Martin Seewald Studien zum 9. Buch von Lucans Bellum Civile
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Martin Seewald Studien zum 9. Buch von Lucans Bellum Civile
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Göttinger Forum für Altertumswissenschaft Beihefte Herausgegeben von Bruno Bleckmann, Thorsten Burkard Gerrit Kloss, Jan Radicke
Neue Folge Band 2
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Studien zum 9. Buch von Lucans Bellum Civile Mit einem Kommentar zu den Versen 1−733
von
Martin Seewald
Walter de Gruyter · Berlin · New York
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-020345-5 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2008 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandentwurf: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
Vorwort der Herausgeber Am 24. September 2002 erreichte uns die bestürzende Nachricht vom unerwarteten Tod unseres Freundes Martin Seewald. Die Krankheit, mit der er seit Jahren kämpfte, hatte ihn schließlich besiegt. Dabei hatte es immer wieder den Anschein gehabt, als ob ihm gerade die Arbeit an Lucan Kraft und Hoffnung geben könnte. Noch ganz kurz vor seinem Tode hatte er als Parergon zu seinem Kommentar einen Aufsatz abgeschlossen, der – wie ein erster im Jahre 1998 – im Göttinger Forum für Altertumswissenschaft (GFA) erscheinen sollte. Sehr schnell stand unser Entschluß fest, alles, was Martin Seewald bei seiner Beschäftigung mit der Pharsalia zu einem gedanklichen Abschluß hatte bringen können, in einem Band zu veröffentlichen. Als Martin Seewald sich Lucan zuwandte, gab es keinen neueren wissenschaftlichen Kommentar zum 9. Buch. Sein Plan war es, dieses längste Buch des Epos vollständig zu kommentieren. Mit dem Teilkommentar zu den Versen 1-604, den er als Dissertation einreichte, war etwas mehr als die Hälfte des Unternehmens vollendet. Um der Publikationspflicht vorerst Genüge zu tun, veröffentlichte er die Arbeit auf dem Dissertationenserver der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen.1 Den Rest des Buches gedachte er jedoch in der Folgezeit ebenfalls noch zu bearbeiten. Im September 2002 lag der Teil zu den Versen 604-733 im Manuskript so weit fertig vor – lediglich die Sekundärliteratur ist nicht mehr im gleichen Umfang eingearbeitet wie zuvor –, daß es gerechtfertigt erscheint, das Ganze als gedrucktes Buch der Öffentlichkeit zu übergeben. Drei Einzelproblemen, deren Behandlung den Rahmen des Kommentars gesprengt hätte, hat Martin Seewald separate Aufsätze gewidmet. Sie sind im zweiten Teil des Bandes abgedruckt: Der erste („Lucan. 9,411-420 und die TOKarte“) war als Anhang der Dissertation beigegeben; der zweite („Lucans Cato, die Antipoden und das römische Herrscherlob“) entstand im Som-
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Die URL ist http://webdoc.sub.gwdg.de/diss/2002/seewald/seewald.pdf (Stand: Dezember 2007).
VI mer 2002 und ist unveröffentlicht; der dritte („Ein Anonymus der frühen Kaiserzeit. Zu Lucan. 9,167-185 und Tac. ann. 3,1-2“) erschien bereits 1998 im GFA.2 Mittlerweile ist ein weiterer deutschsprachiger Kommentar zum 9. Buch der Pharsalia erschienen.3 Wir sind überzeugt davon, daß es keineswegs überflüssig ist, die Forschungsergebnisse von Martin Seewald in Buchform danebenzustellen. Im Gegenteil: Alle Leser des 9. Buches werden sich glücklich schätzen, jetzt zwei perspektivisch verschiedene Ansichten desselben Textes nebeneinanderlegen und vergleichen zu können. Selbstverständlich nimmt die philologisch-sprachliche Detailerklärung, die jeder Kommentator zu leisten hat, auch hier den gebührenden breiten Raum ein, und daß die häufig paradoxale Gedankenführung Lucans den Kommentator gefesselt hat, wird jeder Leser leicht feststellen können. Martin Seewald hatte aber stets auch ein besonderes Interesse an dem von Lucan verarbeiteten Bildungs- und Wissenshintergrund, ob es nun die stoische Philosophie, die Geschichte, die Naturkunde oder die Geographie war. Die Sacherklärungen hierzu sind vielleicht eine besondere Stärke dieses Kommentars und der drei beigegebenen Aufsätze. Daß es fünf Jahre brauchte, die Philologica Martin Seewalds erscheinen zu lassen, liegt gewiß maßgeblich an den Herausgebern, die durch verschiedene dazwischentretende Verpflichtungen und Widrigkeiten davon abgehalten wurden, die Arbeit am Nachlaß ihres Freundes so konsequent voranzutreiben, wie es nötig gewesen wäre. Allerdings war bis zur Druckreife des Bandes auch noch viel zu tun. Wer die Internetfassung der Dissertation mit dem hier vorgelegten Kommentar vergleicht, mag das ermessen. Orthographie, Interpunktion und Formatierungen sowie die Schreibung der griechischen und lateinischen Eigennamen wurden vollständig überprüft und vereinheitlicht, ebenso der Zitiermodus; offensichtliche Versehen wurden berichtigt. Änderungen am Ausdruck, insbesondere an der Syntax, wurden nur dort vorgenommen, wo es im Sinne der Klarheit unumgänglich schien. Im Zweifel blieb die ursprüngliche Formulierung stehen. An die inhaltliche Substanz sollte bei all dem unter keinen Um-
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GFA 1, 1998, 58–80. Claudia Wick, M. Annaeus Lucanus, Bellum civile, Liber IX: Kommentar, München – Leipzig 2004. Den Teilkommentar von Christian R. Raschle (Pestes harenae: Die Schlangenepisode in Lucans Pharsalia [IX 587–949]: Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar, Frankfurt am Main 2001) hat Martin Seewald noch verwerten können.
VII ständen gerührt werden; wir hoffen, das ist uns gelungen. Wenn wir dennoch eine nicht unbeträchtliche Zahl an kleinen und kleinsten Änderungen vorgenommen haben, dann hoffen wir, wenigstens in den allermeisten Fällen im Sinne des Autors gehandelt zu haben. Im letzten Teil des Kommentars ab V. 604 fehlten im Manuskript teilweise noch die Zwischenüberschriften und die Inhaltsparaphrasen der im folgenden zu kommentierenden Textpassage; wir haben uns erlaubt, diese Teile in eigenen Formulierungen einzufügen; diese Herausgeberzusätze sind durch eckige Klammern kenntlich gemacht. Das Literaturverzeichnis wurde vervollständigt; es enthält nun auch die im letzten Kommentarteil und die in den drei Aufsätzen zitierten Werke. Der noch von Martin Seewald selbst für den Kommentarteil bis V. 604 erstellte Index locorum wurde in gleicher Weise ergänzt. Herausgeber brauchen kluge Köpfe und fleißige Hände zu ihrer Unterstützung, und daran hat es nicht gefehlt: Sven Beller, Eva Deigendesch, Simone Kurz, Rebecca Roth, Clemens Schuster und Anke Walter haben sich im Laufe der Jahre um die nicht leicht zu handhabenden Manuskripte verdient gemacht und mit philologischem Sachverstand, Geduld, Umsicht und nicht zuletzt Respekt vor dem geschriebenen Wort eines Autors, der keinen Einspruch mehr erheben kann, diesem Band seine Gestalt gegeben. Ihnen allen danken wir sehr herzlich. Heidelberg und Kiel, im Dezember 2007
Gerrit Kloss und Jan Radicke
Zum Geleit Martin Seewald war ein besonders tüchtiger Student. Begabt und fleißig, kenntnisreich und zuverlässig, zugleich stets bescheiden und hilfsbereit legte er vorzügliche Referate vor und belebte durch seine soliden Interpretationen und seine kritischen Fragen die Diskussionen in unseren Seminaren. Nach glänzend bestandener Zwischenprüfung wurde er wissenschaftliche Hilfskraft am Seminar für Klassische Philologie der GeorgAugust-Universität; und 1989-1990 nahm er die Möglichkeit wahr, im Rahmen des Erasmus-Programms in Bologna zu studieren. Nach erfolgreich bestandenem Staatsexamen (Winter 1992) wirkte er im Sommersemester 1993 als Vertreter eines wissenschaftlichen Angestellten an unserem Seminar und bewährte sich in der Verwaltung ebenso wie in der Lehre. Gleichzeitig begann er mit der Arbeit an seiner Dissertation und legte im Winter 1996 noch eine Ergänzungsprüfung im Italienischen ab. 1996 wurde er Studienreferendar in Göttingen und bestand im April 1998 das Assessorexamen, schon belastet von seiner Krankheit, die ihn dann im Sommer 1998 vollends aus der Bahn warf. Allen Widrigkeiten zum Trotz schloß er im Sommer 2000 seine Dissertation ab und bestand im Januar 2001 das Rigorosum. Auch danach feilte er immer weiter an seiner Arbeit, ergänzte und verbesserte Einzelheiten und beschäftigte sich zugleich mit mehreren weiteren Fragen, die ihm bei der Arbeit an der Dissertation begegnet waren; sie hat er in einigen Aufsätzen behandelt, die im zweiten Teil dieses Bandes veröffentlicht werden. Doch seine Krankheit erwies sich als stärker und nahm ihm am 24. September 2002 die Feder für immer aus der Hand. So bleibt diese Arbeit das einzige Zeugnis eines tüchtigen jungen Wissenschaftlers, dem es nicht vergönnt war, seine reichen Fähigkeiten voll zu entfalten. Göttingen
Carl Joachim Classen
Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeber..............................................................V Zum Geleit (von Carl Joachim Classen) ................................... IX Lucan. 9,1–733: Ein Kommentar..................................................1 Vorwort.............................................................................................3 1. Einleitung .....................................................................................5 1.1. Buch 9: Stellung im Werk und Gliederung................................................. 5 1.2. Quellen, Traditionen und ihre erzählerische Verarbeitung ...................... 7 1.2.1. Pompeius’ Himmelfahrt (9,1–18) ............................................................. 8 1.2.2. Sammlung der geschlagenen Truppen durch Cato (9,19–35)............... 8 1.2.3. Die Überfahrt nach Afrika (9,36–50)....................................................... 9 1.2.4. Totenklage für Pompeius (9,51–82) ....................................................... 10 1.2.5. Das Testament des Pompeius (9,84–97) ............................................... 11 1.2.6. Cornelias Trauer (9,98–116).................................................................... 11 1.2.7. Sextus’ Bericht vom Tod des Vaters und die Reaktion seines Bruders (9,117–166)............................................................................................ 12 1.2.8. Trauer um Pompeius (9,167–185) .......................................................... 13 1.2.9. Catos laudatio funebris (9,186–214)........................................................... 14 1.2.10. Die Rede des anonymen Meuterers (9,215–252)................................ 15 1.2.11. Cato schlägt die Meuterei nieder (9,253–293)..................................... 16 1.2.12. Die Disziplinierung der Soldaten vor dem Wüstenmarsch (9,294–302)........................................................................................................... 16 1.2.13. Der Syrtenexkurs (9,303–318) .............................................................. 17 1.2.14. Der Syrtensturm (9,319–347)................................................................ 18 1.2.15. Mythologischer Exkurs: Tritonsee, Lethonfluß und Garten der Hesperiden (9,348–367) ..................................................................................... 19 1.2.16. Vorbereitung zum Aufbruch (9,368–378)........................................... 19 1.2.17. Einstimmung der Soldaten auf den Wüstenmarsch (9,379–410) ..... 20 1.2.18. Der Afrika-Exkurs (9,411–444) ............................................................ 21 1.2.19. Der Sandsturm (9,444–492) .................................................................. 21 1.2.20. Catos Ablehnung von Privilegien (9,493–510) ................................... 23
XII 1.2.21. Exkurs: Das Ammonsorakel (9,511–543) ........................................... 23 1.2.22. Labienus fordert Cato auf, den Ammon zu befragen (9,544–563). 24 1.2.23. Catos Lehrvortrag über stoische Ethik (9,564–586) .......................... 25 1.2.24. Lucans Bewertung Catos (9,587–604) ................................................. 26 1.2.25. Zusammenfassung.................................................................................. 33
2. Kommentar: Lucan. 9,1–733 ...................................................33 2.1. Übersetzen nach Afrika (9,1–50) ............................................................... 33 2.1.1. Pompeius’ Himmelfahrt (9,1–18) ........................................................... 33 2.1.2. Kommandoübernahme durch Cato (9,19–35)...................................... 44 2.1.3 Überfahrt nach Afrika (9,36–50) ............................................................. 50 2.2. Cornelias Abfahrt von der ägyptischen Küste (9,51–116) ..................... 57 2.3. Gespräch der Söhne des Pompeius über den Tod ihres Vaters (9,117–166)........................................................................................................... 81 2.3.1. Sextus Pompeius schildert seinem Bruder die Ermordung des Vaters (9,117–145) .............................................................................................. 81 2.3.2. Invektive des Cn. Pompeius Magnus filius gegen Ägypten (9,145–166)........................................................................................................... 94 2.4. Errichtung symbolischer Scheiterhaufen für Pompeius; Catos Leichenrede (9,167–214) ..................................................................................105 2.4.1. Ehrenfeuer für Pompeius (9,167–185) ................................................105 2.4.2. Catos Leichenrede auf Pompeius (9,186–214)....................................117 2.5. Niederschlagung einer Meuterei durch Cato (9,215–293)....................136 2.5.1. Aufruf eines anonymen Soldaten zum Aufbruch (9,215–252) .........136 2.5.2. Niederschlagung der Meuterei; der Bürgerkrieg ist fortan ein bellum iustum (9,253–293) .............................................................................................155 2.6. Disziplinierung der Soldaten; Eroberung von Kyrene (9,294–302)...170 2.7. Syrtenexkurs und Syrtensturm (9,303–347)............................................175 2.7.1. Exkurs: die Syrten (9,303–318) .............................................................175 2.7.2. Der Syrtensturm (9,319–347)................................................................186 2.8. Mythologischer Exkurs: Tritonsee, Lethon und Garten der Hesperiden (9,348–367) ...................................................................................202 2.9. Aufbruch zum Wüstenmarsch; Catos Feldherrenrede (9,368–410)...213 2.9.1. Plan, auf dem Landweg ins westliche (Nord)afrika zu gelangen (9,368–378).........................................................................................................213 2.9.2. Praemeditatio malorum (9,379–410)....................................................219 2.10. Exkurs: Afrika (9,411–444) ....................................................................237 2.11. Sandsturm (9,444–492) ...........................................................................253 2.12. Cato übertrifft Alexander (9,493–510)..................................................272
XIII 2.13. Das Ammonsorakel (9,511–604) ...........................................................278 2.13.1. Exkurs: das Ammonsorakel (9,511–543 [537]).................................278 2.13.2. Labienus’ Bitte um Befragung des Ammon (9,544–563) ................305 2.13.3. Catos moralphilosophische Belehrung (9,564–586).........................313 2.13.4. Lucans Kommentar: Catos Wüstenmarsch übertrifft die Triumphe des Marius und des Pompeius (9,587–604) ...................................................322 2.14. Cato trinkt als erster das mit Schlangengift vermischte Wasser (9,604–618).........................................................................................................330 2.15. Afrika als Heimat der Schlangen (9,619–699)......................................334 2.15.1. Fehlen einer wissenschaftlichen Erklärung für die Schlangenplage in Afrika (9,619–623)........................................................................................334 2.15.2. Die Gestalt der Medusa und das Land ihrer Heimstätte (9,624–635).........................................................................................................336 2.15.3. Der Blick der Medusa (9,636–658).....................................................340 2.15.4. Athenas Hilfe für Perseus (9,659–670)..............................................347 2.15.5. Die Enthauptung der Medusa (9,671–699).......................................354 2.16. Der Schlangenkatalog (9,700–733)........................................................365
Drei Studien zu Lucan ............................................................... 375 I. Lucan. 9,411–420 und die TO-Karte ................................... 377 II. Lucans Cato, die Antipoden und das römische Herrscherlob. Zur Verbindung von Physik und Ethik im neunten Buch des Bellum civile ................................................... 391 III. Ein Anonymus der frühen Kaiserzeit. Zu Lucan 9,167–185 und Tac. ann. 3,1–2............................... 411 Literaturverzeichnis.................................................................... 443 1. Ausgaben........................................................................................................443 2. Scholien ..........................................................................................................443 3. Ausgaben mit Kommentar; Kommentare zu einzelnen Büchern ..........444 a) Gesamtausgaben mit Kommentar..............................................................444 b) Kommentare zu einzelnen Büchern; Teilkommentare............................444 4. Übersetzungen (ohne lateinischen Text) ...................................................445 5. Forschungsberichte.......................................................................................445 6. Wörterbücher, Konkordanzen ....................................................................446 7. Sekundärliteratur ...........................................................................................446
Index locorum............................................................................. 485
Lucan. 9,1–733: Ein Kommentar
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die leicht überarbeitete und um eine Einleitung ergänzte Fassung meiner Dissertation, die die Philosophische Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen im Wintersemester 2000/2001 angenommen hat. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Carl Joachim Classen D. Litt. (Oxon.), der diese Arbeit in allen Phasen ihrer Entstehung durch wohlwollende Kritik gefördert hat; ohne ihn wäre ein erfolgreicher Abschluß des Promotionsverfahrens nicht möglich gewesen. Ich danke ebenfalls Herrn Prof. Dr. Siegmar Döpp für seine freundliche Bereitschaft, das Korreferat zu übernehmen. Für die Ermutigung und die nicht nachlassende Unterstützung, die ich bei meinen Freunden Klaus Fricke, PD Dr. Gerrit Kloss, Thomas Johanterwage, Dr. Jan Radicke und Michaela Zinke gefunden habe, spreche ich ihnen meinen herzlichen Dank aus. Herr Heinrich Tuitje unterstützte mich bei bibliographischen Problemen; auch ihm gilt mein Dank. Mein Bruder Michael half mir in Computerangelegenheiten; auch ihm ein herzliches Dankeschön. Gewidmet sei diese Arbeit meinen Eltern, die mir ein steter Rückhalt waren und sind. Göttingen, im Januar 2002
M.S.
1. Einleitung 1.1. Buch 9: Stellung im Werk und Gliederung Buch 9 stellt einen Neueinsatz in der Handlung des Bellum civile dar. Mit der Niederlage bei Pharsalos und Pompeius’ Ermordung durch die Ägypter schien der Widerstand gegen Caesar unwiderruflich zum Erliegen gekommen zu sein. Unter Rückgriff auf das stoische Theorem von der Himmelsreise der Seele (9,1–18) zeigt Lucan jedoch, daß Pompeius’ Tod nicht das Ende des Kampfes ist. Buch 9 beginnt mit einem kräftigen Neueinsatz (9,1–2): at non in Pharia manes iacuere favilla / nec cinis exiguus tantam compescuit umbram. Pompeius’ Seele löst sich vom Scheiterhaufen, fährt in die sublunare Zone auf, tröstet sich dort durch den Anblick der unwandelbaren Harmonie des Kosmos und läßt sich schließlich in Cato und Brutus nieder. Diese symbolische Kommandoübertragung ist der erste Teil der Lösung der Aufgabe, die sich Lucan zu Beginn des neunten Buchs stellt: die Weiterführung der Handlung über Pompeius’ Tod hinaus, die Einführung eines neuen Gegenspielers für Caesar und die würdige Gestaltung des Ausscheidens des bisherigen Anführers Pompeius aus der Handlung, wobei dieser jedoch um der Einheit des Epos willen nicht vollkommen zurücktreten kann. Durch das Weiterleben in Brutus und Cato bleibt Pompeius auch im Schlußteil des Epos präsent. Auch durch andere Vorstellungen versucht Lucan, Pompeius nicht völlig in Vergessenheit geraten zu lassen. Seine Söhne werden im fiktiven Testament (9,87–97) aufgefordert, den Kampf im Gedenken an ihren Vater fortzuführen (9,95–96), ferner erwähnt Lucan mehrfach Pompeius’ Seele oder Totenschatten: die Leichenrede Catos (190–214) bedeutet für den Schatten die gebührende Totenehrung; Pompeius’ Seele steht Caesar in Ägypten bei, damit die Römer nicht etwa noch den Ägyptern dafür dankbar sein müssen, daß sie Caesar getötet haben (10,6–8); Pompeius’ Seele stachelt Pothinus zum Versuch an, Caesar zu ermorden (10,335–337). Die verwendeten Vorstellungen sind disparat, doch ist das erzählerische Bemühen deutlich, Pompeius auch über den Tod hinaus eine Rolle im Epos zuzuweisen. Der metaphysisch-philosophischen Übergabe der Befehlsgewalt an Cato in 9,1–18 folgt die Einsetzung Catos zum Antagonisten Caesars auf der Ebene der realen Handlung. Lucan geht dabei sehr sorgfältig in ei-
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Einleitung
nem mehrstufigen Verfahren auf verschiedenen Ebenen vor. Auf der moralischen Ebene wird gezeigt, daß mit Cato der Bürgerkrieg eine neue Qualität erhält. Anders als Pompeius verfolgt Cato keine eigennützigen Ziele. Er kämpft für die Freiheit des römischen Volkes gegen den Tyrannen Caesar. Hatte Cato zu Pompeius’ Lebzeiten nur unter Vorbehalt für ihn Partei ergriffen, weil er den Senat auf seiner Seite hatte und im Vergleich zu Caesar das kleinere Übel darstellte,1 sind die Verhältnisse nach Pompeius’ Tod geklärt. Gut (Cato) und Böse (Caesar) sind eindeutig voneinander geschieden. Im summarischen Rückblick zu Beginn des neunten Buches heißt es (9,28–30): nil causa fecit in armis / ille sua: totae post Magni funera partes / libertatis erant. Die ausführliche Begründung für diesen Wandel in der Qualität des Bürgerkrieges liefert Catos Rede, mit der er die nach seiner Leichenrede für Pompeius meuternden Soldaten zur Raison bringt (9,253–283). Cato führt dort aus, daß die Soldaten nun auf eigene Rechnung kämpfen; sie haben die Chance, sich ihre Freiheit zu erhalten. Die Soldaten stimmen zu, und aus dem schrecklichen Unrecht des Bürgerkriegs wird ein bellum iustum (9,293–294): sic voce Catonis / inculcata viris iusti patientia Martis. Die Niederschlagung der Meuterei ist zugleich Catos erste Bewährungsprobe als militärischer Anführer, denn in den vorangegangenen acht Büchern war es Lucan gar nicht möglich, Cato im Kampf zu zeigen, weil es mit seiner herausragenden Rolle nicht vereinbar gewesen wäre, ihn als Befehlsempfänger des Pompeius zu zeigen. Die Darstellung seiner Unterordnung unter Pompeius hätte ihn als literarische Figur kompromittiert und es unmöglich gemacht, ihn nach Pompeius’ Tod als Lichtgestalt und untadeligen Anführer hervortreten zu lassen. Bevor mit dem Versuch der Syrtendurchquerung die eigentliche militärische Mission gegen Caesar beginnt, hält es Lucan noch für nötig, Catos Tüchtigkeit als Feldherr und seine besondere Art, ein Kommando zu führen, darzustellen. In einem kurzen Abschnitt zwischen Meutereiszene und Syrtenexkurs (9,294–302) wird erwähnt, daß er als erste Amtshandlung die neu übernommenen Soldaten durch Schanzarbeiten diszipliniert und mit ihnen seine erste Bewährungsprobe bei der Eroberung von Kyrene besteht. Die1
Vgl. 2,319–323: quin publica signa ducemque / Pompeium sequimur? Nec, si Fortuna favebit, / hunc quoque totius sibi ius promittere mundi / non bene compertum est: ideo me milite vincat, / ne sibi se vicisse putet; 9,19–22: ille, ubi pendebant casus dubiumque manebat, / quem dominum mundi facerent civilia bella, / oderat et Magnum, quamvis comes isset in arma / auspiciis raptus patriae ductuque senatus. Cato unterstützte Pompeius also nur, weil dieser den Senat auf seiner Seite hatte.
Buch 9: Stellung im Werk und Gliederung
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ser Passus entbehrt eines historischen Kerns; er dient allein dazu, Cato als Feldherrn mit straffer Kommandoführung einzuführen. Wichtig ist ferner der Umstand, daß Cato die besiegten Bewohner von Kyrene schont. Er verbindet römische Kampfkraft mit stoischer Humanität und erweist sich zugleich als epischer Held besonderer Qualität, denn anders als Odysseus, der zu Beginn seiner Irrfahrten die Stadt der Kikonen vollständig vernichtet (Hom. Od. 9,39–42), läßt er Milde walten (vgl. zu 297–299). Zur Beurteilung der militärischen Tüchtigkeit Catos ist vor allem aber die große Szene, die sich am Ammonsorakel ereignet, von Belang. Der Vorwurf, der gegen Cato und Lucan, der ihn verherrlicht, gerichtet werden könnte, liegt auf der Hand: Cato ist Caesar unterlegen, also ist er weniger tüchtig und im traditionellen römischen Verständnis weniger tugendhaft. Unter Rückgriff auf die stoische Ethik wehrt Lucan diese mögliche Kritik ab. Was allein zählt, ist die gewissenhafte Pflichterfüllung; ob die Anstrengungen schließlich von Erfolg gekrönt werden, spielt für die Beurteilung der Tugendhaftigkeit eines Menschen keine Rolle. Dafür sind ausschließlich die äußeren Umstände, über die nicht der zu beurteilende Mensch, sondern die Fortuna gebietet, verantwortlich (593–600): si veris magna paratur / fama bonis et si successu nuda remoto / inspicitur virtus, quidquid laudamus in ullo / maiorum, Fortuna fuit. Quis Marte secundo, / quis tantum meruit populorum sanguine nomen? / hunc ego per Syrtes Libyaeque extrema triumphum / ducere maluerim, quam ter Capitolia curru / scandere Pompei, quam frangere colla Iugurthae. Diese stoische Tugenddefinition bildet formal die Mitte und inhaltlich den Höhepunkt des neunten Buches. Die Verse 1–604 des neunten Buchs gliedern sich demnach in drei Teile: Im ersten (9,1–302) wird der Übergang des Kommandos von Pompeius auf Cato geschildert. Mit Catos Leichenrede (9,186–214) werden Pompeius die letzten Ehren erwiesen, er tritt als Hauptfigur zurück. In der anschließenden Meutereiszene erweist sich Cato als adäquater Nachfolger. Er besitzt militärische Tüchtigkeit und die notwendige Autorität, die Soldaten zur Fortsetzung des Kampfes zu bewegen. Dieser Kampf gegen Caesar ist fortan kein Bürgerkrieg mehr, sondern ein bellum iustum, da Cato die Republik wiederherstellen will (9,292–293). Der zweite Teil reicht von 9,303–492: Cato kämpft mit den Widrigkeiten Afrikas. Im dritten Teil (9,493–604) wird die stoische Moralphilosophie expliziert, die Catos Handeln leitet. Vom stoischen Standpunkt aus betrachtet, übertrifft Cato die berühmten römischen Feldherrn der Vergangenheit und ist göttlicher Verehrung würdig (9,593–604). Das neunte Buch markiert einen tiefen Einschnitt im Bellum civile. Aus einem Kampf zweier Potentaten um die Alleinherrschaft in Rom ist ein
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Einleitung
Freiheitskampf geworden, in dem der untadelige Cato sein Leben für die Republik einsetzt.
1.2. Quellen, Traditionen und ihre erzählerische Verarbeitung Im folgenden soll untersucht werden, welche Quellen und Traditionen dem neunten Buch Lucans zugrunde liegen und mit welchen erzählerischen Mitteln der Autor das vorgefundene historische, literarische oder philosophische Material in das Epos einbindet, so daß ein einheitliches Ganzes entsteht. Es wird ein kurzer Durchgang durch den von mir kommentierten Teil des neunten Buches Szene für Szene durchgeführt. 1.2.1. Pompeius’ Himmelfahrt (9,1–18) Die Quelle für den einleitenden Abschnitt des neunten Buchs ist die stoische Lehrtradition vom Aufstieg der Seele in die sublunare Zone nach ihrer Ablösung vom Körper im Tod.2 Lucan übernimmt diese Lehre jedoch nicht, ohne sie charakteristisch zu modifizieren. Es ist bezeichnend für sein Epos, in dem auf den traditionellen epischen Götterapparat und metaphysische Elemente so gut wie vollkommen verzichtet wird, daß (1.) die Himmelfahrt durch eine anerkannte philosophische Lehre gedeckt wird und (2.) sie durch eine einschneidende Änderung modifiziert wird. Lucan läßt die Seele des Pompeius nicht auf Dauer unter den Sternen verweilen, sondern beschreibt ihr Eingehen in Brutus und Cato. Der Dichter unterstreicht damit seinen Anspruch, ein historisches Epos zu schreiben. Das aus Seneca entlehnte metaphysische Theorem dient nur zu einem Teil einem konsolatorischen, das irdische Geschehen relativierenden Zweck, den es bei Seneca innehatte; wichtiger ist, daß Lucan auf diese Weise die mit Pompeius’ Tod zum Erliegen gekommene Handlung wieder in Bewegung setzt, historische Kontinuität, den fortgesetzten Kampf gegen Caesar, aufzeigt und zusätzlich einem aufgrund des Wechsels der Hauptperson drohenden Auseinanderfallen des Epos vorbaut. Dadurch, daß Pompeius’ Seele in Cato fortlebt, bleibt gewissermaßen die Einheit der Person und des Epos gewahrt. Die Seelenwanderung des Pompeius ist ein erzähleri2
Vgl. das Material in der Anmerkung zu 9,5–18 und BRENA 1999, 275–291.
Quellen, Traditionen und ihre erzählerische Verarbeitung
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scher Kunstgriff, der den abrupten Wechsel des Protagonisten verschleiert. 1.2.2. Sammlung der geschlagenen Truppen durch Cato (9,19–35) Nach der Einführung Catos als neuer Hauptfigur stand Lucan im folgenden Abschnitt vor der zweifachen Aufgabe, einen kurzen Rückblick auf Catos bisherige Beteiligung im Bürgerkrieg zu geben und vor allem die wenig ruhmreiche Tätigkeit der Sammlung der geschlagenen Truppen zu sublimieren. Lucan tut dies unter fast völligem Verzicht auf historisches Quellenmaterial. Einzig der Name Corcyra (9,32) gibt dem Leser einen Anhalt für das tatsächlich ablaufende historische Geschehen nach der Niederlage von Pharsalos. Die Darstellung dominieren allgemein zusammenfassende Beschreibungen und ideologische Wertungen. Auf Catos bisherige militärische Leistungen im Kampf gegen Caesar wird keinerlei Bezug genommen, allein seine Motivation, für Pompeius zu kämpfen, weil dieser den Senat auf seiner Seite hatte, wird erwähnt (9,19–22). Die Beschreibung der mühseligen Tätigkeit der Neuorganisation der aufgeriebenen Pompeianer, die die stilistische Gefahr der dem Epos unangemessenen humilitas in sich birgt, wird durch die Anwendung einer metaphorischen Ausdrucksweise umgangen. Lucan verwendet den beliebten Vergleich des Staates mit dem menschlichen Körper. Den „kopflosen“ Pompeianern wird ein neuer Anführer gegeben, der den Soldaten wieder das Schwert in die Hand gibt. Die Bildlichkeit übertüncht die tatsächlichen Schwierigkeiten, die es nach einer so ernüchternden Niederlage gegeben haben muß.3 Zum Schluß des Abschnitts wird die Größe und Macht des geschlagenen pompeianischen Heeres durch zwei Topoi unterstrichen (9,32–35). Es wird von tausend Schiffen gesprochen, genauso viele, wie einst gegen Troja zogen (vgl. den Kommentar zu 9,32), und das Meer scheint zu eng für die Schiffe zu sein, wie damals, als die Perser Griechenland angriffen (vgl. den Kommentar zu 9,35). Das historische Geschehen ist in der lucanischen Darstellung beinahe völlig zurückgetreten, es herrschen metaphorische Überhöhungen vor und die mehrfach eingeschärfte ideologische Interpretation der Vorgänge, daß nach Pom-
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Zu Meutereien unter den geschlagenen Soldaten vgl. 9,30–33.
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Einleitung
peius’ Tod aus dem Bürgerkrieg ein Freiheitskampf geworden ist (vgl. 9,24. 27–30). 1.2.3. Die Überfahrt nach Afrika (9,36–50) Die ersten neun Verse dieses Abschnitts, der die Verbindung zwischen dem Geschehen in Griechenland und der Handlung in Afrika bildet, sind ein kurzer Fahrtbericht, der sich historisch wahrscheinlich an ein bei Livius vorgefundenes Itinerar anlehnt und dichterisch in der Tradition der Fahrtberichte aus Homers Odyssee und dem dritten Buch der Aeneis Vergils steht. Das historische Gerüst der Ortsnamen ist poetisch überarbeitet durch den Hinweis, daß Taenaron das Tor zur Unterwelt ist (9,36), und die gelehrte Bemerkung, daß auch in Afrika ein Hafen nach dem Steuermann des Aeneas, Palinurus, benannt ist (9,42–44). Stilistisch auffällig ist, daß in den Fahrtbericht die Zerstörung von Phykus gleichsam en passant eingearbeitet ist (9,39–41). Catos Schnelligkeit, Zielstrebigkeit und militärische Stärke werden auf diese Weise hervorgehoben. Die abschließenden sechs Verse (9,45–50) sind eine ahistorische Konstruktion, die fingiert, daß Cornelia von Ägypten ebenfalls in die Kyrenaika gesegelt ist.4 Lucan fügt auf diese Weise zwei sonst auseinanderstrebende Handlungsstränge zusammen, wahrt die Einheit des Ortes und ermöglicht so das pathoserregende Szenario an der Küste der Kyrenaika (9,51–214), in dem auf Pompeius’ Tod Rückschau gehalten wird. Erzähltechnisch interessant ist das Partizip Futur in Vers 50: et mala vel duri lacrimas motura Catonis. Es dient zwei Zwecken: Durch die vorweggenommene Schilderung der Reaktion Catos wird ein vorläufiger Abschluß erreicht, auf der anderen Seite schafft das Futurpartizip die Gelegenheit, den Rückblick mit der Schilderung der Ereignisse, die nach Pompeius’ Tod stattfanden, einzuschieben. 1.2.4. Totenklage für Pompeius (9,51–82) Cornelias Totenklage für Pompeius ist fiktiv und ist von Lucan hier eingearbeitet worden, weil es literarische Pflicht war, den Ehepartner den Tod des Gatten beklagen zu lassen. In der inventio schöpft er verschiedene 4
In Wahrheit begab sich Cornelia über Zypern nach Rom; vgl. den Kommentar zu 9,36–50.
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Fundstellen für Material aus. Die Verse 9,55–62 betonen dabei die besondere Situation dieser Totenklage: Die Ehefrau ist nicht in der Lage, die Bestattung selbst vorzunehmen. Eine Aufzählung der Dinge, die sie alle nicht tun kann, verdeutlicht ihre bemitleidenswerte Lage. Die Verse 9,62–64 leiten über zu der biographischen Reminiszenz, daß sie auch ihrem früheren Ehemann Crassus nicht die letzten Ehren erweisen konnte (9,64–68). 9,69–72 sind philosophische Topoi der Konsolationsliteratur: Wahre Trauer ist von äußerlichen Riten unabhängig und trägt das Bild des Verstorbenen im Herzen. Gemäß dieser Einsicht verkündet sie ihren Wunsch, in Ägypten zu bleiben (73–83); der Magnus felix ist aus ihrer Erinnerung geschwunden. Sie liebt Pompeius auch als Verlierer und will über den Tod hinaus an seiner Seite bleiben. 1.2.5. Das Testament des Pompeius (9,84–97) Ebenso wie die vorangegangene Totenklage Cornelias ist das nun folgende Testament des Pompeius eine Erfindung Lucans. Sie dient dem Zweck, den Kampf der Söhne des Pompeius gegen Caesar zu legitimieren und als Erfüllung seines letzten Willens darzustellen. Gleichzeitig wird durch die Schlußverse (9,96–97: uni parere decebit, / si faciet partes pro libertate, Catoni) die ungewöhnliche Unterordnung der eigentlich für die Rache für den Tod ihres Vaters verantwortlichen Söhne Magnus und Sextus unter Cato als Wunsch des Verstorbenen herausgestellt. Dieser Abschnitt ist also ein vermittelndes Stück zwischen Buch 8 und Buch 9. Er trägt dazu bei, die Übernahme des Kommandos durch Cato literarisch zu rechtfertigen. Das Material, das Lucan in diesem vaticinium ex eventu verarbeitet hat, ist historisch. Genaues Quellenstudium war allerdings nicht erforderlich; es handelt sich um die Rückprojektion der jedem Gebildeten bekannten geschichtlichen Ereignisse nach Pompeius’ Tod. 1.2.6. Cornelias Trauer (9,98–116) Die Quelle für diesen Abschnitt ist Senecas Consolatio ad Marciam (dial. 6,1–3). Am Beispiel der Octavia, die sich wegen des Todes des Marcellus unmäßiger Trauer hingibt, gibt Seneca der Marcia ein Beispiel dafür, wie Trauer nicht sein soll. Es ist verfehlt, wenn der Schmerz um den Verstorbenen an die Stelle der Erinnerung an den Lebenden tritt (dial. 6,1,5: ego
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confligere cum tuo maerore constitui, et defessos exhaustosque oculos, si verum vis, magis iam ex consuetudine quam ex desiderio fluentes, continebo, si fieri potuerit, favente te remediis tuis, si minus, vel invita, teneas licet et amplexeris dolorem tuum, quem tibi in filii locum superstitem fecisti; dial. 6,1,7: et fit infelicis animi prava voluptas dolor; vgl. Lucan. 9,109–112: caput ferali obduxit amictu / decrevitque pati tenebras puppisque cavernis / delituit, saevumque arte complexa dolorem / perfruitur lacrimis et amat pro coniuge luctum). Cornelia, die leben will, als ob sie schon tot sei, handelt entsprechend der von Seneca getadelten Fehlhaltung der Octavia (dial. 6,3,3: invisa haerebis in luce et aetati tuae, quod non praecipitet te quam primum et finiat, infestissima eris; quod turpissimum alienissimumque est animo tuo in meliorem noto partem, ostendes te vivere nolle, mori non posse; vgl. Lucan. 9,101–103: iam nunc te per inane chaos, per Tartara, coniunx, / si sunt ulla, sequar, quam longo tradita leto / incertum est). Cornelia wird von Lucan nach dem Beispiel Senecas als zu schwach geschildert, auf den Tod des Pompeius gefaßt zu reagieren. Sie ist weder stark genug, einen Selbstmord nach stoischer Art zu vollziehen, noch ist sie fähig, seinen Tod zu verwinden und sich am Kampf gegen Caesar zu beteiligen. Weibliche Schwäche ist das sie kennzeichnende Charakteristikum. Lucan hatte es bereits bei der Abschiedsszene der Eheleute im fünften Buch hervorgehoben. Cornelia bekennt sich als unfähig, ihrem Mann bei einer eventuellen Niederlage in den Tod zu folgen; vgl. 5,776–778: adde, quod adsuescis fatis tantumque dolorem, / crudelis, me ferre doces. Ignosce fatenti, / posse pati timeo. 1.2.7. Sextus’ Bericht vom Tod des Vaters und die Reaktion seines Bruders (9,117–166) Pompeius’ Ermordung war bereits im achten Buch (8,536–721) von Lucan ausführlich erzählt worden. Die Rede des Sextus ist dagegen ein Augenzeugenbericht (vgl. 9,126–128: o felix, quem sors alias dispersit in oras / quique nefas audis: oculos, germane, nocentis / spectato genitore fero), der dasselbe Geschehen aus der Perspektive des Sohnes wiedergibt und beim Leser Mitgefühl für die schreckliche Lage dessen wecken soll, der hilflos mit eigenen Augen der Ermordung des Vaters zusehen muß. Es handelt sich in 9,117–166 um keine überflüssige Wiederholung, sondern um eine notwendige Ergänzung zum achten Buch, denn dort war lediglich Cornelias Reaktion auf den Tod ihres Mannes geschildert worden (8,637–662). Der Grund dafür, daß Lucan auf Sextus und seinen Bruder erst im neunten Buch zu sprechen kommt, liegt in der Handlungsführung. Das achte Buch
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ist so konzipiert, daß der Handlungsstrang mit Pompeius als Hauptfigur zu Ende geführt wird; erst im neunten beginnt mit dem Eingehen von Pompeius’ Seele in Brutus und Cato die Fortsetzung des Bürgerkriegs. Die Szene mit den beiden Söhnen ist deshalb ins neunte Buch verlegt worden, weil aus der Ermordung des Vaters für die Söhne eine Rachepflicht erwächst, die eine Strafaktion gegen Ägypten fordert. Der zweite Sohn des Pompeius will diese Pflicht erfüllen, wird jedoch durch Catos Einschreiten an einer jugendlich-unüberlegten Aktion gehindert (9,165–166: dixerat, et classem saevus rapiebat in undas; / sed Cato laudatam iuvenis compescuit iram). Auf diese Weise gelingt es Lucan, der erzählerischen Notwendigkeit, die einen Bericht über das Verhalten der Söhne angesichts der Ermordung des Vaters forderte, gerecht zu werden. Sextus und Cn. Pompeius haben ihren Schmerz über das Vorgefallene zum Ausdruck gebracht und haben ihrer Verpflichtung zur Rache durch den Versuch, gegen Ägypten zu ziehen, Genüge getan. Daß sie ihn nicht in die Tat umsetzen, kann ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden, denn sie beugen sich der Autorität Catos, der sie sich nach Pompeius’ letztem Willen unterordnen sollen (9,96–97: uni parere decebit / si faciet partes pro libertate, Catoni). Im achten Buch hätte Sextus’ Reaktion auf die Ermordung des Vaters nicht erzählt werden können, denn Cato war noch nicht als Hauptfigur eingeführt worden und das Unterlassen eines Rachefeldzuges gegen Ägypten, der ja in der historischen Realität nicht stattfand, wäre nicht zu begründen gewesen. 1.2.8. Trauer um Pompeius (9,167–185) Zur Darstellung der Trauer um Pompeius überträgt Lucan hier, wie ein Vergleich mit Tacitus ann. 3,1–2 zeigt, einen Passus aus einer verlorenen Schrift eines unbekannten Autors, die Leben, Tod und Bestattung des Germanicus zum Inhalt hatte.5 Ein Blick auf Tacitus verdeutlicht die Änderungen, die Lucan vorgenommen hat, um das historische Textstück in den epischen Kontext einzupassen. Am Beginn der Szene steht bei Lucan die Beschreibung des Trauergeheuls der Soldaten, das den Äther zum Widerhall bringt. Dies hat keine Parallele bei Tacitus, sondern ist eine Hyperbel, die aus der epischen Tradition stammt.6 Ebenfalls eine lucanische 5 6
Vgl. zu den Einzelheiten SEEWALD 1998. Vgl. Verg. Aen. 4,668: resonat magnis plangoribus aether und zu 168.
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Ergänzung ist das folgende Paradox (9,169–170), daß die Völker der Erde um Pompeius trauern, obwohl er ein Tyrann war. Damit werden zwei, bei Lucan häufig wiederkehrende Charakteristika des Pompeius7 in einer eindrucksvollen sprachlichen Figur verdichtet. Die Verse 171–179 beschreiben, wie die von der Trauer ausgezehrte Cornelia das Schiff verläßt und aus den Waffen und Ehrengewändern ihres ermordeten Mannes einen symbolischen Scheiterhaufen errichtet. Lucan erregt dabei das Mitgefühl des Lesers, indem er bei der Nennung der Triumphgewänder noch einmal an Pompeius’ glanzvolle Laufbahn erinnert und diese mit dem seiner unwürdigen Begräbnis an der afrikanischen Küste kontrastiert. Den wirkungsvollen Abschluß der Szene bildet ein episches Gleichnis, das die Reihe der an der Küste errichteten Scheiterhaufen mit dem Abbrennen der Felder in Süditalien vergleicht. Kennzeichnend für Lucans naturwissenschaftliche Gelehrsamkeit ist der Umstand, daß er den Brauch der apulischen Bauern im Sinne der stoischen Temperatio-Lehre deutet (vgl. 9,183–184: renovare parans hibernas Apulus herbas / igne fovet terras mit dem Kommentar zur Stelle). 1.2.9. Catos laudatio funebris (9,186–214) In der Redeeinleitung (9,186–189) werden die wenigen, aber wahrhaftigen Worte, die Cato anläßlich des Todes von Pompeius spricht, als Überbietung der unartikulierten Traueräußerungen der Soldaten dargestellt. Die Leichenrede selbst zerfällt in zwei Teile, deren erster (9,190–203) die ambivalente Persönlichkeit des dreimaligen Triumphators würdigt, während der zweite Teil (9,204–214) zuerst eine historische Einordnung dessen enthält, was Pompeius’ Tod für die Geschichte der republikanischen Freiheit in Rom bedeutet (9,204–207), und im Anschluß daran Pompeius’ Ermordung aus stoischer Sicht bewertet. Der Mord war für Pompeius ein Glück, denn so ist es ihm erspart geblieben, als schmählicher Verlierer sein Leben unwürdig unter Caesars Herrschaft zu fristen (208–211). Die abschließenden drei Verse richten den Blick nach vorn: Cato wünscht, sein kommender Gegner in Afrika, Juba, möchte im Falle seiner Niederlage so mit ihm verfahren wie die Ägypter mit Pompeius. Auf diese Weise 7
Zu Pompeius’ Beliebtheit vgl. 1,131–133; 2,632–634; 9,90–92. Zu seinem Streben nach Alleinherrschaft vgl. 2,320–323; 9,256–258.
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bliebe ihm die Schmach einer Begnadigung erspart (9,212–214). Im ersten Abschnitt der Leichenrede verarbeitet Lucan historisches Material, wie es ihm vielleicht schon durch das Epitaph des Livius geliefert worden war. Es werden allerdings nicht einzelne historische Ereignisse und die Taten und Erfolge des Ermordeten aufgezählt, sondern Lucan abstrahiert von ihnen und schildert die allgemeine Einstellung des Pompeius zum republikanischen Rechtsstaat. Er entwirft so ein zwiespältiges Bild, das mit der Charakterisierung des Pompeius in den übrigen Passagen im Bellum civile, in denen er als zwischen dem tyrannischen Staatsfeind Caesar und dem untadeligen Republikaner Cato stehend beschrieben wird, übereinstimmt. Der zweite Abschnitt des Epitaphs dagegen dürfte von Lucan ohne eventuellen Rückgriff auf ein livianisches Vorbild selbst gestaltet worden sein. Vor allem die Reflexion über Pompeius’ Tod und Catos trotziger Wunsch, im Falle einer Niederlage gegen Juba enthauptet zu werden, stehen ganz auf dem Boden stoischer Philosophie. Mit den letzten drei Versen, Catos entschlossener Verkündigung seiner Todesbereitschaft, endet die Rede, die eigentlich Pompeius gelten sollte, in einer Selbstdarstellung Catos. 1.2.10. Die Rede des anonymen Meuterers (9,215–252) Während Cato mit seiner Rede Pompeius die letzte Ehre erweist, rührt sich der Widerstand der Soldaten gegen eine Fortsetzung des Kampfes gegen Caesar. Das Zeichen zum Aufbruch gibt der König der Kilikier, Tarcondimotus. Er wird von Lucan hier nicht aufgrund einer historischen Überlieferung namhaft gemacht, sondern allein um in 9,223–224: Magnum Fortuna removit: / iam pelago, pirata, redis mit der Anrede pirata eine Antonomasie verwenden zu können.8 Die folgende Rede des anonymen Meuterers ist ebenfalls ohne historische Grundlage frei gestaltet. Der Sprecher der Soldaten führt zuerst ihre persönliche Zuneigung zu Pompeius als Motiv für ihre Teilnahme am Krieg an (9,227–230). Er zeigt damit, daß ihm der tiefere Sinn des Bürgerkriegs, der Kampf um die republikanische Freiheit, verborgen geblieben ist. In seiner Antwort greift Cato diesen Punkt gleich zu Beginn auf (9,256–262). Des weiteren nennt der
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Vgl. dieselbe Figur in 3,228: itque Cilix iusta iam non pirata carina.
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Meuterer das in derartigen Reden topische Argument9 der Sehnsucht nach einem Ruhestand in Frieden (9,230–236). Daß Caesar ihnen diesen gewähren wird, untermauert seine Bezeichnung als civis togatus (9,238–239). Den Vorwurf des Treuebruchs gegenüber Pompeius wehren die Soldaten auf doppelte Weise ab. Sie werden dem Toten die gebührenden Ehren erweisen (9,240–241), außerdem sei Caesar für sie ein dominus und kein dux, wie es Pompeius war (9,241–242). Durch diese sophistische Distinktion wird die Fahnenflucht zu Caesar verdeckt. Zusätzlich führt der Soldat einen Grund an, gegen den es keinen Widerspruch zu geben scheint. Durch Caesars Sieg bei Pharsalos scheint weiterer Widerstand zwecklos. Das Überlaufen zu ihm ist eine schicksalhafte Notwendigkeit (9,242–243): te solum in bella secutus / post te fata sequar. Ein Argument, das speziell auf den die Wahrung der republikanischen Formen achtenden Cato gemünzt ist, schließt die Rede ab: Caesar ist Konsul (9,250–251); dem Anschein nach hat er das Recht und das Vaterland auf seiner Seite (9,249–250). 1.2.11. Cato schlägt die Meuterei nieder (9,253–293) In seiner Antwort auf Brutus’ Versuch, ihn zur Einnahme einer neutralen Haltung im Bürgerkrieg zu bewegen, begründet Cato seine Parteinahme für Pompeius mit der Erklärung, er schlage sich nur auf dessen Seite, damit, falls dieser siegen sollte, in Pompeius’ Lager jemand sei, der die Interessen der Republik vertrete (2,320–323): nec, si Fortuna favebit, / hunc quoque totius sibi ius promittere mundi / non bene compertum est: ideo me milite vincat / nec sibi se vicisse putet. Daß die Soldaten diese vorbehaltliche Entscheidung, für Pompeius zu kämpfen, nicht geteilt haben, macht er ihnen zu Beginn seiner Rede zum Vorwurf (9,256–258): ergo pari voto gessisti bella, iuventus, / tu quoque pro dominis, et Pompeiana fuisti, / non Romana manus? Er knüpft daran eine Belehrung über die Veränderung der Lage, die durch Pompeius’ Tod eingetreten sei. Nunmehr kämpfe man für die Freiheit und nicht mehr für einen Tyrannen (9,262–263: nunc causa pericli / digna viris). Die Begründung, daß in diesem Moment die Gelegenheit für einen Kampf besonders günstig sei, wird fortgeführt durch den Hinweis, daß mit Crassus und Pompeius bereits zwei der drei Triumvirn und potentiellen Alleinherrscher tot seien und das Schicksal nur noch Caesar als letzten 9
Vgl. den Kommentar zu 9,232–233.
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Überlebenden übrig gelassen habe. Mit dem Ausruf pudeat (9,266) appelliert er an das Ehrgefühl der Soldaten: Ägypter und Parther hätten mehr für die Freiheit Roms geleistet als sie. Diese Provokation wird durch den Redeschluß noch überboten. Cato fordert die Meuterer auf, Pompeius’ Gattin, seine Söhne und auch ihn selbst Caesar zu überbringen. Er unterstellt ihnen, es sei allein Feigheit, daß sie dies unterließen (9,283: ignavum scelus est tantum fuga). Mit einer Adaption des homerischen Bienengleichnisses (Il. 2,84. 89) beschreibt Lucan die Wirkung der Worte Catos: Reumütig fügen sich die Soldaten und kehren zum Gehorsam zurück. Ein eindrucksvolles Epiphonem, in dem die Fortsetzung des Kampfes gegen Caesar als bellum iustum bewertet wird, schließt die Szene ab (9,292–293): sic voce Catonis / inculcata viris iusti patientia Martis. 1.2.12. Die Disziplinierung der Soldaten vor dem Wüstenmarsch (9,294–302) Lucan weicht hier von der historischen Überlieferung ab, nach der die Bewohner von Kyrene ihre Tore den Anhängern Catos freiwillig geöffnet haben (vgl. den Kommentar zu 9,297–299). Grund für die Retusche ist das Vorbild des Odysseus, der zu Beginn seiner Irrfahrten die Stadt der Kikonen erobert (Hom. Od. 9,39–42).10 Cato wird jedoch nicht einfach zum epischen Helden in der Nachfolge des Odysseus stilisiert, sondern Lucan modifiziert die homerische Vorlage. Während Odysseus sich dessen rühmt, die Stadt geplündert zu haben, läßt Cato Milde walten. Er erweist sich als ein Feldherr, der der sittlich-moralischen Entwicklung, die seit den Zeiten des Odysseus stattgefunden hat, und den Forderungen philosophischer Ethik Rechnung trägt. Der Homer-Imitatio fügt Lucan noch einen spezifisch römischen Zug hinzu. Vor dem Kampf unterzieht Cato die Soldaten einer harten militärischen Ausbildung (9,294–296).11
10 Vgl. LAUSBERG 1985, 1601. 11 Vgl. Tacitus’ lobende Schilderung der Disziplinierung der syrischen Legionen durch Corbulo (Tac. ann. 13,35,1–4).
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1.2.13. Der Syrtenexkurs (9,303–318) In den sechzehn Versen, die der Sturmschilderung vorangehen, stellt Lucan zwei konkurrierende Erklärungsversuche vor, die die Entstehung der gefährlichen Untiefen vor der Küste Afrikas verständlich machen sollen. Die eigentliche Beschreibung des Naturphänomens, das der Leser bereits aus Vergil kennen sollte, erfolgt nebenbei (9,305–309. 317–318). Mit den beiden Deutungsversuchen stellt sich Lucan in die Tradition der Lehrdichtung; beide Erklärungen stehen auf dem Boden der stoischen Physik, scheinen jedoch kein unmittelbares Vorbild zu haben und sind vermutlich eine selbständige Adaption stoischer Theoreme auf die sich einer Einordnung in die stoische Kosmologie, die die Natur als zum Nutzen des Menschen geschaffen ansieht, widersetzenden Syrten (vgl. den Kommentar zu 9,303–318). In der ersten Erklärung für den Zustand der Syrten (303–311) kombiniert Lucan die Beobachtung, daß sich die Untiefen wegen ihres flachen Wasserstandes und der sie durchziehenden Sandbänke weder eindeutig dem Festland noch dem Meer zuordnen lassen, mit dem stoischen Lehrsatz, daß in der Natur alles zu einem bestimmten Zweck geschaffen sei. Er zieht selbständig die Schlußfolgerung, daß die Syrten gleichsam unfertig gelassen worden sind (310–311: sic male deseruit nullosque exegit in usus / hanc partem natura sui). In der zweiten Deutung (9,311–318) wird die stoische Lehre von der Ernährung der Gestirne durch die Ausdünstungen von Meeren und Binnengewässern (303) und von der Ekpyrosis (316) für die Zwittergestalt der Syrten herangezogen. Für beide Interpretationsversuche der Syrten aus stoischer Perspektive sind keine Vorbilder überliefert. Es dürfte sich um eine selbständige Leistung Lucans handeln, der allgemein geläufige stoische Lehren mit der beobachtbaren Natur in Übereinstimmung zu bringen trachtet. 1.2.14. Der Syrtensturm (9,319–347) Mit der Schilderung eines Seesturms, dem Cato zu Beginn seines Wüstenmarsches ausgesetzt ist, stellt sich Lucan in die Tradition, die von Homer (Od. 5,282–407) begründet worden ist, und weicht von der historischen Überlieferung ab. Die Ausführung des Motivs „Seesturm“ trägt zwar den Forderungen der Gattung Epos Rechnung, die Darstellung im Detail ist von Lucan jedoch unabhängig und ohne Übernahmen aus der Überlieferung gestaltet worden. Stoffliche Grundlage der Sturmbeschrei-
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bung ist die vorangegangene Ekphrasis (9,303–318), in der die Syrten als von Sandbänken durchzogenes Flachwassergebiet dargestellt werden. Lucan nimmt darauf mehrfach Bezug: Den Schiffen verwehrt eine vom Wind aufgetürmte Sandbank die Einfahrt in die Syrten (9,323); ein Teil der Schiffe wird von der Flut über die Sandbänke getragen, bis die Kraft des Wassers nicht mehr ausreicht und sie, auf Grund gelaufen, scheitern (9,335–344). Das im Exkurs gegebene statische Szenario der Syrten wird zusätzlich durch die Anwendung zweier literarischer Motive belebt. Das eine ist das des „Kampfs der Elemente“. Die gegenläufigen Kräfte von Wind, Wasser und Land werden in Bewegung gezeigt, und Lucan schildert, welche Auswirkungen das Widerspiel der Naturgewalten auf die Seefahrer hat. Das zweite, für Lucan typische, jedoch nicht von der Tradition vorgegebene Motiv ist das Paradox. Die Seefahrer, die eigentlich falsch handeln und ihre Takelage nicht umlegen, werden gerettet (9,324–331; vgl. bes. 331: et certo iactata mari), der Teil, der die üblichen Vorsichtsmaßnahmen trifft, wird von der Flut erfaßt und kommt in den Syrten um (331–344). Das Paradox gliedert den Abschnitt in zwei Teile und zeigt inhaltlich, daß die Natur, anders als in der stoischen Lehrtradition, bei Lucan eine irrationale, dem Menschen feindliche Macht ist. 1.2.15. Mythologischer Exkurs: Tritonsee, Lethonfluß und Garten der Hesperiden (9,348–367) Durch die Einfahrt der überlebenden Seeleute in den Tritonsee ist die Handlung vorübergehend zur Ruhe gekommen, so daß sich die Gelegenheit zu einem mythologischen Exkurs ergibt. In Stil, Metrik und der inhaltlichen Ausführung der Einzelheiten lehnt sich Lucan an die zu dem jeweiligen Motiv bereitstehende Tradition lateinischer Poesie an (Lucr.; Verg.; Ov.; Sen. trag.; vgl. den Kommentar zu 348–367), die Information, welche mythisch bedeutsamen Orte sich in der Gegend von Berenike befinden, dürfte er jedoch den geographischen Handbüchern entnommen haben (vgl. Plin. nat. 5,3–4; Solin. 2,2–6). Ebenso wie die Geographen, die sich trotz ihrer skeptischen Haltung gegenüber dem Mythos verpflichtet fühlen, die aus der Sage bekannten Orte zumindest zu erwähnen, kann auch Lucan nicht umhin, der Tradition seine Reverenz zu erweisen. Für die Abschweifung vom historischen Stoff reklamiert er ausdrücklich eine poetische Lizenz (9,359–360: invidus, annoso qui famam derogat aevo, / qui vates ad vera vocat).
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1.2.16. Vorbereitung zum Aufbruch (9,368–378) Das kurze Verbindungsstück zwischen der gescheiterten Syrtendurchfahrt und dem Beginn des Wüstenmarsches nimmt den durch den mythologischen Exkurs unterbrochenen Erzählfaden wieder auf. Gegen die historische Überlieferung, nach der Cato Cn. Pompeius minor von Afrika aus nach Spanien gesandt hat, damit er dort einen zweiten Kriegsschauplatz eröffne (Bell. Afr. 22–23; Cass. Dio 42,56,4), bleibt er nach Lucan in der Kyrenaika zurück. Zweck der Änderung ist es, zwischen Pompeius, der sich in Sicherheit befindet (370: Libyae melioris in oris), und Cato, der sich unerschrocken in Gefahr begibt, einen wirksamen Gegensatz zu schaffen. Die Beschreibung der Wetterlage, die in 9,374–378 folgt, hat dagegen einen historischen Bezug: Cato brach tatsächlich im Winter (47 v. Chr.) auf. Lucan begnügt sich jedoch nicht mit einer schmucklosen Terminangabe, sondern führt unter Verwendung der stoischen Temperatio-Lehre breit aus, warum der Zeitpunkt zum Aufbruch von Cato günstig gewählt ist. 1.2.17. Einstimmung der Soldaten auf den Wüstenmarsch (9,379–410) Bevor er sich mit seinen Soldaten auf den entbehrungsreichen Weg durch die afrikanische Wüste macht, stimmt Cato mit einer stoischen praemeditatio malorum (vgl. den Kommentar zu 9,379–410) sein Heer auf die vor ihm liegende Aufgabe ein. Die Rede unterrichtet die Soldaten unverblümt über die Gefahren, die sie in der Wüste erwarten, und ihre Erfolgschancen; Catos Worte sind zugleich eine Lektion in stoischer Moralphilosophie. Der Inhalt der Rede ist bereits in der Anrede zusammengefaßt (9,379–381): o quibus una salus placuit mea castra secutis / indomita cervice mori, componite mentes / ad magnum virtutis opus summosque labores. Die Soldaten werden als todesbereit angesprochen; Cato setzt voraus, daß sie die stoische Lehre, nach der ein Tod in Freiheit einem Leben in Sklaverei vorzuziehen sei, bereits befolgen und nicht die Absicht haben, ihr Leben durch eine schmähliche Flucht zu retten. In der mit componite mentes eingeleiteten Aufforderung werden sie angehalten, diese Einstellung zu verfestigen. Die labores, denen sie entgegengehen, geben ihnen die Gelegenheit, in hervorragender Weise ihre Tugend unter Beweis zu stellen. Die folgenden drei Verse (9,382–384) explizieren diese Mühen: Hitze, Trockenheit und Schlangen werden ihnen alles abverlangen. Wer sich ihnen jedoch aussetzt, gewinnt die Liebe des Vaterlandes (9,385). Die nächsten drei Verse
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erinnern die Soldaten an die stoische Maxime, daß die Durchführung einer sittlich gebotenen Handlung nicht von den möglichen Erfolgschancen abhängig gemacht werden darf, sondern in sich wertvoll ist (9,388: si quibus ire sat est). Die offene und freimütige Haltung, mit der Cato den Soldaten in dieser Rede gegenübertritt, ohne Illusionen über den Ausgang der bevorstehenden Unternehmung zu machen, wird im folgenden noch gesteigert. Seinen Begleitern muß es genug sein, Cato als Zeugen für ihre Leiden zu haben; wer sein Leben retten will, soll dagegen zu Caesar überlaufen (9,388–394). Catos Ehrlichkeit gegenüber den Untergebenen wird darauf um einen weiteren Zug ergänzt. Gemäß den Topoi der Feldherrenrede (vgl. den Kommentar zu 9,394–402) sichert er seinem Gefolge zu, ihm auf diesem Marsch voranzugehen, sich als erster allen Widrigkeiten auszusetzen und keinerlei Privilegien in Anspruch zu nehmen (9,394–402). Die Ansprache beschließen eine nochmalige stoische Bewertung der anstehenden Aufgabe und ein Appell an das Ehrgefühl der Soldaten, die Flucht bei Pharsalos vergessen zu machen. Catos Rede ist von Lucan frei formuliert worden; er läßt Cato die Prinzipien der stoischen Ethik auf eine konkrete Situation anwenden. 1.2.18. Der Afrika-Exkurs (9,411–444) Dem Afrika-Exkurs Lucans muß ein mit einer Karte versehenes geographisches Handbuch zugrunde gelegen haben. Er gliedert sich in drei Teile: (1.) die Reflexion über die traditionelle Einteilung der Kontinente (9,411–420), (2.) der fruchtbare Teil Afrikas (9,420–430) und (3.) die Wüste im Hinterland der Syrten (9,431–444). Lucan schöpft seine Informationen offenkundig aus vorliegenden Quellen, doch ist bemerkenswert, daß sich in allen drei Unterabschnitten mutmaßliche Übernahmen und Adaptionen aus Quellen anderer Herkunft sowie eigenständige Formulierungen und Reflexionen finden. In 411–420 beschreibt Lucan eine ihm offenbar vorliegende TO-Karte (vgl. in diesem Band S. 377–389), räsoniert anhand der Entstehung der Winde über die Berechtigung der herkömmlichen Kontinenteinteilung und schlägt statt der kanonisch gewordenen Dreiteilung eine Zweiteilung vor. Im zweiten Teil (420–430) finden sich dichtgedrängt verschiedene Topoi stoischer, deklamatorischer oder allgemein satirisch-moralkritischer Tradition. 421–423 sind eine Übernahme von Sen. nat. 5,10–11 (Theorie der Passatwinde), 424–426 ein locus de divitiis, 426–427 enthalten den Topos vom einfachen und vorbildlichen
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Leben der Naturvölker, 428 ist die Andeutung eines locus amoenus, 429–430 kritisieren römischen Tafelluxus (vgl. den Kommentar zu den jeweiligen Stellen). Der dritte Teil (431–444) enthält eine Anwendung antiker Klimatheorie und stoischer Temperatio-Lehre auf die Wüste (431–437), in 441–444 wird eine vermutlich aus der geographischen Vorlage stammende Beschreibung der Nasamonen von Lucan zu einem für ihn typischen Paradox zugespitzt. Stammt auch das Grundgerüst des Afrika-Exkurses mit großer Sicherheit aus einem einschlägigen Handbuch, fällt doch die Intensität auf, mit der er seine Quelle bearbeitet hat. Zwar ist die Vorlage verloren, doch scheint es sehr unwahrscheinlich, daß sie all die Gesichtspunkte und Reflexionen, die sich in der Version Lucans finden, bereits geboten hat. 1.2.19. Der Sandsturm (9,444–492) Mit der Beschreibung eines Wirbelsturms in der Wüste betritt Lucan episches Neuland und bereichert die Gattungstradition, die bis dahin nur die Schilderung eines Seesturms kannte. Die Idee zu dieser Innovation dürfte ihm die geographische Literatur geliefert haben (Sall. Iug. 76,1–4. 6; Solin. 2,39), die auf die Stürme im Hinterland der Syrten aufmerksam macht und sie als ebenso gefährlich wie Seestürme bezeichnet (vgl. den Kommentar zu 9,446–447). Lucan hat in 9,446–447: nullasque timens tellure procellas / aequoreos est passa metus diese Wertung übernommen und stellt durch das als Überschrift fungierende Paradox sicher, daß seine Beschreibung eines Sandsturms als gleichwertig zu den durch die Tradition abgesicherten Seesturmschilderungen anzusehen ist. Da sich für den Abschnitt keine epischen Vorbilder finden, war Lucan gezwungen, eigenständig Material aus anderen Quellen zusammenzustellen. Er tut dies, indem er sich an die naturwissenschaftliche Überlieferung, wie sie durch Lukrez und Seneca (nat. quaest.) vertreten wird, anlehnt. Die allgemeine Darstellung der Ursachen und Erscheinungsformen eines Wüstensturms (447–462), die der Schilderung der Wirkung des Sturms auf Catos Soldaten vorangeht, basiert auf Lukrez und Seneca (vgl. den Kommentar zu 449–462). Auch in den darauffolgenden Versen (9,463–492), die den Kampf der Soldaten mit Wind und Sand zeigen, dominiert wissenschaftliches Gedankengut. In 9,466–471 wird die Heftigkeit des Sturms durch die pneumatische Erdbebentheorie verdeutlicht, wie sie sich ebenfalls bei Lukrez (6,557–607) und Seneca (nat. quaest. 6) findet. Die in 9,474–480 vorgetragene Überle-
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gung über die mögliche Verehrung der vom Wind davongetragenen Bewaffnung durch andere Völker und die rationalistische Deutung des Salier-Mythos sind durch philosophisch-rationalistische Mythendeutung angeregt. Die Darstellung wird durch zwei literarische Motive ergänzt, die Lucans Werk insgesamt kennzeichnen: der „Kampf der Elemente“ (vgl. den Kommentar zu 9,469–471) und das Paradox, das die verblüffende Kraft des Sturms anschaulich machen soll. Die Soldaten werfen sich auf die Erde, damit sie nicht vom Sturm in die Luft davongetragen werden. Das Resultat ihrer Vorsichtsmaßnahme ist jedoch, daß sie unter Sandbergen begraben werden (9,481–486). Eine andere Gruppe trotzt dem Sturm im Stehen; sie werden gleichfalls von Sanddünen umschlossen (9,488–489). Der Sturm reißt Steine aus Mauern fort, so daß Nomaden, die gar nicht wissen, was steinerne Häuser sind, Trümmer von Häusern zu sehen bekommen (9,490–492). Lucan hat diesen Abschnitt ohne episches Vorbild gestaltet und unter Benutzung naturwissenschaftlichen Materials eigenständig eine Variante zu den gängigen Seesturmschilderungen geschaffen. Er zeigt sich hier als Dichter, der trotz aller Übertreibungen und unwahrscheinlichen paradoxen Zuspitzungen bemüht ist, den Boden des Rationalen nicht zu verlassen. 1.2.20. Catos Ablehnung von Privilegien (9,493–510) Die Episode ist eine Übernahme aus der Alexandertradition. Arrian (an. 6,26), Plutarch (Alex. 42) und Curtius Rufus (7,5,2–6) berichten, wie dem durstigen Alexander bei seinem Zug durch Asien von einem Soldaten Wasser angeboten wird, dieser es jedoch ausschlägt, als erster zu trinken, und seine Soldaten durch sein Beispiel anleitet, die Durstqualen tapfer zu ertragen. Lucan überträgt diese Überlieferung auf Cato, modifiziert sie jedoch so, daß dieser das Beispiel Alexanders noch übertrifft. Anders als der Makedone, der das Angebot des Soldaten zwar zurückweist, ihn aber dennoch für seine gute Absicht belobigt, lobt Cato den Soldaten für seine selbstlose Geste keineswegs, sondern spricht einen scharfen Tadel aus und schüttet das kostbare Wasser aus dem Helm aus. Er erweist sich so nicht nur als vollkommener Feldherr, sondern auch als unerschütterlicher stoischer Weiser, der einer verlockenden Versuchung seiner Tugend (9,505–506: mene […] vacuum virtute putasti?) widersteht. Durch diese Zuspitzung gelingt es Lucan zugleich, die kurze Episode zu einem eindringli-
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chen Paradox zu verdichten: Statt des zu erwartenden Dankes erhält der Soldat eine Zurechtweisung. 1.2.21. Exkurs: Das Ammonsorakel (9,511–543) Catos Besuch des Ammonsorakels ist eine literarische Fiktion, denn die Oase Siwah lag weitab von seiner Route ins westliche Afrika. Grund für die Konstruktion dieser Szene ist der Umstand, daß Alexander auf seinem Eroberungszug in Afrika ebenjenen Iuppiter Ammon aufgesucht hat und sich einen geheimen Antwortspruch erteilen ließ. Wahrscheinlich hielt er sich danach für einen Sohn des Ammon.12 Cato wird von Lucan gegen Alexander abgesetzt; er zieht, ohne das Orakel um eine Auskunft zu bitten, im Bewußtsein, daß ihn die stoische Moralphilosophie alles Notwendige lehrt, an der Oase vorbei. Die Unabhängigkeit, mit der Lucan die Tradition gestaltet, zeigt sich nicht nur in dem ohne Zweifel frei komponierten Redepaar Labienus/Cato (9,544–586), sondern auch schon in der die Oase beschreibenden Ekphrasis. Sie ist ohne Bezug auf die Beschreibungen der Alexanderhistoriker gestaltet. Der kurzen Einleitung, die den Ammon mit dem römischen Iuppiter vergleicht (511–514), folgt eine lobende Beschreibung der Schlichtheit des Tempels (515–521), die sich vorteilhaft von der Dekadenz und der Veräußerlichung der zeitgenössischen römischen Religion absetzt, in der der Prunk der Opfergaben und Tempelausstattung an die Stelle einer aufrichtigen Gottesverehrung getreten ist. Lucan greift damit ein Thema auf, das hellenistische Popularphilosophen, aber auch römische Kritiker häufig zur Sprache brachten (vgl. die zahlreichen Belege im Kommentar zu 515–521). Ebenfalls auf Lucan und nicht die Alexandertradition dürfte die sich anschließende rationalistische Erklärung der Oase zurückgehen. Die Oase existiert nach Lucan in der Wüste, weil sich dort eine Quelle befindet, die den lockeren Sand entsprechend der Temperatio-Lehre zu fruchtbarem Boden bindet (9,526–527). Es ist keineswegs so, daß zuerst der Ammon da war und dann durch seine Einwirkung die Oase entstanden ist, sondern das Kausalverhältnis ist genau umgekehrt. Der Gott hat sich nach Siwah begeben, weil es dort eine Quelle gibt (9,522–525). Auch in den folgenden Versen 12 Für die antiken Berichte über den Orakelbesuch vgl. die Belege im Kommentar zu 511–543.
