dasN obelkom itee in Stockholm dazu bringen könnte,in die Preisw ürdigkeitauch K ritikeraufzunehm en,da die ja für das G edeihen derLiteraturdeutlich w ichtigerseien als dieserund jenerBelletrist.D en Präsidenten derD eutschen A kadem ie forderte erdirektauf,ihn fürden Büchnerpreis vorzuschlagen und hoffte,dieserPräsidentw erde das,w eilerals A utoraufEhrl-K önig angew iesen w ar,auch tun.A ls sich das als schw ierig erw ies,w arerw ochenlang nichts als w ütend.Tagtäglich w ütend.Flüche ausstoßend.V erw ünschungen.D rohungen.A berererholte sich.Sie konnten ihm den W eg zurU nsterblichkeitm itSchw ierigkeiten pflastern,verbauen konnten sie ihn nicht.U nd abbringen von diesem W eg und Zielschon garnicht. Längere Pause. Ich zeigte Zustim m ung.Ich w ußte allm ählich,w arum m irdiesesPaarangenehm w ar.Sie hatten dasund daserlebtund dem entsprechend w aren sie jetzt.Eine vollkom m ene V erhältnism äßigkeit von Erfahrung und A usdruck.D asm achtglaubw ürdig.U nd G laubw ürdigkeitm achtschön. Ergebe zu,erhabe selberzuerstlernen m üssen,w ie vielbeziehungsw eise w ie w enig Realgehalt eine G erüchtschöpfung haben m uß,um dann erfolgreich kursieren zu können.Gegen pure W ahrheitseien die M edien eben im m un.N ehm en Sie Ehrl-K önig und die Frauen.Eshatsich nie um Frauen gehandelt,im m erum M ädels.O derauch um M ädelchen.M ädeloderM ädelchen,da haterim m erscharfunterschieden.A m liebsten w aren ihm natürlich M ädelchen,aberw enn’s keine gab,nahm erauch M ädels.Frauen findeterlangw eilig.U nzum utbar.Besondersdoitsche. W eiblichesplusSchicksal,zum D avonlaufen!A berschicksallose,ihresA ufblühensnoch nicht ganz sichere M ädels oderM ädelchen,dann w isse er,sagte er,w ozu erzurW eltgekom m en sei. H errPilgrim m ußte ihm jede auftauchende Literaturjungfersofortm elden.U nd erfragte nie: Schreibtsie gut,sondern:Istsie hübsch.Eine derkühnsten K reationen RH H ’s seigew esen:D er73
Tee-in-der-Suite.D aß Ehrl-K önig m itjederin Frage kom m enden Jungautorin in den Vier Jahreszeiten gegessen,dann form elhaftgesagthabe:D en Tee nehm en w irin m einerSuite!,das seiinzw ischen in derSzenenbelletristik schon ein paarM albeschrieben und ausgem altw orden. Jedem anderen,derirgendeine M achtausübt,hätte ein einzigerBerichtdieserA rtdas m oralischprofessionelle G enick gebrochen,Ehrl-K önig ging ausjedersolchen G eschichte noch strahlender hervor.U nd das verdankte er,so RH H ,ihm .Er,RH H ,habe ihn ausgestattetm iteinereher feudalistischen als bürgerlich-dem okratischen Legitim ität,m an hatihn einfach nichtm ehran einersolchen Bagatelle w ie sexualharassm entgem essen.So w enig w ie Charlie Chaplin,John F. K ennedy oderFranz JosefStrauß.D ie M egafiguren gibtes eben dazu,daß sie dürfen,w as alle w ollen,abernichtdürfen.U nd so w eithabe erEhrl-K önig aufgeblasen.Erhabe ihn gelegentlich auch aufs G latteis geschickt,einm al,um zu testen,w ie vieloderw ie w enig erw eiß,andererseits um zu testen,w ievielBlödsinn erihn reden lassen könne,ohne daß jem and sich überihn lustig m acht.Ehrl-K önig habe natürlich ehernichts als w enig gew ußt,abererkonnte sagen,w as er w ollte,den Leuten ging esnurdarum ,seine Faxen und sein A utoritätstheaterzu genießen. W om iterdas betrieb,w arihnen egal.Einm alhabe erEhrl-K önig füreine Talkshow m iteiner Bem erkung überM oliére ausstaffiert,einfach,daß erperBildungsprotz seine A utoritätfüttere. Ehrl-K önig solle sagen,habe erzu ihm gesagt,dasA ufregende an M oliére seifürihn,daß M oliére gegen den A delund gegen die Jesuiten geschrieben habe.Erhat’sm itgroßerG este gebracht,hatm itverdrehten A ugen – sein Pathosblick – gerufen,erfühle sich im m erder A ufklärung verpflichtet,die Leute haben geklatscht.K ein M ensch hatprotestiertund klargestellt,daß M oliére im Interesse Ludw ig X IV gegen den A delgeschrieben hat,und nie gegen die Jesuiten,sondern gegen die Jansenisten.Im Fernsehen können Sie,w enn Sie’s genügend aufdonnern,garallessagen.D as Statem ent,das beiEhrl-K önig die höchste N ennquote erreichte,w ardie Feststellung,daß es zurZeitin D eutschland nurSchriftstellerund Bücher gebe,aberkeine Literatur.Er,RH H ,habe versucht,ihm diesen Ladenhüterw ieder abzugew öhnen – vergeblich. Ehrl-K önig habe im m erein Repertoire von zw ölfbisfünfzehn Sätzen gehabt,pointierten Sätzen. D azu noch fünfzehn bisachtzehn Zitate.D ie pointierten Sätze,die w irken m ußten,w ie ausdem A ugenblick entstanden,w ie aktuelle Einfälle,die verbrauchten sich natürlich schnell,w eilEhrlK önig praktisch von einem A uftrittzum nächsten hastete.M ehralsfünfm aldurfte erso einen Standardsatz nichtbringen,eraberkonnte von einem Satz,solange derLacherbrachte,nicht lassen.Erm eckerte anfangs an jedem Satz herum ,w enn derSatz Lacherbrachte,liebte erihn und – das w ardas Erstaunlichste – glaubte,dieserSatz seivon ihm ,seiein Ehrl-K önig-Satz.
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Erhatte zw arein triviales V orurteilgegen die Psychoanalyse,ich habe ihm beigebracht,w as darauszu machen ist.Erhatte zu sagen:Psychoanalyse!U m Literaturzu verstehen!Lächerlich. Beispiel:K afkas ParabelVor dem G esetz.Eine Parabel,die um so w irkungsreicherist,je w enigerm an sie inssogenannte V erständliche übersetzt.U nd Ehrl-K önig,ließ sich in der Talkshow fragen,w as ervon derPsychoanalyse halte:Q uatsch!Riefer.Bitte,K afkas Parabel Vor dem G esetz,w o derim m ervorderTürsteht!Erknietnichtdavor,ersteht!U nd w ovorer steht,das istdas w eibliche G enital,das siehtdoch ein Blinder.U nd derim m erdavorstehende Türhüteristspitznasig und im Pelz,also w erdazu Psychoanalyse braucht,dem istnichtm ehrzu helfen. Ilse-Frauke,ich m eine,w enn ich ausdem ,w aserunsdeslangen und breiten auftischte,eine bündige Form ulierung m achte,sie aufschrieb und ihm hinreichte fürdie nächste Show ,stand dann da:Zw eiM öglichkeiten,eine Frau kennenzulernen,im Bettoderw enn sie betrunken ist. U nd so w ie sie ist,w enn sie betrunken ist,istsie dann auch im Bett.Entsetzlich,sagte IlseFrauke.Sie istFem inistin,sagte er,das m achtsie strenger,als sie von N aturaus w äre. D ann fragte er,w o es zum K lo gehe.Rechts,dann erste Türe links.Sie sagte,als erdraußen w ar, ihrBruderhabe unendlich vielzu leiden gehabtunterEhrl-KönigsLaunen,aberm itder Todesnachrichtw erde erüberhauptnichtfertig.W enn erjetztN egatives überEhrl-K önig herausbringe,habe sie den Eindruck,erw olle sich den V erlustkleinreden.Egalw ie es w ar,eine lebenslängliche Bindung läßtsich nichtdurch nachträgliche Bew ertung kleinreden.D aseigene Leben kann doch nichtfalsch gelaufen sein.D ashielte m an nichtaus. Ertratein m itdem Satz:Ich w arja auch sein W affenschm ied.Ich freute m ich,w enn erin einer Talkshow einen A uftrum pfenden einfach um w arfm itdem Satz:V on M usik verstehen Sie nichts, da sind Sie schw ach aufderBrust.D a bleibtjedem die A ntw ortim H als stecken.W ie soller jetztbew eisen,daß eretw as von M usik verstehe.U nd es gibtkaum etw as D isqualifizierenderes, alsnichtsvon M usik zu verstehen.Ich rietihm sogargelegentlich anzudeuten,daß er Streichquartette kom poniere,aberüberdie W ienerN eurom antikerkom m e ernichthinaus.D as w arihm nichtw itzig genug.Erbrauchte Lacherw ie w irSauerstoff. Ilse-Frauke,w eißtdu noch,w enn erzurückkam und berichtete,w ie erfolgreich erw iederm it diesem und jenem Satz gew esen w ar.U nd esw aren allesganz und garseine Sätze.A uch die Technik,andere m itdereigenen G edächtniskraftzu bluffen,von m irerdacht,dann w ar’sseine H auptw affe.Einfach etw asK onkretesgenau sagen und im Ton schon m erken lassen,daß m an w isse,derandere w isse genau das,w as m an selbergerade sagt,nicht.D erandere istbeeindruckt, denktnichtm ehrdaran,daß erja auch etw asw eiß,em pfindetjetztnurnoch seinen M angel:er w eiß nicht,w om itich aufgetreten bin.D as lasse ich ihn spüren,beute seine Schw äche aus.D as 75
habe ich Ehrl-K önig beigebracht.W erheute überEhrl-K önig sprichtund ihn jetzt,da ertotist, erstrichtig rühm en w ill,derzitiertdie Stellen,m itdenen Ehrl-K önig,von m irtrainiert, paradierte:W ann genau hatdie Jungfrau von O rleansm itLionelgeschlafen? In w elcherO per findetderG eschlechtsverkehrim O rchesterstatt? A ufden kühnsten Satz isterselbergekom m en. A lsihm in einerTalkshow vorgehalten w urde,daß ereine A utorin zu schnöde abgetan habe,er blitzschnell:M r.H efnerzahltnach Potenz.A lso derPlayboy-Erfinderbezahltseine M ädchen nach dem ,w as sie beiihm bew irken.U nd w ie erdas sagte,w urde sofortverstanden und bejubelt.D as kühnste G erüchtstam m te abervon m ir:Ehrl-K önigs sexuelle D elikatesse, Schw angere biszum dritten M onat.Pfui,riefIlse-Frauke.Istja nichtangekom m en,Liebste, beruhige dich.A berw ie virtuoserpraktizierthat,m itderschlichten Entgegensetzung zw eier Superlative jeden jederzeitklein zu kriegen beziehungsw eise ihn m undtotzu m achen.Siehe Lukas7,28:D enn ich sage euch,unterden von W eibern G eborenen istkeinergrößerals Johannes derTäufer.A berim Reich G ottes istauch noch derK leinste größerals er.A ufG oethe angew endet:K eineristgrößerals G oethe,aberw enn ergute K ritiken übersich im Land herum schickte,w arerso klein w ie derK leinste und eigentlich,w eilerdoch derG rößte w ar, kleinerals derK leinste.U nd so w eiter,m ein Lieber.Sie sehen,w irsind zu Ihnen gekom m en,um unsIhnen auszuliefern.U nd sind gespanntaufIhrBuch. Ich schreibe w irklich kein Buch,sagte ich.Ich w illlediglich H ans Lachs U nschuld bew eisen. U nd er:V ergessen Sie nicht,daß Ehrl-K önig nichtskifahren konnte.Ilse-Frauke und ich sind in den zehn Jahren Baldsburg zw arkeine guten,aberdoch unsselbergenügende Skifahrer gew orden.U nd sind w eiß G ottaufflachem Land geboren.A berEhrl-K önig hatsich im m erm it Schaudergew endet,w enn w irihn aufSkierstellen w ollten.Erw arein furchtbarerM ensch.A ber erträum te auch davon,daß erein furchtbarerM ensch ist.V ergessen Sie dasnicht.Erhatm ir Träum e erzählt,um die ich ihn nichtbeneide.Ersitztim Traum in A ix an derProm enade,ein H ubschrauberlandetvorihm ,derH ubschrauberpropellerw irbeltm itw eltfüllendem Lärm alle Tischtücherund G läserund M arkisen durch die Luft,alle Leute rennen,rennen nurw eg von ihm ,Ehrl-K önig,dem derH ubschrauber-O rkan die K leidervom Leib gerissen hat,und dann stehen alle Leute in einem riesigen K reisum ihn herum ,und ein M ädchen trittvorund sagtm it leiserStim m e,die aberden H ubschrauberlärm übertönt:M örder.D ann dringen alle aufihn ein und tram peln aufihm herum ,biserschm erzgepeinigtund schw eißgebadeterw acht.Solche Träum e hatte er.N ’oubliez pas,m a chère.Ilse-Frauke,ich seh’s,du m einst,esreiche.Rechthast du.A berdasdoch noch:D aß ererm ordetw orden ist,gibtihm rechtin allem und gegen unsalle. D iesesEnde sagt,w ie rechtergehabthatin seinerhem m ungslosen G efühlsexzentrizität.U nd Liebesunersättlichkeit.D ie seine M utterin ihm gegründethat.A dieu.O h,Ilse-Frauke76
A llerliebste,nurnoch eins,und das nichtgesagtzu haben,w ürden w iruns beide vorw erfen, N ietzsche,an den Sie sich ranschreiben,H errLandolf,N ietzsche,dasm uß ich Ihnen zu bedenken geben,m ein G uter,N ietzsche hatsich fürchterlich überschätzt,als erverkündete,die U m w ertung allerW erte vollbrachtzu haben,bürgerlich befangen,w ie ernun einm alw ar,hater nichtgem erkt,daß alles so w eiterging w ie im m er!D ie U m w ertung allerW erte — und nurdarum holich zum Schluß noch einm aljede M enge A tem — ,die hatA ndré Ehrl-K önig vollbracht,und dasnichtganz ohne m eine M itw irkung.Beidiesem epochalen Reinem achen istnurein W ert übriggeblieben alsderW ertallerW erte und außerihm istnichts:derU nterhaltungsw ert.Q uote, m ein Lieber.Jeden abend V olksabstim m ung.D ie D em okratie desreinen W erts.Endlich.Q uod licetbovinon licetjovi. Ilse-Frauke hatte praktisch jedesW ortdurch K opfnicken bestätigtund gebilligt. A dieu,riefen beide w ie aus einem M und. Ich brachte sie hinunterund bis zurG artentürund blieb stehen,bis sie in die G ernerstraße eingebogen und verschw unden w aren.Zuletzthatten sie sich noch einm alum geschautund gew inkt.Beide.A b Jetzthatte ich doch dasG efühl,ich seiheim gesuchtw orden von einem G espensterpaar.A llerdingsvon einem m ärchenhaften. Erna hatte einen Zettelhinterlassen:Liebster,ich m uß noch in die Stadt.ErnaD eine.
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D aseng am K opfbleibende Rotgraugem isch,H ansLachsH aare.D asRötliche und G raue m ischen sich so ganz und gar,daß eine neue Farbe entsteht,w ederrotnoch grau,aberein G lanz ausbeidem .H ansLachsH aare glänzen.Schon beikleinsterLichtzufuhrglänzen sie.Fast,als glänzten sie von selbst.In derM itte beginnen diese H aare etw as früherals links und rechts.So entstehteine A rtK appe.A bervielleichtsollte m an,w as eraufdem K opfhat,überhauptFell nennen.A ufPhotographien siehtLach im m ererstarrtaus.A lshabe erbiszum A ugenblick des Photographiertw erdens noch gelebt,aberbeim Photographiertw erden selbstnichtm ehr.D ie K inderaugen w irken biszurBlödheiterstarrt.D ie hervorragende N ase kom m tnoch am besten w eg.D erTrotzm und hatoffenbarvorderPhotographiersekunde noch etw asgesagt,w asihm nichtgeglaubtw ird.D asK inn istselbstunterdieserN ase zu groß.A lleszusam m en ergibteine Brutalplastik einerasiatisch-afrikanischen N aivkunst.U nd anriefderK H K .O b ich die Zeitung gelesen habe.W elche.D ie BILD -Zeitung.N och nicht,sagte ich,um nichthochm ütig zu w irken. Ein H andy-Interview m itCosivon Syrgenstein.D am itheiße esEinszu N ullfürdie BILD Zeitung.Erhabe diese Cosinatürlich auch gesucht,und nichtgefunden.A bervielleichthatdie eben doch die BILD -Zeitung angerufen,um sich in Szene zu setzen,und die Zeitung tutdann so, alsseiihretw asgelungen,w asderPolizeinichtgelungen sei.D ie übliche N um m er.A ufjeden Fall,die G efährtin derletzten Stunde liegtim Sand von Fuerteventura,oben und unten ohne,das sagtsie,kein Photo von dort,esgehtihrnichtgut,A ndré w arein Schatz,verstehen Sie,tesoro y querido,sie schreibtund schreibt,ja Eingespeichelt,w asdenn sonst,von A ndré hatsie sich noch im H ofderPILG RIM -V illa verabschiedet,sie m ußte ja früh raus,A ndré w arw ie im m er, geistreich und zärtlich und ein bißchen geschw ätzig,dasheißt,w enn sie nichtaufA bschied gedrängthätte,stünden sie w ahrscheinlich im m ernoch dort.A ch w är’esdoch so.D aß ernicht m ehrleben soll,istihrunfaßbar.Solange Ehrl-K önig nichttotaufgefunden w erde,w eigere sie sich,ihn fürtotzu halten.D aß H ans Lach verdächtigtw erde,tue ihrw eh.D aß derkein A libi habe,seitragisch.H ansLachsD rohungen halte sie fürnichtsalslaute W ehleidigkeiteineszu kurz Gekom m enen.Fürw eitere A uskünfte stehe sie jederZeitzurV erfügung.W enn sie nicht gerade im W assersei.A lso zw eiStunden täglich nicht. W asich dazu sage? Ich sagte,daß ich m irdie Zeitung beschaffen und den Textanalysieren w erde.Ererbatsich,falls ich aufetw askom m e,benachrichtigtzu w erden.Einervon unszw eien kom m tim m ervoran,
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sagte er.U nd dam itauch derandere,sagte ich.W enn ich die U nschuld bew eise,sind Sie genau so am Zielw ie ich.U nd w enn ich die Schuld bew eise,Sie auch,sagte er. Ich hatte m ich an diesem Tag beiFrau Lach angem eldet.Ich w ollte nurdie von Ehrl-K önig gew idm eten Exem plare sehen.Zu Fuß vorin die Böcklinstraße.Es w aretw as w ärm ergew orden, derfestgetretene Schnee w eichte auf. Ich hatte den Fuß noch nichtaufdie unterste Stufe gesetzt,da hörte ich das K lavier,nein,das w arsicherein Flügel,und w as da gespieltw urde,w arBartók.So überraschend und dann gleich nichtm ehranders vorstellbarsteigen die Töne beiBartók herab.Eine derbeiden Elegien spielte Frau Lach,die erste,sie übte,kam m irkühn vor.Ich hatte m ich diesen Stücken gegenüberlängst aufdie CD zurückgezogen.Frau Lach w arK lavierlehrerin gew esen.D iese M usik istja ersteine, w enn sie einem ausden H änden ström t,alshabe sie daraufgew artet.A lsnichtm ehrw eiter gespieltw urde,läutete ich. Ich w arjetzteingestelltaufeine m elancholische D am e,eskam abereine M ünchnerin.Sie trug zw arkein D irndl,aberihre Sprache tönte in allen D irndl-Farben.Sie w ußte,w as ich w ollte,die Bücherlagen aufdem Tisch.K affee oderTee? Tee.Sie sah einfach zu,w ie ich Buch nach Buch aufschlug und jew eilsdie Stim m ungsw örterm itdenen Ehrl-K önig seine W idm ungen ausgestattethatte,in m ein N otizbuch übertrug:Chaleureusem ent.A vec l’expression de m on attachem entsincère.D e toutcoeur.En toutam itié. D ann schaute ich aufund sagte:Erw aresnicht.Jem anden,dereinem solche Sätze w idm et,kann m an nichttöten.Sie nickte,m achte eine w egw ischende H andbew egung.D ashieß:M irm üssen Sie das nichtsagen.Sprechen w ollte sie offenbarnicht.D aß ich m irvorgenom m en hatte,die U nschuld ihresM anneszu bew eisen,w ußte sie.Ich hätte ihrgern angeboten,die Einsam keit,die sie geradezu ausstrahlte,m itm irzu bevölkern.Einfach,w eilsie nichtzugab,daß sie litt.Sollte sie’sdoch zugeben.D ieserüberspannte M und.D ererinnerte an Lydia StreiffsM und.O ffenbar ein Schriftstellergattinnen-M und.K ein in sich ruhenderM und,sondern eine V erform ung der ganzen Partie,alshabe letzten Endesein Schm erz den A usschlag gegeben.Ich w ürde von jetzt an Schriftstellergattinnen aufden M und schauen.M an istja im m eran Rubrizierung interessiert und daraufangew iesen.D erM und von V erlegergattinnen siehtschon m alganz andersaus.U nd erstderM und von K ritikergattinnen!Ergebnis:Schautden G attinnen aufden M und,und ihr w ißtBescheid!W arum durfte ich diese Frau nichtstreicheln? D ie W eltw ollte m iroffenbar unbew ohnbarvorkom m en.G enau genom m en,w arm irFrau Lach im A ugenblick w ichtigerals ihrM ann.D ie Bartók-Elegie.D azu derbayerische A nklang,derschon eherein K lang w aralsein Anklang.
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Ein dunkelbraunesSam tkleid m itrechteckigem A usschnitt,an dem ein Band m itrotem M äander aufgelbem G rund entlang lief.A rtdeco,dachte ich.U m den langen H alseng ein goldenes K ettchen,von dem in G old gefaßtein K arneolin den A usschnitthing,eine in die Länge gezogene,ganz spitz zulaufende Raute. D aß sie m ich,alsich aufstand und m ich verabschiedete,einfach gehen ließ,tatm irw eh.U nter derTürsagte sie:A m A libihängtalles.D as A libientscheidet.Ich behauptete,die U nschuld ihres M annes seiauch ohne A libibew eisbar.W arten Sie’s ab,sagte ich großspurig.Ich hatte die G artentürnoch nichterreicht,entfalteten sich schon w iederdie SchleierausTönen,ausdenen undurchhörbare A kkorde ragten. Ich hätte doch noch fragen m üssen,ob ihrM ann inzw ischen zugelassen habe,daß sie ihn besuche.W arsie beiihm ? W as w urde geredet? H aterüberhauptgeredetm itihr? W ahrscheinlich nicht,sonsthätte m irderK H K davon berichtet.D ie Frau ließ so w enig m itsich reden w ie ihrM ann. A ufihrem Flügellagen die dreiRinge,die sie zum Spielen nichtan den H änden brauchen konnte.Sie hatte sich stim m ungslosgegeben.Sie w ollte m itm irnichtszu tun haben.Sie versprach sich von m irnichts. D ie zw eiSätze überdas A libi.Ihrkam es aufetw as anderes an als aufdas,w as sie da sagte.Es klang,alsinteressiere sie,w aserm itteltw erden konnte,überhauptnicht.D aß er'snichtgetan hatte,w ußte sie besserals ich.Sie w ollte nurw issen,w o erin dieserN achtgew esen w ar.U nd w ußte es doch.W ahrscheinlich.A berw ollte es sicherw issen. A m besten w äre es,sich RH H als Tätervorzustellen.D erhaßte Ehrl-K önig,w ie H ansLach den nie hassen konnte.H ansLach w arbeleidigt,erzürnt,enttäuscht.RH H w arum sein Leben gebrachtw orden.W as ergeschrieben hatte,hatte ergeschrieben,aberseine Erfindung EhrlK önig hatte ihn verlassen,hatte sich losgesagt.Erhatte sich in Ehrl-K önig m ehrverw irklichtals in seinem G eschriebenen.Erw ardergew esen,derjede N achtangerufen w orden w ar,ein,zw ei Stunden lang.N ichtvergessen:RH H hatte gesagt,daß Ehrl-K önig w ährend dieser N achtgespräche ununterbrochen gegessen habe.U nd er,RH H ,hatte nie gefragt,w asder im m erzu kaue und knabbere.Erhabe esim m erbeleidigend gefunden,daß seine Figur,w enn er sie anhöre und m itdem N ächstnotw endigen versehe,in einem fortfressen m üsse. W ie hatte BerntStreiffgesagt:A lsA utorliestm an einen V errissdoppeltso langsam w ie ein Lob. Zu H ause schlug ich sofortH ansLachsD er W unsch,Verbrecher zu sein auf.Ich erw artete von diesem Buch andauernd die endgültige A uskunft.U m die Schuld oderdie U nschuld eines Schriftstellerszu bew eisen,brauchtm an doch keine Indizien,die Büchergenügen. 80
W eiler sich nichttraut,etwas von sich zu erzählen,erzählter es so,als handle es sich um einen Bekannten.D ann wird der scharfverurteilt.Zynisch,debilu.s.w.D ann weiß er,was er zu erwarten gehabthätte,wenn er gestanden hätte,daß es sich um ihn selber handle.O der istdas eine Routine-Reaktion:M an freutsich,verurteilen zu können,und kann das natürlich leichter, wenn der,um den es sich handelt,nichtda ist?
D erletzte Satz m achte w iederalles zunichte.D ann aber:
Er kann nichtso käm pfen wie sein G egner,weiler gegen das G ute käm pft.Erm uß seinen Kam pf im G eheim en führen;er darfnur Schläge anbringen,wenn es niem and sieht.Für ihn gibtes keinen Sieg.D as G ute und die G uten sind unbesiegbar.Nach jedem Krieg hatsich bis jetzt herausgestellt,daß das G ute gesiegthat.G ibtes etwas U nm enschlicheres als G erechtigkeit? Etwas G em eineres als das G ute G ewissen?
D as w aren die Stellen,die Julia Pelz fürH ans Lach einnehm en.
M ein G ottund dein G ottkennen einander nicht.
V on G ottzu sprechen,isteine A rt,von sich zu sprechen.FürJulia Pelz istM oraldeshalb ein anderes W ortfürLüge.Sie tendiertantiuniversalistisch.Eine Frau,eine Ichkraft,grellste Selbständigkeit,schneidendste U nabhängigkeit.Ich spürte,daß sie m ich m ehrbeschäftigte,als ich w ollte. Ich m ußte HansLach herausholen ausseinem Schock.D erK H K nenntdasSchock.Je m ehrich von H ansLach las,desto deutlicherw urde m irdasM otiv fürsein V erhalten.Erschäm tsich dafür,so behandeltw orden zu sein.Erschäm tsich absolut.Jeder,derm itihm spricht,w illm it ihm überdassprechen,dessen ersich schäm t.U nd am w enigsten isterdiesen Zudringlichkeiten in Stadelheim draußen ausgesetzt.H ierin derStadtm üßte erandauernd reden,Fragen beantw orten von M enschen,die glauben,ein Rechtzu haben,ihm Fragen zu stellen.D a draußen kann erjede A ntw ortverw eigern.Ehrl-K önig,die M acht.Er,die K reatur,die m an treten kann, bis sie sich selbernichtm ehrkennen w ill.Erw illsich selbernichtm ehrkennen.V orLeuten. W ahrscheinlich istersich so deutlich w ie noch nie,so nah w ie noch nie.A berdas darfervor Zeugen nichtzugeben.Erdarfden,derda vorgeführtw urde vorein paarM illionen Zuschauern, nichtkennen,nichtverteidigen,nichterklären.Erdarfsich nichtm itdem identifizieren.U nd 81
nichtstun odersagen,w asihn m itdem Zugrundegerichteten identifizierbarm acht.W enn er zugibt,daß erderist,derda vorgeführtw urde,hatjederund jede die M acht,w eiterzum achen in diesem Text.A uch die,die ihm helfen,heraushelfen w ollen,m üssen dazu ja von dem sprechen, derervorZeugen nichtm ehrsein w ill.N ichtm ehrsein kann.Sobald erw eg ist,fort,heraus aus jederErreichbarkeit,stirbtdie M achtausübung ausM angelan O bjekt.D asistseine Chance.Sich zu im m erdeutlichererU nerreichbarkeitentw ickeln.BiszurÜ berhauptnichtm ehrerreichbarkeit. So dachte ich.U nd w asdann in Stadelheim und sonstw o geschah,gab m irrecht. Eine Figur,deren Tod m an fürvollkom m en gerechtfertigthält,dasw äre Realism us.RH H hat gesagt,Ehrl-K önig habe den Redakteuren desDAS-M agazins verboten,eine nichts als zustim m ende K ritik überden W unsch,Verbrecher zu sein zu drucken.U nd er,RH H ,seivon Ehrl-K önig beauftragtw orden,dasüberallherum zuerzählen.U nd dasso lange,bisH ansLach es erfahre.N atürlich w isse jeder,daß auch ein Ehrl-K önig so etw as nichtverbieten kann.A berer konnte dafürsorgen,daß die positive K ritik nichtgedrucktw urde.U nd diesesD afürsorgen w ollte erdann verbreitetw issen als:Erhatverboten.D ie Chorknaben des Feuilletons w ürden sich dann schütteln vorLachen.Ihnen kann doch niem and etw asverbieten.Ihnen hatauch niem and etw as verboten.Sie haben lediglich,nach einigen D iskussionen,sich füreine andere, negativere K ritik des W unsch-Buchsentschieden.A berim gesellschaftlichen Raum kursierte, von RH H lanciert,die G eschichte alsA nekdote derM achtausübung.D asheißtnur:Ehrl-K önig hatim m ergehandelt,w ie erim m ergesprochen hat.Superlativisch.Erw aroffenbardarauf angew iesen,sich in jedem A ugenblick überm äßig zu erleben.Eine Frau lerntm an kennen, betrunken und im Bett.Solche Sätze sagte ersozusagen ununterbrochen,und im m erw urden sie gehörtund verbreitet.U nd w enn nicht,halfRH H nach. Im W unsch-Buch steht:W em begegnen,so bloß.Verschwinden.Zw eiJahre,bevordie Bloßstellung vollkom m en w urde. Verschwinden,dasw arH ansLachsChance.Erbenutzte den Tod Ehrl-Königs,um zu verschw inden.H interdieserTat,die ernichtgetan hatte.D essen w arich jetztsichererals je zuvor. Ich hätte m ich noch einm alin Stadelheim angem eldet,w enn ich ihm eine A rtzu verschw inden hätte anbieten können,die den V erschw undenheitsgrad,den erselbererreichthatte,überbieten könnte.O hne Julia Pelz nichtzu m achen. Sie m ußte H ansLach dazu bringen,dasA libi,daserhaben m ußte,preiszugeben.D ann w arer frei.D ann m ußte sie ihm ein V erschw inden erm öglichen,gegen dasStadelheim Stachusw ar. M irgefieles,daß ich glaubte,ohne Julia Pelz nichtm ehrw eiterzukom m en.Ich sehnte m ich nach dem Sonnen-G lantz-Zim m er,nach derTapete derH irsche m itzu großen G ew eihen,nach 82
den Blum en,die sich füreinm alig halten,nach den singenden Schm etterlingen,vordenen die V ögelverstum m en.U nd ihren siebenzackigen Stern im M editationskreisw ollte ich w ieder sehen.U nd die überirdischen PorzellanpuppenfingerderFrau Pelz-Pilgrim ,w ie sie an der siebten,dergoldenen Zacke dieses Sterns spielen.Im m erw ie gerade vom Pferd gesprungen, hatte derProfessorgesagt,derzw eifellos auch verliebtw arin Julia Pelz.W erdenn nicht? Ihren Spottblick läßtsie im m ervon ihren Lippen biszurParodie verstärken,dasheißt,dasG anze ist nichtm ehrernstgem eintund istdoch m ehralsbloß dasG eständnisdereigenen Ü bertreibung. Esheißtim m erauch:Ich nehm e m ich zw ar,w ie Sie sehen,nichtdurchausernst,aberIhnen m öchte ich dasnichtgeraten haben. Ich riefan.D ie Sekretärin,die ich kennengelernthatte:Frau Pelz-Pilgrim istverreist.W enn ich ihretw as zu sagen habe,bitte,das w erde schon heute abend bestellt.Ja,sagte ich,ich w ürde gern sprechen,m itihr.Ü berden Fall,bitte.D as w erde ausgerichtet.N och am selben A bend riefsie an.Sie ist– und dassagtsie nurm ir,dasm uß w irklich G eheim nisbleiben –,sie istauf Fuerteventura.Sie hatda ein H aus,esheißtCasa delD estierro.Sie istdiesm alhergeflogen,um die Syrgenstein zu kriegen.Istihrnichtgelungen. U nd w as w olle ich ihrsagen? Ich skizzierte,daß ich in H ansLachsV erhalten nichtsalsein Bedürfnisnach N ichtm ehrdazugehörenm üsssen sehe.U nd daß Frau Pelz-Pilgrim ihm ein V erschw inden erm öglichen könnte,dasihn aus derStadelheim erBredouille erlöse. Sie sagte,die einzige Erlösung w äre dasG eständnis.D ann gehörternichtm ehrdazu.D ann läßt sie ihn herausholen ausallem und verschw inden biszu Erlösung.Ü berm orgen fliege sie zurück ins glücklicherw eise unselige M ünchen. Ü berallw im m eltesvon Besiegten.G eh ausdem H aus,du begegnestBesiegten.D u m ußt andauernd w egschauen von Besiegten.W eitund breitkeine Julia Pelz.Julia Pelz,dersiegende Spott,die trium phierende Ironie,die reine U nbesiegbarkeit.Esm üßte einen zu Frau Lach hinziehen.A berw enn du an Julia Pelz denkst,m öchtestdu Frau Lach nichtm ehrstreicheln. H ans Lach gehörteinem anderen V olk an als seine Frau.W ie beiStreiffs.D ie Frau besiegt,der M ann gezeichnet,aberüberhauptnichtbesiegt.V on jetztan w erde ich M enschen,die ich kennenlerne,zuersteinm aleinteilen in Besiegte und U nbesiegte.U nd w ozu gehörte ich? D a m an sich genauerkenntalsden RestderW elt,istdiese sim ple Einteilung aufeinen selbstnicht anw endbar.A berich konnte jetztdenken,an w en ich w ollte,jederreihte sich sofortein bei besiegtoderunbesiegt.Ehrl-K önig hätte sich sogareingereihtin eine dritte K ategorie: unbesiegbar.D adurch,daß einerum gebrachtw ird,isterim Sinn m einerEinteilung noch nicht besiegt.H ans Lach,kam m irvor,w arnoch nichtbesiegt,w araberbesiegbar.V ielleichtw arerin 83
derletzten SPRECH STU ND E besiegtw orden.Besiegt,dasheißt:davon erholstdu dich nicht m ehr.D eshalb schäm te ersich.D erBesiegte schäm tsich.Erw eiß,daß erseine N iederlage sich selberzuzuschreiben hat.Erkann protestieren,argum entieren – esnütztnichts.Besiegtzu sein, dasistein Zustand,dervon keinem A rgum entberührtodergem ildertw erden kann.D aserlebte ich an H ansLach.D u kannstandere beschuldigen,aberdu w eißt:du allein bistdie U rsache deinerN iederlage.Siehe doch D eutschland.A bgesehen davon,daß es eben überhauptkeine Rolle spielt,w arum du besiegtbist.D as interessiertaußerdirniem anden.BerntStreiffs Tiraden. BerntStreiffistderBesiegte schlechthin.U nd w ie sich H ansLach aufderParty benom m en hat, w eistdaraufhin,daß erjetztbesiegtist.U nd deshalb schäm tersich.Julia Pelz hätte H ansLach gerne geschützt.W eilihrdasnichtgelungen ist,istsie jetztm itihm verbunden.Innig verbunden sogar.A m Telephon hatsie angedeutet,daß sie,w enn sie im glücklicherw eise unseligen M ünchen gelandetsein w ird,sofortnach Stadelheim fahre,um H ansLach endlich überdas aufzuklären,w asm itihm geschehe.D aß sie m ich nichtgefragthat,ob ich m itkom m en w olle,hat m ich gekränkt.A ndererseitsw aresgutso.Ich m ußte in einerunstörbaren Beziehung zu Seuse bleiben.Zum Beispielm ußte ich am Tag derRückkehrm itderunbesiegbaren Julia nach W ürzburg,m ußte zu einerTagung,die derK lett-V erlag veranstaltete zurK lärung von Sprachproblem en.D orthatte ich einen V ortrag zu halten,den ich,je nach Tagungsthem a,unter w echselnden Titeln hielt.FürW ürzburg hatte ich form uliert:Von der Sprache lernen. A nstandshalberschrieb ich,um dem jew eiligen Titeldeutlich zu entsprechen,jedesM alnoch etw as dazu.So auch fürW ürzburg.M ein Sprachvortrag w uchs also jedesm al,w enn ich ihn hielt, erm ußte ja nichtnurdem jew eiligen Tagungsthem a,sondern auch m irentsprechen.D asdurfte ich nichtso genau nehm en,w ie ich eigentlich w ollte,w eilich dann jedesm alhätte ganz neu anfangen m üssen.W asein paarW ochen altw ar,stim m te nichtm ehrüberein m itm ir.U nd etw as vorlesen,das nichtm iteinem übereinstim m t,tutin derSeele w eh.A bereben dafürw ird m an ja bezahlt.Ich begriff,daß H ansLach sich schäm te.Schw ereristnichts,alszuzugeben,daß m an sich schäm t.
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II.GESTÄNDNIS
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D aß m an von derSprache Ichsagen lernen könne,hatte ich gesagt,am zw eiten Tag hätte ich zugehört,aberschon beim Frühstück im Rebstock lasich:H ansLach hatgestanden.A lsich im Zug saß,m erkte ich,daß ich m ein H onorarnichtm ehrhatte.N irgendsm ehr.A lles durchgestöbert,durchgeblättert,egalw ie dasaufM itreisende w irkt.A lso m ußte ich dasK uvert m itden Scheinen im Zim m erliegengelassen haben.A berich konnte m ich genau daran erinnern, daß ich dasZim m er,bevorich esverließ,m itgeschärftem Routineblick noch einm alabgetastet hatte,nirgends w aretw as liegen geblieben.M irw arbew ußtgew esen,daß ich in Eile w ar,ich erinnerte m ich an A m sterdam ,den A usw eisan derRezeption vergessen,also,bitte,konzentrier dich.N ichts vergessen,also ab.U nd jetztw ardas H onorarw eg.D as w arschlim m erals der A usw eis.O h H ansLach.Ich m ußte anrufen.Ich präparierte den Satz,m itdem ich vorsichtig zum A usdruck bringen w ollte,daß m irdasK uvertm itdem H onorar...nein,ein K uvertfehle, darin zw eiG eldscheine.D ie Sum m e w ürde ich nichtsagen.Zw eiScheine,das w arklargenug. Ich riefan,w urde sofortm itderH ausdam e verbunden,mußte überhauptnichtssagen,m ein A nrufw urde erw artet,dasZim m erm ädchen,sie nannte einen asiatischen N am en,hatim Papierkorb ein K uvertgefunden,D A S K uvert.Ich dankte sehr,sagte,dasseiechtRebstock und bat,einhundertfürdie Finderin abzuziehen.D erschöne Tag,den sie m irnoch w ünschte,m ußte nichtnoch schönerw erden.D erZug blieb nirgendsauffreiem Feld stehen.Ich w äre m ir,w enn ich diesesG eld eingebüßthätte,besiegtvorgekom m en.Ich hätte nichtgleich nach H aar hinausfahren können,um HansLach zu besuchen.A berbevorich hinausfuhr,m ußte ich schon noch Julia Pelz anrufen.D ie trium phierte.D asG eständnis.Endlich!A berw arum dann H aar? D astatsie ab alseinen A nfallvon Schw äche.D asgehtvorbei.Erm uß lernen,seine Tatzu ertragen.D aß erda zuersteinm alzusam m enbreche,verstehtm an doch.Ich sagte ihr,daß ich H ansLach besuchen w olle.Ich sagte nicht,daß ich trotz G eständnisnoch von seinerU nschuld überzeugtsei.Sie w ollte auch garnichtw issen,w ie es m irzum ute w ar,sie sprühte,sie sprach, sie w arjetztdie A nw ältin,die O beranw ältin,jetztkom m e es daraufan,daß das G eständnis w irke.D asdürfe nichtin irgendw elchen A m tslabyrinthen verpuffen.Eine Figur,deren Tod vollkom m en gerechtfertigterscheint,das w äre Realism us.D as istRealism us.D urch H ansLach kom m terjetztzurSprache.Ehrl-K önig w ird so genau vorgestellt,daß sein Tod keine Sensation m ehrist.A berdazu gehörteben auch die Figur,deren Tatvollkom m en verständlich w ird.D er G lücklichste und derU nglücklichste,eine K onstellation,die trotz des Superlativs alltäglich ist.
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Lach und Ehrl-K önig überall.Es m uß,w enn das zurSprache gebrachtist,in ein allgem eines Erstaunen ausbrechen:W arum w ird so selten jem and um gebracht? Ich sagte,daß ich ihrberichten w erde,falls m irin H aarBerichtensw ertes begegne. Sie sagte,sie seizw eim aldie W oche in H aar.Beiihm .D r.Sw oboda,derbehandelnde Psychiater,habe sie in sein K onzeptintegriert.U nd ich ihn in m eins,sagte sie und lachte ihr quecksilbrigesLachen.U nd nannte m irdie A dresse:Ringstraße 21,genanntdie Burg. Schnellnoch eine Stelle ausdem W unsch-Buch,sagte sie.D iese Stelle habe sie bisherim m er übersehen.D ie zeige aber,w asfüreinen W eg H ansLach habe zurücklegen m üssen.U nd las:
In der Ecke.W ozu einer im Stande ist,wenn er so weitist.Leider erschrickter noch,wenn er m erkt,wie wenig das G ute über ihn noch verm ag.G utsein m uß m an sich leisten können.Er wird beim W unsch,böse zu sein,bleiben.Aber unterlassen wird er.W as er unterlassen kann,wird er unterlassen.Vor allem ,wenn er glaubt,durch U nterlassen jem andem schaden zu können.D iese Befriedigung.Er m uß sich spüren.Im Schadenkönnen spürter sich.Stellter sich vor.
U nd schw ieg.U nd ich schw ieg auch,obw ohlich nichtsicherw ar,daß w irüberdasselbe schw iegen. D ann sie:O b ich es schon w isse,Ludw ig Pilgrim aufderIntensiv-Station.D iagnose ungew iß. D ann,ausgroßerEntfernung,ein w irklich em pfundenesD erarm e Ludw ig. U nd auch noch zu K H K W edekind.Ich hatte nichtgew agt,Julia Pelz zu sagen,daß ich sie lieber in derElstervilla in ihrem Sonnen-G lantz-Zim m erbesuchen w ürde,alsihrnuram Telephon zuzuhören.D en K H K konnte ich fragen,ob ich kom m en könne.Erfreue sich.K lang glaubhaft. Sein Büro in derBayerstraße isterschütternd nüchtern.Jedesm alw enn ich da eintrat,dachte ich M ordkom m issariat,ein pathetischesA m t,aberein Büro,kein bißchen stim m ungsdeutlicherals dasm einesSteuerberatersin derK lenzestraße.A llerdings,w ie m an ein M ordkom m issariatszim m erm öblieren und tapezieren sollte,w ußte ich nicht.A berich m ußte dann droben doch w iederso herum schauen,daß es dem K H K auffiel.W as w ollen Sie,sagte er, dassind ein paarin einem G eschäftsgebäude angem ietete Stockw erke.U nd die Polizeiunten nur aufdem K lingelbrett,sagte ich,so banalw ie m öglich. Sie fangen an zu begreifen,sagte erund zündete die nächste Zigarette an. Ich hoffe,sagte ich,Sie rauchen,w enn Sie m itm irreden,nurhalb soviel,w ie w enn Sie verhören. K H K W edekind trium phierte nicht.D aß ein Täterseine Tat,zu dererdoch fähig w ar, nachträglich nichtm ehrerträgt,istihm nichtsN eues.D aß die G ew öhnung an das,w asm an doch 87
hattun können,einem so schw erfalle,seibeieinerPersönlichkeitw ie H ansLach nicht verw underlich.Er,W edekind,hätte es zw arvorgezogen,H ansLach in allerRuhe zurückzuführen zum A ugenblick derTat,in G esprächen,die V erhöre zu nennen ersich w eigere. A berjetztisteseben so gelaufen.D ie Psychiaterin H aarw erden w issen,m itw em sie’szu tun haben.Ein K ollege vom K om m issariathabe gespöttelt:D erw illdoch bloß den U nzurechungsfähigkeitsparagraphen.Er,W edekind,habe daskeine Sekunde lang gedacht.D ann griffernoch zu einem Buch,esw arD er W unsch,Verbrecher zu sein.D iese Stelle habe ererst jetztrichtig entdeckt.Und las vor:
Aber wenn m an sich aus einer unerträglichen Lage aufirgendeine unvorstellbare Artgewaltsam befreite,dann hinge m an dann genau so unerträglich an der Angeldieser Tat.
D ann w ollte erm ich auch noch trösten.D ie U nschuld einesM enschen bew eisen zu w ollen,und das untergarallen U m ständen,seischon an sich etw as G utes.Seine,des K rim inaltechnikers, A ufgabe seija auch nichtso sehrdie Ü berführung einesV erdächtigen,sondern die H inführung eines Täters zu seinerTat.Er,derK rim inaltechniker,m üsse den Täterm itseinerTatvertraut m achen,sie ihm annehm barm achen,um ihn dann sam tseinerTatw iederaufzunehm en in die m enschliche G esellschaft.D asallesseiihm beiund m itH ansLach nichtgelungen, beziehungsw eise die ungew öhnliche PersönlichkeitLach habe ihn,den K rim inaltechniker,nicht gebraucht.A llerdings,dasG eständnisw arnurm öglich aufdem U m w eg übereine Psychose.D ie hätte erH ans Lach gerne erspart.Erw erde jetztnoch lange darübernachdenken,w as erhätte andersm achen m üssen,um diesen U m w eg überdie Psychose zu verm eiden.D enn ein schm erzlichererW eg zum G eständnis als übereine Psychose seikaum vorstellbar.Erbeneide die K ollegen von derH aarerPsychiatrie nichtum die A ufgabe,diesen G eständigen jetzt sozusagen zurZurechnungsfähigkeitzurückzubringen.ZurV erhandlungsfähigkeit.Zur Schuldfähigkeit.Er,W edekind,w erde von D r.Sw oboda m itG esprächsprotokollen aufdem laufenden gehalten.O h,dabeifälltihm dasTonband ein.Fasthätte ervergessen,m irdas vorzuspielen.Eine Studentin habe esgebrachtnach langerG ew issenserforschung,eine V erehrerin von H ans Lach,sie schreibteine D oktorarbeitüberIdentitätbeiH ans Lach.D as Tonband m ußte kopiertw erden,w eilsie das O riginalnichtdalassen w ollte.Sie seiim m ernoch Verehrerin.H ören Sie.D ann H ans Lachs Stim m e.Erbellte m ehrals ersprach.Erw ar betrunken.D asklang nach K neipe.N achts.Rundum G equatsche und stam pfende M usik. D ahinein die erschöpfte,brüchige,bellende Stim m e H ans Lachs:
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Ich w erde alles tun,w as ich tun kann.Ich w erde m ich w ehren.Schluß m itdem Rachegeplapper. W enn jetztnichtspassiert,haltich m ich nichtm ehraus.A lso,Freunde,leihtm irein M esser.Ja, ich habe nichtm alein M esser. A berich brauch eins.Los,Bernt,herm itdem M esser.Lichtaus, M esserraus,dreiM ann zum Blutrühren.W askann m an m itunseigentlich nichtm achen? W ir san doch die echten W im m erl,M ensch.A berich nicht. D ann versackte die Stim m e vollends. N a ja,sagte ich,derA lkohol. M om ent,sagte derK H K ,dasgehtnoch w eiter. U nd schon w arBerntStreiffshelle,hohe,fastm ädchenhafte Stim m e da.A uch eroffenbar schw erbetrunken,noch betrunkeneralsH ansLach:Seitdem Chaplindiktatorhatdoch keiner m ehrso vorlaufenderK am era rum gerudertund rum gebrüllt. Eine unbekannte Stim m e:Jetztreicht’sdann. W iederH ansLach:M an m üßte m itden K am eraleuten reden,daß die ihm einm alm itdem Zoom aufsM undw erk fahren,daß endlich m aldasw eiße Zeug,dasihm in den M undw inkeln bleibt, groß herauskäm e,dervertrocknete Schaum ... Scheißschaum ,gellte BerntStreiff,das istsein Ejakulat.D erejakuliertdoch durch die G oschen, w enn ersich im D ienstderdoitschen Literatüraufgeilt.D erLippengorilla,derelendige. U nd H ansLachsStim m e:Tu’sin den Sam isdat. Ich geh’jetzt,sagte die unbekannte Stim m e. Ende derA ufnahm e.M ein G ott,sagte ich.Ja,sagte derK H K ,dasm öchte m an,w enn m an den und jenen in derZeitung sieht,dem und jenem nichtzutrauen.A lkohol,sagte ich.A berich kam m ir,als ich das sagte,verlogen vor.A berich w ollte nichtm iteinem K rim inalhauptkom m issar A bgründe inspizieren.M achen Sie sich aufetw as gefaßt,sagte er,in H aar. Eine Psychose könne einen M enschen ganz schön zurichten.U nd die forensische Psychiatrie w ohntnichtin sanften Sanatorien.Sagte erund schüttelte m irdie H and,als kondoliere erm ir. Ich kom m e zu jederV erabredung zu früh,w eilich esnichtertrage,zu spätzu kom m en.In H aar also,w eiles kaltw ar,noch in die Bahnhofw irtschaft.N ichts als schm utzig.Scheiben,durch die m an schon lange nichtm ehrhinaussieht.Eine Luft,die m an nichtatm en m öchte.M usikboxlärm . Ein einzigerG ast.U nd deram Spielautom aten.Fixiertaufeinen w andernden Lichtpunkt.D ie Bedienung bew egtsich w ie in einem A lptraum .W enn sie dann tatsächlich voreinem steht, schafftm an esgerade noch,aufzuspringen,hinauszurennen,bevorsie fragen kann,w asm an w olle. Esw arein langerM arsch von derH auptpforte biszu N um m er21,diesem ins W aldw iesengelände gebauten FlugzeugträgerausBeton.Betonw ände,m indestenssechsM eter 89
hoch,oben draufnoch Stacheldrahtspiralen.D as heißtalso die Burg.Eine Türohne jede A ufschrift.A berein H inw eis,dereinen leiten kann.M an läutet,zw eiM eternach derTürsteht m an voreinem G ebäude,w iedereine Tür,elektronische Schleuse,alles abgeben,bis aufdas Taschentuch und zw eiZigaretten.Im Sprechraum zirka zehn Plexiglassprechstellen,m an spricht in ein Sieb,schautam Sieb vorbeiden da drinnen an,hinterdem sitztein Pfleger.D erda drinnen w arH ansLach.M iteinerH andbew egung stellte erden,derhinterihm saß vor:Pflegereins, genanntdie N aturkatastrophe.Ich roch seinen verrauchten A tem durch dasSieb.Bevorw ir sprechen konnten,em pfing derPflegereine N achricht,stand auf,sagte etw aszu H ansLach,der sagte:O h.Bis gleich.A uch zu m irkam einerim w eißen M antel,stellte sich vor:D r.Sw oboda. U nd nahm m ich m it.Erhabe m irnureinm alzeigen w ollen,w ie derN orm alverkehrm itdenen ablaufe,die den Paragraphen 63 schon hätten oderdraufund dran seien,ihn zu bekom m en. M einen Frageblick beantw ortend:G em eingefährlich.A lsich sagte,w ie m irdiese Betonfestung vorkom m e,sagte er:D ie M auern um diesesH ausgefallen keinem von uns.Ersage im m er:D iese M auern hatdie Presse gebaut.W enn einerabgehauen ist,ging’s los:G eistesgestörterK rim ineller entflohen!D asseien im m erLeute gew esen,m itdenen erjede N achtdurch jeden W ald gegangen w äre.Jetztentfliehtkeinerm ehr.Jetztstehe in derZeitung,dasseieine alle m enschliche Em pfindung vernichtende M auer.Erhabe hierzw eiundsiebzig Patienten,früherhätte m an gesagt,Psychopathen,dürfe m an heute nichtm ehrsagen,G eisteskranke eben,N ervenkranke, Charakterneurotiker.M ehralsfünfbiszehn M inuten pro Patientschaffe ernicht.D er G esetzgeberhabe da w iedereinm alG esetze geschaffen,abernichtdafürgesorgt,daß m an die G esetze praktisch um setzen könne ... D a w aren w irin seinem A rbeitszim m erangekom m en.H ansLach seieiner,derheroben bleiben dürfe.D ie anderen arbeiteten tagsüberunten,im K eller.Steckkontakte zusam m ensetzen.D ie m eisten ziehen dasvor,m an istdoch in G esellschaft. In seinem Zim m ergibteszw eiSessel,ein Sofa,ein Tischchen und in deranderen Ecke seinen Schreibtisch.Zuerstm uß m an die großen,eigentlich schon riesigen grellfarbigen Bilder anschauen,die die W ände bedeckten,den Raum beherrschten,K inderbilder,so vergrößert,daß die Zw ei-bisD reijährigen alle fastin N aturgröße von den W änden lachten und w inkten. V ielleichtsind es zw eim alZw illinge.A ufeinem Bild haben die K indergoldene Flügelaufdem Rücken und posieren so,daß m an sieht,sie sollten die kleinen Engelam unteren Rand der Raffael-M adonna darstellen.H errD r.Sw oboda ließ m ich schauen,lachte dann und sagte,ein bißchen G lückskulisse könne beiden Therapiesitzungen nichtschaden.U nd die K inderseiner Schw esterseien doch w irklich G lückskinder.Ich nickte heftig.Erhörte fastjäh aufzu lachen.Er hatauffallend große,andauernd die Lippen zurücklassende Zähne.D erkönnte einen beißen, 90
dachte ich.W enn erw ollte.A bererw ollte m irH ansLach erklären.H ansLach w ird ein Frustrationskontingentzugem utet.D asm uß eraufsich nehm en.W irm üssen ja auch Sachen m achen,die w irnichtm achen w ollen. D erD oktorhatso kleine H ände,daß ich glaubte,die seien seitseinem elften Lebensjahrnicht m ehrm itgew achsen.D ie N ägelabgekaut.K ein W under,beidiesen Zähnen.Erhateine Sprachschw ierigkeit,die eraberbeherrscht.Therapie! A lso H ansLach,sagte er.V ielleichthatdergestanden,um endlich in Ruhe gelassen zu w erden. A ndererseits diese Stim m en,die ihm sagen,w aserzu tun hat.U nd die A ngst,vergiftetzu w erden.U nd die Fluchttendenz.N och w eigertersich,M edikam ente zu nehm en.Esseiaber m öglich,einen gerichtlichen Beschluß zu erw irken,derdann erlaube,die M edikam ente zw angsw eise zu applizieren.D as natürlich nur,w enn bew eisbarist,daß erdurch M edikam entenverw eigerung hinausschieben w ill,fürverhandlungsfähig erklärtzu w erden.Er habe sich m iteinem zw anzig Jahre Jüngeren m ehralsangefreundet.M aniheißtder.V ersuchte V ergew altigung m itK örperverletzung.Seitzw eiJahren hier.Inzw ischen aufStufe sieben angelangt.Beiachtkann erentlassen w erden.W enn w irihm bescheinigen,daß von ihm nichts m ehrzu befürchten ist,kom m teszu keinerV erhandlung.Lach hältM anifüreinen D ichter, redetnurnoch vom großen D ichterM ani.Erw ill,w enn erje w iederschreibt,ein Buch über M anischreiben.M aniselberhatnoch nichts geschrieben,das heißt,erhat,sagter,tausend G edichte geschrieben,aberdie habe er,w eilsie,w ie ersagt,sauschlechtgew esen seien, verbrannt.Erstaunlich seidiese Beziehung,w eilH ans Lach sich selbereigentlich vergesse, M anis w egen.Er,D r.Sw oboda,seinichtberechtigt,m irdie K ranken-und D eliktgeschichte diesesM anim itzuteilen.V on K H K W edekind w isse er,daß H ansLach in derEttstraße und in Stadelheim sich ebenso vehem entaufeinen M ithäftling gestürzthabe,um dem beizubringen, w ie m an V erhöre scheitern lassen könne.D ieses verzehrende Interesse fürandere.D ann die W eigerung,sich nachtsauszuziehen und sich insBettzu legen,in diesem Bettbekom m e erkeine Luft,also schläfter,seiterhierist,aufdem Boden.D ie W eigerung,irgend etw as aus unserer K üche zu essen.W enn Frau Pelz-Pilgrim ihn nichtm itN ahrung versorgen w ürde,m üßten w ir ihm die Zw angsernährung antun.V on dem von Frau Pelz-Pilgrim gestellten und im m erneu gefüllten Lederrucksäckchen trenntersich keine Sekunde,auch nicht,w enn erzurToilette geht. U nd dann die H ilferufe.Tag und N achttelephonierterin derW eltherum nach anderen Ä rzten, besseren Behandlungen,kurzum ,die Psychose blühtund blühtund klingtnichtab.Erleidetund w eigertsich,sich helfen zu lassen. D ann w urde H ansLach von dem zw erghaftkleinen,aberbärenstark w irkenden Pfleger hereingebracht.D r.Sw oboda setzte sich an seinen Schreibtisch,H ans Lach hob beide H ände, 91
ließ die eine H and die andere fassen,das hieß:Begrüßung ohne Berührung.Schlim m sah eraus. U nrasiert.D aspaßte nichtzu ihm .D asw uchtig ausschw ingende K inn,die m ächtige M undpartie, die dasG esichtbeherrschende N ase,allesStarke und auch Schöne w ardurch den rötlichen Stoppelbartverdorben.U nd die A ugen,die andauernd grim assierenden Liderund Brauen.H och in die Stirn gezerrte Brauen.D erim m erhalboffene M und zuckte,w ie esum die A ugen herum zuckte.D ie H ände fuhren auseinander.Beide Zeigefingerstachen nach oben.D erK opfdrehte sich.D ie ganze G estik konnte nurheißen:Jetzthören Sie doch!H ören Sie’s? Erhatte sich seines zierlichen Rucksacks w egen nuraufdas vordere D rittelderSesselsitzfläche gesetzt. Sie hören’salso nicht,sagte er.U nd zu D r.Sw oboda zurück:U nd Sie auch nicht!N ichtsals konsequent,m eine H errn.W enn die Stim m en nurm irhörbarsind,können Sie behaupten,ich bildete m irdie Stim m en ein,seialso w ahnsinnig odersonstw as.So sim pelgehtdas zu hier, lieberM ichel.U nd Sie m achen gleich m itbeidiesem V erstellungstheater.D as istdie w ahre Ironie.G ratuliere!K ennen Sie dasBuch von M .Rufer.Schizophren w erde m an,w enn die anderen einem andersbegegneten,als sie dächten.Insgeheim redetm an übereinen w ie über einen W ahnsinnigen,insG esichthinein tutm an so,alshielte m an einen fürnorm al.D a unsereins beides w ahrnim m t,isteine V erw irrung die Folge,eine nichts verschonende D esorientierung. Ich w ußte überhauptnicht,w ie ich m ich verhalten,w asich sagen sollte.H ansLach sagte dann plötzlich Sätze,die auseinem G espräch zu stam m en schienen,von dem w irnichtsw ußten,an dem eraberin diesem A ugenblick teilnahm .U nd w asim m erersagte,ersagte eszu laut.Erhatte offenbarüberhauptkein G efühlfürdie G röße des Raum s,in dem ersprach.Ersprach nicht,er rief.Erfühlte sich oderunsoffenbarw eitw eg.N ein,H errD r.W eißkopf,sagte er,m orgen noch nicht,aberüberm orgen sicher,w enn ich noch lebe.Es gibtA rschlöcherhier,die w ollen m ich so lange an allem hindern,bisich in ihre Blum entöpfe passe. Jetzterstfielm irauf,w ie braungebrannt,w ie w ohlD r.Sw oboda aussah und w ie elend H ans Lach.Eigentlich sah ergefoltertaus.Plötzlich fing sein beträchtlicherU nterkieferan zu zittern, zu m ahlen,zu beben.U nd gleich w iedervöllig ruhig.D iskynesie,A kinesie,sagte er.V on den N euroleptika,die m irhiereingeflößtw erden w ie H am lets V aterdas G ift,näm lich im Schlaf. Leponex,M ichel,von dem jederw eiß,daß es so ganz nebenbeiParkinson produziert.D r. Sw oboda rief:Eben nicht!Erbringtw iederalles durcheinander.Erkönne schon nichtm ehrdie Zähne putzen,riefH ansLach,ohne daß seine Zunge sich gegen ihn w ende.U nd w enn ernicht noch heute A kineton bekom m e,m üsse ersich um bringen.Serotonin sollich schlucken,riefer, die reine Boutiquenm edizin.D r.Sw oboda riefjetzt:M om ent,H errLach,A kineton istein M ittel 92
gegen N ebenw irkungen beiderEinnahm e von M eresa,H aldolund anderen N euroleptika.Sie w eigern sich,N euroleptika einzunehm en,die Ihnen helfen w ürden,und A kineton ohne vorherige N euroleptikagabe produziertPsychosen. Plötzlich holte H ansLach dann den Rucksack aufseine K nie,kram te,brachte ein w attiertes K uvertheraus,das gab erm ir. D a M ichel,sagte er,falls Sie zurückfinden aufm eine Seite. Ich w ollte etw as sagen,aberdas ließ ernichtzu.D on’ttalk to a tortured,sagte er.Erfliege w eg, sobald seine U nschuld erw iesen sei.D en W iderrufseinesG eständnisseshabe erm iraufBand gesprochen,und einigesm ehr.A m w ichtigsten seiihm derM ani-Text.D en brauche er,sobald er hierrauskom m e.D ann nach Israel,zu D r.W eißkopf,und von dortnach A ustralien,M elbourne. Ich w erde m ich Ihren V orschlägen fügen,sagte D r.Sw oboda,sagen w irzw eiundsiebzig Stunden lang w erde ich jetztm itIhnen um gehen,alsseien Sie m om entan ein kleinesbißchen psychotisch dekom pensiert,m ehrnicht.M alsehen,ob Sie sich dann w ohlerfühlen beiuns. Bravo,D oktor,riefH ansLach und stand auf.Pfiffdurch die Finger,derPflegertrabte herein. Servus,M ichel,jetzthängtalso allesvon Ihnen ab.G eben Sie von den Tonband-A bschriften K opien an Julia Pelz-Pilgrim w eiter.Ludw ig gehtes sehrschlecht. Ich w eiß,sagte ich,um endlich auch etw aszu sagen. A berSie w issen nicht,w arum !ErsterPfleger,w eghören!O dernoch besser,hinaus!Ich pfeif dann. D erPflegerschaute den D oktoran,dernickte.Im nächstn Lew n w er’iPatient,sagte derPfleger und trabte hinaus. H ansLach leise:Ludw ig hateinen N achtpfleger,derschreibt,dreim alabgelehntvom PilgrimV erlag,w egen H orrorund O bszönität.D erflüstertdem Ludw ig insO hr:W enn ich in Ihrem TropfdasRheom acrodex und dasConplam in sechsfach dosiere,verhauchen Sie zurG änze und gleich danach gleich’ich den Tropfw iederaus,H errProfessor. H ansLach schulterte den Rucksack,gab den Fingerpfiff,riefServus,rief:N ichtsm ehrertragen zu können,m uß m an sich leisten können!U nd w ardraußen. In derS-Bahn zählte ich die W örterzusam m en,die ich gesagthatte.Esw aren keine zw anzig. U nd trotzdem hatte D r.Sw oboda unten an derElektronikschleuse zu m irgesagt,m ein Besuch seiim m erw illkom m en,H ans Lach seidurch m ich so gesprächig gew esen,w ie ersonstnie sei. Ich w arH ansLach nichtnahegekom m en.D ie Begrüßung ohne Berührung enthieltschon den ganzen V erlauf. Eigentlich,fand ich nachträglich,sind H ansLachsReaktionen einsehbar.A lsw irm itdem A ufzug,dem inw endig gepolsterten,hinauffuhren,hatte D r.Sw oboda gesagt,H ansLach habe in 93
seinem Zustand keinen freien W illen m ehr,dasrechtfertige es,gegen seinen erklärten W illen zu handeln.Zu seinem Besten natürlich. D erSchleieristsehrdünn,aberunzerreißbar.Ich nahm m irvor,Julia Pelz-Pilgrim alles w ortgenau,tongenau,gestengenau zu erzählen.W enn überhauptetw aszu hoffen w ar,dann durch Julia Pelz-Pilgrim .D iese Frau w arso stark.So schön sie w ar,ihre Stärke w arnoch offenbarerals ihre Schönheit.