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(9,528–532) zeigt sich Lucan als (natur-)philosophisch beschlagener Dichter. Auf dem nördlichen Wendekreis, auf dem Siwah angeblich liegt, fällt zur Zeit der Sommersonnenwende kein Schatten. Zum Abschluß der Ekphrasis folgt ein assoziativ angeknüpftes Stück astronomischer Gelehrsamkeit (9,533–543). Von der Beschreibung des Schattenfalls auf dem nördlichen Wendekreis springt Lucan zum Schattenfall am Äquator, erwähnt die Antipoden, die dort seiner Ansicht nach leben (9,538–539), und beschließt den Exkurs mit einer virtuosen Beschreibung des Auf- und Untergangs der zwölf Tierkreiszeichen, wie sie vom Äquator aus zu sehen sind (9,533–537). Die Ekphrasis der Oase Siwah ist durch die Alexanderüberlieferung angeregt, ihre Ausführung im Detail ist allein Lucans Werk. Mit der Aufnahme moral- und naturphilosophischer sowie astronomischer Tradition und ihrer Anwendung auf das zu bearbeitende literarische Thema unterstreicht er seinen Anspruch, poeta doctus zu sein. 1.2.22. Labienus fordert Cato auf, den Ammon zu befragen (9,544–563) Labienus’ Rede ist, wie alle Reden im neunten Buch, frei gestaltet und ohne historischen Bezug. Lucan fügt sie hier ein, um Cato die Gelegenheit zu geben, in seiner Antwort (9,564–586) eine Lektion in stoischer Moralphilosophie zu erteilen und die Mißverständnisse und falschen Annahmen, auf denen Labienus’ Wunsch beruht, aufzudecken. Labienus’ Argumentation stützt sich vor allem auf zwei Punkte: Er verwendet den Topos der guten Gelegenheit, die man nicht verstreichen lassen darf (vgl. 9,550–552: sors obtulit, inquit, / et fortuna viae tam magni numinis ora / consiliumque dei; 557–558: datur, ecce, loquendi / cum Iove libertas und den Kommentar zu den Stellen), und verbindet ihn mit einer nur oberflächlich richtigen Charakterisierung Catos als gottesfürchtigen Weisen, der dafür prädestiniert ist, einen Orakelspruch entgegenzunehmen (9,554–557. 561–563). Beide (Schein-)Argumente beruhen auf lehrreichen Mißverständnissen, in denen auch ein unkundiger Leser befangen sein könnte. Die erste Fehlannahme ist die Voraussetzung, die hinter Labienus’ Rede von einer guten Gelegenheit steht. Unbefangen geht er davon aus, daß der Ammon, auf den sie bei ihrem Marsch gestoßen sind, tatsächlich eine Gottheit sei und die Macht habe, die Zukunft vorauszusagen. Cato belehrt ihn in seiner Replik dagegen über den stoischen Gottesbegriff (9,578–580: estque dei sedes nisi terra et pontus et aer / et caelum et virtus? superos quid quaerimus
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ultra? / Iuppiter est quodcumque vides, quodcumque moveris). Der zweite Fehler, den Labienus begeht, ist die unzutreffende Interpretation von Catos Heiligkeit. Die Formulierung (9,556–557) certe vita tibi semper derecta supernas / ad leges, sequerisque deum unterstellt Cato eine Ausrichtung an supernae leges und an einer personalen Gottheit, die außerhalb der Welt zu finden ist. Cato korrigiert Labienus durch Explikation des immanenten stoischen Gottesbegriffs und der Leitsätze stoischer Ethik, die nicht nur von ihm, sondern von jedermann erkannt und befolgt werden können (9,564–574). Lucans Quelle für die Gestaltung der Rede des Labienus ist indirekt die stoische Philosophie. Um die Worte Catos, in der die zentralen Lehren der Stoa entfaltet werden, umso einprägsamer zu machen, werden Labienus’ Ausführungen bewußt als aus naheliegenden Mißverständnissen und Fehlinterpretationen der stoischen Ethik und der Person Catos bestehende Folie gestaltet. Die wirksame Ausführung im einzelnen verdankt Lucan der Rhetorik. 1.2.23. Catos Lehrvortrag über stoische Ethik (9,564–586) In der Behandlung des vorangegangenen Abschnitts ist bereits alles Wesentliche ausgeführt worden. Catos Rede speist sich ganz aus stoischer Theologie und Ethik (vgl. zu den einzelnen Punkten den Kommentar). 1.2.24. Lucans Bewertung Catos (9,587–604) Dieser Abschnitt ist der Höhepunkt des neunten Buches. Lucan schildert Cato in einer zusammenfassenden Beschreibung seines Verhaltens während des Wüstenmarsches als vollkommenen Feldherrn (9,587–593): Er nimmt keine Privilegien in Anspruch, ist genügsam, geht seinen Soldaten in der Gefahr voran und leitet sie durch sein Beispiel an, diese zu meistern. Findet sich dagegen eine Quelle, ist er der letzte, der trinkt. Vorbild für diese Charakterisierung ist das römische Feldherrenideal (vgl. die Belege im Kommentar). Es schließt sich eine Bewertung der Leistung Catos auf der Grundlage der stoischen Tugenddefinition an, nach der sich die Tugend nicht nach dem Erfolg bemißt, der von der Fortuna abhängig ist, sondern im konsequenten Tun des sittlich Gebotenen besteht. Mit diesem Maßstab beurteilt, ist Catos Wüstenmarsch höher zu bewerten als die Erfolge eines Pompeius oder Marius (6,593–600). Nicht die Kaiser, sondern
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Cato ist der wahre „Vater des Vaterlands“ und verdient es, als Gott angesehen zu werden (9,600–604). Lucan macht sich mit diesen Worten die Ausführungen Catos über stoische Ethik aus dem vorangegangenen Abschnitt zu eigen und begründet mit ihnen, warum die von ihm gewählte Hauptfigur göttlicher Verehrung würdig ist. Die Morallehre der Stoa ist nicht nur bloße Quelle Lucans, sondern das Zentrum seiner Poetik. Sie hat ihn veranlaßt, den „Verlierer“ Cato zum idealen Feldherrn, epischen Helden, ja sogar zu einem Gott zu stilisieren. Die Beschreibung des Wüstenmarsches im neunten Buch, die zwar auf einem historischen Faktum beruht, in der Ausführung aber ganz auf Lucan zurückgeht, und dessen Aufwertung zu einer herausragenden militärischen und moralischen Leistung sind philosophisch begründet. 1.2.25. Zusammenfassung Historisches: Obwohl die Schilderung des Livius verloren und kein direkter Vergleich mehr möglich ist, läßt sich aufgrund der erzielten Ergebnisse urteilen, daß sie für die Darstellung Lucans nahezu keine Rolle gespielt hat. Historisch abgesichert ist im kommentierten Teil des neunten Buches lediglich, daß Cato die Truppen nach der Niederlage von Pharsalos gesammelt hat (9,30–32), mit ihnen nach Afrika übergesetzt ist (9,36–42) und im Winter 47 v. Chr. von der Kyrenaika aus einen Marsch ins westliche Afrika begonnen hat (9,371–378). Die Geschichte liefert den bloßen Rahmen, der von Lucan unter Rückgriff auf geographische (Syrten- und Afrika-Exkurs), literarische (Alexandertradition) und philosophische (Kosmosschau des Pompeius; Catos Rede in der Oase Siwah) Quellen sowie selbständig gestaltete Szenen im Anschluß an die epische Tradition (vgl. z.B. die Sturmbeschreibungen) gefüllt wird. Außer an den genannten Stellen begegnet Historisches im neunten Buch nur als Inhalt der Reden der Hauptpersonen; diese Reden selbst sind allerdings sämtlich fiktiv und dienen Lucan weniger dazu, Geschichte darzustellen, als sie aus der Perspektive des Sprechers zu interpretieren und die Bedeutung des jeweiligen Ereignisses für die Geschichte Roms hervorzuheben. Ein Beispiel dafür sind die Reden Catos, die eine herausragende Rolle im neunten Buch einnehmen, weil sie die Ansichten Lucans wiedergeben. In der laudatio funebris des Pompeius beruht der erste Teil der Rede (9,190–203) zwar auf historischen Fakten, doch werden sie in wertenden Antithesen einander gegenübergestellt, so daß weniger eine Darstellung der Taten des
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Pompeius als der Entwurf einer ambivalent zu beurteilenden Persönlichkeit entsteht. Typisch für Lucan, der in seinem Epos den Verlust der republikanischen Freiheit beschreibt und beklagt, sind die daran anschließenden Verse (9,204–206): olim vera fides Sulla Marioque receptis / libertatis obit: Pompeio rebus adempto / nunc et ficta perit. Pompeius wird in einen größeren Zusammenhang gestellt, und dem Leser wird eine bestimmte Bewertung der römischen Geschichte nahegelegt. Wichtig ist ferner Catos Antwort an die meuternden Soldaten (9,256–283), in der die historische Situation, die durch den Tod des Pompeius entstanden ist, analysiert wird. Statt die durch die Niederlage bei Pharsalos und Pompeius’ Ermordung eingetretene schwierige militärische Lage darzustellen, nüchtern zu bewerten und die Erfolgschancen bei einer Fortsetzung des Kampfes gegen Caesar abzuwägen, bringt Cato eine durch eine Zahlenspielerei eingängig gemachte Überlegung vor, die von einer vom Schicksal gebotenen günstigen Lage spricht und an das Ehrgefühl der Soldaten appelliert (9,265–267): unum Fortuna reliquit / iam tribus e dominis. Pudeat: plus regia Nili / contulit in leges et Parthi militis arcus. Catos Argument beruht mit den Anspielungen auf Crassus’ Ermordung durch die Parther und Pompeius’ Ende durch die Hand der Ägypter auf historischen Gegebenheiten, doch wird es den Soldaten wie dem Leser durch eine rhetorische Zuspitzung insinuiert und zugleich mit dem zugesetzten in leges mit der lucanischen Ansicht vom Sinn der römischen Geschichte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts als eines Kampfes um die leges (und die libertas) versehen. Die wenigen historischen Fakten, die sich im neunten Buch finden, werden von Lucan nicht um ihrer selbst willen referiert, sondern begegnen immer schon in interpretierter Form und sollen dem Leser Lucans Sicht der Geschichte nahelegen. Neben den Bezügen auf einzelne Fakten, die das notwendige Grundgerüst für die Handlung bilden, und den Reflexionen der römischen Geschichte in den Reden lehnt sich Lucan noch in einem weiteren Punkt an die historische Tradition an. Cato wird nicht nur zum stoischen Weisen stilisiert, sondern zugleich zum vollkommenen Feldherrn entsprechend den Idealen, wie sie vor allem von der römischen Geschichtsschreibung ausgebildet worden sind (vgl. 9,394–402. 587–593 und den Kommentar dazu). Ungeachtet der Idealisierung verbleibt Cato damit in der Sphäre des Irdischen; er wird zu einem historischen Exempel des Kampfes gegen einen Tyrannen und fordert den Leser, der unter der Herrschaft des Nero lebt, zur Nachfolge auf. Er ist nicht eine unerreichbare mythische Gestalt der Vorzeit wie der pius Aeneas Vergils.
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Epische Tradition: Bekanntlich bricht Lucan, beginnend mit dem Verzicht auf einen Götterapparat, an vielen Punkten mit der durch Homer und Vergil geprägten epischen Tradition. Seine Eigenständigkeit zeigt sich gerade da, wo eine Szene zwar durch die Gattungsgesetze angeregt ist, jedoch von ihm selbständig ausgeführt wird. In das neunte Buch sind zwei Sturmszenen eingefügt, in denen Lucan auf Übernatürliches verzichtet und die Darstellung jeweils auf eine rationale Basis stellt. Der Beschreibung des Syrtensturms (9,319–347) geht die Ekphrasis (9,303–318) der durch die Abfolge von Niedrigwassergebieten und Sandbänken charakterisierten Syrten voraus. Die Sturmbeschreibung schildert, was geschieht, wenn Seeleute in dieses Gebiet einfahren, ein Unwetter aufkommt und zugleich die Flut einsetzt. Die Effekte, die sich dann ergeben, werden von Lucan zwar übertrieben und können sich schwerlich in der Realität so ereignen, doch basieren alle dargestellten Ereignisse grundsätzlich auf natürlichen Voraussetzungen. Dasselbe Verfahren wendet Lucan in der Sandsturmszene (9,444–492) an. Zuerst wird eine Lukrez und Seneca zugrunde legende Erklärung von Wirbelstürmen sowie eine allgemein gehaltene Beschreibung ihrer Wirkung gegeben (9,447–462), danach folgt der spezielle Fall (9,463–492). Der Sturm wird weder von Göttern verursacht, noch gibt es durch ihr Eingreifen eine glückliche Rettung. Es walten lediglich die Kräfte der Natur. Zur epischen Poesie werden die Sturmschilderungen, abgesehen von der dem Dichter gestatteten Hyperbel, vor allem durch die Anwendung der das gesamte lucanische Werk kennzeichnenden Stil- und Denkfigur des Paradoxons. Lucan erregt das Pathos des Lesers, nicht nur indem er zeigt, wie sich Menschen in Todesnot befinden, sondern gerade in der Schilderung ihres widersinnigen Geschicks. Die Seeleute, die die Takelage gemäß bewährten seemännischen Vorsichtsmaßnahmen umlegen, kommen um, die falsch handeln und sie stehen lassen, werden gerettet. Auf diese Weise vermittelt er dem Leser seinen persönlich modifizierten Stoizismus, in dem die Natur eine vom ständigen „Kampf der Elemente“ geprägte, dem Menschen feindliche Macht ist, gegen die rationales Verhalten keinen Schutz bietet. Fachliteratur: Lucan hat für seine Darstellung ohne Zweifel Fachliteratur über Afrika herangezogen; untersucht man jedoch die beiden Exkurse des kommentierten Teils des neunten Buchs, die Syrtenbeschreibung und die Ekphrasis über Afrika, wo man am ehesten die Abhängigkeit von einer Quelle erwarten sollte, wird deutlich, daß ihm die geographische Fachliteratur lediglich Anregungen und einzelne Informationen geliefert hat, die
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Gestaltung der jeweiligen Abschnitte ganz der reflektierenden und das Material selbständig bearbeitenden Tätigkeit des Dichters zuzuschreiben ist. Der Abschnitt über die Syrten (9,303–318) enthält als deskriptives Element ihre Charakterisierung als Gebiet, in dem sich flaches Wasser und Sandbänke abwechseln (9,305–306. 317–318). Dies mag einem Geographen entnommen sein, damit dürfte jedoch Lucans Abhängigkeit von einem Fachschriftsteller bereits beendet sein. Denn in der im Epos vorliegenden Gestalt besteht der Syrtenexkurs nicht in einer Beschreibung, sondern in zwei alternativen Überlegungen zu ihrer Entstehung. Zuerst vermutet Lucan, die Syrten seien bei der Erschaffung der Welt unfertig geblieben (9,303–311), danach vermutet er, der flache Wasserstand sei Ergebnis der Ernährung der Gestirne von den Ausdünstungen der Erde und ein Anzeichen für eine bevorstehende Ekpyrosis (9,311–318). Beide Erklärungen sind sonst nicht belegt und wahrscheinlich von Lucan selbst als Versuch, die ihm vertraute stoische Kosmologie mit dem befremdlichen geographischen Befund in Einklang zu bringen, gebildet worden. In einem geographischen Handbuch haben sie schwerlich gestanden. Mit der gleichen Selbständigkeit hat Lucan den Afrika-Exkurs gestaltet (vgl. die Ausführungen in 2.18.). Als weiteres Beispiel sei noch die Analyse von 9,511–543 (Beschreibung des Ammonsorakels) hinzugefügt. Hier hat Lucan kein geographisches Werk vorgelegen, sondern die Szene ist durch die Beschreibung eines Alexanderhistorikers angeregt worden. Die Ausführung im Detail ist jedoch unabhängig von dieser Tradition. Die Verse 9,515–521 (Kritik an der Dekadenz der römischen Religion) können nicht in einer griechischen Quelle gestanden haben, 9,522–527 (rationalistische Erklärung der Oase und Kritik am Ammon) sind typisch für Lucans feindselige Haltung gegenüber den Göttern und von ihm wahrscheinlich selbst gebildet worden, 9,528–543 (Beschreibung des Schattenfalls am nördlichen Wendekreis, Erwähnung der Antipoden, Schilderung der Aufund Untergänge der Gestirne am Äquator) sind eine eigenständige Adaption astronomischer Lehren auf die Oase Siwah, die überhaupt nur möglich ist, weil Lucan die Oase auf den nördlichen Wendekreis verlegt. Selbstverständlich stehen hinter den lucanischen Versen jeweils bestimmte religionskritische, philosophische oder astronomische Traditionen, doch ist bemerkenswert, daß er frei über sie verfügt, sie in einen anderen Kontext überträgt, neu kombiniert und einer im Überlieferungsprozeß bereits fest gefügten Szene ein völlig anderes Gesicht gibt.
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P h i l o s o p h i e : Die zentrale Bedeutung, die die stoische (Moral-)Philosophie für Konzeption und Verständnis des Bellum civile hat, ergibt sich aus der Antwort Catos auf Labienus’ Versuch, ihn zur Befragung des Ammon zu überreden (9,564–586). In eine rhetorische Frage gekleidet, stellt Cato die These, die er im folgenden durch eine Aufzählung ethischer Dogmen der Stoa untermauert, voran (9,566–567): quid quaeri, Labiene, iubes? An liber in armis / occubuisse velim potius quam regna videre? Der Bürgerkrieg ist ein Kampf um die Bewahrung der libertas. Der Begriff hat bei Lucan eine doppelte Bedeutung: Libertas meint den politischen Zustand, der unter der republikanischen Verfassung Roms herrscht, und ist zugleich die Handlungsfreiheit des Individuums, ohne die nach stoischer Lehre keine Tugend möglich ist. Mit der Negierung der Möglichkeit einer tugendhaften Existenz unter einem Alleinherrscher nimmt Lucan im Gefolge der stoischen Opposition des ersten nachchristlichen Jahrhunderts eine radikale Position an, deren Konsequenzen an der eben zitierten Stelle und an vielen anderen Stellen des Epos offen ausgesprochen werden. Es ist besser, im Kampf um die Freiheit zu sterben bzw. sich von eigener Hand in einem letzten Akt der Freiheit den Tod zu geben,13 als unter einem Tyrannen weiterzuleben. In den nachfolgenden Versen wird der „Beweis“ für diese These geführt. Die Tugend gewinnt durch zeitliche Ausdehnung, also ein langes Leben, nichts hinzu (568); die Fortuna vermag den Tugendhaften nicht zu schädigen, denn die sittliche Vollkommenheit ist unabhängig vom erzielten Erfolg einer Handlung, für sie reicht allein der gute Wille aus (569–571). Lucan macht sich in der an die Rede Catos angeschlossenen Bewertung des catonischen Wüstenmarsches (9,587–604) die von diesem vorgetragene Tugenddefinition zu eigen (9,593–600) und umreißt den Standpunkt, von dem aus er die römische Geschichte, den Bürgerkrieg und die Person Catos betrachtet. Aus stoischer Sicht beruhen fama und virtus der berühmten Feldherrn der Republik 13 Vgl. z.B. 9,211: scire mori sors prima viris, sed proxima cogi; 9,379–380: o quibus una salus placuit mea castra secutis / indomita cervice mori. Für eine Gegenposition zu Lucan vgl. den Agricola des Tacitus (42,3–4): Domitiani vero natura praeceps in iram, et quo obscurior, eo inrevocabilior, moderatione tamen prudentiaque Agricolae leniebatur, quia non contumacia neque inani iactatione libertatis famam fatumque provocabat. Sciant, quibus moris est illicita mirari, posse etiam sub malis principibus magnos viros esse, obsequiumque ac modestiam, si industria ac vigor adsint, eo laudis excedere, quo plerique per abrupta, sed in nullum rei publicae usum ambitiosa morte inclaruerunt. Für Tacitus ist Lucans Haltung also eine inanis iactatio libertatis.
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allein auf der Fortuna, d.i. die günstige historische Situation, in der sie lebten. Catos Leistung, die unter ungünstigsten Bedingungen erbracht wurde, übertrifft sie bei weitem. Die Konzeption des neunten Buchs, die Gestaltung der Figur des Cato sowie die gesamte Geschichtsdeutung Lucans beruhen auf den im stoischen Sinn neuinterpretierten und zugespitzten römischen Begriffen virtus und libertas. Ohne Freiheit ist ein tugendhaftes und damit glückliches Leben nicht möglich. Den Römern der Kaiserzeit bleibt nur der Kampf gegen die Tyrannen oder der Freitod in der Nachfolge Catos. Während Lucan die stoische Ethik nahezu unverändert übernimmt und diese eine zentrale Rolle in seiner Bewertung des Bürgerkriegs und der römischen Geschichte insgesamt spielt, verfährt er bei Rückgriffen auf andere Punkte des stoischen Lehrsystems mit größerer Freiheit. Die das neunte Buch einleitende Kosmosschau des Pompeius (9,1–18) ist zwar in enger Anlehnung an Seneca (dial. 6,25,1–3) gestaltet, doch nimmt er eine entscheidende Änderung vor. Pompeius’ Seele verweilt nicht auf Dauer in der sublunaren Zone, sondern kehrt auf die Erde zurück und läßt sich in Brutus und Cato nieder (9,17–18). Offenbar betrachtet er diesen metaphysischen Teil der stoischen Lehre mit großer Skepsis. Eine selbständige Reflexion stoischer Dogmen zeigt sich auch im Syrtenexkurs (9,303–318). Die Syrten sind ein Gebiet, das wegen seines flachen Wassers und der Sandbänke weder dem schiffbaren Meer noch dem dem Ackerbau dienenden Land zugerechnet werden kann. Lucan vermutet, daß sie entweder bei der Schöpfung unfertig gelassen worden sind (9,310–311) oder sich das Flachwassergebiet aus der Ernährung der Gestirne durch die Ausdünstungen der Gewässer erklärt (9,313–314) und Zeichen für eine bevorstehende Ekpyrosis (9,316–317) ist. Mit der zweckhaften Gestaltung der Erde und der Ekpyrosis nimmt Lucan stoisches Gedankengut zwar auf, doch führt er auf dessen Grundlage eigenständige Interpretationen des rätselhaften Naturphänomens durch, die zumindest im ersten Fall – die Syrten sind bei Erschaffung der Welt unfertig gelassen worden – nicht mit strenger stoischer Lehre konform sind.
2. Kommentar: Lucan. 9,1–733 2.1. Übersetzen nach Afrika (9,1–50) 2.1.1. Pompeius’ Himmelfahrt (9,1–18) 1–18: Pompeius’ Seele löst sich aus den halbverbrannten Überresten des Rumpfs, verläßt das ihr unwürdige, auf ägyptischem Boden errichtete Grabmal und fährt zum Himmel auf (1–4). Angelangt in der sublunaren Zone, dem Wohnort tugendhafter Seelen, betrachtet sie voll Bewunderung den Lauf der Planeten und die Fixsterne; sie wird der Kurzsichtigkeit menschlichen Handelns auf der Erde gewahr und tröstet sich so über die Verstümmelung ihres Leichnams (5–14). Darauf verläßt sie die Himmelszone und überfliegt das Schlachtfeld von Pharsalos, die Truppen Caesars und die eigenen versprengten Schiffe, um schließlich als Rächer in Brutus und Cato einzugehen (15–18). Mit dem Epitaph Hic situs est Magnus (8,793), das der Quästor Cordus mit einem halbverkohlten Scheit auf den Grabstein des Pompeius schreibt, endet die Darstellung von Flucht und Ermordung des Verlierers von Pharsalos, der das gesamte achte Buch gewidmet ist. Lucan schließt daran allerdings noch eine lange Reihe von Apostrophen an (8,793–872), in denen er seinem Haß auf Ägypten (vgl. bes. 8,823–834) und der Empörung über Pompeius’ unwürdigen Untergang freien Lauf läßt. Zugleich ist er bemüht, dem kläglichen Ende zum Trotz Pompeius’ Bedeutung ins rechte Licht zu setzen, indem er mit verschiedenen, z.T. widersprüchlichen Argumenten, hauptsächlich aber mit dem Verweis auf die Vergöttlichung, die Caesar und seinen Nachfolgern zuteil geworden ist (vgl. 8,835–838. 859–862), kultische Verehrung für Pompeius fordert; vgl. 8,793–805. 835–850. 856–858. 858–864. 871–872. Inhaltlich ist Pompeius’ Apotheose in 9,1–18 daher nicht überraschend, auch wenn sie keine der im achten Buch ausgesprochenen Möglichkeiten der religiösen Überhöhung direkt wiederaufnimmt. Allerdings sollte man die Bedeutung dieser Szene für das Pompeiusbild Lucans nicht überschätzen. MARTIs These (1945, 367–373), der Dichter habe in Pompeius einen stoischen proficiens darstellen wollen, der sich nach und nach von seinen ehrgeizigen Plänen freimache, nach seinem Tode durch eine Kosmosschau belohnt werde und in der Brust der Weisen Cato
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und Brutus seiner endgültigen Vervollkommnung entgegengehe, ist mit Recht in der Regel zurückgewiesen worden; vgl. R U T Z 1968, 22; GLAESSER 1984, 133–138. Pompeius wird von Lucan ambivalent gesehen, wie es am deutlichsten aus dem Antithesenstil der von Cato gehaltenen laudatio funebris hervorgeht (9,190–214). Gegen MARTIs These ist aus dem Blickwinkel von 9,1–18 einzuwenden, daß Pompeius zwar durch einen kurzen Aufenthalt in der sublunaren Zone von der erlittenen Schmach rehabilitiert wird, Lucan aber keinerlei Interesse zeigt, ihm dort einen Platz auf Dauer im Kreise der Halbgötter und tugendhaften Menschen zuzugestehen (vgl. zu 7). Ferner ist Stellung und Funktion der Szene im Kontext zu bedenken: Lucan hat sie nicht unmittelbar an Pompeius’ Tod angeschlossen, sondern an den Anfang des neunten Buchs gerückt; dort dient sie dazu, die völlig zum Erliegen gekommene Handlung schwungvoll fortzuführen und einen kontinuierlichen Übergang von Pompeius zum neuen Anführer der republikanischen Streitkräfte herzustellen. Höhepunkt der Szene ist nicht die Kosmosschau, sondern das Eingehen der Seele des Pompeius in Cato und Brutus. 9,1–18 gliedert sich in vier durch Ortsangaben voneinander geschiedene Abschnitte: 1–4 beschreibt den Aufstieg der Seele aus der Pharia favilla zu den convexa Tonantis; 5–11 knüpfen durch qua (5) und illuc (10) an convexa Tonantis an und explizieren den mythologischen Ausdruck durch eine philosophische Topothesie; durch illic (11) wird die Handlung wiederaufgenommen: Pompeius’ Seele tröstet sich durch eine Kosmosschau über die Enthauptung (11–14). In 15–18 kehrt die Seele auf die Erde zurück (hinc) und geht in Brutus und Cato ein. So läßt Lucan die in 9,1 begonnene Bewegung zur Ruhe kommen (sedit / se posuit) und schafft sich Gelegenheit, den Rückblick auf Catos Verhalten während des Bürgerkriegs anzuschließen. 1–4: Zwei Charakteristika bestimmen die ersten Verse des neunten Buches: eine Fülle von Verben (non […] iacuere; nec compescuit; prosiluit; relinquens; sequitur), mit denen Lucan Pompeius’ raschen und zielstrebigen Aufstieg in den Himmel beschreibt, und eine Häufung synonymer Substantive (manes/umbra; favilla/cinis; bustum/rogus), die noch einmal gedrängt die entwürdigenden Umstände der Ermordung und Bestattung ins Gedächtnis rufen. So erzeugt Lucan eine paradoxe und unerwartete Wendung: nicht von einem der versprengten Überlebenden der Niederlage von Pharsalos, sondern von Pompeius selbst, dessen klägliches Ende in
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Ägypten das Ende des Bürgerkriegs zu bedeuten schien, geht der Impuls aus, den Widerstand gegen Caesar fortzusetzen. 1. at non: antithetischer Neueinsatz; gängige Überleitungsformel vgl. 2,234; 8,637; 9,708; ThLL II 1001,53–78 (IHM). in Pharia … favilla: Pharius ist seit Tib. 1,3,32 eine übliche Metonymie für das metrisch unbequeme Aegyptius; favilla ist hier synonym mit cinis (2) verwendet; eigentlich bezeichnet das Wort die verbrannten Überreste des Toten, cinis die Asche des Scheiterhaufens; vgl. Verg. Aen. 6,227: postquam collapsi cineres et flamma quievit, / reliquias vino et bibulam lavere favillam; ThLL VI 1,381,54–55 (AMMANN). manes: plurale tantum; den Römern war ursprünglich die Vorstellung eines persönlichen Fortlebens nach dem Tod fremd; sie betrachteten die manes als eine „ungegliederte Masse, aus der sich kein Individuum heraushebt“ (LATTE 1960, 100). Erst seit der ausgehenden Republik, mit dem Wandel der römischen Jenseitsvorstellungen unter griechischem Einfluß, kann manes wie hier (ebenso 9,7) die individuelle Seele eines Toten bezeichnen; vgl. OTTO 1958, 71–74; LATTE 1960, 99–100. Die Begriffe manes, umbra und anima werden von Lucan in diesem Abschnitt aus stilistischen und metrischen Gründen von Vers zu Vers variiert (vgl. 1. 2. 7. 8), ohne daß er auf die ihnen jeweils zugrundeliegenden unterschiedlichen Jenseitsvorstellungen Rücksicht nähme; synonyme Verwendung von manes und umbra auch 3,31–32; 4,788–790; 6,650–661; (Ps.-)Sen. Herc. O. 1965–1966. 2: Die Negation traditioneller Vorstellungen verdeutlicht die philosophische Lehre, daß die Seele nach dem Tod den Körper verläßt. nec … compescuit: Der Totengeist war nach volkstümlicher Vorstellung an das Grab gebunden; vgl. 8,795–797. 840–841: quis busta timebit, / quis sacris dignam movisse verebitur umbram; LATTE 1976, 102–103. Compescere vom Tod auch Hor. carm. 2,14,9; Sen. Herc. O. 1770; Stat. Theb. 11,79; (Ps.-)Quint. decl. 10,8. cinis exiguus tantam … umbram: eine unerwartete Umgestaltung der aus Grabepigrammen und Totenklagen bekannten Gegenüberstellung von vergangener Größe einer Person und geringem Aschenrest; vgl. z.B. Ov. met. 12,615–616: iam cinis est, et de tam magno restat Achille / nescio quid parvam quod non bene conpleat urnam; CLE 969,8; 1054,2; Sen. Herc. O. 1758–1764 (von Herkules); (Ps.-)Sen. Oct. 169–170 (von Britannicus).
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Die Junktur cinis exiguus findet sich auch in CIL 7,250; Ov. met. 8,496; CLE 395,3; 1178 B 3. 3. prosiluit: Den Austritt der luftigen und feurigen Seele aus dem sie behindernden schweren Körper beschreibt Seneca als einen Vorgang, der sich ruckartig und mit großer Schnelligkeit vollzieht; vgl. dial. 12,9,8: fruitur nunc aperto et libero caelo; ex humili atque depresso in eum emicuit locum; nat. quaest. 7,11. Bei Lucan ist dieser Vorgang veranschaulicht: Der Totenschatten springt aus dem Grab. semustaque membra: Rückverweis auf 8,786–789 (Cordus bricht die Bestattung bei Tagesanbruch ab): semusta rapit resolutaque nondum / ossa satis nervis et inustis plena medullis / aequorea restinguit aqua congestaque in unum / parva clausit humo. 4. convexa: substantiviert vom Himmelsgewölbe seit Verg. Aen. 4,451, danach zahlreiche Belege; vgl. ThLL IV 871,53–872,3 (LOMMATZSCH ). Zu convexus als astronomischem Begriff vgl. LE BOEUFFLE 1987, 105. Tonantis: Rückverweis auf das Ende des achten Buches (8,872: Creta Tonantis). Unter dem Namen Iuppiters faßten die Stoiker das Walten aller göttlichen Mächte, der Weltseele oder des Fatums zusammen; vgl. SVF II 1008–1100; Sen. nat. 2,45; dial. 11,8,3. Convexa Tonantis ist daher gleichbedeutend mit convexa superum (5,632) oder convexa Olympi (7,478). Bekanntlich ist Lucan von den stoischen Gottesvorstellungen, mit denen ihn wohl sein Lehrer Cornutus bekannt machte (vgl. LAPIDGE 1978, 352–354), in einem entscheidenden Punkt abgewichen: Caesars Sieg im Bürgerkrieg war mit dem Glauben an eine göttliche Vorsehung nicht vereinbar, und so finden sich immer wieder scharfe Ausfälle Lucans gegen die Götter; vgl. LE BONNIEC 1970, 174–178. Hier ist von Lucans Zweifel an der Macht der Götter nichts zu spüren: Die Topothesie erläutert den mythologischen Begriff convexa Tonantis in der gewohnten naturphilosophischen Terminologie der Stoiker, ohne Polemiken daran anzuschließen. An zahlreichen anderen Stellen des BC läßt sich Lucans Skepsis gegenüber der traditionellen Religion und dem von ihr gestützten Herrscherkult gerade an der Verwendung der Iuppiter-Tonans-Vorstellung deutlich machen. Seit Horaz (vgl. bes. carm. 3,5,1–3) die Niederschlagung des Gigantenaufstandes durch Iuppiter mit der Beendigung des Bürgerkriegs durch Augustus parallelisiert hatte, galt der Princeps als irdischer Stellvertreter des blitzeschleudernden und donnernden Iuppiters. Vgl. BELLER 1979, 67–80. Indem Lucan immer wieder dem Leser vor Augen führt, daß Iuppiter To-
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nans keineswegs die Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung garantiert, sondern dem Verbrecher Caesar hilflos gegenübersteht oder ihn sogar unterstützt (vgl. 1,195–200; 2,34–36; 3,315–320; 6,260–262; 7,40–44), untergräbt er nicht nur herkömmliche Gottesvorstellungen, sondern auch einen bedeutenden Bestandteil der Repräsentationsmythologie des Prinzipats. Iuppiters Entmachtung zeigt sich am deutlichsten darin, daß er sogar der Magie der Hexen schutzlos ausgeliefert ist. Vgl. 6,464–467: axibus et rapidis impulsos Iuppiter urguens / miratur non ire polos. nunc omnia complent / imbribus et calido praeducunt nubila Phoebo, / et tonat ignaro caelum Iove. Nur im Neroelogium (1,33–37) verwendet Lucan den Vergleich zwischen Iuppiter Tonans/Gigantomachie und Princeps/Bürgerkrieg positiv. Lucan führt die Kritik hier nicht aus, doch spricht aus der Art und Weise, wie Pompeius’ Seele in den Äther aufsteigt und sich dort über die Erkenntnis des Weltlaufs freut, ein anderer Geist als aus Mart. 9,91, wo der Dichter versichert, daß er die Einladung Domitians zum Abendessen selbst dann annehmen werde, wenn ihm Iuppiter Tonans eine Reise zu den Sternen anbieten sollte. 5–18: Pythagoreisch-platonische und stoische Lehrtraditionen über das Schicksal der Seele nach dem Tod haben in Rom, häufig untereinander und mit mythologischen Überlieferungen verbunden, reichen literarischen Niederschlag gefunden; vgl. bes. Cic. rep. 6; Tusc. 1; Verg. Aen. 6; ausführliche Darstellung der griech.-lat. Tradition bei VAN DAM zu Stat. Silv. 2,7,107–111; BRENA 1999, 275–291. Am nächsten stehen Lucan. 9,5–14 Passagen Senecas, in denen er die eschatologischen Vorstellungen vom Aufstieg der Seele aus dem Gefängnis des Körpers und der beglückenden Kosmosschau in protreptischem oder konsolatorischem Zusammenhang verwendet; vgl. nat. praef. 7–17; dial. 6,25; 12,9,5–9; epist. 79,12; 102,23–29 und dazu HOVEN 1971, 93–102 und M ANNING zu Sen. dial. 6,23. Die von Seneca verwendeten Elemente dieses besonders populären Stückes philosophischer Spekulation finden sich auch bei Lucan: Entweichen der Seele aus dem Körper, ihr Aufstieg in den Himmel, Begegnung mit den Seelen anderer tugendhafter Männer, Staunen über die unwandelbare Vollkommenheit des Sternenhimmels, paradoxe Einsicht in die Verworrenheit des Lebens angesichts der uneingeschränkten Erkenntnis im Jenseits. All diese Motive werden von Lucan jedoch mehr angedeutet als ausgeführt. Im Unterschied zu Senecas eschatologischen Ausblicken, die voraussetzen, daß der Verstorbene für immer die Vorzüge des Jenseits ge-
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nießen werde, kehrt bei Lucan Pompeius aus dem Bereich des Äthers zurück und greift in den geschichtlichen Ablauf des Bürgerkriegs ein. Das Schwergewicht des Abschnitts liegt auf der Übergabe des Kommandos an Cato und Brutus. Lucan erzählt Pompeius’ Himmelfahrt nicht in erster Linie, um dem Leser ein abschließendes Urteil über Pompeius zu vermitteln, sondern um auf möglichst eindringliche Weise Cato die neue Rolle des Gegenspielers Caesars zuzuweisen. L E BONNIEC 1970, 163 kombiniert 9,1–18 mit 8,841–850 und vermutet, daß Lucan Pompeius nach griechischem Vorbild in den Rang eines Schutzheros Roms erheben wollte, doch muß dies mangels eindeutiger Aussagen Spekulation bleiben. 5–6: Pompeius’ Seele gelangt in die sublunare Zone, die nach gemeinstoischer Anschauung Aufenthaltsort der Seelen ist; vgl. Tert. anim. 54; Sext. Emp. 9,73; HOVEN 1971, 70–75. Konstruktion: „niger aer idque quod patet quae duo unam rem ostendunt (…); neque enim terrae lunaeque intervallum habitant semidei manes aetheris imi patientes“ (HOUSMAN z.St.; nach BENTLEY). 5. niger … aer: gedacht ist an den nächtlichen Sternenhimmel. astriferis … axibus: „octo orbium sustÆmati qui planetas et fixa sidera ferunt, quorum infimus lunaris est“: HOUSMAN z.St. Axis, in astronomischer Verwendung eigentlich die Drehachse des Globus, wird in lateinischer Dichtung vielfach metonymisch gebraucht. Vgl. 1,142 (Himmel); 9,542 (Pol); 9,852 (Himmelsgegend); 3,359 (Landschaft unter der betreffenden Himmelsgegend); ThLL II 1638,38–1639 (V OLLMER ); LE BOEUFFLE 1987, 67–70. 6. terras: häufig im Plural, wenn die Erde im Gegensatz zum Himmel gemeint ist. Vgl. z.B. Lucr. 5,446; Cic. frg. 11; Verg. georg. 4,222; Aen. 4,269; idiomatisch in der Wendung terras et caelum miscere; vgl. Liv. 4,3,6; Iuv. 2,25; OLD s.v. 8–11. 7. semidei manes: Die sublunare Zone ist von Seelen bevölkert, die sich in der Vergangenheit den Aufstieg in den Himmel verdient haben und sich dort ihres glücklichen Miteinanders erfreuen. Vgl. Archytas von Tarent bei Cic. Lael. 88: si quis in caelum ascendisset naturamque mundi et pulchritudinem siderum perspexisset, insuavem illam admirationem ei fore; quae iucundissima fuisset, si aliquem cui narraret, habuisset. Das Motiv der Aufnahme des Neuan-
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kömmlings unter die berühmten mythologischen und historischen Helden (vgl. Ov. am. 3,9,61–66; Culex 260–291; Stat. silv. 5,1,253–257; 3,284–287; CLE 423,3–4; 1165,1–4; Stellen bei SPEYER 1988, 869) ist hier jedoch nur angedeutet. Für das Pompeiusbild Lucans ist es nicht unerheblich, festzuhalten, daß er die Möglichkeit ungenutzt läßt, Pompeius’ politische Leistung durch Einreihung unter die römischen Nationalhelden zu überhöhen. Eine solche Technik verwenden Verg. Aen. 6,756–887; Manil. 1,758–804; Culex 260–291; Sil. 13,806–830. Griech. ≤m¤yeow ist von Ov. met. 1,192 ins Lateinische übersetzt worden. ignea virtus: Die Tugend bewahrt die nach stoischer Lehre luftige und feurige Seele (Diog. Laert. 7,157: pneËma ¶nyermon; Sext. Emp. 9,71; Cic. rep. 6,15; Tusc. 1,42; Verg. Aen. 6,747) vor Gefährdungen, denen sie durch die Inkarnation ausgesetzt ist, und ermöglicht ihr die sofortige Rückkehr in den Himmel. Hat sie zu Lebzeiten moralische Verfehlungen begangen, muß sie vor dem Aufstieg in die Ätherzone zuerst eine Zeit der Läuterung durchlaufen; vgl. Cic. rep. 6,29; Verg. Aen. 6,736–747; Sen. dial. 6,25,1. 8. innocuos vita: vgl. 8,450: innocua (…) aetas. Innocuus in der Bedeutung „unschuldig“ seit Ov. met. 1,327; 9,373; fast. 2,623. Die Verbindung mit näher bestimmendem Substantiv ist singulär, die Änderung zu vitae (GROTIUS; BENTLEY) trotzdem unnötig; vgl. K/ST 1,392–393; 447–448. patientes aetheris imi: Die Seelen halten sich in der Nähe der Mondsphäre auf, die zwischen dem vergänglichen irdischen Bereich und der ewigen Welt des Äthers trennt. Dieser Bereich entspricht in Dichte und Temperatur ihrer eigenen Beschaffenheit. Vgl. Cic. Tusc. 1,43: finem altius se ecferendi facit, cum enim sui similem et levitatem et calorem est adeptus, tamquam paribus exanimata ponderibus nullam in partem movetur. eaque ei demum naturalis est sedes, cum ad sui similem penetravit. 9. et aeternos animam collegit in orbes: erg. quorum; zur Auslassung des Relativpronomens vgl. 10,351–352. 456–457; K/ST 2,323–324. Der parataktisch angeknüpfte zweite Relativsatz ist aus inhaltlichen Gründen nicht unproblematisch, weil sich aeternos (…) in orbes auf alle Sphären bezieht, während zuvor nur von der sublunaren Zone, der äußersten Himmelssphäre, als Wohnort der tugendhaften Seelen die Rede war. Der kleine Widerspruch sollte jedoch nicht überbewertet werden: Lucan er-
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zählt in diesem Abschnitt stark gerafft und ohne Interesse am Detail, um Catos Auftritt nicht unnötig herauszuzögern. 10–11: ein polemischer Schlag gegen kaiserlichen Bestattungsluxus. Die Begräbnisse der Principes sind nicht nur mit verschwenderischem Prunk gefeiert worden; Bestandteil der Divinisierung war es, daß nach der Verbrennung ein Senator unter Eid versicherte, er habe den verstorbenen Princeps in den Himmel auffahren sehen; vgl. Suet. Aug. 100; Cass. Dio 56,46; 59,11. Kritik am Begräbnisluxus bei Bestattungen der Mitglieder der kaiserlichen Familie übt Lucan auch 8,729–742 (vgl. MAYER z.St.). Zu den funera imperatoria vgl. TOYNBEE 1982, 56–92. Lucans Kritik an der Vergöttlichung der Kaiser steht in der Tradition kynisch-stoischer und epikureischer Philosophie, die die Belanglosigkeit der Bestattungsriten für den Toten hervorhob. Vgl. Plat. Phd. 115c–116a; Teles 31–32; Philodem per‹ yanãtou ; Lucian. luct.; für die Rezeption in Rom vgl. Cic. Tusc. 1,102–109; Sen. dial. 10,20,5; epist. 92,34–35; Petron. 115; Fronto p. 11 VAN DEN H OUT (= ad M. Caesarem et invicem liber 1,6,5); Min. Fel. 11,4–5; aus philosophischer Haltung heraus tatsächlich praktizierte Bescheidenheit vermerken Nep. Att. 22,4; Tac. ann. 15,64,4 (von Seneca). 10. auro positi nec ture sepulti: Nach Cic. leg. 2,59–60 verboten die Zwölftafelgesetze Gold- und Weihrauchbeigaben bei Bestattungen; in der Praxis hielt man sich wenig an Mahnungen zur Bescheidenheit. Plinius nat. 12,82–83 klagt darüber, daß der den Göttern vorbehaltene Weihrauch bei Bestattungen verbrannt werde; Nero habe bei der Beisetzung von Poppaea Sabina mehr als eine Jahresernte Arabiens verbraucht; vgl. MÜLLER 1978, 760–761. 11–12. lumine vero / implevit: Nach Verlassen des Körpers verfügt die Seele über uneingeschränkte Erkenntnismöglichkeiten, weil sie nicht mehr auf die „Fenster der Sinne“ angewiesen ist; vgl. Sext. Emp. 1,130; Cic. Tusc. 1,46–47; div. 1,60–66. 129–131; Sen. dial. 6,24,5 mit MANNING z.St.; THEILER 1982b, 343–344. Zum Motiv „Licht der Wahrheit“ vgl. Plat. rep. 508–509; 615–617; Sen. dial. 6,25,2; 12,9,8; epist. 79,11; 102,28; BULTMANN 1948; BEIERWALTES 1957, 37–98.
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12–13. stellasque vagas miratus et astra / fixa polis: Die Betrachtung der wunderbaren Harmonie der Planetenbewegungen und der an der Fixsternsphäre (polis; vgl. LE BOEUFFLE 1987, 70) befestigten Himmelskörper löst Erstaunen aus; vgl. Cic. rep. 6,18–19; Tusc. 1,45–46; Sen. dial. 12,9,8; epist. 102,28. 13. vidit: Das auf Plat. Tht. 178e zurückgehende Motiv des glücklichen Schauens der Seelen auf die Erde findet sich seit Ciceros Somnium Scipionis häufig in der römischen Literatur; vgl. SHACKLETON BAILEY 1952, 309–310; VAN DAM zu Stat. silv. 2,7,107–111. In der Mythologie ist der souveräne Blick auf die Erde den Göttern, vor allem Iuppiter und Helios, vorbehalten; vgl. Verg. Aen. 1,223–226; 10,1–4. 13–14. quanta sub nocte iaceret / nostra dies: paradoxe Verkehrung der gewöhnlichen Assoziationen Licht/Leben und Tod/Finsternis; zum Gedankengang vgl. Sen. dial. 12,9,8: nunc libere illic vagatur omniaque rerum naturae bona cum summa voluptate perspicit. erras: non perdidit lucem frater tuus sed sinceriorem sortitus est. Zur Tag/Nacht-Metaphorik vgl. Sen. dial. 6,26,3–4. 14. risitque sui ludibria trunci: Rückverweis auf 8,709–710: carpitur in scopulis hausto per volnera fluctu, / ludibrium pelagi. Angesichts der Vorzüge der himmlischen Existenz erscheint die auf der Erde erduldete Demütigung lächerlich. Imitation dieser Stelle bei Stat. silv. 2,7,100 (Genethliacon Lucani ad Pollam): terras despicis et sepulchra rides. Vgl. auch Sen. dial. 6,25,2: iuvat enim ex alto relicta despicere. 15. Emathiae campos: Emathia ist eigentlich der Name des makedonischen Kernlandes zwischen den Flüssen Haliakmon und Axios, dichterisch bezeichnet es häufig Makedonien insgesamt; vgl. OBERHUMMER 1905, 2480. Weil Thessalien und Makedonien die römische Provinz Macedonia bildeten, ist die Bezeichnung Emathiae campi für das in Thessalien gelegene Schlachtfeld von Pharsalos nicht ungewöhnlich; vgl. auch zu 271. 15–16. cruenti / Caesaris: Caesars Blutdurst wird im BC immer wieder hervorgehoben. Während der Schlacht von Pharsalos prüft er, ob die Schwerter seiner Soldaten blutig sind (7,565–571), und peitscht den Kampf wie Bellona mit ihrer blutigen Geißel auf (7,567–571). Nach der
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Schlacht lassen Vögel, die von den auf Caesars Geheiß unbestattet gebliebenen Gefallenen gefressen haben, Blut und Eiter aus der Höhe auf die Sieger herabtropfen (7,838–839). Cruentus verwendet Lucan auch zur Charakterisierung von Marius (2,111), Sulla (2,156), Hannibal (4,789) und Cinna (4,822). 16. sparsas … in aequore classes: Um wessen Schiffe es sich handelt, läßt Lucan offen. Da die Route der Seele des Pompeius von Pharsalos über Caesars Truppen zu Cato führt, sind vielleicht eher die republikanischen Schiffe gemeint, die sich nach der Niederlage in Unordnung befinden; vgl. 30. volitavit: Vom Körper befreit, überfliegt Pompeius die Stätte der Niederlage und blickt aus überlegener Höhe auf den siegreichen Caesar hinab; vgl. Sen. dial. 6,23,2: nec umquam magnis ingeniis cara in corpore mora est: exire atque erumpere gestiunt, aegre has angustias ferunt, vagari per omne sublimes et ex alto adsueti humana despicere; Cic. de orat. 2,6,23 mit LEEMAN/PINKSTER/NELSON , die auf Plat. ep. 7,347e–348a; Phaedr. 249d als den Ursprung des Motivs hinweisen. 17–18: Pompeius’ Seele läßt sich als Rächer in Brutus und Cato nieder. Die Vorstellung, daß eine in die Ätherregion aufgefahrene Seele wieder auf die Erde zurückkehrt und in verschiedene Personen eingeht, ist sonst nicht belegt. Sie ist eine Augenblicksbildung Lucans, der auf diese Weise die Übertragung der Kommandogewalt auf Cato in ein einprägsames Bild kleidet, das unmittelbar folgende Auftreten Catos vorbereitet und durch die Nennung des Brutus den Leser daran erinnert, daß Pompeius erfolgreich gerächt werden wird. Von der Funktion im Kontext ist Lucan. 9,17–18 mit dem Pfingstwunder (Apg. 2,1–13) vergleichbar. Hier wie dort stellt sich das gleiche Problem: Nach Tod und Himmelfahrt des bisherigen Anführers müssen die Zurückgebliebenen, die bis zu diesem Zeitpunkt nur auf Weisung gehandelt haben, legitimiert werden, von nun an selbständig zu handeln. Diskutiert werden die Verse 17–18 in der Forschung hauptsächlich im Hinblick auf das geplante Ende des BC. MARTI (1970, 20–22) betrachtet die Nennung des Brutus als ein Argument für die Annahme, daß Lucan ursprünglich vier Tetraden geplant habe, deren letzte mit der Ermordung Caesars enden sollte. Sie beruft sich in erster Linie auf 2,234–325, wo Lucan durch die gemeinsame Einführung von Brutus und Cato auch das Fundament für ein späteres Auftreten des Brutus gelegt habe. Die Frage
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nach dem ursprünglich vorgesehenen Schluß des Epos ist jedoch nach wie vor umstritten; vgl. die ausführliche Diskussion der verschiedenen Positionen bei MASTERS 1992, 216–259, der neuerdings wieder dafür plädiert, das Epos so, wie es überliefert ist, für vollendet anzusehen. Dies kann jedoch kaum zutreffend sein. Das formale Argument, daß das zehnte Buch, das nach nur 546 Versen unmittelbar in der Handlung abbricht, nicht vollständig sein kann, wiegt zu schwer. Unbestritten ist allerdings, daß der Abschnitt 9,1–18, wenn schon nicht eine Mittelachse (M ARTI), so doch eine spürbare Zäsur im Epos darstellt. Während Pompeius im Vergleich zu Caesar zwar das kleinere Übel darstellte, aber, weil er selbst nach der Alleinherrschaft strebte, stets in ein gewisses Zwielicht getaucht war, werden mit Cato und Brutus zwei Personen als Gegner des Verbrechers Caesar eingeführt, die Lucan uneingeschränkt positiv darstellt; vgl. BRISSET 1964, 148–157. 17. scelerum vindex: scelus ist einer der zentralen Begriffe des BC (81 Belege). Mit ihm bezeichnet Lucan den Bürgerkrieg (z.B. 1,2) und die aus ihm resultierenden Greueltaten, die römische Bürger aneinander verüben. Die Schuld an diesem Verbrechen wird fast durchgängig Caesar angelastet. Als Petreius in Spanien (4,236) die Verbrüderung der Truppen verbietet und die wehrlosen Caesarianer ermorden läßt, hebt Lucan dies ausdrücklich als das einzige Mal hervor, bei dem die Pompeianer für ein Verbrechen an römischen Bürgern verantwortlich sind; vgl. 4,254–259: tu, Caesar, quamvis spoliatus milite multo, / agnoscis superos; neque enim tibi maior in arvis / Emathiis fortuna fuit nec Phocidos undis / Massiliae, Phario nec tantum est aequore gestum, / hoc siquidem solo civilis crimine belli / dux causae melioris eris. Während der Entscheidungsschlacht sind die Rollen eindeutig verteilt: Pompeius versucht, die kampfbereite Truppe vor Pharsalos zurückzuhalten (7,95), und möchte lieber sterben als die ungeheuren Verbrechen zu sehen (7,114–120); Caesar wünscht dagegen, keine Untat ungeschehen zu lassen (7,558), und verbreitet um sich herum eine nox ingens scelerum (7,771); er hat das ius sceleris (8,642). Zu scelus bei Lucan vgl. THOME 1993, 238–239. LEBEK 1976, 33 Anm. 33 spricht sich dafür aus, daß erst ab Buch 4, nach Lucans Bruch mit Nero, Caesar zum Hauptschuldigen wird, denn zuvor wird er nur in 2,531 und 3,129, und zwar von seinen Gegnern, mit dem Verbrechensvorwurf konfrontiert.
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2.1.2. Kommandoübernahme durch Cato (9,19–35) 19–35: Während Cato zu Pompeius’ Lebzeiten nur unter Vorbehalt an seiner Seite gegen Caesar kämpfte (19–22), übernimmt er nach Pharsalos gern die vakante Position des Anführers, da das Volk des Schutzes vor dem Tyrannen bedarf (23–26). Er verficht uneigennützig die Sache der Freiheit (27–30) und sammelt die durch die Niederlage versprengten Truppen in Korkyra (30–35). Lucan hatte Cato in einer ausführlichen Doppelszene, die ihn zusammen mit Brutus und mit Marcia zeigt, innerhalb des zweiten Buches dem Leser vorgestellt; vgl. 2,234–391. Er zeichnet dort von ihm das Bild des selbstlosen Asketen, der sein persönliches Wohl den Interessen des Staates unterordnet. Obwohl Lucans Cato weiß, daß eine Parteinahme für Caesar oder Pompeius eine Wahl zwischen zwei Übeln ist, weist er Brutus, der ihn dazu zu überreden versucht, neutral zu bleiben, zurück und entscheidet sich dafür, im Heer der Pompeianer zu kämpfen, sei es, um durch ein Selbstopfer das Schlimmste vom Staat abzuwenden, oder um bei einem eventuellen Sieg über Caesar wenigstens ein Minimum an politischen Einflußmöglichkeiten beanspruchen zu können vgl. 2,286–322. Seine Hochzeit mit Marcia, die er in aller Stille ohne jeden Aufwand begeht, verdeutlicht, daß ihm die Trennung zwischen Privatsphäre und öffentlichem Leben fremd ist. Seine ganze Lebensführung ist darauf ausgerichtet, nicht nur dem Vaterland, sondern darüber hinaus der ganzen Welt nützlich zu sein; vgl. 2,378. 383. 388–391: urbi pater est urbique maritus, / iustitiae cultor, rigidi servator honesti, / in commune bonus; nullosque Catonis in actus / subrepsit partemque tulit sibi nata voluptas. Abgesehen von dieser eingehenden Charakterisierung finden sich bis zum neunten Buch nur vereinzelte Erwähnungen Catos (1,128. 313; 3,155–164; 6,306–311. 789–790). An der Darstellung seiner Rolle in den Auseinandersetzungen bis zur Schlacht von Pharsalos ist Lucan nicht interessiert. So bleibt zum einen der Antagonismus zwischen Caesar und Pompeius erhalten, zum anderen tritt Cato erst in dem Moment in den Bürgerkrieg ein, in dem eine Beteiligung am Kampf gegen Caesar keinen moralischen Zweifeln mehr unterworfen ist. Durch seine Darstellung trägt Lucan gewissermaßen Brutus’ Argumenten Rechnung, der Cato vor dem Verlust der moralischen Integrität durch Teilnahme am Bürgerkrieg warnt. Entsprechend der Charakteristik des zweiten Buches ergreift Cato nach Pompeius’ Tod entschlossen die Initiative und leitet den republikanischen Widerstand. An eine Wandlung der Person Catos vom „rigido anacoreta“ und „astratto teoretizzatore di virtù“ zum „fiero combattente“
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(GAGLIARDI 1970, 96–97) ist nicht gedacht. Er bleibt den in Buch 2 geäußerten Grundsätzen treu, allein der Wechsel der äußeren Verhältnisse bewirkt die Veränderung seines Verhaltens; vgl. zu Cato PECCHIURA 1965, 75–88; AHL 1976, 232–253; FEHRLE 1983, 40–45. 19. ubi pendebant casus dubiumque manebat: „solange die Entscheidung in der Schwebe war und es zweifelhaft blieb“; vgl. 2,41: dum pendet fortuna ducum; 4,771: ancipites steterunt casus. Die Wendung dubium manere ist singulär. 20. dominum: Der Verlust der republikanischen Freiheit und die Entstehung der Tyrannei durch den Bürgerkrieg ist das zentrale Thema des BC. Den Übergang zur Alleinherrschaft gliedert Lucan in verschiedene Stufen. Aus dem Triumvirat (vgl. 1,84–85: tu causa malorum / facta tribus dominis communis, Roma), das an Stelle des Senats die Führung des Staates übernahm, ergab sich nach dem Tod des Crassus der Bürgerkrieg zwischen den verbliebenen Rivalen Caesar und Pompeius, den Caesar in Pharsalos zu seinen Gunsten entschied. Die Schlacht in Thessalien bezeichnet die Epochenwende von Republik zu Tyrannis, denn Catos Versuch, den letzten der ehemals drei domini (vgl. 9,265–266: unum fortuna reliquit / iam tribus e dominis) zu beseitigen, schlägt fehl. Dominus ist eindeutig negativ konnotiert („Tyrann“); vgl. 1,85. 351. 670; 4,217; 5,386; 6,262; 7,373. 647; 9,241. 257. 266. 394. Während Augustus und Tiberius den Titel ablehnten (vgl. Suet. Aug. 53,1: domini appellationem ut maledictum et opprobrium semper exhorruit (sc. Augustus); Suet. Tib. 27), akzeptierte ihn Nero (Suet. Vit. 11,2; Mart. 7,45,7). Ob Lucan darauf anspielt, ist aber ungewiß; vgl. CHRIST 1938, 115–117. mundi: Der Anspruch, Herr der Welt zu sein, wurde für römisches Empfinden durch die Existenz am Rand der bekannten Welt außerhalb des römischen Reichs lebender Völker kaum eingeschränkt und eigentlich nur durch das Partherreich ernsthaft in Frage gestellt; vgl. AH L 1976, 21–25; BLEICKEN 1981b, 219–228. Lucan kann daher ohne weiteres wie hier den paradoxen Gedanken formulieren, daß ein Bürgerkrieg über die Weltherrschaft entscheide, und immer wieder hervorheben, die Dimension des Kampfes zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn sei so gewaltig, daß der ganze orbis terrarum in die verbrecherische Auseinandersetzung hineingezogen werde und einer kosmischen Katastrophe nahekomme; vgl. z.B. 1,5–6. 72–80; L APIDGE 1979. Allerdings ist er sich auch dessen bewußt, daß sich die
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römische Herrschaft noch nicht über die ganze Welt erstreckt, und beklagt an exponiertem Ort (1,8–23), daß der Bürgerkrieg Kräfte binde, die zu weiterer Expansion und Kampf mit noch nicht unterworfenen Völkern hätten genutzt werden können. Die Gefahren des Bürgerkriegs für Rom verdeutlicht Pompeius’ Plan, nach der Niederlage von Pharsalos Unterstützung bei den Parthern, dem einzigen von Caesar unabhängigen Machtfaktor, zu erbitten; vgl. 8,237–238: Pompeio vincite, Parthi, / vinci Roma volet. 21. comes: Nur weil Cato sich Vaterland und Senat verpflichtet fühlt, tritt er als freiwilliger Gefolgsmann an die Seite von Pompeius. Das Verhältnis Pompeius – Cato wird von Lucan hier etwas anders akzentuiert als in 2,319–323 (Cato weist Brutus’ Versuch, ihn zur Einnahme einer neutralen Haltung zu bewegen, zurück): quin publica signa ducemque / Pompeium sequimur? (…) ideo me milite vincat / ne sibi se vicisse putet. An die Stelle der Unterordnung unter Pompeius in Buch 2 ist hier der alleinige Gehorsam gegenüber Vaterland und Senat getreten. Dadurch, daß Cato sich stets auch militärische Unabhängigkeit von Caesars Rivalen bewahrt hat, erscheint er an dieser Stelle besonders geeignet, die Führungsrolle zu übernehmen. 22. auspiciis raptus patriae ductuque senatus: „vom Oberbefehl des Senates und der Leitung des Senats fortgerissen“; die Verbindung auspicium und ductus ist ein feierlicher milit. t.t. (vgl. z.B. Liv. 3,1,4: T. Quincti ductu et imperio). Auspicium (eigentlich das Recht der Magistrate, die Vogelschau durchzuführen und damit über die Durchführung eines Feldzugs zu entscheiden) und ductus (das militärische Kommando über die einzelne Aktion) waren ursprünglich in der Hand des Feldherrn vereint; die Kaiser behielten sich jedoch den Imperator-Titel nebst auspicium vor und ließen den einzelnen Feldherrn stets unter ihrem Oberbefehl kämpfen; vgl. Suet. Aug. 21: domuit partim ductu partim auspiciis suis Cantabriam; WISSOWA 1896, 2582–2583; NESSELHAUF 1937; BLEICKEN 1981b; ECK 1984, 138–139. Dieser personalen Bindung an den Princeps stellt Lucan Catos Gehorsam gegenüber Vaterland und Senat gegenüber. raptus: häufig von raschen Bewegungen, die auf militärischen Befehl hin erfolgen (vgl. Liv. 2,20,7; Verg. Aen. 2,677; 10,308; Lucan. 1,228; 9,165. 776). Rapere, seit Vergil in der Dichtung gängig, gehört zu Lucans Lieblingsvokabular. HUNINK (zu 3,116) zählt 110 Belege. 23–24. at post Thessalicas clades iam pectore toto / Pompeianus erat: Nach Pharsalos kann er ohne Vorbehalt „Pompeianer“ sein, da
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Pompeius aus seinem Eintreten keinen Nutzen mehr ziehen kann. Vgl. 7,693–697: sic et Thessalicae post te pars maxima pugnae / non iam Pompei nomen populare per orbem / nec studium belli, sed par quod semper habemus, / Libertas et Caesar, erit; teque inde fugato / ostendit moriens sibi se pugnasse senatus; vgl. auch zu 29–30. 24. patriam: Das Verhältnis zum Vaterland bestimmt die Differenz zwischen Caesar und Cato. Cato tritt in den Bürgerkrieg ein, um es zu schützen, Caesar dagegen überschreitet den Rubikon, obwohl eine Erscheinung der Patria Einhalt gebietet; vgl. 1,185–192. Zur pietas erga patriam bei Lucan vgl. HEYKE 1970, 120–130. tutore: Der von Cicero (p. red. in sen. 4) in die politische Sphäre übertragene jur. t.t. („Vormund“) gehörte zur Titulatur der Kaiser; vgl. Sen. clem. 1,4,1–3: ille est enim vinculum, quo re publica cohaeret, ille spiritus vitalis, quem haec tot milia trahunt, nihil ipsa per se futura nisi onus et praeda, si mens illa imperii subtrahatur. (…) ideo principes regesque et quocumque alio nomine sunt tutores status publici; clem. prooem. 1,5; dial. 7,15,4–5; HADOT 1972, 595. Die Bitte um Erhalt des Kaisers als desjenigen, dem die tutela generis humani aufgetragen ist, war vermutlich Bestandteil der jährlich erneuerten Kaisereide; vgl. HERMANN 1968, 90–115; SHERWIN-WHITE zu Plin. epist. 10,52: precati deos, ut te generi humano, cuius tutela et securitas saluti tuae innisa est, incolumem florentemque praestarent; epist. 10,102; paneg. 68. 25. excepit: vgl. Liv. 4,43,9: desertam omissamque ab hominibus rem publicam, deorum providentia exceptam. populi trepidantia membra: Zugrunde liegt das häufig verwendete Bild von Kopf und Gliedern. Ohne Pompeius ist die patria „kopflos“; vgl. Curt. 10,9,3–4: proinde iure meritoque populus Romanus salutem se principi suo debere profitetur, qui noctis, quam paene supremam habuimus, novum sidus inluxit. Huius, hercule, nam solis ortus lucem caligati reddidit mundo, cum sine suo capite discordia membra trepidarunt. Zur Verwendung der Metapher vgl. ThLL VIII 642,9–24; 643,39–55 (HOFMANN) und BARRATT zu 5,37. refovet: In silberner Latinität ist die Übertragung vom individuellen (vgl. Lucan. 8,67: astrictos refovet complexibus artus) auf den militärisch-politischen Bereich häufig; vgl. Sen. dial. 10,5,2: filio in Hispania fracta arma refovente; 11,9,8; Curt. 4,4,21; Plin. paneg. 18,1; OLD s.v. Nr. 3. 26: Der Vers erweitert das Bild (trepidantia membra) und verdeutlicht die militärische Konnotation von refovere.
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28. nec servire timens: d.h. er fürchtete die Diktatur für den Staat, nicht für sich selbst, weil er die Möglichkeit hatte, sich die innere Freiheit zu bewahren, indem er Selbstmord beging. HASKINS verweist auf Sen. epist. 1,12,10: patent undique ad libertatem viae multae breves faciles. agamus deo gratias quod nemo in vita teneri potest: calcare ipsas necessitates licet. Selbstmord ist nach stoischer Lehre dann gerechtfertigt, wenn er nicht aus Angst vor Gefahren oder körperlichen Qualen geschieht, sondern der freie Entschluß ist, sich einem Leben in Knechtschaft durch den Tod zu entziehen; vgl. Lucan. 4,580–581: mors, utinam pavidos vitae subducere nolles, / sed virtus te sola daret. Zur Bewertung des Selbstmordes bei den Stoikern, insbesondere bei Seneca vgl. T A N D O I 1965, 337–338; RIST 1969, 233–255; GRISÉ 1982, 193–223. 29–30. totae post Magni funera partes / libertatis erant: Lucan bemüht sich in diesem Abschnitt darum, die zeitliche Differenz zwischen Pompeius’ Niederlage und seiner Ermordung zu verwischen (vgl. 23: post Thessalicas clades) mit dem Ziel, Cato als unumstrittenen und tatkräftigen Nachfolger des Pompeius herauszustellen, der erst dann in den Bürgerkrieg eingreift, als er zu einem legitimen Kampf gegen einen Tyrannen geworden ist und die Parteinahme gegen Caesar nicht mehr Pompeius zugute kommt, der zwar für das Gemeinwesen weniger bedrohlich ist, aber doch ebenfalls eine Vormachtstellung im Staat anstrebt. Davon, daß nach Pharsalos eine große Unsicherheit unter den Republikanern herrschte, weil man nicht wußte, wohin Pompeius geflohen war, und daß Cato mit den Truppen deshalb nach Afrika übersetzte, weil er dort Pompeius vermutete (Plut. Cat. min. 56,1), berichtet Lucan verständlicherweise nichts. 30–33: Cato war nach Pompeius’ Teilerfolg bei Dyrrhachium dort mit 15 Kohorten zum Schutz des Trosses zurückgelassen worden und versorgte von da aus das Hauptheer in Thessalien mit Getreide. Als Labienus mit der Nachricht von Pompeius’ Niederlage bei Pharsalos eintraf, brachen unter den Soldaten Tumulte aus; die Schiffskontingente aus Rhodos und Ägypten kehrten in ihre Heimathäfen zurück, es kam zu Plünderungen der Magazine, einige Lastschiffe wurden verbrannt. Cato gelang es jedoch, die Disziplin wiederherzustellen und sich mit dem Gros der Flotte in den sicheren Hafen von Korkyra zurückzuziehen. Dort fanden sich auch nach und nach die Soldaten ein, die der Niederlage entkommen waren; vgl. Cic. div. 1,68; 2,114; Caes. civ. 3,11,3; Liv. per. 111; Plut. Cat. min. 55,3–4;
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Cass. Dio 42,10,2; 42,12,2; GELZER 1984, 200–201; VIERECK 1975, 210; FEHRLE 1983, 256–258. 30. quas … per litora fusas: Die pompeianischen Seestreitkräfte befanden sich zum größten Teil im Ionischen Meer; vgl. 8,37–38: cuius adhuc remis quatitur Corcyra sinusque / Leucadii. Lucan erzählt stark gerafft und übergeht an dieser Stelle den vorübergehenden Zusammenbruch der Disziplin unter den Soldaten auf die Nachricht von der Niederlage. Das Problem, wie Soldaten, die nur aufgrund der persönlichen Bindung an ihren langjährigen Feldherrn bereit waren, in einem Bürgerkrieg zu kämpfen, zu einer Fortsetzung des Kampfes zu motivieren sind, wird in der Meutereiszene (9,215–293) ausführlich behandelt. 31. rapido … actu: Periphrase des Adverbs (actus = „Ausführung“ wie 2,77; 8,668; 9,294). Caesars Schnelligkeit wird von seinen Biographen bezeugt (Suet. Iul. 57; Plut. Caes. 17,5) und gehört auch im BC zu seinen auffälligsten Eigenschaften; vgl. nur das einleitende Blitzgleichnis 1,151–157. Schnelligkeit gehört zu den Tugenden des vorbildlichen Feldherrn; vgl. Cic. Manil. 34 (von Pompeius) und dazu CLASSEN 1985, 291. 32. Corcyrae secreta: Die Verbindung eines substantivierten Adjektivs im Neutrum Plural mit einem partitiven oder possessiven Genitiv findet sich seit Ennius häufig in lateinischer Dichtung (in infera noctis, Enn. ann. 84 [SKUTSCH]; vgl. LHS 53; CONTE zu 6,138). petit: Die Kontraktion der Perfektformen auf -ivi der dritten und vierten Konjugation (vgl. dazu LEUMANN 1977, 600–601) findet sich bei Lucan wie bei Sen. trag. häufig; vgl. z.B. 9,129. 190. 208. 230. 347. 417; sämtliche Belege bei NEUE/WAGENER 1897, 446–448. mille carinis: vgl. Verg. Aen. 9,148–149: non armis mihi Volcani, non mille carinis / est opus in Teucros; nach einer verbreiteten nachhomerischen Tradition sind die Griechen mit tausend Schiffen nach Troja gefahren; vgl. Aisch. Ag. 45; Eur. Andr. 106; Or. 352; Ovid. met. 12,37; zahlreiche Belege bei WÖLFFLIN 1896, 182 und AUSTIN zu Verg. Aen. 2,198. Die tatsächliche Stärke der republikanischen Flotte dürfte ungefähr 500 Schiffe betragen haben; vgl. KROMAYER 1907, 432–439; GELZER 1984, 181 zu den Angaben von Cass. Dio 41,52,2; Plut. Cat. min. 54,5; Pomp. 64,1; App. civ. 2,204.
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33. Emathiae … fragmenta ruinae: „die Trümmer des Zusammenbruchs in Thessalien“; der konventionellen Metapher ruina für „militärische Niederlage“ (vgl. Verg. Aen. 12,610; Liv. 23,25,3; 38,46,4; Lucan. 7,118. 439; 8,331; 9,1019) gewinnt Lucan durch die Verbindung mit dem zuvor nicht tropisch belegten fragmentum neuen Reiz ab. Zu Emathius im Sinn von Thessalicus vgl. zu 15. 34–35: Mit zwei Sentenzen markiert Lucan den Übergang von der Sammlung und Neuformierung der republikanischen Streitkräfte zur Wiederaufnahme aktiver Handlungen unter dem Kommando Catos. Er läßt die Handlung am Ende dieses Abschnitts nicht zur Ruhe kommen, sondern schließt mit dem eindrucksvollen Bild der nach Korkyra fahrenden Flotte. Aus sachlichen Gründen hätte es nahegelegen, mit Catos Zwischenhalt in Korkyra, wo sich nach und nach die versprengten Flüchtlinge aus Pharsalos sammelten, zu schließen, doch eignet sich der unspektakuläre Aufenthalt in der Etappe nicht als Stoff für Sentenzen. Diese Stelle belegt – neben vielen anderen – das bekannte Urteil Quintilians über Lucan (inst. 10,1,90): ardens et concitatus et sententiis clarissimus. 34. tantis: = tot; die umgangssprachliche und im Spätlatein übliche Ersetzung von tot durch die entsprechenden Pluralformen von tantus findet sich in der Poesie zuerst Prop. 4,11,12. Sie ist von den Augusteern aber sonst gemieden worden und wird erst von den Dichtern der silbernen Latinität häufiger verwendet; vgl. LHS 206. 35. pelagus artasse: artare in der Bedeutung replere/stipare nicht vor Lucan; vgl. 2,278: ora profundi artantur casu nemorum; ThLL II 708,66–76 (HEY). Nachahmung durch Silius 14,370: classis et artabat lunato caerula gyro; Amm. 23,3,9. Das Bild des eng gewordenen Meeres ist Variation des seit Aisch. Pers. 419–420; Hdt. 7,45 häufigen Topos vom schiffbedeckten Meer; vgl. HUNINK zu 3,566: tecto stetit aequore bellum. 2.1.3 Überfahrt nach Afrika (9,36–50) 36–50. Um die geschlagenen republikanischen Truppen dem Zugriff Caesars zu entziehen, segelt Cato von Korkyra um die Vorgebirge der Peloponnes herum zwischen Kythera und Kreta hindurch zur Küste der Kyrenaika (36–39); er zerstört die Hafen-
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stadt Phykus und fährt von dort nach Palinurus, einem Ort, dessen Name Lucan auf den berühmten Steuermann der Aeneis zurückführt (39–44). Während der Einfahrt wird Cato von Schiffen überrascht, die plötzlich am Horizont auftauchen; es ist Cornelia, die die Nachricht von Pompeius’ Tod überbringt (45–50). Die Stationen von Catos Fahrt von Korkyra in die Kyrenaika sind von Lucan, vermutlich in Anlehnung an die livianische Darstellung der Fluchtwege der bei Pharsalos unterlegenen Pompeianer am Anfang des 112. Buches, weitgehend korrekt wiedergegeben worden (vgl. Liv. per. 112; FEHRLE 1983, 260 Anm. 93); nur Catos Zwischenstop in Patrai, von wo er nach Aufnahme weiterer Flüchtlinge vor dem heranrückenden Caesarianer C. Fufius Calenus fliehen mußte, wird ausgelassen; vgl. Cass. Dio 42,13,2–3. Das Zusammentreffen mit Cornelia auf See ist jedoch eine Konstruktion Lucans. Wie aus anderen Quellen hervorgeht (Cic. Tusc. 3,66; Cass. Dio 42,49,2; Liv. per. 112; vgl. FEHRLE 1983, 260 Anm. 97), begaben sich Pompeius’ Begleiter nach dem Mord über Tyros nach Zypern, von wo Cornelia mit Einwilligung Caesars nach Rom zurückreiste und dort später die Asche ihres Mannes beisetzte; vgl. Oros. 6,15,28; Plut. Pomp. 80,5; M ÜNZER 1900, 1597. Sextus Pompeius begab sich dagegen direkt in die Provinz Afrika. Nach Plut. Cat. min. 56,4; Cass. Dio 42,13,3 erfährt Cato erst in Kyrene, das ihm, nachdem es zuerst eine Gesandtschaft unter T. Labienus, die Cato nach der Landung dorthin gesandt hatte, abgewiesen hatte, doch noch aus freien Stücken die Tore öffnete (anders Lucan. 9,297–299), von Pompeius’ Ermordung; vgl. FEHRLE 1983, 260. Der kurze Abschnitt verdeutlicht Lucans Technik, ein oft nur dürres Gerüst historischer Überlieferung kunstvoll epischer Stilhöhe anzupassen, ihm unerwartete Wendungen abzugewinnen (vgl. die Vergil-Reminiszenz) und hochpathetische Szenen herauszuarbeiten. Geschickte Tempowechsel (zügige Überfahrt; ungestüme Zerstörung von Phykus; langsame Einfahrt in den Hafen; Retardierung durch Apostrophe) lassen die Handlung in den sententiösen Schlußversen, in denen Cato und die Seinen wie gebannt die neuankommenden Schiffe erwarten, zum Stillstand kommen und ermöglichen die Rückwendung zu den Ereignissen, die sich nach dem Mord vor der ägyptischen Küste abgespielt haben. 36: Die Reihenfolge der Vorgebirge ist vertauscht; von Korkyra kommend, hätte Cato zuerst am Tainaron vorbeisegeln müssen. Dorida … Malean: Malea war Teil des von Dorern besiedelten Lakoniens. Kap Malea war im Altertum, weil häufig schwierige Winde die Um-
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segelung erschwerten, allgemein bekannt und gefürchtet; vgl. Hom. Od. 3,286; 4,514; 9,80; 19,186; OTTO s.v. Malea. Die Formen Mal°a und Mãleia waren nebeneinander üblich. Lucan kann daher auch Maléae (6,58) lesen; vgl. BÖLTE 1928, 859–862. apertam Taenaron umbris: Auf dem südlichsten Kap der Peloponnes befanden sich ein Poseidon-Heiligtum und eine Höhle, die als ein Zugang zur Unterwelt galt; vgl. Lucan. 6,648–651; phantasievolle Beschreibung der Höhle bei Sen. Herc. f. 662–759. Angeblich ist dort Herkules mit dem gefangenen Zerberus der Unterwelt entstiegen; vgl. B ÖLTE 1958, 2030–2049. 37. Boreaque urguente carinas: Boreas ist der meist stürmische, Kälte und Niederschlag bringende Nord(-ost)wind; lat. aquilo; vgl. HAEBLER 1897, 719–720. Urguere häufig vom ungestümen Drängen des Windes; vgl. Verg. Aen. 1,111–112: tris Eurus ab alto / in brevia et syrtis urget; Lucan. 9,1001: urguente procella. 38. Graia: sc. litora. Graia ist sichere Konjektur HOUSMANs für das überlieferte Creta. Seit Naevius wird das Adjektiv von den Epikern dem prosaischen Graecus vorgezogen; vgl. AXELSON 1945, 50–51. 38–39. Dictaea … / litora: „die Küste Kretas“; das Gebirge Dikte im Osten Kretas galt als Geburtsort des Zeus. Dictaeus häufig per synecdochen für „kretisch“; vgl. Verg. Aen. 3,171: Dictaea (…) arva; Lucan. 2,610; 4,322; 6,214; so auch hier, denn Cato segelt ja im Westen an der Insel vorbei. 38. legit: Legere in der Bedeutung „an einer Küste vorbeisegeln“ leitet sich nach dem Zeugnis antiker Grammatiker vom Loten mit Hilfe eines Taus ab. Vgl. Serv. Aen. 3,127: tractus (…) sermo a nautis, quod funem legendo, id est colligendo, aspera loca praetereunt; ThLL VII 2,2,1123,54–63; 1127,50–1128,18 (VON KAMPTZ). 39. praecludere: milit. t.t. „etwas vor jdm. versperren“; vgl. ThLL X 2,492,53–494,3 (KORTEWEG). 40–41. impulit ac saevas meritum Phycunta rapinas / sparsit: Wie ein Windstoß (vgl. 3,440: nodosa impellitur ilex; Sen. Tro. 230: sparsae tot urbes turbinis vasti modo) oder ein Rammbock (vgl. 1,384: his aries actus dispergit saxa lacertis; 6,36–37: extruitur, quod non aries impellere saevus, / quod non ulla
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queat violenti machina belli) zerstört Cato Phykus ohne langwierige Belagerung und versprengt die Bevölkerung. Der Ton liegt auf der Schnelligkeit und der Mühelosigkeit, mit der er seine erste militärische Bewährungsprobe meistert. Die Zerstörung des unbedeutenden Küstenstädtchens, das am nördlichsten Punkt der Kyrenaika an einem Vorgebirge unweit von Kyrene lag (heute: Ras Sem; vgl. die Karte bei JONES/LITTLE 1971, 73 und PURCARO PAGANO 1976, 344–345) ist sonst nicht überliefert, dürfte aber, weil Cato während des Bürgerkrieges die Zivilbevölkerung gewöhnlich schonte, glaubwürdige Tradition sein; vgl. FEHRLE 1983, 43. 260, der vermutet, die Stadt sei erobert worden, damit sich die Republikaner neu verproviantieren können. 41–42. placidis alto delabitur auris / in litus: ein gewählter Ausdruck statt des prosaischen in portum ex alto invehi (Cic. Mur. 4). Lucan beschreibt Catos störungsfreie Einfahrt in den Hafen wie einen Flug. Delabi (metaphorisch von der Seefahrt nur hier und Dict. 1,5) ist beinahe t.t. für das Herabgleiten einer Gottheit vom Himmel auf die Erde; vgl. Cic. Manil. 41; Verg. Aen. 11,595: illa levis caeli delapsa (v.l. demissa) per auras; Val. Fl. 2,127: aequoream, virgo, delabere Lemnon. Alto und placidis (…) auris gehören sowohl dem Bildfeld des Fliegens wie dem des Segelns an. 42. Palinure: Die Apostrophe an Palinurus und die folgende Parenthese bilden ein retardierendes Moment, das die überraschende Zuspitzung der Handlung in 45 noch deutlicher macht. Aeneas’ Steuermann war auf der Fahrt von Sizilien nach Italien, von Somnus überwältigt, ins Meer gestürzt (Verg. Aen. 5,833–871). Wie er später Aeneas in der Unterwelt berichtet (6,337–383), habe er sich zwar ans Ufer retten können, sei aber dort von Lukanern erschlagen worden. Die Sibylle tröstet Palinurus: Sie könne ihn nicht mit in die Unterwelt nehmen, doch würden die Lukaner bald durch unheilvolle Vorzeichen genötigt, ihm ein Grabmal zu errichten. Dieser Ort werde dann für immer seinen Namen tragen. Die Episode war natürlich allgemein bekannt. Vgl. Martials etymologischen Witz (3,78): minxisti currente semel, Palinure, carina. / meiere vis iterum? iam Palinurus eris. AHL (1976, 253) vermutet, daß Lucan Catos Fahrt bewußt mit derjenigen des Aeneas parallelisiert. Während Aeneas die Überlebenden Trojas nach Italien führt, landet Cato mit den verbliebenen Pompeianern in Afrika. Eine vereinzelte Stelle erlaubt aber eine so weitgehende Vermutung nicht.
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42–43. neque enim aequore tantum / Ausonio monimenta tenes: aemulatio mit Vergil; an Gelehrsamkeit steht Lucan dem Dichter der Aeneis in nichts nach. Das spannungsvolle Verhältnis zwischen Vergil und Lucan ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen; vgl. besonders T HIERFELDER 1935; VON A LBRECHT 1970, 281–292; NARDUCCI 1979; NARDUCCI 1985. SCHRIJVERS 1990, 21 weist jedoch zu Recht darauf hin, daß man dem komplexen Phänomen der Intertextualität nicht gerecht wird, betrachtet man Lucan zu einseitig als „Anti-Vergil“. Gemeint ist hier die Hafenstadt Paliuros/Palinuros in der Kyrenaika, das heutige Tmimi; vgl. Strab. 17,3,22–23; Ptol. 4,4,8; 4,5,2; PU R C A R O PAGANO 1976, 342–343. Neben diesem und dem vergilischen Palinurus zwischen Velia und Buxentum in Lukanien ist noch eine Hafenstadt dieses Namens auf Samos bezeugt (Liv. 37,11,6). Die Etymologie des Namens Palinurus (spinae genus; Plin. nat. 24,115) leitet sich eventuell von den schmalen dornenartigen Vorgebirgen her, an denen die Hafenstädte lagen; vgl. CHANTRAINE s.v. pal¤ourow. 44. Phrygio … magistro: „dem Steuermann aus Troja“; Phrygius ist Synekdoche anstelle von Troianus (totum pro parte). Da die Phryger im Altertum keinen guten Ruf genossen (vgl. OTTO s.v. Phryx), hat die Bezeichnung häufig einen verächtlichen Beiklang, wovon hier aber nichts zu spüren ist. Magister in der Bedeutung „Steuermann“ seit Verg. Aen. 1,115 für gubernator; vgl. Lucan. 1,501; 2,696; 3,558 u.ö.; ThLL VIII 80,82–81,18 (WOLFF). 45. cum: cum inversum ; das bei anderen Epikern recht beliebte Mittel zur syntaktischen Wiedergabe von überraschenden Peripetien verwendet Lucan verhältnismäßig sparsam: 12 Belege; vgl. BARRATT zu 5,426–427. ex alto tendentes vela carinae: „indem sie sich mit geblähten Segeln von der hohen See her der Küste näherten“; vela tendere hat die Doppelbedeutung „die Segel spannen, aufblähen“ (vgl. Verg. Aen. 3,268: tendunt vela noti; Lucan. 9,77: invisi tendunt mihi carbasa venti) und „eine bestimmte Richtung einschlagen“ (vgl. Lucan. 8,50: en ratis, ad vestros quae tendit carbasa portus). 46. ancipites … animos: anceps von Personen seit Sall. hist. 4,9; Verg. Aen. 5,654; vgl. auch Lucan. 10,12.
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47–48. praeceps facit omne timendum / victor: Rückverweis auf 31; Caesars Grausamkeit und Schnelligkeit lassen ihn im BC beinahe allgegenwärtig erscheinen und verbreiten unter seinen Gegnern Angst und Schrecken (vgl. z.B. 1,466–522). 48. et in nulla non creditur esse carinis: Die Folgen von Caesars Schnelligkeit beschreibt Lucan von zwei Seiten: Der nüchternen Feststellung des Sachverhalts stellt er die Sicht der Betroffenen gegenüber. Wie im folgenden Vers macht er reichen Gebrauch von klanglichen Mitteln (leoninischer Hexameter; alliterierende Litotes; Assonanz). 49. ast: die archaische Form der Adversativpartikel, meist in Verbindung mit einem nachfolgenden enklitischen Pronomen oder Adverb, wird in der Poesie aufgrund metrischer Konvenienz häufig dem üblichen at vorgezogen (9 Belege bei Lucan); vgl. LE O Tragoediae Bd. 1, 214–216 (grundlegend); AUSTIN zu Verg. Aen. 2,467; ThLL II 942,83–44,22 (VOLLMER). planctusque: Planctus („Schlagen von Brust und Gliedmaßen aus Trauer“) verdrängte in der kaiserzeitlichen Literatur zunehmend die von klassischen Autoren bevorzugten fletus, lamentatio, plangor, ploratus. Das Wort ist von Seneca in die Poesie aufgenommen worden und wurde in epischer Dichtung wegen der Intensität des Ausdrucks und der metrisch bequemen Endung auf -tus geschätzt; vgl. BILLERBECK 1988, 59–60; LHS 743. Die Juxtaposition luctus planctusque hier zum ersten Mal, dann Sil. 6,495; Min. Fel. 22,1; Vulg. Ier. 6,26. 50. An dem Vers lassen sich einige Charakteristika des Stils und der Erzähltechnik Lucans verdeutlichen. Das Partizip Futur weist voraus auf die in 117–214 berichteten Reaktionen Catos und seiner Begleiter, die in Wehklagen ausbrechen, als sie die Nachricht von Pompeius’ Ermordung erhalten. Es handelt sich um eine „zukunftsgewisse eingeschobene Vorausdeutung“ (L ÄMMERT [1991] 163–174), die den Text gliedert und die Rezeptionshaltung des Lesers steuert. Mit Hilfe des Vorverweises schließt Lucan den von Cato bestimmten Abschnitt 21–50 ab und bildet eine Klammer um den nachgetragenen Bericht der Ereignisse, die sich nach dem Mord an den ägyptischen Küsten abgespielt haben. Zugleich werden die Tränen Catos dem Leser als idealtypisches Verhalten vor Augen geführt und legen ihm eine bestimmte Reaktion nahe.
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Modernes Empfinden nimmt allerdings daran Anstoß, daß Lucan entgegen der Ankündigung die Tränen Catos später nicht mehr erwähnt, sondern im Gegenteil seine besondere Gefaßtheit inmitten des unbeherrschten Verhaltens seiner Begleiter hervorhebt (165–166. 186–189). Derartige „blinde Motive“ resultieren jedoch nicht aus einer Nachlässigkeit Lucans, sondern sind bewußtes Gestaltungsprinzip. Lehrreich ist ein Vergleich mit 409–410: et sacrum parvo nomen clausura sepulchro / invasit Libye securi fata Catonis. Die Vorausdeutung erfüllt dieselben Funktionen wie 50. Sie überbrückt den Libyen-Exkurs (411–444), den Lucan zwischen den Entschluß Catos, die Wüste zu durchziehen, und die Ausführung des Vorsatzes gestellt hat. Im Unterschied zu 50 weisen die Verse allerdings auf ein Ereignis hin, das dem Leser bekannt ist und vermutlich auch noch im BC berichtet werden sollte. Die konkrete Formulierung ist jedoch auffällig, weil sie mit der Bestattung in einem kleinen Grabmal eher einen abseitigen Aspekt von Catos Tod in den Vordergrund rückt. Das Detail ist für den Kriegsverlauf unerheblich, verdeutlicht aber eindringlich die paradoxe Verkehrung der gerechten Verhältnisse durch den Bürgerkrieg. Die Parallele stellt klar, daß der Vorwurf der Inkohärenz Lucan nicht angemessen ist. Die untersuchten Vorausdeutungen sind bewußt verwendete Gliederungssignale, die auf kommende Handlungsphasen hinweisen; die konkrete und anschauliche Formulierung darf jedoch nicht als Ankündigung des jeweiligen Einzelereignisses mißverstanden werden, sondern hat den Zweck, die unmittelbare affektive Anteilnahme des Lesers zu wecken. Zu Lucans Erzähltechnik im allgemeinen vgl. SEITZ 1965; MARTI 1975. lacrimas motura: die Junktur seit Tib. 1,10,63. vel duri … Catonis: Die zweite der beiden Szenen, die Cato im zweiten Buch dem Leser vorstellen, thematisiert dessen Selbstdisziplin und Affektkontrolle. Cato vermählt sich mit Marcia aufgrund der gefährdeten Lage des Staates ohne die üblichen Hochzeitsbräuche und verzichtet auf die eheliche Vereinigung (vgl. 2,372–380). Seine duritia ist jedoch von völliger Affektlosigkeit unterschieden. Lucan stellt ihn als Vertreter eines Stoizismus römischer Prägung dar, der Brutus’ Versuch, ihn zu einer neutralen Haltung im ausbrechenden Konflikt zwischen Caesar und Pompeius zu bewegen, entschieden zurückweist und bereit ist, sein Leben einzusetzen, um Unheil vom Staat abzuwenden; vgl. 2,666–668. 290–295. Liebe und Trauer sind die Affekte, die Cato an den Staat binden (2,380–391). Catos Härte ist also einerseits Härte gegen sich selbst, andererseits unnachgiebige Entschlossenheit, die unter den gegebenen Umständen besondere Opfer fordernde Pflicht gegenüber dem Staat zu erfüllen; vgl.
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9,385: durum iter ad leges patriaeque ruentis amorem. Mitgefühl mit dem Leiden anderer ist daher nicht ausgeschlossen; vgl. 9,747–748. Ein Urteil Catos über Pompeius läßt sich dieser Stelle nicht entnehmen. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit der ambivalenten Gestalt des dreimaligen Triumphators enthält die von ihm gehaltene Leichenrede (9,190–214).
2.2. Cornelias Abfahrt von der ägyptischen Küste (9,51–116) 51–116: Vom Schiff aus unweit der Küste sieht Cornelia nach Einbruch der Dunkelheit Pompeius’ Scheiterhaufen am Strand brennen (51–54); zwar klagt sie zuerst, daß sie bereits zum zweiten Mal einen Ehemann durch Feindeshand verliert, ohne Gelegenheit zu haben, ihn mit den traditionellen Bestattungsriten beizusetzen, doch ermahnt sie sich, von Äußerlichkeiten abzusehen und ihrem Mann ein lebendiges Andenken zu bewahren (55–72). Als sie sieht, wie der Scheiterhaufen an der ägyptischen Küste erlischt (72–77), äußert sie den Wunsch, in Ägypten zu bleiben, um ihrem Mann die Treue zu bewahren (83 [78] – 82 [83]). Darauf verkündet sie ihrem Stiefsohn Sextus Pompeius’ letzten Willen: Gestützt auf den Ruhm seines Vaters, soll er gemeinsam mit seinem Bruder den Kampf gegen Caesar fortführen; sofern Cato allerdings bereit sei, am Freiheitskampf teilzunehmen, sollen sie ihn als Anführer anerkennen (84–100). Enttäuscht, gegen ihren Willen Pompeius überleben zu müssen, beschließt Cornelia, den Rest ihres Lebens so zu verbringen, daß er ihr schon einen Vorgeschmack auf den Tod vermittelt (101–108). Sie begibt sich unter Deck und wünscht sich den Untergang ihres Schiffes im aufkommenden Sturm (109–116). 51–54: Die Verse setzen voraus, daß Pompeius’ Begleiter die in 8,661–662 erwähnte Flucht noch in Sichtweite der Küste unterbrochen haben, um aus sicherer Entfernung die Ereignisse zu verfolgen; vgl. auch 8,741–742: extremo sed abest a munere busti / infelix coniunx nec adhuc a litore longe est. „Lyrische“ Motive (Nacht, Abschied, Einsamkeit Cornelias, die sich allein noch zu ihrem Gatten hingezogen fühlt) liefern die wehmütige Hintergrundstimmung für die folgende Totenklage. Die folgende wörtliche Rede Cornelias ist sorgfältig mit der hier einleitend skizzierten Situation verknüpft und in den übergreifenden Erzählzusammenhang eingebettet. Hinweise auf Brennen und Verlöschen des Scheiterhaufens markieren Wendepunkte innerhalb ihrer Klage (62–64; 73–77), die rahmenden Angaben zum Verlauf der Fahrt führen die Handlung wieder zu dem Punkt, an dem sich Cato und Cornelia begeg-
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nen, und unterstreichen durch Verstärkung oder Kontrast die Bedeutsamkeit des affektgeladenen Geschehens (109–116; 117–121). Für eine Interpretation der Rede Cornelias auf dem Hintergrund epischer Totenklagen vgl. OFFERMANN 1968, 119–121; zur Topik der Totenklagen im allgemeinen vgl. ALEXIOU 1974, 131–184; HOPKINS 1983, 217–235. 51–53: „Vergeblich hatte Cornelia die Schiffer und ihren Stiefsohn bestürmt, die Flucht zu verzögern. Sie fürchtete, die verstümmelte Leiche würde von der Küste Ägyptens weg und aufs Meer hinaus getrieben“ (LUCK). Die erste Hälfte des postquam-Satzes und der davon abhängige negierte Finalsatz enthalten zwei Schwierigkeiten, für die verschiedene Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen worden sind. Frustra precibus (…) fugam tenuit bedeutet nach H OUSMAN , der sich auf die Comment. Bern. beruft, daß Cornelia die Flucht der Seeleute verhindert habe, allerdings umsonst (frustra), denn der Leichnam wurde nicht zurück ins Meer gespült; LUCK dagegen versteht den Ausdruck als dichterische Periphrase für frustra precata est, ne fugerent. Die zweite Verständnisschwierigkeit bietet der ne-forte-Satz; es ist unsinnig, zu sagen, Cornelia bleibe an der Küste, um zu verhindern, daß der Leichnam abtreibt, wenn sie ihn eigentlich bergen möchte. BENTLEY konjizierte daher si forte; BOURGERY/PONCHONT/JAL verstehen ne forte in diesem Sinn als indirekten Fragesatz („pour voir si“; dagegen aber ThLL VI 1,1135,58–66 (H E Y ); LHS 452). Am überzeugendsten schließt FRANCKEN, gefolgt von LUCK , den ne-forte-Satz an, indem er ihn von einem gedanklich zu ergänzenden timens abhängen läßt. Es bietet sich daher an, frustra mit LUCK auf die Erfolglosigkeit des Bittens zu beziehen; denn H OUSMAN s Erklärung für frustra („quoniam non evenit ut corpus ad eos aestu referretur“; Comment. Bern.) verbaut die Möglichkeit, den Finalsatz sinnvoll anzuschließen; an den Schwierigkeiten, die HOUSMANs Vorschlag hervorruft, scheitert EHLERS’ Übersetzung: „Denn umsonst hatte Cornelia gehofft, daß vielleicht der Rumpf (…) ins Meer zurückgelangte, hatte daher mit ihren Bitten die Flucht der Besatzung und ihres Stiefsohnes hinausgezögert.“ 51. Cornelia: Verdeutlicht Lucan an Cato und Marcia die strikte Unterordnung der persönlichen unter die staatlichen Belange (vgl. 2,326–391; HARICH 1990), vermischen sich in der Ehe zwischen Pompeius und Cornelia die beiden Bereiche in unheilvoller Weise. Während Pompeius sich
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von den Kriegsvorbereitungen gegen Caesar durch die Sorge um seine Frau ablenken läßt (vgl. z.B. 5,722–731), ist Cornelias Verhalten von dem selbstsüchtigen – und vergeblichen – Bemühen bestimmt, trotz des Bürgerkriegs an der Seite ihres Ehemannes zu bleiben (vgl. z.B. 83[72]–82[83]; 98–116). Zu Cornelia vgl. BRUÈRE 1951; VIANSINO 1974, 120–124; AHL 1976, 173–183; THOMPSON 1983. Pompeius’ Ehefrau war Tochter des Q. Caec. Metellus Pius Scipio (Konsul 52 v. Chr.), der bei Pharsalos gegen Caesar kämpfte, darauf den Oberbefehl über die Pompeianer in Afrika innehatte und nach Thapsus Selbstmord beging. Vor ihrer Ehe mit Pompeius war Cornelia mit dem bei Carrhae als Unterführer seines Vaters gefallenen P. Crassus verheiratet. Der bedeutend ältere Pompeius ehelichte sie im Jahr 52 v. Chr., wodurch er sich allerdings, wie Plut. Pomp. 55,1–5 berichtet, die Kritik der Öffentlichkeit zuzog, da die Braut als zu jung galt und er ihr angeblich mehr Zeit widmete, als den Staatsgeschäften guttat. Möglicherweise ist Lucans Darstellung ein Nachklang dieser Kritik; vgl. M ÜNZER 1900, 1596–1597; GELZER 1983, 151. 52. privignique: sc. Sextus Pompeius. Vgl. zu 84. 53. remearet: Das klassisch sehr seltene Verb (nur Cic. nat. deor. 2,118) gebraucht Lucan gern (11 Belege). 54. ostenditque: Die Flexionsformen von ostendere finden sich bei Lucan stets am Versanfang (vgl. z.B. 9,75. 496. 1005). Zu Lucans Gewohnheit, bestimmte Wörter stets an der gleichen Stelle im Vers zu verwenden, vgl. OLLFORS 1965, 61–71. non iusti: poetischer Ersatz für iniustus, der seit Ov. met. 8,874 gelegentlich verwendet wird. Vgl. auch Verg. Aen. 10,94–95: querelis / haud iustis. sepulchri: anstelle von funus schon Ter. Andr. 128; vgl. Lucan. 3,11; 6,526. 765. 55. ergo indigna fui: Das Motiv der Unwürdigkeit Cornelias spielt eine bedeutende Rolle. Lucan legt ihr beim Empfang des bei Pharsalos unterlegenen Pompeius auf Lesbos eine Selbstanklage in den Mund (8,88–105): Sie sei eine paelex (8,104), die zu Unrecht an die Stelle Julias getreten sei und Pompeius ebenso ins Unglück gestürzt habe, wie zuvor bereits die beiden Crassi durch ihre Schuld umgekommen seien. Dieses Eingeständ-
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nis ist eine Bestätigung der düsteren Prophezeiung Julias (3,20–32), deren Totenschatten Pompeius im Traum erschienen war und gedroht hatte, die Ehe mit Cornelia (3,23: paelex) niemals hinzunehmen. Indignus mit Inf. seit Lucr. 5,123; vgl. LHS 350–351. dixit: Lucan bevorzugt, anders als Vergil, parenthetische Redeeinleitungen; vgl. SANGMEISTER 1978, 55. 67–68. Fortuna: Gewöhnlich wendet sich der Trauernde zu Beginn einer Totenklage an den Verstorbenen selbst; vgl. Hom. Il. 19,315; 22,431; Verg. Aen. 10,152. 846; Ov. met. 13,494 (Stellen bei OFFERMANN 1968, 68–69). Hier wird Fortuna angesprochen, da sie Cornelia daran hindert, Pompeius die letzten Ehren zu erweisen. Fortuna ist bei Lucan Verbündete Caesars und verleiht ihm den Sieg im Bürgerkrieg. Allen Gegnern des Tyrannen bleibt nur der aussichtslose Versuch, ihr soweit wie möglich zu widerstehen, mag die Niederlage auch abzusehen sein. Den Kampf gegen die Fortuna verwirklicht in idealer Weise Cato; vgl. 9,881–883: cogit tantos tolerare labores / summa ducis virtus, qui nuda fusus harena / excubat atque omni fortunam provocat hora. Für Fortuna kann bei Lucan häufig ohne Bedeutungsunterschied fatum oder dei/superi eintreten; vgl. z.B. 5,481–484. Grundlegend für die vieldiskutierte Frage nach der Rolle der Fortuna im BC ist F RIEDRICH 1938; vgl. auch SCHOTES 1968, 142–154; LE BONNIEC 1970, 166–178 und zu 9,253–255. 55–56. marito / accendisse rogum: Nach Serv. Aen. 6,223 war es üblich, daß die nächsten Verwandten die Leiche auf den Scheiterhaufen legten und ihn selbst entzündeten. Der nicht präteritale Gebrauch des Inf. perf. (accendisse) stammt aus der Gesetzessprache, drang mit Lucr./Catull. in die Dichtung ein und findet sich wegen der metrischen Bequemlichkeit der Perfektformen häufig bei den Dichtern der silbernen Latinität (sofern sie in Hexametern dichteten); vgl. LHS 351–352. 56. gelidosque … per artus: „der Länge nach auf den eiskalten Gliedern“; zur rituellen Totenklage, wie sie Lucian. luct. 12–15 beschreibt, gehörte es, daß sich ein Angehöriger auf den Toten wirft und wehklagt. Vgl. 4,628–629; 6,756; 8,739–741. Typisch für Lucans Vorliebe für das Grausige und Ekelhafte ist die Depravation des Ritus in 6,564–569: Erictho wirft sich auf einen Toten und beißt ihm die Zunge ab, um auf diese Weise eine Botschaft in die Unterwelt zu schicken.
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57. incubuisse viro: vgl. Ov. epist. 11,117: non super incubui, non oscula frigida carpsi. Auch einige der folgenden Formulierungen lehnen sich eng an diesen Heroinenbrief an; vgl. BRUÈRE 1951, 229. laceros exurere crines: sc. meos. In Rom war der Brauch, den Toten Haaropfer zu bringen, zwar deutlich weniger verbreitet als in Griechenland, wurde aber doch gelegentlich praktiziert; vgl. Prop. 1,17,21; Ov. epist. 4,16–17; Sen. Phaedr. 1181–1182; EITREM 1915, 344–345; BURKERT 1977, 120–121. Lacer in der Bedeutung „abgerissen“ seit Sen. Tro. 800: laceros (…) crines eripe; vgl. Lucan. 8,667; ThLL VII 2,2,821,57–64 (MONTEFUSCO). 58. membraque dispersi … componere Magni: Hyperbel; strenggenommen paßt die Formulierung nach Ov. epist. 11,122: sparsa, precor, nati collige membra tui nicht auf den kopflosen, sonst aber intakten Rumpf. Sofern Lucan bewußt formuliert hat, ist vielleicht ein Anklang an die mythologische Überlieferung von Medea/Absyrtos und Phaedra/Hippolytos beabsichtigt; vgl. Sen. Med. 963–964; Phaedr. 1256–1274. Componere meint ebenso das Zusammenfügen des Leichnams wie seine Herrichtung für die Bestattung; die zweite Bedeutung ist t.t.; vgl. COFFEY/MAYER zu Sen. Phaedr. 1265; ThLL III 2116,44–56 (H OFMANN ); Imitation der Lucanstelle durch Stat. Theb. 4,569: lacerum componit corpus Echion. pelago: Abl. loci bei pelagus seit Verg. Aen. 1,364; er ist eine Analogiebildung zu mari, das bereits Enn. ann. 129 (SKUTSCH) aus der Formel terra marique löste; vgl. LHS 145–147; ThLL X 1,991,14–24 (MALSBURY). 59. infundere fletus: vgl. Ov. epist. 11,125: lacrimasque in vulnera funde. An die Stelle des üblichen Waschens und Salbens der Wunden tritt in der Poesie häufig die Reinigung durch Tränen. Statius Theb. 5,619 überbietet das Motiv: Hypsipyle läßt Muttermilch in die Wunden ihres Kindes Archemorus tropfen; vgl. MAYER zu 8,727. 60: Einer der nächsten Angehörigen sammelte nach der Verbrennung die Knochenreste im Bausch des Gewandes, begoß sie mit Wein und Milch, trocknete sie und legte sie zusammen mit der Totenasche in die Urne; vgl. (Ps.-)Tib. 3,2,15–22; MAU 1897, 356.
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61: Vorbereitung der Pointe; nur die Überreste des Toten wurden nach der Verbrennung geborgen, sonst mied man sorgfältig den verunreinigenden Kontakt mit der Brandstätte; vgl. 8,738: sordidus ustor; Catull. 59,3–5. 62. in templis sparsura deum: richtig erklärt FRANCKEN (zu 57): „spargere cinerem rogi in templis quoque peculiare huic loco, ad invidiam opinor, diis faciendam“. Das angehängte Futurpartizip stülpt Cornelias Klage einen unerwarteten Sinn über: Es ist der Verlust der Rache, den sie bedauert. Dieselbe Pointentechnik mit Hilfe des Partizip Futur findet sich in ähnlichem Zusammenhang auch in 2,34–36: nec cunctae summi templo iacuere Tonantis: / divisere deos, et nullis defuit aris / invidiam factura parens; zum Motiv der Rache an den Göttern durch Entweihung der Tempel vgl. auch 6,807–809; 7,455–459 und Lucr. 6,1272–1277. 63. forsan: Cornelias unzutreffende Vermutung authentisiert die wörtliche Rede; der Leser weiß, daß Pompeius von einem Römer beigesetzt wurde (vgl. 8,715–717). Forsan mit Indikativ findet sich seit Verg. Aen. 1,203; vgl. Lucan. 2,175; 5,93; 8,857; 9,474. 865. 64. bene: Adverb des Urteils: „o bene factum, quod nudi sunt“ (HOUSMAN mit Verweis auf 9,1058–1059; 1,248 gegen ThLL II 2116,27 (SINKO). nudi … cineres: „nicht eingeäscherte Leichen“; cineres ist eine paradoxe Metonymie; in diesem Kontext kommt es gerade darauf an, daß die Crassi nicht zu cinis geworden sind. Nudus in der Bedeutung „unbestattet“ seit dem bekannten Schlußvers (871) des fünften Buches der Aeneis: nudus in ignota, Palinure, iacebis harena. 65. Crassorum: M. Licinius Crassus war 53 v. Chr. bei Carrhae zusammen mit seinem ältesten Sohn im Kampf gegen die Parther gefallen. Lucan nimmt häufig auf ihn Bezug; vgl. 1,11. 99–106; 2,552–554; 3,125–127. 265–266; 7,431; 8,88–97. 232–234. 300–302. 325–327. 356–358. 390–394. 420–422; 9,265–267; 10,51–52. Crassus ist für Lucan vor allem in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Zum einen sieht er in seinem Tod eine der wesentlichen Ursachen für den Ausbruch des Bürgerkriegs, weil nach Carrhae kein Mittler mehr zwischen den Rivalen Caesar und Pompeius stand und die beiden verbliebenen Triumvirn über kurz oder lang um die Alleinherrschaft kämpfen mußten (vgl.
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1,91–106; 3,265–266); zum anderen besteht über Cornelia, die mit dem Sohn des Triumvirn vor ihrer Ehe mit Pompeius verheiratet war, zu den beiden Crassi eine unmittelbare Verbindung (vgl. 8,410–416). An dieser Stelle läßt Lucan Cornelia über den merkwürdigen Umstand klagen, daß ihre beiden Ehemänner von Feindeshand gefallen sind, ohne daß sie sie hätte bestatten können. Zu Crassus bei Lucan vgl. SCHREMPP 1964, 68–71; SZELEST 1979. Zur Bedeutung und Bewertung der Schlacht von Carrhae in ausgehender Republik und Kaiserzeit vgl. TIMPE 1962. 66. invidia maiore deum: Gen. subj. (HOUSMAN); Gedankengang: Vergleichsweise gut ist es den Crassi gegangen: Sie blieben unbegraben. Für Pompeius haben die Götter etwas Entwürdigenderes vorgesehen: Er wird von einem Ägypter eingeäschert. Klarer noch als die von HOUSMAN angeführten Belege (8,761–762. 793–795) stützen 8,764–765 und 9,143–144: quaecumque iniuria fati / abstulit hos artus, superis haec crimina dono seine Auffassung. SHACKLETON BAILEY (im App. zur Stelle) nimmt mit den Adn. (mit Bedenken auch ThLL VII 21,201,73–74 [STIEWE]) einen Gen. object. an, doch sprechen der Kontext (64: officium grave manibus; bene nudi) und die angeführten Parallelen für die erste Auffassung. Unter „Mißgunst der Götter“ ist bei Lucan das ungerechte Wirken des Fatums zu verstehen, das den Tyrannen Caesar begünstigt; vgl. LE BONNIEC 1970, 179–182; DUE 1970, 213–222. 66–67: similisne malorum / sors mihi semper erit?: Die Comment. Bern. (zu 8,91) haben einen von Livius referierten Ausspruch Cornelias bewahrt, der zeigt, daß sie selbst ihre Ehe mit Pompeius als eine Wiederholung der unglücklichen Verbindung zum jüngeren Crassus betrachtete. Als sie Pompeius nach der Niederlage von Pharsalos auf Lesbos empfing, soll sie sich die Schuld für die Niederlage angelastet haben: vicit, Magne, felicitatem tuam mea fortuna. quid enim ex funesta Crassorum domo recipiebas nisi ut minueretur magnitudo tua? 67. iusta: t.t. für Begräbnisriten. Vgl. ThLL VII 2,1,772,26–53 (BAER); die Verschreibung busta (A2V) ist laut ThLL häufig. 68. plenas … ad urnas: Bestand keine Möglichkeit, die Leiche zu bestatten, führte man eine symbolische Bestattung durch und errichtete ein Kenotaph. Diese Sitte ist griechischen Ursprungs, hatte aber auch in Rom
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Verbreitung gefunden; vgl. Verg. Aen. 3,68. 303; 6,505; Ov. met. 6,568; Stat. Theb. 12,124; HUG 1921, 171–172. 69–72: Cornelia wertet die üblichen Bestattungsriten, über deren erzwungene Unterlassung sie eben noch geklagt hatte, als äußerlichen Ersatz für fehlende Gefühle ab. Über die Belanglosigkeit der Bestattung als Thema der Konsolationsliteratur vgl. zu 10–11. 69. quid porro tumulis opus est: „wozu brauchen wir überhaupt Grabmäler“. Quid porro führt häufig einen entscheidenden neuen Gesichtspunkt ein, der die zuvor genannten Argumente überbietet; vgl. Cic. Tusc. 1,18; Liv. 28,42,12; OLD s.v. porro 6a). tumulis: Tumulus ist der aus Erde aufgeworfene Grabhügel (vgl. 8,713. 796. 821. 855), bezeichnet metonymisch aber auch jede Art von Grabmal bis hin zum Mausoleum; vgl. 2,222; 9,155. 70. instrumenta: außerhalb des technischen Bereiches oft mit stark pejorativer Konnotation: „überflüssiges oder illegitimes Hilfsmittel für etwas, was die Natur zu Recht nicht vorgesehen hat“. Vgl. z.B. Sall. Catil. 25,2: instrumenta luxuriae; Liv. 7,38,5; Ov. fast. 5,279. dolor: Die Anrede an den Schmerz (ebenso 8,634) verleiht Cornelias Monolog tragisches (und stoisches) Kolorit. Der Vokativ begegnet sonst fast ausschließlich in den Tragödien Senecas; vgl. Tro. 107. 595; Med. 139. 914. 944. 1016. 1019 u.ö.; vgl. ThLL V 1,1846,9–11 (HEY). Der einzige Beleg außerhalb von Seneca und Lucan ist charakteristischerweise ein Ausruf des erkrankten Poseidonios (Cic. Tusc. 2,61): nihil agis, dolor! 70–71. non toto in pectore portas, / impia, Pompeium?: ein singuläres Bild, hervorgehoben durch Alliteration und Assonanz auf ‚p‘ und ‚o‘; portare aliquem ist t.t. für das Tragen des Verstorbenen im Trauerzug. Ähnliche Formulierungen finden sich sonst nur im christlichen Bereich („Gott/Christus in sich tragen“; vgl. ThLL X 2,47,81–48,13 [KRUSE]). 71. impia: duae sunt praecipuae Romanae virtutes, militaris virtus et pietas (Comment. Bern. zu 1,11); wesentlicher Bestandteil der mit der pietas verbundenen Pflichten war der Totenkult; vgl. nur die Wendungen ossa piare; cineres piare; busta piare. Im Sinne philosophischer Mahnungen spiritualisiert Cornelia die herkömmliche Vorstellung von pietas. Zur pietas im allgemeinen
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vgl. LIEGLE 1932; DÖRRIE 1959. Die Rolle der pietas bei Lucan untersucht HEYKE 1970. 71–72. non imis haeret imago / visceribus?: Es liegt das Bild eines im Körper steckenden Geschosses zugrunde; vgl. Lucan. 6,196–197: iaculis levibusque sagittis / perditis haesuros numquam vitalibus ictus. Imago ist eigentlich das Ahnenbild in Wachs, metaphorisch das Bild des Toten in der Erinnerung; vgl. Tac. ann. 1,43: tua, pater Druse, imago, tui memoria; ThLL VII 1,406,13–58 (PRINZ). 72. quaerat cineres victura superstes: Eine ironische permissio (vgl. LAUSBERG § 857) schließt den ersten Teil der Rede ab. Zum ersten Mal klingt das Motiv taedium vitae (victura) an, das in 99–116 breit ausgeführt wird. 73. tamen: bedingt durch den konzessiven Konjunktiv quaerat; Gedankengang: „Mag eine Frau, die ihren Ehemann überleben möchte, die Asche zusammenklauben. Obwohl mich Pompeius’ sterbliche Überreste nicht mehr interessieren, zeigt mir dennoch etc.“ hinc longe: umgangssprachliche, fast nur in der Komödie belegte Wendung; sonst nur Cic. Quinct. 79; Ov. ars 1,608 und mehrfach bei Pomponius Mela; vgl. ThLL VI 3,2794,58–62 (REHM). luce maligna: „mit spärlichem Licht“; Junktur nach Verg. Aen. 6,270–271: quale per incertam lunam sub luce maligna / est iter in silvis (Vergleich zur Beschreibung des unheimlichen Unterweltsmarsches des Aeneas); Sen. epist. 65,17; vgl. ThLL VIII 183,72–184,7 (HEY ). Zu Unterweltsmotiven im neunten Buch vgl. zu 436–437. 74. surgens: zuerst von Ovid für das Aufflackern des Opferfeuers verwendet; vgl. epist. 13,114; Pont. 4,9,53; Lucan. 1,549–552: Vestali raptus ab ara / ignis, et ostendens confectas flamma Latinas / scinditur in partis geminoque cacumine surgit / Thebanos imitata rogos. 75. ostendit: Rückbezug auf 54. resedit: „es ist erloschen“; residere vom Feuer seit Ov. epist. 16,190. H EINSIUS’ Konjektur residit, die den abrupten Übergang von ostendit mildern soll, ist unnötig. Um den szenischen Rahmen für die Rede Cornelias möglichst anschaulich zu gestalten, beschreibt Lucan den Moment, in dem das Feuer bei Tagesanbruch erlischt und die im Morgengrauen sichtbaren
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Rauchschwaden sich verziehen. Die Kritik von BRUÈRE (1951, 230), während der wenigen Worte, die Cornelia sprach, könne der Leichnam nicht vollständig verbrannt sein, ist unberechtigt. Daß die Synchronisation der Redezeit Cornelias mit dem vorgestellten Geschehen an der Meeresküste nur annäherungsweise erfolgen kann, versteht sich von selbst. Bemerkenswert ist dagegen die exakte Übereinstimmung mit dem Bericht von der Verbrennung in Buch 8,778–780: sed iam percusserat astra / Aurorae praemissa dies: ille ordine rupto / funeris attonitus latebras in litore quaerit. 76–77. Pompeiumque ferens vanescit … / fumus: vgl. Sen. Tro. 392–396: ut calidis fumus ab ignibus / vanescit, spatium per breve sordidus, / ut nubes, gravidis quas modo vidimus, / arctoi Boreae dissipat impetus: / sic hic, quo regimur, spiritus effluet. Lucan hat die beiden Hälften des Vergleichs miteinander verknüpft und ein düsteres Bild der Vergänglichkeit gezeichnet. Die Veranschaulichung der Zusammensetzung der menschlichen Seele durch den Vergleich mit Rauch geht auf Lukrez zurück; vgl. 3,426–428: animam minoribus esse principiis factam, quam (…) nebula aut fumus; 3,456: dissolvi (…) omnem animi naturam ceu fumus; 3,451–456. 583. 77. carbasa: vgl. Serv. Aen. 3,357: carbasus autem genus lini est, quod abusive plerumque pro velo ponitur. Der Plural wird fast immer mit Heteroklisie gebildet. 83 (78)–82 (83): Cornelias Bereitschaft, ihrem Mann über den Tod hinaus die Treue zu bewahren, korrespondiert mit den Vorwürfen des Pompeius in 8,73–85, der in Cornelias Ohnmachtsanfall, den sie erleidet, als Pompeius als Verlierer nach Samos zurückkehrt, einen Verstoß gegen die eheliche Treue sieht (8,76–78): erige mentem, / et tua cum fatis pietas decertet, et ipsum, / quod sum victus, ama. Als exemplarische Verdeutlichung der pietas sollte man Cornelias Wunsch, an der ägyptischen Küste zu bleiben, jedoch nicht ansehen. Die Trauer, in die sie sich im folgenden hineinsteigert, ist maßlos; vgl. 8,82–83: ultima debet / esse fides lugere virum mit 9,112: amat pro coniuge luctum. 83: Die Umstellung dieses Verses mit den recentiores (akzeptiert von H OUSMAN ; LUCK ; SHACKLETON B AILEY ; BADALÌ ) ist notwendig; andernfalls wäre invisi (77) unverständlich, und der Komparativ gratior bliebe ohne die Nennung der Pelusia litora ohne Bezug; vgl. HOUSMAN z.St.; anders FRAENKEL 1926, 521; LUCK 1969, 273–274. Die unsichere Überlie-
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ferung des Verses (PU ordnen ihn nach 79 ein, V nach 82; ZMG lassen ihn aus) wird am besten durch die Annahme einer späteren Korrektur von der Hand des Autors erklärt. Das Exemplar, auf dem die handschriftliche Überlieferung beruht, führte vermutlich solche nachträglichen Ergänzungen Lucans am oberen oder unteren Ende einer Kolumne auf. Die textkritischen Zeichen, die angaben, an welcher Stelle die Verse einzufügen seien, sind später von den Kopisten mißverstanden worden; vgl. auch zu 100. BRENA (1999, 291–296), der die Möglichkeit einer Autorvariante nicht in Betracht zieht, spricht sich neuerdings dafür aus, den Vers als Interpolation zu tilgen. l i n q u e r e : Das in Prosa sehr seltene Wort (vgl. ThLL VII 2,2,1460,59–66 [BALZERT]) findet sich in der Poesie bereits seit Naev. frg. 23: Aenea quo pacto Troiam urbem liquisse. si qua fides: sc. dicto meo; die Formel ist ovidisch; vgl. Ov. am. 1,3,16; 1,8,11; 2,6,51; Lucan. 2,550–551; ThLL VI 1,683,53–59 (FRAENKEL). Den Sinn des Einschubs erläutern die Adn. (zitiert von HOUSMAN): difficile enim creditur, quod mulier solum hostile non timeat. Pelusia litora: Der Mons Casius, ein in das Meer vorspringender Sandhügel, an dessen Fuß Pompeius ermordet wurde, befand sich nur unweit von Pelusion. Die befestigte Grenzstadt lag am östlichsten der „sieben“ Nilarme und war im Altertum allgemein bekannt; vgl. Verg. georg. 1,228; Mart. 13,9; Plin. nat. 19,14; KEES 1937, 407–415. 78. triumphos: Die drei Pompeius zuerkannten Triumphe sind ein von Lucan häufig variiertes Motiv; vgl. 1,121–123; 2,632–644. 727–728; 3,20. 165–167; 6,419–423. 818–820; 7,9–19. 277–280. 683–686. 753–755; 8,229–231. 320–321. 733. 807–915; 9,598–600. Den ersten Triumph feierte er 81/80 v. Chr. (zum Datum vgl. BADIAN 1961) nach der Rückgewinnung Siziliens für Sulla und dem Sieg über Cn. Domitius Ahenobarbus und Hiarbas in Afrika, den zweiten nach der Unterdrückung des SertoriusAufstandes und Vernichtung der Reste der Anhänger des Spartakus 71 v. Chr., den dritten nach dem Sieg über Mithridates und der Unterwerfung und Neuordnung des Ostens (61 v. Chr.); vgl. die Liste der Triumphe bei Lucan 8,807–815 und GELZER 1984, 39–60. 108–11. 79. Capitolia: Ein Triumphzug führte vom Marsfeld zum Tempel des Iuppiter Optimus Maximus auf dem Kapitol. Das Befahren des Kapitols mit dem Triumphwagen kann daher metonymisch für die Feier des Triumphes eintreten; vgl. 8,553–554: nec ter Capitolia curru / invectus;
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9,599–600: ter Capitolia curru / scandere. Der Plural Capitolia ist durch metrische Gründe bedingt; vgl. AUSTIN zu Verg. Aen. 6,836. terens: sarkastische Hyperbel; das Verb ist mit der Würde des Triumphzugs unvereinbar. Zur Verwendungsweise und Stilhöhe vgl. Hor. epod. 4,14: et Appiam mannis terit; Verg. georg. 1,380: angustum formica terens iter. 80. elapsus: sc. e memoria; die Metapher ist in silberner Latinität häufig, davor nur Rhet. Her. 3,22,35: usitatae res facile e memoria elabuntur; ThLL V 2,317,78–318,6 (LEUMANN). felix … Magnus: Pompeius’ Glück war ein Gemeinplatz; vgl. Cic. Man. 47; Vell. 2,53,3; HUNINK zu 3,21. Für den Pompeius Lucans sind die Tage des Erfolgs allerdings schon zu Beginn des Bürgerkriegs gezählt. Er vergleicht ihn in der einleitenden Charakterisierung mit einer abgestorbenen Eiche, die, mit Trophäen und Weihgeschenken behängt, noch hohe Verehrung genießt, doch bereits im nächsten Sturm entwurzelt werden wird; vgl. 1,129–143. Die Niederlage von Pharsalos zerstört auch den äußeren Anschein des Glücks und enthüllt, daß Fortuna längst nicht mehr auf seiner Seite stand. Der Traum vor der Entscheidungsschlacht gewährt ihm zum letzten Mal die Illusion, ein erfolgreicher Feldherr zu sein; vgl. 7,7–8: at nox felicis Magno pars ultima vitae / sollicitos vana decepit imagine somnos. 81. Nilus: metonymisch für Ägypten. terraeque nocenti: mehr als alle anderen Länder, die in die Auseinandersetzungen des Bürgerkriegs verwickelt worden sind, hat sich Ägypten durch die Ermordung des Pompeius schuldig gemacht; vgl. 8,223–230; 10,3–4. 474–478: (…) tot monstris Aegypte nocens? non Thessala tellus / vastaque regna Iubae, non Pontus et impia signa / Pharnacis et gelido circumfluus orbis Hibero / tantum ausus scelerum, non Syrtis barbara, quantum / deliciae fecere tuae. Zur Verwendung von nocens bei Lucan vgl. THOME 1993, 241–243. 82. haerere: vgl. Sen. Ag. 571: haerent acutis rupibus fixae rates. Die Ellipse des Subjektspronomens des AcI ist in der Dichtung nicht ungewöhnlich; vgl. LHS 362. 82. crimen commendat harenas: Ein knappes Epiphonem (vgl. Quint. inst. 8,5,11: rei narratae vel probatae summa acclamatio) schließt den Redeabschnitt ab. Als letzter von drei kurzen Sätzen (81–82) bringt es zusammen
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mit dem spondeischen Rhythmus des Verses 82 Cornelias trotzige Entschlossenheit, in Ägypten zu bleiben, nachhaltig zum Ausdruck. 84–100: In die von Lebensüberdruß und Resignation geprägte Rede Cornelias fügt Lucan ein fiktives Testament des Pompeius ein, das formal wie inhaltlich in starkem Kontrast zum Rahmen steht. Aus dem hartnäckigen Widerstand, den Sextus Pompeius (hingerichtet 35 v. Chr.) durch die Seeblockade Italiens den Triumvirn Octavian, Marc Anton und Lepidus entgegensetzte, macht Lucan ein vaticinium ex eventu: Pompeius verfügt, seine Söhne sollen den Kampf gegen die Caesaren fortsetzen, und prophezeit, daß der Bürgerkrieg kein Ende finden werde, solange noch einer seiner Erben am Leben sei. Das fiktive Testament ist einerseits Teil der Bemühungen Lucans, den in den Büchern 1–8 als verbrecherisch beurteilten Bürgerkrieg zu einem Freiheitskampf gegen Caesar umzustilisieren; andererseits befestigt Pompeius’ pointiert an den Schluß gerückter Befehl, Cato Gehorsam zu leisten, den Führungsanspruch Catos in Buch 9. Diese durch Endstellung hervorgehobene Weisung des Pompeius sollte auch davor warnen, die testamentarische Stilisierung seiner selbst und seiner Söhne zu Freiheitshelden, die Pompeius hier vornimmt, für die Sichtweise Lucans zu nehmen. Der Kampf gegen Caesar ist nur insofern von Wert, als er unter dem Kommando Catos geschieht. 84–85: vgl. den ähnlichen Redeanfang in 2,632–633: mundi iubeo temptare recessus: / Euphraten Nilumque move; der zweite Imperativ expliziert den ersten, ohne den Ausdruck schwerfällig zu machen. bellorum casus: „die Wechselfälle des Krieges“; in Prosa sehr häufig (vgl. Cic. fam. 6,1,7; Caes. Gall. 5,30,3; civ. 3,72,4; Bell. Alex. 23,1; Liv. 8,31,5), aber erst von Lucan in die Poesie eingeführt; vgl. 3,718–719: egere quod superest animae, Tyrrhene, per omnis / bellorum casus; nachgeahmt von Val. Fl. 2,654; Sil. 2,572; Stat. Theb. 8,182. 85. Sexte: Sextus Pompeius war nach der Abreise seines Vaters aus Lesbos zu ihm gestoßen (8,204–205) und hatte ihn bis zur ägyptischen Küste begleitet, wo er wie Cornelia Augenzeuge des Mordes wurde (8,597–580. 634–635). Auch in den Rahmenversen dieser Szene ist er ausdrücklich genannt (52), so daß die Anrede an ihn zwar überraschend ist, aber doch der vorgestellten Situation entspricht.
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Sextus’ längster Auftritt im BC ist die Nekromantie-Szene des sechsten Buches (6,413–830), in deren einleitenden Versen er von Lucan wegen des Besuches bei Erictho heftig gescholten wird (419–422): turbae sed mixtus inerti / Sextus erat, Magno proles indigna parente, / cui mox Scyllaeis exul grassatus in undis / polluit aequoreos Siculus pirata triumphos. Von dieser negativen Beurteilung ist weder an dieser Stelle noch in 9,122–145 etwas zu spüren. Lucan benutzt die Person des Sextus zur Gestaltung einiger voneinander unabhängiger Szenen, ohne eine kohärente Personengestaltung anzustreben oder gar ein zuverlässiges Bild von Sextus’ Rolle im Bürgerkrieg wiedergeben zu wollen. Zu Sextus Pompeius bei Lucan vgl. AHL 1969, 338–346; MASTERS 1992, 179–215. mandata: „militärische Aufträge“ wie Caes. Gall. 1,35,1 u.ö. reliquit: „er hinterließ“; vgl. Ter. Eun. 120; Lucil. 1053 M ARX (= 996 KRENKEL); Cic. Att. 2,1,12; Gai. inst. 2,262; Ulp. dig. 31,51,1. 86: Von diesem Vers an bis zum Ende des Gedichts weist die Handschrift M eine enge Verwandtschaft zu P auf, während sie von 1,1–482 U, von 1,483–9,85 Z nahesteht. Nach H OUSMANs allgemein akzeptierter Erklärung (XI–XII; vgl. F RAENKEL 1926, 503; BADALÌ XI Anm. 4) geht M zum großen Teil auf dieselbe Vorlage wie Z zurück, hat diese Handschrift, die Z vollständig vorlag, aber nur noch verstümmelt vorgefunden. Daher wurden für Anfang und Ende des Gedichtes die Vorlagen herangezogen, die auch U bzw. P benutzten. in nostra condita cura: hebt die Verantwortlichkeit Cornelias für die Testamentsvollstreckung hervor; 98–100 nehmen diesen Vers rahmend wieder auf. Cornelias Auftrag, Pompeius’ letzten Willen an seine Söhne weiterzugeben, wird hier zum ersten Mal erwähnt. Im 8. Buch spielt er keine Rolle; vgl. nur den Selbstmordversuch 8,653–662. Condere im Sinn von „einprägen“ ist in Prosa und Dichtung häufig; vgl. Verg. Aen. 5,126: signa tibi dicam, tu condita mente teneto; ThLL IV 151,58–152,16 (SPELTHAHN). 87. fatalis … hora: „die vom Schicksal festgesetzte Todesstunde“; Lucan imitiert den Stil von Grabepigrammen. Die Junktur fatalis hora findet sich laut ThLL VI 1,333,83–334,2 (H EY) nur in CLE 55,7; 389,1–2; 1295,3–4; Stat. Theb. 8,185. 375; Suet. Nero 49,2; Tert. adv. Marc. 1,18 p. 313,5. leto: Vgl. Lucr. 6,1232: morti damnatus ut esset; Verg. Aen. 4,699: Stygioque caput damnaverat Orco. Damnare mit Dativ ist eine Analogiebildung zur archaischen Wendung leto dare; vgl. Festus 254M. S. 304,2 LINDSAY; Varro
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ling. 7,42. Zur Entstehung des sog. Dativs des Ziels vgl. LHS 87. 100–101; WASZINK 1966, 249–253. 88. excipite … bellum: eine prosaische Junktur; vgl. Liv. 9,33,1; Vell. 2,15,1; Tac. hist. 4,71. 89. terris: intensiviert den Ausdruck; vgl. Caes. Gall. 4,7,5: reliquum in terris esse neminem, quem non superare possint; Cic. inv. 1,52; Liv. 23,33,1. 90. Caesaribus: „Caesar und seinen Nachfolgern“; eine der zahlreichen Stellen, an denen Lucan die verheerenden Auswirkungen des Bürgerkrieges für die Verfassung Roms hervorhebt und ein negatives Urteil über den Prinzipat andeutet. Der erste dieser Ausblicke befindet sich am Ende des vierten Buches (4,821–824: ius licet in iugulos nostros sibi fecerit ensis / Sulla potens Mariusque ferox et Cinna cruentus / Caesareaeque domus series, cui tanta potestas / concessa est?), besonders zahlreich sind sie in Buch 7, um die Bedeutung der Schlacht bei Pharsalos als Epochengrenze hervorzuheben; vgl. bes. 7,693–696: sic et Thessalicae post te pars maxima pugnae / non iam Pompei nomen populare per orbem / nec studium belli, sed par, quod semper habemus, / Libertas et Caesar erit. Zu dem ab Buch 4 spürbaren Wandel Lucans in der Beurteilung des Prinzipats aufgrund des Zerwürfnisses mit Nero vgl. LEBEK passim; bes. 279–284; eine Sammlung und Diskussion der prinzipatsfeindlichen Stellen bei Lucan findet sich bei SCHREMPP 1964, 84–90. Die Kritik SCHRIJVERs (1990, 12–17), der Lucan jede zeitkritische Tendenz absprechen möchte, wird Stellen wie dieser nicht gerecht. regnare vacet: „dürfen niemals Zeit haben, ihre Tyrannenherrschaft auszuüben“; vacat mit Infinitiv und Dativ der Person (vgl. 2,119. 377) von Vergil in die anspruchsvolle Literatur eingeführt (Aen. 1,373; 10,625), seit Val. Max. auch häufiger in Prosa; vgl. LHS 348. vel sceptra vel urbes: ein polarer Ausdruck, den Lucan mehrfach variiert; vgl. 7,56: reges populique (…) Eoi; 8,140: populos regesque; 8,162–163: nunc socias adeunt Romani foederis urbes / et varias regum mentes. Historischer Hintergrund für den Doppelausdruck sind Pompeius’ Maßnahmen bei der Neuordnung des Ostens unter römischer Oberhoheit, bei der er teils auf munizipale Selbstverwaltung, teils auf Monarchien gesetzt hatte; vgl. SHERWIN-WHITE 1984, 226–261. Caesar (civ. 3,3) unterscheidet in einem ähnlichen Kontext zwischen Königen im Osten und freien Griechenstäd-
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ten: Pompeius (…) magnam imperatam Asiae Syriae regibus omnibus et dynastis et tetrarchis et liberis Achaicae populis pecuniam exegerat. Mit sceptrum (metonymisch für Königreich) assoziiert der Römer östliches Despotentum; vgl. 8,452. 489. 91. libertate sua validas: Periphrase für liberas. Validus bezeichnet in der Sprache der Historiker gewöhnlich die vor einem äußeren Feind sichere Stadt; vgl. z.B. Sall. hist. 1,13; Liv. 1,15,4; 7,39,8; 24,2,3; OLD s.v. Nr. 6a/b. Der Abl. instr. gibt die jeweiligen Vorzüge an (Mauern, geschützte Lage o.ä.). 91–92. nominis / fama: Eines der wesentlichen Motive, die Lucans Pompeius charakterisieren, ist das des Zehrens vom Ruhm vergangener Zeiten; vgl. 1,135: stat magni nominis umbra. Während Caesar auf Tatkraft und Entschlossenheit baut, kann ihm Pompeius nur sein Ansehen entgegensetzen, das nicht mehr seiner tatsächlichen Leistungskraft entspricht. Die Möglichkeit, große Truppenkontingente aufbieten zu können, verdankt er allein dem noch nicht verblaßten Andenken früherer Taten; vgl. 2,634–635; 8,274–276: sed me vel sola tueri / fama potest rerum, toto quos gessimus orbe, / et nomen, quod mundus amat. Zu Pompeius’ Ruhm als Motiv bei Lucan vgl. RUTZ 1968, 8–11; TASLER 1971, 159; FEENEY 1986. Nach römischem Verständnis war es selbstverständlich, daß ein Sohn sich den Ruhm des Vaters und der gesamten gens zunutze machte; die Erfolge der Ahnen waren aber auch zugleich der Maßstab, an dem er gemessen wurde; vgl. Epigr. Bob. 26,17–18 (SPEYER): sed natis hominum crescit genus, inclyta surget / fama patris, si se natus erit melior; Rutil. Namat. 1,575–596; Ö NNERFORS 1974, 38–39. Der historische Sextus Pompeius soll den Kampf gegen Marc Anton und Octavian mit dem Ziel der Rehabilitierung seines Vaters geführt haben (Annahme des cognomen Pius; vgl. HADAS 1930, 151–152). 92. partes: eher „Rolle“ (LUCK; dieselbe Bedeutung auch 7,632) als „Aufgebot“/„Partei“ (EHLERS; BOURGERY); die Hilfsvölker haben von sich aus kein Interesse am Bürgerkrieg und können daher nicht „Partei“ sein. Für diese Auffassung spricht auch, daß sich ein Parallelismus des Dikolons partes – arma zu den beiden Imperativen excipite (88) und impellite (91) ergibt.
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93–95: Pompeius prophezeit die erfolgreiche Ausführung seiner Aufträge. Der zweite Satz erläutert Wirkungen und Folgen der ersten, allgemein formulierten Aussage; ähnliche Technik mit Verwendung einer Litotes in 9,47–48: praeceps facit omne timendum / victor, et in nulla non creditur esse carina. 93. inveniet classes: „er wird Flotten (sc. seetüchtig und kampfbereit) vorfinden“; caesarianischer Sprachgebrauch; vgl. Caes. Gall. 5,2: circiter sexcentos eius generis (…) naves et longas XXVIII invenit instructas; 5,5. 23. Inveniet bildet mit in undas / venerit eine Paronomasie. in undas: häufiger Versschluß. Vgl. 9,122. 165. 276. 953. 94–95: et noster nullis non gentibus heres / bella dabit: „und mein Erbe wird alle Völker in Kriege hineinziehen“; vgl. 1,108: bellum victis civile dedistis; 5,269: tot mihi pro bellis bellum civile dedisti; bellum dare alicui heißt klassisch „jdm. das Kommando übertragen“, seit Liv. 21,18,14; Ov. met. 7,212 wird es auch in der Bedeutung „jdn. in einen Krieg verwickeln“ verwendet; vgl. ThLL II 1835,50–55 (MÜLLER/HEY). 95–96. memoresque paterni / iuris: LUCK s Übersetzung: „seid der Größe eures Vaters eingedenk“ ist zu blaß. Wie sich aus dem Vorangegangenen ergibt, erneuert Pompeius hier seine Mahnung, nicht zu vergessen, daß er einst über eine bedeutende Einflußzone verfügt hat, in der sein Ruf jetzt immer noch so viel zählt, daß man auch den Herrschaftsanspruch seiner Söhne anerkennt. Ius ist das „Recht, Herrschaft auszuüben“; vgl. 2,320–322: nec si fortuna favebit, / hunc quoque totius sibi ius promittere mundi / non bene compertum est. 97. si faciet partes: „falls er Partei ergreifen wird“; Verbindung nur hier und 9,228–229: partes favore fecimus. Das Futur setzt Catos tatsächliche Entscheidung als unbekannt voraus und beglaubigt das fiktive Testament. Catoni: Es ist ein gern verwendetes Gestaltungsmittel Lucans, durch überraschende Nennung eines Namens am Ende eines Abschnitts das zuvor Erzählte aus einer unerwarteten Perspektive zu beleuchten; vgl. die Schlußverse der Bücher 2 und 8: Romanaque tellus / immaculata sui servetur sanguine Magni (2,735–736); atque erit Aegyptus populis fortasse nepotum / tam mendax Magni tumulo quam Creta Tonantis (8,871–872). Besonders bietet sich für diese Technik der Name Catos an: Sein Verhalten wird von Lucan uneingeschränkt positiv dargestellt und stellt somit für den Leser einen absoluten Maßstab dar, mit Hilfe dessen er sich ein
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Urteil über das Geschehen bilden kann; vgl. 1,128; 9,18. 50; auch 2,238. An dieser Stelle relativiert die Weisung, sich Cato unterzuordnen, die Bedeutung der beiden Pompeiussöhne. 98. exsolvi tibi … fidem: „ich habe das dir gegebene Versprechen erfüllt“; fidem exsolvere in dieser Bedeutung seit Liv. 3,19,1; 22,23,8 u.ö. vgl. ThLL V 2,1878,73–79 (SCHMID). mandata peregi: Mit demselben Nachdruck wendet sich Marcia an Cato (2,338–339): dum sanguis inerat, dum vis materna, peregi / iussa, Cato, et geminas excepi feta maritos. 99–100: Die Verse fehlen in MP, 100 auch in Z. Der textkritische Befund erklärt sich am besten durch den unfertigen Zustand der postum edierten Bücher 4–10. Die philologisch bearbeitete Edition, auf der die handschriftliche Überlieferung beruht, führte die letzten nicht mehr eingearbeiteten Ergänzungen von der Hand Lucans vermutlich am oberen oder unteren Ende der Kolumne, wobei textkritische Zeichen, die späteren Kopisten nicht immer verständlich waren und so das Schwanken der Überlieferung verursachten, die jeweilige Position im Text angaben; vgl. den Apparat zu 4,171; 5,810; 7,200; FRAENKEL 1926, 517–528; LUCK 1969; LUCK (Vorwort zur Edition) 68–69; BADALÌ XI. Auch die Stellung der Verse spricht für eine nachträglich eingefügte Überleitung, die die geschlossenen Abschnitte 84–98 und 101–116 miteinander verbinden soll. Auf einen flüchtigen Einschub deutet auch die leichte inhaltliche Spannung zum folgenden Passus hin, in dem der Betrugsversuch nicht mehr aufgenommen wird. Als einziger der modernen Herausgeber athetiert LUCK Vers 100. Wenn 99 aber eine nachträgliche Ergänzung Lucans ist, ist es plausibler, auch 100 in den Text aufzunehmen, statt an eine mittelalterliche Glosse (so LUCK [Vorwort zur Edition] 69) zu denken. 99. insidiae … tuae: Cornelia unterstellt Pompeius, sie mit der Vollstreckung des Testaments beauftragt zu haben, um sie zu zwingen, ihren Ehepartner zu überleben. Der Vorwurf der Untreue gehört als ein paradoxer Ausdruck der Zuneigung für den Verstorbenen zur Topik der Totenklage: vgl. Verg. Aen. 9,481–483: hunc ego te, Euryale, aspicio? tum ille senecta / sera meae requies, potuisti linquere solam, / crudelis?; 11,152–153: non haec, o Palla, dederas promissa parenti, / cautius ut saevo velles te credere Marti; OFFERMANN 1968, 68–76.
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valuere: „sie waren erfolgreich“: vgl. Prop. 3,7,41–42: Ulixes, in mare cui soli non valuere doli. 100. auferrem: sc. ad umbras wie e contrario aus vixi (99) zu entnehmen ist; vgl. 1,111–113: non pignora iuncti / sanguinis et diro ferales omine taedas / abstulit ad manes; 9,124–125: Romanaque Magnus ad umbras / abstulit? Für lucanische Urheberschaft des Verses spricht, daß auferre zu Lucans Lieblingsvokabular gehört (33 Belege; vgl. HUNINK zu 3,278). 101–116: Nachdem sie das Testament an ihren Stiefsohn weitergeleitet hat, verkündet Cornelia den Entschluß, den Rest ihres Lebens in Trauer um Pompeius zuzubringen, begibt sich ostentativ unter Deck und wünscht sich den Untergang ihres Schiffes im aufgekommenen Sturm. Einen lehrreichen Kommentar zu Cornelias Verhalten gibt Sen. dial. 6,2–3. Seneca versucht, Marcia, die seit dem Tod ihres Sohnes streng zurückgezogen lebt, zur Rückkehr ins gesellschaftliche Leben zu bewegen, indem er die Verzweiflung Octavias beim Verlust des Metellus der Gefaßtheit Livias angesichts des Todes ihres Sohnes Drusus gegenüberstellt (dial. 6,3,3): Elige itaque utrum exemplum putes probabilius. Si illud prius sequi vis, eximes te numero vivorum: (…) invisa haerebis in luce et aetati tuae, quod non praecipitet te quam primum et finiat, infestissima eris; quod turpissimum alienissimumque est animo tuo in meliorem noto partem, ostendes te vivere nolle, mori non posse. Vgl. auch Tac. ann. 15,63,1–2: Nachdem er den Befehl zur Selbsttötung erhalten hat, empfiehlt Seneca seiner Frau Paulina, würdig und selbstbeherrscht um ihn zu trauern, gestattet ihr jedoch auf ihre Bitte hin, mit ihm zusammen Selbstmord zu verüben. Cornelia „weiht“ sich also nicht pietätvoll der Trauer (SCHÖNBERGER 1968, 111), sondern gibt ein negatives Beispiel für Unbeherrschtheit und weibliche Schwäche. Sie ist nicht in der Lage, sich zwischen Freitod und einer sinnvollen Form des Weiterlebens zu entscheiden. Maßlose Trauer stellte offenbar ein gesellschaftliches Problem dar, so daß man sich genötigt fühlte, die Trauerzeiten für Witwen gesetzlich zu beschränken; vgl. Sen. dial. 12,16,1; epist. 63,13; HOPKINS 1983, 217–226. 101–105: ein dunkles Paradox: Cornelia begeht Selbstmord, indem sie sich nicht tötet. Weil sie nicht aus Schmerz über den Tod ihres Mannes gestorben ist, führt sie ein Leben, als ob sie sich bereits in der Unterwelt befände; statt sich durch den Freitod zu belohnen, der sie mit ihrem Mann vereint hätte, straft sie sich selbst, indem sie am Leben bleibt.
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Die Entschlossenheit zum Selbstmord hatte Cornelia bereits zweimal geäußert: In 5,770–778 versucht sie erfolglos, Pompeius davon abzuhalten, sich von ihr für die Dauer des Krieges zu trennen; sie wirft ihm vor, dadurch, daß er sie auf das sichere Lesbos schickt, gewöhne er sie daran, ohne Mann zu leben (5,776–778: adde, quod adsuescis fatis tantumque dolorem, / crudelis, me ferre doces. ignosce fatenti, / posse pati timeo). In 8,653–662 wird sie unmittelbar nach Pompeius’ Ermordung von der Besatzung ihres Schiffes am Selbstmord gehindert. Das Motiv der vergeblichen Todesbereitschaft kennzeichnet ihre Beziehung zu Pompeius. Obwohl sie zum Äußersten bereit ist, wird sie durch den Bürgerkrieg von ihrem Mann getrennt. Die Mittelstellung, die Pompeius als „guter Tyrann“ in politischer Hinsicht zwischen dem skrupellosen Verbrecher Caesar und dem untadeligen Republikaner Cato einnimmt, ergibt sich auch bei Betrachtung des Privatlebens. Cato heiratet Marcia zwar im Bürgerkrieg, verzichtet jedoch auf jegliche Feierlichkeiten und unterläßt es, die Ehe zu vollziehen; vgl. 2,336–391. Caesar beginnt ein von Lucan heftig beklagtes Verhältnis mit der Ägypterin Kleopatra und läßt so eine ägyptische Frau Einfluß auf den Bürgerkrieg gewinnen, vgl. 10,72–77: et in media rabie medioque furore / et Pompeianis habitata manibus aula / sanguine Thessalicae cladis perfusus adulter / admisit Venerem curis et miscuit armis / inlicitosque toros et non ex coniuge partus. / pro pudor! Pompeius und Cornelia können sich dagegen weder für Askese wie Cato und Marcia noch für das Ausleben von Sinnlichkeit wie Caesar und Kleopatra entscheiden. Nicht stark genug, seine Gefühle zu unterdrücken, und zu mutlos, sich zu ihnen zu bekennen, gibt Pompeius auch als Privatmann ein Beispiel von Entschlußschwäche und Kraftlosigkeit. Seine Ehefrau Cornelia, die weder Selbstmord verübt noch weiterleben will, vermittelt denselben Eindruck. 101. per inane chaos: chaos für die Unterwelt seit Ovid (ars 2,470; fast. 4,600; met. 14,404); vgl. auch Sen. Thy. 1009; Lucan. 6,617. 102. si sunt ulla: Lucan gewährt zweimal (3,12–19. 28–30; 6,695–820) traditionellen Unterweltsvorstellungen im BC größeren Raum. Bei seiner sonstigen Skepsis gegenüber der Mythologie und angesichts der Leugnung der Unterwelt durch die stoische Philosophie ist allerdings kaum anzunehmen, daß er in diesem Punkt volkstümliche Vorstellungen teilt. Der an den genannten Stellen geschilderte Aufruhr in der Unterwelt ist Spiegel der Zerstörung und Verkehrung der rechtmäßigen Machtverhältnisse durch den Bürgerkrieg; vgl. LE BONNIEC 1970, 191–192.