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D aspaßte dazu,daß esjetzttaute.In einem bäum ereichen V iertelw ird,w enn eine rasch hergew orfene Schneelastebenso rasch w iederw egtaut,dasTauen zum Schauspiel.Erstrechtin M ünchen,w o dasW egtauen durch jähen Föhnüberfallpassiert.Esplatschtund gluckertund rauschtüberall.D a ich öftergern ein K om ponistw äre,allerdings einerim Jahr1890,träum e ich dann davon,daß ich eine Program m -M usik schreiben w ürde,so w ie Richard Strauss' Alpensinfonie,Titel:A llesfließt.U nd zum Föhnüberfall,derdie Leute ohnehin quirlig m acht und süchtig nach etw as Besonderem ,paßte die Sensation:das G eständnis. Jetztw urde geschrieben,als w äre zu Ehrl-K önigs Tod noch nichts geschrieben w orden:D aß H ansLach gestanden hatte,w urde nichtzu seinen G unsten ausgelegt.Jetztw arm an geradezu gierig aufdie Leiche.Jeden Tag neue BilderderSuchaktionen in und an derThom as-M annA llee.D ie steile Böschung hinab,dasvon hohen Bäum en bestandene U fergelände,dassteile U ferselbst,die Isarw arübervollund reißend.W enn derTäterden Leichnam derIsaranvertraut hatte,m ußte m an hoffen,daß derFluß ihn am garnichtso w eitentfernten W ehranliefern w erde. A berw ederSpuren noch Leichnam .Trotzdem w urde Ehrl-K önig dasThem a w ie noch nie zuvor. Eben durch dasG eständnis. Ende Januarhatten alle den großen,unvergeßlichen,unersetzbaren K ritikerbetrauert,derjetzt vollkom m en ein H eld gew orden w ar,da erdoch höchstw ahrscheinlich erm ordetw orden w ar, w eilerseinen Berufso ernstund unbestechlich und unbeirrbarausgeübthatte w ie noch nie ein K ritikerin derG eschichte derdeutschen Literatur,ja,derW eltliteratur.A lso,A ndré Ehrl-K önig hätte sich zurücklehnen können und sein G esicht,daserhatte,w enn erH uldigungen oder K om plim ente entgegennahm ,hätte sich so selig in die Breite dehnen können w ie noch nie.Er w argefeiertw orden als das absolute,im m erw ährende Edeldenkm alderLiteraturschlechthin. Ein O pfer,w ie eszu H erzen gehendernichtgedachtw erden kann. U nd jetztderTäter.H ansLach.D aß derdasG eständnisinzw ischen schon w iderrufen hatte,hat noch nichtbekanntsein können.V ielleichtw aresauch nurso hingesagtgew esen.W ie das G eständnisvielleichtauch.D r.Sw oboda hatte auf jeden Fallnoch keinen G ebrauch davon gem acht.U nd ich hatte esauch nichtw eitergegeben an den K H K .D a ich nichtan die Schuld glaubte,bew egte m ich die erklärte U nschuld zu nichts. D asThem a w arjetzt,daß H ansLach einen Juden getötethatte.A ndré Ehrl-K önig und Rainer H einerH enkelhatten zw arEhrl-K önigs H erkunftnie als jüdische herausgestellt,aberjetztw urde derjüdische BankierK önig aus N ancy herbeschw oren,und es w urde m ehrals verm utet,daß die 95
inzw ischen m ehrals hundertjährige M utter,die ehem alige Sängerin Claire K oss auch aus einer jüdischen Fam ilie stam m e.In w enigen Tagen w arausV erm utbarem Tatsache gew orden.Rainer H einerH enkel,plötzlich w iederim M ittelpunktdes Interesses,sagte jeden A bend in einer anderen Talkshow ,daß W asserfallein vom M aler-G roßonkelangenom m enerN am e gew esen sei, w eildereben fastnichtsalsW asserfälle gem althatte.D assage abernichtsausüberdie H erkunft Ehrl-K önigs.Er,RainerH einerH enkel,w erde sich allerdings nichtbeteiligen an der H erkunftsdebatte.D ie erinnere ihn peinlich an andere Zeiten.Egal,zurSchm ähung oderzum Preis,erfinde H erkunftsdebatten fiesund obsolet.Trotzdem ging dasw eiter:H ansLach hatte seine Tatin derTatnachtin derPILG RIM -V illa in einem an H itlererinnernden Jargon angekündigt. Ab heute nachtNullU hr wird zurückgeschlagen. D iesen H ansLach-Satz konnte m an jetztjeden Tag überalllesen und abendsausallen K anälen hören. W olfgang Lederw arfsich im DAS-M agazin diesem Spezialschw allentgegen,erklärte scharfund genau,daß esvon nichtsalsA ntisem itism uszeuge,w enn die Erm ordung einesJuden,w enn er denn einergew esen sei,m oralisch schlim m ergeahndetw erde als die Erm ordung eines N ichtjuden.Philosem iten seien eben,w ie bekannt,A ntisem iten,die die Juden liebten.Jetzt m ußten die Feuilletonssich m itLederauseinandersetzen und ihm scharfund genau erklären,daß in D eutschland die Erm ordung einesJuden doch w ohlein Faktum ganz andererA rtseials in jedem anderen Land derW elt. D ann Leder:W enn Ehrl-K önig erm ordetw orden w äre,w eilerJude gew esen sei,hätten die anderen Recht.A beres seija noch nichteinm alsicher,ob Ehrl-K önig Jude gew esen sei.Er, Leder,w isse an Ehrl-König nichtsso sehrzu schätzen w ie dessen Zurückhaltung in der H erkunftsfrage.D aß die Presse daraus im m erw iederTatsachen gem achthabe,seinichtEhrlK önigsSchuld,sondern zeige den G eisteszustand derdeutschen G esinnungspresse. G esinnungspresse w arsofortein W ort,ohne daskeinerm ehrauskam .D aszw eite Leder-W ort fürPresse w arM einungsbörse.D askam nichtin U m lauf.A berm ildern konnten die Feuilletons ihre spezielle Em pörung nicht.W arum hatLederden H itlerton in derD rohung Ab heute Null U hr wird zurückgeschlagen einfach übersehen?!So ging esw eiter.Erstjetzthatten die M edien ihrSaisonthem a gefunden.D a ich nichtim Stande w ar,m irH ansLach alsTätervorzustellen,tat m irdie W uchtdieserV erurteilungseinhelligkeitw eh.D aß erinzw ischen als psychotischer Psychiatriepatientin derforensischen A bteilung in H aaruntergebrachtw ar,w urde nichtso einm ütig kom m entiertw ie seine Tat.Es gab sogarTöne des Bedauerns.D ie Tat,die erals schuldfähiger,zurechnungsfähigerZeitgenosse getan hatte,hielternachhernichtaus.Erbrach 96
zusam m en.D er W unsch,Verbrecher zu sein w urde dasam m eisten zitierte Buch desspäteren W inters.M anche gingen so w eitzu bem erken,daß m an,w enn m an diesesBuch rechtzeitig gelesen hätte,diesen A utornie m ehrhätte m itEhrl-K önig in K ontaktkom m en lassen dürfen. V orw urfan dasH ausPILG RIM .A m w eitesten gingen die,die feststellten,dieses Buch zeige einen so abseitig verirrten und verw irrten A utor,daß derParagraph fürverm inderte Zurechnungsfähigkeitdurchausin Frage komm e. Ich schrieb die TonbänderIbis IV ab.
Tonband I (besprochen von H ansLach ) W ie eng und klein dasLand ist,m erkstdu erst,w enn die Schläge,die m orgensgegen dich geführtw erden,m ittagsschon beidireingetroffen sind.Ein A usw eichen innerhalb desLandes istnichtm öglich.A lso fort.N ach Südspanien.In die äußerste Ecke.D a sich bergen.A m Saum A frikas.Es m uß da eine Stelle geben.A berw ie sie erreichen? 8,1 Prozentm ehrU m satz,0,1 Prozent w enigerPersonal,letzte N achrichtvon Ludw ig Pilgrim .V on LosA ngeleskann ich nichtsberichten.D asnährtdasG efühl,nichtin Frage zu kom m en.U nd konzentriere m ich also aufhierund H aar.Ein Schauspieler,natürlich kein berühm ter,hatm ireinm alnachtsbeim Trinken gesagt:Ein Schauspielerm itA uto istein H euchler.Ich habe nichtgew agtzu fragen,ob ereinshabe.D erK H K hatm irden W eg gew iesen:Je m ehrich von Ihnen w eiß,desto m ehr begreife ich,w arum Sie zum Tätergew orden sind.D aseinzige,w asich nichtbegreife:W arum nichtschon vielfrüher. Bevorich m ich in m irverliere,zu M aniM ani.D erK erlistnoch nichtvierzig odergerade vierzig oderein fünfzigjähriges K ind,unerw achsen bis zum Tod,w ie jedes G enie,w ie jederM ensch, denn jederM ensch istein G enie,außerdenen,die das bestreiten.Entonces,M iguel:M aniM ani nenntersich,nennen ihn alle,so heißter,dasister.U nd hatsich hierm irsofortgenähert. Praktisch aufm ich gestürzt.D r.Sw oboda hatunsprotegiert,ich durfte m ein Tonband m itlaufen lassen.A lsM aniM anim irseine Zuneigung hinrotzte,hatte ich natürlich keinen Recorderdabei. Ich seizw arnichteinesseinerV orbilder,abererhabe sich im m ergefragt,w arum ich eigentlich nichteinesseinerV orbildersei.A lsseine V orbildernennterBerntStreiff(bitte,dasdem m elden,tutihm gut),RolfH ochhuth und Else Lasker-Schüler.W asfüreine M ischung!A ber echtM aniM ani. D aß Frau Ehrl-K önig N ancy heißt,obw ohlsie dortgeboren istund jederglaubt,erm üsse diesen N am en englisch aussprechen,isteine echte Ehrl-K önig-Prozedur.Sie w issen,w erm itN ancy w irklich sprechen w ill,m uß Französisch sprechen.Ein H istorikerhabe ihreinm algesagt,daß 97
jem and gesagthabe,D eutsch seieine Sprache fürPferde.D aß sie ihre schw arzen Zähne nurvon erstklassigen kubanischen Zigarren hat,kann einen m itm anchem versöhnen.Zu m einem A libi kom m e ich später.Zu G unsten von Ehrl-K önig m uß m an sagen:Sein M und w argeschaffen nur fürU rteile,also durfte m an nichtauch noch Begründungen verlangen.M an erlebte ihn andauernd hingerissen von sich selber.Erkonnte garalles,nureins nicht:sich selberschaden. D asm ußte ein anderertun.Ich.A ndererseits:espaßtnichtzu ihm ,um gebrachtw orden zu sein. W enn es doch passiertsein sollte,dann als fürchterlicherZufall.M ich überkom m tnachts m anchm aldasG efühl,erseinichtum gebrachtw orden.A m Tag kann ich diesesG efühlnicht durchsetzen in m ir.Sie glauben an m eine U nschuld.Ich auch.A uch w enn ich esgetan haben sollte,w äre ich unschuldig.Esm uß auch unschuldige M ördergeben.Erhateinm al,alsPilgrim ihm sagte,im H erbstw erde ein Buch von m irerscheinen,ohne auch nureine Sekunde zu zögern, gesagt:Im potenterD reck.Bew undernsw ert,diese Fähigkeit,sofortdaseinzig Richtige und das ganz und garEhrl-K öniggem äße zu sagen,eben das,w asPilgrim dann achtundvierzig Stunden lang in jedem Telephongespräch w iederholen w ird.Jedesm alm itK ichern und Schaudern. W arum verm utetkein M ensch,daß die M adam e ihn um gebrachthat? D ie m uß m ehrgelitten haben unterihm alsjederandere M ensch.Sie hätte unsdasabnehm en können.U nd w enn sie’s unsabgenom m en hat? Stecken Sie dasIhrem Freund,dem K H K m itdem K ollegennam en.Esist m ehralsm oyensde fortune.Ein soupçon de parfum tutjederM ordgeschichte gut.Ilne fautpas conclure m aintenant.Je persiste àpenser,m oi,je ...c’estdrôle,égal.J’aile venten poupe.D as kom m tvon derFrem dsprache.Entre noussoitdit. Silbenfuchs,derim m erin W örtern aufblühende M ensch ausBingen,erzählt:Ehrl-K önig habe berichtet,daß EliasCanettiein V orw ortzu einem eigenen Buch geschrieben,dann Erich Fried gebeten habe,als V erfasserdieses V orw orts zu zeichnen.W as m an nichtalles lernen m üßte.So bin ich in m einem ganzen Leben noch nie beleidigtw orden,hatEhrl-K önig in Stuttgartdem V eranstalterins G esichtgebrüllt,w eilderversäum thatte,Ehrl-K önig m itdem Taxivom H otel abzuholen,so daß Ehrl-K önig selberden Portieram Em pfang bitten m ußte,ein Taxizu bestellen.D a beginntm an zu ahnen,w asdieserM ensch gelitten hatin seinem Leben.A llm ählich begreiftm an,w arum esRainerH einerH enkelso schnellgelang,ihn zu einem solchen N iederm acherund Zerfleischerauszubilden.FürRainerH einerH enkelw ares die Lebensrettung:V orlauterEcholosigkeitam Taubw erden,vorN ichtanerkanntheitsich schon völlig frem d,entdeckterdasinhaltslose G roßtem peram ent,dasaufStichw orte w artet.D ie liefert H enkel.Losgehtdie Schlacht.Tausendm alEntschuldigung.Ich verliere m ich.H abe m ich verloren.Bin abernoch nichtbeiden Spinnen gelandet.H abe allerdingskeinen,derfürm ich tötet.SchrecklichesW ort.SelbstalsM etapher.M ein A libi,lieberM ichel.Ich sollte m ich darum 98
küm m ern.Julia Pelz-Pilgrim ,die ich Julia die G roße nenne,glaubtnicht,daß m iran einem A libi gelegen sein dürfte.Trotzdem :Ihnen fühle ich m ich anvertraut.G ehen Sie zu O lga Redlich, Schlotthauerstraße 16,fragen Sie,ob sie m irdas A libispenden m öchte.W enn sie sagtN ein, bitte,nichtw eiterfragen,ich w illnicht,daß sie w eine.Ich kom m e auch ohne A libidurchs Leben.U nd sei’snurdadurch,daß ich m ireinrede,Ehrl-K önig seinichttot.O derbrauche ich seinen Tod? K önnte ich plötzlich freiund froh schreiben,w enn ernichtm ehrbevorstünde? D am itbin ich praktisch beiM ani,den Sie jetzt,bitte,zurK enntnisnehm en w ollen.D anach dann noch einm alich.Ich kann’s auch gleich sagen:D as istdas M aterial,das m irdazu dienen w ird, M aniM anivorzustellen,die literarische W eltaufm erksam ,vielleichtsogarneugierig zu m achen aufM aniM ani.A rbeitstitel:D raufund dran.M aterialien zu einem D ichterleben.
Tonband II (Besprochen von M aniM ani,einereherdünnen Stim m e,die hastig sprach,Silben verschluckte oderw egnuschelte.Phantasievolle Ergänzung w arandauernd nötig.) D ie Ö sterreichische Fernseh-A nsagerin G eneviève W intersprach es aus:U nserG eheim nis, unsere V ielfältigkeit.D asheißt,ich kom m e in Frage nichtnuralsD ichter,sondern auch als K om ponistund w erde als M alerberühm t.A ls ich H eine las,schoß es m irdurch den K opf:H eine w arein großartigerLyriker.Ich glaube zu w issen,daß ich zw eiundachtzig Jahre altw erde. W ürde ich fünfundachtzig,könnte ich neben H eine bestehen.A berso altw erde ich nicht.A lso kom m e ich gleich nach H eine.Ich w illgarnichtw eltberühm tw erden.V ielleichtistdasein Zeichen dafür,daß ich es doch noch w erde.Ich denke schon seitlangerZeitsehrschlechtvon m ir.Ich w eiß,das gehtvorbei.H auptsache,ich m ache m einen W eg.U nd ich bleibe ein lieber (und hoffentlich auch einfacher)K erl.U nd:Ich küsse gern.V ielleichtbin ich doch erfreulich für die W elt.Ich verm ute,daß ich eben doch w eltberühm tw erde,und dann kann m an sagen:Schaut m al,w as fürein lieberund lustigerK erl.W as w ird m ich erw arten? Ich m eine das nicht dram atisch oderzu ernst,einfach nurso.Beispielsw eise zu nichtsanderem m ehrkom m en als Literaturlesen.Schreiben.A nsonsten:Ich schlucke alles.A ngriffe,Polem iken,K ritiken, Schw einereien.D as m achtm iralles nichts aus.Istja auch alles ...vieles!!– lächerlich.Ich m uß fünfundachtzig w erden.A lso Schluß m itK ettenrauchen.W enn ich fünfundachtzig w erde, schaffe ich esnach W eim ar.Sobald ich aufm einerCouch liege,schießtesm irdurch den K opf: W asw irstdu verm ögen. W ann im m erich aufÄ ußerungen von RainerH einerH enkelstoße,schießtesm irdurch den K opf:RainerH einerH enkellebtim V okativ.O h könnte ich dasdoch auch.Füreinen Erzähler tödlich.Füreinen Republikunterhaltergöttlich. 99
W as fürein G efühlw ird das sein,w enn ich w iederlesen kann? W as w erde ich lesen? W as w erde ich als erstes lesen? Istdoch klar:H ör zu.D en Program m teil.Einesistsicher:N ichtew ig in M ünchen.H auptsache,ich fange an zu schreiben.A ufLesen folgtSchreiben.Logisch. Schulisch.Typisch.U ff.Südbayern,m ein Ideal.N irgendsem pfängtm an m ehrProgram m e alsin Südbayern.V ielleichtlerne ich D ario Fo kennen.A ufdie Frage:Fürw en schreiben Sie? W erde ich w ahrheitsgem äß antw orten:Füralle Bayern-Fans.Ich schreibe so gern w ie LotharM atthäus Fußballspielt.D as Lesen m uß sich einfach einstellen.Ich explodiere vielleicht.V or Begeisterung.Schon vorJahren stellten sich,alsich aufderCouch lag,die V orbilderein.Bernt Streiff,RolfH ochhuth,Else Lasker-Schüler.Roy Black hatA bitur.John Lennon nicht.Ich auch nicht.D r.Sw oboda neulich:Ich w illja nichtbehaupten,daß esnichtsgibt,w asSie zu einem w ertvollen M enschen gem achthätte.M an kann auch ohne A biturein w ertvollerM ensch sein. Ich hätte ihn küssen können.G eorg M eidner,seinerseitsK ünstlerund m ein besterFreund:D u bistW eltm eisterim V erarschen,ich bin nichtlängerbereit,dich in m eine W ohnung zu lassen. K urz darauf,ich lag aufm einerCouch,fielen diese Tonnen aufm ich nieder,die m ich so gutw ie im potent,die m ich zum G reisgem achthaben.D erProfessorin derU ni:M an kann schon in jungen Jahren zum G reisw erden.D ann im Radio,CarlosFuentes:W irin Südam erika haben einen Bruch in unsererEntw icklung.D a schoß esm irdurch den K opf:G enau w ie ich.In der Schule m ußten w irein Stück M ein Kam pflesen.D a schoß esm irdurch den K opf:D erkonnte kein W erk derW eltliteraturin seinem Bücherschrank gehabthaben.Zw eiW ochen späterlasich in den M em oiren einesG enerals,H itlerhabe kein W erk derW eltliteraturin seinerBibliothek gehabt.A ls ich zum ersten M alm itD r.Sandra Rothroz in derM enterschw aige vereinbarte: Einm aldie W oche!sagte sie:W enn Sie m einen,daß das reicht.D erJungschw esterin der K öniglichen in derN ussbaum straße gestand ich,daß ich Schriftstellerw erden w ill,daraufsie: D a m uß m an erstm aleinen W ortschatz sam m eln.D a schoß esm irdurch den K opf:A berw ovon in dieserZeitleben.A ls ich aufm einerCouch lag,schoß es m irdurch den K opf:Es gibtdas D ram a des Jahrhunderts.A bends im Fernsehen,derSportreporter:D as w äre das D ram a des Jahrhundertsgew orden,w enn derseinen Schuh verloren hätte.D erSchnürsenkelw ardem aufgegangen.Ich konstatierte:Ein D ram a desJahrhundertsw eniger.Ich hatte m itdreiD ram en des Jahrhunderts gerechnet.Bleiben also noch zw ei.D ie w erde ich schreiben.M aniM anischoß esm irdurch den K opf,esm achtsich bezahlt.U nd einen Tag später,derSportreporter: G elegentlich m achtes sich bezahlt.A ls ich das endlich D r.Sandra Rothroz berichtethatte,sagte sie:D ie m üssen praktisch Ihre G edanken lesen können.D ann ging ich durch M ünchen w ie durch W atte.Im Schulbushatte jeden M orgen derfette Frank gedröhnt:D erM aniistso doof,daß ...da lachte schon derganze Bus.D em fetten Frank fieljeden Tag etw asN euesein zum doofen M ani 100
M ani.M ich retteten die Skandinavierinnen.D ie blonde A gnetha vorallem .Ü berhauptAbba. A gnetha bew ies als erste,daß ich rettbarbin.U nd rettensw ert.D ie nächste w arG eneviève W inter.A berA gnetha w ardie erste.M y m y,atW aterloo N apoleon did surrendero yeah,and I have m etm y destiny in quite a sim ilarw ay.The history book on the shelfisalw aysrepeating itself.W aterloo – Iw as defeated,you w on the w ar.W aterloo – prom ise to love you foreverm ore W aterloo – couldn’t escape ifIw anted to W aterloo – know ing m y fate isto be w ith you W aterloo – finally facing m y W aterloo.D aszu w issen half.O derauch nicht.M y,m y,Itried to hold you back butyou w ere strongerO h yea,and now itseem sm y only chance isgiving up the fightand how could Ieverrefuse Ifeellike Iw in w hen Iloose.U nd hatm ich zuersthinters G ittergebracht.N eunundsiebzig.O lym piastadion.Abba life.M ein M arktplatz Turin.A n allen V ieren gefesselt,trugen sie m ich w eg.W iedervon vorn.Leben N um m erzw ei.G eneviève W inter,die prächtige,die prachtvolle,prunkvolle G eneviève W inter,die O RF-K önigin,die als einzige dasRettende ausgesprochen hat:D ie V ielseitigkeit.N eben G eneviève W interkom m tm ir sogarD r.Sandra Rothroz klein vor,verschw indend klein.D erBeitrag derD oktorin:G enau so w ie Sie,w enn Sie H ungerhaben,zu ihrerM uttergehen,kom m en Sie zu uns,w enn Ihnen Zw eifelan IhrerBerufung kom m en.Ich hätte sagen sollen:D eshalb kom m e ich nicht.Ich bin hier,w eilTonnen aufm ich herabgestürztsind und m ich in jungen Jahren zum G reism achen. Trotz m einerIm potenz oder,genauergesagt,H albpotenz,m öchte ich andauernd derG eneviève an ihren Bäckchen schm usen.Ich habe nurA ngst,daß ich ihrzuvielan ihren süßen w eichen Bäckchen,den pflaum enw eichen sozusagen,herum schm usen w ill,dann sagtsie vielleichtauf w ienerisch – ich w eiß w irklich nicht,w asdie aufw ienerisch dann sagt.Ich bring m ich auch nichtum ,w enn’snichtklappt.M ich haben einfach die Skandinavierinnen gerettet.Eigentlich m üßte ich jetztschon schreiben.A lsich durch M ünchen ging w ie durch einen w underbaren N ebel,schoß esm irdurch den K opf:In einem Jahrfange ich an zu schreiben.U ff.H errD orn, Sie w ollen ein D ram a überH annibals A lpenübergang,bitteschön,LieferfristvierM onate.M eine V orbilderhaben sich etabliert:BerntStreiff,RolfH ochhuth,Else Lasker-Schüler.Ü berallem und allen im m erD ostojew ski.V om 12.biszum 20.Lebensjahrhabe ich alles gelesen.D ann die Tonnen.M itdem Lesen istes seitdem so eine Sache.Ich gehe lieberan derIsarspazieren.U nter derG roßhesseloherBrücke habe ich m eine tausend G edichte verbrannt.Im Januar.BeiN ebel. D ie Isarauen w erden m einerzukünftigen Poesie Licht,Farbe und K länge liefern.Ich bin so sicherw ie noch nie:Eines Tages w erde ich garnichtm ehrverstehen können,w ie ich so lange Zeitnichthabe lesen können.D asheißt:m itm aßloserBegeisterung lesen.A llesandere istkein Lesen.Ich glaube,ich w erde einm alsehrviellesen.Schreiben vielleichtw eniger.Sehr unw ahrscheinlich,daß ich in D eutschland etw asveröffentliche.Ich spüre eine A rtaufm ich 101
lauernde U nfreundlichkeit.Ehrl-K önigsüberhauptnichtzu bestreitende G enialitätistseine U nbeeindruckbarkeit.D araus sprießtunw illkürlich seine V erneinungskraft.U nd die w ird unw illkürlich fürU rteilskraftgehalten.Zum G lück w erde ich nie zu tun haben m itihm .A lso in Frankreich veröffentlichen.Frankreich,das Literaturland schlechthin.K ein Literatur-Schredder w eitund breit.U ff.Beckenbauerw ürde vielleichtden K opfschütteln.300 Jahre altm öchte ich w erden,sehen,ob dasBürgertum noch w asschafft.Einen G oethe,bitte.M it20 zum G reis gew orden.D erPhilosophieprofessor,beidem ich m ich in die erste Reihe gesetzthabe:M an kann auch in jungen Jahren zum G reisw erden.M irpassiert!A llerdings,einesTagesw erde ich w iederjung w erden.U nd lesen können.U nd dann eben auch schreiben.Lesen ohne Schreiben, das ergibtfürmich keinen richtigen Sinn.V ielleichtlese ich deshalb jetztnoch nicht.Es w äre ein leeres,inhaltsloses,sinnloses Lesen.W ie viele Jahre hin-und hergestürm tzw ischen K üche und W ohnzim m er.N ichtschlechtesG ew issen,M utter,sondern psychom otorische H ast.Zieh deinen entsetzten Blick ein.Esistw ie Zahnw eh,bloß aufeinem anderen N erv.A ufdem N erv derSeele.Etin toto plurim us orbe legor.M utter.D ein Sohn.W ie O vid w ird m an M aniM ani nennen.G leich hinterH eine.Ich schlage vorals M aßeinheitfürSelbstbew ußtsein 1 M ani einzuführen.D asPfeifkonzertderBayern-Fansbeim Schalkefaul,dergleichen hältm ich am Leben.D urch und durch gehtm irdie Stim m e desReporters:U nd w iedereine unschöne A ktion des ansonsten so fairen SchalkerG oalhüters.W underbar.W arum im m ernach dem Balltreten, riefderReporter,deristso rund und klein,den M ann triffstdu vielleichter.D ie besten Fanshat Bayern,die schlim m sten Schalke.U nd w enn dann noch derSchalkerM ittelstürm erausBayern kom m t!A berm eine Lieblingsbeschäftigung bleibt,schöne Fernsehansagerinnen anzuschauen. Ich habe einen kannibalischen Blick.D arum bin ich hiergelandet.Ich w ollte der Prachtserscheinung in den Isarauen nichtstun.Sie tratalsG eneviève W interauf.D asW under geschah.Kom m taufm ich zu.D aß ich G eneviève in allen V erkleidungen beziehungsw eise Jahreszeiten kenne,kann m an m irglauben.Juli.M ünchen blendet.N ach stundenlanger W anderung an derIsarentlang,verlasse ich dasIsarufer,gehe querunterden Bäum en,erreiche fastdie Straße,da kom m tsie,G eneviève.Juli.D ie Sonne brichtdurch die hohen Bäum e.Ich habe ihrdoch nichts tun w ollen.M ein kannibalischerBlick!M etaphorische Spielerei.G eneviève kom m taufm ich zu,bleibtstehen,vorm ir,kom m toffenbarnichtvorbeian m ir,also w enn ich da nichtzugreife,zärtlich näm lich,ja dann w erde ich nie w iederjung.Es w ardoch G eneviève,die dasEntscheidende gesagthat:D ie V ielseitigkeit.Jetztistessow eit,habe ich gedacht.D u bist kein G reis.Bew eis es ihr.G eneviève hatdiesen spöttischen Blick.D en schätze ich sehr.U nd die diesen Blick ergänzenden Lippenbew egungen.D ie Lippen beschäftigen sich m iteinander,auch w enn die dunkelhaarige G eneviève nichtssagt.A berdann sagte sie ja etw as.D ashätte sie nicht 102
sagen sollenm üssendürfen.Ja,w erbistdenn du scho!D aszu m ir,nachdem sie m ich jahrelang vom Fernsehschirm herangem achthat.U nd jetzt:Ja,w erbistdenn du scho.D a habe ich esihr doch zeigen m üssen,w erich bin:M aniM ani,die H offnung allerH offnungen!A lso nichtsw ie hingelangt.Jetztalso nichtsm ehrm itderK öniglichen,nichtsm ehrm itderM enterschw aige,ab in die Forensische,endlich nach H aar,w o schon derPflegereins eine N aturkatastrophe ist.A ls Zw ölfjährigereinm alvom D reim eterbrettgesprungen.Einersüßen D reizehnjährigen zuliebe. A lsN ichtschw im m er.Ich hatte ihrgesagt,ich stünde am A nfang einerA gentenkarriere,deshalb m üsse ich jetztvom D reim eterbrettspringen.D asm itden schönen Frauen m üßte noch genauer gesetzlich geregeltw erden.D as liegtdoch vollkomm en im argen.D u kom m staufeine zu,sie aufdich,du siehst,esistG eneviève,sie bleibtstehen,du nicht,also triffstdu aufsie,ja,w arum gehtsie dann nichtan dirvorbei,da m ußtdu doch zugreifen.V ersuchte V ergew altigung.D aß ich dann getobthabe,glaube ich nicht.D as istforensisch-psychiatrische M etaphysik.N urw er gefährlich lebt,w ird von den Frauen geschätzt.Sie w issen nie,w o Sie sich befinden,hatSean Connery zu m irgesagt.A lsich so siebzehn,achtzehn w ar,sah ich m ich an derSpitze eines m öglicherw eise verlorenen H aufensbew affneterA rbeiterim Bürgerkrieg den N ockerberg hinaufziehen.Ich w arschon früh bereit,füreine Sache zu sterben.G estern schoß esm irdurch den K opf:D asFernsehen m achtdich krank.Ich w illja nichtbehaupten,daß es nichts gibt,w as Sie zu einem w ertvollen M enschen gem achthätte:D r.Sw oboda.D ’outre-m er,schoß es m ir durch den K opf.D ostojew ski,schoß es m irdurch den K opf.A ußerD ostojew skiistalles M ist. SogarTolstoiistnureiner,dervierspännig fährtund alle Tricks beherrscht.D ostojew ski beherrschtnichts.D ostojew skiw ird beherrscht.Ihn w irftesja in die H öhe.Ihn schleudertesin jede Tiefe.A ußerD ostojew skinichts.W enn D ostojew skim ein Psychiaterw äre,w äre ich sofort gesund.V erließe H aarm itD ostojew ski.PerS-Bahn.U nd w irsetzten unsin den A ugustinerG arten dichtam H aus,m itBlick überalle Tische und Bänke und Leute,äßen W eißw ürste.Jeder zw eiPaar.M itsüßem Senf.U nd Brezeln.D ostojew skiliebtnichtsso sehrw ie süßen Senfm it W eißw ürsten und Brezeln.PlusBierausden riesigen G läsern.W irw ürden fröhlich hinschauen überalldie Trinkenden,Schm ausenden,Brüderlichschw esterlichen. Fröhlich aberstum m .Bloß nichts sagen jetzt.D ostojew skinickt.M eiden die Sprache,die V erführerin schlechthin.W enn ich w iederlese,heißtdas,ich setze die D ostojew ski-Lektüre fort.D er Idiot.M yschkin w illm ein Brudersein.G erade A rbeiterachten große D ichter.M ein Jahrin derFabrik hat’s m ich gelehrt. TolstoiistderRuhepunktderM enschheit.D ostojew skiderU nruhepunkt.N atürlich habe ich auch N orm an M ailergelesen D ie Nackten und die Toten.A beresw ird derZeitpunktkom m en, da w erden sich alle M enschen,beidem ,w as sie tun,fragen:W as w ürde D ostojew skidazu sagen. Sonstw ird kein Elend ein Ende nehm en.Bevorich anfange zu schreiben,m uß ich prüfen,w ie 103
w eitm eine Sensibilitätreicht.U nd w ie w eitsie zuverlässig ist.D ostojew skivorA ugen,sage ich: Ich bin vielleichtin einem V ok aufgew achsen,dasnichtm ein V olk ist.N urw ergefährlich lebt, istbefugt,Frauen zu beanspruchen.M ein Freund G eorg M eidner,seinerseitsK ünstler,hatbei m einerH annelore den Eindruck erw eckt,erlebe gefährlicherals ich.Schw upps,w arH annelore beiihm .H atsich ihm ,w ie m an so sagt,hingegeben.Ich habe im m ergesagt,w enn eines Tages Jam es Bond auftaucht,trete ich sofortzurück,w ie sich das gehört.A berG eorg M eidner, seinerseits K ünstler!A uch w enn ein Indianeraus D etroitgekom m en w äre,w eggew esen w äre ich.A berG eorg M eidner!A berich w eiß aus dem Fernsehen,w ie esbeidenen jetztzugeht. G eorg,G eorg,ruftH annelore.H örzu,du oberbayerischesM iststück,ich habe keinen BH an,du brauchstm irnurm einen Som m erschlußverkaufkarstadtschlüpferrunterzuziehen,allesandere kom m tdann von selbst.D asistdie sexuelle Em anzipation,sagtG eorg M eidner,seinerseits K ünstler.U nd die Liebenden fallen einanderum die H älse.Sex.Q uälm ich ruhig,G eorg,ruft H annelore.H annelore,nurdaß du dasw eißt,so lautm ag ich esnicht,ruftG eorg.Sex.H eute abend nicht,G eorg,sagtH annelore,laß,ich w illnicht,nein,kom m ,geh,kom m .Sex.H annelore, treib esnichtzu w eit.Sex.G eorg,du w arstgut.Sex.Ich m uß den ganzen Tag an dich denken, H annelore.D asistgut,G eorg.Sex.Ich höre nichtauf,an D ostojew skizu denken.U nd m irsagte D r.Sandra Rothroz in derM entherschw eige,eine W oche nach m einerfreiw illigen, selbstbesorgten Einlieferung in die schattigste Seelenw aldklinik derW elt:Ihnen fehltdas Private.A llesbeiIhnen istSache.W ahrscheinlich kom m tesbeiIhnen deshalb zu nichts,w as m an Seelenleben nennen könnte.Frau D oktor,sagte ich,m irw ird esnie zu einerSache reichen. A llerdings zu einerSeele auch nicht.Ich bin nuretw as Bew egtes,von jem and odervon etw as, also bin ich niem als ich selbst,also unbeständig,also niem als sachlich oderprivat.Sobald ich aufm einereigenen Couch liege sozusagen allein bin,schießtesm irdurch den K opf:Ich bin nichtzu sprechen fürm ich.A berfürjeden anderen schon.Zum Beispiel,fürSie,Frau D r. Rothroz.O h,oh,oh,sagte sie dann,Schluß fürheute.D ann sagte sie noch:V ielleichtsollten Sie esm achen w ie K önig D avid.D erließ in allen Städten,die ereroberthat,seinen N am en ausrufen.Ü berlegen Sie m al.Ich sagte:W ievielgelassenerw äre ich,w enn ich nichtsovielzu verbergen hätte.U nd ging.In den W ald beziehungsw eise durch den W ald,w ie essich fürden Insassen einerW aldseelenklinik gehört.A bstand!A uch hatdiese K linik etw asunordentlich A benteuerhaftes.D ie Insassen w erden hereingespült,hinausgespült,w ie das Leben eben so spült. A utsch!M aniM ani,du hasteinen Rufzu verlieren,einen zukünftigen!D asFriedlichste überhaupt:Bayern M ünchen beim G ew innen.Ich m uß nuraufpassen,daß ich nichtin EhrlK önig hineinzappe.Sobald erm erkt,daß ich zuschaue,blästerdie Lippenschläuche aufund
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brülltlos.Brülltw ie einer,dernichtw eiß,w arum erbrüllt.Es istein ausgreifendes, schw eifendes,losgelassenes Brüllen.Ein Brüllen an sich.A beres suchtm ich.A ls G rund. W arum lachterdenn nicht,fragtderQ uälerden G equälten,w enn ereinen W itz gem achthat. D asistganz sicher:O hne W itze zu m achen,könnte ein H enkerseine A rbeitnichttun. Im m erhin hatm an schon in derN ussbaum straße in derK öniglichen Psychiatrie darauf verzichtet,m irTreppen zuzum uten.U nd dann D r.Sandra Rothroz in derM enterschw aige genau so:Sie können vorübergehend die Fähigkeit,hinauf-oderhinunterzugehen eingebüßthaben.D as solluns nichtstören.Fabelhaft,diese D r.Sandra Rothroz.O b die beiden Liebfrauentürm e oder ein Kom m a – durch die V ernichtung istallesm iteinanderverbunden und gleich.A lsm eine tausend G edichte unterderG roßhesseloherBrücke im dichten N ebelbrannten,schoß es m ir durch den K opf:Jetzthaben deine G edichte den idealen A ggregatszustand erreicht.D u bist veröffentlichtw ie keiner,den du kennst.U ff.
Band III (M aniM anisStim m e) D aß andere w enigerlächerlich sind,istderen Sache.D u kannstnichtvon allen verlangen,gleich lächerlich zu sein.A llein,bin ich nichtlächerlich.Im G egenteil.D erPsychoanalytikeristder H exenfolterervon heute.G enau so w eitw eg von seinem O pfer.U nd genau so überzeugtvon seinem Recht.M eine M utterbeiderRothroz in derM enterschw aige:U nterjedem D ach,ein A ch.Einm alm itderJungschw esterin derN ussbaum straße insUngerschwim m en gegangen,sie unterderBrause,dasG esichtstraff,den M und unerbittlich in die Breite und nach unten gezogen. Sollte das die Em pfindungen ausdrücken,die das herabprasselnde W asserin ihrauslöste? A ls ich bestim m te M edikam ente bekam und hin-und herliefw ie ein Tierim K äfig,sagte sie:M ani, m achen Sie dasFensterzu,sonsterkälten Sie sich.U nd ich,trotzig:Ja,ja.Liefw eiterhin und her.H aßerfülltdenke ich an die Jungschw esterin derN ussbaum straße.Träum e m ich in die Rolle hinein,daß ich ihrnachgerufen hätte:Ja,ja,du superpsychologische Jungschw esterfotze.D as denkend,lächle ich.Sogar.V ielleichtdas einzige Recht,das ich habe,zu lieben.O derich habe m ich in diese extrem schw ache Position (Nur dasRechthaben,zu lieben)hineinm anövriert,w eil m an in einerSituation vollkom m enerSchw äche und W ehrlosigkeitdie M enschen in ihren Reaktionen aufm ich bessererkennen kann.A lsich zuletztm itG eorg M eidner,seinerseits K ünstler,im D ürnbräu saß,hatte ich plötzlich eine A hnung,w ie essein kann,w enn ich m erke, so,jetztm ußtdu schreiben,sonstspringstdu ausdem Fenster.U nd w äre in diesem A ugenblick vollm itden G enitalien daran beteiligtgew esen.Brechtzu einerJugendfreundin:Ich kom m e gleich nach G oethe.So kann m an vielleichtLiteraturdefinieren:M an schäm tsich nicht,so 105
beschäm end esauch ist,etw asgeschrieben zu haben.G eneviève W interw eiß noch im m ernicht, daß ich ihretw egen in derforensischen Psychiatrie gelandetbin.H annelore,alssie noch nicht von G eorg M eidner,seinerseits K ünstler,erobertw ar,ging m itm irdurch die Faschings-Stadt. Sobald unsBetrunkene begegneten,rückte sie näherzu m ir.M irschoß esdurch den K opf:D u hastdich heute m orgen nichtgew aschen.A ufdem H eim w eg in einem G äßchen,blieb sie stehen, ich auch,sie schlang ihre A rm e um m ich,preßte ihre Lippen an m eine,schlug m itihrem U nterkörpergegen den m einen.M irschoß esdurch den K opf:D ie G üte und N achsichtder Frauen istunendlich.O derschafftdasderG eschlechtstrieb allein? Ich w ußte,kurz vordem G eschlechtsakt(kein so tolles W ort)w ürde es m irdurch den K opfschießen,daß ich nichts davon haben w erde.A lso w ürde ich haltnoch nach ihren Brüsten oderandersw ohin greifen, m ehrw ie ein D oktor,bisdie V orstellung desA neinanderklam m erns,desm öglichen Reizes nackterBrüste,desgeschw ollenen G lieds,desEindringensvöllig verschw indet.Im Traum einm alexem plarisch:Ich kurz vordem Eindringen in sie,da,die Stim m e ihrerM utter: H annelore,kom m m irm alhelfen.W ashätte ich davon,w enn ich w irklich drinsteckte? Sam enablass,basta.V ielleichtallesnurein W eglaufen vom Schriftstellerw erden.M isery acquaintsa m an w ith strange bedfellow s.O h du,m ein Erzkollege Shakespeare.Folgen seelischerH altungen im K örperlichen.U nd um gekehrt.W enn derV aterm ich übers K nie legte, richtete sich derPenis auf,w urde hart.A ls K ind in die H ose gepinkeltaus A ngst,w enn derV ater aufm ich zukam .A berw asw ürden die Psychologen sagen,w enn esfürm ich unm öglich ist,ohne m eine M utterzu leben? D em D r.Sw oboda insG esicht:N achherw ollen Sie m itIhrer psychologischen A ufm erksam keit-auf-sich-ziehen-Theorie auch noch den Selbstm ord erklären, ja?!W as istw ichtiger,dieserErkenntnis zu frönen,also diesen und jenen Selbstm ord vollund ganz aufzuklären,odersich einzugestehen,daß diese Sichtw eise den Blick fürvieles andere, vielleichtw ichtigere,versperrt? D r.Sw obodas Reaktion:derklassische physiognom ische Psychiater-und Psychotherapeutenausdruck,gesenkte Lider,M undw inkelnach unten gezogen. Ich zu ihm :D ieserG esichtsausdruck,M undw inkelnach unten,divahaftgesenkte Lider, entsprichtw ederdem Ernstm einerLage noch dem ErnstderW elt.Ich w eiß nicht,ob Sie m ir helfen w ollen.EsgibtG ründe,m irnichthelfen zu w ollen.A berzu bedenken geben m uß ich,daß kein Psychotherapeutin derN ähe w ar,alsich alsK ind aufgeschrieen habe,w enn m eine M utter nach einem Streitm itm einem V aterw einte und ich sie m itK üssen und U m arm ungen verzw eifeltbat,m itdem W einen aufzuhören.U nd ich habe im m ernoch A ngstvorder Psychotherapie,w eildas,w asm eine M uttertrotz allihrem von m irverschuldeten Leid noch lachen läßt,an derpsychotherapeutischen Praxis vorbeiläuft.A ls ich aus derN ussbaum straße entlassen w arund m itderStraßenbahn heim fuhr,fielein Baby beim H ochheben des 106
K inderw agensausdem W agen herausund w äre aufdie Straße gefallen,w enn nichteine alte Frau gerade noch zugegriffen hätte.Ich habe nichtzugegriffen,sondern die H ände vorsG esicht geschlagen und aufgeschrieen.A llein,bin ich nichtlächerlich.G eorg M eidner,seinerseits K ünstlerund ErobererH annelores,verachtete m ich,w eilich kaum eine Sportschau versäum te. Seitich nichtm ehrm itdem V aterinsBayern M ünchen-Stadion ging.D ie Fußballsam stagnachm ittage dröhnten vorEinsam keit.A lsK ioskverkäuferstand m irdie gesam te Porno-Produktion kostenloszurV erfügung.Eine Stelle in derBahnhofsbuchhandlung w arnicht zu ergattern.D ostojew skiw urde fastw ahnsinnig,w enn ernach einem A nfalleine W oche lang nichtslesen konnte.Ich habe seitunzähligen Jahren praktisch nichtsm ehrgelesen.V on zw ölf biszw anzig alles.D ann die Tonnen.Seitdem Schluß.W arum ausgerechnetich Schriftsteller w erden w ill,istvon allen Fragen derW eltdie rührendste.Ich w erde soviellesen,w ie physisch überhauptm öglich ist.D ann gleich die Frage:W ird es nichtdoch verlorene Zeitsein? D ann aber sofortdie G egenfrage:W ieso ich,derH erum lungererschlechthin,A ngsthabe vorverlorener Zeit? U nd schon frage ich w eiter:D arfich m irdoch einbilden,keine Lebensm inute vertan zu haben,w eilich in G edanken im m erbeidergerade geliebten Frau w ar,und w enn nichtbeiihr, dann in Stratford upon A von oderim Petersburg D ostojew skis? W hatevergetsyou through the night,it’s alright.D ie M utterschreibt:D erV ateristabends erschöpft.G estern vorm Fernseher eingeschlafen.A beres kom m tja vielG eld herein.D as A uto w erden w irbis Jahresende abbezahlthaben.W enn derV aterdurchhält.U nd hatnoch Ä rgerm itseinerM utter.D ie ist im m ernoch nichtm itdem G eld zufrieden,daserihrüberw eist.Esgibtkeine Entschuldigung dafür,daß ich m ich nichtals H ilfsarbeiterdurchs Leben schlage.V ielleichtoperiere ich instinktiv so,daß ich – als Schriftsteller– nichtderV erm ittlung,die die Psychoanalyse bietet, entraten kann.D asheißteben garnicht,daß ich m ich behandeln lasse.W arum auch? Bin ich nichtim w ahrsten Sinn desW orteskerngesund? G ratw anderung.Solche W örtergibtes.N icht ohne G rund.D ie Jungschw esterin derN ussbaum straße sagte,alsich ihrm itteilte,daß ich ein alles um fassendes Rom anw erk plane:G enau daserw arte ich von Ihnen.M irschoß esdurch den K opf:U nd w enn Literaturheißt,das zu schreiben,w asnichterw artetw ird!? Poesie,kom m tm ir vor,dassind die M om ente,w o esunsden K opfherum reißt,daß w irallerU nvereinbarkeiten ledig sind.Ich w arm itdreiJahren schon w eiterals alle Psychotherapeuten Bayerns je kom m en. U nd m ein G reisentum lichtetsich.D r.Sw oboda zu m ir:Ihre W eltliteraturträum e sind V ersteckungsm echanism en,um Ihren W unsch,von anderen versorgtzu w erden,zu verstecken. Ich w erde aberden endgültigen Stalingradrom an schreiben.A lsich m itvierzehn die Bilderm it toten deutschen Soldaten in Stalingrad sah,kriegte ich im m erErektionen.D r.Sw oboda:W enn derV aterfällt,istderW eg zurM utterfrei.A berschreiben kann nur,w erliest.U nd ich habe 107