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102–103: quam longo tradita leto, / incertum est: Zwei Interpretationen werden diskutiert; S HACKLETON B AILEY (mit OUDENDORP ; FRANCKEN) versteht leto metaphorisch: „quantum temporis quasi moriendo (quippe cui sine te vita mortis est instar) consumam ante quam reapse moriar denique“; für seine Auffassung spricht, daß longo und tradita wörtlich übersetzt werden können; die paradoxe Metapher „Tod“ findet sich im selben Zusammenhang in CLE 1338,2. 4: cum mors est tecum non meruisse mori (…) mortem ferre tuam mors mihi semper erit. Dagegen ist jedoch einzuwenden, daß das rückbezügliche ante in 104 („zuvor“, d.h. „vor meinem Tod“) die metaphorische Auffassung von letum ausschließt; HASKINS versteht daher longo im Sinn von longinquo und übersetzt: „how distant is the death I am doomed to I know not“; zustimmend HOUSMAN; DUFF; BOURGERY; EHLERS; LUCK; BADALÌ 1989, 181. Diese Interpretation scheitert jedoch daran, daß traditus im Sinne von destinatus sonst nicht belegt ist (vgl. FORCELLINI und OLD s.v.), während die Übersetzung „dem Tod ausgeliefert“ (vgl. 4,736–737: leti fortuna propinqui / tradiderat fatis iuvenum; Sen. Med. 473: traditum fratrem neci) an dieser Stelle unsinnig ist, da der Zeitpunkt des Todes in der Zukunft liegt. Am besten versteht man deshalb longo leto als Ersatz für longinquitati mortis (vgl. K/ST 1,770) und übersetzt: „wie lang die Lebensspanne bis zu meinem Tod ist, der ich ausgeliefert bin, weiß ich nicht“. In tradita kommt der Lebensüberdruß Cornelias zum Ausdruck, die Pompeius gegen ihren Willen überleben muß. 103–106: Zur Strafe dafür, daß der Lebenshauch nicht von ihr gewichen ist, als sie die Bestattung ihres Mannes sah, will Cornelia ihn durch Schläge zermürben und Stück für Stück aus sich herausweinen. Die ungewöhnliche Umfunktionierung des üblichen Trauerverhaltens verdeutlicht einige typische Elemente der lucanischen Personendarstellung, die miteinander in engem Zusammenhang stehen: Widerstand gegen das Fatum (Cornelia verübt weder Selbstmord, noch will sie weiterleben); Willensstärke (Tod durch Trauer); Entfremdung und Instrumentalisierung des eigenen Körpers (Bestrafung der personifizierten anima). Besonders klar treten diese Charakteristika in den Kampfszenen des dritten Buches hervor (3,509–762). Die Soldaten nehmen lieber die gräßlichsten Verwundungen und Verstümmelungen in Kauf, als sich aus dem Gefecht zurückzuziehen. Um dem Gegner den größtmöglichen Schaden zuzufügen, wird der eigene Körper rücksichtslos instrumentali-
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siert; vgl. z.B. 3,716–719 (der römische Soldat Tyrrhenus hat durch den Aufprall eines Schleuderbleis beide Augen verloren): „vos“, ait, „o socii, sicut tormenta soletis, / me quoque mittendis rectum componite telis. / egere quod superest animae, Tyrrhene, per omnes / bellorum casus. ingentem militis usum / hoc habet ex magna defunctum parte cadaver: / viventis feriere loco“; 3,609–626; 6,214–219. Zu Lucans Menschenbild vgl. BURCK 1958, 298–303; daneben auch REGENBOGEN 1930. 103. poenas: vgl. den ähnlichen Gedankengang bei Ov. epist. 12,3–6: tunc quae dispensant mortalia fata, sorores / debuerant fusos evoluisse meos. / Tum potui Medea mori bene, quidquid ab illo / produxi vitam tempore, poena fuit. Im Vergleich zur ovidischen Medea, die ihr Leben, das ihr als Strafe erscheint, widerwillig dahingeschleppt hat (produxi), tritt Cornelias Entschlossenheit deutlich hervor: Indem sie zwischen sich bzw. ihrem Willen und der anima unterscheidet, eröffnet sie sich die Möglichkeit, das ihr aufgezwungene Leben selbst zu einer Strafe für die widerspenstige anima zu machen. animae vivacis: pejorativ: „der sich ans Leben klammernden Seele“; vgl. 2,65: oderuntque gravis vivacia fata senectus. Es wäre ein Gebot der pietas gewesen, das Los des Gatten zu teilen. Vgl. Quint. inst. 6 prooem. 3 (angeführt von FRANCKEN): unum igitur optimum fuit, infaustum opus et quidquid hoc est in me infelicium litterarum super immaturum funus consumturis viscera mea flammis inicere neque hanc impiam vivacitatem novis insuper curis fatigare? 104–105. potuit … / non fugere in mortem: „sie hat es vermocht, (…) nicht in den Tod zu fliehen“; eine radikale Auslegung der ehelichen fides: Unmittelbar beim Anblick des Scheiterhaufens hätte die anima den Körper verlassen müssen. Daß nach dem Tod eines nahen Angehörigen der Hinterbliebene häufig nach einiger Zeit ebenfalls stirbt, lehrt die Alltagserfahrung; für ein römisches Beispiel vgl. CLE 1076,7–8: nam postquam (fletu) et monumento hoc condecoravit / gnatam, per luctus reddidit ipsa animam; LATTIMORE 1962, 204–205. Cornelia leitet jedoch aus diesem natürlichen Vorgang eine Maximalforderung an ihre Seele ab. Die Lesart potuit (Z2G) verdient den Vorzug vor dem mehrheitlich überlieferten potui. Weil sie sich nicht für ihr Weiterleben verantwortlich fühlt, schreibt Cornelia die Schuld ihrer anima zu; vgl. HOUSMAN z.St. 105. planctu contusa: Vgl. 2,38: contundite pectora matres; 2,335–336: contusaque pectus / verberibus crebris; Sen. Thy. 1046. Der geläufige Ausdruck der Trauer ist hier zur Selbstbestrafung umfunktioniert.
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106. effluet in lacrimas: Aus der sprichwörtlichen Einsicht, daß Tränen helfen, den Schmerz zu lindern, formt Lucan ein singuläres Bild: Cornelia steigert sich in die Trauer hinein und weint ihre Seele aus sich heraus; vgl. Sen. contr. 10,1,6 (ex verbis Latronis): plerumque omnis dolor per lacrimas effluit; Ov. trist. 4,3,37–38: fleque meos casus: est quaedam flere voluptas; expletur lacrimis egeriturque dolor; Sen. epist. 99,14; Tro. 765; Ag. 664; OTTO Nachträge 297–298. 106–107: Den Entschluß, sich durch langsame Trauer zu zermürben, bekräftigt Cornelia durch ein Gelübde, auf die üblichen schnellen Methoden der Selbsttötung zu verzichten; dieselbe Aufzählung in umgekehrter Reihenfolge in 8,654–656; vgl. auch 2,154–159. 108. turpe … dolore: vgl. Comment. Bern.: turpe est non posse post te solo dolore mori; item turpe veloci genere mortis occumbere. Lucan nimmt hier die Prophezeiung Cornelias wieder auf, die Pompeius vergeblich davor warnt, sie nach Lesbos zu schicken (5,776–778): adde, quod adsuescis fatis tantumque dolorem, / crudelis, me ferre doces. ignosce fatenti: / posse pati timeo. Wie in 34–35 hebt eine durch klangliche Mittel (Assonanz auf ‚o’) unterstützte Sentenz das Ende des Abschnitts hervor. 109. ferali … amictu: Die Übersetzungen verstehen unter feralis amictus einhellig einen Trauerschleier, doch ließe sich angesichts der eigentlichen Bedeutung von feralis („zum Toten gehörig“), des Kontexts (vgl. 112: composita in mortem) und der Parallelen (Ps.-)Quint. decl. 5; Apul. met. 10,12 auch die Übertragung „Totengewand“ rechtfertigen. 110. decrevitque pati tenebras: Das schönste Beispiel für den Brauch, sich im Trauerfall zu verhüllen und eine Weile im Dunkeln zu verbringen, gibt Ovid met. 2,329–331 (der Sonnengott trauert um Phaethon): nam pater obductos luctu miserabilis aegro / condiderat vultus: et si modo credimus, unum / isse diem sine sole ferunt. Derselbe Lebensüberdruß spricht aus CLE 995,17–18: at nunc quod possum, fugiam lucemque deosque, / ut te matura per Styga morte sequar. puppisque cavernis: „in den (durch Spanten abgetrennten) Kammern unter Deck des Schiffes“: caverna ist naut. t.t.; vgl. Serv. Aen. 2,19: alii fustes curvos navium, quibus extrinsecus tabulae affiguntur, cavernas appellarunt; ThLL III 646,10–15 (HOPPE).
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111. delituit: ein prosaisches Wort; Vergil nahm es in die Poesie auf (vorher nur Plaut. Rud. 466), fand aber kaum Nachfolger; vgl. AUSTIN zu Verg. Aen. 2,136. 111–112: „Eng umarmt sie den grimmigen Schmerz, genießt ihre Tränen und liebt statt des Gatten die Trauer.“ Die Personifikation von dolor und luctus verdeutlicht, daß Cornelias Trauer zum Selbstzweck pervertiert ist und nicht mehr ihrem Mann gilt. 112. perfruitur lacrimis: vgl. Sen. dial. 6,1,7: quemadmodum omnia vitia penitus insidunt nisi dum surgunt oppressa sunt, ita haec quoque tristia et misera et in se saevientia ipsa novissime acerbitate pascuntur et fit infelicis animi prava voluptas dolor; Thy. 952–953: maeror lacrimas amat assuetas / flendi miseris dira cupido est; 968–969; Plin. epist. 8,16,4–5. 113–116: Lucan läßt die Pompeianer im Sturm von der ägyptischen Küste fliehen, um die Todesangst der Seeleute als Kontrastfolie für Cornelias Lebensüberdruß zu nutzen. 113. stridensque rudentibus Eurus: Seit Pacuv. trag. 335–336 RIBBECK: armamentum stridor, flictus navium / strepitus fremitus clamor tonitruum et rudentum sibilus gehört das Zischen des Windes in den Tauen der Takelage zu den festen Elementen poetischer Sturmschilderungen; vgl. Verg. Aen. 1,87: insequitur clamorque virum stridorque rudentum; Ov. met. 11,495: quippe sonant clamore viri, stridore rudentes; trist. 1,4,9; 1,11,19. ad: Der quasikausale Gebrauch des modalen ad bei verba affectus (nicht im Altlatein; selten bei Cic./Caes.) findet sich seit Livius und den augusteischen Dichtern häufiger; vgl. z.B. Sen. dial. 4,11,4: leonum quam pavida sunt ad levissimos sonos pectora; LHS 220; ThLL I 552,20–553,75 (VON MESS). 115. votaque … faciens contraria: Während der Rest der Besatzung um sein Leben fürchtet, wünscht sich Cornelia den Untergang des Schiffs. Die bei schwerer See von den Seeleuten abgelegten Gelübde wurden nach der glücklichen Ankunft meist durch ein Haaropfer eingelöst. Sie waren ein selbstverständlicher Bestandteil antiker Seefahrt (vgl. Verg. Aen. 3,405. 545) und wurden gern parodiert und bespöttelt; vgl. die von K LEINKNECHT 1937, 165–168 gesammelten Beispiele Plaut. Trin. 820–839; Most. 431–437; Rud. 358–360 und Iuv. 12,81–82 mit COURTNEY.
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116. composita in mortem: „sie tut so, als ob sie bereits tot sei“; vgl. Suet. Cal. 50,1: vultum (…) ex industria efferabat componens ad speculum in omnem terrorem ac formidinem; die mit se componere („sich ein Aussehen geben“) oft verbundene pejorative Konnotation einer mit Bedacht eingenommenen Haltung, die andere über die wahren Gefühle und Beweggründe hinwegtäuschen soll, ist auch in diesem Fall, da sich Cornelia gewaltsam in ihre Trauer hineinsteigert, zu spüren. „Zum Sterben bereit“ (EHLERS, LUCK , ThLL III 2131,67 [HOFMANN]) ist zu blaß. iacuit favitque procellis: Der Sturm wirft das Schiff hin und her; ähnliche Klangfigur: Verg. Aen. 5,459–460: sic densis ictibus heros / creber utraque manu pulsat versatque Dareta.
2.3. Gespräch der Söhne des Pompeius über den Tod ihres Vaters (9,117–166) 2.3.1. Sextus Pompeius schildert seinem Bruder die Ermordung des Vaters (9,117–145) 117–145: Die Pompeianer verlassen Ägypten und gelangen über Zypern in die Kyrenaika (117–119); dort werden sie von Cn. Pompeius minor erwartet, der sich, bereits von dunklen Ahnungen gequält, nach dem Schicksal seines Vaters erkundigt (120–125). Sextus eröffnet seinem Bruder, daß ihr Vater unter Bruch des Gastrechts von den Ägyptern getötet und enthauptet wurde (126–135); es gehe ein Gerücht, daß der Kopf für Caesar mumifiziert werde. Schmerzlicher als der Verlust des Vaters ist für Sextus, daß mit Pompeius ein römischer Feldherr durch Ägypter getötet und entehrt wurde; er macht es den Göttern zum Vorwurf, daß sie diese Schmach zugelassen haben (136–145). 117: Pompeius’ Anhang war nach dem Mord vor Pelusion zuerst nach (dem nördlich gelegenen) Zypern gefahren, von wo aus Cornelia nach Rom zurückkehrte, Sextus Pompeius sich direkt in die Provinz Afrika begab; vgl. zu 36–50. Durch die zweimalige Nennung des Eurus (113. 118) verdeckt Lucan die Umformung der historischen Tradition und erweckt beim Leser den Eindruck, Zypern, dessen Nennung er nicht unterdrückt, um den knappen Reisebericht abwechslungsreicher zu gestalten, liege auf der direkten Route zwischen Ägypten und der Kyrenaika.
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Accipere mit Orten als Subjekt seit Cic. Sest. 131; dom. 75; von Häfen zuerst in augusteischer Dichtung; vgl. Verg. Aen. 3,78–79. 96. 707–708; Hor. sat. 1,5,1; Prop. 1,8,20; 4,9,66; Ciris 512; ThLL I 312,11–19 (HEY). 118. tenens pelagus, sed iam moderatior, Eurus: „der Eurus, der immer noch das Meer beherrschte, aber sein Regiment bereits maßvoller ausübte“. Tenens und moderatior sind Übertragungen aus dem politisch-militärischen Bereich; zu tenere vgl. z.B. Caes. Gall. 3,14,9; 4,22,6; Cic. Mur. 83; Sest. 44; rep. 1,51; Liv. 1,5,2; mit einem Wind als Subjekt auch Ov. met. 11,433; Lucan. 5,413–414; zu moderatio/moderatus z.B. Cic. nat. deor. 3,185; leg. 3,2,5; Liv. 2,1,6. Zu den Winden als Herrscher der Meere vgl. zu 321. 119: Das unbestimmte sedes wird häufig mit einem zweiten, epexegetischen Kolon verbunden; vgl. 6,318–319; Verg. Aen. 1,247–248; 8,463. 667; 9,9. 120. tristis: Die Traurigkeit aufgrund unheilvoller Vorahnungen ist ein Element epischer Szeneneinleitung, das bereits auf Ennius zurückgeht; vgl. ann. 507 ([SKUTSCH] mit dem Kommentar z.St.); nachgeahmt Lucr. 6,1230–1234; Verg. Aen. 6,185–186; 8,520–523; Lucan. 8,40–45. Verwendet Vergil an den genannten Stellen die Niedergeschlagenheit als Kontrastfolie für den glücklichen Umschwung durch göttliches Eingreifen, so tritt bei Lucan das befürchtete Unheil auch ein. Überhaupt ist die Darstellung von Sorgen, bösen Vorahnungen und unheilvollen Vorzeichen und ihrer entmutigenden und beängstigenden Wirkung auf die Handelnden ein häufig verwendetes Mittel Lucans, um das BC in ein düsteres Licht zu tauchen. Vgl. die lange Liste der Vorzeichen in Buch 1 vor Ausbruch des Bürgerkriegs (521–695) und in Buch 7 vor der Schlacht von Pharsalos (172–206) und bes. 4,661–665 (Curio schlägt dort sein Lager auf, wo einst Scipio lagerte, und nimmt dem Ort dadurch die gute Vorbedeutung); daneben 2,1–10. 121–122; 4,710–712; 5,814–815; 6,413–419; 7,339–341. 382–384; 8,571. ut in multo mens est praesaga timore: sc. praesaga mali. Die psychologische, auf Karneades’ Kritik der Mantik fußende Erklärung gibt Cicero div. 2,114: ille autem Graecus (der Caesars Sieg bei Pharsalos vorhergesagt hat) quid mirum si magnitudine timoris, ut plerumque fit, a constantia atque a mente atque a se ipse discessit? Qua perturbatione animi quae sanus cum esset timebat ne evenirent, ea demens eventura esse dicebat. Vgl. dazu PFEFFER 1976, 104–109; zu Lucans Haltung zur Mantik vgl. zu 511–543.
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121. aspexit: bevorzugt am Versanfang; vgl. 4,532; 6,653. 720. 778; 7,612. 651. 683. 709. 710; 9,970; 10,381 und zu 9,54. Magnus: Das folgende Zwiegespräch mit seinem Bruder ist der längste Auftritt des Cn. Pompeius Magnus minor (80/76–45 v. Chr.) im BC; weitere Erwähnungen in 2,628–649; 6,803–805; 9,278. 370–371. Aus den verstreuten Bemerkungen läßt sich weder ein genaues Bild seiner militärischen Funktion unter dem Oberbefehl seines Vaters erschließen, noch ist es wahrscheinlich, daß ihm Lucan eine tragende Rolle in den nicht mehr ausgeführten Teilen des BC zugedacht hat. Anders als bei Brutus etwa ist die Charakterzeichnung auf ein Minimum reduziert (nur 147: iustaque furens pietate; 166: laudatam … iram; vgl. zu 148–164), und auch seine späteren Versuche, den Widerstand gegen Caesar in Spanien zu organisieren, werden von Lucan übergegangen. Munda wird in 1,40; 6,306; 7,692 als ein bedeutendes Ereignis der römischen Geschichte erwähnt, doch nicht mit seiner Person in Verbindung gebracht. Zu seiner Rolle im BC vgl. auch zu 145–166 und AHL 1976, 116. 316–317. Lucan gibt an dieser Stelle die historische Tradition korrekt wieder. Pompeius’ ältester Sohn hatte zusammen mit Cato in die Kyrenaika übergesetzt und begab sich erst später über Mauretanien und die Balearen nach Spanien; vgl. auch zu 370–371. 122. medias praeceps tunc fertur in undas: Das Hinauslaufen in die Brandung kennzeichnet die völlige Konzentration auf das ankommende Schiff und bringt hier die Ungeduld des Sohnes zum Ausdruck, der über das Schicksal seines Vaters Aufklärung erhalten möchte; die Ungeduld läßt sich auch aus dem Fehlen der Redeeinleitung erschließen (Hinweis von SANGMEISTER 1978, 72). Das Bild des einzelnen, dessen Aufmerksamkeit von einem ankommenden oder abfahrenden Schiff gebannt ist, wird aber auch anders funktionalisiert; vgl. Catull. 64,50–75 (Ariadne schaut dem davonfahrenden Theseus nach, während die Wellen ihre Kleidung zerzausen); Verg. Aen. 3,596–599 (ohne Rücksicht auf die drohende Gefahr sucht ein Grieche bei Aeneas’ Trojanern Hilfe); vgl. z.St. auch Servius und Tib. Claudius Donatus. 123–125: Die dreifache Prädizierung des Pompeius als parens, summa caputque orbis und Magnus verbindet die persönliche Betroffenheit des Sohnes mit der Sorge um die möglichen Auswirkungen seiner Ermordung auf die von Rom beherrschte Welt und den Bestand des römischen Staates.
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123: Die Worte überschlagen sich vor Ungeduld (Trit- und Penthemimeres; bukolische Diärese; Zäsur katå tr¤ton troxa›on). germane: nur hier und 127 im BC; die Anrede hebt die Vertraulichkeit des Gesprächs hervor. 123–124. stat … / … occidimus: Antithese der Metaphern wie Ov. fast. 1,18; Pont. 2,3,10: cum fortuna statque caditque fides. Dieselbe Bildlichkeit bestimmt auch den thematisch verwandten Abschnitt 7,647–679: Pompeius flieht aus der Schlacht von Pharsalos, um die Welt nicht in seinen Untergang mit hineinzuziehen. Occidere ist feierlich; vgl. Tib. Claud. Don. Verg. Aen. 1,235 p. 54,24 GEORGII: casus enim rei est parvae vel inferioris personae, occasus vero divinae rei vel personae superioris; nam solis et lunae occasum dicimus, et cum viri praeclari vel spectati meriti obierint, non praeventi morte, sed occidisse dicuntur. summa caputque / orbis: Die Verbindung von summa und caput geht über Ov. Pont. 2,1,46 (von einer Person) auf Verg. Aen. 12,572 zurück: hoc caput, o cives, haec belli summa nefandi (von der Stadt der Latiner). Caput im Sinne von summus magistratus rei publicae zuerst seit Liv. 1,17,4. 23,4; 6,3,1, dann häufig; vgl. ThLL III 422,55–423,2 (MAURENBRECHER). Lucan verwendet caput orbis auch in 5,685–687; 10,392–393. 124–125. Romanaque Magnus ad umbras / abstulit: Aus der Sicht des Sohnes hängt das Schicksal Roms selbstverständlich von dem seines Vaters ab. Auch Pompeius selbst äußert mehrfach den Anspruch, den Kampf gegen Caesar im Interesse Roms und des Senats zu führen (2,532. 538. 564–565; 7,349–355. 369–376) und läßt sich bei seinen Entscheidungen auch von Überlegungen leiten, die das Wohlergehen der Stadt Rom betreffen (6,319–329; 7,110–120. 117–119. 654–658. 680–682). Das besonders enge Verhältnis zwischen ihm und Rom wird mehrfach als eine gegenseitige innige Zuneigung beschrieben (2,734–736; 7,29–44; 8,686. 835–850) Allerdings läßt Lucan keinen Zweifel daran aufkommen, daß Pompeius einerseits zu schwach und zu unbesonnen ist, um Rom verteidigen zu können (6,301–313; 7,123–127; 8,322–327. 351–352), und andererseits ebenso wie Caesar nach der Alleinherrschaft strebt (1,84–86; 2,320–323; 9,257–262). Im Vergleich zu seinem tyrannischen Gegenspieler, der sich nicht von der Erscheinung der angsterfüllten Patria vom Überschreiten des Rubikon abhalten läßt (1,183–203), Rom bei seinem Einzug in Angst und Schrecken versetzt (3,91–97; 5,381–402), seine Vernichtung als mögliche Folge seines Sieges in Kauf nimmt (1,384–386;
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7,261–263) und es bei Pharsalos zu zerstören sucht (7,758–760. 579–581), ist er jedoch das kleinere Übel. 125. quem contra talia frater: eine Reminiszenz an das neunte Buch der Aeneis, in dem die jungen Trojaner in Abwesenheit ihres Anführers Kriegsrat halten und beschließen, Nisus und Euryalus zu Aeneas zu schikken. Vgl. Verg. Aen. 9,280–281: contra quem talia fatur / Euryalus; Hinweis von SANGMEISTER 1978, 71. Contra wird seit Cicero häufig dem Relativpronomen nachgestellt; vgl. LHS 229; ThLL IV 751,70–72 (SPELTHAHN). 126–145: Sextus’ Bericht über die Ereignisse an der ägyptischen Küste gliedert sich in zwei gleichlange Abschnitte; im ersten informiert er seinen Bruder über die Ermordung des Vaters (126–135), im zweiten unterrichtet er ihn über das, was er über den Verbleib des Leichnams in Erfahrung bringen konnte (136–145). Die Rede ist umrahmt von zwei persönlichen Stellungnahmen des Berichterstatters: Einleitend bekennt er, sich am Tode des Vaters mitschuldig gemacht zu haben, da er ihm nicht zur Seite gestanden habe (126–128). Den Abschluß bildet eine empörte Klage über die Ungerechtigkeit des Schicksals (143–145), ein affektischer Ausbruch, der gemäß rhetorischer Theorie (vgl. Quint. inst. 4,3,5) an das Ende der narratio gestellt werden soll, wenn ein besonders schrecklicher Vorfall geschildert worden ist. Der persönliche Rahmen, durch den zu Beginn der Rede der Leser durch das rhetorische Spiel mit der Antithese Hören und Sehen (127–128) auf die Situation des Sohnes aufmerksam gemacht werden soll, der als Augenzeuge die Ermordung und Enthauptung des eigenen Vaters miterlebt hat, ist durch eine Vielzahl von verba sentiendi und dicendi (vidi; nec credens; putavi; vidimus; vidimus; ignoro; auch me … affecere; haec fama) organisch mit der Darstellung selbst verbunden; die Verben dienen einerseits zur Authentisierung des Berichteten, vor allem aber vergegenwärtigen sie dem Leser die hilflose Lage des Berichterstatters und bilden den Hintergrund, von dem sich das trotzige Aufbegehren gegen das Schicksal abhebt, mit dem die Rede endet. Der stark persönlich gefärbte Erlebnisbericht paßt zudem zur familiären Gesprächssituation unter Brüdern. Der Hergang der Ermordung wird hier unter Wiederaufnahme der wesentlichen Motive entsprechend der Schilderung in 8,560–872 dargestellt. Um jedoch auch die Mumifizierung des Kopfes mit in den Bericht aufnehmen zu können, war es nötig, die Beobachtungen der Pompeianer hier
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etwas anders darzustellen als im achten und zu Beginn des neunten Buches; vgl. zu 137–140; 141–143. 126–128: ein Beispiel für Lucans Technik, die Aufmerksamkeit des Lesers zu fesseln, indem er einem vertrauten Sachverhalt unerwartete Aspekte abgewinnt und erst vom Schlußkolon her die Gedankenführung verständlich werden läßt. Daß sich jemand glücklich schätzen kann, der die Ermordung des eigenen Vaters wenigstens nicht mit eigenen Augen ansehen muß, leuchtet ein; doch warum ausgerechnet der Vorgang des Hörens der Hiobsbotschaft ein günstiger Umstand ist, ergibt sich erst aus dem folgenden: Sextus fühlt sich schuldig, weil er die Tat beobachtete, ohne sie verhindern zu können. 126. o felix: Makarismen, die meist mittels einer unbefriedigenden oder widersinnig anmutenden Begründung das Ausmaß der Katastrophe des Bürgerkriegs verdeutlichen, benutzt Lucan auch in 4,393–394; 7,29. 442–443; 8,843–845; 9,208. Vgl. bes. 6,257–262 mit CONTE . Die Seligpreisung des abwesenden Bruders wurde nachgeahmt von Sil. 9,159–160: felix o terque quaterque / frater, cui fatis genitorem agnoscere ademptum. 127–128. quique nefas audis: oculos, germane, nocentis / spectato genitore fero: Wer ein Verbrechen sieht, ist im Gegensatz zu demjenigen, der erst im Nachhinein davon erfährt, zu einer Reaktion verpflichtet. Diese Vorstellung nutzt Lucan auch in 5,747–749 (Pompeius rät Cornelia, sich nach Lesbos in Sicherheit zu bringen): satis est audisse pericula Magni / meque tuus decepit amor, civilia bella / si spectare potes und 9,104–105 (Cornelias Selbstvorwürfe wegen des unterlassenen Selbstmordes): potuit cernens tua funera, Magne, / non fugere in mortem. Nefas von Pompeius’ Ermordung, einem Verstoß gegen das Gastrecht (vgl. zu 131), auch 2,735; 8,550. 593. 610. 620. 638; 9,1088. 1107; 10,336. 370–373. Die Junktur oculos ferre ist nach ThLL VI 1,531,49–54 (HEY) einzigartig. Sextus „trägt“ seine Augen, weil sie die Ermordung des Vaters teilnahmslos mit ansehen konnten und ihm dadurch entfremdet sind. 128–129. non Caesaris armis / occubuit dignoque perit auctore ruinae: Diesen empörenden Umstand hatte Lucan bereits zweimal in Buch 8 hervorgehoben; vgl. 8,547–550; 8,627–629 (Selbstermahnung des sterbenden Pompeius): ne cede pudori / auctoremque dole fati: quacumque feriris, / crede manum soceri.
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Ruina ist ein Lieblingswort Lucans (HUNINK zu 3,290 zählt 42 Belege); häufig erweitert er die Metapher des Sturzes zu vollständigen Bildern: vgl. z.B. 8,528–529: tu, Ptolemaee, potes, Magni fulcire ruinam, / sub qua Roma iacet. Die Verwendung von ruina bei Lucan hat SALEMME 1976, 311–320 untersucht. Vgl. auch zu 33. 130. rege sub impuro: Ptolemaios XIII. (61–47 v. Chr.) herrschte zusammen mit seiner Schwester und Gemahlin Kleopatra VII. seit dem Tode seines Vaters 51 v. Chr. in Ägypten. Als sich das Bürgerkriegsgeschehen 48 v. Chr. nach Ägypten verlagerte, hatte er unter dem Einfluß seiner Berater gerade einen Versuch unternommen, seine Schwester um die Mitregentschaft zu bringen (vgl. 8,499–500). Kleopatras nahm sich bekanntlich jedoch Caesar an (vgl. 10,82–103), der den Widerstand, den ihm der junge König leistete, nach kurzer Zeit brach. Ptolemaios ertrank 47 v. Chr. auf der Flucht im Nil. Zu Ptolemaios XIII. vgl. VOLKMANN 1959. Impurus (von Ptolemaios auch 8,552) wird häufig im sexuellen Sinn verwendet (vgl. ThLL VII 1,726,53–727,28 [PRINZ ]; OPELT 1965, 154–156) und bezieht sich hier auf das nach römischen Vorstellungen inzestuöse Verhältnis zu seiner Schwestergattin; vgl. 8,692–693; 10,68–69. 105. Nilotica: das Adjektiv nur hier bei Lucan; die latinisierte Form des griechischen NeilvtikÒw ist ebenso wie sein Pendant selten. 131–132: Sextus spielt in diesen Versen auf die freundschaftlichen Beziehungen an, die sein Vater mit Ptolemaios XII. Auletes unterhalten hatte. Pompeius hatte maßgeblich zur Anerkennung der Königsherrschaft des Ptolemäers durch Rom und dessen Wiedereinsetzung als König nach der Vertreibung durch dessen Landsleute beigetragen. Dessen Vorgänger auf dem alexandrinischen Königsthron, Ptolemaios IX. Alexandros II. (gest. 80 v. Chr.), hatte nämlich ein Testament verfaßt, das Rom berechtigte, jederzeit Ägypten und Zypern einzuziehen. Die Echtheit dieses Testaments wurde zwar angefochten, doch beriefen sich die Römer darauf und beauftragten schließlich 59 v. Chr. Cato, Zypern in Besitz zu nehmen. Als dieser den Auftrag ausführte, die Insel ausplünderte (vgl. Lucan. 3,164) und der dort herrschende Bruder des Ptolemaios seinem Leben durch Gift ein Ende setzte, brachen in Alexandria königsfeindliche Tumulte aus, weil Ptolemaios der Liquidation Zyperns tatenlos zugesehen hatte. Er rettete sich nach Rom, um von dort aus seine Rückführung mit skrupellosen Machenschaften zu betreiben. Vor allem in Pompeius, der ihn sogar in sei-
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nem albanischen Landhaus beherbergte, fand er einen Fürsprecher. 55. v. Chr. erkannten die Römer die Legitimität seiner Herrschaft an und setzten ihn wieder in Alexandria ein. Den verwickelten Hergang schildert SONNABEND 1986, 24–35. 131. hospitii fretus superis: Die Quellen berichten übereinstimmend, daß Pompeius mit dem Hinweis auf die Gastfreundschaft, die er dem Vater des jungen Regenten gewährt hatte, um Aufnahme bei den Ägyptern nachgesucht habe; vgl. Caes. civ. 3,103,3; Cass. Dio 42,3,2; App. bell. civ. 2,84,353; Lucan. 8,472–473. 498–499; 9,1028–1029. 1083. Ebenso wie in einfachen Kulturen (vgl. Caes. Gall. 6,23,9; Tac. Germ. 21,2) galt im hochzivilisierten Rom ein Vergehen gegen das Gastrecht als einer der schwersten Verstöße gegen göttliches und menschliches Recht; vgl. z.B. Liv. 32,21,3; Cic. off. 2,64; Tac. ann. 15,52,1 (Piso weigert sich, Nero in seinem Haus ermorden zu lassen); zu Gastrecht und Gastfreundschaft in Rom vgl. HILTBRUNNER 1972, 1082–1103; BOLCHAZY 1977, 25–27. munere tanto / in proavos: „(im Vertrauen) auf den bedeutenden Dienst, den er den Ahnen erwiesen hatte“. Eine Hyperbel; als ob Pompeius die Ptolemäerdynastie über viele Generationen hinweg erhalten hätte. 133. vidi ego … lacerantes: Personalpronomen und AcP erinnern daran, daß es sich um den Bericht eines persönlich betroffenen Augenzeugen handelt. Der Unterschied zwischen AcI und AcP ist der, „daß bei der Partizipialkonstruktion der Nachdruck auf der sinnlichen Perzeption einer im Verlauf begriffenen Handlung oder eines Zustandes liegt, während beim AcI. mehr der Inhalt der Verbalhandlung unter Zurücktreten der Sinneswahrnehmung (…) betont wird“ (LHS 387). Der Vers ist ein Rückverweis auf Pompeius’ ultima verba (8,629–635): spargant lacerentque licebit, / sum tamen, o superi, felix (…). videt haec Cornelia caedem / Pompeiusque meus: tanto patientius, oro, / claude, dolor, gemitus: gnatus coniunxque peremptum, / si mirantur, amant. magnanimi … patris: Magnitudo animi und magnanimus bezeichnen eine stoisch geprägte Tugend, in der Unerschütterlichkeit im Ertragen von Übeln und Tapferkeit im Kampf gegen das Böse vereint sind; vgl. Cic. part. 77: nam quae venientibus malis obstat, fortitudo, quae quod iam adest, tolerat et perfert, patientia nominatur. Quae autem haec uno genere complectitur, magnitudo animi dicitur. Hier liegt der Ton auf Pompeius’ Standhaftigkeit, in 2,234;
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4,475. 611; 9,807 sind beide Bedeutungen spürbar. Zur Begriffsgeschichte vgl. KNOCHE 1935; GAUTHIER 1951, 165–176. 134–135: Rückverweis auf 8,640–642 (Cornelia fühlt sich verantwortlich für den Tod ihres Mannes): letiferae tibi causa morae fuit avia Lesbos, / et prior in Nili pervenit litora Caesar; / nam cui ius alii sceleris? 134. nec credens: Das Eingeständnis des eigenen Zweifels erhöht die Glaubwürdigkeit der Erzählung; vgl. Quint. inst. 4,2,56: aliquando (…) etiam fatebimur vix esse credibile, sed verum, et hoc maius habendum scelus; nescire nos quomodo factum sit aut quare, mirari, sed probaturos. 135. litore Niliaco: „an der Küste des Nildeltas“; da das Nildelta ja den Großteil der ägyptischen Küste ausmacht, kann litus Niliacum hier für litus Aegyptiacum eintreten. Derselbe Wortgebrauch in 8,641; 9,413; 10,412; vgl. ThLL VII 2,2,1540,18–19 (PLEPELITS). stare: ein naut. t.t., der bereits bei Naevius poet. 48 B ÜCHNER (= B LÄNSDORF) onerariae onustae stabant in flustris für die Epik belegt ist. Vgl. Verg. Aen. 3,277; 6,901; Lucan. 8,592. 136–138: Schwerer als die Trauer des Sohnes über die Entehrung seines Vaters wiegt die nationale Schande, daß mit Pompeius den Ägyptern ein römischer Feldherr in die Hände gefallen ist. 136. nostri / … senis: Familiäre Vertraulichkeit bestimmt den Bericht an den Bruder. Die Junktur ist umgangssprachlich; vgl. Plaut. Bacch. 175; Epid. 314; Most. 25; Ter. Phorm. 546. Mit derselben Absicht stilisiert Lucan durch die Verwendung von senex/senior in 3,731. 741. 137–140: Nach 8,661–673; 9,51–54 beobachten Pompeius’ Begleiter dessen Ermordung und Enthauptung auf der Barkasse, fliehen aus unmittelbarer Nähe der Küste und sehen nachts, nun aus sicherer Entfernung, die Verbrennung des kopflosen Leichnams. Davon, daß der auf eine Pike aufgepflanzte Kopf durch Pelusion (?; per urbem ist unklar) getragen wurde, erzählt Lucan im achten Buch nichts. Auch können die Gerüchte von der Konservierung des Hauptes (8,687–691) unmöglich zu den am Morgen nach der Einäscherung nach Zypern fliehenden Pompeianern gelangt sein. Für eine vollständige Wiedergabe und Kommentierung aller Ereignisse in
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Ägypten aus Sextus’ Perspektive nimmt Lucan kleine Inkohärenzen in Kauf. 137. affecere: Afficere als Ausdruck des Betroffenwerdens durch ein seelisches Leid ist ebenfalls unpoetisch und umgangssprachlich; vgl. z.B. Cic. Att. 1,18,2; 3,15,4; 6,3,3; 11,9,2. 17,1. 138. transfixo … pilo: transfigere im Sinn von „hindurchstoßen“ laut OLD s.v. sonst nur Verg. Aen. 11,645. In anderem Zusammenhang legt Lucan Nachdruck darauf, daß das pilum eine spezifisch römische Waffe ist; vgl. 1,7; 8,300–301. 597–598. In der parallelen Schilderung 8,680–684 wird als besondere Demütigung hervorgehoben, daß Pompeius’ Haupt auf einen „ägyptischen Spieß“ (Pharium verutum) gesteckt wird. Hier spielt die Konnotation des Römischen keine Rolle. 139. oculis victoris iniqui: Das lustvolle Betrachten getöteter Gegner ist eines der Merkmale von Caesars Grausamkeit. Den Gefallenen von Pharsalos verweigert er die Bestattung, um sich am Anblick der blutüberströmten und bereits in Verwesung übergehenden Leichen zu weiden; vgl. 7,292–294. 673–675. 786–796; 9,1043–1046. Auch von Pompeius’ Kopf kann er kaum den Blick lösen (9,1035–1036). 140. scelerisque fidem quaesisse tyrannum: Solche Treuebeweise gehörten durchaus zu den Gepflogenheiten antiker Politik; Pompeius selbst z.B. ist der, wie Plutarch ausdrücklich festhält, nur mangelhaft konservierte Kopf des Mithridates überbracht worden; vgl. Plut. Pomp. 42,3–4. 141–143: In 51–54 und 75–77 wird das in der Nacht sichtbare Feuer von den vor der Küste wartenden Pompeianern selbstverständlich als Pompeius’ Scheiterhaufen angesehen. Die Gewißheit über den Verbleib seiner sterblichen Überreste ist die Voraussetzung für die folgende Abschiedsszene (Totenklage; Testamentsübergabe; Abfahrt der Schiffe). Hier soll das Eingeständnis der Unsicherheit noch einmal die Situation des Berichterstatters vergegenwärtigen. Dessen Unwissenheit wird im nächsten Satz aufgenommen (quaecumque iniuria fati) und bildet den Hintergrund der abschließenden Sentenz, die Entschlossenheit zur Schau trägt.
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141–142: corpus Phariaene canes avidaeque volucres / distulerint: Hunde und vor allem Vögel werden in diesem Zusammenhang stets genannt; vgl. 6,550–553. 627–628; 8,507. 765; 9,802–804. Vgl. auch den Katalog der Tiere, die nach Pharsalos aufbrechen, um sich an den Gefallenen zu mästen (7,825–846). Differre vom Zerreißen eines Leichnams durch Tiere auch Plaut. Curc. 576; Verg. Aen. 8,643; Hor. epod. 5,99; Sen. epist. 92,34. 142. furtivus … ignis: Pompeius wurde notdürftig mit Treibholz in einer flachen Mulde verbrannt; vgl. 8,755–758. 763–767; 9,54. 73. 143–145: Es fällt nicht ins Gewicht, daß der Verbleib der verstümmelten Leiche des Vaters ungeklärt ist. Ein Römer macht es den Göttern zum Vorwurf, daß Ägypter das Haupt eines römischen Feldherrn konserviert haben. Bekanntlich erhält Lucans Stoizismus dadurch ein eigentümliches Gepräge, daß er entschieden eine gütige Vorsehung in Abrede stellt. Diese Besonderheit Lucans sowie die gesamte Konzeption der Pharsalia wird deutlich durch einen Vergleich mit Senecas Ausführungen im Dialog De providentia. Seneca weist darin Zweifel an der Vorsehung zurück, indem er die Übel, von denen tugendhafte Menschen so wenig verschont bleiben wie Taugenichtse, als notwendiges Pendant zur virtus ansieht. Ohne Übel hätte die Tugend gar kein Betätigungsfeld, und je größer das Unglück ist, umso heller kann die Tugend erstrahlen. Eines der Exempla, mit denen Seneca diese These untermauern möchte, ist der Selbstmord Catos in Utica, mit dem er sich einem Knechtsdasein unter dem Tyrannen Caesar entzieht (dial. 1,2,10; Cato spricht): licet (…) omnia in unius dicionem concesserint, custodiantur legionibus terrae, classibus maria, Caesarianus portas miles obsideat, Cato qua exeat habet. (…) ferrum istud (…) libertatem quam patriae non potuit Catoni dabit. Die zitierte Senecastelle enthält gleichsam ein BC in nuce, mit einem gewichtigen Unterschied. Seneca sieht von politischen oder staatsphilosophischen Erwägungen ab und verwendet Catos Freitod als Argument innerhalb einer individualethischen Reflexion; es gibt keinen Hinweis darauf, daß er die Diktatur Caesars nicht als einen vorübergehenden Zustand betrachtet hätte. Sie ist für ihn eine Extremsituation, in der sich die Tugend Catos hervorragend bewährt hat. Eventuelle Zweifel an der Providenz schließt er durch den vorgestellten szenischen Rahmen aus, in den er Catos ultima verba eingefügt hat (dial. 1,2,9): Wie auf einen tapferen Gla-
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diator dürfte Iuppiter mit Wohlgefallen vom Himmel auf den todesmutigen Cato herabgesehen haben. Lucan sieht dagegen in Pharsalos das Ereignis, das Rom auf Dauer unter Tyrannenherrschaft gebracht hat. Während Seneca persönliches Unglück als eine Prüfung für das Individuum deutet, ohne über die Lage des Staates zu reflektieren, die einem Mann wie Cato nur den Selbstmord läßt, ist Lucans Aufmerksamkeit ganz auf den Staat gerichtet, und er ist nicht bereit, den dauerhaften Wandel der politischen Verhältnisse zum Schlechteren als eine sinnvolle Fügung des Fatums aufzufassen. Daraus resultiert Lucans äußerst ungünstige Darstellung der Götter (Lucan verwendet dei/fortuna/fatum synonym; für die Kritik jedoch eignen sich die als Personen vorgestellten Götter besser als abstrakte Begriffe). Sie sind dem grausamen Tyrannen Caesar hörig (1,128; 4,254–259; 5,340–342. 351–353. 581–583; 7,113. 237–239. 647–649); nicht er ist auf sie angewiesen, sondern sie auf ihn (5,499–500; ähnlich 4,402–403); sie beschenken ihn (5,592–593), und wenn sie einmal etwas gegen ihn unternehmen, lenken sie rasch ein, um seine Nachsicht für den Ungehorsam zu erwirken (4,121–123). Weil sie den Bürgerkrieg zugelassen und Caesar zum Sieg bei Pharsalos geführt haben, macht Lucan sie verantwortlich vor allem für den Verlust der Freiheit (4,807–808; 7,385–386. 432–455), dann für die Verhinderung des weiteren Ausbaus des Imperium Romanum (1,8–20; 7,419–431), für die Verödung Italiens (1,24–32; 7,387–400) und das Einströmen fremder Völker in das entstandene Vakuum (7,400–407. 540–543). Den Vorwurf, Pompeius’ Untergang verschuldet zu haben, erhebt Lucan gegen die Götter auch in 5,59; 7,724–725. 798–799; 8,55. 149. 799–800. Teils steht Pompeius’ Tod für die Niederlage bei Pharsalos und ihre verheerenden Folgen, teils liegt der Ton wie an dieser Stelle auf dem empörenden Umstand, daß als eine Folge des Bürgerkriegs fremde Völker ungestraft Römer töten können. Dies ist zwar eine eher indirekte Folge des Bürgerkriegs, von der die Nachwelt nicht unmittelbar betroffen wird, doch ist Lucan als Römer darüber so empört, daß er es auch bedauert, wenn das Eingreifen fremder Völker zu Pompeius’ Gunsten ausfällt (vgl. 4,791–792; 10,3–7; 10,335–344). 145. servata de parte queror: „the depth of cacozelia“ (BONNER 1966, 277 Anm. 49). Talentierten Rednern, so empfiehlt der ältere Seneca (contr. 10 praef. 10), solle man vitia verzeihen, nicht portenta; ob diese Sentenz Lucans von
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einem antiken Leser als portentum empfunden wurde, wie BONNER nahelegt, ist jedoch fraglich. Zugegeben, Lucan zeigt ein auffälliges Interesse am Grausigen (allein zum Thema Enthauptung vgl. 2,171–173; 7,626–628; 8,667–685. 688–691; 10,464–467), doch erscheint dies weniger bizarr als beim ersten Blick, ordnet man den Autor in den literarhistorischen und zeitgeschichtlichen Hintergrund ein. Einerseits ist die normative Gattungstradition zu bedenken, die immer kunstvollere Überbietungen der homerischen Tötungs- und Verwundungsszenen und ihrer jeweiligen Nachahmungen verlangte. So kann z.B. auch bei dem in diesem Punkt eher zurückhaltenden Vergil, dem wichtigsten Bezugspunkt Lucans in der literarischen Tradition, die Mutter des Euryalus dem auf eine Pike gesteckten Kopf ihres Sohnes zurufen: hunc ego te (…) aspicio? Lucan ist im Wettstreit mit Vergil häufig über ihn hinausgegangen. Vor allem unterscheidet ihn von Vergil der Einfluß der Deklamatorenschule, der sich in einer häufig im Paradox endenden gedanklichen Zuspitzung derartiger Szenen bemerkbar macht. Mag man Lucans Sentenzen heute auch als „frostig“ empfinden, so sind sie doch spezifisch für die Epoche, in der er wirkte, und zumindest von seinen Zeitgenossen hochgeschätzt worden (vgl. Quint. 10,1,90: sententiis clarissimus). Übrigens ist der Prozeß der Zunahme manieriert detailgetreuer Darstellungen von grausamen Szenen nach Lucan nicht stehengeblieben; die flavischen Epiker und später Claudian haben ihn zuweilen noch übertroffen; vgl. zur Entwicklung der Motive des Grausamen und Ekelhaften in der Epik FUHRMANN 1968. Daß sich im Einzelfall auch eine gewisse Sensationsgier in die Darstellung einschleicht, ist natürlich nicht ausgeschlossen; vgl. Suet. Galba 20,2: iugulatus est (sc. Galba) ad lacum Curti ac relictus ita uti erat, donec gregarius miles a frumentatione rediens abiecto onere caput ei amputavit; et quoniam capillo arripere non poterat, in gremium abdidit, mox inserto per os pollice ad Othonem detulit. Andererseits ist die Literatur auch vor dem Hintergrund der antiken Kriegführung und Propaganda zu sehen. Es war üblich, die Köpfe besonders gefährlicher Widersacher als Gegenstand des Spotts und gleichzeitige Drohung gegen potentielle Feinde öffentlich auszustellen. Kaum zu überbieten ist das makabre Spiel, das mit dem getöteten Crassus getrieben wurde. Während einer Aufführung von Euripides’ Bacchen vor dem Partherkönig trat der Schauspieler der Agave statt mit der Maske / Kopf des Pentheus mit dem Kopf des Crassus in der Hand auf und meldete so den Sieg von Carrhae (vgl. Plut. Crassus 33,1–7). Vor diesem Hintergrund erscheint auch der letzte Wunsch Neros, er möchte möglichst rasch vollständig verbrannt werden, weniger sonderbar (Suet. Nero 49,4): nihil prius
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aut magis a comitibus exegerat quam ne potestas cuiquam capitis sui fieret, sed ut quoquo modo totus cremaretur. Versucht man, die mögliche ästhetische Bewertung der Sentenz Lucans durch die zeitgenössischen Leser mit Hilfe des entwickelten literarischen und zeitgeschichtlichen Hintergrunds zu erschließen, so ist es eher unwahrscheinlich, daß die Leser an ihr Anstoß genommen haben. Daß sie keine unfreiwillige Stilblüte ist, zeigt auch die Tatsache, daß sie mit dem Schlußwort der von Cato auf Pompeius gehaltenen laudatio funebris korrespondiert (212–214). 2.3.2. Invektive des Cn. Pompeius Magnus filius gegen Ägypten (9,145–166) 145–166: Auf den Bericht von der Ermordung seines Vaters reagiert Gnaeus mit einem Zornesausbruch (145–147): Er fordert die Matrosen auf, unverzüglich in See zu stechen; er will mit den anderen republikanischen Anführern nach Ägypten aufbrechen, Pompeius bestatten und dessen Ermordung rächen (148–152). Die Leichen der Ptolemäer, Alexanders des Großen und der Pharaonen sollen aus ihren Gräbern gerissen und in den Nil geworfen werden (153–156). Den Brennstoff für den Scheiterhaufen, auf dem Pompeius’ präparierter Kopf verbrannt werden soll, sollen die Mumien von Isis und Osiris liefern (158–161). Ganz Ägypten will Gnaeus entvölkern, um den vergöttlichten Pompeius dort herrschen zu lassen (161–164). Cato vereitelt den unüberlegten Aufbruch der Flotte (165–166). 146. audisset: Rückbezug auf 127. 146–147. non in gemitus lacrimasque dolorem / effudit: Gnaeus’ ungehemmtem Zornesausbruch ist eine entsprechend aufwendige Redeeinleitung vorangestellt. Lucan kombiniert die beiden formelhaften Wendungen effundere voces/gemitus (vgl. 2,44; 5,261; 8,590. 616; 9,565; Verg. Aen. 5,780; Ov. met. 9,370) und effundere lacrimas (Cic. Planc. 101; Lucr. 1,91. 125; Verg. Aen. 2,271. 651; 3,312; 6,686; 10,464) mit dem Topos, daß Tränen den Schmerz lindern (vgl. zu 106). 147. iustaque furens pietate: „aus berechtigter Sohnesliebe geriet er in Raserei“; die abundant erscheinende Bestimmung der pietas als iusta streicht das Oxymoron heraus. Pietas und furor sind eigentlich miteinander
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unvereinbar; vgl. die Antithese in 6,155–156: non ira saltem, iuvenes, pietate remota / stabitis? Bekanntlich sind die Szenen, in denen Vergil den vorbildhaften Ahnherrn der Römer, Aeneas, von furor oder ira beherrscht zeigt (Aen. 2,314–317; 10,545. 604. 802. 815; 12,107–109. 494–499. 945–947), ein intensiv diskutiertes Problem der Aeneisforschung. Ist an diesen Stellen vielleicht eine „zweite Stimme“ Vergils zu vernehmen, durch die der Mantuaner versteckte Kritik an der augusteischen Prinzipatsideologie übt? Zumindest die deutsche Forschung tendiert mit wohl überzeugungskräftigen Argumenten dazu, eine geheime Augustuskritik in der Aeneis in Abrede zu stellen. Vergil sei nicht allein vor dem Hintergrund der Stoa zu beurteilen, sondern ebenso seien Peripatos und Epikureismus zu berücksichtigen, die einen „gerechten Zorn“ kennten. Auch könne zeitgenössische Philosophie nur mit Vorsicht zur Beurteilung epischer Handlungen herangezogen werden, da Vergil Aeneas bewußt als Helden einer archaisch-heroischen Zeit geschildert habe (Vorbild Achill). Zudem könne Aeneas’ Zorn aus der jeweiligen Situation heraus erklärt werden, teils als eine Reaktion auf zuvor erlittenes Unrecht, teils als eine notwendige Vorbedingung zum Kampf; vgl. THORNTON 1976, 159–163; CAIRNS 1989, 54–89; ERLER 1992; VIELBERG 1994 418, Anm. 26. Für die Beurteilung der Personen im BC liefert jedoch die stoische Philosophie häufig einen angemessenen Maßstab. Im BC fehlt die archaische Patina, mit der Vergil die mythologischen Helden der Aeneis stilisiert. Furor (ebenso ira) ist eindeutig negativ konnotiert. Furens ist derjenige, der alle Hemmungen abgelegt hat, das Blut seiner Mitbürger zu vergießen; vgl. 2,439; 6,300–301; 7,124. 295–296. 796; 10,412–413 (negativ auch 1,255–256; 5,157–158). Die einzige Szene, in der Lucan furor ausdrücklich billigt, ist der todesverachtende Kampf der auf einem Floß festsitzenden Caesarianer, die sich in aussichtsloser Lage in einen Blutrausch hineinsteigern, zahlreiche Gegner mit in den Tod reißen und sich schließlich gegenseitig töten, um sich der Übermacht zu entziehen; vgl. 4,505–506. 516–517. 540. 575–581. An dieser Stelle demonstriert Lucan die Umsetzung philosophischer Lehre in epische Dichtung. Seneca dial. 3,12,5 lehnt jede Form des „gerechten Zorns“ ab: irasci pro suis non est pii animi sed infirmi: illud pulchrum dignumque, pro parentibus liberis amicis civibus prodire defensorem ipso officio ducente volentem iudicantem providentem, non impulsum et rabidum. Zorn sei weder im Frieden noch im Krieg jemals von Nutzen gewesen: Er mache den Frieden einem Krieg ähnlich, und im Krieg könne man leicht in die Gewalt eines anderen geraten, wenn man sich nicht selbst in der Gewalt habe. Die
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philosophische Lektion wird nun derart von Lucan mit den Forderungen der Gattung verbunden, daß er der Darstellung des Affekts, der flammenden Invektive gegen Ägypten, den größten Raum einräumt und das philosophisch-lehrhafte Element im Schlußvers des Abschnitts konzentriert (166: sed Cato laudatam iuvenis compescuit iram), in dem Cato dem unüberlegten Aufbruch des zornigen jungen Mannes Einhalt gebietet. Um Pedanterie zu vermeiden, bleibt das eigentliche Argument, daß die überstürzte Aktion zum Scheitern verurteilt ist, unausgesprochen. 148–164: Nachdem Sextus erzählt hat, wie er ohnmächtig Mord und Leichenschändung der Ägypter hat beobachten müssen, platzt sein Bruder Gnaeus nun voll Wut heraus (147: furens … profatur). Die Seeleute sollen sofort in See stechen, erst nach diesem Befehl findet er Zeit, seinen Racheplan zu schildern. Dessen Ziel ist es, Götter und Menschen aus Ägypten zu vertreiben (164: populis superisque fugatis) und den entvölkerten Staat am Nil dem vergöttlichten Pompeius als einen ihm geweihten Bezirk zu übereignen. NISBET (1982–1984, 312–313) ist der Ansicht, Lucan wolle mit diesem Haßausbruch dem historischen Gnaeus Pompeius Magnus, dem älteren Sohn des gleichnamigen Vaters, ein wenig schmeichelhaftes literarisches Monument setzen. In der Tat zeichnen die Quellen ein äußerst ungünstiges Bild vom ältesten Sohn des Triumvirn. Er galt als jähzornig und grausam und überdies noch als dumm; so Cassius bei Cic. fam. 15,19,4. Bei Beratungen nach Pharsalos drängte er ungestüm auf eine Fortsetzung des Kampfes und hätte, wenn Cato nicht rechtzeitig eingegriffen hätte, beinahe den zum Frieden mahnenden Cicero getötet; vgl. Plut. Cic. 39,1–2; Cato min. 55,2; Cic. Deiot. 29; vgl. MILTNER 1952. Ob 166, die Maßregelung durch Cato, eine Reminiszenz an diesen Vorfall ist, wie NISBET (1982–1984, 317) nahelegt, ist jedoch fraglich. Gegen NISBET ist darauf hinzuweisen, daß Lucans Charakterisierung von Gnaeus durchaus positive Elemente enthält (iusta […] pietate; laudatam […] iram) und nur seine unbedachte Reaktion, der wenig erfolgversprechende Plan, gegen Ägypten zu ziehen, verworfen wird. Sein Ausbruch ist wohl als die Darstellung des verständlichen Aufbrausens eines zornigen jungen Mannes über die schmähliche Ermordung seines Vaters zu werten. Nicht historische Quellen, sondern einfühlsame Ethopoiie stehen hinter der folgenden Rede. Vgl. auch den Umstand, daß die Mehrzahl der Rachewünsche, die Gnaeus in seiner Wut ausstößt, von Lucan selbst im achten Buch geäußert wurden, um seinem Unmut über die Heimtücke der Ägypter Luft zu machen;
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vgl. 8,692–699 (Antithese: ägyptischer Herrscher in Pyramiden bestattet / Pompeius’ Rumpf im Meer); 8,800–805 (Entvölkerung Ägyptens, damit Pompeius dort als Gott herrschen kann); 8,828–830 (Fluch: Der Nil soll kehrtmachen, um Ägypten verdorren zu lassen). Zur Rolle des älteren Sohnes im Bürgerkrieg vgl. auch zu 121. 370–371. 148. praecipitate rates: „Stoßt die Schiffe mit dem Bug voran ins Meer!“ Gemäß der Etymologie von praecipitare bezieht sich der Ausdruck wohl auf den Brauch der römischen Marine, die flachkieligen Kriegsschiffe wegen des hinderlichen Rammsporns und des so ermöglichten schnellen Aufbruchs mit dem geschwungenen Achtersteven voran an Land zu ziehen; vgl. VIERECK 1975, 21–24. Der Ausdruck ist singulär; vgl. ThLL X 2,467,52–53 (ADKIN); am ehesten vergleichbar: Curt. 9,9,20: destituta aquis navigia alia praecipitantur in proras, alia in latera procumbunt. e sicco litore: t.t.; der Teil des Strandes, der von den Wellen nicht mehr erreicht wird. Vgl. Tib. Claud. Don. Verg. Aen. 6,162 p. 530,11 GEORGII: id est in harena litoris sicci; est enim et udum litus, ubi pelagus terminatur. Die Phrase gehört zum nautischen Vokabular der Epiker; vgl. 8,726; 9,342. 447; Verg. Aen. 3,71. 135. 510; 6,162. 149: Aus dem unrealistischen Befehl spricht ungeduldige Rachsucht. Soweit irgend möglich, vermied man in der antiken Seefahrt den kräftezehrenden Einsatz der Ruder und kreuzte trotz der für derartige Manöver ungeeigneten Takelage gegen ungünstige Winde an; vgl. CASSON 1971, 273–274; zu Lucans (vorzüglichen) nautischen Kenntnissen vgl. SAINTDENIS 1935, 425–432. erumpat: Erumpere ist milit. t.t.: „einen Ausfall machen“ (vgl. 3,500). Die übertragene Verwendung ist äußerst selten; vor Lucan nur Verg. georg. 4,78 (von Bienen; nachgeahmt Colum. 9,9,5). Vgl. ThLL V 2,837,18–56 (JUNOD). 150–151. ite, duces, mecum … / … inhumatos condere manes: Ire mit Infinitiv ist altlateinisch und nachklassisch; zwischen den altlateinischen Dichtern und Lucan verwendet es nur Properz (1,1,12; 1,6,34); vgl. LHS 344–345. 150–151. (nusquam civilibus armis / tanta fuit merces): Begründende Parenthesen nach Anrufungen oder Anreden sind charakteristisch für den Gebetsstil; vgl. z.B. Ov. met. 1,2–3; di coeptis (nam vos mutastis et illas) /
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adspirate meis und v. ALBRECHT 1963, 171–178. Die Wendung hebt die Anrufung der Anführer auf eine hochfeierliche Stilebene; für Cn. Pompeius ist der Zug gegen Ägypten eine religiöse Pflicht. nusquam (Z2MPGU) fügt sich genauer in den Duktus der Rede als das verallgemeinernde numquam (ZA2V). Die gesamte Rede ist darauf angelegt, Ägypten zum Ziel einer militärischen Operation zu machen. 152: Das bekannteste Beispiel für ein „Menschenopfer“ zur Sühnung eines Mordes in der römischen Literatur ist die Tötung des Turnus durch Aeneas (Verg. Aen. 12,948–949; Aeneas spricht): Pallas te hoc vulnere, Pallas / immolat et poenam scelerato ex sanguine sumit; vgl. auch Aen. 11,81–84 (Aeneas tötet Gefangene beim Begräbnis des Pallas; Nachahmung der Menschenopfer Achills zu Ehren des Patroklos: Hom. Il. 18,336; 21,26; 23,174). Obwohl die Römer die Opferung von Menschen als ein Zeichen barbarischer Grausamkeit weit von sich wiesen (vgl. Cic. Font. 31; rep. 3,15; Liv. 22,57,6), lassen sich nicht nur in der von Vergil geschilderten Epoche mythischer Helden und in der nicht mehr recht greifbaren Zeit der frühen Republik, sondern auch im ersten vorchristlichen Jahrhundert vereinzelte Beispiele für Rachemorde finden, denen ein religiöser Rahmen gegeben wurde (vgl. bes. die Ermordung von 300 Senatoren und Rittern zu Ehren Caesars in Perusia durch Octavian: Suet. Aug. 15; Sen. clem. 1,11; Cass. Dio 48,14; die Belege gesammelt von W EINSTOCK 1971, 398–399); ob dabei der Sühnopfergedanke nur handfestere persönliche oder politische Motive verdeckt, ist schwer zu entscheiden. Lucan verwendet die Vorstellung eines menschlichen Sühnopfers häufig im übertragenen Sinn zur religiösen Überhöhung politischer Ereignisse (1,38–39; 2,174–187; 4,788–790; 6,309–311; 7,596; 10,385–387. 391–393. 430. 461–462. 524–529; metaphorisch von historischen Begebenheiten schon Hor. carm. 2,1,25–28; Sen. benef. 5,16,1); die Aura des Grausigen, die ein Menschenopfer umgibt, kommt seiner auf Erregung von Affekten ausgerichteten Rhetorik sehr entgegen. Die variable und geläufige Verwendung, die Lucan von dem Motiv macht, warnt jedoch davor, ihm tiefergehende Bedeutung zuzumessen. In 2,175 (forsan nolentibus umbris) äußert er Zweifel an der Berechtigung eines religiös begründeten Mordes. sanguine … Magnum satiare: Es ist eine in vielen Kulturen verbreitete Vorstellung, daß der Tote nach Blut dürstet, das ihm einen Teil der verlorenen Lebenskraft wiedergibt; für den Bereich der griech.-röm. Antike ist Homer Od. 11,95–96 locus classicus: Teiresias stärkt sich erst mit Blut, bevor er Odysseus antwortet. Blutopfer für Verstorbene waren auch
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den Römern geläufig; vgl. Serv. auct. Verg. Aen. 3,67:Varro (…) dicit mulieres in exsequiis et luctu ideo solitos ora lacerare, ut sanguine ostenso inferis satisfaciant; quare etiam institutum est ut apud sepulcra et victimae caedantur. Besonders verlangt der Ermordete nach dem Blut seines Mörders. Zur Funktion des Bluts im Kultus vgl. WASZINK 1954. semiviri … tyranni: „des pubertierenden Tyrannen“; semivir bezieht sich am wahrscheinlichsten auf das geringe Alter des gerade dreizehnjährigen Ptolemaios XIII. (als puer bezeichnet in 8,448. 537. 557; 10,54). LUCK und D UFF übersetzen nach Verg. Aen. 4,215; 12,99 mit „weibisch / effeminate“; BOURGERY/PONCHONT/JAL beziehen den Ausdruck auf den Eunuchen Pothinus (vgl. dagegen 8,552: impure ac semivir [von Ptolemaios]). 153–154: Nach Alexanders Tod in Babylon (323 v. Chr.) überführte Ptolemaios I. Soter den Leichnam nach Memphis, von wo er entweder noch zu Lebzeiten des Dynastiebegründers oder unter dessen Nachfolger Ptolemaios II. Philadelphos nach Alexandria verbracht wurde. In der Regierungszeit des Ptolemaios IV. Philopator (223/222–204 v. Chr.) wurde der einbalsamierte Leichnam noch einmal umgesetzt und in einem Mausoleum gemeinsam mit den Ptolemäern aufbewahrt. Die Grabstätte ist bisher noch nicht lokalisiert worden; nach Lucan, der genaue Kenntnis vom Grab zu besitzen scheint und die wichtigste Quelle für dessen Rekonstruktion ist (vgl. neben dieser Stelle 8,694–698: cum tibi sacrato Macedon servetur in antro / et regum cineres extructo monte quiescant, / cum Ptolemaeorum manes seriemque pudendam / pyramides claudant indignaque mausolea, / litora Pompeium feriunt; 10,19: effossum tumulis cupide descendit in antrum), ruhte der präparierte Körper in einer Gruft, die von einer wohl pyramidenähnlichen Konstruktion mit den sterblichen Überresten der Ptolemäer überbaut war. Zur Beisetzung Alexanders und der Rekonstruktion der Grabanlage vgl. THIERSCH 1910; FRASER 1972 (Bd. 1), 14–17. Die römischen Kaiser pflegten bei Aufenthalten in Alexandria dem Grab einen Besuch abzustatten und sich dabei symbolisch in die Nachfolge Alexanders zu stellen. Vgl. Suet. Aug. 18,1: per idem tempus conditorium et corpus Magni Alexandri, cum prolatum e penetrali subiecissent oculis, corona aurea imposita ac floribus aspersis veneratus est consultusque, num et Ptolemaeum inspicere vellet, regem se voluisse videre, non mortuos. Von Caracalla ist der letzte derartige Besuch bezeugt (Herodian. 4,8,9; Cass. Dio 77,22–23); vermutlich wurde das Grab in den Wirren des 3. Jahrhunderts zerstört; vgl. FRASER 1971 (Bd. 1), 16; BOWMAN 1986, 203–233. Lucan nimmt dagegen stets pole-
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misch auf Alexander Bezug. Er steht in der alexanderfeindlichen Tradition der Philosophie (in Rom neben Lucan durch Seneca und Curtius Rufus rezipiert), die den Welteroberer Alexander als durch das Übermaß der Erfolge entartet (Peripatos) oder als schon von Anbeginn seinen Leidenschaften unterworfen (Stoa) ansah; vgl. HEUß 1954, 72–77. 87–89. Die ausführlichste Auseinandersetzung mit Alexander und der an ihn anknüpfenden Herrschaftsideologie ist Lucans Schilderung des Besuchs Caesars am Grab des Makedonen; vgl. 10,20–52; die Historizität ist umstritten; vielleicht handelt es sich um eine Rückprojektion der Praxis der Kaiser (vgl. HOLMES zu 10,19). Alexander ist für Lucan das Urbild tyrannischer Weltherrschaft; vgl. 10,26–28: non utile mundo / editus exemplum, terras tot posse sub uno / esse viro. Zu Alexander bei Lucan vgl. RUTZ 1970, 233–257 und den Kommentar zu 493–510. 511–543. 153. Pellaeas caries: „die morschen Mumien der Makedonen“. Das überlieferte arces (WC) ist kaum haltbar; nach den parallelen Versen 8,694–698, in denen Alexanders Leiche zusammen mit den sterblichen Überresten der Ptolemäer genannt wird, erwartet man auch hier einen Hinweis auf die Gebeine der alexandrinischen Könige. Das von B URMANN und FRANCKEN vorgeschlagene Pellaeis arcis ist daher nicht ganz befriedigend; dagegen ergibt arcas (K ORTTE ) einen guten Sinn (arca vom Sarkophag auch 8,736), scheitert aber daran, daß gewöhnlich das Homoioteleuton von unmittelbar aufeinanderfolgendem Nomen und dazugehörigem Adjektiv derselben Deklination gemieden wird; vgl. SHACKLETON B AILEY 1994, 37–41. SHACKLETON B AILEY hat daher caries vorgeschlagen (1987, 88–89, daneben erwägt er auch das weniger preziöse Pellaeos cineres); das Wort caries trifft den polemischen Ton der Rede und veranschaulicht eindringlich die brüchige Konsistenz von Mumien. Zu caries von morschen Knochen bzw. gebrechlichen Menschen vgl. ThLL III 456,51–60. 70–73 (ELSPERGER). Pellaeus (nach Makedoniens Hauptstadt Pella) als Epitheton für die Ptolemäer auch 5,60; 8,475. 607; 9,1016. 1073. Die Römer waren sich stets klar darüber, daß die Ptolemäer und die kleine mit ihnen herrschende Oberschicht makedonischer Abstammung waren; vgl. SONNABEND 1986, 96–98. 153–154. adytisque retectum / corpus Alexandri: die heilige Gruft, in der der von den Alexandrinern kultisch verehrte Alexander lag; vgl. 8,693: sacrato (…) in antro; 10,22–23: sacratis (…) adytis; Suet. Aug. 18,1: corpus
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Magni Alexandri (…) prolatum e penetrali. Zum Alexanderkult vgl. THIERSCH 1910, 59–61; FRASER 1972 (Bd. 1), 215–219. 224–226. 154. pigra Mareotide: „in der sumpfigen Mareotis“ (vgl. 4,119: pigras paludes). Alexandria lag auf einer Nehrung zwischen dem Meer mit der vorgelagerten Insel Pharos und dem Mareotis-See. Der See war schiffbar, doch da er durch Nilkanäle gespeist wurde, schwankte sein Wasserspiegel entsprechend dem Pegel des Nils. Die Ufer dürften daher aus sumpfigen Feucht- und Überschwemmungsgebieten bestanden haben; vgl. Curt. 4,8,1: ad Mareotin paludem. Der See war im Altertum wegen eines in der Nähe angebauten Weins bekannt; vgl. 10,161; Hor. carm. 1,37,13. Zur Geographie und wirtschaftlichen Bedeutung des Mareotis-Sees vgl. FRASER 1972 (Bd. 1), 143–146. 155. pyramidum tumulis evulsus Amasis: Amasis herrschte 568–522 v. Chr. über Ägypten. Er galt als griechenfreundlich und erlangte durch die Freundschaft mit Polykrates von Samos, bzw. deren Aufkündigung, allgemeine Bekanntheit (vgl. Hdt. 3,39–43. 123–125; Fronto p. 222–223 VAN DEN H OUT ). Die griechische Überlieferung sah in ihm ein Muster des guten Herrschers und schrieb ihm gewissenhafte Erledigung der Regierungsgeschäfte und einen maßvollen Lebenswandel zu. Fronto nennt ihn daher an der angeführten Stelle einen sapiens. Beigesetzt war er nicht in einer Pyramide, sondern im Tempelbezirk zu Saïs (Hdt. 2,169,5). NISBET (1982–1984, 312–313) nimmt an, daß Lucan hier auf Hdt. 3,16,1–5 Bezug nimmt, wo erzählt wird, wie Kambyses II. den einbalsamierten Leichnam des Amasis aus dem Grab reißen, auspeitschen und verbrennen ließ. Doch ist es nicht wahrscheinlich, daß sich Lucan hier auf Herodot bezieht und zugleich hofft, seinen Lesern sei der Herodot-Passus unbekannt. NISBETs Versuch, die Verwendung von Herodot durch Verweis auf die ebenfalls von Herodot referierte Behauptung der Ägypter, Kambyses habe einen falschen Leichnam mißhandeln lassen (Hdt. 3,16,5), zu erhärten, ist zu spitzfindig. Amasis wird hier von Lucan als einer der im griech.-röm. Kulturraum bekanntesten Pharaonen namhaft gemacht; gegen NISBETs Annahme spricht auch, daß Lucan, anders als Herodot, Amasis in einer Pyramide bestattet sein läßt. Wenn man den Ort nicht kennt, wo sonst mag man wohl in Ägypten das Grab eines Pharaos vermuten? Es liegt an dieser Stelle also keinerlei Bezug auf Herodot vor; Lucan hat den Vers frei gebildet. Zu Amasis vgl. PIETSCHMANN 1894; DE MEULENAERE 1975.
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156. Nilo torrente: „in der Flutwelle des Nils“; P OSTL 1970, 212 führt torrens und ähnliche Beiwörter des Nils auf „Erzählungen aus dem Kataraktengebiet“ zurück. Es liegt jedoch näher, sie auf die Überschwemmungsflutwelle des Nils zu beziehen. Vgl. Lucan. 8,444–445: at inde / gurgite septeno rapidus mare summovet amnis (die Flutwelle erreicht die Mündung und drängt das Meer zurück). In demselben Sinn verwendet Lucan torrens vom Tiber, der, durch Leichen und Blut der Bürgerkriegsopfer angeschwollen, über seine Ufer tritt und sich schließlich in einem Schwall ins Meer ergießt (2,219–220): tandem Tyrrhenas vix eluctatus in undas / sanguine caeruleum torrenti dividit aequor. Die Übersetzungen sind keine Hilfe: DUFF : „current of the Nile“; B OURGERY /P ONCHONT /J AL : „sur les tourbillons du Nil“; EHLERS: „Nilgewirbel“; LUCK: „Nilstrom“. 157. nudo tibi: „dir, der du nicht begraben bist“; zu nudus im Sinn von „unbestattet“ vgl. zu 64. NISBETs Eintreten für die eigentliche Bedeutung (1982–1984, 313–314) erscheint unbegründet. Sepulchra verlangt einen Gegensatz. Vgl. zu 158: evolvam busto (…) Isim. 158: Isis – ihr Name bedeutet Thron – galt ursprünglich als göttliche Mutter des Herrschers; sie nahm jedoch stetig an Bedeutung zu und wurde ab dem ersten vorchristlichen Jahrhundert als Himmelskönigin und Weltherrscherin verehrt, die für alle Bereiche des menschlichen Lebens zuständig war. Ihr Kult, seit Herodot 2,41 bekannt, verbreitete sich in hellenistischer Zeit durch im Ausland lebende Ägypter über den ganzen Mittelmeerraum und hatte bis in die Spätantike hinein große Bedeutung. Bis zur Anerkennung des Isis-Kultes unter Gaius ist er in Rom von staatlicher Seite heftig bekämpft worden (augusteische Propaganda gegen Antonius und Kleopatra; vgl. nur Verg. Aen. 8,696; Zeugnisse gesammelt bei S ONNABEND 1986, 128–142). Zur Ausbreitung des Isis-Kultes in Rom und den römischen Provinzen vgl. MALAISE 1972; MALAISE 1984; T URCAN 1989, 77–127; Isis’ Wandel zur Allgottheit in der griech.-röm. Kultur untersucht SOLMSEN 1979. Lucan beklagt in 8,831–834 die Übernahme ägyptischer Kulte: nos in templa tuam Romana accepimus Isim / semideosque canes et sistra iubentia luctus / et quem tu plangens hominem testaris Osirim. evolvam busto … Isim: „ich werde (die Mumie der) Isis aus dem Grab rollen“. NISBET (1982–1984, 314–315) möchte eine Parallelität zu 157 (nudo tibi) und 159 (tectum lino […] Osirim) herstellen und konjiziert
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bysso (evolvere bysso = „die Mumie aus den Leinwandbinden rollen“), doch leuchtet die Notwendigkeit der Konjektur nicht ein. Die Kleidung ist sekundär; es geht um Begraben- oder Nicht-Begrabensein. Das Grab der Isis lag angeblich in Memphis; vgl. Eus. Pr. ev. 1; Diod. 1,22. iam numen gentibus: Gentes sind die nichtrömischen Völker; vgl. 1,9. 82. 288. 465. 512. 542 u.ö. In diesem polemischen Kontext übergeht Gnaeus die Tatsache, daß auch in Rom Isis zahlreiche Anhänger hatte. 159: Osiris verkörpert das aus dem Tod erwachte Leben. In der OsirisMythe wird Osiris von seinem bösen Bruder Seth getötet und zerstückelt; darauf sucht ihn seine Gattin und Schwester Isis, erweckt ihn wieder zum Leben und zeugt mit ihm den Horos. Horos besiegt Seth und wird König der Lebenden, Osiris König der Toten. Dieses mythische Geschehen ist vor allem repräsentiert durch den jährlich wiederkehrenden Sieg der fruchtbaren Nilüberschwemmung (Osiris/Horos) über die Dürre (Herrschaft des Seth). Griechen und Römer identifizierten Osiris mit Dionysos/Bacchus und verehrten ihn als Garanten der Fruchtbarkeit, besonders aber als denjenigen Gott, der die Segnungen der Zivilisation gebracht hat, die es erlauben, den Reichtum der Natur zu nutzen (vgl. Tib. 1,7,139–143). Zu Osiris vgl. HELCK 1962, 469–513; MERKELBACH 1963, 12–13. tectum lino … Osirim: Darstellungen des Osiris zeigen ihn meist – einer Mumie ähnlich – in ein langes Gewand eingehüllt. Auf das Grab des Osiris erheben mehrere Städte Anspruch (Abydos; Memphis; eine Insel bei Philae; Busiris; vgl. Plut. Is. 20–21). spargam per vulgus: Spargere per läßt eine Ortsangabe erwarten (vgl. z.B. Verg. Aen. 7,551: spargam arma per agros; Suet. Nero 25,2). Lucan sucht den Anklang an pervulgare. [160]: Die Mehrheit der Überlieferung stellt den Vers zwischen 158 und 159 (MPUV), nur ZG und die Nebenüberlieferung (Lact. inst. 1,21; Comment. Bern. 160–161) bezeugen die Stellung nach 159. Im Gefolge B ENTLEY s athetiert H OUSMAN den Vers als Interpolation mit Hinweis auf die unschöne Unterbrechung der Apostrophe (157: Magne; 164: genitor) durch den Genitiv Magni und den holprigen Satzbau (et – et – que); zustimmend SHACKLETON BAILEY; BADALÌ. NISBET (1982, 315–316) versteht dagegen 160 als komplementär zu 161: suppositisque deis uram caput. Ohne den vorherigen Hinweis auf die
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Verbrennung des enthaupteten Leichnams (in Magni cineres) bleibe die Bezugnahme auf den präparierten Kopf unklar; um den Satzbau zu glätten, ersetzt NISBET et (160) durch iam. HOUSMAN s Argumente sind meines Erachtens jedoch nicht entkräftet. Gegen NISBETs Auffassung spricht zudem, daß er die bewußt knapp und überraschend formulierte Pointe in 161 durch den ergänzenden Vers 160 zerstört. Für die Authentizität des Verses 160 plädiert auch LUCK 1969, 256 (vgl. auch Vorwort der Edition, 68), ohne allerdings die problematische Syntax zu erörtern. [Apis]: ein heiliger Stier, der in Memphis verehrt wurde und im Namen des Stadtgottes Ptah Orakel gab. Nach seinem Tod wurde er mumifiziert und als Osiris-Apis beigesetzt, woraus der Serapis-Kult entstand. Lucan nimmt 8,478–480 auf die unrichtige Auffassung Bezug, daß der Apis nach jeweils 25 Jahren getötet wird. Zum Apis vgl. VERCOUTTER 1975, 338–350. 161. suppositisque deis uram caput: HOUSMAN (nach den Comment. Bern.) stellt sich einen Scheiterhaufen aus hölzernen Götterstatuen vor, doch dürften eher die Mumien der Götter selbst gemeint sein (NISBET 1982–1984, 316). Gemäß dem Duktus der Rede konnte der Leser die Grabschändungen nur als Racheakte verstehen; daß Gnaeus die Gräber aber plündern will, um einen Scheiterhaufen aus Göttermumien zu errichten, ist eine jener unerwarteten gedanklichen Wendungen, die Lucan sehr schätzt; vgl. 62. 170. 187. 191. 161–162. has mihi poenas / terra dabit: Es gehört zu den vielfach belegten Gemeinplätzen antiker Ethnographie, daß der Charakter eines Volkes wesentlich von den klimatischen Verhältnissen geprägt werde. Die Völkerschaften des unwirtlichen Nordens sind rauh, tapfer und unbeugsam, die Bewohner südlicher Gegenden verweichlichen dagegen durch das milde Klima, lieben den Luxus, sind charakterlich unzuverlässig und lassen sich von Tyrannen beherrschen (Referat dieser Anschauungen bei Lucan. 7,442–443; 8,363–366). Römer und Griechen bewohnen die Zone gemäßigten Klimas, die einer ausgewogenen Persönlichkeitsbildung förderlich ist. Abgesehen von dem rhetorischen Effekt einer gegen ein ganzes Land gerichteten Drohung ist es daher für Lucan auch sachlich nicht abwegig, Ägypten für die Verbrechen seiner Bewohner zur Verantwortung zu ziehen; vgl. auch Lucans Verfluchung Ägyptens in 8,823–830 und 10,474: tot monstris Aegypte nocens.
Errichtung symbolischer Scheiterhaufen; Catos Leichenrede (167–214)
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163. nec, Nilus cui crescat, erit: Die Nilüberschwemmung, die wie geschaffen dafür scheint, Ägypten am Leben zu erhalten, wirkt ohne Bauern, die daraus Nutzen ziehen, wie ein sinnloser Ritus. 163–164: Wie eine Gottheit über einen ihr heiligen Bezirk soll der divinisierte Pompeius über Ägypten herrschen. Dasselbe Motiv verwendet Lucan auch in 8,800–805: si tota est Herculis Oete / et iuga tota vacant Bromio Nyseia, quare / unus in Aegypto magni lapis? omnia Lagi / arva tenere potest, si nullo caespite nomen / haeserit. erremus populi cinerumque tuorum, / Magne, metu nullas Nili calcemus harenas. 165: nach einer flammenden Rede ein ungestümer Aufbruch; classem rapere ist eine ciceronianische Junktur (Manil. 21): ab eodem imperatore classem magnam et ornatam, quae ducibus Sertorianis ad Italiam studio atque odio inflammata raperetur, superatam esse et depressam; nachgeahmt nur hier, 9,220 und Sil. 2,307; vgl. ThLL III 1288,44–45 (MAURENBRECHER). Ähnlicher Redeschluß in 1,228–229: sic fatus noctis tenebris rapit agmina ductor / impiger (Caesar fällt in Italien ein). 166: Freundlich, aber bestimmt hält Cato den jungen Mann davon ab, eine Dummheit zu begehen. Laudare ist ein episch seltenes Wort (3 Belege in der Aeneis; 7 im BC), das zum Pathos der Rede in starkem Kontrast steht. Cato tadelt Gnaeus, wie ein wohlwollender Lehrer die gut gemeinten, aber unreifen Pläne eines begabten Schülers unterbindet. Compescere iram (auch 8,234) nach Sen. dial. 4,18,1. 33,6.
2.4. Errichtung symbolischer Scheiterhaufen für Pompeius; Catos Leichenrede (9,167–214) 2.4.1. Ehrenfeuer für Pompeius (9,167–185) 167–185: Die Nachricht von Pompeius’ Ermordung hat sich während des Gesprächs seiner Söhne überall verbreitet; heftig beklagen die Völker den Tod des beliebten Feldherrn (167–170). Die Intensität der Klagen nimmt noch zu, als die Menge sieht, wie Cornelia, von Trauer ausgezehrt, das Schiff verläßt (171–173); Pompeius’ Witwe errichtet aus militärischen Ehrenzeichen, Waffen und den Triumphgewändern ihres Mannes einen symbolischen Scheiterhaufen (174–179). Die Soldaten greifen ihr Bei-
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spiel auf und erweisen durch Totenfeuer den Gefallenen von Pharsalos, die Caesar unbestattet gelassen hat, die letzte Ehre (179–181). Die lange Reihe der Scheiterhaufen gleicht den brennenden Almwiesen Apuliens (182–185). Durch pointierte Gedankenführung bringt Lucan in diesem Abschnitt zweimal nachdrücklich seine prinzipatsfeindliche Haltung zum Ausdruck. In 170 macht er die Zeitgenossen darauf aufmerksam, daß aufrichtige Trauer um den Tod eines Mächtigen wie Pompeius singulär ist; vor dem Hintergrund der vor großen Zuschauermassen pompös in Szene gesetzten Bestattungen und Divinisierungen der römischen Kaiser bedeutet dies eine scharfe Kritik am Herrscherkult; vgl. 10–11 zu Lucans Polemik gegen kaiserlichen Bestattungsluxus. In 179–181 erinnert Lucan aus republikanischem Empfinden heraus daran, daß die bei Pharsalos getöteten Soldaten nicht weniger ein Recht auf Bestattung haben als ihr Anführer. Bislang ist noch nicht darauf hingewiesen worden, daß dieser Passus sowohl im Aufbau wie in sachlichen und sprachlichen Details eine starke Ähnlichkeit zu Tacitus’ Bericht von der Rückführung der Asche des Germanicus aus dem Osten durch Agrippina (ann. 3,1–2) aufweist. Tacitus schildert, wie sich auf das Gerücht von der baldigen Ankunft der Witwe in Brundisium zahlreiche Veteranen und die Bevölkerung der umliegenden Städte im Hafen einfinden. Sie sind zuerst unsicher, wie Agrippina angemessen zu empfangen sei, doch als sie die Trauernde sehen, die mit der Urne in Begleitung ihrer beiden Kinder das Schiff verläßt, müssen sie unwillkürlich laut aufstöhnen (vgl. ann. 3,1,3–4; Lucan. 9,172–173). Die Asche wird von dort in einem Trauerzug nach Rom überführt; die Städte, die auf dem Wege liegen, erweisen Germanicus die letzten Ehren, indem sie pro opibus loci vestem odores aliaque funerum sollemnia (ann. 3,2,2) verbrennen. Nach Q UESTA (1967, 271–306) geht die taciteische Germanicusdarstellung vermutlich auf politische Propagandaschriften der Anhänger des Germanicus aus dem Kreis um Agrippina maior zurück. Aufgrund ihrer kaiserfeindlichen Tendenz dürften für Lucan diese Berichte von Interesse gewesen sein. Auch die im taciteischen Bericht nicht erwähnten Vorwürfe des Volkes gegen die Götter (187–188), die die Überleitung zur Leichenrede Catos bilden, dürfte Lucan seiner Quelle entnommen haben; vgl. zu 187–188. Die Darstellung des Tacitus, der Lucan gekannt hat (zu Tacitus’ Lucanrezeption vgl. zu 319–347), ist von Lucan unbeeinflußt. Vgl. dazu ausführlich SEEWALD 1998 (in diesem Band S. 411–442). Vergleicht man Lucan 9,167–185 mit vergilischen Begräbnisschilderungen (Aen. 3,62–68; 6,212–235; 11,79–99), sticht zuerst der weitgehende Verzicht auf die Darstellung kultischer Details ins Auge. Lucans Interesse
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ist dagegen einerseits auf die Darstellung der ins Riesenhafte gesteigerten Affekte gerichtet, andererseits hebt er die politische und moralische Bedeutung der geschilderten Handlungen hervor. Zur literarischen Überarbeitung und Bereicherung der historischen Quelle hat Lucan allerdings auf eine Idee Vergils zurückgegriffen. KUBIAK (1989, 577–578) macht darauf aufmerksam, daß Cornelia dem Vorbild Didos folgt, die nach der Abreise von Aeneas einen Scheiterhaufen mit den Waffen und Kleidungsstücken errichten läßt, um Aeneas, wie sie vorgibt, entweder vergessen zu können oder für sich zurückzugewinnen. Zur Tradition epischer Bestattungsszenen von Homer über Vergil und Lucan bis zu den flavischen Epikern vgl. BURCK 1982. Lucan nimmt in dieser Tradition eine Sonderstellung ein; er ist der einzige (neben Homer), dessen Begräbnisschilderungen auch realistische, auf die zeitgenössische Bestattungspraxis zurückgehende Elemente enthalten; vgl. BURCK 1982, 431. 481–482. 167–170: Es ist unklar, wo die Klageszene anzusiedeln ist. Totis (…) litoribus und populos sprechen dafür, daß Lucan an dieser Stelle weltweite Trauer um Pompeius beschreibt, während der Kontext eine Lokalisierung in der Kyrenaika erzwingt. Vermutlich ist die Ambiguität gewollt; Lucan blendet zwei Bilder übereinander. 167–168. interea totis audito funere Magni / litoribus: Interea ist an fünf von sieben Stellen, an denen es zur Anknüpfung einer neuen Szene dient, mit Partizipialausdrücken verknüpft; vgl. 2,326. 392. 526; 5,237; 9,167 (ähnlich 9,217: mit interea eingeleiteter Hauptsatz, gefolgt von cum inversum). Statt Handlungsfäden parallel zu entwickeln, erzählt Lucan soweit wie möglich linear und komprimiert den inhaltlich notwendigen Nachtrag dessen, was sich in der Zwischenzeit an dem neuen Handlungsschauplatz ereignet hat, im Partizipialausdruck. Einen längeren Rückblick leitet interea allein in 3,169 ein; aus Gründen der Erzählökonomie schildert Lucan den in viele Einzelhandlungen zerfallenden Truppenkatalog des Pompeius unter einer zusammenfassenden Überschrift in der Retrospektive (3,169–297). Die bemerkenswert geringe Frequenz des Zeitadverbs interea im Vergleich zu Vergil (9mal bei Lucan; 73 Belege bei Vergil), auf die HUNINK (zu 3,169) hinweist, ist in Lucans Poetik begründet. Antike Kritiker warfen Lucan vor, eher ein Historiker als ein Dichter zu sein (vgl. Quint. inst. 10,1,90; Comment. Bern. zu 1,1), weil er die Ereignisse in chronologischer Reihenfolge erzählt und durch den Verzicht auf ambages deorumque ministeria
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(Petron. 118,6: „das Umgestalten und Überbauen der historischen Handlung durch mythisches Beiwerk“ [QUADLBAUER 1977, 84 Anm. 27]) gegen die von Homer und Vergil gesetzten Gattungsnormen verstößt, die lange Rückblenden fordern. Quintilian (inst. 7,10,11) stellt den Beginn ab initiis dem Beginn more Homerico a mediis vel ultimis gegenüber. Petron spricht an der zitierten Stelle Lucan die dichterische Inspiration (furentis animi vaticinatio) ab; das BC gleiche dem Bericht eines allein auf Wahrhaftigkeit bedachten Zeugen unter Eid (religiosae orationis sub testibus fides). Zu Lucans Einordnung und Bewertung innerhalb antiker und mittelalterlicher Rhetorik und Poetik vgl. QUADLBAUER 1977. Die vielfältige Verwendung von interea bei Vergil untersucht KINSEY 1979. Funus wird metonymisch häufig für mors verwendet; vgl. 1,104; 2,118; 9,29. 104. 218. 168. sonuit percussus planctibus aether: Wie Redeeinleitungen und Angaben von Tageszeiten gehört die Beschreibung der Geräusche, die z.B. kämpfende oder trauernde Menschenmengen verursachen, zu den festen Bestandteilen antiker Epik. Auch hier gilt das imitatio/aemulatioPrinzip: Jeder Dichter ist aufgerufen, seinen Einfallsreichtum durch immer neue Variationen und Überbietungen der von der Tradition vorgegebenen Formeln unter Beweis zu stellen. Vergil läßt die Klagen um den Tod der Dido vom Äther widerhallen (Aen. 4,668: resonat magnis plangoribus aether), bei Seneca versuchen die trauernden Trojanerinnen, einen neuartigen Echoeffekt hervorzurufen (Tro. 108–115: Rhoetea sonent litora planctu, / habitansque cavis montibus Echo / non, ut solita est, extrema brevis / verba remittat: / totos reddat Troiae gemitus: / audiat omnis pontus et aether. Saevite, manus: / pulsu pectus tundite vasto, / non sum solito contenta sono); Lucan stellt beide in den Schatten: Der Äther wird vom klatschenden Geräusch der sich geißelnden Pompeianer getroffen und dröhnt wie ein Resonanzkörper; vgl. 3,482–483: ut grandine tecta / innocua percussa sonant. Der antike Leser dürfte in der Erschütterung des Himmels eine versteckte Infragestellung der Herrschaft der Götter gesehen haben, die es zuließen, daß Pompeius in einen Hinterhalt der Ägypter geriet. Die Herrschaft der Götter über den Äther, ihren Aufenthaltsort und Machtbereich, wird ihnen bei Lucan auch von Naturgewalten und Hexen streitig gemacht; vgl. 5,625–637; 6,461–467. In 7,475–484 beschreibt Lucan, wie die Trompetenstöße, mit denen die Schlacht von Pharsalos eröffnet wird, zuerst gegen den Äther schlagen, darauf den Olymp erschüttern und
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schließlich von allen Bergen Griechenlands zurückgeworfen werden und die Soldaten in Angst und Schrecken versetzen. 169–170: Pompeius ist ein Tyrann, wird aber doch geliebt. Lucans Urteil, das Verhältnis von Pompeius zu seinen Untertanen sei in der Weltgeschichte einzigartig, verdeutlicht, warum sich die Forschung bisher mit der Interpretation von Lucans Pompeius schwergetan hat. Anders etwa als bei Cato oder Caesar lassen sich eindeutige philosophische oder literarische Vorbilder (stoischer Weiser bzw. Tyrann) nicht ausfindig machen. Lucans Pompeius ist ein individueller Charakter, in den vor allem Züge des ambivalenten historischen Pompeius eingegangen sind. 169–170. exemploque carens et nulli cognitus aevo / luctus erat: Eine amplificatio durch Vergleich bereitet die Pointe vor; nach dem Vorangegangenen muß der Leser annehmen, es sei die Heftigkeit der Trauerbekundungen, die singulär ist. C O N T E (zu 6,235) macht auf die interessante Verwendung des exemplum-Begriffs bei Lucan aufmerksam. Nicht nur der Dichter beurteilt in der Retrospektive ein Verhalten als beispielhaft, sondern die Personen des Epos selbst haben im Moment der Handlung ein Bewußtsein der geschichtlichen Reichweite ihrer Taten und agieren auf der Bühne der Weltgeschichte wie Schauspieler stets mit Blick auf das Publikum von Zeitgenossen und Nachwelt. Caesar begnadigt Domitius mit den Worten, er solle als ein Beispiel seiner Milde weiterleben (2,512–515), Scaeva heuchelt, er wolle ein Beispiel für den Verrat an Caesar sein (6,234–235), und Vulteius möchte durch seinen Selbstmord ein noch nicht dagewesenes Muster an fides und pietas liefern (4,496–499): Nescio quod nostris magnum et memorabile fatis / exemplum, Fortuna, paras. quaecumque per aevum / exhibuit monimenta fides servataque ferro / militiae pietas, transisset nostra iuventus. In der ständigen Berücksichtigung der Außenwirkung des eigenen Handelns, wie sie auch die Gestalten der Tragödien Senecas zeigen – am ausgeprägtesten vielleicht (Ps.-)Senecas Hercules Oetaeus, der auf dem Gipfel des Oeta seine Selbstverbrennung in Szene setzt, um sich die Versetzung unter die Götter zu verdienen (vgl. auch die zu 168 zitierten Verse aus Senecas Troades) – dürfte Einfluß der Deklamationsschulen vorliegen. Das Bewußtsein des Deklamators, der im Wissen um die Bedeutung eines geschichtlichen Moments etwa die ultima verba Catos zitiert, wird in die historische Person selbst zurückprojiziert. Zur Bedeutung von Exempla für die Römer vgl. ALEWELL 1913; KORNHARDT 1937; LUMPE 1966.
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170. mortem populos deflere potentis: Der Tod eines Tyrannen wird gewöhnlich herbeigesehnt, wie Cicero in off. 2,23 ausführt und mit Ennius belegt (trag. 197–198 VAHLEN = 182 JOCELYN; von Hieronymus als antiqua sententia in epist. 82,3 sinngemäß wiedergegeben; vgl. OTTO s.v. odisse Nr. 2): quem metuunt oderunt; quem quisque odit periisse expetit. Beim Tod Neros soll die Plebs mit dem pilleus als Zeichen der Freiheit jubelnd durch die Straßen gezogen sein; vgl. Suet. Nero 57,1. Aufschlußreich für das Verständnis dieser Stelle ist ein Vergleich mit dem Beginn von Buch 7 (30–44). Lucan wünscht sich dort, daß die Götter Roma und ihrem größten Sohn doch einen Tag hätten schenken sollen, an dem beide fati certus (31) voneinander hätten Abschied nehmen können. Die gesamte Bevölkerung hätte Pompeius bei dieser Gelegenheit aufrichtig (iniussus) betrauert (7,37–39): te mixto flesset luctu iuvenisque senexque / iniussusque puer; lacerasset crine soluto / pectora femineum ceu Bruti funere vulgus. Der Passus zeigt, daß Lucan Pompeius durchaus mit Sympathie gegenübersteht und sein Verhältnis zur Bevölkerung positiv beurteilt. In ceu Bruti funere steckt jedoch auch Kritik an der unkritischen Haltung des Volks: Pompeius ist kein Freiheitsheld wie Brutus. Gegenüber Caesar ist ihm sicher der Vorzug zu geben, doch ist er zu Cato, dem selbstlosen Vorkämpfer republikanischer Ideale (vgl. 9,27–30), keine Alternative. Wahrscheinlich berichtete Lucans Quelle von der Trauer fremder Völker um Germanicus (vgl. Suet. Cal. 5). Lucan mag dies übernommen haben, es fügt sich aber nahtlos in sein Bild von Pompeius. Zu Pompeius’ Beliebtheit bei auswärtigen Völkern vgl. zu 90–91; zu dem typisch kaiserzeitlichen Thema geheuchelter Trauer vgl. 1104–1108. 171. ut visa est lacrimis exhausta: ein Rückverweis auf Cornelias Entschluß, ihrem Leben dadurch ein Ende zu machen, daß sie ihre anima, die beim Anblick der Ermordung ihres Mannes nicht freiwillig von ihr gewichen ist, aus sich herausweint (vgl. 106. 111). In diesem Sinne hat Lucan die senecanische Junktur exhaustos oculos (dial. 6,1,5; 11,2,1) zugespitzt. Die Tränen haben Cornelia austrocknen lassen wie der Po Italien (2,409–410): Eridanus (…) Hesperiam (…) exhaurit aquis. Videri ist religiös konnotiert und wird häufig von göttlichen Epiphanien gebraucht; vgl. 1,186. 577. 580; 3,10. H UNINK zu 3,10 nennt zahlreiche Beispiele für diesen Sprachgebrauch aus der epischen Poesie seit Enn. ann. 38 (SKUTSCH).
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171–172. solutas / in vultus effusa comas: „die Haare waren gelöst und hingen ihr in das Gesicht“; zwei abgegriffene Wendungen der epischen Sprache (effundere crines in 1,188. 443; 2,335; 7,370; solvere crines in 2,23; 5,143; 6,468; 7,38; 9,632) werden von Lucan neu zu einer expressiven Wendung kombiniert. Zu dieser Technik vgl. zu 146–147. Effusus mit Acc. graec. nach Verg. georg. 4,337: caesariem effusae nitidam per candida colla; Aen. 4,509; Ov. met. 13,688–699. Das Motiv der ins Gesicht hängenden Haare als Zeichen trauernder Abwendung von der Welt auch in Sen. Tro. 449–450; Thy. 505–507; Epiced. Drusi 85–86: vidimus adtonitum fraterna morte Neronem / pallida promissa flere per ora coma. 173. plangunt: Das Schlagen der Brust als Ausdruck der Trauer wird zwar hauptsächlich von Frauen berichtet, wurde aber wie hier durchaus auch von Männern praktiziert; vgl. Hom. Od. 20,17; Hdt. 2,61; Aisch. Pers. 683; Iuv. 13,127; Mart. 2,11,5. Die Selbstgeißelung als Zeichen des Schuldbekenntnisses, wie es im Judentum üblich war und von den Christen übernommen wurde, ist der griech.-röm. Antike fremd. Vgl. HAMMON 1980, 1216–1217, bei dem sich auch die angeführten Belegstellen finden. Zum Gebrauch von planctus bei Lucan vgl. zu 49. 174–178: Aus Ehrenzeichen, Waffen und Gewändern errichtet Cornelia einen Scheiterhaufen und führt eine symbolische Bestattung durch. Solche Scheinbegräbnisse waren, sofern keine Möglichkeit bestand, den Leichnam selbst beizusetzen, Sitte und dienten dazu, den Geist des Toten vor ruhelosem Umherirren zu bewahren; vgl. zu 68. Ehemalige Beamte wurden geehrt, indem sie für die pompa funebris und die anschließende Einäscherung mit dem vornehmsten Gewand, das sie bei Lebzeiten als Amtsträger innehatten, bekleidet wurden; vgl. Pol. 6,53,7; Liv. 5,41,2; 34,7,3; Cic. leg. 2,59 (Verbot, mehr als drei Gewänder zu verbrennen); Ov. fast. 6,363–364; Suet. Nero 50; MOMMSEN 1963 (=1887), 440–441. 175. miserique insignia Magni: Neben den Triumphalinsignien konnten Offiziere als militärische Ehrenzeichen die verschiedenen coronae (vallaris; muralis; obsidionalis; graminea), die hasta pura und das vexillum (beide aus Silber) erhalten; vgl. JUNKELMANN 1986, 129–130. 176–178. et impressas auro, quas gesserat olim / exuvias pictasque togas, velamina summo / ter conspecta Iovi: Der Ornat des Trium-
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phators bestand aus der toga picta (Isid. Etym. 19,24,5: ipsa vocabatur et toga picta, eo quod victorias cum palmis intextas haberet), der mit goldenen Palmen bestickten tunica palmata (beide Gewänder glichen denen, mit denen die Iuppiterstatue auf dem Kapitol bekleidet war), Lorbeerkranz, Adlerszepter und goldener corona Etrusca (beides ebenfalls Insignien des Iuppiter Capitolinus) und einem eisernen Fingerring. Das Gesicht des Triumphators war mit Mennige rot gefärbt. So ausgestattet, zog der siegreiche Feldherr an der Spitze des Triumphzuges von der porta triumphalis auf dem Marsfeld über Circus Flaminius, Velabrum, Via Sacra, Forum bis zum Tempel des Iuppiter Optimus Maximus auf dem Kapitol, während er von einem hinter ihm stehenden Sklaven ermahnt wurde: respice post te, hominem te esse memento. Opfer und Gebet auf dem Kapitol beschlossen den Zug. Der Lorbeerkranz wurde im Schoß der Iuppiterstatue niedergelegt, Adlerszepter und Goldkranz dem Tempelschatz zurückerstattet. Der genaue Ablauf und die Deutung der einzelnen Elemente der Zeremonie sowie die religionsgeschichtliche Herleitung der Triumphalinsignien sind aufgrund der unbefriedigenden Quellenlage umstritten. Teils möchte man im Triumphator aufgrund des hohen Alters des Ritus und der Ähnlichkeiten mit der Tracht der etruskischen Könige den Repräsentanten des Königs sehen, teils deutet man wegen der Verbindung zu Iuppiter Capitolinus den siegreichen Feldherrn als Stellvertreter Iuppiters. Es hat viel für sich, die Frage nicht ausschließend zu beantworten: Der Triumphator ist Gott und König zugleich; so VERSNEL 1970, 66–93; zustimmend KÜNZL 1988, 94–96. Exuviae ist t.t. für die Kleidung der Götterbilder; vom Triumphalornat auch Plin. nat. 7,145; Suet. Aug. 94,6; vgl. ThLL V 2,2132,34–61 (KORNHARDT). Ob der Triumphator für die Dauer der Feier die exuviae der Statue selbst anlegte oder eine Nachbildung, ist umstritten; vgl. VERSNEL 1970, 72–78. Exuviae ist zugleich eine wörtliche Anspielung auf Didos Abschiedsworte (Verg. Aen. 4,650–652; das Wort auch in Aen. 4,507): dixitque novissima verba: / „dulces exuviae, dum fata deusque sinebat / accipite hanc animam“. Zur Parallelität zwischen Dido und Cornelia vgl. zu 167–185. Die Apposition velamina (…) Iovi ist ein Anklang an Verg. Aen. 6,220–222: tum membra toro defleta reponunt / purpureasque super vestis, velamina nota, / coniciunt (Bestattung des Misenus). 178: Die Spondeen unterstreichen Erhabenheit und Würde der Symbolhandlung; vgl. zu 49.
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funestoque intulit igni: Die Junktur ignis funestus ist sonst nur einmal in anderer Bedeutung belegt (Cic. Catil. 3,22); hier wohl am besten aufzufassen als „das Feuer, das die rechtmäßige Verbrennung ersetzen sollte“. 179. ille fuit miserae Magni cinis: Eine abschließende conquestio fordert das Mitleid des Lesers für die Witwe. Der Leser aber, der sein Mitgefühl der bedauernswerten Cornelia zuwendet, erkennt im folgenden, daß er sich von Lucan hat irreführen lassen, und wird nachdrücklich über die Pflichten eines Republikaners belehrt. Die von Caesar unbestattet gelassenen Gefallenen von Pharsalos haben ebenso wie ihr Anführer ein Recht auf Bestattung. Diese Stelle zeigt, daß Lucan nicht nur an Catos rigidem Stoikertum und Caesars übermenschlicher Dämonie interessiert ist, wie häufig hervorgehoben wird, sondern durchaus auch einen Blick für die Leiden und die Rechte des Volks hat. So fragt er auch, nachdem er geschildert hat, wie Pompeius in der Nacht vor der Entscheidungsschlacht durch einen Traum, der ihn an die Zeit erinnerte, als er umjubelt von der Menge in seinem eigenen Theater saß, noch ein kurzer Moment des Glücks geschenkt wird (7,28): unde pares somnos populis noctemque beatam? und wünscht sich, daß es beiden, Pompeius und der Bevölkerung Roms, möglich gewesen wäre, voneinander Abschied zu nehmen. 179–180. omnis / … pietas: die Personifizierung von pietas auch in 2,63; 3,317–318; 4,498–499; zur Verwendung von Abstrakta für konkrete Kollektiva vgl. LHS 747–748. 180–181. et toto litore busta / surgunt Thessalicis reddentia manibus ignem: ein Rückverweis auf das Ende des siebten Buches. Dort hatte Lucan breit ausgeführt, wie die Toten von Pharsalos in der Nacht nach dem Kampf den Siegern im Traum erscheinen (7,766–786), Caesar tags darauf die Beisetzung der Gefallenen verbietet, um den Anblick der Toten zu genießen (7,786–803), und so die getöteten Pompeianer ein Festmahl für die wilden Tiere werden. In zwei umfangreichen Apostrophen droht Lucan Caesar, daß die Totengeister ihn bis zum Weltenbrand verfolgen werden (7,803–824), und beklagt das Schicksal Thessaliens, in dessen Boden so viele Tote verwest sind, daß es niemals mehr besiedelt worden wäre, wäre nicht Thessaliens schreckliche Sonderstellung dadurch gebrochen worden, daß die auf Pharsalos folgenden Bürgerkriegsschlachten in anderen Teilen der Welt geschlagen worden sind, so daß die gesamte Erde
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genauso schuldig wie das Schlachtfeld von Pharsalos geworden ist (7,847–872). 182–185: Die von Lucan als vorbildlich angesehene Geste, die unbestatteten Gefallenen von Pharsalos durch symbolische Totenfeuer zu ehren, wird durch ein Gleichnis nachdrücklich herausgehoben. Die lange Kette der Scheiterhaufen gleicht den im Herbst in Brand gesteckten apulischen Almwiesen. Wie in 167–170 wird Intensität und Ausmaß der Trauer ins Riesenhafte gesteigert. Das Gleichnis steht an einer kompositionell wichtigen Schaltstelle des BC. Die Totenfeuer für die Caesar unterlegenen Truppen und deren Anführer markieren das Ende des verbrecherischen Kampfs zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn. Außerdem bilden 182–185 zusammen mit dem Bienengleichnis (285–292) einen Rahmen um zwei für die Deutung des Bürgerkriegs und dessen Fortsetzung über Pompeius’ Tod hinaus wichtige Reden Catos. In der ersten (190–214) gibt er im Rückblick eine Würdigung des zwiespältigen Pompeius und weist ihm seinen Platz in der römischen Geschichte zu; in der zweiten begründet er in Auseinandersetzung mit den meuternden Soldaten die Pflicht, den Widerstand gegen Caesar fortzusetzen. Nachdem Pompeius, der selbst nach der Alleinherrschaft strebte, ermordet worden ist, ist der Kampf gegen Caesar nicht mehr Bürgerkrieg, sondern legitimer Widerstand gegen einen Tyrannen. Aus dem nefas (1,5) ist ein bellum iustum (9,292–293) geworden. Feuergleichnisse sind seit Homer üblich; das Bild einer Lichterkette ist eine Idee Lucans; vgl. Hom. Il. 2,455–458; 11,155–159; 14,396–397; 15,605–606; Apoll. Rhod. 1,1026–1028; 4,139–144; Verg. Aen. 2,304–305; 10,405–409; 12,521–522; Ov. met. 1,492–495; 6,455–457; 12,274; trist. 5,8,20; vgl. AY M A R D 1951, 88–90. Silius verschmilzt Verg. Aen. 10,405–409 mit Lucan. 9,182–185 zu einem neuen Gleichnis: Ein apulischer Hirte sieht vom Garganus aus brennende Wälder in Calabrien: 7,360–366: per iuga, per valles errat Vulcania pestis (…) quam multa videt, fervoribus atris / cum Calabros urunt ad pinguia pabula saltus, / vertice Gargani residens incendia pastor. Zu Silius’ Lucanrezeption vgl. STEELE 1922; MEYER 1924; VON ALBRECHT 1964, 164–166; BROUWERS 1982. 182. depastis summittere gramina campis: Das Gleichnis wird durch Verwendung landwirtschaftlichen bzw. bukolischen Vokabulars deutlich vom Kontext abgesetzt. Zu depascere (nur hier bei Lucan) vgl. Cic. de orat. 2,96: ut in herbis rustici solent dicere in summa ubertate, inest luxuries quaedam, quae
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stilo depascenda est; in der Poesie wird das Wort vor Lucan verwendet von Lucr. 3,12; Verg. ecl. 1,54; georg. 1,112; 3,458; 4,539; Aen. 2,215; 5,93; Ov. fast. 5,283. Summittere im Sinn von „wachsen lassen“ ist poetisch nicht selten (vgl. Lucr. 1,8. 193; Prop. 1,2,9; Hor. carm. 4,4,63; Sen. Oed. 846; Lucan. 410–411: non pabula tellus / pascendus summittit equis); mit menschlichem Subjekt wie hier kommt es laut OLD s.v. 1a) sonst nur bei Fachschriftstellern vor. 183–184. et renovare parans hibernas Apulus herbas / igne fovet terras: Abgesehen von der Brandrodung zur Erschließung kulturell nutzbarer Flächen diente die künstliche Verursachung von Flächenbränden in der Antike vor allem drei Zwecken: 1. Es war üblich, die Stoppeln abgeernteter Getreidefelder zu verbrennen; teils erleichterte man so das Pflügen, teils nahm man an, daß die Brände der Bodenmeliorisation dienten. Über die Wirkungsweise des Feuers wurden verschiedene Erklärungen vorgebracht, die jedoch alle unzutreffend sind (vgl. Verg. georg. 1,84–93 mit RICHTER und MYNORS z.St.). Während verbrannte Holzasche aufgrund ihres hohen Anteils an Pottasche (Kaliumkarbonat) und Phosphor zu Recht als wertvoller Dünger betrachtet wurde, ist die düngende Wirkung verbrannten Strohs vernachlässigenswert; vgl. WHITE 1970, 141–143. 2. Hirten legten häufig Waldbrände, weil das nachwachsende niedrige Gesträuch ideales Futter für Schafe und Ziegen abgab; vgl. Lucr. 5,1247–1248; Verg. Aen. 10,405–409; M EIGGS 1984, 374–376. 3. Wiesen mit zu trockenem oder verholztem Gras wurden am Ende des Sommers in Brand gesteckt, um junge Pflanzen nachwachsen zu lassen; vgl. Colum. 2,6,23; Pallad. 9,4; WHITE 1970, 283. Lucan nimmt hier auf die letzte der genannten Maßnahmen Bezug und gibt für die Wirkung dieser Vorgehensweise eine – vermutlich ad hoc erfundene – Erklärung im Rahmen der stoischen Lehre von den vier Elementen. Die Wendung terrras igne fovere läßt sich am besten antithetisch zu hibernas (…) herbas verstehen. Die winterliche (feuchte und kalte) Erde kann nur dann neue Pflanzen hervorbringen, wenn ihr noch das Element Feuer künstlich hinzugefügt wird. Die Notwendigkeit von Wärme für den Keimungsvorgang war bekannt; vgl. die Ausführungen des Stoikers Balbus bei Cic. nat. deor. 2,24. 26; daneben Cic. Cato 51; Sen. nat. 7,1,3 (von der Sonne): terras, cum tanto maior sit illis, non urit sed calorem suum intensionibus ec remissionibus temperando fovet; Sen. nat. 6,29,1 (für Pflanzenwachstum ist ein Anteil Luft im Boden notwendig); (Ps.-)Cens. frg. 1,5 (HULTSCH = p. 61–62 SALLMANN): terra omnia ex se omnium (sc. elementorum) permixtione pro-
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gignit, et temperantia fovetur, intemperatia laeditur. Lucan ist die TemperatioLehre der Stoiker bekannt; vgl. zu 435–436. Apulien, wegen der geringen Niederschlagsmenge für Ackerbau wenig geeignet, war im Altertum durch seine Pferde- und Schafzucht berühmt (vgl. z.B. Varro rust. 2,6,5; 2,7,1). Die Herden weideten im Herbst und Winter in der Ebene, im Sommer wurden sie in die Abruzzen getrieben. Zur apulischen Weidewechselwirtschaft (Transhumanz) vgl. P AS QUINUCCI 1979, 75–182. 184–185. simul et Garganus et arva / Vulturis et calidi lucent buceta Matini: Von Norden beginnend, nennt Lucan die bekanntesten Berge Apuliens. Den Vergleich verdeutlicht toto litore (180): Die brennenden Scheiterhaufen reihen sich längs der Meeresküste über eine große Distanz hin wie Glieder einer Kette (dreimaliges et) aneinander. Garganus (1056 m) heißt der weithin sichtbare in die Adria hineinragende Bergstock, der Apulien im Norden begrenzt; vgl. Lucans Beschreibung in 5,378–380. Vultur (1327 m) ist ein erloschener Vulkan, der westlich von Venusia im samnitischen Apennin liegt. Lucan verlegt den Berg nach Apulien, da der Berg von der apulischen Ebene her gut zu sehen ist und mit der Nennung der Samniten keine bukolischen Assoziationen, sondern die Erinnerung an die Demütigung der Römer bei den Caudinischen Pässen verbunden ist (vgl. Lucan 2,136–137). Auch Horaz, der es besser wissen muß, zieht es vor, den Berg und seine Kindheit nach Apulien zu verlegen (carm. 3,4,9). Es ist ungenau, arva und buceta zu parallelisieren (vgl. zu 183–184), doch ist der Dichter nicht an landwirtschaftlicher Detailtreue interessiert. Die Lage des Matinus ist umstritten. NISBET/HUBBARD (zu Hor. carm. 1,28,3) zeigen, daß die herkömmliche Lokalisierung in der Nähe des Garganus (nach Plin. nat. 3,105) nicht stichhaltig ist, und vermuten nach Hor. carm. 1,28,3; 4,2,27; epod. 16,28, den unklaren Angaben der Horazscholien und diesem Gleichnis Lucans, das nur sinnvoll ist, wenn die genannten Berge eine von Norden nach Süden verlaufende Kette bilden, es handele sich um einen Berg / eine Hochebene in der Nähe Tarents. Bucetum (Wortbildung ungeklärt; evtl. durch falsche Suffixabtrennung nach fruticetum/ilicetum; vgl. WALDE /H OFMANN s.v.) ist ein sonst nur Varro ling. 5,164; Gell. 11,1,1; Sidon. epist. 2,2,14 (Nachahmung Lucans) belegter t.t. Calidus bezeichnet Gegenden warmen Klimas; vgl. 1,54; 2,586–587; Vitr. 1,4,4; 6,3,3; Pall. 12,7,9; Sen. dial. 4,19,1: Inde (entspre-
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chend der Verteilung der vier Elemente) quasdam umidas vocamus aridasque regiones et calidas et frigidas. 2.4.2. Catos Leichenrede auf Pompeius (9,186–214) 186–214: Während das Volk seinem Zorn über den Tod des geliebten Feldherrn in Schmähungen und Vorwürfen gegen die Götter Luft macht, würdigt Cato Pompeius’ Leistungen in einer überlegten und ausgewogenen Leichenrede (186–189). In einer Zeit des Rechtsverfalls nutzte Pompeius seine überragende Machtstellung nicht dazu aus, die Verfassung außer Kraft zu setzen und eine Diktatur zu errichten. Er blieb stets ein loyaler Bürger des republikanischen Rom (190–196). Kommandogewalten, die ihm übertragen wurden, legte er nach Ablauf des Mandats nieder; sein Privatleben war untadelig. Bei den unterworfenen Völkern genießt er hohes Ansehen, in Rom weiß man um seine Verdienste für den Staat (197–203). Bereits mit Marius und Sulla ist die Phase uneingeschränkter republikanischer Freiheit zu Ende gegangen; nach Pompeius’ Tod beginnt die Tyrannei (204–207). Ptolemaios’ Verbrechen hat Pompeius davor bewahrt, durch Caesars Gnade erniedrigt zu werden (208–211). Cato ist damit einverstanden, von Juba auf dieselbe Weise enthauptet zu werden, gesetzt den Fall, Caesar fällt nur noch der kopflose Rumpf in die Hände. 186–189: Eine aufwendige Redeeinleitung schafft den angemessenen Rahmen für Pompeius’ abschließende Würdigung. Philosophisch und religiös konnotiertes Vokabular charakterisiert Catos Rede als unparteilich und wahrhaftig. Die Ankündigung von pauca (…) verba stimmt den Leser ein auf den erhabenen und monumentalen Stil der Grabrede, in der Cato in kurzen asyndetischen Kola Pompeius’ Leistung apodiktisch beurteilt. 186. ad Magni … umbras: bildet mit 216–217 einen Rahmen um die Cato-Rede. Zur Art und Weise, in der Lucan bemüht ist, Pompeius’ Präsenz am BC über sein Ableben hinaus zu sichern, vgl. zu 17–18. 187–188. omne quod in superos audet convicia vulgus / Pompeiumque deis obicit: Die Schilderung vom Tode des Germanicus, die Lucan für diesen Abschnitt als literarisches Muster zugrundegelegt hat, enthielt vermutlich auch eine Notiz über die Zornesausbrüche der Plebs gegen die Götter, wie sie Suet. Cal. 5 überliefert: quo defunctus est die, lapidata sunt templa, subversae deum arae, Lares quibusdam familiares in publicum abiecti, partus coniugum expositi. Solche spontanen Unmutsäußerungen über die Willkür
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der Götter, die häufig die Guten zu benachteiligen und die Schlechten zu fördern schienen, waren in der Antike nicht ungewöhnlich. Hinter ihnen verbirgt sich keine grundsätzliche Religionskritik, sondern sie sind eher Zeugnis für das enge affektive Verhältnis zwischen den Teilnehmern am Kult und der um Beistand gebetenen Gottheit; vgl. zu 62; VERSNEL 1980 (zu Suet. Cal. 5.); VERSNEL 1981, 37–42. Lucan hat vom Motiv des Zornes des Volkes über die ungerechte Behandlung seines Lieblings Pompeius durch die Götter bereits in 7,724–725 und 8,147–148 Gebrauch gemacht. Es ist überraschend, daß er an dieser Stelle die Empörung des Volks gegenüber der Rede Catos stark abwertet. Inhaltlich kann das negative Urteil nicht begründet sein, denn in 5,59; 7,798–799; 8,55. 799–800 macht er selbst die Ermordung des Pompeius den Göttern zum Vorwurf (zu Lucans insgesamt polemischer Darstellung der Götter / des Fatums vgl. zu 143–145); Catos Rede unterscheidet sich aber durch ihre Rationalität von der wirren affektischen Reaktion des Volkes; statt sich in müßigen Klagen zu ergehen, plant er die Fortsetzung des Kampfes und fordert das Schicksal heraus (vgl. 213–214). Convicia (von Kritik an Göttern auch in 7,725) sind unüberlegte, lautstark und im Affekt vorgebrachte Schmähungen, die vernünftige Menschen gar nicht ernst nehmen; vgl. Sen. dial. 2,11,3. 13,2. 188–189. pauca Catonis / verba: Zwei meist in philosophischen Kontexten begegnende antithetische Denkfiguren sind an dieser Stelle von Lucan verwendet worden: 1. Wenige Worte (Gegensatz: convicia) sind ein Garant für Wahrheit; vgl. Sall. Catil. 4,3; 38,3; Tert. anim. 2,7: Christiano (…) paucis ad scientiam huius rei opus est, nam (…) certa semper in paucis. 2. Die wenigen sapientes sind gegenüber der Masse im Recht; vgl. Non. p. 519,1 M (= 835–836 LINDSAY): veterum memorabilis scientia paucorum numerum pro bonis ponebat; multos contra malos appellabant; Ter. Eun. 1; Accius Tereus 647 (RIBBECK); Epinausimache 314 (RIBBECK); Lucil. 462 (MARX ); Cic. rep. 1,51; 4,8; 6,1; Don. Ter. Eun. 409,1; Ausnahme Cic. orat. 13: eloquentia (…) spreta a philosophis (…) iactationem habuit in populo nec paucorum iudicium reprehensionemque pertimuit; alle Belege aus ThLL X 1,804,4–15 (GATTI). Zur Antithese einer – viele vgl. auch Lucan. 5,335–343; 6,418–420; 9,574–579. 189. a pleno … pectore veri: Cato, der entschiedene Republikaner und stoische Philosoph, wird zu einem göttlich inspirierten Medium einer Orakelstätte stilisiert; vgl. 5,198–203. 221–224: immisit Stygiam Paean in viscera Lethen, / quae raperet secreta deum. tum pectore verum / fugit et ad Phoebi
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Tripodas rediere futura / vixque refecta cadit (sc. Pythia). Der Vergleich eines Philosophen mit einem Orakel ist traditionell; vgl. Cic. fin. 5,79; Val. Max. 7,2 ext. 1; Quint. inst. 10,1,81: mihi non hominis ingenio, sed quodam Delphico videatur oraculo dei instinctus (sc. Plato). In 9,511–586, dem Besuch beim Ammonsorakel, läßt Lucan Cato ausführlich zum Wert von Orakeln Stellung nehmen. Cato weist Lentulus’ Vorschlag ab, den Gott nach der Zukunft und dem richtigen Verhalten (9,563: quaere quid est virtus et posce exemplar honesti) zu fragen; als Stoiker verfügt er auch ohne göttliche Inspiration über ethisches Wissen. Plenus steht ursprünglich mit dem Genitiv; dichterisch wird es seit Catull. 89,3; Lucr. 6,269 wegen der metrisch bequemeren Pluralformen auch mit dem Ablativ gebraucht; vgl. LHS 77. Bei Lucan ist der Ablativ die Regel; vgl. 1,377. 509. 568. 675; 2,683; 5,186; 6,105. 708; 7,740; 8,752. 787. 800. 817; 9,396. 564. 1007; 10,139. Der Genitiv wird nur in 3,9 (zur Vermeidung der Elision) und hier (zur Vermeidung syntaktischer Unklarheit) verwendet. 190–214: Im ersten Teil der Rede (190–203) würdigt Cato die Leistung des Staatsmannes Pompeius. Cato orientiert sich zwar an den von der Theorie vorgegebenen loci der Lobrede und deren Reihenfolge (vgl. 190–191; 201–203; Quint. inst. 5,10,23–31; Plin. nat. 7,139–140; Prisc. rhet. 7; Men. Rhet. 420,10–15), es fällt jedoch auf, daß er von der Darstellung der gesta (drei Triumphe!) absieht, die üblicherweise das Kernstück eines Epitaphs sind. Anstatt die verschiedenen Aspekte der Persönlichkeit des berühmten Feldherrn und dessen außenpolitische Erfolge ins rechte Licht zu setzen, beschreibt Cato fast ausschließlich das Verhältnis des Politikers Pompeius zur republikanischen Verfassung. Diese Verengung der Perspektive ist typisch für Lucans Cato, dessen hervorstechende Merkmale das entschlossene Eintreten für den freiheitlichen republikanischen Rechtsstaat (vgl. 2,303–304. 316) und eine rigide Selbstlosigkeit (2,391–392; 9,28–30) sind. Wie die Hochzeitsszene zeigt (2,326–371), ordnet Cato auch sein Privatleben strikt dem Staatswohl unter und versucht so zu leben, als ob er zum Nutzen des Vaterlandes und der gesamten Menschheit geboren sei (2,382–383). Pompeius hat die Verfassung nicht in demselben Maß respektiert wie die Römer früherer Zeiten, allerdings gesteht Cato ihm zu, daß er sich vorteilhaft von seinen Zeitgenossen darin unterschied, daß er den Staat als eine vorgeordnete Größe akzeptierte, obwohl das Volk bereit war, ihm zu dienen, und er die Machtmittel besessen hätte, eine Tyrannei zu errichten.
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Das abschließende Urteil ist jedoch kühl (202–203): Die Verehrung der ausländischen Völker für Pompeius teilt er nicht; Pompeius hat jedoch Rom in schwerer Zeit Nutzen gebracht. Catos Urteil über Pompeius steht in Übereinstimmung mit dem Bild, das Lucan im BC von ihm entwirft. Pompeius nimmt eine Mittelstellung zwischen dem untadeligen Cato und dem skrupellosen Verbrecher Caesar ein. Nur in den Momenten der Niederlage, als Pompeius nach der Niederlage von Pharsalos vor Caesar flieht, dem es Vergnügen macht, Ströme von Bürgerblut fließen zu lassen, und als er dem heimtückischen Anschlag der Ägypter zum Opfer fällt, begegnet Lucan Pompeius mit einer gewissen Sympathie (7,677–727; 8,1–210. 610–872; 9,1–18), ohne jedoch eine grundsätzliche Revision des ambivalenten Pompeiusbildes zum Positiven hin anzustreben. Zu Pompeius vgl. auch zu 1–18. Während Cato im ersten Teil der Rede die Leistung des Staatsmanns Pompeius auf Grundlage seines Verhaltens vor Ausbruch des Bürgerkriegs würdigt, zeigt er im zweiten (204–214) aus der Perspektive des Historikers, welche Rolle er im Wandlungsprozeß der römischen Staatsform von der Republik zur Tyrannis innegehabt hat (204–207), gibt gemäß den Regeln stoischer ars moriendi eine moralische Bewertung seines unmittelbar zurückliegenden Todes im Vergleich zu den bei Pharsalos Gefallenen (208–211) und verkündet, er werde auch in Zukunft Caesar erbittert Widerstand leisten (212–214). Auch aus historischer und moralphilosophischer Perspektive nimmt Pompeius nach Cato jeweils die Mittelstellung zwischen den Polen Gut und Böse ein. Sein Regime bildet eine Übergangsphase zwischen der Epoche uneingeschränkter republikanischer Freiheit und dem Zeitalter rücksichtsloser Unterdrückung, die mit dem Sieg Caesars beginnt. Der Mordanschlag der Ägypter hat Pompeius zwar vor der Erniedrigung durch Caesars Gnade bewahrt, er ist aber längst nicht so ehrenvoll gestorben wie die Soldaten, die auf dem Schlachtfeld von Pharsalos nach Pompeius’ Flucht den Kampf gegen den Tyrannen Caesar fortsetzten und dort für die Freiheit gefallen sind. Das auffälligste und interessanteste interpretatorische Problem des Epitaphs sind die widersprüchlichen Aussagen Catos zum Verfall der republikanischen libertas. Dem Lob (192–193: salva / libertate potens), Pompeius habe trotz seiner überragenden Machtstellung die Freiheit der Mitbürger unangetastet gelassen, steht das kritische Urteil gegenüber, bereits unter Marius und Sulla sei die Freiheit zu einem leeren Wort verkommen, mit Pompeius’ Tod sei nicht mehr als eine Art „Pseudofreiheit“ unter-
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gegangen (204–206). Den umfassendsten Erklärungsversuch für die Inkohärenz innerhalb der Cato-Rede hat LE B E K unternommen (1976, 231–244). Er führt die Spannungen im Epitaph auf die Bemühungen Lucans zurück, Diskrepanzen des Pompeiusbildes im siebten Buch zu verwischen (LEBEK 1976, 243). Das Problem ist sowohl für die Interpretation des lucanischen Pompeius wie für die Gesamtdeutung des BC relevant; eine ausführliche Diskussion scheint daher gerechtfertigt. In überzeugenden Analysen der beiden Reden, mit denen Caesar (1,299–351) und Pompeius (2,531–595) zu Beginn des Bürgerkriegs ihre Soldaten für ihre Ziele einnehmen wollen, zeigt LEBEK, daß jeder der beiden Kontrahenten eine Alleinherrschaft anstrebt. Caesar versucht unter skrupellosem Einsatz aller Mittel, Pompeius zu stürzen (LEBEK 1976, 132–135. 234. 242), Pompeius trachtet danach, den gefährlichen Rivalen Caesar unter Wahrung der republikanischen Formen zu beseitigen und seine Vormachtstellung zu befestigen (LEBEK 1976, 190–195. 237–238. 242). Pompeius fehlt zwar das Dämonische und Verbrecherische der Caesargestalt, der Leser wird aber auch ihm mit großer Zurückhaltung gegenüberstehen. Beide Anführer beabsichtigen, eine Alleinherrschaft zu etablieren. Im siebten Buch jedoch hat sich Lucans Bewertung und Darstellung der Bürgerkriegsparteien gewandelt. LEBEK hat durch ausführliche Untersuchungen die bereits vor ihm in verschiedenen Modifikationen vertretene These (vgl. LEBEK 1976, 281 Anm. 3; MARTINDALE 1984, 64) plausibel gemacht, daß die Nachricht der Vacca-Vita (p. 335,24–25 H OSIUS), nach der Lucan drei Bücher, womit nur die ersten drei gemeint sein können (dies ist unumstritten; vgl. z.B. AHL 1971, 14–15), veröffentlicht hatte, bevor ihn Nero aus Dichterneid mit einem Publikationsverbot belegte (Tac. ann. 14,49,2; Cass. Dio 62,29,4; Vacca p. 335,19–336,2 HOSIUS), zuverlässig ist und für die Interpretation des BC genutzt werden kann; vgl. die Zusammenfassung der Argumentation in 279–284 (Kritik an der Annahme eines Bruchs im BC äußern, ohne hinreichende Textanalyse, G RIFFIN 1979; MARTINDALE 1984, 69–71). In den unvollendet gebliebenen postum veröffentlichten Büchern 4–10, an denen Lucan bis zu seinem erzwungenen Selbstmord nach Aufdeckung der pisonischen Verschwörung arbeitete (vgl. Vacca p. 336,12–17 HOSIUS ), kommt eine gewandelte Auffassung des Dichters zum Prinzipat zum Ausdruck. Daher finden sich erst ab Buch vier offene und versteckte Polemiken gegen das Kaiserhaus (offen zuerst in 4,821–824). Die Feindschaft mit Nero und die Ablehnung des Prinzipats führten zu einer Neubewertung des Bürgerkriegs und der Schlacht von Pharsalos. Aus der neuen Perspektive hat
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Caesars Sieg nicht mehr nur die vorübergehende Einrichtung einer Diktatur zur Folge, sondern den endgültigen Verlust der Freiheit; seine Nachfolger haben die Tyrannei bis in Lucans Zeit fortgeführt. Zu Recht macht LEBEK darauf aufmerksam, daß es für Lucan in dem Moment, in dem er Pharsalos darzustellen hatte – das Ereignis, das die Epochenwende von republikanischer Freiheit zur Knechtschaft des Prinzipats herbeiführte –, notwendig war, Pompeius und seine Truppen aus dem moralischen Zwielicht, in dem sie sich ebenso wie Caesar bis zu diesem Zeitpunkt befunden hatten, herauszunehmen und zu uneigennützigen Verteidigern der Freiheit zu machen. Nach LEBEK geschieht dies dadurch, daß Lucan für die Dauer der Schlacht die Pompeiusdarstellung ändert. Er läßt ihn in der adhortatio an die Soldaten vor der Schlacht (7,342–382) zeitweilig als glaubwürdigen Verfechter republikanischer Ideale auftreten, während das ursprüngliche Pompeiusbild wieder zum Tragen kommt, als Pompeius aus der Schlacht flieht (7,689–697). LEBEKs Deutung der zweiten Szene ist einleuchtend. Lucan läßt Pompeius, den Oberkommandierenden und potentiellen Nutznießer der Schlacht, fliehen, damit unmißverständlich deutlich wird, daß bei Pharsalos das römische Volk gegen Caesar um seine Freiheit kämpft (LEBEK 1976, 240–241); vgl. 7,689–697: fuge proelia dira / ac testare deos nullum, qui perstet in armis, / iam tibi, Magne mori. (…) Thessalicae post te pars maxima pugnae / non iam Pompei nomen populare per orbem / nec studium belli, sed par quod semper habemus, / Libertas et Caesar, erit; teque inde fugato / ostendit moriens sibi se pugnasse senatus. Nicht zutreffend ist jedoch LEBEK s Analyse der adhortatio (7,342–382; LEBEK 1976, 234–238). Entscheidend sind die von LEBEK nicht hinreichend in Betracht gezogenen Schlußverse. Pompeius fordert seine Soldaten auf, tapfer zu kämpfen, damit es ihm erspart bleibt, noch in hohem Alter das Knechtsein lernen zu müssen (7,379–382): Magnus, nisi vincitis, exul, / ludibrium soceri, vester pudor, ultima fata / deprecor ac turpes extremi cardinis annos, / ne discam servire senex. Diese Schlußmahnung spricht gegen die von LEBEK behauptete Aufwertung von Pompeius. Der Anführer der republikanischen Truppen zeigt sich an dieser Stelle vor allem um sein persönliches Wohl besorgt und deutet an, daß er im Fall einer Niederlage bereit wäre, unter der tyrannischen Herrschaft des Siegers zu leben. Nicht die Rolle des Pompeius hat sich im Verhältnis zu den ersten drei Büchern gewandelt, sondern die Rolle des Volks. Die Soldaten reagieren auf die eitel-ängstlichen Worte ihres Anführers entschlossen (7,382–384): tam maesta locuti / voce ducis flagrant animi, Romanaque virtus / erigitur, placuitque mori, si vera timeret. Ebenso wie 7,689–697 sind die namenlosen Soldaten unter Führung des Senats die
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Verteidiger der Freiheit; während sich Pompeius in Gedanken schon mit einem Sklavendasein vertraut gemacht hat, verkörpern sie die virtus Romana und wollen, anders als ihr Anführer, lieber sterben als sich unterordnen. Auf Pompeius’ erste Rede hatten sie unschlüssig und furchtsam reagiert (2,596–600), hier sind sie mutiger und tatkräftiger als der Feldherr selbst. Versteckt setzt sich die Aufwertung der Soldaten im neunten Buch fort. In 179–180 werden für die Gefallenen von Pharsalos symbolische Scheiterhaufen errichtet. Diese Verse sind von Lucan pointiert gegen den Erzählduktus, der eine Ehrung Pompeius erwarten läßt, eingeführt worden. Die Soldaten, die ihnen die letzte Ehre erweisen, sind für Lucan die Inkarnation römischer pietas. Auch im Epitaph auf Pompeius gedenkt Cato der namenlosen Toten. Er stuft ihren Tod höher ein als den des Pompeius (208–211). Von diesen Stellen fällt auch ein neues Licht auf das Problem der politischen Einstellung Lucans. LEBEK (1976, 282–283) spricht sich gegen die ältere Auffassung (z.B. PFLIGERSDORFFER 1959) aus, das BC als ein Programmgedicht des republikanischen Widerstands zu lesen. 1. Die pisonische Verschwörung habe zum Ziel gehabt, einen schlechten Princeps (Nero) durch einen besseren (Piso) zu ersetzen. Nach Tac. ann. 15,52,3 wurde einer der Verschwörer sogar wegen republikanischer Ansichten ausgeschlossen. 2. Nach den biographischen und historiographischen Quellen hat sich Lucan aus gekränktem Dichterehrgeiz den Verschwörern angeschlossen; vgl. Tac. ann. 15,49,3: et Lucanus Annaeus Plautiusque Lateranus consul designatus vivida odia intulere. Lucanum propriae causae accendebant, quod famam carminum eius premebat Nero prohibueratque ostentare, vanus adsimulatione: Lateranum consulem designatum nulla iniuria, sed amor rei publicae sociavit. 3. Literarische Klagen über den Verlust der republikanischen Freiheit in der Kaiserzeit müssen nicht bedeuten, daß der Autor den Prinzipat nicht als geschichtliche Notwendigkeit empfindet (vgl. Sen. clem. 1,4,2–3). Es ist zutreffend, daß sich dem BC nicht sicher entnehmen läßt, welche politischen Vorstellungen Lucan für realisierbar gehalten hat. Die von LEBEK jedoch vorgeschlagene strikte Trennung zwischen dem epischen Erzähler, der sich die Republik zurückwünscht, und dem Menschen Lucan, den ausschließlich verletzter Dichterstolz bewegt und der sich an Nero rächt, indem er den Prinzipat kritisiert, ohne zu beabsichtigen, daß seine Kritik als politisches Programm gelesen wird, ist jedoch wenig überzeugend. Die biographischen Quellen wissen zwar um das Zerwürfnis mit Nero und führen Lucans Beitritt zur pisonischen Verschwörung zutreffend darauf zurück, doch schließen sie keineswegs aus, daß Lucan seine politischen Ansichten nach dem Bruch mit Nero grund-
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legend gewandelt habe und ein anderes Ziel als seine Mitverschwörer verfolgt habe. Nirgends im BC deutet er an, daß er sich eine Besserung der Lage Roms von einem neuem Princeps erhoffe; stattdessen schafft er mit Cato eine Gestalt, die vollkommen uneigennützig handelt und sich streng an die republikanische Verfassung hält (vgl. 9,21–30). Auch das an mehreren Stellen versteckt angebrachte Lob der bei Pharsalos gefallenen Soldaten, das weder mit dem Stoff vorgegeben noch von der Logik der Erzählung gefordert wird, läßt sich am besten als Einsprengsel eines politischen Programms deuten. Eine republikanische Gesinnung ist wohl auch die beste Erklärung für die bemerkenswerte Abweichung von der antiken literarischen Tradition, daß die anonyme Masse ihren Anführer übertrifft und vom Dichter als Verkörperung von Romana virtus (7,383) und pietas (9,180) dargestellt wird. Zu Lucans politischer Einstellung insgesamt vgl. die kritische und differenzierte Untersuchung MARTINDALES (1984). Nicht überzeugen kann daher LEBEKs Versuch, die widersprüchlichen Aussagen über die libertas innerhalb der Cato-Rede dadurch zu erklären, daß hinter der Aussage, die Freiheit sei bereits mit Marius und Sulla verlorengegangen, Lucans ursprüngliche Konzeption eines verdeckt tyrannischen Pompeius stehe, während 192–193 (salva / libertate potens) ein Reflex seiner vorübergehend positiven Rolle im Kampf bei Pharsalos sei. Es liegt näher, die voneinander differierenden Aussagen über Pompeius’ Verhältnis zur Freiheit auf die Änderung der Sprecherperspektive innerhalb der Rede zurückzuführen. Anders als LEBEK, der nach 207 einen Einschnitt setzt, läßt man den ersten Teil der Rede am besten mit der Würdigung in 202–203 enden. Das Lob in 192–193 resultiert dann aus der Pflicht des Leichenredners, die Vorzüge des Toten in ein möglichst positives Licht zu setzen. Im zweiten Teil der Rede gibt Cato dagegen aus größerer Distanz einen Überblick über den Verfall der republikanischen Verfassung und urteilt daher realistischer über Pompeius’ Rolle. Cato ist zwar das „Sprachrohr“ des Dichters, doch achtet Lucan bei allen Redenden sorgfältig darauf, die Worte dem Sprecher und der jeweiligen Redesituation anzupassen. In der Auseinandersetzung mit den meuternden Soldaten läßt er Cato noch weit schärfer über Pompeius urteilen (9,263–264): potuit vestro Pompeius abuti / sanguine. Eine kohärente Ethopoiie wird dadurch nicht in Frage gestellt, sondern eher gefördert. Zu Catos Epitaph insgesamt vgl. auch die Analysen bei TASLER 1972, 170–177 und KIERDORF 1979.