jedesm al,w enn ich zu lesen versuche,dasG efühl,ich hätte beide Füße im Feuerund sie seien schon halb verbrannt.A lso m uß ich aufspringen.Rennen.H in und her.D ann Fernsehen.D ie N ervenheilanstalthatnichts Erschreckendesm ehr.M ein Lieblingsw ort:Irrenhaus.A uch w enn ich freiherum laufe,trage ich m ein G efängnism itm ir.D ie Literaturw äre dasTorinsFreie.Ich trage ein W erk in m ir,dasw illheraus.U nd ich solldafürsorgen.Leiderkom m tm irzurZeitdie A rbeitan einem und seiesnoch so großen W erk sinnlosvor,w enn sie m irnichthilft,eine Frau zu erobern.G eneviève,zum Beispiel.A ls sie zw ischen Isarund Erich Schm id-Straße aufm ich zukam ,hätte sie doch nichtso tun dürfen,alserinnere sie sich nichtm ehrdaran,daß sie m irin allerÖ ffentlichkeit,vom Fernsehschirm her,einen K uß zugew orfen hat!U nd dann:W erbist denn du scho!W enn einen dasnichterbittern und dann eben zu Tätlichkeiten hinreißen darf!A ls Ü bergang plane ich,in derBuchhandlung in G auting zu arbeiten.D arin sind sich die Psychologen einig:m ich aufeigene Füße stellen.W enn die dann bloß nichtw iederFeuerfangen. A berbitte,ich w erde in derBuchhandlung in G auting arbeiten und nachtsschreiben.W enn es sich nichtherausstellt,daß die G egenw artm einerM utterfürm ich alsG efühlsnahrung unerläßlich ist,das hieße,ich m uß bis zu ihrem Tod beiihrleben.H errn Pilgrim habe ich über m eine Pläne inform iert,erw eiß,daß ersich an m einem W erk eine goldene N ase verdienen w ird. W enn deredle Pilgrim Zicken m acht,sofortzu H anser.M irM ichaelK rügervorzustellen,istfür m ich fastein G enuß.Ich w erde ihn und Pilgrim fragen:W ashalten Sie von m einen V orbildern BerntStreiff,RolfH ochhuth und Else Lasker-Schüler? Sind das die richtigen V orbilder? Istes lächerlich zu gestehen,daß ich A gnetha im m ernoch liebe? D arfm an so lange in eine blonde Schw edin verliebtsein oderistdas ein A rm utszeugnis? Ich träum e ja gegen jede W ahrscheinlichkeit,daß A gnetha und ich dasJahrtausendpaarw erden.G ut,alsSechzehn-oder Siebzehnjährigerich an derSpitze einerm öglicherw eise verlorenen Scharvon bew affneten A rbeitern nockerbergaufw ärts.Seitdie Tonnen aufm ich niederstürzten,sind m irsolche V orstellungen frem d.Freund G eorg M eidner,seinerseitsK ünstler,zu m ir:W askannstdu denn? Ich:N ichts.Log ich.A berich dachte:Ich kann schreiben w ie derH errgottpersönlich.D am als hätte ich anfangen sollen m itSchreiben.A berich hatte m eine V orbildernoch nichtgefunden. D am alsschoß esm irdurch den K opf:D u m achstdiretw as vor.A berw as ich dam itm einte, w urde m irnichtklar.K larw arim m ernurderG edanke:U nfaßbar,w ie schön dasLeben sein könnte.U nd eben derD auergedanke:D asFernsehen m achtm ich krank.W erG eorg M eidner, seinerseits K ünstler,aufH annelore ansetzte,daß ersie m irw egnehm e,hatm irbisjetztkein Psychologe sagen können (oderw ollen).D ie w ollte sofortnichts m ehrvon m irw issen.U nd prom ptschallte esausdem Fernseher:D a w ackeltdie W and.U nd dashieß schon:D rüben fickt G eorg m eine H annelore so gut,daß die W and w ackelte und daß ich dasnie schaffe.Ich kann 108
beschw ören,daß das genau so ablief.Ich hätte zum Pflegereins nichtsagen dürfen:Sie sind eine N aturkatastrophe.D eshalb m uß ich hierjetztm itdem von ihm strafw eise verfügten Spitznam en M anerloderM anderlherum laufen.A ls M anderlkriege ich keine Frau,klar.U nd als M anderl kann ich nichtschreiben,klar.Ich w illIhnen keine A ngstm achen,sagte in derN ussbaum straße D r.Frau Probst-Baierlzu m ir,entw ederm an m achtSelbstm ord oderm an kom m tzu uns.A ber ich dürfe,sagte sie,m itm einem Leiden nichthausieren gehen.Ich w eiß aber,w enn derfette Frank im Schulbusm ich nichtgequälthätte,w äre ich heute m iteinerhübschen,netten,lieben Frau verheiratet.W enn ich je schreibe,fragtes sich,ob ich ohne K indheitstragödie – w enn es eine w ar!– überhauptschreiben w ürde.Seitm einem 20.Lebensjahrbin ich eine plündernde N ull.D en großen A lexanderSolschenyzin hatdie M athem atik gerettet.M ich die Skandinavierinnen.Ich w erde abertrotzdem G eneviève W interheiraten.Ein zw eites M al entkom m tsie m irnicht.Ich habe einm algetobt,sie hateinm algeblutet,dasreichtdoch.M ein G eheim nis:Ich bin durch nichtsaufzuhalten.D ashabe ich zufällig m itA lexanderdem G roßen gem einsam .A berFrau D r.Probst-Baierlirrt:ich verachte m einen V aternicht.Ich liebe m einen V ater.Ich denke oftan einen K rieg m itbetäubenden,nichttötenden K ugeln nach.Im m erhin haben zirka 20 V erlage m eine ersten M anuskripte abgelehnt.K eine Rache m einerseits.Unreifes Zeug w ardas.H atte noch keine V orbilder.A lexanderSolschenyzin:D ie W ahrheitbahntsich ihren W eg.D aran konnte m ich auch diese A RD -Zicke nichtirrem achen,derzu einer V ogelschar,die nichtm ehrin den Sünden gelangtw ar,nichtseinfielals:O b zu jung oderzu schw ach,fürSIE (die V ogelschar)istderletzte Zug jedenfalls abgefahren.D as m ußte ich,w eil sie dasSIE so betonte,aufm ich beziehen.A bersie hatte recht.A uch nurein Tonband zu kopieren w arfürm ich eine unbestehbare A ufgabe gew orden.Es stelltsich natürlich die Frage: M uß ein Schriftstellerein Tonband kopieren können? H annelore einm alschnippisch:W enn ich dirden Laufpaß gäbe,dasw ürdestdu nichtüberleben.Stim m t.Ich habe esnichtüberlebt.A ch nein,Q uatsch,gerettethaben m ich dam alseindeutig die Skandinavierinnen.Im Fernsehen hieß eszu allem Ü berfluß:Esw aren die asiatischen Regim enter,die M oskau retteten.D ieserSatz ist nun w irklich von m ir.A berw eilich ihn nichtniedergeschrieben habe,kann ich dasnicht bew eisen.D aspassiertjetztim m erhäufiger,daß Sätze von m irda und dortgesagtund geschrieben w erden,und ich kann,w eilich im m ernoch nichtanfangen kann zu schreiben,nicht bew eisen,daß esm eine Sätze sind.Frau D r.Sandra Rothroz hatm ich im m erso abfahren lassen: K om m en Sie m irnichtm itÜ bersinnlichem !U nd ich habe nichtgew agtzu fragen,w asdasjetzt w iedersei:dasÜ bersinnliche.W enn m irPflegereinszuruft:U nserM anderl!dann denke ich an die N aturkatastrophe und dann natürlich an:G elegentlich m achtes sich bezahlt.W ie hates G eneviève form uliert:D ie V ielseitigkeit.Ich habe D r.Sw oboda inform iert:W enn ich G eneviève 109
ficke,m uß ich kein bißchen bessersein als Ram azotti,aberich darfauch kein bißchen schlechter sein.D asW ichtigste im Leben:M an m achtsich nichtlächerlich.A llein,bin ich nichtlächerlich. Basta.G estern schoß esm irdurch den K opf:W enn ich fünfundachtzig w erde,kom m e ich vielleichtdoch noch zum V ögeln.Bisdahin Zölibat.M eine Spätw erke w erden nichtssein alsein Lesen in den A ugen G ottes.D a stehtja alles,w asdie M enschheithineingeschrieben hat.U nd es stehtnirgendw o sonst.Ö fterschießtes m irdurch den K opf:W erbin ich denn ...? D as w ar überhauptdasH öchste,alsG eneviève sich versprach und M ulokken sagte stattM olukken.A ber dann:Ja,w erbistdenn du scho!H ätte sie nichtsagen sollenm üssendürfen.Einm alschoß es m ir durch den K opf:Ich bin ein H am pelm ann.A ls G eneviève sich versprochen hatte,riß ich sie über den Tisch,an dem sie saß herüberund ließ sie,die ohnm ächtig w arvorLiebe,in m eine A rm e sinken.U nd hörte PaulM cCartney singen:That’sw hatIw ant.A berein Tag,an dem derPfleger einsm irvon w eitem zuruft:W ie geht’sunserem M anderlheut? istein verlorenerTag.W enn es Zeugen diesesZurufsgibt,kann ich ja nichtjedesm aldazusagen:D astutderbloß,w eilich ihn N aturkatastrophe genannthabe.D assitztnatürlich:N aturkatastrophe!U ff!H ätte ich nichtsagen sollen.Esm achtsich nicht bezahlt.U nd derSam en kom m tnurnoch m ühsam hoch.Ü berhaupt nichtm ehrfrech herausgespritztw ie ehedem .A ch,ehedem kom m tw ieder.Frau D r.Sandra Rothroz von derM enterschw aige:D asistbeiIhnen allesG eistgew orden.Q uatsch.D a w ackelt die W and und das istm ein Freund G eorg M eidner,seinerseits K ünstler,und ervögeltgerade jetztH annelore.A lso,bitte,da m uß eseinem doch vergehen.V on den Tonnen m alganz abgesehen,die im m ernoch aufm irliegen.W asLyrik angeht,istG oethe N um m ereins.U nd bleibtes.A berich habe etw asgem einsam m itSolschenyzin.Ich bin auch gerettetw orden.Ihn hatdie M athem atik gerettet,m ich die Skandinavierinnen.W aterloo.A n derSpitze eines m öglicherw eise verlorenen H aufens bew affneterA rbeiternockerbergaufw ärts.Tausend Jahre nach m einem Tod,gehöre ich zu den G roßen.Ich bin eine explodierende M ischung.A rschloch, Schum ann,H eine,D ostojew ski,Beckenbauer.W asich eigentlich w ollte in m einem Leben – und nichtsalsdasw ollte ich –,daß G eneviève W intervom O RF sagt:D u bistderM ann,den ich begehre,nach dem ich verlange,von dem ich ein K ind w ill(oderzw eioderdrei).D as w ollte ich. H abe ich gew ollt.A us.V orbei.Essollm iralso genügen,ein Ä stchen zu sein am G oethe-Baum . D a schießtesm irdurch den K opf:Lieberein A st.U nd dann aufm irein V ogelnest.U nd darin G eneviève.U nd sie piept:K om m zu m ir,großerV ogel.H astdu m ich verstanden.Ich dich auch nicht.W enn derendlich aufhören könnte,M anderlzu brüllen.D urch diesesgroße H ausnurnoch dieses G ebrüll:M anderl.D as istdoch eine N aturkatastrophe.Sollte es m irnoch einm aldurch den K opfschießen:W erbin ich denn? w erde ich antw orten:D erM ann,den G eneviève begehrt. A berw enn sie dann an Ram azottidenkt? U nd w eitund breitkeine Skandinavierin m ehr,die 110
m ich retten könnte.W eitund breitleere Schw ere.Ich w areinm al,lautG eorg M eidner, seinerseits K ünstler,ein W eltm eisterim V erarschen.A berich habe versäum t,auch m ich selber zu verarschen.D araufw artetdie W elt.Ich w erde versuchen,derW eltzu w illen zu sein.Ich hätte m ein Leben alsFliege nichtausgehalten ohne die H offnung aufdie W iedergeburt.U nd siehe da, ich bin w iedergeboren w orden.A lsM ensch beziehungsw eise M aniM ani.U nd gestehe:Ich hielte auch diesesLeben nichtausohne den G lauben an die W iedergeburt.D asSchöne:von M al zu M alw ird derG laube m ehrzurG ew ißheit.W enn die jew eiligen Inkarnationen sich alsim m er unerträglichererw eisen,w ird die W iedergeburtim m ererw ünschterbeziehungsw eise notw endiger.In jedem V erlaufpassieren aberSchönheitsm om ente.Ein Sonnenuntergang im Sterbensaugenblick,Selbstvergessenheitaufdem W eg zurH inrichtung,ein Bayern-Torim A ugenblick reinerV erzw eiflung.Ich w erde die W irklichkeitum ihre G rausam keitbetrügen. Illusionen züchten w ie andere O rchideen oderSchafe.O h Schafe!N ichtm ein Fall.W ohlaber Illusionen.Ew ig blühende G ehirngew ächse.U nd w enn sie nichtew ig blühen,züchten w ir w eiter.O ptim ierung.A llesw ird einfach optim iert.U nd m einen Illusionen w ird m an anm erken, w ogegen sie gezüchtetw orden sind.G egen die M isere.A uch m eine.
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Ich gönnte m ir,bevorich dasvierte Tonband,das w iedervon H ans Lach besprochene, abschrieb,eine Pause und fuhrhinüberin die SchlotthauerStraße zu O lga Redlich.A m Telephon hatte sie zurückhaltend geklungen.Schon ihren N am en hatte sie so gesagt,alsw olle sie verhindern,daß m an sich beiihrem N am en etw as denke.O lga Redlich.So flach und tonlos w ie m öglich.EsgibtLeute,die führen ihre N am en aufw ie A uftakte zu A rien.O lga Redlich sagte ihren N am en so,daß m an ihn alsnichtgehörtverbuchen konnte.Ich ging die vierTreppen zu Fuß hinauf:Ich liebe alte Treppen.D asw aren Stufen,die einen aufw ärtsführen konnten.O lga Redlich w ohntalso in großen Räum en ohne M öbel.A llesfand aufdem Boden statt. Teppichboden.H ellstes Lila.Ich m ußte,w enn überhaupt,aufeinem derPolsterPlatz nehm en. D ie gab es als Rollen,als W ürfel,als rundliche Stüm pfe.M atratzen gab es auch.U nd Tischplatten auf K lötzen,höchstensdreißig Zentim eterüberdem Boden.A n den W änden Bücherregale,H öhe höchstens ein M eter.D arüberZeichnungen.Portraits offenbar.A ufm ehrals einem erkannte ich H ansLach.A lle K öpfe und G esichterschienen ausjähen Strichen entstanden zu sein,nichtaussorgfältigerStrichelei,um ja dem D argestellten ähnlichkeitsgerechtzu w erden. D ie V erzerrungen,die so entstanden,hatten durchauseinen frechen Reiz.Ich nahm aufeinem Polsterw ürfel Platz.Interessant,sagte sie.M an w ird also beurteilt,je nachdem ,w oraufm an sich setzt,sagte ich.A bernichtverurteilt,sagte sie. Sie w arw irklich zartgliedrig,auch ihre längsten H aare reichten ihrnichtganz in den N acken, hingen aberm iteinerSpitze w eitund ein bißchen seitlich in die Stirn.K astanienbraun,deutlich gefärbt.Bew irtetw erden w ollte ich hiernicht.Sie hatte sich so aufeine Polsterrolle gesetzt,daß ihre K nie links und rechts von derRolle standen.Ich verm ied es,interessantzu sagen.Sie w ar m irso sym pathisch,daß ich angesichts derK ürze derZeit,die m irhiergegönntsein w ürde, sofortschw erm ütig hätte w erden können.W enn ich m irnichtdie energischsten K om m andos gegeben hätte.U nd dachte an Frau Lach,deren G esichtdurch Erfahrung und A lterversachlicht w orden w ar.A llerdingslebte darin noch unzerstörteine Stim m ung,die am ehesten in Bartóks schw ierigen Elegien ausgedrücktist.Eine A rtLeid,das sich jedem Verständnis,überhaupt jedem K ontaktverw eigert.A m A libihängtalles.D as A libientscheidet.Ich saß vordem A libi und glaubte,jetzterm essen zu können,w ie einsam Frau Lach w ar.O lga Redlich,H ansLachs... ja w as denn ...Freundin ...G eliebte,bitte nicht,aberzw anzig Jahre jünger,ohne auch nureinen A nflug von Leid oderauch nurSchw ere,nichtsalszartund fünfunddreißig.Ein G esicht,das, w eilD eutlichkeitw eh tun könnte,zurückhält.D ie graugrünen A ugen allerdingsw ären,bildete 112
ich m irein,zu jederA rtvon Ü berm utund Fröhlichkeitbereit.D erschm ale M und auch.U nd eine N ase,die dann doch daraufbestand,gesehen zu w erden.Sie gab dem übrigen G esicht Stärke.Sie verhinderte überhaupt,daß dieses schm ächtig w irkte.D erPulloverausschnittw ar, bevorerschw arz aufderH autlag,noch w eiß liniert.U nd keine spitz zulaufende Raute hing da hinein und kein K reism itsiebenzackigem Stern.A berein H auch von Schatten kündigte Brüste an.Eine honigfarbene H ose,die w eitvorden K nöcheln endete und da eckig zu den Seiten hinausstand.Ich sollte jetztalso fragen,ob sie bereitsei,H ans Lach das A libizu liefern,das dann die ganze A ffäre beenden w ürde.D iese junge Frau w ardie G ew ährfürm eine unbeirrbare Em pfindung,daß H ansLach esnichtgetan hatte.U nd ich sollte m ich hüten,sie hem m ungslos anzuschauen.D ie W esensfülle,die ich,w enn ich sie anschaute,em pfand,konnte ich als Phantasie abtun.A ls Bedürfnis.W enn es einen M enschen gäbe,derso w äre,w ie ich glaubte,daß ersei...D a fragte sie schon,stellte m ehrfest,alsdaß sie fragte:Ich seim itH ansLach befreundet,ich w olle seine U nschuld bew eisen,H ansLach habe m ich zu ihrgeschicktw egen desA libis,andererseitshabe erdoch gestanden.Zusam m enbruch,sagte ich.Sie stim m te zu. W enn HansLach das A libivon ihrverlange,sagte sie,w erde sie es liefern.Erhabe es bisher nichtvon ihrverlangt.FünfJahre lang seisie H ansLachsG eliebte gew esen,eine H eiratseinicht gelungen,sie könne nichtohne K ind sein,jetztseisie schw anger.Ein neuerM ann.In derFirm a. Sie hatsich regelrechtverliebt.Lachsatt.Jan istnichtganz so alt,nichtganz so verheiratet, scheidungsbereit,die M ischung ausM acho und M elancholie,fürdie sie m öglicherw eise anfällig ist.Sie hältsich fürverheiratetseitdem 11.D ezem ber.H ansLach habe nichtzugestim m t,habe es schm erzbew ußtgeschehen lassen.Ihren K inderw unsch habe erim m erbagatellisiert.Seit21. Januaristsie ihrerSchw angerschaftsicher.A m 28.Januar,nein,am neunundzw anzigsten,kurz vorein U hrnachts,läutetH ansLach in einem Zustand w ie noch nie.Sie kann ihn nichtvorder Türstehen lassen.ErseiaufderFlucht.V orw em ? Ehrl-K önig.Ich hatte die Sendung gesehen. D as seijetztdas Ende.Ich ließ ihn beim irschlafen,m itm irschlafen,im itierte dasRitual,um sieben U hrging er.D ann noch ein Telephongespräch.Ehrl-K önig seium gebrachtw orden.Ersei verhaftetw orden,erhabe kein A libi.K eine A ngst,erw olle kein A libi.Brauche keins.Erklirre. W as,fragte ich.Erklirre,sagte er.O hne daß ersich rege,klirre er.Solche A usdrücklichkeitsei sie gew ohntgew esen von ihm .D ann die Zeitungsberichte.Jeden Tag w urde esnoch schw erer. Sie kann w ohlnichtzuschauen,w ie erverurteiltw ird.Sie w eiß,daß H ansLach niem anden um bringen kann.Trotzdem hatsie m anchm algehofft,erhabe esgetan.Erkonnte esgetan haben.Zw ischen zw ölfund eins.V on derThom as-M ann-A llee in die SchlotthauerStraße,dasist keine Entfernung.U nd richtig geschneithatesja erstspäterin derN acht.Ein Freund kann ihn hergebrachthaben,ein Taxi,sie hatihn nichtgefragt.Jan hatvon allem keine A hnung.Er 113
betastetihren Bauch,legtsein O hran ihren Bauch.H ansLach istin ihrem Leben die U nglücksfarbe schlechthin.FünfJahre Q ual,Streit,H offnung.Liebe,ja,Liebe auch,aberkeine Sekunde Selbstverständlichkeit,kein Tag ohne Ü beranstrengung.H ansLach lebtvon der andauernden Schärfung derjew eilsnegativsten Stim m ungsm öglichkeit.U nd sie hat,neben ihm , auch noch Frau Lach verkraften m üssen.D ie gotisch gedachte A llegorie derFrau W eltschm erz. U nd ihren Berufzu verkraften hatsie auch noch.ZuerstK unstakadem ie,jetzt Com puterprogram m e fürA rchitekten.D ie Program m e w erden ausK onkurrenzgründen im m er billiger,aberdie U m sätze sollen steigen.A m erikanische Firm a.D as sind keine U nternehm er, sondern Sklaventreiber.W ie lange dasnoch gutgeht.Sie habe zuerstK ünstlerin,dann A rchitektin w erden w ollen,jetztistsie A nbieterin.Im m erw enn w iederein neuerM ann die Firm a übernim m t,glaubtm an:jetztgeht’s.W enn ernach einem Jahrden U m satz nichtbringt,ist erw eg.Jan istdererste,beidem sie auch glaubt,erkönne es schaffen.Eristzäherals seine V orgänger.H atkeine Illusionen.W ardreiJahre drüben,kenntdie A m erikaner.M itihm können sie nichtum springen w ie m itseinen V orgängern.Eristein M ann,sie hatnichtgeglaubt,daß es so einen gibt,genau so nüchtern w ie phantastisch.Schluß.Sie m uß dasaberandeuten,daß H err Landolfw eiß,w as fürsie aufdem Spielsteht. Ich fragte,ob H ans Lach w isse,w ie sie sich m itihrem jetzigen M ann befinde.G esagthabe sie es ihm .O b eresw irklich gehörthat,w eiß sie nicht.Erhatim m ergesagt,ersei,w enn esnötig w erde,sofortbereit,sie zu verlieren,abersie dürfe nichtauch noch erw arten,daß ersich je daran gew öhnen w erde.U nd so w eiter.Pause.D ann:Jetztverlangteralso das A libi. Ich sagte,erverlange esnicht,erfrage nur,ob O lga ihm dasA libispende.Erbetont,daß erauch ohne A libidurchsLeben kom m e. W enn ich esJan begreiflich m achen könnte,sagte sie.Sie habe gedacht,eifersuchtsverfallener als H ans Lach seiüberhauptnichtdenkbar.A berverglichen m itJan seierein sanftes G ew itter. G ew esen. Ich dachte:V ielleichtliegtdasan Ihnen.Sagte esabernicht. D as Schreckliche:Sie seiin dieserJanuarnachtm itH ansLach im Bettgew esen ausnichtsals M itleid und Rührung,und alles,w as durch sie passiertsei,seiM ache und Fälschung gew esen. A berdasw ird Jan nichtglauben.Erw ird irgend etw aszum Fensterhinausw erfen und ...esist nichtauszudenken.M eine Liebe ister.Erstals überH ans Lach hergezogen w urde,hatsich bei m iretw aszurückgem eldet,ein G efühl,eine Solidarität,eine innige Teilnahm e an seinem Schicksal,die ich Jan verschw eigen m ußte und im m ernoch m uß.D asistdie w irkliche K atastrophe:diesesV erschw eigenm üssen dessen,w aseinem dasw ichtigste ist.M enschen
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verstehen einandernicht.D asw arbeiH ansLach nichtanders.A lso bistdu allein.Schum m elst dich durch. Ich batsie,noch nichtszu entscheiden.Ich w olle zuerstm itH ansLach sprechen.D a ich sicher sei,daß ernichtderTäterist,m üsse seine U nschuld auch ohne A libinachw eisbarsein.Sie dürfe davon ausgehen,daß ich H ansLachs U nschuld ohne ihre H ilfe bew eisen w erde. Ich hörte,daß ich den M und vollnahm .A ufdem ganzen Rückw eg lebte ich davon,daß O lga Redlich m ich füreinen edlen M enschen halten m ußte.Bisaufw eiteres.
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Bevorich das vierte Tonband,das w iedervon H ans Lach besprochene,abschreiben konnte, schlug die N achrichtein,die alles A bschreiben und Bew eisen erübrigte.K H K W edekind gratulierte m irtelephonisch.D ie M adam e hatgestanden,ihren M ann getötetzu haben.Ein K om plize hatihrgeholfen,die Leiche zu beseitigen.D ashatsie ihm ,dem K H K W edekind,in derBayerstraße gestanden.A ufdem selben unbequem en Stuhlsitzend,aufdem H errLandolf gesessen habe. N ichtschlecht,sagte ich.D erK H K hatFrau Ehrl-K önig aberfragen m üssen,w ie sie bew eisen w olle,daß sie ihren M ann getötethabe.Frau Ehrl-K önig habe angefangen zu erzählen.W ie der sie behandeltund m ißhandelthabe. U nd er:M otive,den Ehem ann oderdie Ehefrau um zubringen,gebe eshinterjederW ohnungstür genug,und doch w erde eherselten ein M ord oderTotschlag daraus.W ie also w illsie ihre Tat bew eisen.Sie habe furchtbargelacht.O b das eine folie allem ande sei!A ndersw o m üsse m an seine U nschuld bew eisen,in D eutschland also auch noch die Schuld.A utrem entdit:Erhabe alles zurK enntnis genom m en,habe sie aberw iedergehen lassen.D ie M adam e habe w ährend des G esprächs eine Zigarre geraucht,gegen die seine Zigaretten totalabstanken.A m m eisten habe ihn beeindruckt,daß sie sich von ihrem M ann bedrohtfühlte.Sie habe einm alim Scherz gesagt,sie w erde das G eheim nis seinerSchuhe derPresse verraten.Erhabe seine Schuhe im m er in A ntw erpen produzieren lassen,die seien innen so gestaltet,daß erin diesen Schuhen zw eieinhalb Zentim etergrößergew esen seials in W irklichkeit.D erA ntw erpenerSchuhm acher arbeitethauptsächlich fürPolitikerund fürG angster.A berinzw ischen seidieses G eheim nis leiderschon durch die RH H -Sippe verplaudertw orden.Sie habe noch eins in petto gehabt.Seine unbrem sbare Ejakulation.A lso,eristdie N ullbefriedigung schlechthin.U nd zw arim m erschon und im m ernoch.W enn du dasverrätst,habe ernach ihrerA ndeutung gesagt,w irstdu esnicht überleben.Seitdem habe sie in A ngstgelebt.U nd als sie einen H elfergefunden habe,habe sie’s gew agt,präventiv tätig zu w erden.In dem A ugenblick,alsersein A uto aufschließen w ollte, habe sie zugestochen,von hinten.G erade w enn m an nichtsichersei,ob m an zu so etw asim Stande sei,schafftm an die K onzentration,die Entschlossenheit,m an w illes sich selber bew eisen.D erK H K habe derM adam e gesagt,da sie sich selbergestellthabe,bestehe keine Fluchtgefahr.Erbitte sie darum ,in genau einerW oche noch einm alzu kom m en,zu einer gründlichen Einvernahm e.Ich sagte,daß seine Entscheidung aufjeden Fallw eise gew esen sei.
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D erK H K :Rein faktisch könnte die Tatso vollbrachtw orden sein.Cosivon Syrgenstein habe sich ja bekanntlich von ihm verabschiedetgehabt,w eilsie früh abfliegen m ußte.D a kann der K om plize Ehrl-K önigsA ufm erksam keitbeanspruchthaben und sie ...und so w eiter.D aß sie die Tatselbervollbrachthaben w ill,istaufjeden Fallvielsagend.Erhabe übrigens sofortein Persönlichkeitsbild derM adam e zusam m entragen lassen.W asfüreine Frau.W itze, K rim inalrom ane,Roulette,das seien,in dieserReihenfolge,ihre Leidenschaften gew esen.Sie habe sogarzu ihm ,dem K H K ,als sie ihrG eständnis hintersich gehabthabe,als sie schon,um sich zu verabschieden,gestanden seien,da habe sie noch gesagt:V ous la connaissez celle-là... U nd zw eihundertK rim ispro Jahr.D ie m uß ihrein PILG RIM -Lektorbesorgen,nach einem Jahr kom m tsie w iederm itzw eiK offern,sie w illdie K rim is nichtim H ausbehalten.A ußerK rim is hatsie nie ein Buch gelesen.U nd fürdas Roulette sorgten die V erlage.Es gibtdas G erücht,daß M adam e einm alim M onatspielen m üsse,sonstertrage sie ihrLeben nicht.Zw ölfV erlage haben sich zusam m engetan.Jeden M onatw ird sie von einem anderen V erlag zu einerRoulette-Partie eingeladen.D a bekanntist,daß sie V erluste nichtertrüge,bekom m tsie jedesm alden Einsatz von den V erlegern.W enn sie gew innt,zahltsie den Einsatz zurück.W enn sie verliert,sagtsie:Pech gehabt.U nd am w ichtigsten seiesihr,daß ihrM ann nichtsdavon erfahre,w edervon G ew inn noch V erlust.M an w eiß aber,daß eres w ußte.Erhatim m erso getan,als w isse eres nicht.Es hätte seine U nbestechlichkeitsaura beschädigt.Er,W edekind,könne m irdas hinplaudern,da es Szenengutsei.A lso nichtganz ernstzu nehm en. Ich riefsofortO lga Redlich an,um ihrzu sagen,esgebe jetzteinen A nw ärterbeziehungsw eise eine A nw ärterin aufdie Schuld,also m üsse von ihrjetztalles nurkein A libigespendetw erden. Sie dankte m ir,w ie ich herauszuhören glaubte,w irklich bew egt.D ie G enüsse des N achrichtenhändlers. A bernach H aarm eldete ich nichtsw eiter.U nd Julia Pelz? D ie m ußte ich anrufen.G eben Sie zu, daß Sie eine ziem lich rohe Spekulantin sind,sagte ich.U nd fragte sie,ob sie nichteinsehen könne,daß esunm enschlich sei,von H ansLach zu erw arten,erbezahle m itseinem Leben,um ihre saturnische G leichung aufgehen zu lassen. Sie sagte:Ludw ig Pilgrim seivorzw eiStunden gestorben.A bernichtdurch den H orrorautorals Pfleger.D erseisofortgefeuertw orden und brüte jetztw ahrscheinlich noch haarsträubendere H andlungen ausalsvorher.Ludw ig seieinfach eingeschlafen und nichtm ehraufgew acht.Ich drückte ihrm ein Beileid aus. W as denn,Beileid,w as fürW örter.Ludw ig Pilgrim starb genau im richtigen A ugenblick.U nd er hatdasaufjene A rtgew ußt,die allein produktiv ist.Erw ußte,esw arZeit,abererm ußte nicht
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w issen,w arum es Zeitw ar.D as w isse nursie.U nd jetztw erde sie handeln.H ans Lach w ird befreit.W asertun konnte,hatergetan. Eben nicht,riefich und servierte ihrdie N achricht:M adam e w ar’s. D asließ sie nichtgelten.D ie spiele sich auf.N och einm alw ichtig m achen,bisdann m ühsam nachgew iesen ist,daß sie’s nichtw ar,derRestistdann St.M oritz,in derBar,w o alle schon auf sie w arten. Ich gestand,daß ich derM adam e auch m ehrden V orsatz zutraute alsdie A usführung. Sie w erden von m irhören,riefsie und legte auf. Ich spazierte durchsV iertel,dasderFöhn inzw ischen ganz getrocknethatte.Ich bog in die Böcklin ein.Frau Lach übte Bartók.O ffenbarkonnte sie nichtzugeben,daß diese beiden Elegien fürsie unerreichbarbleiben könnten.A berw erkann schon zugeben,daß er,w asihm lebensw ichtig ist,nichterreichen kann? Es gab im m erw iederTakte vollkom m enen A usdrucks. D ann blieb w iederdie linke H and hängen.W urde w iederholt.Blieb w iederhängen.W urde ohne die Rechte geübt.D asdurfte eigentlich garnichtsein.D iese schw erelosen Läufe,diese in sich verbissenen A kkorde,die sollten doch aus den Fingern kom m en oderström en,als seien sie da im m erschon drin gew esen.Q uasiim povisando,stehtim N otenheft.M ehrkann eine M usik dem sogenannten Leben nichtentsprechen.Ein-,zw eim alhätte ich ihrA rpeggieren am liebsten m it Händeklatschen gefeiert.V erlangtw ird von unsad libitum .Poco a poco piu grave. Zum G lück w aresschon dunkel,sonsthätte ich nichtso lange stehenbleiben können.Frau Lach istbeschäftigt.W ie m an erfüllendernichtbeschäftigtsein kann.W enn nach U nerreichbarem gieren,dann in derM usik.U nd versuchte,m ein rückhaltlosesU m schalten von derM usik aufein schlichtes G elehrtenzielso sarkastisch w ie m öglich zu em pfinden.Ich w arnie in derG efahr,die Selbstverurteilung überdas M aß des gesundheitlich V ertretbaren hinaustreiben zu lassen.D as w araberschon w iedereine Selbstverurteilung,die nichtals gesund gelten konnte.D raufund D ran.D enk an M aniM ani.D ichterleben gefährlicher.U nd kriegen dann G eneviève W inter trotzdem nicht.G anz schön gem ein.Ich m erkte,daß ich jetztzw ischen O lga Redlich und Julia derG roßen hin-und herdenken m ußte.Leben und Tod.A nderskonnte ich an diese zw eiFrauen nichtdenken.W ie H ansLach um diese O lga gestritten haben m uß.Spürend,daß ernie zw ei Lebenssekunden nach einanderihrersichersein konnte.Sie,das N ichtsalsleben.Er,der D urchem pfinder,bisim m ernichtsm ehrbleibt.Sie,jetzt,im G enuß ihrerSchw angerschaft.Er aufdem Scherbenhaufen einesD aseins,dessen ersich schäm t.U nd ihm hätte sie dasA libi spenden sollen,sich opfern!N iem als,lieberH ansLach!W ie hieß esim W unsch:Schriftsteller sind ununterbrochen (und ununterbrechbar)dam itbeschäftigt,ihr Alibizu notieren.D iesm al fälltdas A libiaus. 118
So denkend,w urde m irvorstellbar,w ie genau Julia die G roße und H ansLach einander entsprachen.A uch w enn H ansLach sich nichtaufdassaturnische V okabularverstünde,in ihm brannte dasschw arze Feuer,dasglühende Eis,die Blum e ausBlut.U nd fühlte m ich plötzlich hingezogen zu den beiden. O lga Redlich ...schön w är’s,das Schönste w är’s,das einzige überhaupt,hinknien fürim m ervor so eineraufderPolsterrolle reitenden Schw angeren ... Zurück.Ich doch nicht. Ich bin aberauch nichtsaturnisch.BeiallerN eigung.Ich lasse in m ireine K raftentstehen gegen die schw arze G ravitation.D aß es Schw erew ellen gibt,w eiß ich,seitich die M ystikerlese.A ber derM ensch,dem sie G ottabtrotzten,w urde erstdurch N ietzsche sprachreif.D ie K riege sind vorbei,aberdie K äm pfe haben erstbegonnen.
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Ich lasjetztdie Zeitungen,als handelte alles,w as da drin stand,von m ir.Ich w arverw ickeltin ein G eschehen,dasnichtsso sehrw arw ie öffentlich.W asessonstnoch w ar,hätte ich nicht sagen können.U nd w ahrscheinlich lasen alle,die an diesem G eschehen teilnahm en,die Zeitungen auch so.A uch dasPolitische und W irtschaftliche lasich in derStim m ung,in die m ich die Ehrl-K önig-N achrichten versetzten.M anchm albeherrschteinen dasG efühl,ganz und garin diesem M ediengew ebe aufzugehen.D u bistnichtsalsein Teildieses M itteilungszusam m enhangs.U nd esgibtaußerdiesem Zusam m enhang nichts.D u w irstbeatm et. D as heißtinform iert.D u selberm ußtnichtm ehrleben.D ann aberleiderdoch.W ieder.EhrlK önig-N achrichten,H ansLach-N euigkeiten,basta.A lles w as sonstnoch geschah oder geschehen w ollte,hatte sich,um geschehen zu können,m itdem allesbeherrschenden Them a zu vereinbaren.SogarderFasching. Ich hatte esschon seitJahren aufgegeben,vom Fasching etw aszu erhoffen,w asm irdasübrige Jahrnichtgebrachthatte,aberein bißchen w eh taterm irschon,derFlitter,derm ich nichtm ehr erreichte.JedesJahrdiese Erinnerungen an alle A ufbrüche zu den Bällen.Tanzen und tanzen.In derim m erirreren H offnung,einm alm iteinerFrau zu tanzen,die genau m itden gleichen H offnungen jetztm itdirtanzte.D ie O hnm acht,m itderm an diese saisonalen Signale passieren läßt,läßtm an am besten aussehen w ie W eisheit. D erRosenm ontag,im m erderschm erzlichste Tag,w artete diesm alw enigstens m iteineralles andere außerK raftsetzenden N achrichtauf:A ndré Ehrl-K önig lebt. A m Sam stag isterzurückgekehrt.V on Schloß Syrgenstein.U nd daserfuhrm an durch ein Interview .G egeben von Cosivon Syrgenstein,die auch w iederin derStadtw ar,die nichtauf Fuerteventura gew esen w ar,die dasnur,um keine Fragen beantw orten zu m üssen,erfunden hatte.Jetzt,sagte sie,beantw orte sie alle Fragen,bis aufeine:W o istEhrl-K önig jetzt.Sie w isse es nicht,w ürde es aber,auch w enn sie es w üßte,nichtsagen.D ies seiihrletztes Interview ,in dem sie den N am en Ehrl-K önig in den M und nehm e.Sie seien übereingekom m en,darübernichts zu sagen.A bersovielkönne sie jetztzum Schluß doch andeuten:Sie,Cosivon Syrgenstein, hätte esin derH and gehabt,A ndré Ehrl-K önig fürlänger,vielleichtfürsehrlange dem Literaturleben zu entziehen.D ashätte abergeheißen,daß auch sie selberm iteinem W onnem ondabseitszufrieden gew esen w äre.D asw äre sie abernicht,da sie ja ihren Rom an Einspeicheln schreiben m üsse.A lso zurück in die G eschirre.Sie.U nd er.A ndré Ehrl-K önig w erde am A scherm ittw och aufderBeerdigung von Ludw ig Pilgrim dasW ortergreifen.D am it 120
gebe sie ihn zurück an den Betrieb und w ünsche ihm alles G ute.Sie selberbedaure keine Sekunde,die sie m itihm verbrachthabe.Sie habe,w as alle schon überEhrl-K önig w issen,in vollem M aß bestätigtgefunden.Esistein G lück,daß w irihn haben.Esw äre nichtzu verantw orten,ihn insPrivate zu entführen.A bgesehen davon,daß dasPrivate seine Sache nicht ist.U nd ihre – siehe Einspeicheln – auch nicht. D am itentließ sie uns. D ann vierA nrufe nach einander:W edekind,derProfessor,O lga Redlich und Julia die G roße. M irw urde gratuliertw ie einem Sieger.Ich w aroffenbardereinzige,derH ansLach die Tatnicht zugetrauthatte.U nd am M ittw och w ich ich ab von m einerG ew ohnheit,überallzu früh hinzukom m en.O bw ohlm ich dortkaum jem and gekannthätte,w ollte ich nichtw eithin sichtbar herum stehen,schon garnichtin derN ähe desoffenen G rabs.Bisich ankam ,w arderFriedhof überfüllt.Ich sah abernoch Julia die G roße hinterdem Sarg herschreiten,ihrG esichtvom Schleierverborgen,und ich sah,direkthinterJulia,A ndré Ehrl-K önig,aufdem K opfsaß ihm ein gew altigerschw arzerH ut.A uch nachher,alserund die anderen Beteiligten,am offenen G rab standen und Reden hielten,sah ich noch seinen H ut.A lserim Trauergefolge an unsZuschauern vorbeiging,sah ich,daß sein G esichtin einem geradezu fürchterlichen Ernsterstarrtw ar. G rim m ig,w ie erfroren.Es w arkein Schönw ettertag.Ein faststürm ischerW ind sorgte in den kahlen Bäum en füreine A rtD röhnen.V on den Reden w ehte esdann und w ann einen Satzfetzen biszu m ir.Ehrl-K önig hatte eindeutig die höchste Stim m lage von allen.Erriefund rief.Rief nach seinem Freund Ludw ig.Riefnach seinem V erlegerPilgrim .Riefnach dem Zeitgenossen Ludw ig Pilgrim .Ich dachte daran,daß eskaum eine D rucksache diesesV erlagesgab,ohne einen rühm enden Ehrl-K önig-Satz.Sein am m eisten gedrucktesLob:Pilgrim-Kultur.U nd eine M enge Sätze derA rt:D er Verlag,den es nur einm algibt.A berich hatte Ehrl-K önig noch nie so rufen gehört,brüllen schon,abernichtrufen.V on allen,die da sprachen und tönten,w arerdereinzige, derm irG änsehäute produzierte.A lso trauern kann er! A bendsw urde im Fernsehen die Beerdigung w iederholt.D a agierte Ehrl-K önig schon auf anderen K anälen.In Lifesendungen und A ufzeichnungen.D asging so noch fastzw eiW ochen lang.Ertratauf,fabelhaftlocker.U nd redete so freim ütig unbeschw ertw ie eh und je.Zw ei W ochen lang gab eskein Programm ohne einen Ehrl-K önig-A uftritt.D a ich m ich jetztfür unterrichtethielt,eingedenk dessen,w asich von und überRH H gehörthatte,glaubte ich,in den einzelnen A uftritten inszenierte W idersprüchlichkeitzu erkennen. M an erfuhr:Ehrl-K önig hat,w ie es sich gehört,die erste Berichterstattung überseinen A usflug einerD am e,genauergesagt,einem fasterw achsenen M ädchen überlassen.Eine D am e w erde Cosivon Syrgenstein nichtso schnell,hoffentlich nie.Erw ünsche ihrfürihren Rom an 121
Einspeicheln alles G ute.Erselbersei,als erin jenerN achtseine W indschutzscheibe von Schnee und Eisbefreien w ollte,von einem heftigen N asenbluten befallen w orden.V on Cosihatte ersich schon im H ofderPilgrim-V illa verabschiedetgehabt.Cosihatte ihrgew altiges A uto unterm D ach derFreiluftgarage im H ofgeparktgehabt,m ußte also nureinsteigen und losfahren.A ber sie hieltan beiihm .W inkte.Erstieg einfach ein.D en Pullover,den blutbefleckten,ließ er liegen.A b ging´sgen Syrgenstein.Esgibtkeine N aturkatastrophe gegen die dieses V ierradantriebluxusm onsternichtankäm e.Cosihabe ihn dem G efährtvorgestelltw ie m an einem G ottein O pfervorstellt:H ierbring ich dirD r.m ult.h.c.A ndré Ehrl-König.Und zu ihm :Vertrau dich ganz dem Toyota M ega Cruiseran,den esaufdieserErde nureinhundertachtundvierzigm al gibt.U nd erließ esgeschehen.D urfte ernichtauch einm alm üde sein? D ie N ase,noch blutig, einm alvollhaben vom D ienstfürdie doitsche Literatür? Es w areine m ärchenhafte Fahrthinaus und hinaufnach Schloß Syrgenstein.D asdurften sie sich doch gönnen.Ew ig in derM ühle. Einm aljäh tun,w as m an w ill.M an m erkt,w as m an w irkelich w illerst,w enn m an es tut.D aß sie beidiesen w aagrechtgegen die Luxusscheinw erferanstiebenden Schneem assen überhaupt irgendw ohin käm en,w arunw ahrscheinlich.Ihm w ar’s recht.Beloß keine doitsche Literatür m ehr.A berdaszarte M ädellenkte die götteliche K arosse gegen Schnee und N achtund Sturm in ihren Scheloßhofhinaufund batihn einzutereten.Erstalssie lasen und hörten und sahen,w ie ihr A usfelug von den M edien verarbeitetw urde,seiihm die Idee gekom m en,m itzuspielen,das heißt:jetztnichtgeleich w iederauftauchen!Zuw arten,die Sache sich entew ickeln lassen, vielleichtw erde sogarnoch ein Lehrstück daraus.U nd es seieins gew orden.H auptdarsteller H ans Lach.A berauch andere seien kenntelichergew orden als sie ihm vorhergew esen w aren.Er gestehe,daß ersogareine N eigung verspürthabe,fürim m eraufScheloß Syrgenstein zu bleiben. A beralserdiese N eigung habe m erken lassen,habe sich Cosiderastisch verändert.Sie darfdoch so kalkulierthaben:w enn derhieraufSyrgenstein fürim m erverborgen residiert,nützterm ich rein garnichts.A lso zurück m itihm in den Beterieb,daß erw iederBem erkungen m achen kann, die m irnützen.So kann sie,habe ergedacht,gedachthaben.A lso seinem Beleiben auf Syrgenstein seien G erenzen,zeiteliche und andere,erw achsen.N atürlich hatCosim ich dazu eingeladen,alles zu lesen,w as sie fürEinspeicheln schon gescherieben hat,m ehrnotiertals gescherieben.Es istnichtsehrviel.D as w enige habe ernun schnelloderlangsam lesen können. Erhabe dasLesetem po stereng bestim m tnach deröffentelichen Entw ickelung desFallsEhrlK önig-H ansLach.Solange dasK onfelikt-oderdas W ahrheitspotential,das in diesem Fall enthalten zu sein schien,nichtausgereiztw ar,w ürde ersich nichtzurückm elden.D erA nkelage, eine hohe Behörde an derN ase herum geführtund diversen Schelaum eiern diverse Fragen gestelltzu haben,sehe ergelassen entgegen,denn:Es w arein längstfälliges Lehrstück über 122
W ahrheitund Lüge im K ulturbeterieb.Erstalsseine nichthoch genug zu verehrende N ancy sich habe hinreißen lassen,die ungetane Tatauch zu derihrigen zu m achen,erstda habe ergew ußt: Lehrstück beendet.Syrgenstein adieu.Erhabe außerN ancy nie eine Ferau geliebt.U nd N ancy liebe erim m ernoch,w ie ersie von A nfang an geliebthabe.Erhabe,seitervon Syrgenstein zurück sei,N ancy noch nichtgesehen.Errufe ihrausallen Fernsehperogeram m en zu,w ie schon öfter,w ie eigentelich im m er.U nd erw age es,sie so öffentelich um V erzeihung zu bitten,w eiler sich seinerLiebe zu ihrso ganz und garsicherseiund deshalb w isse,ergehöre zu ihr,sie gehöre zu ihm .W em auch im m ererda und dorterotischen K auderw elsch zugerufen oder– geraunt habe–,da seiw enigergew esen als einm aldie H ändew aschen und geleich daraufabgeterocknet. Erbenutze die durch diese ungepelanten Ereignisse entstandene Situation,ihrzum allerersten M alund in uneingeschränkterÖ ffentelichkeitseine absolute Zuneigung und im m erw ährende Liebe zu gestehen. D ann w arzu sehen,w ie eraufseine G rünw alderA dresse zufuhr.W ie ein Schauspieler.O der w arerw irklich so aufgeregt? W ird sie ihn em pfangen oderabw eisen.A bw eisen,das hieße:für im m er.G etrenntfürim m er.W ir,die Zuschauererfuhren:W enn sie ihn em pfange,seien alle Haus-und H oflichterseines G rünw alderH auses in derEichleitenstraße eingeschaltet.A lles w ar überdasFernsehen bekanntgew orden.U m sieben U hrabendsw ürde erm itdem Taxivordem G artentorhalten.U m sieben U hrabendshieltdasTaxivordem G artentor.D er,den m an gerade noch vorA ufregung fiebernd in G roßaufnahm e gesehen hatte,stieg (halbnah)jetztaus,ging durchshellerleuchtete Tor,ging aufdem Plattenw eg aufdas aus allen Fenstern hellstens strahlende H auszu,die H austüre w aroffen,und da erschien im schönsten LichtM adam e.Er küßte ihrdie H and.D ann boterihrden A rm an,sie hängte sich ein,beide verschw anden im H aus,die Türe schloß sich,und von einem A ugenblick aufden anderen erloschen alle Lichter. D iese letzten A ugenblicke,vom Taxibiszum H andkuß und Perarm verschw inden im H aus, w aren unterlegtm itderH ändelschen Festm usik,unsallen bekanntalsdie M usik,m itderdie SPRECH STU ND E begann und aufhörte. U nd am nächsten Tag gab M adam e noch ein knitzesInterview .In einerH and die Zigarre,in der anderen das Cham pagnerglas,sagte sie lächelnd:Sie habe gew ußt,w enn sie sage,sie habe A ndré um gebracht,w ird ersofortzurückkom m en.U nd so w aresdann auch.D aß ernichtum gebracht w orden ist,seiihrim m erklargew esen.U m gebrachtzu w erden paßtdoch nichtzu A ndré EhrlK önig,ich bitte Sie.U nd trank unszu.
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III.VERKLÄRUNG
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1 A m 23.A prilsind w iraufderInselgelandet.A nno 1616 w ardas derTodestag von Shakespeare und von Cervantes,stehtirgendw o beiTurgenjew .Bernardo hatunsaufdem Flughafen Porto delRosario abgeholt,ich sagte Buenos días,erdeutete aufseine U hrund sagte:..tardes.Julia fletschte sarkastisch zu m irhin.D as heißt,sie preßte ihre Lippen so zusam m en,daß die nurnoch ein W ulstw aren,und zog die linke Braue hoch. Ich sagte:Julia,ich w erde noch ganz andere Fehlerm achen. Aufdem auf-und abführenden und sich durch im m ergleich leere Landschaften w indenden A sphaltband w urde esm irim m erw ohler.So w eitw arich noch nie w eg gew esen.V on dort.V on m ir. D ie V ersuchung,unterdem N am en M ichaelLandolfw eiterzuschreiben,w argroß.U nd ganz sicher,daß ich ihrjetztw iderstehen w ürde,w arich,als w iraufderInsellandeten,noch nicht. D urch das,w as m irpassiertw aroderw as ich m irgeleistethatte,w arin m irein Bedürfnis gew achsen,ausm einem N am en auszuw andern w ie auseinerverw üsteten Stadt.A uch gefielm ir M ichaelLandolfim m erbesser.Julia Pelz hatte das alles nichtgelten lassen können.Sie w erde m ich zurückführen zum eigenen N am en,hatte sie gesagtund hatte ihre Porzellanfingerm itder siebten,derabw ärts w eisenden goldenen Zacke ihres Sterns im M editationskreis spielen lassen. V orallem :keine Entscheidung jetzt.N ichtsalsfortjetzt.Esgibtgegen K atastrophen keine w irksam ere H ilfe als D istanz,hatte sie gesagt. A lsdasA sphaltband aufeinen H ügelbog,derm itV illen besetztw ar,sagte sie:D a! Sie m einte offensichtlich die Fahnen,die überden hohen U m fassungsm auern dieserV illen flatterten.Firm enfahnen w ahrscheinlich,Langnese,O etker,Bahlsen,Reem tsm a vielleicht,sogar eine Reichkriegsflagge des ersten W eltkriegs flatterte m it,aberauch die sanftere dreifarbige K anarenflagge,zum G lück. D aß um die PILG RIM -V illa keine Fahnen w ehten,tatm irgut.A ndererseitsbegriffich,daß dieserungestüm e Fuerteventuraw ind zum Flaggenhissen verführen kann.W enn du dich deinem N am en w iedernähern kannst,dann hier,dachte ich.Laß direine H ansLach-Fahne drucken, hisse sie,den Restbesorgtderdeine Fahne blähende Fuerteventuraw ind.M ichaelLandolf,ich danke dirdafür,daß du m irU nterschlupfgew ährthast.U nd ziehe aus.Scheinbew egungen sind das.Erzählerund Ezähltersind eins.Sow ieso und im m er.U nd w enn dereine sich verm um m en m uß,um sagen zu können,w ie derandere sich schäm t,dann istdasnichtsalsdasgew öhnliche Erm öglichungstheater,dessen jede m enschliche Ä ußerung bedarf.G laube ich.W erauch im m er das sei.
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D ie in die hohe U m fassungsm auereingelassene G aragentürw arperFernsteuerung aufgegangen; sobald w irdie G arage zum H ofhin verließen,standen w iraufFliesen;ein gefliesterW eg bog sich zum H aushinauf.D ie H austüre ein Torw ie zu einem Tem pel,zu einerM oschee vielleicht, die Fliesen w aren ja auch arabesk,und Bernardo kam m irjetzt,alserm itunserem G epäck vor unsherging,nichtm ehrw ie ein Spaniervor,sondern w ie ein A raber.Julia sprach Spanisch m it ihm ,ich konnte m ich ihm ,solange ich im Spanischen noch ganz unbeholfen w ar,auch deutsch verständlich m achen.Erw arK och,K ellner,H ausm eister,G ärtnerund Chauffeur,und in allem gleich gut.A berseine Freundlichkeitsbegabung w arnoch größeralsalle anderen Begabungen, überdie er,als w üßte ernichts von ihnen,traum haftoderträum erisch verfügte.V ielleichtsollte ich sagen:m editativ verfügte.Erw irkte,obw ohleralles besorgte,nie aktivistisch,dienerisch, sondern eben m editativ.Selbstw enn erdas Essen servierte,schien es,als seierganz und garnur beisich,und seine H ände täten,w as sie taten,von selbst. Julia sah,daß ich staunte.A ls Benardo draußen w ar,sagte sie:A ls Ludw ig das H aus kaufte, gehörte Bernardo dazu.Ludw ig hatihm dann eine K arriere erm öglicht.H atihn lernen lassen, heiraten lassen,hatihn gefördert,daß erein H äuschen bauen konnte,erbeherrschtja auch alle dazu nötigen H andw erke. D a ich in den ersten W ochen täglich Spanisch lernte – täglich kam Sunhilda Sánchez nachm ittagsum vierinsH aus– konnte ich Bernardo m eine Bew underung bald genauerw issen lassen.Ich hatte allerdings das G efühl,daß ihn,w as ich herausbrachte,nichtbeeindruckte. Bernardo zeigte m irm eine Zim m er.N ach O sten hinaus,aufsM eer.Ein Balkon,so breitw ie beide Zim m er.A berbevorderBlick das M eererreichte,brachte ernoch die O leander-und G inster-und M im osenbüsche hintersich,die hierja eherBäum e w aren als Büsche.D ie M öbel zw ischen den w eißen W änden m einerZim m erw aren alle ausdunklem H olz.D asBad so orientalisch gefliestw ie derH of,w ie derW eg hinaufzum H aus. Ich fragte Julia,w ie lange ich aufderInselbleiben könne. So lange Sie können,sagte sie. Sind w irein phantastisches Paar? fragte ich sie. Sie schlug vor,daß w ir,auch w enn w irm iteinanderin einem Bettlägen,danach w iederSie sagten zu einander. O derad libitum ,sagte ich. Einverstanden,sagte sie. D aran m ußte ich m ich gew öhnen:sie m ußte m itallem ,dam itesgeschehen konnte, einverstanden sein und das gesagthaben,daß sie einverstanden sei.U nverabredetdurfte nichts geschehen.D araufw ies ich sie hin.Sie sagte:N a und! 126
Ich verbrachte vielZeitim Freien.A ufm einem Balkon.M itM eerblick.M anchm alw illdas M eer nichtw issen,w o esaufhörtund w o derH im m elbeginnt.Jeden N achm ittag um vierkam Sunhilda Sánchez und lehrte m ich Spanisch.Ich hatte darum gebeten,anzufangen m itlas palabrasde todoslosdías.W asfüreine Sprache,in dercuenta Rechnung und cuento Erzählung heißt. Spanisch paßte zu Julia vielbesserals D eutsch.Ihrem Bew egungsstil,das heißtihren jähen,aber im m ergenau gefangenen Bew egungen entsprach die harte,abernie grobe Eleganz dieser Sprache.Sie las m irU nam uno vor.D ie Sonette,die ergeschrieben hat,w eilervon Prim o de Rivera aufdiese Inselverbanntw orden w ar.Julia w ollte,daß m ich diese Sonette hier w illkom m en heißen sollten.La Isla de los D esterrados hieß die Inseldam als. Fürm ein ProjektVon Seuse zu Nietzsche entdeckte ich in Julias Bibliothek die Poesíasvon San Juan de la Cruz.Canciones entre elalm a y elesposo.W ie fürm ich geschrieben.Julia halfbeim V erstehen.Ich lebte von Julia,m itJulia,durch Julia.D ie m irverw andteste Figurdürfte in dieser ZeitRobinson Crusoe gew esen sein.Julia,m ein Freitag.A berjeden Tag fuhrderLasterm it Erdinger W eißbier vorbei.W enn ich erm üdete,las ich G edichte von Lorca,die so schön sind, w ie die Erde gew esen sein m uß,bevoresM enschen gab.Son lascuatro en punto schallte vom Club M editerrané die Program m ansage herauf.V ierU hrG ym nastik m itH eike.FünfU hr Entspannung m itA ndrea.Ein Blattlandete aufderBrüstung w ie ein V ogelund flog w eiter.Ich folgte nicht. N ach fünfW ochen flog Julia zum ersten M alzurück nach M ünchen.In m einem A rbeitszim m er stand ein Fernsehapparat,den ich bisjetztnurzum Spanischlernen benutzthatte.Jetztgerietich beim Zappen in deutsche Program m e und blieb (natürlich)hängen an A ndré Ehrl-K önig.D afür w aralso gesorgt.Erorgelte w ie eh und je.Ich nahm esm irübel,daß ich zuschaute.Ich durfte nichtzurück nach M ünchen.Ich w ürde ja doch w iederK ontaktsuchen zu diesem M edienm ann. Ich m ußte m ich fürunverbesserlich halten.Ersprach gerade überdasBuch einerA utorin.Ein G utesBuch.N urihre Stücke seien schlecht.K lar.Eine Frau könne doch keine guten Stücke schreiben.Sobald erdas sage,höre erim m er:U nd M arie Luise Feleißer!Jaa!D as sagen die Leute,w eilsie nichtw issen,daß die FeleißernurG ute Stücke gescherieben hat,solange sie m it Berechtgeschelafen hat.D asPublikum lachte,klatschte,w arbegeistert. N ichtzurück! In dernächsten N achthabe ich geträum t:U m zu hassen,brauch ich ein Zim m er.Im Freien kann ich nichthassen. D as M eeristlautU nam uno una experiencia religiosa,alguín diría que m ística.