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190. civis obit: eine ambivalente Überschrift: Einen dreimaligen Triumphator zu ehren, indem man feststellt, er sei ein Bürger wie andere auch gewesen, ist eine Provokation; es bedeutet jedoch ein hohes Lob, im Zerfallsprozeß der Republik und dem darauffolgenden nefas des Bürgerkriegs die Grenzen der Verfassung nicht überschritten zu haben. Die folgenden Antithesen explizieren die Überschrift; trotz einer herausragenden Machtstellung hat Pompeius den Rechtsstaat nicht außer Kraft gesetzt. Mit Hilfe des emphatisch verwendeten Begriffs civis verdeutlicht Lucan mehrfach an zentralen Stellen den Unterschied zwischen Pompeius und Caesar. Pompeius ist sich seiner singulären Stellung bewußt, betont jedoch, sie rechtmäßig, ohne die Freiheit des Volks eingeschränkt zu haben, erlangt zu haben (2,562–563): quo potuit civem populus perducere liber / ascendi, supraque nihil nisi regna reliqui. Caesar legt es dagegen darauf an, ohne Rücksicht auf seine Mitbürger die republikanische Ordnung zu zerstören (2,446): concessa pudet ire via civemque videri; vgl. 7,564–565. 802–803. Während sich Caesar in den Reden bemüht, verbindlich aufzutreten (vgl. 7,264–269. 319), bekennen sich seine Soldaten offen zu ihrer Skrupellosigkeit (1,373–374): nec civis meus est, in quem tua classica, Caesar, / audiero; vgl. auch 1,279. 190–191. multum maioribus impar / nosse modum iuris: Angabe der Abstammung und Vergleich mit den Vorfahren steht üblicherweise am Beginn einer laudatio funebris; vgl. Caesar frg. 121 p. 390 (MALCOVATI). Durch Enjambement und Erweiterung der Konstruktion von impar (mit Inf. zuvor nur Gratt. 61; vgl. ThLL VII 1,520,61–63 [LABHARDT]) pointiert Lucan die Aussage: An Taten steht Pompeius seinen Vorfahren selbstverständlich in nichts nach, sondern an freiwilliger Selbstbeschränkung. Die Maßlosigkeit von Pompeius’ Ambitionen bestätigt Cato (2,320–323): nec, si Fortuna favebit, / hunc quoque totius sibi ius promittere mundi / non bene compertum est: ideo me milite vincat / ne sibi se vicisse putet. Ius und nefas sind häufig analysierte Zentralbegriffe des BC; für eine neuere Untersuchung vgl. DI MARTINO 1991. 191–192. sed in hoc tamen utilis aevo, / cui non ulla fuit iusti reverentia: In 1,158–182 analysiert Lucan die gesellschaftlichen Verhältnisse der ausgehenden Republik, die wesentlich zum Ausbruch des Bürgerkriegs beigetragen haben. Die Komposition dieses Abschnitts untersucht LEBEK (1976, 50–54); er zeigt, daß Lucan eine stringente Kausalkette entwirft und
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seine Quelle (wahrscheinlich Livius 109) mit historischem Einfühlungsvermögen eigenständig verarbeitet. Der Reichtum, der aus den eroberten Ländern nach Rom gelangte, verursachte einen allgemeinen Verfall der Sitten (158–170); besonders schwerwiegend war es, daß auch das Unrechtsbewußtsein verlorenging (1,175–176: mensuraque iuris / vis erat). Konsuln und Volkstribunen erzwangen Gesetze und Plebiszite, das Volk ließ sich bei Wahlen bestechen (1,178–180). Vielen Leuten schien ein Krieg willkommen, um ihre zerrütteten finanziellen Verhältnisse zu sanieren (181–182). Reverentia, „ehrfürchtige Scheu“ (nur hier bei Lucan), ist ein feierliches und seltenes Wort, passend zur Sublimität der Leichenrede; zur Geschichte des Worts, das, abgesehen von Ovid (9 Belege), erst von Plinius min. (18 Belege) und Tacitus (31 Belege) regelmäßig verwendet wird, vgl. VAUBEL 1969, 174. Zu Pompeius’ Nützlichkeit für Rom vgl. zu 203. 192–193. salva / libertate potens: Dies entspricht Pompeius’ Selbstverständnis; vgl. 2,562–563 (zu 190 zitiert). 193–194. et solus plebe parata / privatus servire sibi: „und er blieb allein Privatmann, obwohl das Volk bereit war, ihm Knechtsdienst zu leisten“. Der Abl. abs. ist am besten konzessiv aufzulösen; er nennt einen Umstand, angesichts dessen Pompeius’ einzigartige Zurückhaltung besonders lobenswert erscheint. SHACKLETON BAILEY macht im App. zu Recht darauf aufmerksam, daß außer Pompeius die anderen führenden Politiker des ersten Jahrhunderts wie Marius, Sulla, Cinna und Caesar beim Volk nicht beliebt waren. Solus ist daher nicht durch primus (sc. dignitate) zu ersetzen. Vermutlich bilden die von Plutarch Pomp. 43 geschilderten Ereignisse den Hintergrund für Lucan 9,193–194. Bei Pompeius’ Rückkehr aus dem Osten kursierten in Rom Gerüchte, er wolle sein Heer gegen die Stadt führen, worauf Crassus in Panik geriet und aus Rom floh. Pompeius ließ jedoch die Gunst des Augenblicks verstreichen – er wollte die Verfassung nicht stürzen –, entließ seine Truppen und wurde von einer begeisterten Menschenmenge nach Rom geleitet, wo er einen ordnungsgemäßen Triumph feierte. 194–195. rectorque senatus, / sed regnantis, erat: Am Verhalten gegenüber dem Senat manifestieren sich die Unterschiede zwischen Pom-
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peius und Caesar. Pompeius wird von den geflohenen Senatoren in Epirus offiziell zum Oberbefehlshaber eingesetzt (5,47–49), er läßt sich von der Volksversammlung gegen besseres Wissen zur Entscheidungsschlacht drängen (7,79–80. 87–90) und fügt sich der mehrheitlich getroffenen Entscheidung, entgegen seinem Vorschlag, zu den Parthern zu fliehen, in Ägypten um Aufnahme nachzusuchen (8,453–455). Caesar kümmert sich dagegen nicht um die Wahrung republikanischer Formen, erzwingt während seiner Aufenthalte in Rom Beschlüsse zu seinen Gunsten (3,103–112) und läßt sich zum Konsul wählen (5,381–384. 663). Pompeius’ Wille, sich innerhalb der Grenzen der Verfassung zu bewegen, ist gepaart mit Schwäche und Erfolglosigkeit, Caesars Skrupellosigkeit setzt sich durch. Zur Rolle des Senats im BC vgl. VIANSINO 1974, 106–109. Der Begriff des rector rei publicae ist von Cicero in De re publica eingeführt und geprägt worden. Er versteht darunter den mit Kompetenz und moralischer Autorität ausgestatteten Alleinherrscher, der die bedrohte Mischverfassung Roms vor dem Verfall bewahrt und uneigennützig das Staatswohl mehrt; vgl. Cic. rep. 2,51: sit huic (sc. tyranno) oppositus alter, bonus et sapiens et peritus utilitatis dignitatisque civilis, quasi tutor et procurator rei publicae, sic enim appellatur quicumque erit rector et gubernator civitatis. quem virum facile ut agnoscatis; iste est enim qui consilio et opera civitatem tueri potest. Cicero hat diese Konzeption eventuell mit Blick auf Pompeius entworfen, der 52 v. Chr. consul sine collega war. Zur Ciceroforschung vgl. SCHMIDT 1973, 323–332. Lucan verwendet diesen feierlichen Begriff von Pompeius ebenfalls in 7,85 (unmittelbar nach Ciceros Aufforderung, die Entscheidung im Kampf zu suchen; wohl eine bewußte Bezugnahme auf den ciceronianischen Begriff; vgl. MARTINDALE 1984, 72 Anm. 47), daneben aber auch von Caesar (1,359; 5,698), Ionos, dem König Thessaliens (6,402), Iuppiter (2,4; 5,260. 626), Neptun (4,111), Hades (6,697). Die Paronomasie rector – regnantis unterstreicht ebenso die Antithese, wie sie die beiden Sätze auch verbindet. 195–196. nil belli iure poposcit / quaeque dari voluit, voluit sibi posse negari: Cato ist in dieser Rede bestrebt, die Eigenart des ambivalenten pompeianischen Regimes herauszuarbeiten, das durch Festhalten an den traditionellen Formen und latenten Drohungen von seiten des Herrschenden und durch freiwilliges Entgegenkommen ohne die Bereitschaft, sich völlig auszuliefern, von seiten der Untertanen bestimmt ist. Er verzichtet daher auf die Darstellung von Pompeius’ positiven Leistungen, läßt aber auch Rechtsbeugungen, derer sich Pompeius schuldig gemacht
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hat, unter den Tisch fallen. Im Jahr 53 v. Chr. als consul sine collega zur Erhaltung der staatlichen Ordnung gewählt, erließ Pompeius Gesetze de vi und de ambitu, gegen die er selbst wenig später eklatant verstieß. Er ließ seine bewaffneten Banden beim Prozeß gegen Milo aufmarschieren und verhinderte die Verurteilung seines Schwiegervaters Metellus Scipio wegen ambitus; vgl. Cic. Att. 8,3,3; Plut. Pomp. 55–56; App. civ. 2,23–24; und GELZER 1984, 145–153. Tacitus kritisiert daher Pompeius hart (Tac. ann. 3,28,1): Cn. Pompeius, tertium consul corrigendis moribus delectus et gravior remediis quam delicta erant, suorumque legum auctor idem ac subversor, quae armis tuebatur, armis amisit; vgl. auch Vell. 2,29,3: potentia sua numquam aut raro ad impotentiam usus. Wie sich aus Caesars Polemik gegen die Beeinflussung des MiloProzesses ergibt (1,319–323), sind diese Fakten wenigstens teilweise auch Lucan bekannt. Lucans Formulierung verrät das am Prinzipat geschulte Gespür eines Autors der Kaiserzeit für subtile Formen der Machtausübung. In 3,145–150, den zynischen Darlegungen Cottas, mit denen er Metellus überredet, Caesar den Zugang zum Saturntempel freizugeben, beleuchtet Lucan das Verhältnis zwischen Alleinherrscher und Untergebenen in einer den Verhältnissen des Prinzipats vergleichbaren Situation aus der Perspektive des Befehlsempfängers. Er hat die Wahl, die Anträge des Herrschers durch seine Zustimmung zu legitimieren oder Widerstand zu leisten. Im ersten Fall akzeptiert er die Aushöhlung der republikanischen Institutionen und trägt dazu bei, die unrechtmäßige Regierung zu stabilisieren, im zweiten riskiert er den Verfall der Staatsform zur offenen Tyrannei (3,145–150): libertas (…) populi, quem regna coercent / libertate perit; cuius servaveris umbram, / si quidquid iubeare velis. tot rebus iniquis / paruimus victi; venia est haec sola pudoris / degenerisque metus, nullam (v.l. nil; vgl. zum Text HOUSMAN) potuisse negari. Als Beleg dafür, daß auch die Kaiser, weil sie den Anschein der Tyrannei vermeiden wollten, den Senat nicht zu einer bloßen Legitimationsmaschine machen wollten, vgl. Tac. ann. 3,65,2–3 (die Senatoren überbieten sich in willfährigen Anträgen, um Tiberius’ Gunst zu gewinnen): memoriae proditur Tiberium, quotiens curia egrederetur, Graecis verbis in hunc modum eloqui solitum „o homines ad servitutem paratos!“ scilicet etiam illum, qui libertatem publicam nollet, tam proiectae servientium patientiae taedebat. Die Polemik der kaiserzeitlichen, der Senatsaristokratie zugehörigen Schriftsteller gegen die Bevormundung des Senats durch den Princeps (in Lucan am deutlichsten in 5,385–402) neigt allerdings dazu, die Mitarbeit des Senats aus Unwillen über den Verlust der alleinigen Entscheidungs-
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kompetenz herunterzuspielen. TALBERT (1984) zeigt, daß der Senat wichtige Funktionen erfüllt hat und häufig ein echter Partner des Kaisers gewesen ist. 197–198. immodicas possedit opes, sed plura retentis / intulit: sc. aerario; retentis ist Abl. comp. Lucan bezieht sich hier auf die bedeutenden Reichtümer, die Pompeius durch seine Eroberungen im Osten für die römische Staatskasse erworben hat. Plut. Pomp. 45,3 beziffert die Beute auf 20 000 Talente in Gold und Münzen; die Zeugnisse zu den Beutegütern, die Pompeius mit nach Rom brachte, hat HUNINK zu 3,165 zusammengestellt. Caesar plündert dagegen den Saturntempel und läßt die Schätze, die das römische Volk seit den punischen Kriegen dort gehortet hat, seiner Kriegskasse zugute kommen. Er wird dadurch reicher als der Staat (3,167–168): tristi spoliantur templa rapina / pauperiorque fuit tum primum Caesare Roma. Inferre im Sinn von „einzahlen“ ist ein fast ausschließlich bei Juristen belegter t.t., der sich in der Poesie sonst nur bei Sedul. op. pasch. 3,26 p. 252,5 findet; vgl. ThLL VII 1,1376,42–1377,47 (HOFMANN). 198. invasit ferrum, sed ponere norat: eine Variation der Urteile Senecas über Sulla (dial. 6,12,6: Sed istud inter res nondum iudicatas abeat, qualis Sulla fuerit – etiam inimici fatebuntur bene illum arma sumpsisse, bene posuisse) und Caesar (benef. 5,16,4: gladium cito condidit, numquam posuit). Die Bedeutung „an sich reißen“ für invadere ist von den Annaei geprägt worden. ThLL VII 2,1,113,14–60 (MÜHMELT/HILTBRUNNER) nennt als erste Belege Sen. contr. 1,6,2; Sen. epist. 19,3; 82,19; 108,2; nat. 2,5,2; (Ps.-)Sen. Herc. O. 1723; Lucan. 1,242; 9,410. 199: Chiastische Stellung der Verben, Alliteration, durch Versictus gestützte Assonanz auf ‚a’ und Paronomasie verleihen dem Vers einen feierlich-erhabenen Klang. praetulit arma togae: eine Umkehrung des ciceronianischen cedant arma togae (Cic. poet. frg. 16 Traglia = frg. 6 Soubiran; auch verwendet in 8,813–814; ähnlich 9,229). Narducci (1982) macht wahrscheinlich, daß Lucan von der in De divinatione überlieferten Passage aus De consulatu suo Gebrauch gemacht hat (= frg. 2 Soubiran; Liste unheilvoller Vorzeichen, die sich vor der catilinarischen Verschwörung ereignet haben sol-
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len). Vgl. Lucan. 1,471 ≈ Cic. v. 20; 550 ≈ 14. 17; 564 ≈ 28; 5,297 ≈ 68; 7,261–262 ≈ 64. Benutzung ciceronianischer Wendungen auch in 10,21 (vgl. nat. deor. 3,83) und 9,165 (vgl. Cic. Manil. 21). sed pacem armatus amavit: eine Variation des häufig in sprichwörtlichen Wendungen begegnenden Paradox des „bewaffneten Friedens“; vgl. Hor. sat. 2,2,111: in pace ut sapiens aptarit idonea bello; OT T O (Nachträge), 140. 233 und (nicht antik) si vis pacem, para bellum. 200. iuvit sumpta ducem, iuvit dimissa potestas: Der Vers geht wohl auf die Propaganda des historischen Pompeius selbst zurück; vgl. Plut. Pomp. 54,1 und Lucans Epitaph in 8,813–815: dic semper ab armis / civilem repetisse togam, ter curribus actis / contentum multos patriae donasse triumphos. 200–201. casta domus luxuque carens corruptaque numquam / fortuna domini: Diese Angaben stimmen mit dem Zeugnis Plutarchs überein, der Pompeius mehrfach dafür lobt, seinen Sexualtrieb sinnvoll zu kontrollieren (Plut. Pomp. 2,5–10; 18,3; 36,3), und vor allem den ungewöhnlich liebevollen Umgang mit seinen Ehefrauen hervorhebt (53,1–2). Auch rühmt er maßvolle Lebensführung und strenges Pflichtbewußtsein, das ihn davon abhält, sich persönlich zu bereichern (1,4; 2,11–12; 18,3; 36,9–10). In Übereinstimmung mit der Darstellung der Plutarch-Vita gestaltet Lucan in 5,722–815 eine wegen ihrer Intimität und Zärtlichkeit in der epischen Tradition einzigartige Abschiedsszene zwischen Cornelia und Pompeius. Im Ehebett teilt Pompeius seiner Frau weinend mit, er wolle sie zu ihrem Schutz nach Lesbos schicken; Cornelia sträubt sich darauf heftig, verliert die Besinnung und vermißt in der nächsten Nacht den Gatten an ihrer Seite. Pompeius erhält so ein für eine epische Figur ungewöhnlich unheroisches Antlitz; der moderne Leser steht ihm mit Sympathie gegenüber. Lucan spart jedoch, ebenso wie Plutarch (Pomp. 2,5–10; 53,1–2), nicht mit Kritik. Ein Staatsmann kann sich sentimentales Verhalten nicht leisten; vgl. 5,727–729: Heu, quantum mentes dominatur in aequas / iusta Venus! dubium trepidumque ad proelia, Magne / te quoque fecit amor; 7,675–677 (Pompeius flieht aus Pharsalos): sed tu quoque, coniunx, / causa fugae voltusque tui fatisque negatum / te non teste mori. Als Gegenbild ist in 2,326–391 die asketische Hochzeit von Cato und Marcia gestaltet. Cato heiratet erneut seine ehemalige Frau, die Witwe des Hortensius, um ihr seinen Schutz zukommen zu lassen, doch vergißt er keinen Augenblick die Notsituation des Staates und verzichtet daher auf den Vollzug der Ehe. Zur Literatur
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zu Pompeius und Cornelia bei Lucan vgl. zu 51; die stoisch-asketische Hochzeit zwischen Cato und Marcia untersucht Harich (1990). 202–203. clarum et venerabile nomen / gentibus et multum nostrae quod proderat urbi: „Sein Name ist den Völkern berühmt und verehrungswürdig und einer, der unserer Stadt viel nützte.“ In Relativsätzen, die an ein durch Adjektiv bestimmtes Substantiv ein zweites Attribut in Form eines Relativsatzes anfügen, steht gewöhnlich der Konjunktiv. Die Regel wird aber gelegentlich durchbrochen; vgl. K/ST 2,297. Lucan verwendet den Indikativ auch in 9,608. 766. Während Pompeius in der Völkerwelt hohes Ansehen genießt, kann ihm aus römischer Sicht nicht mehr als eine gewisse Nützlichkeit zugestanden werden. Er förderte Roms Aufstieg zur Weltmacht und bewahrte in den innenpolitischen Wirren des 1. Jahrhunderts v. Chr. den Staat vor völliger Zerrüttung (vgl. 191–192), doch gehört er aufgrund seiner latent monarchischen Ambitionen nicht in die Reihe der Helden der römischen Geschichte, die ohne Einschränkung Verehrung und Nachahmung verdient haben. Daß Cato in seiner Leichenrede den Gesichtspunkt der utilitas ins Spiel bringt, hat einen stark ernüchternden Effekt. Zu Pompeius’ Beliebtheit bei den von ihm unterworfenen Völkern vgl. zu 91–92. In der Gegenüberstellung von urbs/Roma und (omnes) gentes, die nach der endgültigen Etablierung römischer Vorherrschaft über den Mittelmeerraum in den Reden Ciceros (dom. 90: dominus regum, victor atque imperator omnium gentium; Planc. 11; Phil. 14,32) und bei Sallust (hist. 1,55,11 [or. Lep.]: gentium moderator) zuerst belegt ist, findet der römische Weltreichsgedanke Ausdruck. Anders als der Verwaltungsbegriff provincia, dichterisch metri causa ohnehin unüblich (nur 1,338; 10,52), erinnert der Begriff gentes daran, daß Roms Untertanen ein buntes Gemisch von Völkern unterschiedlicher Kulturen aus allen Teilen des orbis terrarum sind (vgl. den Schluß des Katalogs pompeianischer Truppen in 3,228–290: coiere nec umquam / tam variae cultu gentes, tam dissona vulgi / ora); 7,360–364; zur Begriffsgeschichte vgl. SHERWIN-WHITE 1973, 437–440. 204–205: olim vera fides Sulla Marioque receptis / libertatis obit: In 2,64–233 nimmt Lucan ausführlich auf den ersten römischen Bürgerkrieg Bezug. Als sich die Anzeichen für eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Caesar und Pompeius verdichten und in Rom lähmendes Entsetzen auslösen, erinnert sich ein anonymer Sprecher an die Zeit, in der zum letzten Mal eine solche Furcht geherrscht hat. Er ruft die Greueltaten
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von Marius (2,70–131) und Sulla (2,139–222) in Erinnerung und gibt eine düstere Prophezeiung, die sich mit der hier gegebenen Epochengliederung deckt. Marius und Sulla waren zufrieden, die jeweilige Gegenpartei zu vernichten, der Sieger aus dem Kampf zwischen Pompeius und Caesar wird eine dauerhafte Alleinherrschaft errichten (2,230–232): hos alio, Fortuna, vocas, olimque potentes / concurrunt. neuter civilia bella moveret, / contentus quo Sulla fuit; vgl. auch 4,821–824. In Übereinstimmung mit der historischen Tradition stellt Lucan Pompeius als Zögling Sullas dar, Caesar als Nachfolger des Marius (so Pompeius in 2,545–546). In den von Caesar erhobenen Vorwürfen, Pompeius sei ein Schlächter, der sein Handwerk bei Sulla gelernt habe (1,325–331; 7,307), referiert Lucan ein authentisches Stück caesarianischer Bürgerkriegspropaganda; vgl. Laffi 1967, 269–270. Der Vorwurf ist wahrscheinlich schon von Sertorius erhoben worden; vgl. Plut. Sert. 18,8. Lucan steht Marius und Sulla gleichermaßen ablehnend gegenüber; daran ändert nichts, daß er Sulla entsprechend seiner Verbindung zu Pompeius im Kreise der Helden der römischen Geschichte im Elysium über die Fortuna klagen läßt, die nicht mehr ihm und seinem Schützling, sondern Caesar gewogen ist (6,786–787: [sc. vidi] flentemque Camillum / et Curios, Sullam de te, Fortuna, querentem), während Marius zusammen mit anderen popularen Aufrührern im Tartarus über die Erfolge Caesars jubelt (6,794–795: abruptis Catilina minax fractisque catenis / exultat Mariique truces nudique Cethegi). Für das Bild Sullas in der Antike war es ausschlaggebend, daß er indirekt zweimal auf der Seite der Verlierer stand. Zur negativen Verzeichnung seines Bildes trug sowohl die caesarianische Propaganda nach dem Sieg über Pompeius bei, als auch die Polemik des Augustus, der nach Actium seine Mitschuld an den Proskriptionen des Jahres 43 v. Chr. vertuschen wollte und Antonius allein dafür verantwortlich machte, diese Erfindung Sullas zur Beseitigung politischer Gegner benutzt zu haben; vgl. L AFFI 1967; HINARD 1984; HURLET 1993, 14–22. Anders jedoch, als es die genannten Studien nahelegen, war das Bild Sullas als eines exemplum crudelitatis auch in nachaugusteischer Zeit noch nicht endgültig fixiert. Lucan zeigt am Anfang des zweiten Buches exakte Detailkenntnisse, Seneca (dial. 6,12,6; zitiert zu 198) bezeugt eine kontroverse Diskussion um die Leistungen Sullas in der frühen Kaiserzeit. Über Marius gab es in der Antike zwei unterschiedliche Traditionen. Der mariusfeindlichen Überlieferung der sullanischen Annalisten steht eine positive Darstellung gegenüber, die ihn zu einem Beispiel philosophi-
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scher Tugenden macht (Aufstieg aus einfachen Verhältnissen; Tatkraft; Stärke im Unglück). Vergil nennt ihn daher unter den Helden Italiens (georg. 2,167–170): haec (sc. Saturnia tellus) genus acre virum (…) extulit, haec Decios Marios magnosque Camillos, / Scipiades duros bello et te, maxime Caesar. Lucan blendet die mariusfreundliche Überlieferung vollständig aus; er ist im BC der Vorläufer Caesars; seine Greueltaten werden erzählt, um einen Vorgeschmack auf die Schrecken des zweiten Bürgerkriegs zu geben. Zum Mariusbild in der Antike und bei Lucan vgl. MO R F O R D 1966; zu M ORFORD s Vermutung, Lucan könne positive Details der sallustischen Mariusdarstellung auf Cato übertragen haben, vgl. zu 379–406. 205. Pompeio rebus adempto: „nachdem Pompeius der Geschichte durch den Tod entrissen wurde“. Adimere ist hapax legomenon bei Lucan; es paßt zum Stil der Grabrede; vgl. Catull. 67,20: o misero frater adempte mihi; 101,6; Ov. fast. 4,582; epist. 9,166: patriae frater adempte tuae. 207. nec color imperii nec frons erit ulla senatus: „denn man wird kein militärisches Kommando mehr vortäuschen oder sich hinter dem Senat verschanzen“ (LUCK ). Dieses Verständnis des Verses ist von HOUSMAN vorgeschlagen worden und hat gegenüber der älteren, sprachlich ebenfalls möglichen Auffassung, wie sie z.B. H ASKINS vertritt („nor there will be any decent veil for empire, nor any shame on the senate’s part“) den Vorteil, sich eng in den Kontext einzufügen. Pompeius’ pudor bestand darin, sich trotz tyrannischer Ambitionen als vom Senat eingesetzter Bewahrer der überkommenen Ordnung zu gerieren. Vgl. seine hohl klingenden Ausführungen in 2,531–533: o scelerum ultores melioraque signa secuti, / o vere Romana manus, quibus arma senatus / non privata dedit, votis deposcite pugnam. Imperii und senatus sind Gen. def.; für die Bedeutung von color vgl. Quint. inst. 11,1,49: necessarium periclitanti sollicitudinis colorem; Frontin. aqu. 105: ignorantiae colore (Belege bei HOUSMAN); frons bezeichnet häufig die für die (politische) Öffentlichkeit aufgesetzte Miene, hinter der man seine wahren Absichten verbirgt. Vgl. Cic. fin. 2,77: ut vestitum, sic sententiam habeas aliam domesticam, aliam forensem, ut in fronte ostentatio sit, intus veritas occultetur; Q. Cic. pet. 42: petitori vero necessaria est (sc. blanditia), cuius et frons et vultus et sermo ad eorum quoscumque convenerit sensum et voluntatem commutandus et accomodandus est; 46: sic homines fronte et oratione magis quam ipso beneficio reque capiuntur. 208–211: Gedankengang: Glücklich der, der im Moment der Niederlage starb; glücklich auch der, den die Ägypter töteten. Vielleicht hättest du im
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Reich Caesars dein Leben fristen können. Für Männer ist es das beste Los, sich aufs Sterben zu verstehen, das zweitbeste, zum Sterben gezwungen zu werden. Anders, als es die Übersetzungen vorschlagen, ist 208 nicht auf Pompeius, sondern auf die bei Pharsalos gefallenen Verteidiger römischer Freiheit zu beziehen. 1. Lucan zeichnet in 8,1–32 das Bild eines Mannes, der sich und seinen Ruhm überlebt hat. Es wäre für ihn besser gewesen, zu sterben, als das Schicksal ihn bei Pharsalos zu Fall brachte; vgl. 8,29–32: nisi summa dies cum fine bonorum / affuit et celeri praevertit tristia leto, / dedecori est fortuna prior. quisquamne secundis / tradere se fatis audet nisi morte parata? 2. Die Funktion des Verses 211 ist gemäß der herkömmlichen Auffassung der Stelle unklar; sind in 208 aber die Soldaten Pompeius’ gemeint, wird aus der allgemeinen Sentenz ein konkretes Urteil über Pompeius und seine Untergebenen. 208: LUCKs Übersetzung verdeutlicht die Schwierigkeiten, die entstehen, bezieht man diesen Vers auf Pompeius: „ein Glück, daß ihm die letzte Stunde kurz nach der Niederlage schlug“. Daß ein rechtzeitiger Tod vor vielen Übeln bewahren kann, ist ein häufig begegnender Topos. Seneca (dial. 6,20,2–6) nennt Pompeius, Cicero und Cato den Jüngeren als römische Exempla für Leute, für die es besser gewesen wäre, im Zenit ihres Erfolgs zu sterben. Nach Plutarch (Pomp. 46,2) wäre Pompeius ein demütigender Abstieg erspart geblieben, wenn er nach dem dritten Triumph verstorben wäre. Alexander ist von der Fortuna dadurch besonders ausgezeichnet worden, daß sie ihn auf der Höhe des Ruhms sterben ließ; vgl. Curt. 10,5,36: vitae quoque finem eundem illi quem gloriae statuit (sc. Fortuna). 210: eine plausible Vermutung: Caesar schenkt mehrfach geschlagenen Gegnern das Leben (2,505–525; 4,363–364; vgl. auch 7,318–319). Lucan sieht darin nicht den aufrichtigen Versuch, durch Amnestie (clementia) den durch Bürgerkrieg zerrütteten Staat zu konsolidieren, sondern eine bewußte Demütigung des Gegners, der unter der Herrschaft des verhaßten Tyrannen sein Leben fortsetzen muß und gegen seinen Willen zu einem lebenden Beispiel für dessen vermeintliche Milde gemacht wird (2,511–514): scit Caesar poenamque peti veniamque timeri. / „Vive, licet nolis, et nostro munere“ dixit / „cerne diem. victis iam spes bona partibus esto / exemplumque mei.“ Caesars Behauptung, er hätte sich gern mit Pompeius ausgesöhnt, um ihn zu einem gleichberechtigten Partner zu machen (9,1095–1104),
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entlarvt Lucan daher als Heuchelei (9,1038–1041. 1062–1063. 1099–1102). Er spricht dem Schicksal seinen Dank dafür aus, daß Rom die Schande, einen Pompeius zu sehen, der von Caesars Gnaden sein Leben fristen muß, erspart geblieben ist. Catos Vermutung erscheint auch angesichts Pompeius’ Charakterschwäche wahrscheinlich. In 7,379–382 deutet er an, sich ein Leben unter dem Tyrannen Caesar vorstellen zu können. Die Seeleute befürchten, als sie Pompeius in die ägyptische Barke steigen sehen, er könne sich Ptolemaios unterwerfen (8,592–595; vgl. auch 8,340–341), was ebenso für den römischen Freiheitssinn der Schiffsbesatzung wie gegen die Charakterfestigkeit ihres Kommandeurs spricht. 211: „Sterben zu wissen bedeutet für Männer den höchsten Rang, den das Schicksal verleihen kann, dazu gezwungen zu werden den zweithöchsten.“ Sors, hier im Sinn von „Lebenslos, die (vom Schicksal verliehene) Stellung/Rang“ (vgl. Liv. 22,29,9: nobis quoniam prima animi ingeniique negata sors est, secundam ac mediam teneamus), paßt nur zu cogi. Weil es keinen übergeordneten Begriff gibt, der das Gegensatzpaar freie Entscheidung (scire mori) – Zwang (cogi) in sich einschließt, läßt sich das Zeugma nicht umgehen. Die Sentenz gibt eine Rangfolge der Todesarten. Die Soldaten, die bei Pharsalos freiwillig für die republikanische Freiheit gefallen sind (7,382–384. 696–697), erhalten den Spitzenplatz. Pompeius ist wenigstens der Schmach einer Begnadigung entgangen. Die Persönlichkeit eines Menschen nach der Art, wie er gestorben ist, zu beurteilen entspricht dem stoisch beeinflußten Zeitgeschmack. Vgl. Sen. epist. 70,25: ille vir magnus est, qui mortem sibi non tantum imperavit, sed invenit. Aus Plin. epist. 5,5,3; 8,12,4–5 ist bekannt, daß in der Kaiserzeit eine antimonarchische, stoisch geprägte Gattung der Kleinliteratur („exitus illustrium virorum“; Plin. epist. 8,12,4) entstanden ist, die die Leistung und den unerschrockenen Tod der Senatoren und Adligen festhielt, die kaiserlicher Staatsraison zum Opfer gefallen waren und daher nicht öffentlich geehrt werden durften. Das Stilniveau dieser Flugschriften siedelt Plinius zwischen sermo und historia an (epist. 5,5,3). Lucan, dessen Epos vermutlich mit dem Heldentod des jüngeren Cato enden sollte, ist der künstlerisch herausragende Vertreter dieser Tradition. Es gab jedoch auch Kritik an den zumeist nach dem Vorbild des Sokrates (so Cato und Seneca; vgl. Plut. Cat. min. 68,2–70,4; Tac. ann. 15,60–64) bewußt im Blick auf das
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Urteil der Nachwelt in Szene gesetzten Selbstmorden; der sterbende Petron parodiert den Philosophentod (Tac. ann. 16,18–19), Tacitus polemisiert gegen nutzlose Selbstdarstellung (Agr. 42,4: in nullum rei publicae usum ambitiosa morte inclaruerunt). Zur Exitus-Literatur vgl. RONCONI 1966; die Gestaltung von Sterbeszenen in der kaiserzeitlichen Literatur untersucht SCHUNCK 1955. 212–214: Ebenso wie in 143–145 läßt Lucan eine wörtliche Rede in einer geschliffenen Sentenz enden. Cato kündigt an, Caesar bis zum Letzten Widerstand zu leisten. Der kopflose, nicht mehr zu identifizierende Rumpf nimmt dem Sieger die Möglichkeit, sich am Anblick des Unterlegenen zu vergnügen (vgl. zu 143), und zeigt, daß der Tote sich einen letzten Rest Selbstbestimmungsrecht gerettet hat. 212. si fatis aliena in iura venimus: d.h. wenn Cato in Gefangenschaft geraten sollte und seine persönliche Freiheit nicht mehr durch Selbstmord wahren kann. Cornelia beklagt sich, daß die Seeleute sie nach Pompeius’ Ermordung am Selbstmord hindern (8,659–661): vivis adhuc, coniunx, et iam Cornelia non est / iuris, Magne, sui; prohibent accersere mortem; / servor victori. Lucan lobt Pompeius dafür, daß er, nachdem er sich den Ägyptern ausgeliefert hatte (8,611–612: Phariamque ablatus in alnum / perdiderat iam iura sui) den letzten Rest von Freiheit, der ihm geblieben war, nicht aufgegeben hat und, ohne Schmerzen zu verraten, gestorben ist (8,635–636): talis custodia Magno / mentis erat, ius hoc animi morientis habebat. Der abgeschlagene Kopf, der Caesar von den Ägyptern als Treuebeweis überreicht wird, zeigt einen Gesichtsausdruck, der weder Schmerz noch Zorn auf die Götter verrät (8,665–667).
2.5. Niederschlagung einer Meuterei durch Cato (9,215–293) 2.5.1. Aufruf eines anonymen Soldaten zum Aufbruch (9,215–252) 215–252: Catos Leichenrede in der Kyrenaika ist ehrenvoller, als wenn sie auf den rostra in Rom erklungen wäre (215–217). Während der Rede breitet sich Unruhe unter den Soldaten aus. Der Kilikier Tarcondimotus gibt das Zeichen zum Aufbruch; Cato fährt ihn an und betrachtet drohend die Szene (217–226). Einer der Soldaten ergreift das Wort (227–251): „Nicht Kriegslust, sondern Zuneigung zu Pompeius hat uns in den Bürgerkrieg eintreten lassen (227–230). Die Treueverpflichtung ist erlo-
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schen; die Dienstzeit muß ein Ende haben, wir wollen wenigstens im Kreis der Familie sterben (230–236). Die Kapitulation ist keine militärische Niederlage, sondern die Anerkennung der legitimierten Herrschaft eines Römers (236–242). Caesar beherrscht überdies die ganze Welt; zur Übergabe der Waffen gibt es keine Alternative (242–247). Cato, wenn du den Gesetzen folgen willst, stelle den Kampf ein (248–251)!“ Gefolgt von seinen Kameraden, springt der Soldat ins Schiff (251–252). Zu Beginn des neunten Buchs stellt sich Lucan die Aufgabe, den Übergang der Befehlsgewalt von Pompeius auf Cato darzustellen; einerseits muß Pompeius literarisch die letzte Ehre erwiesen werden, andererseits muß Cato zum neuen Antagonisten Caesars aufgebaut werden. Sein Kommando ist zu legitimieren, er selbst muß sich durch die Bewältigung einer Reihe von Schwierigkeiten dieses Kommandos als würdig erweisen. In 9,1–410 löst Lucan dieses Problem in einem vielschrittigen, ineinandergreifenden Verfahren, in dessen Zentrum die rückweisende Leichenrede Catos (190–214) und die vorwärtsgerichtete Meutereiszene stehen (215–293). In der Einleitung des neunten Buchs wird die Ablösung von Pompeius durch Cato zuerst symbolisch vollzogen: Die Seele des Verstorbenen geht als scelerum vindex in Brutus und Cato ein (17–18). Dieser fiktive Vorgang wird darauf in mehreren Stufen in reales Geschehen umgesetzt. Lucan gibt in einer Zusammenfassung (19–30) Catos bisheriges Verhalten im Bürgerkrieg wieder, begründet seine vorbehaltliche Parteinahme für Pompeius mit dem Hinweis darauf, daß Pompeius der größte Teil des Senats gefolgt ist, und stellt klar, daß aus den nach Pharsalos verbliebenen Pompeianern ein republikanisches Heer geworden ist (28–30): nil causa fecit in armis / ille suae: totae post Magni funera partes / libertatis erant. Cato sammelt die pompeianische Flotte und setzt in die Kyrenaika über, wo er auf Cornelia und Sextus Pompeius trifft (30–50). In einem Rückblick auf die Ereignisse an der ägyptischen Küste übermittelt Cornelia ihrem Sohn Sextus die letzten Befehle seines Vaters: Er und sein Bruder sollen den Krieg fortsetzen. Allerdings (96–97): uni parere decebit, / si faciet partes pro libertate, Catoni. Diese Unterordnung zeigt sich, als Cato einen Rachefeldzug des Cn. Pompeius minor gegen Ägypten unterbindet (165–166). Mit Errichtung symbolischer Scheiterhaufen in der Kyrenaika und Catos antithetischer Grabrede (167–214) endet die Beschäftigung mit Pompeius. Die folgende Meutereiszene enthält in der Antwortrede Catos die Umwertung des Bürgerkriegs zum bellum iustum; dies ist die notwendige Bedingung, um Cato zum Anführer der Pompeianer machen zu können. Damit ist jedoch noch nicht die Stilisierung Catos zum Helden epischer Tradition geleistet. Wie L AUSBERG (1985, 1600–1602) gezeigt hat, greift
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Lucan dazu auf den homerischen Odysseus zurück. Lucans Bienengleichnis und die Desertionsszene (9,283–293) verweisen auf das ähnliche Gleichnis (Il. 2,86–90) und den einleitenden Szenenkomplex des zweiten Buchs der Ilias (Il. 2,1–332), der darin mündet, daß Odysseus Thersites, den zur Flucht ratenden Empörer gegen die Fürsten (2,214), züchtigt und das Volk zur Fortsetzung des Kampfs gegen Troja anfeuert. Den homerischen Handlungsablauf strukturiert Lucan um und komprimiert ihn in Rede, Gegenrede und abschließendes Gleichnis. Der Inhalt wird der Bürgerkriegssituation adaptiert und an einem entscheidenden Punkt ins Gegenteil verkehrt: Odysseus setzt gegen Thersites das monarchische Prinzip durch, Cato plädiert für die Republik. Im weiteren folgt eine Reihe von Bezugnahmen auf Szenen der Odyssee; die Eroberung Kyrenes (297–299) entspricht der der Stadt der Kikonen durch Odysseus (9,39–40); Cato begnadigt allerdings die Besiegten. Wie in der Odyssee (9,85–104) folgt danach ein Seesturm (319–347), an den sich die Begegnung mit den Lotophagen (9,85–104) bzw. die Einfahrt in den Tritonsee (348–367) anschließt. Am Tritonsee fließt der Lethestrom (355–356), der die Verbindung zum vergessenbringenden Lotos herstellt. Anders als Odysseus, der seine Gefährten gewaltsam zur Weiterfahrt zwingt (Od. 9,98–99), läßt Cato Cn. Pompeius minor fürsorglich vor dem Wüstenmarsch am Tritonsee zurück (368–371). Soweit sind die Odyssee-Bezüge bereits von LAUSBERG aufgezeigt worden; wahrscheinlich enthalten auch 388–389: neque enim mihi fallere quemquam / est animus tectoque metu perducere vulgus einen Homerbezug. Cato verschweigt ihnen nicht wie Odysseus vor der Durchfahrt von Skylla und Charybdis, daß die Wüste tödliche Gefahren birgt; vgl. den Kommentar z.St. Mit dieser Kette von Homerbezügen verleiht Lucan Cato, der im bisherigen Verlauf des BC bis auf die Einführungsszene (2,234–391) fast vollständig zurückgetreten war, episches Format. Die Handlungsweisen des archaischen Helden Odysseus werden allerdings dem moralischen Standard der Zeit angepaßt. VON ALBRECHT (1970, 275) setzt Kenntnis der stoisch-allegorischen Odysseus-Interpretation voraus. 215–217: Catos improvisierte Rede am Strand der Kyrenaika ist für den Verstorbenen ein mehr als vollwertiger Ersatz für eine offizielle Ehrung in Rom. Lucan läßt hier den stoischen Kosmopolitiegedanken anklingen. Allein die Teilhabe an der Tugend entscheidet über die Mitgliedschaft in der weltweiten Gemeinschaft der Weisen; die Bestimmungen positiven Rechts, die die Zugehörigkeit zu einzelnen Staaten, deren Verfassungen
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und Institutionen festlegen, sind für den Stoiker unerheblich. ı faËlow fugãw §stin (SVF III 679 = Philo leg. alle. III. pars vol. I p. 213,3 WENDL )
lautet eine der stoischen Paradoxien. Da die Kosmopolitievorstellung Lucans Thema, die Zerstörung der römischen Republik, entwerten würde, spielt sie sonst im BC keine Rolle. Cato ist der engagierte Stoiker römischer Prägung, der den aussichtslosen Kampf gegen den Tyrannen Caesar führt. Die Möglichkeit, den Nationalstaat philosophisch zu transzendieren, wird nicht in Betracht gezogen. In 5,7–37 läßt Lucan Lentulus sorgfältig in römischer Tradition die Rechtmäßigkeit der Senatssitzung begründen, die der mit Pompeius geflohene Teil des Senats in Epirus abhält: Beide amtierenden Konsuln sind anwesend; ihre Amtszeit ist noch nicht abgelaufen; der Senat ist vollzählig versammelt, denn die Senatoren, die sich gleichzeitig in Rom aufhalten, müßten eigentlich in der Verbannung sein; auch Camillus hat beim Galliersturm in Veii eine Senatssitzung abgehalten. Argumente stoischer Ethik und Naturphilosophie, die auf eine Transzendierung von Erfolg oder Mißerfolg abzielen, werden nur in konsolatorischen Kontexten und zur gerechten Bewertung der Leistung Catos herangezogen; vgl. zu 409 und 593–600. 215–216. quam si Romana sonarent / rostra ducis laudes: „als wenn die Rednertribüne in Rom das Lob des Führers hätte erschallen lassen“. In republikanischer Zeit wurden berühmte Patrizier durch eine laudatio funebris auf dem Forum geehrt. Der nächste Verwandte würdigte die Leistungen des Toten und auch der gens insgesamt, was Polybios, der den Ablauf einer Bestattung überliefert (6,53–54), als typisch römisch empfand. In der Kaiserzeit wurden öffentliche Begräbnisse und Lobreden zunehmend auf die Angehörigen der kaiserlichen Familie eingeschränkt. Vgl. SCHMIDT 1969, 517–518. Mit sonare bezeichnet Lucan sonst den Vorgang der feierlichen Verkündigung eines auf göttlicher Inspiration beruhenden Orakelspruchs durch ein Medium; vgl. 5,98. 139; 6,622. 761. In der vorliegenden Verwendung ist es ungewöhnlich und greift die Stilisierung Catos zum Verkünder göttlicher Wahrheit aus der Redeeinleitung (186–188) wieder auf; vgl. auch zu 255 und 564–565. Das Verb wird auch von der inspirierten Tätigkeit des Dichters gebraucht. Vgl. Hor. sat. 1,4,43–44: ingenium cui sit, cui mens divinior atque os / magna sonaturum, des nominis huius (sc. poetae) honorem; Verg. georg. 3,294; Hor. carm. 2,13,26; epod. 17,40; Ov. ars 1,206; fast. 3,389; met.
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10,205; trist. 2,529; Mart. 6,19,8; Stat. silv. 4,2,66; Sil. 9,343; Nemes. ecl. 1,25–26. Die rostra nennt Lucan mehrfach als Symbol der römischen Republik, das im Bürgerkrieg entehrt und geschändet wird und seiner rechtmäßigen Verwendung entzogen ist (1,275–276; 4,799; 7,65–66. 305; 8,685). Die an der Rednerbühne befestigten Schiffsschnäbel stammten aus Antium, das die Römer als Vergeltung für eine Erhebung mit dem Verlust der Flotte bestraften (338 v. Chr.; vgl. Liv. 8,14,12). 216. generosam … ad umbram: „zum ehrfurchtgebietenden Schatten“. Generosus ist Pompeius wegen seiner bedeutenden Erfolge in der Vergangenheit, sein Vater, Cn. Pompeius Strabo (gest. 87 v. Chr.; Triumphator 89 v. Chr.), wird im BC nicht erwähnt. Im einleitenden Eichengleichnis (1,129–143) charakterisiert Lucan Pompeius’ Persönlichkeit und Stellung im Staat durch den Vergleich mit einer uralten mit Weihgeschenken behängten Eiche, die die umstehenden Bäume weit überragt, doch mit ihren bereits morschen Wurzeln keinen festen Halt mehr im Erdreich findet und beim nächsten Sturm umstürzen kann. Zu Pompeius’ Verehrungswürdigkeit vgl. auch 2,530: alloquitur tacitas veneranda voce cohortes; 8,679–681. 806. Pompeius wird auch mehrfach als „heilig“ bezeichnet (8,664. 669. 677. 769. 792. 806. 841; 9,240). Alle Belege jedoch, in denen Pompeius sacer/sanctus genannt wird, stehen im Kontext seiner Ermordung und Bestattung. Sie resultieren aus dem Bemühen Lucans, den Frevel, den die Ägypter begingen, indem sie sich an einem römischen Feldherrn vergriffen, deutlich herauszustellen und als Römer einen schmählich durch Feindeshand gefallenen Landsmann angemessen zu ehren. Es ist nicht beabsichtigt, Pompeius zu einem Cato ebenbürtigen stoischen Helden aufzubauen. Deutlich zeigen dies 9,1–18: Pompeius’ Seele steigt in die sublunare Zone der Götter auf; sie verweilt dort jedoch nur kurz, kehrt auf die Erde zurück und fährt in die Brust von Cato und Brutus. Beide sind Pompeius moralisch überlegen, weil sie anders als ihr vormaliger Kommandeur den Bürgerkrieg ohne eigennützige Interessen fortsetzen. Die Junktur ist paradox. Man stellte sich den Totenschatten in der Antike als ein nur schwaches Abbild des lebenden Menschen vor. Er ist „luftig, blut- und fleischlos und gewöhnlich auch stumm“ (NOVÁKOVÁ 1964, 44). 217–218: Noch während Catos Rede war Unruhe unter den Soldaten aufgekommen, die sich nach Pompeius’ Beisetzung nicht mehr an die militä-
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rische Gehorsamspflicht gebunden fühlen und des Militärdienstes überdrüssig sind. Das Verhalten der Menge ist nach der üblichen Topik von Massenreaktionen geschildert. Ohne Lenkung durch einen Führer lassen sich die Soldaten von ihren Affekten und der Aussicht auf kurzfristige persönliche Vorteile leiten (castrorum bellique piget). Sie müssen erst von Cato instruiert werden, um zu erkennen, daß aus dem Bürgerkrieg ein Freiheitskampf geworden ist. Zur Darstellung von Massenreaktionen in der lateinischen Literatur vgl. L ÜHR 1979. Eine gedrängte Darstellung des antiken Bildes von der affektbeherrschten, intellektuell und moralisch minderwertigen Masse findet sich in Megabyzos’ Plädoyer für die Aristokratie innerhalb der herodoteischen „Verfassungsdebatte“ (Hdt. 3,81); Seneca warnt in epist. 7 Lucilius davor, sich unter die Menge zu mischen, denn sie habe einen verderblichen Einfluß auf den Charakter. Vgl. auch zu 379–410. 217. fremit: Fremere/fremitus bezeichnet das Geräusch, das entsteht, wenn die einzelnen Mitglieder einer Menge miteinander sprechen; meist zeigt es Unsicherheit und Unzufriedenheit an, selten Zustimmung; vgl. 1,352–353: at dubium non claro murmure vulgus / secum incerta fremit; 7,46. 128; 10,11; Cic. Flacc. 23; Liv. 3,7,3; 4,50,2; 10,35,18; 22,43,3; 24,12,2. 219. Tarcondimotus: Der König von Kilikien (gest. 31 v. Chr.; nur hier erwähnt im BC) hatte Pompeius im Bürgerkrieg mit einer großen Anzahl von Schiffen unterstützt; später wird er von Caesar begnadigt und erwies sich als dessen treuer Parteigänger (Cass. Dio 41,63,1; 47,26,2). Sein gleichnamiger Sohn schlug sich auf Augustus’ Seite und erhielt für die Verdienste im Kampf gegen Antonius Kilikien als Klientelkönigtum (Cass. Dio 51,7,4; 54,9,2). Lucan macht den Vater hier als Anführer des Aufstands namhaft, um in 224 die Desertion der Soldaten mit der Anrede pirata als Rückfall in ihr früheres Seeräuberleben hinstellen zu können. 220–226: In den Rahmenpartien und dem Verbindungsstück zwischen beiden Reden wird Cato zum ruhenden Pol im Getümmel stilisiert. Während die Soldaten durcheinanderreden und hastig ihren Aufbruch vorbereiten (217: fremit; 225: in coetu motuque; 252: insiluit / iuvenum comitante tumultu; 254: fervebat litore plebes), bleibt Cato ruhig, kontrolliert seine Bewegungen (220–221: secutus / litus in extremum) und erstickt allein durch sein entschiedenes Auftreten und seine überlegten Worte die Meuterei im Keim (221: tali voce notavit; 255). Der abschließende Vergleich mit einem
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Imker, der durch einen Schlag auf ein metallenes Becken die Bienen am Schwärmen hindert, verdeutlicht die Souveränität seines Auftretens. Das Epiphonem unterstreicht die Wucht seiner Worte (292–293): sic voce Catonis / inculcata viris iusti patientia Martis. Cato tritt auf wie der Staatsmann im Vergilgleichnis Aen. 1,1 48–153: ac veluti magno in populo cum saepe coorta est / seditio (…) tum pietate gravem ac meritis si forte virum quem / conspexere, silent arrectisque auribus astant; / ille regit dictis animos et pectora mulcet. 220–221: Die Stellung der Satzglieder malt die Situation (fugientem – secutus – notavit). Tarcondimotus ergreift mit der Flotte die Flucht, Cato folgt bis zum äußersten Rand der Küste und unterbindet durch einen Anruf die Desertion im allerletzten Moment. 220. rapta … classe: vgl. zu 165. 221. tali … voce notavit: „mit einem solchen Wort wies er ihn in seine Schranken“. Notare im Sinne von „tadeln“ bezeichnet eigentlich die Tätigkeit des Zensors, der mit der nota censoria, einer schriftlichen Anmerkung in der Bürgerliste, im Falle eines gravierenden Vergehens gegen den mos maiorum die Ausstoßung einer Person aus dem Senatoren- oder Ritterstand oder die Versetzung in eine niedrigere Tribus verfügen konnten. Der übertragene Wortgebrauch ist nicht selten; vgl. Cic. Brut. 224; Vatin. 26; Hor. sat. 1,3,24; epist. 1,17,15; Ov. epist. 9,20. Die Verbindung talis vox findet sich im BC nur hier und im korrespondierenden Vers 226. 223. removit: „hat aus dem Weg geräumt (LUCK)“. Anders als das deutsche „beseitigen“ ist der metaphorische Gebrauch von removere im Sinne von „töten“ im Lateinischen unüblich. OLD s.v. Nr. 4 nennt nur Lucr. 5,350: illi quos a vita natura removit. Hier ist die Verwendung aus dem Bildzusammenhang erklärlich; Pompeius war das „Hindernis“, das die Kilikier davon abhielt, die Piraterie wiederaufzunehmen. 224. iam pelago, pirata, redis: „schon kehrst du, Pirat, wieder auf das Meer zurück“. Die Antonomasie verdeutlicht, daß Tarcondimotus mit der Desertion sofort den Status des Kombattanten verliert und wie früher nichts als ein Seeräuber ist. Derselbe Tropus in 3,228 (Pompeius’ Truppenkatalog): itque Cilix iusta iam non pirata carina. Richtungsdativ bei redire findet sich auch in 5,36–37: omnia rursus / membra loco redeunt. BARRATT zu
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5,281–282. 450 nennt zahlreiche Beispiele für diesen Sprachgebrauch bei Lucan. Der Gebrauch des ursprünglich auf bestimmte Wendungen festgelegten Richtungsdativs wird in der nachklassischen Prosa und Poesie erheblich freier. Vgl. zu 87. Die Beseitigung der Piraterie, die die gesamte Antike hindurch den Seehandel im Mittelmeer gefährdet hatte, gehört zu Pompeius’ herausragenden Leistungen. Mit außerordentlicher Kommandogewalt ausgestattet, gelang es ihm 67 v. Chr., dem Übel durch gleichzeitiges Vorgehen an allen Küsten Herr zu werden und trotz eines vorübergehenden Wiederauflebens der Seeräuberei in der Zeit der römischen Bürgerkriege die Sicherheit der Handelswege zur See bis in die Spätantike hinein sicherzustellen. Er beseitigte die soziale Ursache der Piraterie, indem er die zumeist aus dem westlichen gebirgigen Teil Kilikiens (Kilik¤a Traxe¤a) stammenden Piraten in landwirtschaftlich nutzbare Gegenden (bes. Kilik¤a Pediãw ; Dyme in Achaia, wahrscheinlich auch Süditalien) umsiedelte. Zur Zeit Lucans und seiner Leser ist die Piraterie bedeutungslos. In der Literatur begegnen Piraten häufiger seit der Zeit der neuen Komödie, als die Gefährdung durch Seeräuber besonders groß war. Von dort aus gelangten sie ins Figurenrepertoire von Liebesroman und Deklamation. Zu Pompeius’ Vorgehen gegen die Seeräuber vgl. GELZER 1984, 65–74; zur Geschichte der Seeräuberei und ihrer Rolle in der Literatur O RMEROD 1978 (=1924), 190–256. 260–270. Lucan spielt mehrfach auf Pompeius’ Erfolge über die kilikischen Piraten an (1,336; 2,594; 3,328; 7,542; 8,38. 257. 264. 456. 811) und erwähnt ihre Ansiedlung durch Pompeius (1,346; 2,576–579); das in Kilikien ausgehobene Truppenkontingent ist besonders schlagkräftig (7,221–223). Ihren größten Auftritt im BC haben die Kilikier, als sie ihre Erfahrungen als Seeräuber im Kampf gegen die Caesarianer nutzen und das Floß der Opitergier durch unterhalb der Wasseroberfläche gespannte Taue festsetzen (4,448–452). 224: sc. ab extremo litore. Während Cato Tarcondimotus stoppte, der bereits vom Ufer abgelegt hatte, hatten die Soldaten in seinem Rücken die Vorbereitungen zum Aufbruch fortgesetzt. 225–226. aperta / mente fugae: „ohne seine Fluchtabsichten zu verhehlen“. Die Verwendung von mens mit dem Genitiv eines Substantivs, das die Absicht bezeichnet, ist vor Lucan nicht belegt; vgl. ThLL VIII 726,38–40 (HOFMANN). Lucan gebraucht dieselbe Konstruktion auch in 6,1–2: castra duces pugnae iam mente propinquis / imposuere iugis. Der Nominal-
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ausdruck ist kennzeichnend für Lucans Bestreben, möglichst straff und gedrängt zu erzählen. 226. compellat voce regentem: Lucan imitiert Verg. Aen. 5,160–162: medioque Gyas in gurgite victor / rectorem navis compellat voce Menoeten: / „quo tantum mihi dexter abis?“; die Stelle gibt Einblick in Lucans Dichterwerkstatt. Weil sich auch im vergilischen Ruderwettkampf ein Fall von Befehlsverweigerung durch Seeleute ereignet, hat Lucan die Stelle eingesehen, um zu prüfen, ob er nicht einen glücklichen Ausdruck oder ein Motiv von Vergil übernehmen könne. Die Beziehung zwischen beiden Stellen beschränkt sich aber im Ergebnis allein auf die elocutio. Durch inhaltliche Assoziation vermittelte Nachahmung vergilischer Wendungen auch in 125. Lucan wählt das Verb compellare („in der Absicht, etwas zu erreichen, jdn. ansprechen“; vgl. 6,745; 10,175), um die Frechheit des Sprechers hervorzuheben, der nicht nur flieht, sondern auch noch glaubt, sein Verhalten sei zu rechtfertigen. Compellare voce ist bereits ennianisch (ann. 44 VAHLEN = SKUTSCH). Regentem ist ein konatives Präsenspartizip: „der versucht, die Soldaten wieder auf den rechten Weg zu bringen“. Für diese Bedeutung von regere vgl. OLD s.v. Nr. 8/9 und Lucan. 4,474–475: attonitam venturaque fata paventem / rexit magnanima Vulteius voce cohortem. 227–229: Aus persönlicher Zuneigung zu Pompeius hatte der Soldat am Bürgerkrieg teilgenommen; nach Pompeius’ Tod sieht er keinen Anlaß mehr, den Kriegsdienst fortzusetzen. Indirekt unterstellt er Cato belli civilis amor. Pompeius’ Beliebtheit beim römischen Volk und den Völkern des östlichen Mittelmeerraums wird auch sonst als Ursache für die Teilnahme der pompeianischen Truppen am Bürgerkrieg genannt. In seinem Testament (9,87–97) fordert Pompeius seine Söhne auf, den Kampf gegen Caesar und seine Nachfolger fortzusetzen; allein durch den Klang des Namens würden alle seine Nachfahren Truppen ausheben können. Zu Pompeius’ Beliebtheit vgl. zu 91–92 und 229. 227. da veniam: veniam dare auch in 1,521; 7,296; 8,749; 9,1089. Die Wendung (schon bei Verg. georg. 4,536; Aen. 4,435–436) wird von Ovid häufig gebraucht (am. 3,1,69; ars. 2,38; fast. 2,829; epist. 4,156; 16,106; Pont. 3,9,55); wie Lucan hat sie auch Seneca von ihm übernommen; vgl. Sen. Phaedr. 225; Ag. 267; Herc. f. 595. 1267.
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228. non belli civilis amor: G EORGE (1988) hat gezeigt, daß Lucan mehrfach auf die stoische ofike¤vsiw-Lehre zurückgreift. Die ofike¤vsiw (Hauptquelle Cic. fin. 3; Hierocl. 1,38) ist das Bestreben der menschlichen Seele, vernunft- und naturgemäß zu leben, und begründet aber auch die Gesellschaftlichkeit des Menschen. Keimzelle aller zwischenmenschlichen Beziehungen ist in der stoischen Lehre die natürliche Liebe der Eltern zu ihren Kindern. Mit abnehmender Intensität – Hierocles verwendet zur Veranschaulichung das Bild konzentrischer Kreise mit zunehmendem Radius – richtet sich diese Zuneigung auch auf die übrige Familie, die Mitbürger, die Menschheit und den gesamten Kosmos. Aufgabe des Weisen ist es, diese Kreise möglichst zusammenzuziehen und die gesamte Menschheit wie Brüder zu behandeln; vgl. GEORGE 1988, 331–333. Die ofike¤vsiw-Lehre liefert die philosophische Begründung für Catos Engagement im Bürgerkrieg (vgl. 2,382–383: naturamque sequi patriaeque impendere vitam / nec sibi sed toti genitum se credere mundo). Lucan zeigt auch zweimal, wie die natürliche Liebe zum Mitmenschen im Bürgerkrieg zum belli civilis amor depraviert. Obwohl Caesars Soldaten vom Kriegsdienst verroht sind, regt sich in ihnen nach Caesars adhortatio die Liebe zu Familie und Vaterland. Erst die Laelius-Rede unterdrückt diese Gefühle (1,353–356): pietas patriique penates / quamquam caede feras mentes animosque tumentes / frangunt; sed diro ferri revocantur amore / ductorisque metu. Auch bei der Verbrüderung der pompeianischen und caesarianischen Soldaten in Spanien bricht die natürliche Liebe zeitweilig durch (4,174–175: stimulis maioribus ardens / rupit amor leges. 189–195. 204–205), doch stellt Petreius die soldatische Disziplin wieder her (4,236): scelerumque reduxit amorem. 228–229. partesque … / fecimus: „wir haben Partei ergriffen“; vgl. zu 97. 229–230: Ohne Umschweife trägt der Soldat seine Argumentation vor. Allein die Treueverpflichtung gegenüber Pompeius hat ihn bewogen, am Bürgerkrieg teilzunehmen; Politik interessiert ihn nicht. In der Einleitung zu HASKINs Kommentar gibt HEITLAND eine Auswahl von „specimens of good lines“ (LXVIII–LXIX), „that catch the attention of a careful reader and lead him to form a high estimate of the writer’s power“. Es ist für HEITLAND s romantisches Poesieverständnis charakteristisch, daß zwei der sechs von ihm für besonders gelungen angesehenen Passagen des neunten Buches (neben dieser Stelle 246–247; 576–577; 884; 963; 1015) aus der schwungvoll vorgetragenen Rede des anonymen Soldaten stammen. Dessen Argumentation ist wie hier offen-
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herzig bis zur Dreistigkeit; seine Ausführungen heben sich durch ihre Direktheit deutlich von dem mehrheitlich stark rhetorisierten und oft gesucht dunklen Kontext des Epos ab. Überzeugende Wiedergabe von Gefühlen kann HEITLAND aber selbst in den von ihm als besonders gelungen bezeichneten Passagen Lucans nicht entdecken („hardly poetic touches, though some of them border closely on poetry“). Mit der Revision des romantischen Vorurteils gegen die Rhetorik im Laufe des 20. Jh.s bahnte sich auch eine Neubewertung der mehr den Intellekt als das Gefühl ansprechenden Dichtung Lucans an. Der kecke Auftritt des Soldaten ist kein romantischer Gefühlsausbruch, sondern ebenso ein rhetorisches Meisterstück in Ethopoiie wie das von HEITLAND geschmähte „absurd dying soliloquy“ (LXXI) von Pompeius in 8,622–635. 229. ille iacet: „jener berühmte Mann ist doch vernichtet“. Lucan macht vom Wortfeld „Stehen – Fallen – Liegen“ in eigentlicher wie bildlicher Verwendung überaus häufig Gebrauch (97mal stare; 82mal cadere; 77mal iacere; zu ruina vgl. zu 129). Durch unerwartete Erweiterungen der einzelnen Metaphern gelingen ihm oft eindrucksvolle und paradoxe Bilder; vgl. z.B. 1,135–143 (Pompeius ähnelt einer riesigen morschen Eiche, die beim ersten Sturm niederstürzen wird); 2,90–93 (der vertriebene Marius verbirgt sich in den Trümmern Karthagos): nuda triumphati iacuit per regna Iugurthae / et Poenos pressit cineres. solacia fati / Carthago Mariusque tulit, pariterque iacentes / ignovere deis; 8,837 (Pompeius’ sterbliche Überreste wurden noch nicht nach Rom überführt): exul adhuc iacet umbra ducis; 9,1–3 (Pompeius’ Auferstehung): at non in Pharia manes iacuere favilla, / nec cinis exiguus tantam compescuit umbram / prosiluit busto. quem paci praetulit orbis: Die Parteinahme für Pompeius wird verdeckt durch ein argumentum a maiore gerechtfertigt. Wenn der ganze Erdkreis für Pompeius eingetreten ist, dann auch der einzelne Soldat. Die Bereitwilligkeit der Römer und der ausländischen Völker, mit dem hochdekorierten und allseits bewunderten Feldherrn Pompeius gegen Caesar in den Krieg zu ziehen, hebt Lucan häufig hervor. Vgl. 2,730: vadis adhuc ingens populis comitantibus exul; 3,169–170. 295–296; 8,206–209. Selbst nach der Niederlage bei Pharsalos bieten die Einwohner von Larissa und Lesbos Pompeius ihre Unterstützung an (7,712–721; 8,110–146). Allein die Ägypter verweigern Pompeius die Aufnahme. Um den unmündigen Ptolemaios zum Mordanschlag gegen Pompeius zu bewegen, behauptet Pothinus fälschlich, all die Völker, die Pompeius zuvor unterstützt hätten,
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seien von ihm abgefallen und wollten ihn dafür zur Rechenschaft ziehen, daß er sie ins Verderben gestürzt hat. Vgl. 8,503–511. 532. Der Ausdruck ist eine Variation von Ciceros cedant arma togae; vgl. zu 199. 230–231: Das Stakkato der Alliterationen auf ‚p‘ und ‚d‘ verdeutlicht den selbstsicher auftrumpfenden Ton der Rede. 230. patrios … penates / desertamque domum: Die gemeinsame Nennung von Haus und Penaten ist üblich; vgl. Cic. Phil. 12,14; prov. 35; Rosc. 23; Sest. 145; Quinct. 83; Mil. 38; leg. agr. 2,57; Lucan. 8,132–133: hic sacra domus carique penates, / hic mihi Roma fuit. Die Penaten, ursprünglich die Schützer der Vorratskammer (penus), dann alle im Haus verehrten Götter (vgl. LATTE 1960, 89–90), symbolisieren Schutz und Geborgenheit des Hauses und der Familie. Der Begriff hat eine starke affektive Komponente. Ein Römer mit Heimweh sehnt sich nach den Penaten; der Begriff begegnet daher häufig in Reden von und an Soldaten, die von Heimat und Familie getrennt sind. Vgl. 7,257–258. 345; Curt. 6,3; Tac. ann. 1,17,6. Metonymisch für „Haus“ verwendet Lucan penates in 2,331. 384; 5,537; 7,394; 10,453. 479. 483. 231. dulcesque revisere natos: nach Verg. georg. 1,414: dulcesque revisere nidos (angeführt von HASKINS z.St.). 232–233: Mit Recht fragen die Soldaten, aus welchem Grund sie noch nicht entlassen worden sind. Militärischer Widerstand scheint nach dem Debakel bei Pharsalos aussichtslos; die Treueverpflichtung gegenüber Pompeius ist mit dessen Tod erloschen. Cato belehrt sie jedoch in seiner Replik darüber, daß es sich jetzt erst lohnt zu kämpfen, denn durch einen Sieg über Caesar können sie eine Tyrannenherrschaft verhindern (262–267). Die überlange Dienstzeit ist ebenso wie die Sehnsucht nach der Familie seit Hom. Il. 2,289–298 ein fester Topos der Reden von und an Soldaten. Pompeius z.B. hatte die Soldaten vor der Entscheidungsschlacht mit dem Hinweis angespornt, daß es nun in ihrer Macht liege, sich den Weg nach Hause mit dem Schwert freizukämpfen (7,342–348). Auch Caesars meuternde Soldaten führen in 5,273–282 die lange Zeit des Militärdiensts als Grund ihrer Unzufriedenheit an. Die pannonischen Legionen läßt Tacitus (ann. 1,17,3) darüber klagen, daß sie selbst als Veteranen ständig mit Einberufungen rechnen müssen.
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232. finis … pugnae: Die Sperrung des Genitivattributs isoliert das Schlüsselwort finis und ermöglicht die alliterierende Stellung von pugna (Pharsalia pugnae / […] Pompeius […]? perierunt). 234. mors eat in tutum: „wenigstens dann, wenn wir tot sind, wollen wir in Sicherheit sein“. H ASKINS paraphrasiert mors mit „the short time we have to live before death“. Wie aber aus dem folgenden hervorgeht, sorgen sich die Soldaten nicht um ihr Veteranendasein, sondern um eine ordnungsgemäß durchgeführte Bestattung und eine Grabstelle. Welche Qualen ein Totenschatten noch auszustehen hat, wenn einer Hexe der unbestattete Leichnam in die Hände fällt, zeigt die Nekromantie-Szene des sechsten Buchs (vgl. bes. 6,719–725). Näher liegt es daher, den Ausdruck als eine paradoxe Verkehrung des geläufigen Gedankens, daß der Tod das einzige Sichere im Leben ist (vgl. 582–583), aufzufassen. Nachgeahmt wurde Lucans Paradox von (Ps.-)Sen. Herc. O. 215–216: quid vestra querar fata, parentes, / quos in tutum mors aequa tulit. In tutum ist eine Wendung aus der Militärsprache. Seneca verwendet sie häufig; vgl. dial. 6,22,3; benef. 7,1,7; epist. 14,3; 22,8; 24,7; 32,3; 66,40; 70; 19; (Ps.-)Sen. Herc. O. 38. 234–235. iustas … / … flammas: eine rituell korrekte Bestattung. Iustus ist t.t.; vgl. zu 67. sibi … / … prospiciat: „soll ruhig und ohne Sorgen erwarten“. Prospicere heißt häufig „mit Vorfreude oder Furcht sich etwas lebhaft ausmalen / in Gedanken schon vorwegnehmen“; vgl. Cic. Tusc. 5,95–96: omniaque iucunda, quamquam sensu corporis iudicentur, ad animum referri tamen. quocirca corpus gaudere tam diu, dum praesentem sentiret voluptatem, animum et praesentem percipere pariter cum corpore et prospicere venientem nec praeteritam praeterfluere sinere. 235–236: Curio, der im Kampf gegen Juba getötet wurde, blieb unbestattet (4,809–810); Pompeius wurde am Strand von Ägypten ohne alle Ehren eingeäschert. Lucan bezweifelt es sarkastisch, daß die Fortuna Pompeius dadurch einen Gefallen erweisen wollte, daß sie ihm überhaupt ein Begräbnis zuteil werden ließ; vielleicht wollte sie auch nur verhindern, daß er seinem Rang entsprechend bestattet wird (8,712–714). Auch Cato und Scipio, Pompeius’ Nachfolger als Anführer der republikanischen Truppen, gehen in Libyen elend zugrunde (6,788–789; 9,409). Allein der dämonische Caesar kümmert sich nicht um sein Schicksal nach dem Tod. Höhnisch fordert er die Götter auf, sie sollten seinen zerfetzten Leichnam nur
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für immer im Meer treiben lassen, wenn nur an allen Küsten seine Rückkehr gefürchtet werde (5,668–671). Das Thema Bestattung spielt im BC eine große Rolle. Lucan verdeutlicht mit diesem Motiv die Verkehrung der gerechten Verhältnisse durch den Bürgerkrieg. Der Blutsäufer Sulla (2,222) und Despoten wie die Pharaonen, die ptolemäischen Herrscher und vor allem Alexander (8,692–700; 9,150–164; 10,20–52) sind in vornehmen Mausoleen beigesetzt, während die pompeianischen Soldaten, die bei Pharsalos für die Freiheit gefallen sind, von Caesar unbestattet gelassen werden (vgl. zu 180–181). In den schrecklichen Kämpfen des Bürgerkriegs wird für Lucan die sinnvolle Weltordnung zu Grabe getragen; der Bürgerkrieg ist ein funus mundi (7,617; vgl. auch 6,595) und reißt alle ohne Unterschied mit ins Verderben. Aus der Perspektive des von Erictho erweckten Toten hat der Sieger Caesar dem Verlierer Pompeius letztlich nur einen etwas bequemeren Bestattungsort voraus (6,810–811): quem tumulum Nili, quem Thybridis adluat unda, / quaeritur, et ducibus tantum de funere pugna est. Zu dieser Äußerung vgl. zu 564–586. Zum Thema Bestattung insgesamt vgl. zu 409. 237. manent: „sind mir (vom Schicksal) bestimmt“. Manere im Sinn von destinatum esse ist häufig; vgl. z.B. 7,185: populos quos lux extrema manebat; Verg. Aen. 10,438: mox illos sua fata manent maiore sub hoste. 237–238. non Armenium … / aut Scythicum … iugum: Klangliche Mittel unterstützen die Argumentation. Das durch Versictus gestützte Homoioteleuton auf -um malt den Schrecken, den der Gedanke an eine Unterwerfung unter Skythen oder Armenier hervorruft. Der antike Brauch, einen geschlagenen Feind unter einem Joch hindurchkriechen zu lassen, symbolisiert die endgültige Unterwerfung. Der Gegner wird nicht mehr als ebenbürtig angesehen; vgl. Liv. 3,28,10–11: licere abire, sed ut exprimatur tandem confessio subactam domitamque esse gentem, sub iugum abituros. tribus hastis iugum fit, humi fixis duabus superque eas transversa una deligata. sub hoc iugum dictator (sc. Quinctius) Aequos misit. Den Römern ist die Demütigung durch die Samniten nach dem Desaster bei den Caudinischen Pässen stets in Erinnerung geblieben; vgl. Liv. 9,1–6; Val. Max. 5,1 ext. 5; 7,2 ext. 17; Lucan. 2,137–138; Quint. inst. 3,8,3; Tac. ann. 11,24,5; Iust. 39,4,12. Armenier und Skythen werden hier als Beispiele für grausame und unzivilisierte Nomadenvölker genannt. Armenien war 66 v. Chr. von Pompeius für Rom erobert worden. Auf Dauer wurde aber nur der Teil west-
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lich des Euphrats dem römischen Reich einverleibt (Armenia minor) und im Wechsel den Provinzen Pontus, Galatien und Kappadokien zugeschlagen (endgültig bei Kappadokien seit Vespasian); der größere, östliche Teil war ein bald von Rom, bald von den Parthern abhängiges Klientelkönigtum und diente als Puffer zwischen beiden Großreichen. Das Maß staatlicher Organisation in Armenien war gering. Lucan spricht von nomadisierender Lebensweise (2,638–639: populos utraque vagantis / Armenia), Tacitus schildert sie als typische Barbaren, bei denen man durch Veranstaltung von Jagden und Gelagen et quae alia barbari celebrant zu Ansehen gelangt (ann. 2,56,2). Die Skythen lebten außerhalb des römischen Reichs an der Nordküste des Schwarzen Meeres auf dem Gebiet der heutigen Ukraine; sie waren als Viehzüchter und gefährliche Bogenschützen bekannt; vgl. 3,266–267: tinxere sagittas / errantes Scythiae populi. Als Beispiel für barbarische Wildheit nennt Lucan sie auch in 8,353; 10,455; auch Cicero (Verr. 6,150) führt die Skythen als Exponenten barbarischer Unmenschlichkeit an. Unter Verwendung archäologischen Materials setzt sich ROLLE (1980) für eine angemessene Würdigung der Kulturleistungen der Skythen ein. Skythische Grabbeigaben aus Gold, Rüstungen und Zaumzeuge belegen ein erhebliches handwerkliches Können ihrer Hersteller. Der Einfluß des „theriomorphen Stils“ der Skythen, in deren schamanistischer Religion das Eingehen der menschlichen Seele in Tiere eine herausragende Rolle spielte, läßt sich von Schlesien bis China nachweisen. 238–239. sub iura … / … eo: Der unbeabsichtigte Anklang an sub iugum ire widerlegt die Ausführungen des Soldaten. Caesars Tyrannei ist kein Rechtsstaat. togati / civis: „eines Mitbürgers mit zivilem Amt“. Caesar war, während er in Spanien gegen die Pompeianer Petreius und Afranius kämpfte, in Abwesenheit durch den Praetor M. Aemilius Lepidus zum Diktator ernannt worden. Nach seiner Rückkehr nach Rom (Ende 49 v. Chr.) nutzte er die Amtsvollmacht des Diktators, um Wahlen einzuberufen und sich für das Jahr 48 zusammen mit P. Servilius Isauricus zum Konsul wählen zu lassen (5,381–402). Die Diktatur legte er unmittelbar nach der Wahl wieder nieder. Vgl. B ENGTSON 1967, 225. Für Lucan beginnt mit dieser nachträglichen Legitimierung des Aggressors Caesar die Entwertung republikanischer Institutionen. Fortan dienen die traditionellen Ämter und Titel nur noch dazu, den Verfall der Staatsform zur Tyrannis zu verschleiern. Mit bitterer Ironie stellt er fest, daß das Volk bereits die Spielregeln des Possenspiels des Prinzipats gelernt habe. Caesar hat es nicht mehr nö-
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tig, seine Forderungen durch militärische Macht geltend zu machen, das Volk trägt ihm in seiner Angst von sich aus die gewünschten Ämter an (5,381–386): ipse [sc. Caesar] petit trepidam tutus sine milite Romam / iam doctam servire togae, populoque precanti /scilicet indulgens summo dictator honori / contigit et laetos fecit se consule fastos. / namque omnis voces, per quas iam tempore tanto / mentimur dominos, haec primum repperit aetas. Zu Lucans Kritik an der verlogenen Prinzipatsideologie vgl. auch zu 195–196. Die Toga ist durch Ciceros Rhetorik zum Symbol für den verfassungstreuen Beamten geworden, der innerhalb der staatsrechtlichen Möglichkeiten operiert und sich nicht auf private Schlägertrupps stützt; vgl. z.B. Cic. dom. 99: bis servavi rem publicam, qui consul togatus armatos vicerim, privatus consulibus armatis cesserim. Lucan spielt in der Einleitung zu Ciceros fingierter Rede in Pharsalos (7,63–64: sub iure togaque / pacificas saevus tremuit Catilina securis) darauf an; das ciceronianische cedant arma togae (Cic. Pis. 72–73; off. 1,77) verwendet er mehrfach (vgl. zu 199). 239–240: Feiger Opportunismus wird durch Scheinlogik untermauert. Es gibt keinen sachlichen Grund, sich nach Pompeius’ Tod automatisch Caesar zu unterwerfen. In der Replik hält Cato den meuternden Soldaten eine knechtische Gesinnung vor (275–276): o famuli turpes, domini post fata prioris / itis ad heredem. Unter den Ursachen, auf die Lucan den Ausbruch des Bürgerkriegs zurückführt, spielt auch der persönliche Ehrgeiz der beiden Rivalen, der erste Mann im Staat zu sein, eine wichtige Rolle. Pompeius duldet niemanden neben sich, Caesar mag sich nach den Erfolgen in Gallien nicht mehr mit dem zweiten Rang im Staat begnügen (1,125–126): nec quemquam iam ferre potest Caesarve priorem / Pompeiusve parem. Als Caesar in Seenot gerät, verachtet er die Gefahr, weil er glaubt, bereits durch die Wahl zum Konsul, die ihm während des Kriegs in Gallien verweigert wurde, Pompeius überflügelt zu haben (5,662–663): vidit Magnum mihi Roma secundum, / iussa plebe tuli fasces per bella negatos. Anders als der Soldat ist Cato nicht bereit, das Schicksal Roms vom Ausgang dieses Machtkampfs abhängig zu machen. In den Reden des neunten Buches (253–283; 379–406; 566–584) wendet er sich gegen Caesar und begründet eine dritte, republikanische Position. Obwohl er anfänglich auf der Seite des Pompeius kämpfte, hatte er sich auch ihm gegenüber innere Unabhängigkeit bewahrt; vgl. 2,320–323; 9,21–22.