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Ich rief,solange Julia w eg w ar,O lga an.Sie stand kurz vorderN iederkunftund konnte erst einm alnurüberSchw angerschaftssensationen plappern.D asm achte m irdasG etrenntsein von ihrfasterträglich.O bw ohlich von allen gleich w eitw eg w ar,w eh tatnurdie Entfernung von ihr. Ich w ußte noch nicht,w ie ich dam itleben sollte,daß sie jetztnichtm ehrm eine Frau w ar.D as w arsie gew esen.Eine Zeitlang.U nd Erna hateszulassen m üssen.O lgas Schw angerschaftsgeplapperm ußte ich förm lich inhalieren,vielleichtgelang so eine A rtD istanz. Schlafen w ürde ihrJan im A ugenblick nichtm itihr.W ahrscheinlich.A bersie w ürde ihn bedienen.Sie w ar,w enn sie liebte,scheußlich begabt.Ihren Jan liebte sie.Schon w eilerihrdas K ind gem achthatte.D erarchaische K inderw unsch,sagtdazu derG ynäkologe.D ann noch, w enigerheftig,dasG ejam m erüberdie Firm a,ausO akland keine neuen,keine verbesserten Com puterprogram m e fürdie A rchitekten,aberderU m satz sollgesteigertw erden,sonst... Sie hörte auf,seufzte,entschuldigte sich,fragte,w ie esm irgehe,jetzt,w o alles,zum G lück,so gutgeendethabe.Esseien die schlim m sten Tage ihresLebensgew esen,alssie von m einem G eständnis erfahren habe.Sie habe ja gew ußt,daß ich ihrdam ithabe signalisieren w ollen: Liefere endlich das A libi!D as aberhätte geheißen:Jan verläßtsie.Jan seinoch eifersüchtigerals ich.A berviellängerhätte sie den D ruck nichtm ehrausgehalten.Sie w arso w eit,Jan alleszu gestehen,dann zurPolizei,aberda kom m tdie N achricht:D erlebt.Schönerseinoch nie eine N achrichtgew esen. Ich riefErna an,fragte,w eilw irbeide schw iegen,w ie es den Bartók-Elegien gehe,zeigte ihr, daß ich m ich ihrinnig verbunden fühlte und daß ich,w enn ich m ich zum bloßen K onsum enten von G efühlen entw ickeln könnte,m itihrleben w ürde,aberin m irgehe eszu w ie beieinem W ettergeschehen,beidem sich siebzehn W etterdarum stritten,den A usschlag zu geben,m ein Zustand seiderderH altlosigkeit.W erm ich am m eisten schütze,derhabe m ich.ZurZeit.U nd das seijetztJulia.Ich versprach Erna,im m erw iederanzurufen.D a sie sich so gefaßtgab,w ar ich vorD ankbarkeitfastbestürzt.A berw eilich A ngsthatte,sie w erde die Fassung gleich w ieder verlieren,ließ ich das G espräch schnellenden. Jeden A bend riefJulia an.Ich reagierte,bevorw irm iteinandersprachen,jedesm alm iteinem Freudenausbruch.Ich schüttete m ich förm lich hin vorsie.M irw ardanach.Ich w underte m ich selbstüberm ich.Ich glaubte m ireigentlich nicht,w as da aus m irherausdrängte,aber gleichzeitig erlebte ich,daß ich m ich gern so hem m ungsloserfreutund selig reden hörte. Jedesm alpries ich ihre Stim m e.G ratulierte ihrdazu,daß sie ihre Stim m e,egalw asdie gerade zu sagen hatte,nach Belieben insbloß noch blank H ohe oderinseinnehm end Tiefe dirigieren konnte.D asw irkte aufm ich alsK raftpur.M irfehlte nichtsso sehrw ie K raft.Ü berm ut,dasw ar es,w as dieses w illkürliche H in und H erzw ischen Sopran und A ltausdrückte.N ichts als 128
Ü berm ut.N ichts als Ichkannm achenw asichw ill.N ichts als Ichbinderfreiestem enschderw elt. N ichts als Ichbindiereinekraft.U nd sie ließ m ich spüren,daß sie m itm irm ehrvorhatte,als sie aussprach.IhrW illiam Blake konnte ich w ohlnichtw erden.Irgendeinen trivialen Satanism us konnte sie auch nichtplanen.U nsere geschlechtliche Praxisverliefganz unterihrerRegie.Sie bezeichnete m ich da als Entw icklungsland.D as w arm irrecht.Sie w areine V irtuosin,die verbergen konnte,daß sie eine w ar.Sie w areine A nfängerin-V irtuosin.N ichts sollte w ie Routine w irken.Sie tatalles,alstue sie’szum ersten M al.M an w ußte,daß dasnichtsein konnte,aberich w arbew egtvon diesem W illen,alleserscheinen zu lassen,alskom m e esnurdadurch zustande, daß sie und ich unsgetroffen hatten.Sie m achte ausunsZw eien etw asEinm aliges.Ich w ußte, daß das nichtsein konnte.A berich glaubte,daß es so sei.U nd ihrK örperw areine A rt saturnischesM irakel.Sie schien seitetw a ihrem vierzigsten Jahrkeinen Tag ältergew orden zu sein.U nd dieses vollkom m ene Erhaltensein w urde durch die A rt,w ie sie es praktizierte,lebte, zurIntensität,zurEnthobenheit,zurSchönheitskunst. N ach unseren Telephongesprächen lag ich im m erlange w ach und hörte den G eräuschen zu,die derW ind hierm itden härteren Blättern vollbrachte.K ein Blätterrauschen w ie in der Böcklinstraße,sondern ein K lappern und K ratzen und Poltern.A ggressiv.Besonders w as an den H ausw änden hochw uchs,w urde laut.Lauteralsfünfzig M eterunterunsdasM eer.Ein K om ponisthätte diesem A ngebotkaum w iderstehen können. Zum G lück blieb Julia nie längeralszehn Tage in M ünchen.O hne sie w arich nichtsalshaltlos. Ich hätte telephonieren können ohne Ende.M itjedem und jeder.U nd jedem und jederdassagen, w as deroderdie von m irhören w ollte.Ich w arsozusagen ein N ichts.Julia w ardereinzige M ensch,m itdem ich überm eine H altlosigkeitsprechen konnte.U nd zw arohne Rücksichtauf sie oderm ich.U nd sie konnte m itm irüberihre saturnischen Tendenzen sprechen w ie m it niem andem sonst.Sagte sie.W irhörten einanderso zu,daß dasSagen fürbeide zurErfahrung w urde,zurSelbsterfahrung. A lssie vom zw eiten M ünchen-A usflug zurückkam,brachte sie eine Zeitung m iteiner Todesanzeige m it.M aniM ani.U nd eine Zeitung,in derderTod gem eldetw urde alsSprung von derG roßhesseloherBrücke.D as w ardie Brücke,unterdererseine G edichte verbrannthatte. U nd einen Briefbrachte sie,von M aniM anian m ich,adressiertan den PILG RIM -V erlag. A ls eine A rtÜ berschriftstand da:A bschiedsbrief.Ich las ihn Julia und m irvor:
LieberM eister,Sie sind abgehauen,ich haue auch ab,stellvertretenderSelbstm ord,die echoträchtigste Lösung.Sie sollen esnichtkrum m nehm en,daß Sie nichtzu m einen V orbildern zählen.Sie nehm en’skrum m ,ich w eiß,aberm eine V orbildersind unverrückbar.D ergleichen 129
folgtderSternstundenzeit,klick,ein füralle M al.BerntStreiffistm irV orbild nurm itder Tulpen-Trilogie.N urda gelingtesihm ,die W eltim O rnam entverschw inden zu lassen.In Ihren K reisen,(literarischen)killtdas den Erfolg.Beim irheim sterTrium ph ein.V ielleichtein keltisches Erbe,die W eltim O rnam entverschw inden lassen.D ie W eltistalles,w as derPhallist. (V on w em istjetztdas schon w ieder?)A bereben deshalb m uß sie im O rnam entverschw inden. The w innertakes itall.The looserhas to fall.U nd RolfH ochhuth,derPrinz der G eschichtsträchtigkeitüberhaupt.U nd dasU ngeschützteste,dases(außerm irnatürlich,klar!) gibt.U nd Else Lasker-Schülersunkom plizierte Zärtlichkeitstreicheltm ich,w o ich gestreichelt w erden m uß.Sie sind m ein M eister,w eilSie den M und aufm achen,bisesIhnen selberw ehtut. Sie sind kein V orbild,sondern eine altm eisterliche W arnung:cave veritatem .U nd ich hinterlasse Ihnen den Rat,den nurich Ihnen hinterlassen kann:W erverfolgtw ird (w ie Sie und ich),dertut gutdaran,beiseinen V erfolgern den Eindruck zu produzieren,erw isse,daß ergarnichtverfolgt w erde,erw isse,daß es ein W ahn sei,derihm vorspiegle,verfolgtzu w erden,kurz,erw isse,daß eran V erfolgungsw ahn leide.D ashatden V orteil,daß erdann und w ann zu jem andem von seinem V erfolgtsein sprechen kann.K ein M ensch kann sich dafürinteressieren,daß einer verfolgtw ird,aberw enn einersagt,erbilde sich ein,verfolgtzu w erden,w ird ergleich interessant.U nterderV orgabe,ich bildete m irein,verfolgtzu sein,habe ich im m erw ieder aufm erksam e Zuhörergefunden.In derN ussbaum straße,in derM enterschw aige und sogarin H aar.A berauch außerhalb derA nstalten.Esistja heute jederTeilhaberan irgendeinem ärztlichen V okabularund scharfdarauf,esanzuw enden.D asV okabularderM edizin darf als dem okratisiertgelten.Jederterrorisiertdich jetztm itden V okabularfragm enten,die er aufgeschnappthat.D as istzw ardas G egenteilderfrüheren K astenherrschaftderÄ rzte,aberes gehörtnun einm alzu den m enschlichen V erhältnissen,daß etw asdasG egenteilvon etw asist und doch genau so schlim m w ie das,w ovon es das G egenteilist.In derN aturnichtvorstellbar. N atürlich darfm an w ederdem A rztnoch dem Laien sagen,von w em m an sich einbildet,verfolgt zu sein. M an m uß,bevorm an zuvielverrät,die U nterhaltung abbrechen.Etw a so:D asSchlim m ste w äre, w enn derV erfolgererführe,daß m an sich einbildet,von ihm verfolgtw orden zu sein.Ich,M ani M ani,kann jederzeitdienen m iteinerH intergrunderforschung desV erfolgtseins beziehungsw eise des W ahns,verfolgtzu sein.D as istdie W irkung,die Feindschaftaufeinen hat. W enn ich hätte am Leben bleiben können,also berühm tgew orden w äre,hätte ich Preise und A uszeichnungen jederA rtannehm en m üssen.U nd esgibtnichtsErbärm licheresalsdas A nnehm en von Preisen und A uszeichnungen.D asw eiß jeder,und doch kann’skeiner verm eiden.W arum ?!D ie Feinde w ollen einen abschaffen.D ie G egnerw ollen einen so klein 130
m achen,daß m an sich selbernichtm ehrbegriffe.A lso m uß m an Preise und A uszeichnungen annehm en,um den G egnern ihrV ernichtungshandw erk zu erschw eren. U nsere G esellschaftistso verfaßt,daß Feindschaftund G egnerschaftbessergedeihen als Freundschaftund Liebe.U nsere K ulturw illesso,daß einem ein Feind m ehrschaden,alseinem ein Freund nützen kann.V orallem anderen sind w ireine G esellschaftvon V erfolgten und V erfolgern.U nd jederistbeides,V erfolgterund V erfolger.Jederhateine deutlichere Erfahrung vom V erfolgtsein alsdavon,selberV erfolgerzu sein.W irm erken deutlicher,w asunsangetan w ird,als w as w iranderen antun,klar.Ich bin natürlich w ederdas eine noch das andere,ich bilde esm irja nurein,verfolgtzu w erden oderzu verfolgen.U nd frage m ich,ob ich ein Rechthabe, solche ehrw ürdigen W örterüberhauptin A nspruch zu nehm en!V erfolgterund V erfolger! Ü berhaupt:V erfolgung!In dieserkeinen A bend ohne Fernsehfußballverbringenden G esellschaft.W erhatda noch Zeitzum V erfolgen!Ich w erde m ich hüten zu bew eisen,w asich w eiß.A ndeuten m uß ich:V erfolgung findetheute stattuntereinerFlora von M im ikry.V erfolger treten heute aufals Freunde (zum BeispielG eorg,seinerseits K ünstler,grabschtm irH annelore w eg w ie nichts).U nd die Feinde und G egnersind m itjederSorte Rechtund Legitim itätim Bund.Sie käm pfen fürdasG utew ürdige überhaupt.D eshalb rate ich – verm ächtnishaft– jedem , nie zuzugeben,daß erverfolgtw erde,sondern im m erzu sagen,erbilde sich nurein,verfolgtzu w erden.Sofortisterdann nichtm ehrderso und so M angelhafte,den m an kleinkriegen oder abschaffen m uß,sondern ein arm erLeidender,dem m an zw arnichthelfen kann,deraberin irgendeinerBezeichnung unterzubringen istund da sein D asein noch garverhauchen kann.U m jetztganz genau zu sein,verkündetM aniM ani:w enn du sagst,du seistverfolgt,stürzen sie auf dich zu und rufen W ahn!A llesW ahn!U nd zw arFreund und Feind!A berw enn du selberalles, w orunterdu zu leiden hast,als deinen W ahn anbietest,dann bistdu w enigstens der,derdie Initiative hat.D u kannstdie ganze Schartanzen lassen nach deinerPfeife.Einen Frieden gibtes nicht.A berzum G lück eine Erm attung.W enn die W örterkleine Tiere w ären,denen m an U nsterblichkeitbeibringen könnte,bliebe ich noch ein bißchen da.Esgibtnichts Journalistischeres als den TitelD ie letzten Tage der M enschheit.D aß da nichtschon die Buchstaben in ein seelenbetäubendesW iehern verfallen sind,läßtm ich an den Buchstaben endgültig zw eifeln.N ichtverzw eifeln.A bereben erm atten.ZurG änze.Es w arein w underbares Leben.V on A bba überG eneviève W interbiszurN aturkatastrophe Pflegereins.Schw arz stehen die Bäum e jetztvordergleißenden W and.W eilich m itm irselberso ganz und gareinverstanden bin – w enn ich auch m anchm alzu schw ach bin,daszugegeben –,kann ich m irgarnicht vorstellen,w ie w enig einverstanden andere m itm irsind.
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Ich w eiß,ich m üßte derSchw äche eine G egenschw äche entgegensetzen.Ich w eiß,ich m üßte. D asH öchste,w asm an erreichen kann,einem Feind sagen,daß m an sich nichtm ehrfürihn interessiere.D as Feld überlassen.A usscheren.Es fügtsich w underbar.Ertrifftein.Ich w ill sow ieso gerade gehen beziehungsw eise fliehen beziehungsw eise fliegen.N ehm en Sie zur K enntnis,verbreiten Sie’s:ich springe nicht,w eilderH errjetztw iederaufdem Bildschirm rudert,alsseierandauernd am U ntergehen,ich springe (und zw arvon derm irseitder M enterschw aige hochvertrauten G roßhesseloherBrücke),w eilich m ich m ehrliebe,alsderRest derM enschheitdasschafft.M ich ruftFreund H ein(e).Ich folge.Fürm einen N achruhm ist gesorgt.Sobald die G uten abdanken,sind w irdran.Schön böse und schw einefriedlich.D ie G erechtigkeitskriege w erden vorbeisein.K einerm uß m ehr,um gutzu sein,einen anderen böse nennen.Ich kann’sgarnichterw arten. N un denken Sie m alschön nach,w as das heißt:stellvertretenderSelbstm ord. IhrM item pfinden erw artend,grüße ich als IhrM aniM ani. LetztesPS:Ich bin glücklich,verstehen Sie.G lück m achtgeschw ätzig.U nglück auch.
Julia und ich sahen einanderan. Pobre chico,sagte ich. D en zu retten,bin ich w ahrscheinlich geboren w orden,sagte sie. D askannstdu beijedem sagen,dersich um bringt,sagte ich. W irschw iegen einanderan. D ann sagte ich:
D raufund D ran Poetund Poesie Selbstporträtm itSpiegel.
Julia sagte:N ein.Sie hatin M ünchen schon alleszusam m entragen lassen,w asvon M aniM ani geblieben ist,dam itw ird sie ihm hiereinen Raum bereiten.D erw ird w irken. Sie m erkte,daß m irdas zu hoch w ar.Sie w ollen ihn ausliefern,sagte sie,an den Betrieb. A ch,Julia,sagte ich.StellvertretenderSelbstm ord,sagte sie,das verpflichtet.U nd daß erhierher w ill,sagterschaurig genau. D iesesG espräch fand stattin ihrem A rbeitszim m er:eine Lacktapete m itschw arzen und w eißen Streifen,die schw arzen ein bißchen breiterals die w eißen.U nd von derD ecke schw ebte an einer silbernen K ette ein schw arzerEngelm itgrünen Flügeln.M itbeiden H änden hieltderEngeleine silberne Sichel.U nd an den zw eiW änden,die von keinerTürund von keinem Fenster unterbrochen w urden,hingen zw eiriesige,aufH olz gezogene K opien derBlakegem älde,auf denen die Zw illinge U rizen und LosihrG etrenntsein erleiden.Lassen Sie m ich nurm achen, 132
sagte Julia und drehte den K opfein bißchen zurSeite,nurum m ich dann ausden A ugenw inkeln anschauen zu können.D azu den gew ulsteten M und.D azu die beiden Zeigefingersenkrecht.D as w arihre verw egenste Pose. Ich konnte nichtsm ehrsagen.Ich hatte essatt,allem ,w aspassierte,einen Sinn geben zu m üssen.
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W enn w irnichtschw am m en,lasen w ir,schrieben w ir.Sie fing an,abends vorzulesen,w as sie tagsübergeschrieben hatte. D as fand im G rünen Salon statt,so genannt,w eilD ecke und Boden grün glänzten und die von dunklen H ölzern gehaltenen Polsterebenfalls,die allerdingsim dunkelsten G rün überhaupt.In derRaum m itte hing von derD ecke an einem Strick auch eine Sichel.A bereine uralte.Einer Bäuerin abgekauft.In Tiscam anita.A us derInselzeitde los m ajoreros. Julia ging im Zim m erhin und her.Ihre liebste K leidung offenbar,hierund in M ünchen,w enn auch in M ünchen ausanderen M aterialien:im m erdie aufden H üften sitzende H ose,die biszu den K nien ehereng w ar,dann aberw eiterw urde und kurz überden K nöcheln richtig w eit aufhörte.D azu im m erderM antel,eng,bisknapp zu den K nien reichend.U nd daß derM antel offen blieb,ohne w irklich aufzugehen,w arim m erw iedererstaunlich.A ufderInselfand dasin W eiß statt,in Leinen und Seide.In M ünchen in Schw arz. A llm ählich begriffich Silbenfuchs:im m erw ie gerade vom Pferd gesprungen.V ergessen hatte er,daß sie im D am ensitz geritten w ar,eine Peitsche in derH and hatte,w eilsie die Zirkusdirektorin w ar,die die Pferdedressurvorführte.Ihren K opfhieltsie doch so,daß m an den Zylinderförm lich sah. Sie las,m ußte abergleich w iederaufhören,w eilihre A ugen brannten.Sie rieb heftig,es nützte nichts. Laß m ich m al,sagte ich und leckte ihrsorgfältig beide A ugen aus,bissie nichtm ehrbrannten. Ich danke Ihnen,sagte sie. W enn bloß alles so einfach w äre,sagte ich.Ich sagte,daß ich von ihrlerne.Ihre Entscheidung, fürM aniM anihiereine Stätte zu etablieren,w erfe alle A ltäre um ,an denen ich je geopferthabe. Sie sagte,eine Zeitlang habe sie geglaubt,sie habe sich in m irgetäuscht.D ann allm ählich seiihr aufgegangen,daß sie sich in sich getäuschthabe.Sie habe in m irdie Fähigkeit,derW eltw eh zu tun,erhofft.Totaldaneben.Sie sind entsprechungssüchtig. Ich:Stim m t. Sie:W arum von Ihnen etw aserhoffen,w ozu ich selbernichtfähig w ar.Sie hatLudw ig Pilgrim in eine Lebensstim m ung gew iegt,die nichts als M ache w ar.Sie,Julia Pelz,hatdiese M ache geleistet.Sie hatLudw ig entsprochen.Einundzw anzig Jahre lang.Sie w eiß jetzt,daß alles erlogen sein kann.Sie w ird keine Sekunde lang glauben,daß jem and zu ihrso ist,w ie ersich gibt.Ludw ig Pilgrim hatihrvertraut.M itRecht.Sie hateinundzw anzig Jahre lang eine Liebe 134
produziert,die es nichtgibt,die m an aberproduzieren kann,dann gibtes sie.So w ie es das EhepaarPilgrim ,dasA ndy W arholgem althat,nichtgibt,aberm an kann esm alen.M an nennt, w as da vorsich geht,kreativ.Etw as erlügen,heißt,es erschaffen.M an bezahltesm itsich. D adurch w ird m an reicherals m an ist.D ie natürliche A rm utw äre bequem er.Sovielgeben,w ie m an hat,dasIdeal. Sie stand in derM itte,direktunterderSichel. H ansLach,sagte sie,geben Sie zu,daß Sie m ein SaturnischesfürSpleen gehalten haben. N ein,sagte ich. Sondern? Fürnaive M alerei.Ein V ersuch,Schicksalanzum alen. H ochm utdereinfachen A rt,sagte sie. D a sie das M anuskriptin derH and hatte,sagte ich:Bitte,lesen.Sie gab sich m itderfreien H and den Einsatz und las:
W o für Korn andere sorgten,in der feinsten Fam ilie,wurden dem Alten die Eier abgetrenntm it der Sichel.Saturn tat’s.D aß er der sei,der die Eier hat.U nd gleich’n neues Zeitalter gestartet, heißtdasG oldene.So soll’sbleiben.Bessergeht’snicht.Abgeschafftdasewige H offen aufetwas anderes als das,was ist.Schluß m itVersprechung,Vertröstung,Jenseitslüge,H im m elschwindel. G elerntwird beiSaturn das selige Beißen ins unbarm herzige Nichtsalsjetzt.Verklärung des Zustands,der Trostlosigkeit.G old,das M etall,das nichtzu verbessern ist.U nd m ußte Kinder m achen natürlich seiner Rhea.D am italles so bliebe,wie es jetztwar,fraß er die im m er gleich auf.Eins aber hatdie G ebärerin gerettet,hieß Zeus.D er hatSaturn,seinen Alten,dann ins unterste Finstere verjagt,ins Erdinnerste.D a kauerter,schleiftdie Sichel,kauertund schleift. Verdam m twegen G eschichtsverneinung.U nd droben im Licht,Zeus.D erm achtesjetztschon ne ganze W eile.M itder M asche G erechtigkeit.Im m er alles im m er noch gerechter.D ie M asche aller M aschen.Seitdem heißtder Stillstand G eschichte.M itdem dazugehörigen Versprechungsund Jenseitsschwindel.Eine U topie nach der anderen wird aufgetischt,geglaubt,verdam m t,die nächste bitte.G erade zu Ende das Jahrhundert,das alle zu W issenden m achte.Stalin,H itler, m an kann die Nam en gar nichteng genug zusam m en nennen.D a gibtes allerdings die Ansicht, die Verbrechen der einen seien tugendhafter als die der anderen.U nd doch:ZweiU topien,ein Ergebnis.Kein Verbrechen kom m tohne U topie aus.Keine U topie ohne Verbrechen.Verbrechen für im m er m ehr G erechtigkeit.D en U nterschied,den M oralund G esetz zwischen Tätern und O pfern m achen m üssen,begreife ich,je schlim m er die Tatist,um so weniger.Ich bin und bin keine H istorikerin.In die Sichelverknallt,willich nur dem m om entanen Schwindelan die Eier, 135
aus denen der nächste Schwindelsteigen will.Zum Lachen bleibt:die U ngerechtigkeit favorisieren,istnichtsalsdie allergrößte G erechtigkeitgegen das,wasalsG erechtigkeitgerade dran ist.M an entkom m tdem Zirkelnicht. Einm alim Jahr – nur dam itdie Sichelzufrieden sei– eine Bartholom äusnachtunter den G utenbestenschönsten.Vielleicht– laß uns träum en – würden wir dann nichtm ehr so brutal darum käm pfen,zu den G utenbestenschönsten zu gehören.
Sie endete m iteinerzirkusdirektorenhaften G este.D eshalb m ußte ich den Beifallm it klatschenden H änden spenden.U nd sie im kleinstm öglichen,im zierlichstem Ton: Ich habe m itdem G edanken gespielt,Sie seien ein W erkzeug desFälligen:ein A nfang der U ngerechtigkeitgegen die U ngerechten.W assollm an m itG edanken m achen alsspielen!Esist gelaufen.Beziehungsw eise nichtgelaufen.M iguelJuan.A quí,Señor,desnudo m e tienesa tu pie en esa bendita isla rocosa de Fuerteventura.M iguelelD esterrado läßtgrüßen,y la tuya escueta y castiza Julia tam bién. Ich stellte m ich nichtunterdie Sichel.Ich stand überhauptnichtauf.Ich w artete,bissie in der Polsterlandschafteinen Platz gefunden hatte,dann lasich.
2084.Eine Notiz aus der Ü berlieferung des Zukünftigen Jetztwissen wir,daß dasM ittelaltererstbeendetwar,die Neuzeiterstbegonnen hat,alsauch in der schroffsten Kluftdes Kaukasus und im entlegensten Andennestkein M ensch m ehr im sogenannten G eschlechtsverkehr gezeugtwurde;als Papier nichtm ehr vorkam ;als die G ravitationswellen entdecktwaren und zum ersten M alnorm ale Körperzellen in Stam m zellen um gewandeltwurden und dann endlich der erste M ensch ohne D arm gezüchtetwerden durfte. D ie E-O -Kultur war da. W ie bitte,fragte sie. Ejakulation und O rgasm us. D as hieß für die Literatur:H em ingway lag falsch,als er vorausgesagthatte,es werde im m er m ehr Kritiker und im m er weniger Schriftsteller geben.M itder E-O-Kulturwurde dasSchreiben in bestim m ten Kreisen epidem isch.D adurch wurden die Kritiker wichtiger,als sie je gewesen waren,wichtiger als die Schreibenden.Je m ehr geschrieben wurde,desto weniger wurde gelesen.Als die E-O -Kultur globalblühte,hatten einundsiebzig Prozentder Bevölkerung aufgehörtzu lesen oder es gar nichterstangefangen.D ie Kritiker,jetztKritoren genannt, wußten noch,was einm alLiteratur gewesen war.D aß sie noch lesen konnten,verschaffte ihnen eine Artreligiöser G ewalt.D aß aus nichtm ehr als 24 Buchstaben sovielVerschiedenes 136
zusam m engesetztwerden konnte,wie die Kritoren,wenn sie über diese Buchstabengebilde stritten,verm itteln konnten,war atem raubend.D ie Kritoren lasen zwar auch nichtselber,aber sie ließen lesen und ließen dann die,die etwas geschrieben hatten,etwas,was gerühm toder verdam m twerden m ußte,einladen.Andauernd saßen in den M anegen Schriftsteller in Kabinen und lasen von ihren H ead-Tops,was sie geschrieben hatten.Nur im Eventpalastwaren die Kabinen,in denen die Autoren saßen,aus G las.D iese G laskabinen kreisten auf Transportbändern unter dem gläsernen Boden der M anege.O ben die Kritoren,genanntdie G roßen Vier.D er Aal,der Affe,die Auster und Klitornostra oder die Feuerraupe.Aufriesigen Bildschirm en sah m an,wie die G roßen Vier unter den Lesungen der Schriftsteller litten oder jubilierten.Es gab nur Leiden oder Jubilieren.Solche Event-M anegen gab esin allen Erdteilen. Aber die G roßen Vier,die die G LÄSERNE M ANEG E erfunden hatten,waren die G rößten.Im Leiden und im Jubilieren.D er Aalwar der unübertreffbare M eister in beidem .D er Affe,die Austerund Klitornostra wußten,daß sie nurauftreten konnten,solange derAalauftreten konnte. D a m an aberm itden AntiagingcellsdasAltern gestoppthatte,warein Ende nichtzu befürchten. Auch die Fortpflanzung überließ m an ja längstnichtm ehr irgendwelchen U nbeherrschtheitsregungen,die zu ihren Folgen im m er im krassesten M ißverhältnis standen. Inzwischen waren sich alle Fakultäten darüber einig geworden,daß die U nverhältnism äßigkeit von U rsache und W irkung beidem ,was G eschlechtsverkehr genanntwurde,das eigentliche Charakteristikum des M ittelalters gewesen ist,das wir inzwischen durch dem ographisch kalkulierte Fortpflanzung aufdas glücklichste hinter uns gebrachthaben.Zwischen dem 18.und dem 25.Lebensjahr liefern jetztalle ihre Ei-und Sam enzellen in die Substanz-Bank,und wenn die Lieferanten dran sind und das auch wollen,findetdie Befruchtung im Palastdes Lebens statt,und zwar höchstfeierlich. Auch als m an noch nichtjede Körperzelle in Stam m zellen um wandeln konnte,hatte m an schon Antiaging-Cells aus den H oden der D rosophila gewonnen. Im Science-Txtund im D evelopm entalCell-N etwurde die Jahrtausendentdeckung beschrieben. W ie jene Nachbarschaftszellen,je nach ihrer Entfernung von der Spitze des Taufliegen-H odens, sich in Sperm ien verwandeln,istein Verlauf,den die Evolution sich offenbar nur einm alhat einfallen lassen m üssen,das heißt,die Sperm iengewinnung beim M enschen folgtdem gleichen M uster wie beider Taufliege.Als m an dann aus m enschlichen Körperzellen Stam m zellen m achen konnte,konnte m an sich für Sperm iengewinn und Alterungsstopp sozusagen beisich selbstbedienen.U nd seitdie H igh Perform ance G enes,in Europa Turbogene genannt,im H andelwaren,konnte jeder seinen Sperm ienbedarf beziehungsweise seine Ejakulationsfrequenzen beliebig regeln.Ebenso sind die O rgasm usam plituden risikoloswählbar 137
geworden.G lück war m achbar geworden.D er Aalgehörte zu den ersten zehn M enschen,die die Antiagingcells noch von der D rosophila bezogen hatten.Schon deshalb ister ein H eros der EO -Kultur.Es gab keine Kulturveranstaltung in der ganzen W elt,die Einschaltquoten hatwie die G LÄSERNE M ANEG E.D ie liefja nichtnur am Sam stag über den Schirm ,wenn die G roßen Vier erscheinen,sondern die ganze W oche.U nunterbrochen schoben die Transportbänder G laskabinen,unterderG LÄSERNEN M ANEG E durch.In den G laskabinen die Schriftsteller,die von ihren H ead-Tops lasen,was sie geschrieben hatten.D iese Bänder liefen im m erzu.D ie G roßen Vier kam en dann am W ochenende für sechs Stunden in die G lasm anege,der Eventpalast war bis aufden letzten Platz besetzt.W er wollte,konnte die von den H ead-Tops ihre W erke Lesenden unter der W oche jederzeitim Kulturkanalanwählen und ihnen zuschauen,zuhören. D as war auch die H offnung eines jeden,der etwas geschrieben hatte,daß er,wenn schon nicht von den G roßen Vier,dann doch vielleichtvon den Fernsehzuschauern entdecktwurde.Aber die eigentliche,die alle Lebensm ühen m otivierende H offnung war natürlich der Sam stagabend,die G LÄSERNE M ANEG E,wenn die G roßen Vier auftraten und diesen und jenen aus den unterm G lasboden kreisenden Autoren per Knopfdruck heraufwählten.M an wußte,daß sie sich auch unter der W oche gelegentlich diesen oder jenen Autor aufden Schirm holten und sich darüber einigten,wen sie am Sam stag aufdem Riesenschirm im Eventpalastpräsentieren und lesen lassen würden,bis sie glaubten,genug zu haben,das heißt,bis sie glaubten,reagieren zu können,reagieren zu m üssen.U nd das war dann die Show,der Eventschlechthin.D reiStufen bildeten sich sowohlbeim Rühm en wie beim Verdam m en heraus.Ruhm fürheute,Ruhm für m orgen,Ruhm absolut.Ruhm absolutwurde in den neunzehn Jahren der G LÄSERNEN M ANEG E nur einm alverliehen,an eine peruanische Erzählerin,die in einem Fam ilienepos erzählte,daß ihre Fam ilie hoch in den Anden nur überleben konnte,weildie Eltern Kinder zeugten und sie dann im m er aufaßen.D ie Stufen des Verdam m ens waren Beleidigung, A bstrafen,Fertigm achen.Alle dreiStufen wurden wöchentlich exekutiert.D ie Kam era zeigte dann in G roßaufnahm e wie die Beleidigten oder Abgestraften oder Fertiggem achten reagierten. W er sich da etwas O riginelles einfallen ließ,konnte dann noch gegen das Votum der Kritoren die RAU PE bekom m en,das war der W ochenpreis des Publikum s.Aber ungleich begehrter war natürlich der PRICK,der Preis der G roßen Vier.D ie Autoren und Autorinnen taten alles,aber auch gar alles,um als preiswürdig aufzufallen.D er W ettbewerb der Lesenden wurde öfter ein W ettkam pfim Auffallen.W enn sich einer ein Kreuz in die Stirn schnitt,holte ihn natürlich die Regie sofortaufden Riesenschirm .Auch O nanieren kam vor.Aber nur der erste,der vor laufender Kam era lesend onanierte und ejakulierte,bekam den Publikum spreis.D ann auch die erste Autorin,die das öffentlich hinkriegte.D er Affe ließ sich von dem onanierenden Autor fast 138
hinreißen,selber H and an sich zu legen.O der tatdoch so.Ebenso Klitornostra,als eine Autorin sich selber bediente.E-und O -Kultur atit’s best,m eldeten die news.Aber natürlich,das Vorlesen beziehungsweise das Reagieren auf Vorgelesenes blieb schon die H auptsache. Allerdings nur in der G LÄSERNEN M ANEG E.M an vergesse,bitte,nicht:D ie E-O-Kultur hat sich nichtnur aufdem Niveau der G roßen Vier entfaltet.D aß M ünchen die G roßen Vier hatte, m ußte Berlin provozieren.W ir kennen alle das Ergebnis:D r.M oritz N ödler’s LitPeep.Es gab, als das G eschlechtliche noch vegetierte,eine Küm m erform ,die m an Pornographie nannte. D aran erinnertD r.M oritz N ödler’s LitPeep.Nichtvergessen darfder H istoriker das vehem ente Aufleben des Religiösen.Vielleichtistdas sogar die wichtigste W irkung der E-O-Kultur überhaupt.Alle Religionen sind seitdem förm lich aufgeblüht.U nd wieder waren es die G roßen Vier,die ohne das zu wollen,Epoche m achten.D ie G roßen Vier hatten ja als erste die Nacktanzüge öffentlich getragen,die später zum Sym bolder E-O-Kultur überhauptgeworden sind.D er Aalließ,während er littoder jubilierte,sein G eschlechtsteilzoom en.U nd was dann zu sehen war,war W irkung von Literatur.So oder so.Klitornostras Feuerraupe war,wenn Klitornstra durch die Vorlesenden so oder so agitiertwurde,in G roßaufnahm e aufdem Schirm . Sie und der Aalwaren,weilsie sich für das Nacktm enschentum entschieden hatten,vollkom m en haarlos.D as steigerte die W irkung.D ie Nacktm enschenbewegung hatdurch Aalund Klitornostra einen gewaltigen Zulauferfahren.In den Schriften des Nacktm enschentum s wurde behauptet,die E-O-Kultur kom m e erstim Nacktm enschentum zu sich selbst.D as riß die Zehntausend im Eventpalastund die M illionen an den Fernsehschirm en gleicherm aßen hin.U nd das waren die M illionen,die von dieser Vierundzwanzigbuchstabenkunst– so wurde sie von ihren Verächtern genannt– sonstnie auch nur Kenntnis genom m en hätten.W ir an den Bildschirm en erlebten die Begeisterung,die Rührung,die Erschütterung der Zehntausend im Eventpalast,und diese W irkung m ultiplizierte natürlich die W irkung,die die Aktionen und Passionen der G roßen Vier aufuns hatten.W ir wurden Zeugen außerordentlicher G rausam keiten,die andere erlitten,aber zurechterlitten.Es geschah ihnen recht.D as verm ittelten uns die G roßen Vier.U nd das tatuns gut.W ir erlebten G erechtigkeit.O b gerühm t oder verdam m t,es geschah G erechtigkeit.U nd nichts rührtuns tiefer als das:G erechtigkeit. W ie im m er,kann m an auch jetztdie Stufe der Evolution,der m an selber angehört,nichtwerten. Nichteinm albeurteilen kann m an sie.Ein Teilchen istm an eines Vorgangs,gerade daß m an noch staunen kann.Als H istoriker der E-O-Kultur,also als H istoriker der Zukunft,darfm an aber den G roßen Vier,dem Aal,dem Affen,der Auster und der Klitornostra oder Feuerraupe ein bleibendes Bleiben voraussagen.