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240–242: Salbungsvolle Worte verschleiern die schamlose Treulosigkeit des Soldaten. Es ist eine Frechheit, Pompeius’ Totenschatten zu apostrophieren und um Verständnis für die Einstellung des Kampfes zu bitten. 240. sacris … umbris: Heuchelei angesichts der fadenscheinigen Begründung für das Überlaufen. Zur Bezeichnung von Pompeius als sacer/sanctus vgl. zu 216. 241–242. dominum, quem clades cogit, habebo, / nullum, Magne, ducem: „Pompeius, ich werde dem Tyrannen folgen, den mir die Niederlage aufzwingt, aber keinem militärischen Führer“. Die Begriffsdistinktion ist unsinnig; die Macht eines Tyrannen übersteigt die eines Feldherrn bei weitem. 242–243. te solum in bella secutus / post te fata sequar: Der Soldat gibt sich als korrekter Stoiker, der sich nur aufgrund der Treueverpflichtung gegenüber Pompeius wider besseres Wissen gegen das Fatum, das Caesar begünstigt, gestellt hat. Nach dessen Tod sieht er keinen Anlaß mehr, den sinnlosen Kampf gegen die Vorsehung fortzusetzen. Der Ausgang des Bürgerkriegs kann durch keine menschliche Aktivität geändert werden; Pflicht des Stoikers ist es, sich dem Fatum zu fügen. Berühmt ist der Ausspruch des Cleanthes (Sen. epist. 107,11): ducunt volentem fata, nolentem trahunt. Im Gehorsam zeigt sich innere Größe (Sen. epist. 107,12): Hic est magnus animus qui se ei (sc. fato) tradidit: at contra ille pusillus et degener qui obluctatur et de ordine mundi male existimat et emendare mavult deos quam se. Im Kontext von Lucans BC ist diese Argumentation natürlich nicht akzeptabel. Lucans Fatum hat mit der gütigen stoischen prÒnoia nichts gemein. Es ist bösartig und unterstützt den Sieg des Tyrannen Caesar. Zugleich trägt es Züge der hellenistischen tÊxh/fortuna, einer blinden und ungerecht zuschlagenden Schicksalsmacht. In der ursprünglichen stoischen Lehre schrieb man der tÊxh dann die Verursachung eines Ereignisses zu, wenn dessen Ursache dem menschlichen Verstand nicht zugänglich ist (afit¤a êdhlow ényrvp¤nƒ logism“ ); solchen unvorhergesehenen und unerklärlichen Ereignissen gegenüber hat der Stoiker seine Standhaftigkeit zu erweisen. Bei Lucan ist die Unterscheidung zwischen fatum und fortuna hinfällig. Die Weltgeschichte wird von einer irrationalen und bösartigen Macht bestimmt; die Pflicht, die Cato beispielhaft vorlebt, besteht darin, sich nicht von dieser Macht korrumpieren zu lassen und auch, wenn die Vergeblichkeit des Widerstands abzusehen ist, für die politischen Ideale der Republik
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einzutreten. In diesem Sinn ist Lucans Variation des zitierten Ausspruchs von Cleanthes zu verstehen (2,287): sed quo fata trahunt, virtus secura sequetur. Ohne sich um sein persönliches Schicksal zu sorgen (virtus secura), läßt sich Cato vom feindlichen fatum in den Bürgerkrieg hineinziehen, um Rom soweit wie möglich vor Schaden zu bewahren. Zum Zusammenfallen von fatum und fortuna bei Lucan vgl. NESSELRATH 1992, 93 mit Anm. 162. 243–244. nec … / fas mihi nec liceat: Weder das Fatum noch die militärische Lage erlauben, auf eine Wende des Kriegsglücks zu hoffen. 245. Emathium sparsit victoria ferrum: „sa victoire d’Emathie a répandue partout son fer“ (BOURGERY/PONCHONT/J AL ). Die Mehrheit der Übersetzer versteht spargere als „zerstreuen“ und bezieht Emathium (…) ferrum auf die pompeianische Armee (so DUFF; EHLERS; EBENER; LUCK; B RAUND ; auch PFLUGBEIL in ThLL VI 1,581,11–12). Die Verwendung von spargere bei Lucan läßt beide Auffassungen zu (vgl. 1,394–395: sparsas per Gallica rura cohortes / evocat und 8,273–274: sparsit potius Pharsalia nostras / quam subvertit opes), der Gedankengang (cuncta tenentur – clausa fides) empfiehlt jedoch die Bedeutung „ausbreiten“. Caesars Sieg bei Pharsalos hat ihm bis auf das versprengte Häuflein Pompeianer an der Küste Afrikas die ganze Welt ausgeliefert. 246. clausa fides miseris: Sinn: „Im Unglück bleibt uns kein Ausweg. Wir können uns nicht aussuchen, wem wir unser Vertrauen schenken wollen.“ Fides ist aktivisch; nicht „Schutz“ (H ASKINS ; EBENER ; BOURGERY/PONCHONT/JAL), sondern „Vertrauen/Treue“. Der Soldat zeigt keinerlei Interesse, nach einer Alternative zur Unterwerfung unter Caesar zu suchen. Die Anspielung auf das Sprichwort, daß der Unglückliche allein ist (vgl. OTTO s.v. amicus Nr. 6/7), soll seine Bequemlichkeit verdecken, die konkrete Lage zu analysieren. et toto solus in orbe est: ein berechtigter Hinweis. Es gehört zu den Besonderheiten eines Bürgerkriegs in einem Weltreich, daß der Unterlegene keine Möglichkeit hat, in einem fremden Land um Asyl nachzusuchen. Pompeius’ wenig erfolgversprechender Plan, mit Hilfe von Roms Todfeinden, den Parthern, die den einzigen von Rom unabhängigen Machtfaktor darstellen, den Kampf gegen Caesar weiterzuführen, wird von der Versammlung der Pompeianer in Syhedra zu Recht abgewiesen (8,243–455); Lentulus’ Gegenvorschlag, die Ägypter um Hilfe zu bitten, weil sie Pompeius zu besonderer Dankbarkeit verpflichtet sind (vgl. zu
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131–132), schlägt fehl und führt zu Pompeius’ Ermordung. In seiner völligen Ratlosigkeit, wohin er sich nach der Niederlage bei Pharsalos wenden könne, hatte Pompeius für einen Moment sogar erwogen, bei den Antipoden Zuflucht zu suchen, die gemäß den Spekulationen antiker Geographen jenseits der heißen Äquatorialzone auf der Südhalbkugel wohnen (8,161–164). Zum „Motiv der Ausweglosigkeit“ im BC vgl. AHL 1976, 21–22. 247. qui velit ac possit victis praestare salutem: „der die Besiegten retten möchte – und es kann!“ Possit ist gegen die logische Reihenfolge von Können und Wollen nachgestellt; Cato wird daran erinnert, daß der Widerstand gegen Caesars Übermacht kaum erfolgreich sein kann. Auf die clementia Caesaris nimmt Lucan mehrfach Bezug. Er deutet Caesars Milde als Versuch, den unterlegenen Gegner durch die Verweigerung eines ehrenvollen Tods zu demütigen. Vgl. zu 210. Die Lage der eingeschlossenen Pompeianer ist vergleichbar mit der Situation des Untertanen im Kaiserreich. Nach der Prinzipatsideologie treten die Untertanen ihre Rechte an den Princeps ab. Der Princeps als „derjenige, der alles kann, was er will“ übernimmt mit den Machtmitteln und dem Recht, sie nach eigenem Gutdünken zu gebrauchen, auch die Pflicht, für das Wohlergehen der Bürger zu sorgen. Vgl. Plin. paneg. 8,1; 67,3–6; 61,4: ut enim felicitatis est quantum velis posse, sic magnitudinis velle quantum possis. Auf Prinzipatsideologie spielt Lucan wohl auch in 3,100–101 an (Caesars Einzug in Rom): fuit haec mensura timoris: / velle putant quodcumque potest. Pompeius’ Zurückhaltung wird von Cato lobend hervorgehoben (9,196): quaeque dari voluit, voluit sibi posse negari. Vgl. NARDUCCI 1979, 105–106; HUNINK zu 3,101. 249–251: Ein geschickter Appell schließt die Rede ab. Nur durch die Kapitulation kann Cato seinem Grundsatz, stets verfassungskonform zu handeln, auch weiterhin treu bleiben. In der Antwort weist Cato die formalistische Interpretation der Lage scharf zurück. Caesar ist ein Tyrann, der sich die Würde des Konsulats und die Insignien republikanischer Macht unrechtmäßig angeeignet hat. Für Catos Vaterlandsliebe und Gesetzestreue vgl. 2,316. 319–323. 382–383. 388–389; 9,21–30. 385. 251. Romanus quae consul habet: Der Name Caesar wird vermieden. Zu Caesars Konsulat vgl. zu 238–239.
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252: Der Wechsel von ‚i‘ und ‚u‘ bis zur Hauptzäsur malt den Sprung ins Schiff, nach der Penthemimeres dominiert ‚u‘. Die Soldaten brechen lärmend auf. insiluit puppi: vgl. 10,506–508: sed caeca nocte carinis / insiluit Caesar semper feliciter usus / praecipiti cursu bellorum. Insilire mit Dativ ist ovidisch; vgl. met. 8,142: insilit undis. 367; 12,345–346; Sen. Phoen. 24. iuvenum comitante caterva: eine Variation der vergilischen Formel magna comitante caterva (Aen. 2,40. 370; 5,76; Hinweis von FRANCKEN z.St.). 2.5.2. Niederschlagung der Meuterei; der Bürgerkrieg ist fortan ein bellum iustum (9,253–293) 253–293: Mit einer donnernden Rede gebietet Cato dem Getümmel der fliehenden Meuterer Einhalt (253–255). „Ihr habt nichts verstanden! Für Pompeius und dessen Alleinherrschaft habt ihr euer Blut vergossen, nun meutert ihr (262–267)! Vom Triumvirat ist allein Caesar geblieben, jetzt ist es an der Zeit, auch den letzten Tyrannen zu beseitigen (262–267)! Aber geht ruhig! Niemand wird glauben, ihr hättet bei Pharsalos Blut römischer Bürger vergossen; Caesar wird euch gern aufnehmen. Übergebt ihm am besten noch Pompeius’ Frau und dessen Kinder, auch für meinen Kopf wird er euch einen guten Preis zahlen (268–283).“ Wie ausfliegende Bienen, vom Beckenschlag des Imkers getroffen, das Schwärmen abbrechen, beenden die Soldaten abrupt die Flucht. Sie sind bereit, das „bellum iustum“ gegen Caesar zu führen (283–293). Zur Gesamtinterpretation vgl. zu 215–252. 253–255: Der Aufbruch der Soldaten scheint das Ende des freiheitlichdemokratischen Roms zu bedeuten. Catos energische Intervention vermag den durch das Fatum vorbestimmten Ausgang des Bürgerkriegs zwar nicht zu ändern, doch fällt Rom Caesar wenigstens nicht kampflos in die Hände. In der stoischen Ethik bestimmt sich die Pflicht ohne Rücksicht auf Überlegungen über den mutmaßlichen Erfolg oder Mißerfolg einer Handlung. An dem einmal erkannten Gut ist in jedem Fall festzuhalten; vgl. 386–388. 403–404. 587–605. Im BC gibt es eine ganze Reihe derartiger „Beinahe-Episoden“, in denen der Dichter die Möglichkeit eines anderen Handlungsablaufs andeutet und zeigt, daß der tatsächliche Ablauf der historischen Ereignisse häufig nur an einem seidenen Faden hing. N ESSELRATH, der das Motiv der „Beinahe-Episode“ in der antiken Epik von Homer bis zur Spätantike verfolgt (1992; zu Lucan 92–106), hat die
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Besonderheiten Lucans im Vergleich zu anderen Epikern herausgearbeitet. Intervenieren in der Regel Götter als Sachwalter des Fatums in den irdischen Geschehensablauf, wenn die Ereignisse sich in eine nicht vorgesehene Richtung entwickeln, verdeutlichen Lucans „Beinahe-Episoden“, daß durch menschliche Tatkraft oder Entschlußschwäche die geschichtlichen Ereignisse wesentlich mitbeeinflußt werden, wenn auch der Ausgang des Bürgerkriegs festgelegt ist. An dieser Stelle verhindert Catos Unnachgiebigkeit eine vorzeitige Kapitulation der Republikaner vor dem scheinbar übermächtigen Caesar. An den wenigen Stellen im BC, in denen Caesar in Gefahr gerät und „beinahe“ scheitert, geben die Götter/Fortuna, die sich vorübergehend gegen ihren Günstling stellen, eine klägliche Rolle ab; unbeeindruckt und mit übermenschlichem Willen meistert Caesar die Bedrohungen. Als in Spanien aufgrund starker Regenfälle und Überschwemmungen eine Hungersnot in Caesars Heer ausbricht, bewirkt Fortuna bereits nach kurzer Zeit einen Wetterumschwung; die Götter wollen sich Caesars Gnade verdienen (4,121–123): sed parvo Fortuna viri contenta pavore / plena redit, solitoque magis favore secundi / et veniam meruere dei. Als Caesar bei dem leichtsinnigen Versuch, in einem nicht seetüchtigen Boot über die Adria nach Italien zu Marc Anton überzusetzen, um Verstärkung für seine in Illyrien gelandeten Truppen zu holen, in einen lebensbedrohlichen Sturm gerät, fordert er Fortuna auf, ihn im Meer umkommen zu lassen, er habe alles erreicht, was er sich vorgenommen habe; sofort wird er von einer Woge wieder ans sichere Ufer gesetzt. Übermütig behauptet er, Fortuna habe den Sturm nur aufkommen lassen, um auch ihm einmal einen Gefallen tun zu können (5,592–593). In diesen Episoden hat sich das übliche Verhältnis von bestimmendem Schicksal und gehorsamem Mensch beinahe ins Gegenteil verkehrt. Caesar ist der Motor der Handlung; Fortuna und die Götter treten als untergeordnete Verbündete auf, die sich nur gelegentlich eine Eigenmächtigkeit erlauben dürfen; vgl. 4,402–403 (Caesarianer werden auf einem Fluß überwältigt): non eadem belli totum fortuna per orbem / constitit, in partes aliquid sed Caesaris ausa est. Weit entfernt davon, das Geschehen auf der Erde lenken zu können, ist Iuppiter in der Sturmszene des fünften Buches vollauf damit beschäftigt, die hochgehenden Wogen vom Äther, seinem Herrschaftsbereich, fernzuhalten (5,625–626): tum quoque tanta maris moles crevisset in astra, / ni superum rector pressisset nubibus undas. Die parataktische Konstruktion (actum fuerat – fervebat: erupere) ist locker; HOUSMAN betrachtet sie mit Verweis auf die ähnliche Syntax in 3,597 und 10,39–41 als poetischen Ersatz für ein irreales Bedingungsgefüge, in dem
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aus stilistischen Gründen eine noch nicht vollendete Handlung bereits als vollendet hingestellt wird (actum […] fuerat; vgl. Flor. epit. 4,1,5: actum erat de pulcherrimo imperio, nisi illa coniuratio in Ciceronem et Antonium consules incidisset und weitere Beispiele bei K/S T 2,403–404) bzw. die Haupthandlung schon begonnen hat und in der Entwicklung begriffen ist, aber durch die Handlung des Nebensatzes unterbrochen wird (fervebat; vgl. z.B. Cic. leg. 1,52: labebar longius, nisi retinuissem und K/ST 2,404). Erupere steht demnach für nisi erupissent. 253–254: Nur in Z2UV überliefert. Der Kopist setzte versehentlich mit 235 fort, weil er indiga (254) mit insiluit (252) verwechselte (Homoioarcton); vgl. HOUSMAN praef. XXI. LUCK (1969, 274) ist der Ansicht, Lucan habe die Verse aus inhaltlichen Gründen bei der Endredaktion gestrichen, später seien sie als Autorenvariante in einen Teil der Handschriften wieder irrtümlich aufgenommen worden (zu Autorenvarianten bei Lucan vgl. zu 83). Seine Begründung (die Verse schienen ihm zu „stark“; „nur weil einige Kilikier desertieren, soll es um Rom geschehen sein?“) ist jedoch unzureichend. Die meuternden Soldaten repräsentieren die letzten freien Bürger Roms. Vgl. zu 246. 253. actum … fuerat: jur. t.t.; vgl. Don. Ter. Andr. 465: in summa rerum desperatione ponitur. haec res secundum ius civile dicitur, in quo cavetur, ne quis rem actam apud iudices repetat. 253–254. omnis / indiga servitii … plebes: Es ist ein Topos antiker Staatstheorie, daß sich die Masse des einfachen Volks häufig freiwillig Demagogen und Tyrannen ausliefert, weil sie, unfähig zu rationaler Überlegung, mit ihrer Freiheit nichts anzufangen weiß; vgl. Plat. polit. 439a; Liv. 2,32,8–12; Lucan. 3,109–112; Tac. ann. 3,65,3; Plin. paneg. 68,2; LÜHR 1979. Zu indigus vgl. zu 592. 255: Dem geschäftigen Treiben der Soldaten gebietet Cato durch eine flammende Rede Einhalt. Nicht er ist es, der spricht, sondern die Wahrheit selbst (erupere […] voces) spricht durch ihn wie durch eine inspirierte Orakelpriesterin. Zur Stilisierung Catos als Orakel für philosophische und politische Fragen vgl. auch zu 188–189 und 564–565. Für den Gedanken, daß die „Stimme der Vernunft“ inmitten der Torheit irgendwann nicht mehr länger schweigen kann, vgl. Cic. Vatin. 15: erumpet enim aliquando ex
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me vera vox et dicam sine cunctatione quod sentio; Phil. 10,12; Sen. clem. 2,1,1; Lucan. 1,359–360. Unpersönliche Redeeinleitungen verwendet Lucan, wenn starke Affekte wie Zorn (3,357; 4,211; hier: Empörung über die Feigheit der Soldaten) oder Trauer (5,761; 8,87) sich äußern. Aus Cicero spricht die personifizierte facundia (7,76); vgl. SANGMEISTER 1978, 57–58; HUNINK zu 3,357. 256. ergo: Die Kurzmessung des ‚o‘ ist seit den Tragödien Senecas üblich; meist wird der Vokal aber elidiert (so die übrigen Lucanbelege: 2,16. 628. 669. 704; 4,777; 6,360; 7,385; 9,55. 1073). Vgl. ThLL V 2,759,4–24 (REHM). pari: nicht eodem inter vos (B ENTLEY ), sondern eodem quo Caesariani (GROTIUS; zustimmend HASKINS). Cato gibt sich empört über das politische Desinteresse der Soldaten, die, wie die Worte des Meuterers gezeigt haben, nicht für die Republik, sondern für die Errichtung einer pompeianischen Alleinherrschaft gekämpft haben. Bekanntlich hatte sich Cato Pompeius nur unter Vorbehalt angeschlossen. Sollte dieser siegen, hätte er mit Cato einen Anwalt der traditionellen Staatsform an seiner Seite; vgl. 2,320–323. 258–262: Mit beißender Ironie prangert Cato die apolitische Haltung der Soldaten an. Die Meuterer hatten die Fortsetzung des Bürgerkriegs mit dem Argument abgelehnt, daß sie nur aufgrund ihrer persönlichen Bindung an Pompeius gegen Caesar gekämpft hätten; sachlich hätten sie keine Einwände, wenn Caesar die durch Pompeius’ Tod vakant gewordene Führungsposition im Staat einnehme (229–240). Diese Einstellung wird von Cato scharf kritisiert: Es muß das Interesse jedes Bürgers sein, die Republik vor der Okkupation durch einen einzelnen zu schützen. Das in den ironischen Ausführungen enthaltene argumentum a maiori („Wenn du für andere kämpfen konntest, sollte es dir leicht fallen, dich auch für dich selbst einzusetzen.“) hat Lucan aus Sen. epist. 17,7 übernommen: perpessi sunt exercitus inopiam omnium rerum, vixerunt herbarum radicibus et dictu foedis tulerunt famem; haec omnia passi sunt pro regno, quo magis mireris, alieno: dubitabit aliquis ferre paupertatem ut animum furoribus liberet? 258. quod non in regna laboras: „weil du dich nicht mehr dafür abmühst, eine Tyrannei zu errichten“. Laborare mit finalem in seit Liv. 7,25,9; Ov. met. 15,367; häufig bei Seneca (dial. 5,41,1; 9,1,3. 12,6; 10,20,1; epist. 15,11; 65,6; 90,16; 108,27).
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259. quod tibi, non ducibus, vivis morerisque: Cato wendet sich gegen den blinden persönlichen Gehorsam der Soldaten gegenüber dem Feldherrn und fordert sie auf, für ihre eigenen Interessen zu kämpfen. In der programmatischen Rede vor Beginn des Wüstenmarsches definiert er als gemeinsames Ziel seiner selbst und seiner Soldaten die Erhaltung der Republik; er selbst lehnt es strikt ab, irgendwelche Privilegien, die ihm gemäß seiner Position als Feldherr zustünden, in Anspruch zu nehmen (9,379–406). Als Kontrast dazu gestaltet Lucan das Verhältnis von Caesar zu seinen Truppen. Caesars Parteigänger Curio rühmt sich vor ihm, daß es ihm gelungen sei, gegen den Willen des Senats sein Kommando verlängern zu lassen (1,273–276) und ermutigt den noch unschlüssigen Caesar (1,272–273) ausdrücklich, in einem Bürgerkrieg nach der Alleinherrschaft zu streben (1,290–291). Der Primipilus Laelius bestärkt ihn darin, gestützt auf seine Soldaten der „Tyrannei“ des Senats ein Ende zu bereiten (1,363–365: dum movet haec calidus spirantia corpora sanguis / et dum pila valent fortes torquere lacerti, / degenerem patiere togam regnumque senatus?). Für Caesar wäre er sogar bereit, Rom dem Erdboden gleichzumachen (1,383–386). Caesar dagegen gibt sich selbstlos; er täuscht die Bereitschaft vor, sein Kommando niederzulegen, wenn er nur sicher wäre, daß seine Soldaten für die Mühen des gallischen Kriegs entlohnt würden (1,340–346). Seinen Versuch, sich selbst die Alleinherrschaft und seinen Soldaten ein Auskommen als Zivilisten zu verschaffen, verschleiert er durch die Behauptung, er wolle Rom von einem Tyrannen befreien (1,349–351: nec numina derunt; / nam neque praeda meis neque regnum quaeritur armis; / detrahimus dominos urbi servire paratae). Hinter Lucans Darstellung der Caesarianer steht die historisch zutreffende Einsicht, daß die Entstehung von Heeresklientelen im 1. Jahrhundert v. Chr., die bedeutenden Heerführern eine private Machtbasis für die Erreichung politischer Ziele verliehen, eine der wesentlichen Ursachen für den Zusammenbruch der Republik war. Die Opferbereitschaft der Soldaten stellt die eine Seite des reziproken Treueverhältnisses zwischen Feldherr und Untergebenen dar. Ihr korrespondiert die Pflicht des Heerführers, schonend mit den Untergebenen umzugehen, ihre finanziellen Bedürfnisse zu befriedigen und die Altersversorgung der Veteranen zu sichern. Die Fürsorge des Feldherrn wird von Cato in seiner Polemik allerdings unterschlagen; er stellt die verkürzte Alternative auf zwischen Söldnerdasein zum Nutzen des Feldherrn und republikanischem Bürgerheer, das für die eigenen Interessen kämpft. Das Motiv der unbedingten Treue, die die Bereitschaft einschließt, das ganze Leben dem anderen zu widmen und für oder mit ihm zu sterben,
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begegnet außerhalb des militärischen Kontexts häufig in der Liebesdichtung; vgl. Prop. 2,28,42: vivam, si vivet: si cadet illa, cadam; 2,15,36; Ov. am. 1,3,18; epist. 3,140. Lucan verwendet es in den Szenen mit Cato und Marcia bzw. Pompeius und Cornelia häufig; vgl. 2,342–344; 5,739–740. 767–778; 8,93–105. 584–586. 651–662; 9,101–116. 260. quod iam tibi vincere tutum est: Jetzt bedeutet der Sieg die Erhaltung des Staates, vorher hätte er Pompeius an die Macht gebracht. Zum hier angedeuteten paradoxen Gedanken, daß man sich durch den Sieg im Bürgerkrieg selbst schadet, weil man die Tyrannis herbeiführt bzw. sich moralisch kompromittiert, vgl. 1,366: usque adeo miserum est civili vincere bello?; 3,79: perdidit o qualem vincendo plura triumphum; 7,706: vincere peius erat und zu 269–270. 261: Die Soldaten tun genau das Gegenteil dessen, was man erwarten sollte: Für Pompeius waren sie bereit zu kämpfen, für sich selbst nicht. fugis quaerisque: Die Unlogik des Verhaltens der Soldaten wird scharf hervorgehoben. Normalerweise lautet die vor allem in moralphilosophischen Kontexten begegnende Antithese vitia fugere – virtutes quaerere (petere/sequi); vgl. Cic. off. 1,114: nec tam est enitendum, ut bona sequamur, quam ut vitia fugiamus; Rhet. Her. 4,20,28; Cic. fin. 1,48; top. 47; Hor. sat. 1,2,24; epist. 1,8,11; Ov. am. 2,19,36; ars. 1,545; epist. 14,105; trist. 1,2,31; Plin. paneg. 44,8. iugum cervice vacanti: vgl. zu 603. 262. nescis sine rege pati: „ohne König kannst du nicht leben“. Für „pati posse sine aliquo / aliqua re“ im Sinn von „ohne jemanden/etwas sein Auskommen finden / leben“ vgl. Lucan. 5,313–314: disce sine armis / posse pati. 778; ThLL X 1,729,4–13 (KRUSE). Lucan greift hier zurück auf Sen. Thy. 470: immane regnum est sine regno pati. Die Imitation ist durch inhaltliche Ähnlichkeit vermittelt. Thyestes preist die Vorzüge eines Lebens als einfacher Mann ohne die Last der Königswürde (446–470); bei Lucan geht es um die Vorteile eines Lebens ohne Königsherrschaft. 262–263. nunc causa pericli / digna viris: Zu Pompeius’ Lebzeiten waren die Soldaten bloße Befehlsempfänger, jetzt haben sie die Gelegenheit, echte Mannhaftigkeit unter Beweis zu stellen, indem sie in freier Entscheidung den wenig erfolgversprechenden Kampf gegen Caesar aufnehmen. Zum Gedanken, daß Catos Heer durch die erfolgreiche Bewältigung
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des Wüstenmarsches seine republikanische Gesinnung unter Beweis stellt und sich dadurch als Verteidiger des Vaterlands gegen Caesar legitimiert, vgl. 390–392. Wegen der Notwendigkeit, den Kretikus zu meiden, haben sich in der hexametrischen Dichtung die archaischen Formen von periculum ohne Sproßvokal ‚u‘ erhalten; vgl. Lucr. 2,6; Verg. Aen. 5,716; Hor. sat. 2,8,57; Ov. am. 2,13,3; Lucan. 9,890; Stat. Theb. 12,179; Val. Fl. 6,474; Iuv. 6,94; LEUMANN 1977, 102. 263–264. potuit vestro Pompeius abuti / sanguine: „Pompeius konnte (sc. weil ihr ihm gehorsam wart) euer Blut mißbrauchen“. HOUSMAN (z.St.) möchte mit den Adn. abuti im Sinn von „valde uti“ verstehen, um die folgende Antithese nunc patriae iugulos ensesque negatis nahtlos anschließen zu können (Sinn: Er durfte von eurem Blut reichlich Gebrauch machen, dem Vaterland verweigert ihr es.), doch ist dies eine Spitzfindigkeit. Die Konnotation des Mißbräuchlichen ist in jedem Fall mitgedacht. Für die übliche Auffassung spricht auch der weitere Kontext des Epos. Bei den Kampfhandlungen hatte Pompeius sich nach Lucans Darstellung stets bemüht, sinnloses Blutvergießen zu vermeiden; vgl. 6,319–329; 7,91–94. 115–122. 654–677. Bei Dyrrhachium verschenkt er sogar die Gelegenheit, den Bürgerkrieg zu beenden, weil er Skrupel hat, die umstellten Caesarianer niedermachen zu lassen; der Blutsäufer Sulla hätte die Gelegenheit genutzt und durch Rücksichtslosigkeit Rom gerettet (6,299–303): totus mitti civilibus / usque vel in pacem potuit cruor: ipse furentes / dux tenuit gladios. felix ac libera regum, / Roma, fores iurisque tui, vicisset in illo / si tibi Sulla loco. Auch an den beiden anderen Belegstellen (Caes. civ. 3,90,2; Curt. 8,7,11) bedeutet sanguine abuti „mißbräuchlich Blut vergießen“. 264. iugulos ensesque: „euer Leben und eure Kampfkraft“. Antithetische Wendungen mit iugulum und ensis/gladius sind seit Verg. Aen. 10,907: iuguloque haud inscius accipit ensem; 12,358: alto fulgentem (sc. mucronem) tinguit iugulo überaus häufig; vgl. Lucan. 1,376; 4,272–275. 806. 821; 5,263. 370; 6,161; 7,533. 644. 760; ThLL VII 2,1,637,75–638,32 (TEßMER). 265–267: Cato verdeutlicht die Gunst des Augenblicks: Dank Fortunas Hilfe sind zwei der Triumvirn durch ausländische Völker beseitigt worden; es wäre eine Schande, wenn die Römer nicht in der Lage sein sollten, sich mit Caesar des letzten Despoten selbst zu entledigen. Die Überlegung ist nur scheinbar logisch; es muß keineswegs leichter sein, gegen Caesar allein
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zu kämpfen als gegen das Triumvirat. Die im vorangegangen Satz ausgesprochene Behauptung, die Freiheit sei nahe, ist eine starke Übertreibung. Neben dem allgemeinen Rechts- und Sittenverfall (1,152–182) ist für Lucan die Errichtung des Triumvirats die Hauptursache des Bürgerkriegs (1,84–86): tu causa malorum / facta tribus dominis communis, Roma, nec umquam / in turbam missi feralia foedera regni. Macht läßt sich nicht teilen, und nachdem mit Crassus und Julia die beiden Personen gestorben waren, die ein direktes Aufeinandertreffen der beiden ehrgeizigen Rivalen verhindert hatten, mußte es unweigerlich zum Krieg kommen (1,81–128). 267. Parthi militis arcus: sc. durch die Tötung des Crassus in der Schlacht bei Carrhae. Der Bogen war die charakteristische Waffe der parthischen Reiter; zugleich symbolisierte er für die Römer den parthischen Volkscharakter. Bei der Beratung in Syhedra weist Lentulus Pompeius’ Vorschlag, zu den Parthern überzulaufen und mit Hilfe ihrer gefährlichen Bogenschützen gegen Caesar vorzugehen (8,295–304), scharf zurück. Der Kampf aus der Ferne mit vergifteten Pfeilen sei ein Zeichen von Feigheit und Heimtücke (8,365–388), nur die verweichlichten Völker heißer Klimazonen bedienten sich dieser bequemen Waffe; Männer kämpften mit dem Schwert (8,385–386): ensis habet vires, et gens quaecumque virorum est / bella gerit gladiis. 268–283: Die Argumentation ist abgeschlossen; in einer breit ausgeführten ironischen permissio rückt Cato den Soldaten das inhonestum ihrer Absichten vor Augen. Beschämt unterbrechen die Meuterer die Flucht und erkennen Cato als neuen Oberkommandierenden an. 268. ite, o degeneres: Die Niederschlagung einer Meuterei durch einen ironischen Entlassungsbefehl stammt aus der Alexander-Topik. Bei der Heeresversammlung in Opis am Tigris (324 v. Chr.) kam es zu Tumulten unter den Soldaten, als Alexander Altgediente und Invalide aus den makedonischen Truppenteilen ausmustern und zurück in die Heimat schicken wollte; die Ausgemusterten sahen darin eine Zurücksetzung gegenüber den Persern, die übrigen Makedonen solidarisierten sich mit ihnen und forderten Alexander höhnisch auf, doch allein mit seinem Vater (sc. Ammon) den Krieg fortzusetzen. Alexander sprang daraufhin wutentbrannt in die Menge, ergriff eigenhändig die Rädelsführer und übergab sie seiner Garde zur Hinrichtung; in einer Ansprache, die er mit einer ironischen Entlassung des Heeres beendete, brachte er die Soldaten wieder hinter
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sich. Vgl. Arr. an. 7,8,1–11; Curt. 10,2,8–4,3; Diod. 17,109,2–3; Plut. Alex. 71,2–9; Iust. 12,11,4–12,12,10; LAUFFER 1993 (=1981), 173. Weitgehend nach diesem Vorbild hat Lucan die Meuterei der Caesarianer in 5,237–373 gestaltet; vgl. FANTHAM 1985. In der Alexander-Rede bewährte sich die ironische Entlassung als schlagfertige Entgegnung auf den Hohn der Soldaten; in der Praxis kann zuviel Theatralik leicht verhängnisvoll werden. Als Germanicus auf den Vorschlag der meuternden pannonischen Legionen hin, Tiberius mit ihrer Hilfe zu stürzen, empört einen (von den Umstehenden rechtzeitig unterbundenen) „Selbstmordversuch“ unternimmt, bleiben einige Soldaten unbeeindruckt und ermuntern ihn, er solle sich nur töten; einer bietet ihm sogar mit dem Hinweis, es sei schärfer, sein eigenes Schwert an. Mit Müh und Not kann Germanicus in sein Zelt entkommen (Tac. ann. 1,35,4–5). Die Form „Geh, tu, was du willst!“ ist für die Figur der permissio charakteristisch. Die Rhetoriklehrbücher (Quint. inst. 9,2,48; Iul. Rufinian. 27) nennen als Beispiele Cic. Catil. 1,10: quid exspectas? proficiscere: nimium iam diu te imperatorem tua illa Manliana castra desiderant; Verg. Aen. 4,381: i, sequere Italiam ventis, pete regna per undas; vgl. LAUSBERG § 857. Das Schimpfwort degener für Soldaten, das deren momentanes Verhalten am vergangenen mißt und als entartet verwirft, ist von Livius geprägt worden (39,44,4); Lucan verwendet es häufig (1,365; 2,523; 3,367; 4,344; 8,676; 9,268), nach ihm die flavischen Epiker (Sil. 10,422; Stat. Theb. 1,639; 10,209. 333). Vgl. ThLL V 1,381,10–18 (BÖGEL ); OPELT 1965, 191. 268–269. Ptolemaei munus et arma / spernite: „verschmäht doch das Geschenk des Ptolemaeus (d. i. Pompeius’ Kopf) und seine Waffen“. Die Interpretation des Satzes ist umstritten. HOUSMAN (im App.; zustimmend: V ENINI 1990, 545) faßt arma als arma militum Catonis auf, nimmt also eine nicht unbedeutende syntaktische Härte an. SHACKLETON BAILEY (1982, 99) versucht daher, die Stelle durch eine Konjektur (Ptolemaei muneris arma) zu heilen. Am überzeugendsten ist der neuerdings von B RENA (1999, 299–301) vorgetragene Vorschlag, Ptolemaei (…) arma wörtlich zu verstehen. Die Waffe des Ptolemaeus, mit der er bzw. seine Spießgesellen Pompeius getötet haben, ist das Schwert (vgl. 5,61–63; 8,607–608. 612–613). Über dieses verfügen auch die Soldaten; damit sollen sie den Kampf fortsetzen.
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269–270. quis vestras ulla putet esse nocentes / caede manus?: In der Auseinandersetzung mit Brutus, der ihm rät, seine einzigartige, in den Wirren der Revolutionsjahre bewahrte moralische Integrität nicht durch Parteinahme für Caesar oder Pompeius aufs Spiel zu setzen (2,259: accipient alios, facient te bella nocentem), erläutert Cato, warum es für einen Römer Pflicht ist, sich am Bürgerkrieg zu beteiligen und dadurch Schuld auf sich zu nehmen. Zwar strebt auch Pompeius nach der Alleinherrschaft, doch hat er immerhin den Senat an seiner Seite; sollte es ihm gelingen, den skrupellosen Caesar zu besiegen, so weiß er, daß er den Sieg auch republikanisch gesinnten Mitstreitern zu verdanken hat; vgl. 2,319–323. Die Schuld, die er auf sich lade, werde man den Göttern anlasten, die die wahren Schuldigen für den Bürgerkrieg sind; vgl. 2,288: crimen erit superis et me fecisse nocenten. 271: In Wahrheit waren es die ausländischen Auxiliartruppen, die zuerst flohen; vgl. 7,525–531. Emathiis … Philippis: d.h. aus Pharsalos. Durch Verg. georg. 1,489–492: ergo inter sese paribus concurrere telis / Romanas acies iterum videre Philippi; / nec fuit indignum superis bis sanguine nostro / Emathiam et latos Haemi pinguescere campos ist die geographisch falsche Vorstellung entstanden, daß Pharsalos (Thessalien) und Philippi (Makedonien) in unmittelbarer Nachbarschaft am Fuße des Haimos liegen; vgl. z.B. Ov. met. 15,823–824; Manil. 1,908–913; Petron. 121,111–112; Iuv. 8,242; Flor. epit. 2,13,13). Begünstigt wurde der Irrtum dadurch, daß Thessalien zur römischen Provinz Macedonia gehörte. Im BC kann daher Philippi für Pharsalos eintreten (vgl. 1,680. 694; 6,582; 7,872), Emathia kann Makedonien oder Thessalien bezeichnen (vgl. zu 15). Vgl. SCHMIDT 1938, 2227–2233. 272. vadite securi: „Geht sorglos eurer Wege!“ Vadere hat von sich aus bereits die Konnotation des Gleichmütig-Unbesorgten; vgl. Cic. Tusc. 1,97: quis hanc maximi animi aequitatem in ipsa morte laudaret, si mortem malum iudicaret. vadit enim in eundem carcerem (…) Socrates, eodem scelere iudicum quo tyrannorum Theramenes. 273. non armis, non obsidione subacti: andernfalls hätten sie nach dem Kriegsrecht ihr Leben verwirkt und müßten damit rechnen, getötet oder in die Sklaverei verkauft zu werden; vgl. zu 298–299.
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274–275. o famuli turpes, domini post fata prioris / itis ad heredem: „Ihr elenden Knechte, nach dem Tod des früheren Herrn dient ihr euch dem Erben an.“ Vorausgesetzt ist die häufig geübte römische Praxis, Sklaven testamentarisch freizulassen. Wie Cato unterbindet auch der pompeianische Feldherr Petreius die Fraternisation seiner Truppen mit den Caesarianern in Spanien, indem er durch den Vorwurf, sie wollten freiwillig Caesars Sklaven werden (vgl. 4,218–219), an ihr Ehrgefühl appelliert; vgl. 4,231–232: o dira pudoris / funera; 9,266: pudeat. 275–276. cur non maiora mereri / quam vitam veniamque libet?: Eine sarkastische Variation des Gemeinplatzes, daß es höhere Werte als das Leben gibt. Wenn die Soldaten schon fliehen, sollen sie doch wenigstens so klug sein, sich durch Auslieferung Catos und Pompeius’ nächster Verwandter noch viel Geld dazuzuverdienen. 276. rapiatur in undas: vgl. zu 165. 277. prolesque Metelli: Wie in 8,410–411: proles tam clara Metelli / stabit barbarico coniunx millesima lecto kontrastiert die Antonomasie vornehme Abstammung mit schmählicher Behandlung; vgl. SCHÖNBERGER 1968, 46–47. Zu Cornelia vgl. zu 51. 278. Ptolemaei vincite munus: „Übertrefft das Geschenk des Ptolemaeus (sc., das er Caesar mit der Ermordung des Pompeius gemacht hat)!“ 279–283: Die Frage nach der angemessenen Entsoldung und der Vorwurf der Feigheit können in einer fiktiven oder realen Meuterei nicht fehlen. Lucan stellt hier seine Fähigkeiten als Deklamator unter Beweis und demonstriert dem Leser, wie die abgedroschenen Topoi, in einem unerwarteten Gedankengang miteinander kombiniert, zum wirkungsvollen Schlußund Höhepunkt einer Rede werden können. 279–281: Der Umstand, daß der anonyme Meuterer in seiner Rede (227–251) das Thema der Entsoldung nicht angeschnitten hatte, zeigt, daß es Lucan hier nicht so sehr darauf ankommt, Cato die Argumente des Soldaten widerlegen zu lassen, als den Leser durch überraschende Verwendung eines bekannten Topos zu verblüffen.
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280–281. sciat ista iuventus / cervicis pretio bene se mea signa secutam: „Durch das auf mich ausgesetzte Kopfgeld sollen diese Soldaten erfahren, daß sie gut daran getan haben, meinen Feldzeichen zu folgen.“ Bene ist Adverb des Urteils; vgl. 1058–1059: o bene rapta / arbitrio mors ista tuo!; LHS 827. 283. ignavum scelus est tantum fuga: Der Vorwurf der Feigheit ist ein häufig verwendetes Mittel, um die Disziplin unter den Soldaten wiederherzustellen; vgl. O PELT 1965, 191. Berühmt war die Anrede Quirites, mit der Caesar die Revolte der zehnten Legion in Campanien (47 v. Chr.) unterdrückte; vgl. Suet. Iul. 70; Tac. ann. 1,42,3; Lamprid. Alex. Sev. 52; App. civ. 2,93. Lucan läßt Caesar mit diesem Ausspruch die Meuterei seiner Truppen in Spanien (49 v. Chr.) beenden (5,358: tradite nostra viris ignavi signa Quirites); vgl. BARRATT zu 5,358; FANTHAM 1985, 120. 283–284: Allein durch den Eindruck der energischen Rede wird die Revolte unterbunden; vgl. auch 221. 224. revocavit: mil. t.t.; vgl. z.B. Caes. Gall. 2,20,1; 5,11,1; civ. 1,28,3; 3,14,2; 3,51,3. 285–293: Mit einem Gleichnis verdeutlicht Lucan die Wirkung der Rede Catos auf die Meuterer. Wie ein Imker durch Schlagen eines Beckens Bienen davon abhält auszuschwärmen, so werden die desertierenden Truppen durch Catos kraftvolle Worte getroffen; die Flucht wird im Keim erstickt, die Soldaten sind bereit, den Dienst wiederaufzunehmen. Das Bienengleichnis ist eine Adaption von Homer Il. 2,84–89, wo das Zusammenströmen der Soldaten zur Volksversammlung beschrieben wird; vgl. zu 253–293. 285. effetas linquunt … ceras: „lassen die Waben, aus denen sie geschlüpft sind, leer zurück“. Wie Säugetiere im Leib der Mutter vollziehen die Larven die Metamorphose zur Biene in den Waben des Stocks. Falsch ThLL III 849,81–82 (GOETZ ); G EORGES s.v. effetus: effetas = „melle privatas“. Effeta heißt eigentlich „geboren habend“ (Colum. 7,7,4. 12,11. 12,13; 9,1,7; 10,396 und dieser Beleg), dann „von der Geburt erschöpft“ (Lucan. 4,593: nondum post genitos Tellus effeta gigantes), erst im übertragenen Sinn „entkräftet“; vgl. Serv. Aen. 5,396 (effetae […] vires): est translatio a mulieribus, quas frequens partus debiles reddit.
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286–287. oblita favi non miscent nexibus alas / sed sibi quaeque volat: „Sie kümmern sich nicht mehr um den Honig, fliegen nicht mehr im Schwarm, Flügel an Flügel, sondern einzeln, eine jede für sich.“ Normalerweise verlassen Bienen den Stock, wenn nach der Geburt einer neuen Königin die alte einen Teil des zu groß gewordenen Schwarms mit sich fortführt; in nicht allzu großer Entfernung von der alten Behausung lassen sie sich in Form einer Traube an einem Ast o.ä. nieder und senden einzelne Tiere aus, die einen geeigneten Ort für einen neuen Stock suchen sollen, bzw. nehmen den vom Imker angebotenen Korb an (vgl. zu 288). Dieses natürliche Verhalten der Bienen wird von Lucan auf den Gegenstand adaptiert, den der Vergleich illustrieren soll, die Soldaten, die, statt zu kämpfen, sich einzeln in ihre Heimat aufmachen. Dies hat zur Folge, daß er in 285–287 die absurde Vorstellung der Arbeitsbiene entwirft, die, unlustig, für den Stamm Honig zu sammeln, sich aufmacht, ihr Leben als Einzelgängerin zu fristen und erst vom Imker durch einen Beckenschlag dazu gebracht werden muß, die gewöhnliche Tätigkeit wiederaufzunehmen. Der ausschwärmende Bienenschwarm ist von Lucan durch die einzelne ungehorsame Arbeitsbiene ersetzt worden, um den Vergleich mit den aufbrechenden Meuterern zu ermöglichen. Der „Fehler“ Lucans ist bereits in der literarischen Tradition angelegt; Homer läßt an der obengenannten Stelle (Il. 2,84–89) das Volk wie Bienen, die in Trauben Nektar suchen, zusammenströmen. Da zu Homers Zeiten noch keine Imkerei betrieben wurde, ist die Vermengung von (gemeinsam) schwärmenden und (einzeln) Nahrung suchenden Bienen verzeihlich; Lucan hätte es besser wissen können, muß jedoch, um das Gleichnis überhaupt anwenden zu können, die unrichtige Vorstellung beibehalten. Der gegenüber Homer überschießende Vers 285 (simul effetas linquunt examina ceras) deutet jedoch an, daß er um die wahren Ursachen des Schwärmens gewußt hat. Ala vom Bienen-/Insektenflügel seit Verg. georg. 4,27. 82. 106. 203. 287–288. nec iam degustat amarum / desidiosa thymum: „und träge kostet sie nicht mehr vom bitteren Thymian“. Der Nektar aus den Blüten des Thymian galt im Altertum als beste Grundlage für Honig. Berühmt für die Qualität des Honigs waren daher die Bienen vom Hymettos in Attika und vom Hybla in Sizilien, wo die Gewürzpflanze besonders gut gedieh; vgl. z.B. Verg. ecl. 1,54 (mit CLAUSEN ); Plin. nat. 21,56–57. Plin. nat. 21,70 gibt eine Liste der Pflanzen, die in der Antike als geeignet für Honiggewinnung angesehen wurden. Das Epitheton amarus (nur hier vom Thymian; vgl. ThLL I 1820,54 [BANNIER]) verwendet Lucan, um glei-
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chermaßen den Geschmack des Gewürzes in Erinnerung zu rufen wie um eine Antithese zur Süße des aus ihm gewonnenen Produkts herzustellen. Degustare von Bienen nach Calp. ecl. 3,79–80: vixdum bene florem / degustabat apis, tu cingebare coronis. 288. Phrygii sonus … aeris: „der Klang eines phrygischen Beckens“. Phrygius ist eine Anspielung auf Kybele, deren Instrument das Kymbalon war; vgl. Verg. georg. 4,64: tinnitus cie et Matris quate cymbala circum. Man nahm in der Antike an, Bienen, häufig Symbol musischer Inspiration, fänden am Klang metallener Instrumente Gefallen. Die einschlägigen Handbücher raten daher den Imkern, durch Schlagen eines Beckens den ausgeflogenen Schwarm davon abzuhalten, sich zu weit vom Stock zu entfernen; vgl. die zahlreichen Belege aus der gesamten Antike, gesammelt bei OLCK 1897, 443–444 und MYNORS zu Verg. georg. 4,50. 64. Moderne Experimente haben keine Beeinflussungsmöglichkeit von Bienen durch akustische Signale feststellen können. Schwärmende Bienen einzufangen ist gewöhnlich unproblematisch, da die Tiere in der Regel unmittelbar nach dem Ausfliegen, das sich bereits einige Tage vorher durch lautes Summen im Stock ankündigt, in durchschnittlich 20 m Entfernung vom Stock eine Traube bilden und einen vom Imker angebotenen und mit Lockstoffen, die bereits in der Antike bekannt waren (vgl. z.B. Verg. georg. 4,62–66), präparierten leeren Bienenkorb bereitwillig annehmen. Zum Umgang mit Bienenschwärmen in der modernen Imkerei vgl. CRANE 1990, 178–184. In der heutigen Imkerei wird meist das Ausfliegen durch rechtzeitiges Entfernen der Larve der nachwachsenden Königin von vornherein verhindert. 289–290. studiumque laboris / floriferi repetunt: „nehmen die mühevolle Arbeit des Nektarsammelns wieder auf“. Florifer („blütentragend“) ist eine lukrezische Bildung (3,11: floriferis ut apes in saltibus omnia libant). Als erster nimmt Seneca (Oed. 649–650: vere florifero virens / reparabit herbas) das Wort auf und gebraucht es mit anderer Suffixbedeutung („blütenbringend“); Lucan verändert zusätzlich die Bedeutung des Stammes: flor- steht gleichsam metonymisch für *nectari-. 291–292: Das Gleichnis wird zu einer kleinen ländlichen Szene erweitert. Die Einführung des sizilischen Hirten trägt zur Charakterisierung Catos nichts bei.
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291. gaudet in Hyblaeo … gramine pastor: Andeutung einer Ideallandschaft, in der die bukolischen Dichter die Hirten ihr beschauliches Leben führen lassen; größere Sorgen oder Freuden als Schwärmen und Einfangen von Bienenschwärmen sind ihnen fremd. Zu den Elementen des locus amoenus gehören gewöhnlich noch schattenwerfende Bäume und eine Quelle; zu den Bestandteilen des Topos und dessen Verwendung in der Literatur vgl. CURTIUS 1961, 202–206; SCHÖNBECK 1962, 18–60; EDWARDS 1987. Bukolisches bei Lucan auch in 426–428. 292. divitias … casae: vgl. zu 427. 292–293: Das Epiphonem konstatiert den Abschluß der nach Pompeius’ Tod notwendig gewordenen Neubesinnung über Legitimität und Ziel des Bürgerkriegs. Die von Cato im Epitaph auf Pompeius (190–214) und der Erwiderung auf die meuternden Soldaten (256–288) vorgetragenen Argumente haben die Soldaten davon überzeugt, daß eine Fortsetzung des Kampfs gegen Caesar im Interesse des Vaterlands und jedes einzelnen Bürgers liegt; nur so ist es möglich, die republikanische Freiheit zu erhalten. Solange Pompeius lebte, bedeutete eine Parteinahme gegen Caesar immer auch Unterstützung der monarchischen Ambitionen, die Pompeius insgeheim hegte, und konnte nur als die Wahl des kleineren Übels gerechtfertigt werden (so Cato in seiner Replik auf Brutus’ Vorschlag, neutral zu bleiben; vgl. 2,286. 320–323). Da Catos Uneigennützigkeit und persönliche Integrität unbezweifelbar sind, ist aus dem verbrecherischen Bürgerkrieg der Kampf eines Heeres freier Bürger gegen den Tyrannen Caesar und seine Helfershelfer geworden. Vgl. die Einleitung des neunten Buchs (27–30): nec regnum cupiens gessit civilia bella (sc. Cato) / nec servire timens. nil causa fecit in armis / ille sua: totae post Magni funera partes / Libertatis erant. 292. voce Catonis: Vox im Ablativ findet sich bei Lucan nur hier und in 221 und 226 zu Beginn der Auseinandersetzung mit den Meuterern; das Wort umklammert den rednerischen Schlagabtausch zwischen Cato und den Aufrührern. 293: Wuchtige Spondeen und Alliteration auf ‚a‘ und ‚i‘ bilden einen markanten Einschnitt. inculcata viris … patientia: „die Bereitschaft, die Strapazen (, die der gerechte Krieg mit sich bringen würde,) zu ertragen, wurde den Männern
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eingeschärft“. Inculcare im Sinn von „einschärfen“ ist eine ciceronianische Metapher; vgl. Cic de orat. 1,127: quod tradatur vel etiam inculcetur, si quis forte sit tardior; Att. 1,17,2; Val. Max. 3,2,22; Colum. 3,10,18; Quint. inst. 6,4,5. In der Poesie wird das drastische Verb gemieden und ist sonst nur Manil. 4,917 belegt. Vgl. ThLL VII 1,1065,8–1066,9 (BULHART). iusti … Martis: Daß der Kampf gegen einen Tyrannen nicht nur erlaubt, sondern sogar Pflicht ist, war bei Griechen wie Römern unbestritten. Ein römisches Exemplum für berechtigten Widerstand gegen einen Gewaltherrscher war die Vertreibung des letzten Königs, Tarquinius Superbus. In der Kaiserzeit wurden die meisten Usurpationen unter dem Vorwand der Befreiung von einer tyrannischen dominatio unternommen. Zur rechtlichen Bedeutung und propagandistischen Verwendung des Begriffs bellum iustum in der Kaiserzeit vgl. VITTINGHOFF 1936, 100 Anm. 462; MANTOVANI 1990; KASER 1993.
2.6. Disziplinierung der Soldaten; Eroberung von Kyrene (9,294–302) 294–302: Cato beugt dem drohenden Verfall der militärischen Diszplin durch Manöver am Strand vor (294–296). Bei der Eroberung von Kyrene stellen die Soldaten zum ersten Mal ihre militärische Schlagkraft unter dem Oberbefehl Catos unter Beweis (297–299). Cato beschließt, von der Kyrenaika aus durch die gefährlichen Untiefen der Syrten in die Provinz Afrika zu segeln (300–302). 294–295: -que verbindet die beiden Ablative. Konstruktion: Iamque actu belli serieque agitare laborum constituit mentes non doctas ferre quietem (FRANCKEN nach einer Konjektur von GUYET, der durch die Umstellung die ursprüngliche Wortstellung wiederherstellen wollte). Die Wortstellung ist bewußt irreführend und zwingt den Leser zu aufmerksamer Lektüre (vgl. zu 369); ohne den zweiten Teil von 295 zu kennen, kann actu belli nur auf non doctas („durch lange Kriegführung verroht und nicht in der Lage, Ruhe zu ertragen“; vgl. 1,327–332: utque ferae tigres numquam posuere furorem, / quas, nemore Hyrcano matrum dum lustra secuntur, / altus caesorum pavit cruor armentorum, / sic et Sullanum solito tibi lambere ferrum / durat, Magne, sitis. nullus semel ore receptus / pollutas patitur sanguis mansuescere fauces; 5,371–373) oder constituit („disziplinierte die aufrührerischen Soldaten durch Kriegführung“; vgl. z.B. Cic. Tusc. 2,11: quotus enim quisque philosophorum invenitur, qui sit ita mo-
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ratus, ita animo ac vita constitutus, ut ratio postulat?) bzw. épÚ koinoË auf beides bezogen werden. Der Nachtrag serieque agitare laborum zwingt, die syntaktischen Bezüge neu zu ordnen. Actu belli und serie laborum sind als Abl. instr. gleichermaßen zu non doctas wie zu agitare zu beziehen. Absichtliche Verdunkelung der Syntax auch in 167–168; 368–371. 296: „Zuerst müssen sich die Soldaten in den Sanddünen der Küste bis zur Erschöpfung abmühen.“ Lucan adaptiert Ov. met. 2,577 in molli nequiquam lassor harena (Hinweis von KÜPPERS 1988, 460). Mühevolle oder vergebliche Handlungen vergleicht Ovid häufig mit Arbeiten (Pflügen o.ä.) im Küstensand; vgl. Ov. am. 2,19,45; epist. 5,116 (vgl. Iuv. 7,48–49); 16 (17),139; trist. 5,4,48. 6,43. Lucan verwendet dieses ovidische Motiv auch in 441–442. Die inhaltliche Füllung des allgemein formulierten Verses ist umstritten. K ÜPPERS (1988, 459–460) paraphrasiert unter Verweis auf actu belli (294) mit „kriegerische Streifzüge, bei denen Cato die Truppen den beschwerlichen Weg unmittelbar am Meer entlang nehmen läßt“, doch paßt ein solches Verhalten weder zu Lucans Cato noch zu der Assoziation vergeblicher Mühe, die mit dem Ausdruck lassatur harenis verbunden ist. Die herkömmliche Interpretation (Disziplinierung der Soldaten durch Übungsmärsche und Schanzarbeiten, so HASKINS und die Übersetzungen) fügt sich besser in den Duktus der Darstellung. Bevor Cato mit den Soldaten in den Krieg zieht, bildet er sie nach seinen Vorstellungen aus. Der Vers erläutert also serie laborum; actu belli weist dagegen auf die Eroberung von Kyrene voraus. Exerzierübungen, Märsche und Schanzarbeiten sind ein vielfach erwähntes Mittel, die zerrüttete Moral einer Truppe wiederherzustellen. Auch in Friedenszeiten läßt der vorbildliche Feldherr seine Soldaten durch ständige Manöver niemals zur Ruhe kommen; selbst in kurzen Kampfpausen während eines Feldzugs wird trainiert (vgl. [Ps.-]Caes. Bell. Afr. 22,2) und die zahlreichen Belege bei HORSMANN 1991, 115–122. 164–171 und ANDRÉ 1966, 34–36. 434–436. Lucan hat die Darstellung Catos vielleicht nach dem berühmten Exemplum des Scipio Africanus Numantinus (ca. 185–129 v. Chr.) gestaltet, der vor dem Angriff auf Numantia (134–133 v. Chr.) erst die durch Verschulden seines Vorgängers heruntergekommene Disziplin des Belagerungsheers durch harte militärische Übungen wiederherstellte; vgl. App. Ib. 86,372; Polyain. 8,16,2–4; Liv. per. 57; Frontin. strat. 4,1,1. 15; Val. Max. 2,7,1; Plut. apophth. Scip. min. 16–19 (= mor. 201 B–D).
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297–299: Lucan weicht hier von der historischen Überlieferung ab. Nach Plut. Cat. min. 56,4 hatte Cato nach der Landung an der afrikanischen Küste zuerst Labienus mit einem Vorauskommando nach Kyrene geschickt; als diesem der Zugang zur Stadt verwehrt wurde, rückte er selbst mit dem Hauptheer nach, worauf die Bewohner der Stadt einlenkten und ihm die Tore öffneten. Erst dort erfuhr er von Pompeius’ Ermordung; vgl. dazu FEHRLE 1983, 260–261. Zu Kyrene und der römischen Herrschaft in der Kyrenaika, die mit dem Tode des Ptolemaios Apion (96 v. Chr.) an Rom gefallen war, vgl. GOODCHILD 1971, 37–45. LAUSBERG (1985, 1601) hat gezeigt, daß die Änderung der geschichtlichen Tradition wahrscheinlich durch Einwirkung von Hom. Od. 9,39–42 bedingt ist. Wie Odysseus zu Beginn seiner Irrfahrten die Stadt der Kikonen erobert, läßt Lucan Cato zu Beginn des Wüstenmarsches Kyrene einnehmen. Während sich jedoch Homers Held unbefangen damit brüstet, die Stadt geplündert, die jungen Frauen versklavt und die übrige Bevölkerung getötet zu haben, sind Catos Selbstbeherrschung und Milde gegenüber den Besiegten die ideale Verkörperung der Forderungen philosophischer Ethik. Zum Einfluß des homerischen Odysseus auf Lucans Cato vgl. zu 285–293. 388–389. Catos Verhalten weicht auch von dem gängigen römischen Umgang mit eroberten Städten ab. Wenn die Belagerten die Übergabe verweigert hatten, war es üblich, nach der Eroberung die Bevölkerung als Sklaven zu verkaufen und die Stadt zu brandschatzen. Auch im Fall einer deditio konnten die Belagerer nach ihrem Gutdünken über Personen und Hab und Gut der Gegenseite verfügen; die freiwillige Übergabe der Stadt legte dem siegreichen Feldherrn lediglich die moralische Verpflichtung auf, seine Soldaten von Massakern und willkürlichen Plünderungen abzuhalten; vgl. H EUß 1968 (=1933), 62–69 (grundlegend); FREYBURGER 1986, 108–115. 297–298. in muros et moenia Cyrenarum: vgl. Verg. Aen. 9,196: viam ad muros et moenia Pallantea. Der Pleonasmus (murus = „Mauer“/„Stadtmauer“; moenia = „Ringmauern als Schutz vor Feinden“) verstärkt die Antithese zu harenis (296). Erst mühen sich die Soldaten im nachgiebigen Sand, dann müssen sie die Stadtmauern von Kyrene durchbrechen. Für das Spiel mit den Synonymen muri/moenia vgl. auch 10,545–546: solus apertis / obsedit muris calcantem moenia Magnum. Der spondeische Versschluß malt die Wucht der Belagerungsrammen; vgl. HELZLE 1992, 599.
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299: „die Besiegten trifft allein die Strafe, daß Cato gesiegt hat“. D.h. die Strafe ist gar keine Strafe, sondern im Grunde eine Ehre; vgl. 2,264–266; SHACKLETON BAILEY 1982, 99. In seiner Untersuchung über die Wiederholungsfiguren in der lateinischen Dichtung hat WILLS (1996, 251–253) festgestellt, daß Paradoxa mit vincere (und capere), beginnend mit Ennius, überaus häufig in der Poesie begegnen; bei Lucan vgl. 1,128: victrix causa deis placuit sed victa Catoni; 10,5–6: an eriperet mundo Memphiticus ensis / victoris victique caput. Daß ein Sieger in Wahrheit der Besiegte sein kann oder daß es Sieger gibt, die ihren Erfolg nicht nutzen, sind offenbar Vorstellungen, die die im allgemeinen erfolgsorientierten, nach Ruhm und Ehre strebenden Römer in hohem Maße als widersinnig und beunruhigend empfunden haben. Das mehrheitlich überlieferte C a t o n e m (MPUVC; HOSIUS; SHACKLETON BAILEY) verdient als lectio difficilior den Vorzug vor den Lesarten Catoni (ZA2G; HO U S M A N ; LU C K ; BA D A L Ì ) und Catonis (Z2j; B OURGERY /P ONCHONT /J AL ), die die ungewöhnliche Konstruktion (explikativer AcI) glätten. Die Syntax dient der Pointierung der Formulierung vgl. 169–170: exemploque carens et nulli cognitus aevo / luctus erat, mortem populos deflere potentis. poenaque de victis: Präpositionalausdrücke als attributive Ergänzungen zu Substantiven auch in 8,430. 512; 9,136–137. 886 (Beispiele bei H OUSMAN z.St.). Um den poetischen Text soweit wie möglich zu verdichten, greift Lucan auf Nominalausdrücke zurück, die im klassischen Latein verpönt waren und sonst vornehmlich in der Umgangssprache belegt sind; vgl. FRAENKEL 1926, 529–530; LHS 428. De victis (VC) ist daher gegenüber dem stilistisch vereinfachenden devictis (v; HOSIUS) vorzuziehen. 300–301. Libyci … / … Iubae: König Juba von Numidien und Gaetulien (ca. 85–46 v. Chr.) hatte sich im Bürgerkrieg auf die Seite der Pompeianer geschlagen, weil er als junger Mann von Caesar bei einem Aufenthalt in Rom schwer beleidigt worden war (64/63 v. Chr.; vgl. Suet. Iul. 71) und Curio als Volkstribun die Einziehung seines Reiches beantragt hatte (50 v. Chr.; vgl. 4,688–693; Caes. civ. 2,25,4). Die Pompeianer sicherten sich seine Unterstützung durch die Anerkennung seiner Herrschaft auf der Senatssitzung in Epirus (5,56–57). Sein längster Auftritt in den fertiggestellten Passagen des BC ist sein erfolgreicher Kampf gegen seinen Todfeind Curio (4,666–824). In Übereinstimmung mit anderen historischen Quellen schildert Lucan Juba als einen Herrscher, der sich im
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Kampf gegen die Caesarianer zwar als gefährlicher und listenreicher Feldherr erweist (vgl. 4,665. 724–729; 10,475), durch seine Eigenmächtigkeiten und latente Großmachtambitionen den Pompeianern jedoch insgesamt ein unbequemer Verbündeter ist (8,283–288. 442–443). Nach der Niederlage gegen Caesar bei Thapsus (46 v. Chr.) wurde Juba weder von Scipio in Utica noch von seinen Landsleuten in Zama Aufnahme gewährt; zusammen mit dem pompeianischen Feldherrn Petreius wählte er den Freitod. Zu Juba vgl. LENSCHAU 1916, 2381–2384; RITTER 1987, 126–134. 300. contermina: Das Adjektiv conterminus hat Ovid als Konkurrenzausdruck zum üblichen confinis gebildet (met. 1,774; 4,90; 8,553. 620; 15,315; Pont. 4,6,45). Lucan verwendet es nur hier. 301–302: Wie in einer Überschrift nennt Lucan hier mit der feindlichen Natur Afrikas und der kühnen virtus Catos die beiden Antagonisten, die während des folgenden Wüstenmarsches (303–949) ihre Kräfte miteinander messen werden. Weder Syrten- und Sandsturm (303–347. 444–492), noch Hitze, Durst und die Schlangen Afrikas (493–949) können Cato von seinem Vorhaben abbringen, sich mit den aus der Schlacht von Pharsalos entkommenen pompeianischen Soldaten in das Reich Jubas durchzuschlagen, um dort den Widerstand gegen Caesar neu zu organisieren. Das Ziel der Wüstendurchquerung, die Fortsetzung des Kampfs gegen Caesar, tritt während der Beschreibung des Marsches zurück und wird von Lucan nur gelegentlich in Erinnerung gerufen (385. 391–392. 850–851. 879–880); im Vordergrund der Darstellung steht die heroische Bewältigung der Marschstrapazen durch Cato und der durch sein Beispiel ermunterten Soldaten. Um die Wüstendurchquerung zu einer Probe für Catos unbeugsame Tugend machen zu können, ist Lucan gezwungen, die Natur Afrikas als feindselig zu schildern. Er weicht damit aus der erzählerischen Notwendigkeit heraus, einen Kontrahenten zu Cato aufzubauen, von der stoischen Lehrtradition ab, nach der die Natur von göttlichem Pneuma durchwaltet wird und bis ins kleinste Detail hinein teleologisch zum Besten des Menschen eingerichtet ist; vgl. z.B. Cic. nat. deor. 2,35. 115–119, Sen. benef. 4,7,1. Erst im nachhinein bringt Lucan seine Naturauffassung mit der stoischen Lehre in Übereinstimmung. Er legt den von den Anstrengungen der Reise erschöpften Soldaten ein Schuldbekenntnis in den Mund (848–880): Nicht die Natur sei für die Qualen, die sie erlitten hätten, verantwortlich zu machen, sondern sie selbst. Die libysche Wüste sei nämlich ein von der Natur zum Wohl des Menschen eingerichtetes Reser-
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vat für Schlangen, die dort gehäuft vorkämen, weil sie an diesem menschenleeren Ort wenig Schaden anrichten könnten. Es sei daher göttlicher Fürsorge zu verdanken, daß die libysche Wüste unfruchtbar ist, denn so werde niemand in Versuchung geführt, sich dort niederzulassen; überdies dienten die Syrten im Norden und die heiße Zone im Süden als natürliche Barrieren, die Reisende davon abhalten sollten, das unwirtliche Land zu betreten. 302. audax … virtus: sc. Catonis. Auch in 371 und 445 ist es jeweils die personifizierte virtus Catos, die keine Untätigkeit duldet und darauf drängt, die nächste Etappe des Marsches in Angriff zu nehmen (Hinweis von SCHÖNBERGER 1968, 76).
2.7. Syrtenexkurs und Syrtensturm (9,303–347) 2.7.1. Exkurs: die Syrten (9,303–318) 303–318: Die Entstehung der Syrten, ein Gebiet von Untiefen, das weder ganz Meer noch ganz Land zu sein scheint, läßt sich auf zwei Weisen erklären: Entweder ist dieser Abschnitt der afrikanischen Küste bei der Erschaffung der Welt von der Natur nicht vollständig gestaltet worden, so daß Land und Wasser wie im chaotischen Urzustand nicht voneinander geschieden sind (303–311); oder die Syrten waren ursprünglich ein Meer. Aufgrund der starken Sonneneinstrahlung in unmittelbarer Nähe der heißen Äquatorialzone ist jedoch der größte Teil des Wassers bereits verdunstet. Die sich bereits abzeichnende Verlandung des Syrtengebiets ist ein Hinweis darauf, daß eine Ekpyrosis bevorsteht. In Kürze werden die Wasserressourcen der Erde erschöpft sein, und das Feuer der Gestirne wird die Erde in Brand setzen (311–318). Die geographische Ekphrasis knüpft an 301–302 an und begründet, warum eine Durchsegelung der Syrten ein gefährliches Wagnis darstellt. Lucan gibt in ihr zwei alternative, je 81/2 Verse umfassende Erklärungsversuche (303–311; 311–318) für das einzigartige Ineinander von Wasser und Land in den beiden großen Buchten der afrikanischen Küste zwischen der Provinz Numidia und der Kyrenaika. Die erste Erklärung schreibt die Entstehung des weder für Schiffahrt noch für Ackerbau geeigneten Gebiets einer Nachlässigkeit der die Welt gestaltenden göttlichen Allnatur zu, die vergessen habe, diesen Teil der Welt einer Bestimmung zuzuführen. Dieser beängstigenden Überlegung, die gegen die stoische Lehre mit der Möglichkeit rechnet, daß es Gebiete gibt, die göttlicher Fürsorge entzogen
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sind, stellt Lucan eine nicht weniger besorgniserregende Spekulation entgegen. Der niedrige Wasserstand der Syrten könnte auch durch den Feuchtigkeitsverbrauch der Gestirne verursacht sein; der geringe verbleibende Wasserrest wäre dann ein Hinweis auf eine bevorstehende Ekpyrosis. Vgl. zum Syrtenexkurs ECKARDT 1936, 52–56. Zu der bedrohlichen und unerklärlichen Natur Libyens und zu dem Zweck, den Catos Soldaten im nachhinein (854–862) in den Syrten erkennen können, vgl. zu 301–302. Lucan verwendet häufig die vor ihm vor allem von Lukrez und Manilius (vgl. z.B. Lucr. 1,977–979; 4,354; 5,509–533. 575–577; Manil. 1,125–131; 132–136) gebrauchte Technik, durch aut … aut, vel … vel, seu … seu o.ä. alternative Erklärungen für naturwissenschaftliche Phänomene zu geben; vgl. z.B. 1,234–235. 642–645; 2,7–13; 3,39–40; 4,299–302; 5,92–93. 130–140; 6,494–495; 7,19–24; 10,239–245; VIANSINO 1974, 81 Anm. 7; HUNINK zu 3,49. Die Anführung von gleichberechtigten Erklärungsmodellen vermeidet eine voreilige Festlegung in einer schwierigen Materie und ermöglicht eine abwechslungsreiche Darstellung, wie sie vom Dichter erwartet wird (vgl. Lucr. 5,526–533). Hier erfüllen die beiden Erklärungen, die sich auf der inhaltlichen Ebene widersprechen, gemeinsam die Funktion, eine unheimlich-bedrohliche Atmosphäre herzustellen. Andernorts nutzt Lucan das Verfahren, Varianten anzuführen, für polemische Pointen. Eine gewöhnliche und durchaus einleuchtende Erklärung wird durch die Nennung einer Alternative, der, wie aus dem Kontext des Epos hervorgeht, Lucans Sympathie gehört, konterkariert; vgl. z.B. 1,234–235: seu sponte deum, seu turbidus Auster / inpulerat, maestam tenuerunt nubila lucem; 6,494–495: parere necesse est (sc. deos Thessalidibus) / an iuvat? Auf die in den beiden Erklärungen enthaltenen beschreibenden Passagen (305–309; 317–318) wird in der anschließenden Sturmszene (319–347) zurückgegriffen; ohne Kenntnis der eigentümlichen Topographie der Syrten wäre das dort geschilderte bizarre Geschehen für den Leser unverständlich (vgl. bes. 335–344). Die Technik, zuerst in einer Ekphrasis die sachlichen Voraussetzungen für die nachfolgende Handlung zu geben, verwendet Lucan auch bei den Schilderungen des Sandsturms (411–444; 444–492), der nicht durchgeführten Konsultation des Ammonsorakels (511–543; 544–586), der Todesarten durch Schlangenbisse (619–733; 734–838) und der des Eingreifens der Psyller (890–908; 909–937). Bevor der Fortgang der Handlung geschildert werden kann, ist es notwendig, dem Leser die unbekannten Völkerschaften Afrikas sowie die merkwürdige Geographie nebst Flora und Fauna am Rand der damals bekannten Welt vorzustellen.