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U nd Julia:Sie können esnichtlassen. Ich:Jetztschon. Julia:K om m ! Ich ließ m ich neben sie fallen,schälte sie aus ihrem w eißen Leinen-Seidenanzug,schenkte uns W ein ein,trank ihrzu,sie m ir,ich sagte:A m liebsten täusche ich m ich m itdir. U nd sie:V on allen m einen Täuschungen halte ich dich fürdie geringste. Ich:D u übertreibst. Sie:U nd w ie. W eilich nichts sagte,sagte sie:U nd w ie gern. K om m ,m icaballo sem ental. M acho cabrío reicht,bella yegua saturnal.
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D iese m einen,die W irklichkeitseihässlich:aber daran denken sie nicht, dass die Erkenntnis auch der hässlichsten W irklichkeitschön ist... Friedrich N ietzsche
D ie Inselhalf.Je längerich aufderInselw ar,desto m ehrM uthatte ich,starke Farben zu tragen. Zuerstw underte ich m ich überdie rote Badehose des A chtzigjährigen.D ann trug ich selbereine. M eine Zehen glühten im Sand,esdehnte sich dasM eer,derW ind streichelte nurnoch m ich,ich w arendlich untergegangen. D ann stießen w irunsab von derInsel,hinausübersM eerund zogen unslangsam am brandungsgesäum ten K üstenbogen A frikasbiszum blauen Band desM ittelm eers.N ach tausend K ilom etern eine Linkskurve w ie aufderStraße.Ü berSpanien hin.Rosenholzfarben lag esunter uns.Biszu den w eiß gepuderten Pyrenäen.N ach einerRechtskurve blieb unten allesunter w eißerW atte,w irdroben im Blau. Julia hatte daraufbestanden,daß ich,da sie die Strecke ausw endig kenne,am Fenstersitze. M indestensden ganzen Septem berseien Ludw ig und sie jedesJahraufderInselgew esen. Ich hatte darum gebeten,nichtbegründen zu m üssen,w arum ich nichtlängeraufderInsel bleiben konnte.M eine H altlosigkeit.D a esEnde Septem berw ar,hätte Julia ohnehin zurückfliegen m üssen. Ich w erde ew ig perD u sein m itdir,sagte ich aufdem Rückflug zu ihr.Sie sah herüber,ohne den Kopfganz herzudrehen.U nd w ulstete ihren M und.D assah so frech aus,daß ich endlich fragen konnte,ob sie tatsächlich m itPicasso geschlafen habe. A ls sie das zum ersten M algefragtw orden sei,sagte sie,habe sie prom ptgeantw ortet:U nd zw ar im Stehen. A ls w iruns am Flughafen von einanderverabschiedeten,sagte ich:Julia,derverklärende Blick, w erden nichthataufden anderen,derläuftw eg.V on den Bedingungen derLiebe isterdie w ichtigste,derverklärende Blick.U nd w oherhatm an den? V om A nfang.V om ersten A ugenblick.D avon lebtdann alles.Ich laufe nichtw eg von dir.N ie. Sie sagte,sie sage nicht:O lvidarm e. Sie w urde m itdem A uto abgeholt.Ich fuhrm itderS-Bahn zum H auptbahnhof,deponierte m ein G epäck und fuhrm itderU-Bahn nach G ern hinaus.In derBöcklinstraße w urde Bartók geübt. Schon m ehrgespieltals geübt.H ilde Findeisen,beiderErna gelernthatte,w äre stolz gew esen, 141
w enn sie gehörthätte,w ie Erna das Bartók-Rubato auslegte.Sie spielte die zw eite Elegie w ie in Zeitlupe,aberin sich stim m ig.Sie spielte,als falle ihr,w as sie spielte,im A ugenblick ein.W enn sie m ich nichtgeheiratethätte,hatsie einm algesagt,w äre sie beim K laviergeblieben.A lso bei dereinzigen Sprache,in deres kein M ißverständnis gibt.Ich rannte davon.Ich w ürde Erna anrufen.Ihrvon m einerH altlosigkeiterzählen.D asw urde allm ählich zu einerN um m er:m eine H altlosigkeit.Bitte,rechnetm itm einerH altlosigkeit! Zurück zum H auptbahnhofund m itdem TaxizurG roßhesseloherBrücke.H inunteran die Stelle, an derM aniM aniseinen Tod gefunden hatte.U nd dachte ein Requiem :D erD ichteristtot.Es lebe die Literatur.D as unselige G em enge.D ie sarkastische Sause.D ergnostische G araus.D ie polyglotte Party.D erglobale G usto.D erfröhliche Flächenbrand.M aniM ani,ich w erde in D einem Raum aufderInseljedes Jahram 17.M aieine M esse feiern.Julia w illD einen Raum ausstatten.A ufdreidergrünen W ände,die Bildervon BerntStreiff,RolfH ochhuth und Else Lasker-Schüler.A berals Projektionen.D erBoden w ird ein einzigesBild von D irsein.D aß m an, w o m an gehtund steht,D irim G esichtgehtund steht.Esw erden aberin D einem Raum w eder Schuhe noch Strüm pfe erlaubtsein.In derM itte desRaum s,eine schlanke Säule,die D irausder N asenw urzelragt.Sie w ird einen W ürfeltragen,dessen Seiten m itBildern belegtsind.D as sind Bildervon zw eiFrauen.G eneviève W interund H annelore.Eine A bbildung desBayern M ünchen-Logosund ein Bild von Franz Beckenbauer.Ü berdem W ürfelw ird von derD ecke an einerschw arzen K ette eine goldene Sichelhängen.U nd ausallen W änden,leise aberim m erzu, W aterloo.Bisbald,M aniM ani.D irbiszum U nverständnisnah:D ein H ansLach. D ann zu Fuß in die Schlotthauerstraße.Zu m einem A libi.Je näherich derSchlotthauerstraße kam ,desto schnellerging ich.Ich hatte nichtangerufen.Eine M utterm iteinem G eradegeborenen m ußte daheim sein.Ich m ußte m ir,bevorich dortläutete,beigebrachthaben, daß m eine Em pfindungen fürsie Em pfindungen w aren,die m an fürkeinen M enschen dieser W eltem pfinden durfte.Sovielkann kein M ensch dirsein.D u hastsie ausgestattet,w ie du noch nie einen M enschen ausgestattethast.D u hastdich in eine A bhängigkeithineingesteigertw ie noch nie.D u kannstohne sie leben.D asw eißtdu. Ja,riefich in den Straßenlärm ,ich w eiß es,aberich glaube es nicht. D ie Ernüchterungsarien,die A bgew öhnungsgesänge –,das w arlängstRoutine.A berjedes M al w artete ich geradezu aufdie dann fällige Rückkehrdesnorm alen Schm erzes,dergew öhnlichen Sehnsucht.N ach ihr.Tausendm alistdasabgelaufen.Ich w eiß inzw ischen:W ovon ich w egdenken w ill,da denke ich hin. D aß ich nichthingehen sollte,w ußte ich.D aß ich hingehen w ürde,w ußte ich auch.
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N ichtderV erführung dieserden Schrittangenehm nach oben führenden Stufen zu verfallen,das w äre derK eim zurH offnung aufeine Illusion derU nabhängigkeit.D ann stand ich im vierten Stock vorderaltdunkelschönen Türund konnte endlich läuten.A beraufderTürjetzt,und nichts als neu,ein Porzellanrechteck,dessen Seiten grüne G irlanden zierten,und im geräum igen w eißen Feld in gefühlvollerSchrift: O lga und Jan Konnetzny. U nd ich w arw eg.Jetzt nurnichtstolpern.N urnicht,w aszu em pfinden du dich jetztw eigerst,in H astausarten lassen.A berrennen schon.D avonrennen.W arum nicht.M arathonläuferseier, hatte sie am Telephon gesagt.D aß sie geheiratethaben,hatsie nichtgesagt.Zw ölfK ilom eter täglich.A m W ochenende m indestenszw anzig.Sie w ardaran interessiertgew esen,m irdiesen Jan zu erklären.Ich sollte teilnehm en.Ich konnte nicht.So w enig,w ie sie aufhören konnte,m ir ihren Jan verständlich zu m achen.V oreinem Jahrw arm irverkündetw orden,daß derneue Chef um sie w arb.M ehrvorerstnicht.D ann im m erhäufigerFirm ennachrichten alspersönliches Schicksal.W enn Jan den U m satz nichtsteigerte,w ürden die in O akland ihn genau so feuern,w ie sie seine V orgänger,w enn die den U m satz nichtsteigern konnten,gefeuerthatten.Sie,O lga, habe Jan gebeten,dasLaufen einzuschränken.W enigstensin diesem Probejahr.A berohne Laufen konnte dernichtleben.O lga hatte A ngst,daß JansLaufpensum aufirgend einem W eg nach O akland gem eldetw erden könnte.Ihrw arklar,daß die in derZentrale diesen Einsatz, diesesEngagem entfürnichtsalsExtrem jogging füreine K räftevergeudung zum Schaden der Firm a halten m ußten. W enn ich jetztgeläutethätte,hätte ich,fallsJan schon vom täglichen Laufzurückgew esen w äre, die G eschichte noch einm alin seinerG egenw artanhören m üssen.V ielleichtm itderneuesten W endung,daß O lga,fallsJan gefeuertw erden sollte,den M utterschaftsurlaub frühzeitig abbrechen w ürde,im m ervorausgesetzt,die A m erikanerm achten die Filiale nichtüberhauptzu. D ashätte O lga,ihren Philipp im A rm ,erzählt,ohne auch nureine Sekunde lang daran zu denken,daß ich das überhauptnichthören konnte.U nd Jan säße dabei,ein zäher,hagerer, sehnigerTyp m itbegeisterungsbereitem Blick.Eigentlich ein Schw eiger.Ein V ersonnener. Einer,deres nichtnötig hatzu bew eisen,daß eres besserw eiß.Ergibtvielm ehranderen die Chance zu bew eisen,daß sie esnichtbesserw issen.Ein Chefeben.O hne einen H auch V ergew altigung tutsie’snicht.D ashatte ihrbeim irgefehlt.Ein schw eigenderV ergew altiger. Einer,dersie,w ährend ersie sorgfältig vergew altigt,nichtanspricht,w ederkomm entierend noch anim ierend.W arich w ahrsinnig gew esen,vorher,alsich gedachthatte,ich könnte dahin? W ozu denn? O lga,bitte,bitte,w ozu? A berdasspürte ich:die hörte m ich nichtm ehr.Spürte
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m ich nichtm ehr.Fürdie w arich Esw areinm al.U nd sie fürmich: N ichtsalsunerreichbaregegenw art.Sehnsucht... M itdieserJan-Olga-Szene schaffte ich den M arsch zum H auptbahnhof.Zum Laufließ ich m ich nichthinreißen.M ich hätte dieserJan,dem O lga sicherdie rührenderen D etails unserer G eschichte erzählthaben w ird,ausgenom m en dasA libi,m ich hätte derbehandelt,w ie ein jüngererSportlereinen älteren Sportlerbehandeln w ürde,w enn erden w issen lassen w ill,daß er, derJüngere,ihn,den Ä lteren,nurbesiegthat,w eilerderJüngere istund derandere derÄ ltere. Fair,nichts als fair.U nd das m itBier.Erund ich.O lga hätte,da sie noch stillte,Paradies-Tee getrunken.V ielleichtauch Passionsfrucht-Tee. D as G epäck geholtund ab,w eilsich’s gerade so gab odervielleichtdoch,w eileine sich nicht zeigen w ollende Tendenz esnahelegte,w enn nichtbefahl,ab nach Innsbruck.O derdoch Richtung Innsbruck.So stand’saufderTafel.Ich stieg ein und schon fuhrderZug ab.In der ersten K lasse,w o derW eltschm erz reist,w arPlatz.V ielPlatz.Ich w arallein.A lleinseinkönnen, kann verlangtw erden.V on m ir.Ich holte Seuse ausm einem G epäck und schrieb,w asich schon lange vorhatte,auseinerPredigtein Stück in heutigerSprache nach:
Er fing an,m itsich selber zu sprechen und zwar so:Schau nur hinein in dich,dann siehstdu erst,m erkstdu erst,daß du m itallen deinen Ü bungen,die du dir selber verschrieben hast, im m er noch nichtgenug gelassen bist,die W iderwärtigkeitanderer zu ertragen.Im m er noch ein erschrockenesH äslein,im Busch versteckt,erschrecktvon jedem fallenden Blatt.Jeden Tag geht das so:was dir nichtpaßt,erschrecktdich;begegnestdu einem ,der gegen dich ist,wirstdu leichenblaß;sollstdu eingreifen,haustdu ab;sollstdu dich zeigen als der,der du bist, verheim lichstdu dich;lobtm an dich,lachstdu;gescholten,wirstdu traurig.Also wirklich,dir fehltes an der rechten Bildung. U nd aufseufzend sah er zu G ottund sagte:Ach G ott,das also istdie W ahrheit.U nd sagte:W ann endlich werde ich einm alein gelassener M ensch sein.
D raußen rasten naßschw arze Bäum e vorbei.D ann ging esaufw ärts.D ie Bäum e glitten vorbei. Es w urde vollends dunkel.D aß derZug langsam ergew orden w ar,regte in m ireine altm odische Stim m ung an.D ie drängte m ich dazu,die N ietzsche-N otiz aufzuschreiben,die sich seitein paar Tagen in m irzu einerG enauigkeitentw ickeln w ollte,die sie nuraufdem Papiererreichen konnte.Ich w ardoch gestörtw orden.H atte m ich selbergründlich gestört.W enn ich die IchStrecke von Seuse zu N ietzsche je beschreiben w ollte,m ußte ich ein genauesG efühlvon der Rolle haben,die N ietzsche spielen sollte.Seuse w arm irunverlierbar.D ieses zum ersten M alan 144
sich denkende Ich im Selbstgespräch.W ie es sich erlebte.Em pfindlich bis zurU nbrauchbarkeit. Jede Em pfindung eine Blöße.
FünfhundertJahre späterkom m tdie G eschichte beiNietzsche an,beieinem Ich,dasnichtsm ehr gelten lassen konnte,nur weiles bisher gegolten hatte.Also eine vor nichts H altm achende Prüfung der zudringlichen Ü berlieferung,des herrschsüchtigen G eschichtsandrangs.W as am m eisten H errschaftbeanspruchte,wurde am gründlichsten außer Kraftgesetzt:G ott.Nietzsche hat,was er zu wissen kriegte – und das war doch zum Staunen viel–,aufsich angewendet. G etestetim Selbstversuch.D ie Ergebnisse notiert.Keine einzige Einzelheitaus den geschichtlichen Zulieferungen überlebte diesen Testunbeschädigt.W ederG ottnoch Teufelnoch Nicht-G ottnoch Nicht-Teufel.Ihm galtnichts,was es traditionsgem äß gelten sollte.Keiner vor ihm hatdie überlieferten W erte so praxissüchtig durchgem ustert.W as m ir nichtm ehr hilft, erkenne ich nichtan.W enn m ir etwas nichtm ehr hilft,tue ich nichttraditionshörig so,als helfe es m ir noch.Schluß m itdem Frieden,der aus der Routine der kulturüblichen Selbsttäuschung sprießt.Tafeln zerbrechen,Sprüche blam ieren,H offnungen stürzen.Aus allem ,was er kaputtgem achtund totgelachthat,ergibtsich keine Richtung.Er zertrüm m ertdie Schale, entblößtden Kern.W ir leben von nichts als von der Schönheitdes sich selbsterlebenden D enkens.
Ich nahm m irvor,irgendw o einen Satz überdie Professoren und Politikereinzufügen,die N ietzsche in einen w eltanschaulichen D ienstnehm en w ollten;m itdenen haternäm lich sovielzu tun,w ie derBlitz m itderPfütze,in derersich spiegelt. In K laisstieg ich aus.D erbem alte Bahnhofm einte esgutm itm ir.Ich hatte gespürt,daß derZug sich schw ertatm itdieserA ufw ärtsstrecke.Eine Zeitlang m achte ich die schöne M ühe m it. G enoß dasG efühl,dasich habe,w enn esaufw ärtsgeht.In diesem G efühlfand sich w ahrscheinlich alleszusam m en,w asH öhe ausm acht.W assie ist.FürdasA tm en und das D enken gleicherm aßen. W ie lange bleiben Sie,fragte die freundliche Frau. Eigentlich w ollte ich sagen:Ich danke Ihnen fürdiese Frage.So eine schöne Frage.D ie verlangt von m ir,sofortzu kalkulieren.D ie Seiten.D ie Zeit.D ie H altlosigkeit.A lso? D reiM onate,sagte ich.U nd w eilsie fasterschrak vorÜ berraschung,sagte ich gleich im festesten Ton eines M annes,dersich noch nie getäuschthat:Längerganz sichernicht.U nd legte m eine K reditkarte vorsie hin.
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Ich ging noch einm alhinunterund sagte,ob ich ein Zim m erohne Fernsehapparathaben könnte. H atten sie nicht,abersie könnten den A pparatherausnehm en.U nd dasTelephon vielleichtauch, fragte ich und zeigte,daß ich w isse,das seiw irklich zuvielverlangt.U nd sie:Sie habe noch jem anden im H aus,derm eine W ünsche erfüllen w erde.D as sagte sie so,daß deutlich w urde,w ie kom isch ihrdiese W ünsche vorkam en.Ich bedankte m ich so,daß sie spüren m ußte,w ie kom isch esm irselbervorkom m e,solche W ünsche zu haben und sie dann auch noch auszusprechen. Ich setzte m ich in die G aststube und bestellte,w eilesnurnoch kaltgab,eine A ufschnittplatte, dazu einen halben LiterK altererSee.D ie Tageszeitung nichtin die H and zu nehm en,schaffte ich nicht.A ufderTitelseite,in derersten Spalte,die Ü berschrift:Sir André.Ich m ußte den dpaRestlesen.A ndré Ehrl-K önig,derim m erschon eine deutsch-britische D oppelstaatsbürgerschaft gehabthabe,seijetztvon derK önigin geadeltw orden „Forservices to literature“,insbesondere fürseinen Einsatz zurFörderung desA nsehensdesenglischen K rim inalrom ans.D ie V erleihungszerem onie finde A nfang D ezem berim Buckingham palaststatt. D erG eehrte habe w issen lassen,daß erdreiSchw ierigkeiten voraussehe,erstens das N iederknien vorder königlichen Person beim Ritterschlag,zw eitensdie Berührung beiderSchultern m iteinem Schw ert,w eiler,Ehrl-K önig,nirgendsso kitzlig seiw ie ausgerechnetaufden Schultern, drittens,daß m an sich vom königlichen Purpurbaldachin sam tK önigin nurdurch Rückw ärtsgehen entfernen dürfe,also dafürm üsse ersich einen Ballettm eisternehm en. Seit diese Ehrung gem eldetw orden ist,könne sich derso G eehrte vorenthusiastischen Glückwunschbezeugungen nichtm ehrretten.D erBundespräsident,derBundeskanzler,w as Rang und N am en habe,seijetztG ratulant.A m Schluß noch,in A nführungszeichen,w asder G eehrte selberin dem A ugenblick,alservon derEhrung erfuhr,gesagthabe:„ O bw ohleine edle Freundin m irausLondon m eldet,die Zerem onie seiintensely boring,nehm e ich diese Ehrung an,stellvertretend fürShakespeare,derihrerm indestens so w ürdig gew esen w äre w ie ich.“ Zum G lück stand derK altererSee schon vorm ir.Ich trank die K araffe leer,bevorderA ufschnitt aufdem Tisch stand und bestellte eine zw eite K araffe. D ann ging ich zum Bahnhofund riefvon derTelephonzelle ausErna an und entschuldigte m ich. W ofür,fragte sie. Füralles,sagte ich.D ann sagte ich nichtsm ehr.Sie sagte auch nichtsm ehr.D ann sagte ich:D u bistdereinzige M ensch,beidem ich m ich entschuldigen m uß. Sie sagte:W o bistdu jetzt? Im G ebirge,sagte ich.W iederschw iegen w ir.W irw ußten beide,keinerw ürde auflegen. A lso,sagte ich. 146
Ja,sagte sie,also. Ich sagte,daß ich in derBöcklinstraße gew esen sei,vordem H aus,sie habe die zw eite Elegie geübt,aberdoch schon ehergespieltalsgeübt.W ie sie die undurchhörbaren A kkorde plaziert habe und darum herum dasA ufund A b derTöneschleier. Sie sagte:W ann kom m stdu? D a ich jetztnichtm ehrvon m einerH altlosigkeitreden konnte,sagte ich,sozusagen w ahrheitsgem äß:W ohersollich das w issen? D ann sagte ich:Ich leg jetztauf. Sie sagte:Ja. Ich legte auf.N ichts w arso deutlich w ie das G efühl,daß ich außerErna keinen M enschen anrufen konnte.Sie hatte sicherauch gelesen,daß es jetzteinen SirA ndré gab,aberes w arihr nichtw ichtig genug gew esen,daszu erw ähnen.U nvorstellbar,jetztJulia anzurufen oderO lga oderSilbenfuchs.U nvorstellbar,in M ünchen geblieben zu sein.W orüberdortheute gesprochen w erden m üßte,w ußte ich. A uch w enn Silbenfuchsnichtsofortund fröhlich rufen w ürde:Erhat’sgeschafft!Erist nobilitiert!D ann w ürde ereben zuerstden Ä rgerablassen,den ihm seine philologische Finesse täglich eintrug,w enn erdie Zeitung lasund da stand,daß ein Politikergesagthatte:D a bin ich überfragt.D ergleichen m achte Silbenfuchsw ütend.U nd dann auch noch,ein paarZeilen später: Ich gehe davon aus...D a w arfSilbenfuchsdie Zeitung w eitw eg.A berw enn erdiese zw ei Sprachbeulen aufgestochen haben w ürde,m ußte erja sagen:SirA ndré!W assagen Sie dazu?! W elch eine Instinktleistung,sofortw iederabgefahren zu sein,und den triftigen G rund fürdie A bfahrterstnachträglich kennengelerntzu haben.Ich w ürde esnichtzu einem Schlupfw inkel bringen w ie RH H ,aberw arum derdie Baldsburg brauchte,begriffich jetzt.So eine Stadtistein O rganism us.W enn an irgendeinerStelle etw asgegen dich geschieht,kriegstdu dasm it.M ir schoß es durch den K opf:A bgesehen davon,daß A lleinseinkönnen,verlangtw erden kann,fühlt essich auch noch an w ie eine W ohltatoderw ie ein Segen.Ich ging zurück insH otelund bestellte noch eine K araffe K altererSee aufdasZim m er.A lsdie aufm einem gebirglerischen Tisch stand – gebirglerisch,w eilereine dicke quadratische Platte hatte und die vierBeine schräg w egstreckte–,legte ich alles,w asich zum Schreiben brauchte,zurechtund fing nichtan.Ich konnte,w enn ich auch nureinen Tropfen A lkoholischesgetrunken hatte,nichtschreiben. A beram nächsten M orgen,nach dem Frühstück zw ischen den blauw eiß karierten V orhängen, ging ich hinauf,setzte m ich an m einen Tisch,sah,zum ersten M al,zum Fensterhinausaufeine steilansteigende W iese,aufein paarTannen.Es regnete.D erRegen w ebtm itW asserfäden das nasse G ew and.D achte ich.G lasgrün.Zum fensterhinausschauen m achtLyrikerausunsallen.Ich 147
m ußte m ich N äherem zuw enden.D em nächsten überhaupt.A lso dem U naufschiebbaren. H ochgefühlseiw illkom m en!U nd fing an. Da m an von m ir,w aszu schreiben ich m ich jetztveranlaßtfühle,nichterw artet,m uß ich w ohl m itteilen,w arum ich m ich einm ische in ein G eschehen,dasauch ohne m eine Einm ischung schon öffentlich genug gew orden zu sein scheint.
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