Syrtenexkurs und Syrtensturm (303–347)
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Der Name SÊrtiw ist erstmals bei Herodot (2,32. 150; 4,169. 173) belegt; seit hellenistischer Zeit, aus der die frühesten Beschreibungen stammen (Ps.-)Skylax GGM 1,84–89; Pol. 1,39,3–5; dann Strabo 17,3,17–20; Mela 1,35; Plin. nat. 5,26–28), ist die Trennung zwischen der westlichen kleinen Syrte zwischen Kap Bon und Tripolis und der an sie anschließenden östlichen großen Syrte zwischen Misurata und Bengasi üblich. Die beiden von Lucan angeführten Erklärungsversuche finden sich in keiner anderen Quelle. Zur Erforschung der Geographie der Syrten im Altertum vgl. TREIDLER 1932. Die Gefährlichkeit der Syrten (starke Strömungen; wandernde Sandbänke) ist durch die Sturmbeschreibung Vergils (Aen. 1,102–156) in Rom sprichwörtlich geworden; häufig werden sie zusammen mit Skylla und Charybdis genannt; Catull. 64,156; Verg. Aen. 7,302–303; 10,678; Hor. carm. 1,22,5; 2,6,3; Prop. 3,19,7–8. 24,16; Ov. am. 2,11,20. 16,21; rem. 739; fast. 4,499; met. 8,120; Pont. 4,14,9; Sen. epist. 31,9; dial. 7,14,1; 11,25,3; Phaed. 570; Thy. 292; vgl. NISBET/HUBBARD zu Hor. carm. 1,22,5; BÖMER zu Ov. met. 8,120. 303–304. primam mundo natura figuram / cum dedit: „als die Natur der Welt ihre erste Gestalt verlieh“. Vgl. Cic. Tim. 18: formam autem ei (sc. mundo) maxime cognatam et decoram dedit (sc. effector mundi et molitor deus) vgl. Plat. Tim. 33b: (sx∞ma d¢ ¶doken aÈt“ tÚ pr°pon ka‹ tÚ suggen°w). Wie der platonische Schöpfergott erschafft die göttliche Natur der Stoiker die Welt zielgerichtet nach einem rationalen Bauplan; nur die Syrten, so vermutet Lucan hier, habe sie unfertig gelassen (vgl. 310–311). Das lateinische figura (eigentlich „plastisches Gebilde“; vgl. fictor; figulus; fingere) ist die gewöhnliche Wiedergabe des griechischen sx∞ma und hat die vielfältigen Bedeutungen (äußere Gestalt; Umriß; Flexionsform; rhetorische Figur) übernommen, die der Begriff in den verschiedenen Gebieten der griechischen Wissenschaft annehmen kann. Zur Begriffsgeschichte in der paganen lateinischen Literatur vgl. AUERBACH 1967 (= 1939), 55–65. Wie die angeführte Cicerostelle zeigt, wird forma z.T. synonym verwendet. 304. in dubio pelagi terraeque: „in einem Zustand, von dem man nicht sagen konnte, ob es Meer oder Land war“. Eine gedrängte nominale Wendung ersetzt die übliche Verbindung von in dubio est mit indirekter Doppelfrage. Der lucanische Ausdruck ist ohne Vorbild; Stat. Theb. 9,492–494: stabat (…) crepidine ripae undarum ac terrae dubio (…) fraxinus ahmt ihn nach. Vgl. ThLL V 1,2120,21–2121,1 (B ULHART). In 1,409–410 be-
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schreibt Lucan das Wattenmeer als litus dubium, quod terra fretumque / vindicat alternis vicibus. Die Verbindung von terra und pelagus statt des in Prosa üblichen Paars terra/mare auch in 1,13; 4,375. 305. subsedit: Subsidere („sich absenken“) häufig in kosmologisch-geologischen Texten; vgl. 1,553. 645; 6,642; Lucr. 5,493; 6,590; Ov. met. 1,43. stagna profundi: „die Wassermassen des Meers“; Lucan verwendet die Junktur auch in 2,571: incerti stagna profundi; 8,853: Rubri stagna profundi; vgl. auch 5,442–443: maestoque ignava profundo / stagna iacentis aquae. Stagnum bezeichnet jedes stehende Gewässer mit Blick auf seine Entstehung durch Überflutung und wird daher meist von Binnengewässern gebraucht. Mit der Wendung stagna profundi erinnert Lucan daran, daß sich die Bildung der Meere nach denselben physikalischen Gesetzmäßigkeiten vollzogen hat, nach denen auch Teiche und Seen entstanden sind, und daß sie ebenso wie kleinere Gewässer, deren Veränderungen offensichtlich sind, einem ständigen Werden und Vergehen unterworfen sind. Zur Labilität des Kosmos im BC vgl. zum folgenden Vers. Ausgangspunkt für die paradoxe Junktur Lucans war Sen. Thy. 588–589: si suae ventis cecidere vires / mitius stagno pelagus recumbit (von Seneca gebildet nach Hor. carm. 1,12,30–32: concidunt venti […] ponto / unda recumbit und Verg. Aen. 87–89: et tacita refluens ita substitit unda, / mitis ut in morem stagni placidaeque paludis / sterneret aeqor aquis; vgl. TARRANT z.St.). Zu profundus vgl. zu 335. 306. nec se defendit ab aequore tellus: sc. Dadurch, daß sie sich weiter über den Meeresspiegel erhoben hätte. Die militärische Metaphorik benutzt Lucan häufig zur Beschreibung von Naturkräften. Lucans Kosmos ist ständig vom Rückfall ins Chaos bedroht. Die Naturkräfte, Erde, Wasser, Luft und Äther, liegen miteinander in einem ständigen Kampf und versuchen, ihren Herrschaftsbereich auf Kosten der anderen Elemente auszuweiten. Der Mensch findet in dieser Natur keinen sicheren Ort und lebt stets unter der Bedrohung, in die Auseinandersetzungen hineinzugeraten und zugrunde zu gehen; die Sturmszenen (vgl. zu 319–347) sind die exponiertesten Beispiele für die Unbehaustheit und Gefährdung des Menschen in der Welt des BC. Allein Caesar bleibt vom Wüten der Natur verschont und verfolgt im Bund mit der Fortuna unbeeindruckt seine Ziele; vgl. 5,584–586: caeli iste fretique, / non puppis nostrae labor est: hanc Caesare pressam / a fluctu defendet onus (Lucans Interpretation des berühmten Ausspruch
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[Plut. Caes. 38,5] Ka¤sara f°reiw ka‹ tØn Ka¤sarow tÊxhn sumpl°ousan). Wie Sen. nat. 3,30; 6,1–3; dial. 6,26,6–7; epist. 107,5–12 zeigt, ist der Gedanke des ständigen Kampfs der Elemente stoisch. In seinen moralphilosophischen Diatriben warnt Seneca mit Verweis auf die Unbeständigkeit des Kosmos davor, sein Leben auf äußere Güter zu gründen; wie Cato auf dem Wüstenmarsch soll er gleichmütig den natürlichen Unbilden trotzen und unbeeindruckt am moralisch Guten festhalten, selbst wenn die Aussichten, das angestrebte Ziel zu erreichen, gering sind. Nach stoischer Gesinnungsethik ist auch der tugendhaft, der die gute Absicht nicht verwirklichen kann, und hat es verdient, nach dem Leiden in der irdischen Finsternis von der sublunaren Zone aus den ungetrübten Blick auf die vollkommene Ordnung der Gestirnsphären zu genießen; vgl. 5–18. 564–604. Als Zeichen für den Kampf zwischen Land und Wasser und dem beider Elemente mit dem Menschen deutet Lucan Ebbe und Flut (1,409–419; 4,427–429; 6,479–480; 8,723–726), Meerengen (2,435–438; 3,60–63; 5,232–236), ins Meer ragende Halbinseln und Landzungen (2,610–627; 6,19–28; 8,539), Brandung (vgl. 8,708–711; 10,313–322. 324), unterirdische Flußläufe (3,261–263; 8,437–439; 10,247–254; vgl. Sen. nat. 3,30,3), Überschwemmungen (2,214–218. 483–490; 4,98–101; 10,239–247). Zum Kampf der Elemente bei Lucan vgl. KÖNIG 1957, 164–174 (Wasser/Land); LAPIDGE 1979; LOUPIAC 1991. Zum reichen Nachleben des Motivs in Spätantike und früher Neuzeit vgl. LAPIDGE 1980. Lucan erwähnt in 1,651–657 und 7,133–137 parallel zur Zerstörung des Kosmos durch Feuer (Ekpyrosis; vgl. zu 311) eine endzeitliche Vernichtung der Welt durch eine Sintflut. Wenn auch das Nebeneinander beider Vorstellungen häufig und besonders in Texten, die stoisches Gedankengut wiedergeben (vgl. z.B. Lucr. 5,98. 392–405; Ov. met. 1,253–292; 2,103–332; Sen. nat. 3,27–30; Comment. Bern. 7,813), begegnet, muß eine endzeitliche Wasserkatastrophe mit nachfolgender Apokatastasis stoischer Kosmologie ursprünglich fremd gewesen sein, denn eine Überschwemmung kann nur die Erde, nicht aber auch den Bereich der Gestirne betreffen; vgl. SANDBACH 1975, 79; MANNING zu Sen. dial. 6,26,6. Wie Lucan. 1,651–657 und Sen. nat. 3,27–30 zeigen, wo als Gewährsleute die Astrologen Nigidius Figulus (1. Jh. v. Chr.) bzw. der Babylonier Berossos (3./2. Jh. v. Chr.) genannt werden, liegt hier eine Vermischung der stoischen Lehre der ständigen Wiederkehr von Ekpyrosis und Apokatastasis mit astrologischer Spekulation vor, gemäß der jeweils nach Ablauf eines Wel-
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tenjahres die Erde entsprechend der herrschenden Gestirnkonstellation entweder durch eine Überschwemmung oder durch eine Brandkatastrophe zerstört wird. Zu Weltenbrand und Sintflut in griechischer Philosophie vgl. CADUFF 1986, 75. 142–147. 152–153; zur Lehre vom „großen Jahr“ in der Astrologie vgl. W. GUNDEL /H. GUNDEL 1950, 2095–2996. 2148–2149. 307. ambigua … lege loci: „gemäß dem unentschieden (zwischen Land und Meer) schwankenden Naturgesetz, dem dieser Ort unterworfen ist“. Da sich die Syrten weder soweit abgesenkt haben, daß sie eindeutig dem Meer zuzurechnen wären, noch sich soweit über den Meeresspiegel erhoben haben, daß sie dem Wasser entzogen sind, lassen sich ihre Gestalt und ihre Veränderungen nicht ausschließlich mit den für Meere bzw. für Landmassen geltenden Gesetzmäßigkeiten erklären. Lucan nimmt daher für den Übergangsbereich zwischen Land und Meer eine lex ambigua an. Manilius, der die Gestalt der Erde allein aus der Einwirkung der Gestirne erklärt, unterscheidet in 2,223–233 zwischen sidera terrena, umida und ambigua. Die Gezeiten an der Küste Germaniens schreibt er dem Einfluß eines sidus ambiguum zu (4,794–796): teque feris dignam tantum, Germania, matrem / asserit ambiguum sidus terraeque marisque / aestibus assiduis pontum terrasque sequentem. Für Naturphilosophen stoischer Provenienz, die von der Annahme ausgingen, die Welt sei harmonisch eingerichtet, bedeuteten „Zwitterformen“ wie die Syrten ein ernstes Problem, die Annahme einer lex ambigua / eines sidus ambiguum ist offenkundig „ad-hoc-Modifikation“, die das stoische System vor einer „Falsifikation“ schützen soll; bevor man einräumt, daß auch der Zufall bei der Entstehung der Welt eine Rolle gespielt hat, behilft man sich lieber mit einer contradictio in adiecto wie einem „uneindeutigen Naturgesetz“. Ein ähnliches Problem wie die Syrten warfen die Gezeiten auf. In 1,409–419 führt Lucan eine Reihe von für möglich gehaltenen Ursachen für dieses Phänomen an (Wind; Mond; Sonne; vgl. auch 10,204: luna suis vicibus Tethyn terrenaque miscet), erklärt sich selbst jedoch für außerstande, darüber zu urteilen (1,417–419): quaerite, quos agitat mundi labor; at mihi semper / tu, quaecumque moves tam crebros causa meatus, / ut superi voluere, late. 308: Der kunstvolle Doppelausdruck (syntaktischer Parallelismus; semantischer Chiasmus) trägt der ambigen Natur der Syrten Rechnung; es läßt sich nicht entscheiden, ob das Meer das Land dominiert, oder ob es sich umgekehrt verhält. Die Grenzen zwischen Land und Meer sind bei Lucan
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zwar stets umkämpft, doch gewöhnlich noch erkennbar; vgl. z.B. 2,399–402: mons (sc. Appenninus) inter geminas medius se porrigit undas / inferni superique maris collesque coercent / hinc Tyrrhenus vado frangente aequora Pisae, / illinc Dalmaticis obnoxia fluctibus Ancon. fracta vadis: „durch Sandbänke gebrochen“. Frangere vom „Brechen“ der Wogen an der Küste ist eine geläufige Metapher; vgl. 1,103. 222. 371; 2,401; 5,646. 705; 6,266; 8,374. 566; Lucr. 6,143. 144. 695; Cic. fam. 9,16,6; Verg. Aen. 1,161; 10,290; Hor. carm. 2,14,14; Sen. dial. 2,3,5; nat. 3,28,3; 4,2,5; Med. 392; ThLL VI 1,1244,30–1245,2 (BACHERLER). abruptaque terra profundo: Die Beschreibung der Syrten wird in der Sturmschilderung wiederaufgenommen; vgl. 335–336: interrupta profundo / terra ferit puppes. 309: „and the waves break and roar after passing over a number of shores“ (H ASKINS ). Der Vers verdeutlicht das bedrohliche Vordringen des Meers im Bereich der Syrten. Obwohl zahlreiche „Küsten“ (= Sandbänke; vgl. Adn. z.St.) vorgelagert sind, brandet das Meer dennoch gegen das Festland an. Lucan bereichert hier die literarische Tradition von Meeresbeschreibungen, zu deren festen Bestandteilen die Schilderung des Geräuschs der sich brechenden Wellen gehört (vgl. z.B. 2,702; 4,299; 5,440. 614; 6,662–663; 8,119; Verg. georg. 1,359; 2,163; Aen. 5,169. 866; 6,551; Sen. nat. 2,28,1. 29,1. 30. 4), um eine eigentümliche Beobachtung. Die ständige Geräuschkulisse wird als so charakteristisch für das Meer empfunden, daß Lucan bei der Beschreibung der Windstille in der Adria, während der die See still daliegt, eine Durchbrechung der Naturgesetze vermutet (5,442–444): saeva quies pelagi, maestoque ignava profundo / stagna iacentis aquae; veluti deserta regente / aequora natura cessant. Vgl. auch die genaue Beobachtung in 8,197–199: aequora senserunt motus (sc. Kursänderung des Schiffs) aliterque secante / iam pelagus rostro nec idem spectante carina / mutavere sonum. Die Formulierung unterstreicht die einzigartige Geomorphologie der Syrten. Proiectus wird sonst stets vom Land verwendet, das sich ins Meer hinein erstreckt; vgl. Pacuv. trag. 94 (RIBBECK): Idae promunturium, quoius lingua in altum proicit; Sen. dial. 2,3,5: proiecti quidam in altum scopuli mare frangunt; OLD s.v. proicere Nr. 4b. 310–311: Die von Sandbänken durchzogenen Untiefen vor der libyschen Küste sind weder schiffbar (319–347) noch eignen sie sich zur Besiedlung (307: invia sedes); sie wirken, als ob sie bei der Weltschöpfung unfertig zu-
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rückgelassen wurden (male deseruit); ein t°low, dem sie dienen könnten, ist nicht zu entdecken (nullos exegitque in usus); vgl. zu 303–304. Gewöhnlich sorgt die stoische Allnatur dafür, daß Land und Wasser klar voneinander geschieden sind oder wie bei der Nilüberschwemmung zum Wohl des Menschen miteinander kooperieren; in Buchten, die zur Anlage von Häfen geeignet sind, sieht der Stoiker ein Zeichen göttlicher Fürsorge; vgl. 10,238–239: sic iussit natura parens discurrere Nilum, / sic opus est mundo; 2,619–620: hinc illinc montes scopulosae rupis aperto / opposuit natura mari flatusque removit. Zur Rezeption des stoischen Naturbegriffs durch Lucan vgl. SCHOTES 1969, 26–32 und zu 435–437. 619–622. 311–318: Der ersten Erklärung, die den zwischen Land und Meer changierenden Zwitterzustand der Syrten auf eine nicht zum Abschluß gelangte Gestaltung bei der Weltschöpfung zurückführte, stellt Lucan eine zweite gegenüber. Wahrscheinlich in Übereinstimmung mit stoischer Lehre (s.u.) rückt Lucan die beiden stoischen Theoreme „Ernährung der Gestirne durch verdunstendes Wasser“ und „Zerstörung der Welt durch Ekpyrosis“ in einen Kausalzusammenhang und deutet die Syrten als eine Art „Sonnenuhr“ für den Weltenbrand. Zwar sind die Syrten als Meer geschaffen worden, doch macht sich bei ihnen, weil sie in unmittelbarer Nähe der verbrannten Zone liegen und der Sonneneinstrahlung am stärksten ausgesetzt sind, im Gegensatz zu anderen Gewässern der ständige Wasserentzug durch die Sonne bemerkbar. Aus dem Meer von einst sind mittlerweile Untiefen geworden, aus denen schon zahlreiche Sandbänke hervorragen. Da der größte Teil des Wasservorrats offenbar verbraucht ist, vermutet Lucan, daß die Welt bald Feuer fangen und in einer Ekpyrosis aufgehen werde. Nach stoischer Kosmologie entsteht die Welt aus einer anfänglichen Substanz (oÈs¤a ), die Träger zweier Prinzipien (érxa¤ ), eines aktiven (poioËn) und eines passiven (pãsxon), ist. Das aktive Prinzip (auch yeÒw; pËr texnikÒn) bildet aus dem passiven (auch êpoiow Ïlh) die vier Elemente Erde, Wasser, Luft, Feuer, die sich gemäß ihrer Dichte in konzentrischen Schalen anordnen. In regelmäßigen Perioden, deren genaue Dauer von den Stoikern nicht festgelegt wurde, geht das Universum in einem Weltenbrand auf, worauf eine neue Schöpfung (diakÒsmhsiw) einsetzt und den vergangenen Kosmos in allen Einzelheiten wieder entstehen läßt (épokatãstasiw). Zur stoischen Kosmologie vgl. LAPIDGE 1978. Die Details dieser Kosmologie und die Gründe, die die Stoiker bewogen, einen unendlichen Zyklus immer gleicher Universen anzunehmen, sind aufgrund der
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schlechten Überlieferungslage ungeklärt. Auch bezüglich der Ursachen, denen die Stoiker die Entstehung einer Ekpyrosis zuschrieben, machen die Quellen unklare oder widersprüchliche Angaben; vgl. LAPIDGE 1978, 180–181. Lucan am nächsten steht Cic. nat. deor. 2,118: ex quo (sc. der Ernährung der Gestirne durch verdunstetes Wasser) nostri putant de quo Panaetium addubitare dicebant, ut ad extremum omnis mundus ignesceret, cum umore consumpto neque terra ali posset nec remearet aer, cuius ortus aqua omni exhausta esse non posset: ita relinqui nihil praeter ignem, a quo rursum animante ac deo renovatio mundi fieret atque idem ornatus oreretur. LAPIDGE (1989, 1389–1390), dem dieser Lucanpassus nicht bekannt ist, möchte diese sonst isolierte Stelle eher für eine Spekulation Ciceros als für die Wiedergabe stoischer Lehre ansehen. Da aber keine Einwirkung von Cicero auf Lucan. 9,311–318 festgestellt werden kann, und es unwahrscheinlich ist, daß beide unabhängig voneinander die Verbindung zwischen Gestirnnahrung und Weltenbrand hergestellt haben, dürfte Cicero ebenso wie Lucan genuin stoisches Gedankengut wiedergeben. Die Lehre vom Weltenbrand erwähnt Lucan auch in 1,72–80. 655–657; 2,289–292; 7,134–137. 810–815; vgl. dazu SC H O T E S 1969, 18–25; HUNINK zu 3,60. Seneca beschreibt den Weltenbrand in benef. 6,22; dial. 6,26,6; vgl. auch nat. 3,27–30. 311–312. plenior alto / … pelago: „plenitudinis ablativus est, non comparationis; nam ne hoc quidem omnes intellegunt.“ (HOUSMAN). Die Verbindung altum pelagum ist nicht vor Lucan belegt; vgl. ThLL X 1,990,8 (MALSBARY). Der pleonastisch anmutende Hinweis auf die Tiefe des Meers ist hier gerechtfertigt, weil es Lucan um den Unterschied zwischen einstiger Tiefe und der Seichtheit des Meers im Gebiet der Syrten zu seiner eigenen Zeit geht. 313. rapidus Titan ponto sua lumina pascens: Die Stoiker lehrten, daß die Gestirne mit Verstand und Sinneswahrnehmung ausgestattete göttliche Lebewesen aus feurigem Äther seien. Die Nahrung, die das Feuer der Gestirne am Leben halte, sei das aus Meeren und Binnengewässern verdunstende Wasser. Nach Kleanthes kann man aus Existenz und Lage der Wendekreise schließen, daß die Sonne auf die Meere als Nahrungsspender angewiesen ist, während der Mond und die Sterne, deren Lauf auch über die Landmassen der Kontinente führt, sich mit dem Wasser begnügen, das aus Flüssen und Seen verdunstet; vgl. Cic. nat. deor. 2,25. 39–41. 83; 3,37. Lucan erwähnt die Lehre von der Erhaltung der Gestirne durch die
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énayum¤aseiw der Erde auch in 1,415–416; 7,5–6; 10,258–261. 307. Zu die-
sem Dogma im Zusammenhang stoischer Kosmologie vgl. SCHOTES 1969, 36–40; LAPIDGE 1978, 180–181. Rapidus („brennend“/„sengend“) von der Sonne oder Gestirnen (seit Catull. 66,3; dann Verg. ecl. 2,10; georg. 1,92. 424; 2,321; 4,425; Hor. carm. 2,9,12; Germ. 4,146; Calp. ecl. 1,10; Lucan. 6,337; 10,211) ist Übersetzung des griechischen ÙjÊw (vgl. z.B. Hom. h. Ap. 196; Archil. 61 BERGK [= 85 LASSERRE/BONNARD]; Pind. O. 7,70; Kall. epigr. 32,1); vgl. KROLL zu Catull. 66,3; LE BOEUFFLE 1987 s.v. rapere.
314: „entzog der verbrannten Zone das Meer, das in ihrer Nachbarschaft lag“. Zonae (…) perustae bezieht sich épÚ koinoË auf subduxit und vicina. Die Stoiker unterteilten den Globus in fünf Klimazonen: Die beiden Polkappen (zonae frigidae) und die gürtelförmig um den Äquator verlaufende zona exusta galten als unbewohnbar, nur in den beiden zonae temperatae auf der Nord- und der Südhalbkugel hielt man menschliches Leben für möglich. Lucan betrachtet die Syrten als Südgrenze der gemäßigten Zone der nördlichen Hemisphäre. Zur Lehre von den Klimazonen und ihrer Verwendung im BC vgl. zu 374–378. 315–318: Aufgrund der weit fortgeschrittenen Verlandung der Syrten durch Verdunstung vermutet Lucan, daß die Vernichtung der Welt durch eine Ekpyrosis bereits in bedrohliche Nähe gerückt ist. Der theoretische Hintergrund dieser düsteren Spekulation ist stoisch; die Sensibilität für die Phänomene „Verdunstung“ und „Verwandlung“ sowie die sprachlichen und erzähltechnischen Mittel, die er in diesem Abschnitt verwendet, hat Lucan jedoch bei der Lektüre von Lukrez und Ovid erworben. Lukrez behandelt das Thema „Verdunstung“ zweimal ausführlich (5,380–415; 6,614–630); wichtig für Lucan ist vor allem der erste Abschnitt, in dem Lukrez die Endlichkeit der Welt durch Hinweis auf den ständigen Kampf zwischen Sonne und Wasser beweist, der, je nachdem wer die Oberhand behält, zwangsläufig mit einem Weltenbrand oder einer Sintflut enden müsse (zu sprachlichen Anleihen Lucans bei Lukrez s.u.). Auch bei Ovid findet sich häufig das Motiv Trocknen/Verdunsten; vgl. Ov. med. 57; epist. 18,104; 19,26; met. 2,12. 252; 4,82; 5,575; 8,469; 9,395; 10,187; 11,362; 13,690; fast. 3,286. 509; 4,137. 141; trist. 2,527. Den Einfluß der Metamorphosen verrät aber vor allem Lucans Darstellung der beinahe ausgetrockneten Syrten als eigentümliches Zwischenstadium der Verwandlung des Meers in Land. Ovid beschreibt gern (meist mit Hilfe der
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Adverbien nunc/adhuc/iam) den Augenblick der Verwandlung, in dem sich Elemente der alten und der neuen Gestalt in bizarrer Weise mischen. Vgl. z.B. met. 2,665–669: talia dicenti pars est extrema querellae / intelllecta parum, confusaque verba fuerunt; / mox nec verba quidem nec equae sonus ille videtur, / sed simulantis equam, parvoque in tempore certos / edidit hinnitus et bracchia movit in herbas; 3,359–360: corpus adhuc Echo, non vox erat; et tamen usum / garrula non alium, quam nunc habet, oris habebat, / reddere de multis ut verba novissima posset. Zum Einfluß von Ovids Metamorphosen auf Lucan vgl. VON ALBRECHT 1970, 293–297; SICILIANO 1998, 309–315. 315. Phoebo siccante repugnat: „während es die Sonne austrocknet, verteidigt es sich“. Der Vers hat lukrezisches Kolorit. Siccare verwendet Lukrez in der Beschreibung von Trocknungs- und Verdunstungsvorgängen (4,619; 5,390; 6,626); mit Ausnahme Ovids (19 Belege) ist das Verb in der Poesie sehr selten und wird zudem in anderen Zusammenhängen gebraucht; vgl. Hor. sat. 2,6,68; carm. 1,35,27; epod. 2,46 (vgl. Lucan. 4,314); Verg. ecl. 2,42; 3,95; Aen. 4,687; 10,384; Sen. Oed. 58. Vgl. auch Manil. 4,728–729: Phoebus harenosis Afrorum pulvere terris / exsiccat populos. Die Übertragung des militärischen repugnare (vgl. z.B. Caes. Gall. 3,4,2; civ. 3,67,6; Bell. Afr. 76,1; Sall. Iug. 92,3) auf Naturvorgänge stammt ebenfalls von Lukrez (4,1088; vgl. Ov. met. 3,376) und findet sich in der Dichtung vor Lucan sonst nur bei Manilius in derselben Bedeutung (2,197. 269. 306. 417. 424; 4,88. 810). Auch an den beiden anderen Belegstellen im BC (3,549; 9,932) wird es zur Beschreibung des „Kampfs der Elemente“ verwendet. 316. radios admoverit: Admovere ignem/flammam o.ä. („Feuer an etwas legen“) ist t.t.; vgl. 8,758; ThLL I 771,42–53 (HEY). 317–318. nam iam brevis unda superne / innatat: „denn die See, die die Syrten von oben bedeckt, ist bereits seicht“. Mit ungewöhnlichem Vokabular und naturwissenschaftlicher Präzision beschreibt Lucan den seltsamen Übergangszustand, in dem sich die Syrten zu seiner Zeit befinden. Brevis wird zuerst von Vergil nach Analogie des griechischen braxÊw, tÚ brãxow, tå brãxea (vgl. Suet. frg. p. 243 R.) in der Bedeutung „seicht“ verwendet; vgl. Aen. 1,110–111: tris Eurus ab alto / in brevia et Syrtis urget; 5,221; 10,288. Nach Vergil findet sich das Wort in dieser Bedeutung erst seit Mela 1,35. 102; Sen. Ag. 572; Herc. f. 323; Oed. 266; Lucan. 9,338 regelmäßig in Poesie und Prosa; vgl. ThLL II 2180,75–2181,21 (JA -
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KOBSOHN ). Die anderen augusteischen Dichter mieden den Gräzismus, sei es, weil ihnen der Ausdruck zu hart erschien, sei es, weil sie lieber eigene Kreativität unter Beweis stellen wollten, statt Vergil zu imitieren. Superne: ein Lieblingswort von Lukrez (20 Belege; davon 16mal am Versende); in der Poesie wird das Adverb sonst, wohl wegen seines technischen Klangs, gemieden (1mal Verg.; 3mal Hor.; nicht Ov.; nicht Manil.). Lucan verwendet es auch in 6,375–376: lapsuque superne / gurgite Penei pro siccis utitur arvis; vgl. Verg. Aen. 6,658–659: unde superne / plurimus Eridani per silvam volvitur amnis. Innatare mit Flüssigkeiten als Subjekt ist außerordentlich selten; es wird sonst nur in medizinischer Literatur von austretenden Körperflüssigkeiten (Cels. 2,6,3; Garg. Mart. med. 29; Heges. 5,21,4) und in Plin. nat. 5,54 und Plin. epist. 8,17,2 von Überschwemmungen verwendet; vgl. ThLL VII 1,1693,59–63 (SCHMECK). Das flache Meer überspült die Syrten nur; ein Betrachter gewinnt den Eindruck, es „schwimme“ gleichsam auf der Erde. Das gewöhnliche Verhältnis von schwimmendem Festkörper und flüssigem Stoff, in dem geschwommen wird, ist ins Gegenteil verkehrt.
318. periturum deficit aequor: Perire und deficere sind fester Bestandteil von Lukrez’ naturphilosophischem Vokabular (35 bzw. 8 Belege). Die Verben sind selbstverständlich auch bei anderen Autoren außerordentlich häufig, doch machen das naturwissenschaftliche Thema und die anderen Rückgriffe auf die Terminologie des Lukrez in diesem Abschnitt die Bezugnahme Lucans auf De rerum natura auch hier wahrscheinlich. 2.7.2. Der Syrtensturm (9,319–347) 319–347: Sobald Cato versucht, mit seiner Flotte in die Syrten einzufahren, kommt ein Sturm auf; der Auster verteidigt sein Reich gegen die Eindringlinge. Durch einen Wirbelsturm treibt er die Schiffe auf die hohe See und errichtet vor den Syrten eine Sandbank als Barriere (319–323). Alle die Schiffe, die ihre Segel nicht rechtzeitig gerefft haben (324–327) oder auch nur vergessen haben, den Mastbaum umzulegen (327–329), werden vom gewaltigen Sturm aufs hohe Meer getrieben, bleiben dort jedoch unversehrt (330–331). Ausgerechnet den Seeleuten, die ihre Schiffe durch Niederlegen der Masten vor dem Sturm gesichert haben, wird die sonst bewährte Vorsichtsmaßnahme im Syrtengebiet zum Verhängnis. Die Flut erfaßt die Schiffe und treibt sie landwärts auf Sandbänke, von denen es kein Entkommen gibt (331–344).
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So dezimiert kehrt Catos Flotte an die Küste der Kyrenaika zurück und fährt mit Hilfe von Lotsen in den Tritonsee ein (344–347). Der gescheiterte Versuch Catos, mit dem Schiff von der Kyrenaika nach Mauretanien überzusetzen, um mit den dort verbliebenen Resten der republikanischen Armee und der Unterstützung des verbündeten Königs Juba den Widerstand gegen Caesar neu zu organisieren, wird von keiner anderen Quelle erwähnt. Die Erfindung der Sturmszene ist eine Reverenz an die normative Gattungstradition; wenn Vergil Aeneas vor der Ankunft bei Dido in den Syrten scheitern läßt (Aen. 1,81–156), muß auch Lucan bei Catos Eintreffen an den Syrten einen Sturm schildern. Ein Vergleich beider Szenen macht die Unterschiede zwischen mythologischer und historischer Epik in Natur- und Menschenbild deutlich. Bei Vergil gehen Entstehung und Abflauen des Sturms auf Eingriffe der Götter und ihrer mythischen Helfer zurück. Iuno überredet Äolus dazu, die Winde aus ihrem Kerker zu befreien, indem sie ihm die Nymphe Deiopea verspricht. Der Sturm dauert so lange an, bis Neptun auf den Aufruhr in seinem Reich aufmerksam wird, die ungehorsamen Boreas und Zephyr ermahnt und die Fluten glättet. Die Neptun unterstehenden Triton und Cymothoe befreien in seinem Auftrag die aufgelaufenen trojanischen Schiffe. Aeneas bleibt völlig passiv; in seiner Verzweiflung kann er nur die vor Troja gefallenen Gefährten glücklich preisen. Die übrigen Trojaner treten überhaupt nicht in Erscheinung. Lucan verzichtet dagegen auf den hierarchisch gestuften mythologischen Überbau der Aeneis. Der Mensch ist im Kampf mit der Natur auf sich selbst angewiesen. Rationales Handeln bringt zwar schließlich die Rettung (vgl. die Aufnahme von Lotsen in 346), ist aber in Lucans düster-paradoxem Kosmos keine Erfolgsgarantie. Die vorsichtigen Seeleute gehen in den Syrten zugrunde, die leichtsinnigen, die die Takelage nicht rechtzeitig vor dem Sturm in Sicherheit gebracht haben, können sich retten. Allerdings treten auch bei Lucan die Naturkräfte (Wind; Flut) personifiziert auf. Doch sind sie, anders als bei Vergil, wo Gebete eine glückliche Fahrt bewirken können (vgl. 319–320) und die Winde sich durch das zornige quos ego Neptuns (Aen. 1,135) einschüchtern lassen, weder durch religiöse Handlungen der Menschen zu beschwichtigen, noch gibt es übergeordnete mythologische Kräfte, die auf sie einwirken könnten. Die Naturkräfte sind im BC dämonisch; sie treten dem Menschen autonom entgegen und zeigen sich ohne erkennbaren Grund teils freundlich, teils feindlich. Allein der „Übermensch“ Caesar ist ihnen überlegen. Im Seesturm verhöhnt er das Toben
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der Elemente und wird darauf von den Wellen an Land gesetzt; vgl. 5,653–677. Zu Lucans Naturauffassung vgl. auch zu 301 und 306. Sturmschilderungen gehören seit Homers Odyssee (vor allem 5,282–407; zum speziellen Bezug auf Od. 9,67–84 vgl. zu 215–252) zum Repertoire epischer Szenen, die für die lateinische Tradition verbindlich geworden sind; vgl. Verg. Aen. 1,81–156; Ov. met. 11,474–572; Sen. Ag. 460–585. Bereits die archaische Literatur hat, beginnend mit Livius Andronicus’ Odusia, Darstellungen von Schiffen in Seenot enthalten; vgl. Macr. sat. 6,3,31 (zu Naevius); Pacuv. trag. 335–335 (RIBBECK). Die Tradition der epischen Stürme ist häufig untersucht worden; vgl. FRIEDRICH 1956; BURCK 1978; BORSZÁK 1983; MORFORD 1967, 37–58; CRISTÓBAL 1988; NIEDERBUDDE 1991. In der Regel erheben die Interpreten gegen die späteren Dichter wie Lucan und die flavischen Epiker den Vorwurf, einen literarischen Flickenteppich aus schon vorgegebenen Bildern und Motiven zusammenzustückeln; die entstehenden Texte seien papieren und realitätsfern; vgl. z.B. FRIEDRICH 1956, 83 („Inzucht“); BURCK 1978, 4–5. Für eine gerechtere Würdigung Lucans ist dagegen einzuwenden: 1. Die Mehrheit der Interpreten betrachtet Lucan aus der Perspektive der verwendeten Tradition; dies hat zur Folge, daß auch nur die Tradition wahrgenommen wird. Es fehlt das Bemühen, zu untersuchen, ob die überkommenen Motive nicht im neuen Zusammenhang auch einen neuen Sinn annehmen, der sich nicht allein aus dem punktuellen imitatio/aemulatio-Verfahren herleiten läßt. 2. Das Neue, das jeweils ergänzend zu dem überlieferten Motivbestand tritt, wird meist nicht angemessen gewürdigt. So geschieht es, daß mit Ausnahme der ausgewogenen Arbeit MORFORDs bei den Interpreten nur die gescheiterte Adriaüberfahrt Caesars (5,497–702) Beachtung findet, weil sie Vergil am nächsten ist; der Hinweis auf den Syrtensturm und den Sandsturm in der libyschen Wüste (9,445–492) fehlt. 3. Um Lucan angemessen zu beurteilen, muß man seine Sturmschilderungen nicht nur von den verarbeiteten kanonischen Autoren her, sondern auch vor dem zeitgenössischen literarischen Hintergrund bewerten. Es ist überliefert, daß auch Beschreibungen von Seestürmen zu den Deklamationsübungen gehörten; vgl. Sen. suas. 3,2; contr. 7,1,4; 8,6,2 mit MORFORD 1967, 32–36. Ebenso wie bei deliberativen oder iudicialen Deklamationen bestand die Aufgabe des Rhetorikschülers, aus einer vorgegebenen knappen Situationsangabe (hier: Wind; Meer; Land; Schiffe; Seeleute) eine möglichst überraschende und aspektreiche Rede zu gewinnen. Betrachtet man unter diesen Voraussetzungen Lucans Syrtensturm, nötigt die Phantasie, die er hier unter Beweis stellt, Respekt ab. Schiffe, die
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allein vom Winddruck auf die nackten Masten abgetrieben werden oder von der Flut über Sandbänke gespült werden, sind originelle und einprägsame Einfälle. Der Abschnitt ist klar gegliedert; die Formulierungen enthalten geschickt verarbeitetes traditionelles Gut. Man muß Lucan deshalb nicht schätzen, doch wäre es ungerecht, ihm im Vergleich zum klassischausgewogenen Vergil mangelnden Geschmack vorzuwerfen; er dichtet aus den Konventionen seiner Zeit heraus. Auch der Vorwurf, Lucan dichte ohne Sachkenntnis oder eigene Beobachtung allein unter Verwendung literarischen Materials, ist nicht zutreffend. Lucans Sturm ist realistischer als der der Aeneis: Es greifen keine übernatürlichen Mächte in die Handlung ein und durchbrechen die innerweltliche Kausalität; vgl. auch zu 331. 346–347. Selbstverständlich können sich auch die von Lucan geschilderten Ereignisse so nicht in der Realität ereignen. Lucan übertreibt, aber keineswegs willkürlich: Er konstruiert ein unwahrscheinliches Zusammentreffen besonderer Bedingungen und führt dann aus, was sich bei dieser Konstellation im Extremfall ereignen könnte, z.B. daß Schiffe wie in einem Hürdenlauf die der Festlandsküste vorgelagerten Sandbänke der Syrten mit Hilfe der Flut überwinden; vgl. 335–340. Die Naturgesetze werden im BC nicht außer Kraft gesetzt, sondern gewissermaßen bis zur Grenze des Vorstellbaren „gedehnt“. 319–320: Die Verse sind eine Kontrastimitation von Verg. Aen. 5,778–777: certatim socii feriunt mare et aequora verrunt; / prosequitur surgens a puppi ventus euntis. Aeneas hat durch ein Opfer die Tempestates gnädig gestimmt (5,772–776) und für eine glückliche Abfahrt der Trojaner aus Sizilien nach den Leichenspielen für Anchises gesorgt. Die Winde unterstützen seine rudernden Gefährten. Im entmythologisierten Kosmos Lucans können die Naturkräfte nicht durch kultische Handlungen beschwichtigt werden; für die Seefahrt braucht man Mut und nautische Kenntnisse. ut primum remis actum mare propulit omne / classis onus: „sobald das von den Rudern geschlagene Meer die ganze Last der Flotte vorwärts gestoßen hatte“; mare ist Subjekt (verkannt von HASKINS z.St.). Die Personifikation des Meeres, die die Agens-Vertauschung ermöglicht, begegnet häufig in zeitgenössischen Texten und dürfte ein festes Stilmittel deklamatorischer Sturmbeschreibungen gewesen sein (vgl. zu 115–116). Ihr liegt die Vorstellung vom Meer als Lasttier zugrunde, das das ihm aufgeladene Gepäck (sc. die Schiffe) fortträgt und sich dabei unwillig schüttelt, sich aufbäumt, Laute des Unwillens von sich gibt o.ä. Vgl. Lucan. 2,701–702: nam murmure vasto / impulsum rostris (Schiffsschnäbel / Stacheln
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der Treiber) sonuit mare; 8,197–199; Sen. Ag. 160–161: redemit illa classis immotae moras / et maria pigro fixa languore impulit; Petron. 89,33–34: cum premunt classes mare / pulsumque marmor abiete imposita gemit; Curt. 4,3,18: tandem remis pertinacius everberatum mare veluti eripientibus navigia classicis cessit; Val. Fl. 2,77: certatim remis agitur mare (Lucannachahmung; Hinweis von HOUSMAN z.St.); Tac. ann. 2,23,2: ac primo placidum aequor mille navium remis strepere aut velis impelli. Für die gewöhnliche Konstruktion vgl. z.B. Prop. 3,21,11: nunc agite, o socii, propellite in aequora navem; Ov. epist. 21,41–42; Lucan. 3,1–2: propulit (…) classem velis cedentibus Auster / incumbens. 320. densis fremuit niger imbribus Auster: vgl. Verg. Aen. 5,695–696: ruit aethere toto / turbidus imber aqua densisque nigerrimus Austris. Der Auster ist der stürmische, regenbringende Südwind; vgl. Plaut. Merc. 876–877: hic favonius serenust, istic auster imbricus: / hic facit tranquillitatem, iste omnis fluctus conciet; Lucan. 1,234; 2,454–455; 6,27; 7,833; 9,448. 468. 479. 484. 781; BÖKER, (in: SCHMIDT/BÖKER/GUNDEL) 1958, 2290–2291; ZURLI 1984, 109. 321. in sua regna furens: „id est in mare ubi obtinet potestatem“ (Adn. z.St.). Ebenso wie Hor. epod. 9,31: exercitatas Syrtis Noto (angeführt von H OUSMAN ) betrachtet Lucan die vor der afrikanischen Küste gelegenen Syrten als Herrschaftsgebiet des Südwinds. Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen antiker und moderner Windbeschreibung besteht darin, daß in der Antike nicht nur regional begrenzt auftretende Winde, sondern auch die Hauptwinde der Windrose Individualnamen tragen. Dadurch entsteht der Eindruck, daß, wenn z.B. West- und Ostwind abwechselnd tageweise wehen („herrschen“), es immer wieder dieselben Winde (sc. Zephyrus oder Eurus) sind, die um die Vorherrschaft über ein Gebiet streiten, während für modernes Empfinden die zu verschiedenen Zeiten entstehenden West- oder Ostwinde miteinander nicht identisch sind. In der Antike konnten daher Gebiete, in denen saisonal oder im Lauf des Jahrs eine bestimmte Windrichtung vorherrscht, als „Reiche“ eines bestimmtes Windes angesehen werden. In paradoxer Zuspitzung läßt Lucan Catos Soldaten, die meinen, den Äquator überschritten zu haben, den von Norden wehenden Wind Notus nennen (877). Nicht die Richtung des Windes, sondern seine Eigenschaften und das Gebiet, in dem er weht, charakterisieren ihn. Die Vorstellung von Winden als Individuen mit bestimmten „Charaktereigenschaften“ wurde durch die Begrenztheit des antiken orbis terrarum unterstützt. Für Griechen und Römer war der Boreas
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immer kalt; daß Nordwinde auf anderen Kontinenten oder auf der Südhalbkugel andere Eigenschaften haben konnten, zog man nicht in Betracht. Auf diesem Hintergrund antiker Windtheorie erklärt sich die bei Lucan häufig begegnende Metaphorik vom Kampf der Winde um ihre Reiche. Vgl. z.B. 1,405–407: non Corus in illum / ius habet aut Zephyrus, solus sua litora turbat / Circius et tuta prohibet statione Monoeci; 4,72–75: hic, ubi iam Zephyri fines, et summus Olympi / cardo tenet Tethyn, vetitae transcurrere densos / involvere globos, congestumque aeris atri / vix recipit spatium quod separat aethere terram (Der Ostwind, der alle Regenwolken in seinem Gebiet gesammelt und nach Spanien getrieben hatte, muß bei Gibraltar haltmachen, weil dort, im Stammland des Zephyrs, die Welt endet und ein weiteres Wehen nach Westen nicht möglich ist. Die Wolken stauen sich daher auf); 5,610–612: (crediderim) cunctos (sc. ventos) solita de parte ruentes / defendisse suas violento turbine terras, / sic pelagus mansisse loco; Petron. 114,3: Italici litoris aquilo possessor convertebat huc illinc obnoxiam ratem. Zur antiken Windtheorie vgl. BÖKER (in: SCHMIDT/BÖKER/GUNDEL) 1958, 2211–2387. 321–323: Der Auster verteidigt die Syrten, indem er die Schiffe auf die hohe See treibt. Alle Schiffe, deren Besatzungen bei Einsetzen des Sturms die Segel nicht mehr reffen konnten (324–327), oder auch nur vergessen hatten, den Mastbaum rechtzeitig umzulegen (327–329), werden von der afrikanischen Küste zurück auf die hohe See getrieben. Ihre Unachtsamkeit bedeutet jedoch ihre Rettung, weil sie so dem Auflaufen im flachen Syrtengebiet entgehen (330–331). Alle Schiffe, die die üblichen Vorsichtsmaßnahmen bei Sturm getroffen haben und dem ablandigen Wind keine Angriffsfläche bieten, werden von der einsetzenden Flut erfaßt und driften über die vom Auster geschaffenen Sandbänke in die Syrten, bis sie dort auf Grund laufen (331–344). 321–322. temptatum classibus aequor / turbine defendit: „verteidigte das von den Schiffen angegriffene Meer durch einen Wirbelsturm“. Vgl. 5,611: defendisse suas violento turbine terras (sc. ventos). Wie Soldaten eine dicht gedrängte Formation einnehmen, um einen Feind zurückzuwerfen, ballt sich der Wind zu einem Wirbel zusammen, treibt die Wellen vor sich her und versucht so, die Eindringlinge von seinem Reich fernzuhalten. Das militärische Bild stammt aus Verg. Aen. 1,82–83: ac venti velut agmine facto / qua data porta, ruunt et terras turbine perflant.
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322–323. longeque a Syrtibus undas / egit et illato confregit litore pontum: „er treibt die Wellen weit aus den Syrten hinaus, errichtet eine (weit vor der eigentlichen Küste gelegene) Sandbank und bricht daran das Meer (, das in die Syrten einzudringen versucht)“. Der sachliche Hintergrund der Verse ist die in 308–309 erwähnte Besonderheit des Syrtengebiets, daß dem Festland zahlreiche Sandbänke vorgelagert sind, die ständig unter dem Einfluß von Wind und Gezeitenstrom ihre Lage verändern. Die Lesart inlato (MZa; illato V) ist dem ebenfalls gut bezeugten in lato (PUGac) vorzuziehen. In lato ist eine irrtümlich vorgenommene Worttrennung, die daraus resultiert, daß der Kopist die militärische Metaphorik des Abschnitts mißversteht und die für ihn anstößige Vorstellung, der Wind errichte eine Küste, durch einen gewöhnlichen Ausdruck ersetzt. Confringere mit Wasser als Objekt ist singulär; vgl. ThLL IV 255,13–71 (LOMMATZSCH). Lucan verwendet das Verb an den beiden übrigen Belegstellen im BC innerhalb eines militärischen Kontexts; vgl. 6,123: impulso turres confringere vallo; 6,160: confringite tela pectoris impulsu. 324–327: Es ist üblich, die Stärke des Winds indirekt durch Beschreibung des aufgewühlten Meers oder sich blähender Segel anzuzeigen, wie z.B. (e contrario) aus 6,469–472 hervorgeht (thessalische Hexen entmachten den Wind): ventis cessantibus aequor / intumuit; rursus vetitum sentire procellas / conticuit turbante Noto, puppemque ferentes / in ventum tumuere sinus. 324–325. quarum recto deprendit carbasa malo, / eripuit nautis: kontrahiert für: „carbasa earum navium, quarum mali depositi non erant, eripuit nautis“ (in diesem Sinn H ASKINS und die Mehrheit der Übersetzer). Abweichend von der üblichen Auffassung macht EHLERS den Relativsatz von einem gedanklich zu ergänzenden naves abhängig. Er vereinfacht dadurch zwar die Syntax, läßt aber neue Schwierigkeiten entstehen. Der Ausdruck (naves) eripuit nautis ist hart; zudem wird der Gedankengang gestört. Die Verse 325–327 schließen eng an deprendit carbasa (324) an und beschreiben, wie sich die vom Sturm erfaßten Segel über den Bug hinaus bauschen. In EHLERS’ Version wird der in 324–325 begonnene Gedanke (Abtreiben der Schiffe) dagegen abrupt durch die Beschreibung der sich blähenden Segel abgebrochen. EHLERS hat versucht, diese Schwierigkeit durch Konjektur (325: ausi statt ausis) zu beheben, doch wird man dieser petitio principii nicht folgen. Das traditionelle Verständnis der Stelle bietet weniger Probleme.
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324. recto …. malo: Die Junktur nach Sen. Ag. 504–505: nec illi vela nec tonsae manent / nec rectus altas malus antemnas ferens. 325–327: „und während es die Taue vergeblich wagen, die Segel dem Südwind zu entziehen, übertreffen sie die Länge des Schiffs, und ihre Wölbung erstreckt sich noch über den Bug“; d.h. die Taue reißen nicht, sondern das mittschiffs am Mast angebrachte Segel bauscht sich unter dem Druck des Winds wie der Spinnaker einer Yacht über den Bug hinaus. Für das BC charakteristisch ist die Beschreibung eines irrealen Effekts mit manierierter technischer Präzision. Einerseits liebt es Lucan, ungewöhnliche und bizarre Phänomene zu schildern, andererseits bemüht er sich als historischer, rational analysierender Epiker, zu zeigen, daß die beschriebenen Vorgänge nicht den Bereich dessen überschreiten, was naturwissenschaftlich zu erklären ist. Transzendente, mythologische Kräfte spielen im BC keine Rolle. Vgl. auch die genauen Beschreibungen in 5,430–432: vix primum levior propellere lintea ventus / incipit exiguumque tument, et reddita malo / in mediam cecidere ratem; 5,594–597: avolsit laceros percussa puppe rudentes / turbo rapax fragilemque super volitantia malum / vela tulit (d.h. der Wirbelsturm reißt die Segel vertikal in die Höhe). 326. vela negare: Eine von Ovid in der Sturmbeschreibung der Ceyx/Alcyone-Episode (met. 11,474–572) in Kontrast zum vergilischen Lieblingsausdruck vela dare (vgl. Verg. georg. 2,41; Aen. 1,35; 2,136; 3,9. 191. 705; 4,546; 5,796; 8,708 u.ö.) gebildete Wendung (met. 11,487: pars ventis vela negare). Lucan gebraucht sie auch in 8,560–561: iam vento vela negarat / Magnus. 326–327. spatium vicere carinae; / atque ultra proram tumuit sinus: Der zweite Halbvers veranschaulicht die vorangehende prosaisch exakte Beschreibung. Die gleichberechtigte Verbindung von sachlicher Genauigkeit mit poetischer Prägnanz ist für Lucan charakteristisch. Vergil dagegen meidet in der Aeneis technisches Vokabular, das mit deren archaisch-idealisierter Welt unvereinbar wäre; vgl. z.B. Verg. Aen. 3,356–357: et aurae / vela vocant tumidoque inflatur carbasus Austro. 327–329: Die Besatzungen der zweiten Gruppe von Schiffen haben die Segel rechtzeitig gerefft; der Winddruck auf die nackte Takelage ist aber so stark, daß die Schiffe dennoch auf die hohe See getrieben werden.
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327–328: Das Reffen der Segel ist eine bekannte Vorsichtsmaßnahme bei Sturm (vgl. Ov. met. 11,483). Den geschickten Rückzug des pompeianischen Legaten Torquatus bei Dyrrhachium illustriert Lucan durch Vergleich mit einem Kapitän, der rechtzeitig seine Segel vor einem nahenden Unwetter in Sicherheit bringt; vgl. 6,284–289. 328. providus: prosaisch; nur hier bei Lucan (1mal Tib.; nicht Prop.; nicht Verg.; 3mal Hor.; 2mal Ov. met.). 329. et nudis avertitur armamentis: „und mit nackter Takelage wird es vom Kurs abgetrieben“. Den spondeischen Verschluß auf armamentis (armamentum = „Takelage“; poetisch sonst nur an der zitierten Ovidstelle belegt) hat Lucan aus Ov. met. 11,455–456: protinus eductam navalibus aequore tingi / aptarique suis pinum iubet armamentis (der Sturmszene vorangestellte Beschreibung der Reisevorbereitungen des Ceyx) entnommen; zu versus spondiaci bei Lucan vgl. HELZLE 1992; zu Versschlüssen in der römischen Dichtung mit malender Absicht vgl. NORDEN 1970 (= 1916),441–446. Der Versschluß malt das Auf und Ab des Schiffs in der Dünung. Zur Beschreibung von Wellen werden häufig versus spondiaci verwendet; vgl. Catull. 64,67: ante pedes fluctus salis adludebant; 64,296–270: hic, qualis flatu placidum mare matutino / horrificans Zephyrus proclivas incitat undas; und zu 116. Spondeischer Rhythmus herrscht vor auch im berühmten Vergilvers (Aen. 1,118) apparent rari nantes in gurgite vasto. 330–331: Wider Erwarten überstehen ausgerechnet die Schiffe den Sturm, deren Besatzungen es an den nötigen Vorsichtsmaßnahmen haben fehlen lassen. 331. et certo iactata mari: „und wird umhergeworfen auf dem Meer, das aber sicher ist“. Es ist eine Seemannsweisheit, daß im Sturm nichts gefährlicher ist als das Land; denn das Schiff kann in Ufernähe auflaufen und von der Brandung zerschlagen werden; vgl. Sen. epist. 53,2–4; Ag. 575–576; Lukas Apostelgeschichte 27,17. 28–30. Der Halbvers ist ein Beispiel für die Komplexität Lucans. Er knüpft durch die Formulierung (iactata) an die literarische Tradition an, in der das Meer seit der Odyssee eine der bedeutendsten Gefahrenquellen für die Ziele des Helden ist (vgl. Hom. Od. 1,1–2; Verg. Aen. 1,3: multum ille et terris iactatus et alto; Hor. epod. 9,31–32: exercitatas aut petit Syrtis Noto / aut fertur incerto mari), verkehrt sie ins Paradox (certo […] mari), ohne dabei jedoch willkürlich zu ver-
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fahren. Die auf den ersten Blick widersinnige Aussage formuliert seemännisches Erfahrungswissen, dessen Gültigkeit der Dichter im folgenden nachweist. Die auffällige Stilfigur dient zugleich als kompositionelle Gelenkstelle. Sie schließt den ersten Abschnitt der Sturmschilderung ab und weckt die Neugier des Lesers, zu erfahren, warum sich die Nähe des Landes für die Schiffe, die nicht vom Sturm abgetrieben werden, nachteilig auswirkt. Die Übersetzungen übernehmen ausnahmslos HASKINS’ falsche, das Paradox mißverstehende Erklärung von certo („‚undoubted sea‘, i. e. not a mixture of land and water, as in the shallows“). 331–334: „alle die Schiffe, die sich durch Umlegen der Masten leichter gemacht hatten und den drückenden Wind über sich hinwegbrausen ließen, trug die von den Winden unbeeinflußte Flut, die sich in entgegengesetzte Richtung wälzte, fort und stieß sie siegreich in Richtung des Südwinds, der versuchte, sich dagegen zu stemmen“. 331–332. levatae / arboribus caesis: Mit umgelegtem Mast sind die Schiffe „leichter“, weil der Sturm nicht mehr auf die Segel drückt. Auch eine separative Auffassung des Ablativs läßt sich nicht völlig ausschließen („leichter geworden durch Überbordwerfen der abgehauenen Mastbäume“). Die zweite Interpretation gäbe eine zusätzliche Erklärung für das Abtreiben der Schiffe in die Syrten (die Flut kann die Schiffe, wenn sie weniger wiegen, leichter davontragen) und wäre damit näher an dem Vorbild für Lucans Formulierung Sen. Ag. 503–504: haec (sc. navis) lacera et omni decore populato levis / fluitat. Vielleicht sind beide Aspekte gemeint (leichter wegen des fehlenden Winddrucks und des Überbordwerfens des Mastes). Arbor wird seit Verg. Aen. 5,504: adversique (…) arbore mali metonymisch für malus verwendet; vgl. Ov. met. 11,476–477. 551; Germ. 621; Lucan. 8,178. Caesis verstehen die Übersetzungen durchgehend im eigentlichen Sinn („abhauen“ o.ä.), doch könnte man es, sofern man der ersten der oben genannten Auffassungen von levatae / arboribus caesis folgt, auch als metaphorische Erweiterung zum bildlichen arbor ansehen (caedere = deponere o.ä.). Die Masten antiker Schiffe waren in der Regel so konstruiert, daß sie niedergelegt werden konnten, sofern keine Segel benötigt wurden oder die Takelage im Sturm sogar eine Gefahr bedeutet hätte. Kriegsschiffe bewegten sich im Gefecht allein durch Ruderkraft fort, um zu vermeiden, daß der Mast beim Rammstoß aus der Verankerung brach; vgl. CASSON
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1971, 231–233; VIERECK 1975, 21–23. Dafür spräche auch, daß Lucan bei der Schilderung seemännischer Techniken gewöhnlich sehr genau ist. Während bei Vergil der mythisch-archaische Heros Aeneas in der Lage ist, einen Mast mit übermenschlicher Kraft allein aufzurichten (Aen. 5,487–488: ingentique manu malum de nave Seresti / erigit), beschreibt Lucan trotz Verwendung poetischen Vokabulars und Figurenschmucks denselben Vorgang detailliert und realistisch. Vgl. z.B. die Schilderung der Vorbereitungen zur Flucht aus Brundisium (2,693–698): non anchora voces / movit, dum spissis avellitur uncus harenis; / dum iuga curvantur mali dumque ardua pinus / erigitur, pavidi classis siluere magistri, / strictaque pendentes deducunt carbasa nautae / nec quatiunt validos, ne sibilet aura, rudentes. 333–334: Das Geschehen nimmt eine unerwartete Wendung: Der Skylla des Sturms entronnen, werden die Schiffe von der Charybdis der Flut ergriffen und in die Syrten getrieben. Lucan setzt einen Vergleich Ovids zur Beschreibung widerstreitender Affekte in epische Handlung um. Vgl. met. 8,470–472: utque carina, / quam ventus ventoque rapit contrarius aestus, / vim geminam sentit paretque incerta duobus; zum Kampf von Flut und Wind vgl. auch Sen. Thy. 436–439; Ag. 138–140. 488–489; HUNINK zu 3,549. Die sonst im Mittelmeer zu vernachlässigenden Gezeiten stellten im Syrtengebiet eine ernsthafte Bedrohung für die Schiffahrt dar. In Unkenntnis der Fahrrinnen liefen die Schiffe bei Flut in das seichte Wattengebiet ein und wurden dort von der Ebbe überrascht. Wenn überhaupt, gelang es ihnen meist nur unter Aufgabe der Ladung, bei einsetzender Flut wieder die hohe See zu erreichen. Vgl. Pol. 1,39,3–5; Lucan. 5,484–485; TREIDLER 1932, 1826–1827. Als Dichter mit Interesse an auffälligen Naturphänomenen erwähnt Lucan häufig die Gezeiten; vgl. 3,549–552; 4,427–431; 5,444–446; 8,725. 753; 9,54. In 1,409–417 führt Lucan die Erklärungsversuche der antiken Naturwissenschaft für Ebbe und Flut auf. 333. liber ventis contraria volvens: Ventis bezieht sich als Ablativ auf liber, als Dativ auf contraria. Zum syntaktischen Doppelbezug vgl. zu 715. 334. obnixum victor detrusit in Austrum: Das Abdriften gegen den Wind, der „Sieg“ der Flut, wird in militärischer Metaphorik beschrieben. Obniti (nur hier bei Lucan) findet sich auf den Wind übertragen seit Lucr. 6,559; Verg. Aen. 10,359–362: anceps pugna (sc. ventorum) diu, stant obnixa omnia contra: haud aliter Troianae acies aciesque Latinae / concurrunt, haeret pede
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pes densusque viro vir. Zu detrudere („aus einer erhöhten Stellung heruntertreiben“) vgl. Bell. Alex. 76,1; Liv. 22,28,12; 33,7,13; Tac. ann. 2,17,4; 6,35,2. 335. has vada destituunt: „unter diesen wird das Wasser zunehmend seichter“. Die Flutwelle schwemmt die Schiffe in das flache, von Sandbänken durchzogene Syrtengebiet. Das Wasser, der „Bundesgenosse“ der Seeleute im Kampf gegen den Sturm, läßt sie im Stich, so daß die Schiffe schließlich auflaufen. Destituere von zurückgehendem Wasser ist seit Verg. ecl. 1,60: et freta destituent nudos in litore piscis häufig; vgl. ThLL V 1,762,76–763,17 (VETTER). Die Aussage ist eigentlich unlogisch; denn wenn die Schiffe mit der einsetzenden Flut in die Syrten getrieben werden, können sie nicht auflaufen. Gefahr besteht nur, wenn man sich von der Ebbe überraschen läßt. 335–336. interrupta profundo / terra: Wiederaufnahme von 308: abruptaque terra profundo. Mit Blick auf diese Parallelstelle ist die von HASKINS vorgeschlagene passive Auffassung des Partizips („separated by intervals of deep sea“) der ebenfalls von ihm erwogenen medialen Bedeutung von interrupta („bursting up in the midst of the deep sea“) vorzuziehen; vgl. MANTOVANELLI 1981, 214. MANTOVANELLI (1981), der die Bedeutungsentwicklung von profundus von der archaischen Literatur an bis in die christliche Spätantike untersucht (zu Lucan vgl. 213–221), hebt hervor, daß bei Lucan und den auf ihn folgenden Epikern profundum („Meer“) wieder mit der Konnotation der Tiefe verbunden ist, die bei Ovid nicht spürbar ist. Die Wendungen abruptaque terra profundo und interrupta profundo terra erhalten Prägnanz aus der scharfen Antithese von Festland und Tiefsee. 336. terra ferit puppes: eine Agens-Vertauschung, die die unbewegte Erde zum handelnden Subjekt macht; vgl. 2,155–156: hic se praecipiti iaculatus pondere dura / dissiluit percussus humo; 8,698: litora Pompeium feriunt; 708. Die Subjekt-Objekt-Vertauschungen bei Lucan sind bereits mehrfach behandelt worden (vgl. HOUSMAN zu 9,925; HÜ B N E R 1972, 594–595; HILLEN 1989, 259–260 [zu Sen. Tro. 1114–1117]), doch hat man die dieser Stilfigur zugrundeliegende Überlegung noch nicht hinreichend deutlich herausgearbeitet. Die durch die Personifikation erreichte Verlebendigung des Ausdrucks ist nur ein Aspekt, entscheidend ist aber, daß das übliche Verhältnis zwischen Schlagendem und Geschlagenem wieder hergestellt wird. Das Schlagwerkzeug bleibt intakt, das Objekt wird zerstört. So gese-
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hen trifft die Formulierung terra ferit puppes den Sachverhalt genauer als puppes feriunt terram. Vergleichbar sind die Fälle, in denen Lucan bei der Schilderung von todesverachtendem Verhalten das Verhältnis von Körper und Waffe umkehrt. Zwar ist der Körper derjenige, der zerstört wird, doch stürzen sich die Soldaten so entschlossen in den Kampf, daß der Eindruck entsteht, ihr Körper sei das Schlagwerkzeug, die Waffe des Gegners das, was geschlagen wird; vgl. 4,560–562: nec vulnus adactis / debetur gladiis: percussum est pectore ferrum / et iuguli pressere manum; 6,160–161: confringite tela / pectoris impulsu iugulisque retundite ferrum. 336–337: Durch den Schwung, der ihnen die Flut verleiht, laufen die Schiffe auf Sandbänke auf. Manövrierunfähig befinden sie sich in einem gefährlichen Schwebezustand. Das Bild des aufgelaufenen Schiffes ist traditionell; vgl. Verg. Aen. 10,303–305: namque inflicta (sc. navis Tarchonis) vadis, dorso dum pendet iniquo / anceps sustentata diu fluctusque fatigat / solvitur atque viros mediis exponit in undis; Sen. Ag. 571–575 (hier von Lucan benutzt): haerent acutis rupibus fixae rates; / has inopis undae brevia comminuunt vada, / pars vehitur huius prima, pars scopulo sedet; / hanc aliam retro spatia relegentem fecit / et fracta frangit. 338–339. tum magis impactis brevius mare terraque saepe / obvia consurgens: „dann, als die Schiffe kräftiger (sc. von der Flut) angestoßen worden sind, finden sie flacheres Wasser vor sich, und oft erhebt sich vor ihnen Land“. Lucan beschreibt einen „Parforceritt“ der Flotte, die von der Flut angetrieben abwechselnd durch seichtes Wasser und über Sandbänke auf die Syrtenküste zufährt. Impingere ist t.t.; vgl. Lucan. 5,697; Tib. Claud. Don. Verg. Aen. 10,300 p. 332,25 GEORGII „namque inflicta vadis“, hoc est inpacta iniquis litorum locis; ThLL VII 1,617,27–31 (PRINZ). Das schwach bezeugte impactis (Z) brevius (ZC) verdient den Vorzug vor impactum brevibus (Mw), wie zuerst HOUSMAN erkannte (zustimmend L UCK ; SHACKLETON B AILEY ; BADALÌ ): „magis inpactae naves brevius mare inveniunt et saepe obviam habent terram ex aqua consurgentem. quod vulgo editur inpactum brevibus, quid mare brevibus magis impingere potuerit nescio, flabat enim Auster; neque sine navium mentione intelligitur obvia. adde quod sic scribentibus saepe mutandum et verbum quaerendum est (…) excepto nimirum Hosio“.
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339–340: Obwohl der Südwind die Fluten aufpeitscht, gelingt es ihnen häufig nicht, die Sandbänke zu überspülen. Die Schiffe bleiben auf den Landrücken stecken. Gedankengang: 331–339 beschreiben, wie die Schiffe, die sich durch Umlegen der Masten der Gewalt des Sturms entzogen haben, von der Flut über Sandbänke hinweg in die Syrten getrieben werden und dort schließlich auf Untiefen auflaufen. Weil der Auster zu schwach ist, die durch die Flut in sein Reich eingedrungenen Schiffe zu vertreiben, können die Seeleute die Schiffe nicht mehr flott machen und kommen um. 339. quamvis elisus ab Austro: „obgleich der Südwind die Fluten herausstieß“. Die Setzung von ab erklärt sich aus der Personifikation des Auster (HASKINS ). Elidere mit Wasser als Objekt („ausstoßen“; „aufschäumen lassen“) entstammt der vergilischen Beschreibung der Durchfahrt durch die Charybdis; vgl. Aen. 3,566–567: ter scopuli clamorem inter cava saxa dedere / ter spumam elisam et rorantia vidimus astra; danach Ov. met. 15,338; Sen. Herc. O. 1240; Curt. 8,13,4; Lucan. 6,56; ThLL V 2,371,40–54 (RUBENBAUER). 340. cumulos … harenae: eine vergilische Junktur (georg. 1,105), die Lucan auch in 485 verwendet. 341–342: In die Sturmschilderung ist eine kurze Topothesie eingelegt. Lucan beschreibt eine der trotz des Wütens von Wind und Flut trocken gebliebenen Sandbänke, auf der einige Schiffe der Flotte Catos aufgelaufen sind. In der Regel wird die Ortsbeschreibung durch ein asyndetisch vorangestelltes Verb eingeführt (eminet; häufig formelhaft est locus; vgl. Verg. Aen. 1,159; 7,653; Ov. met. 8,788; 11,592; 12,39; Sen. Tro. 483. 1068); ihr Ende markiert ein deiktisches Pronomen (hic o.ä.), mit dem die Erzählhandlung am neu eingeführten Ort fortgesetzt wird. CO N T E (zu 6,125–127) hat gezeigt, daß Lucan in der betreffenden Passage, die Pompeius’ Ausfall bei Dyrrhachium schildert, Erzählung und Beschreibung eng miteinander verbindet. Er vermeidet den asyndetischen Einsatz (6,125: tamen), um die unmittelbare Abfolge vom Fassen des Plans zum Ausfall und seiner sofortigen Ausführung zu zeigen; vgl. 6,122–128: latis exire ruinis / quaerit et impulso turres confringere vallo / perque omnis gladios et qua via caede paranda est. / opportuna tamen valli pars visa propinqui, / qua Minuci castella vacant, et confraga densis / arboribus dumeta tegunt. hac pulvere nullo / proditus agmen agit subitusque in moenia venit. Auch hier sind Erzählhandlung und
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Topothesie organisch miteinander verbunden. Das asyndetische eminet signalisiert weniger den Anfang der Beschreibung als die unerwartet eingetretene Ruhe durch das Auflaufen der Schiffe auf die Sandbank; das deiktische Pronomen, das üblicherweise die Fortsetzung der Handlung am neuen Ort markiert, kann entfallen, da Lucan das Festsitzen der Schiffe bereits zuvor (339–340) angedeutet hat. Zur Form und Geschichte der Topothesie, die seit Homer ein häufig begegnendes Element antiker Poesie und Prosa ist, vgl. H. LAUSBERG §819; CONTE zu 6,125–127. 341–342. in tergo pelagi … / inviolatus aqua sicci iam pulveris agger: „(es erhebt sich) über die Meeresoberfläche ein Damm aus bereits trockenem Sand, der vom Wasser nicht erreicht wurde“. Tergum pelagi („Meeresoberfläche“) ist ein Gräzismus. Metaphorisches n«ton für die weiten Flächen des Meeres (vgl. Hom. Il. 2,159; 3,162; Od. 3,142 u.ö.; Hes. theog. 762. 781 u.ö.; Eurip. Hel. 129; Ib. 774), des Landes (vgl. Pind. P. 4,45. 228; Eurip. Iph. T. 46), des Himmels (vgl. Plat. Phaedr. 247c; Eur. Hel. 731) ist im Griechischen nicht ungewöhnlich; das Bild ist aber nur selten ins Lateinische übertragen worden. Lukrez gebraucht es einmal vom Land (6,540), Seneca vom Himmel (Ag. 756). Nach Verg. georg. 3,361 wird die Wasseroberfläche nur dann als tergum bezeichnet, wenn sie vereist ist; vgl. Ov. pont. 1,2,80; Sen. Herc. f. 535; Plin. paneg. 12,3. Lucan 5,565; 9,341 sind die ersten Belege in der lateinischen Literatur für die Bezeichnung der nicht zugefrorenen Meeresfläche als „Rücken“. Die ungewöhnliche Metapher läßt sich an dieser Stelle durch Lucans Vorliebe erklären, den Leser zur Aufmerksamkeit zu zwingen, indem er ihn auf eine falsche Fährte lockt; vgl. zu 294–295. Der Kontext legt es nahe, in tergo pelagi im Sinn von in dorso pelagi („auf einem Landrücken in Meer“; vgl. z.B. Verg. Aen. 1,109–110: saxa vocant Itali mediis quae in fluctibus Aras, / dorsum immane mari summo; 10,303: inflicta vadis, dorso dum pendet iniquo / anceps sustentata diu fluctusque fatigat [vom aufgelaufenen Schiff des Tarchon]) aufzufassen. Erst wenn der Leser am Ende des Satzes bei agger angelangt ist, wird ihm klar, daß er sich eine andere Bedeutung für tergo pelagi überlegen muß. Auch in 5,564–565: niger inficit horror / terga maris dient der Gräzismus einer übergeordneten stilistischen Absicht; er erweitert das Bild des horror maris (vgl. dazu ThLL VI 3,2997,68–75. 2999,25–66 [EHLERS ]). Wie ein Schüttelfrost einen Menschen, so überkommt der Sturm das Meer. Dessen „Rücken“ nimmt eine schwärzlich-dunkle Farbe an und bekommt eine „Gänsehaut“.
Syrtenexkurs und Syrtensturm (303–347)
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Inviolatus („unversehrt“; nur hier bei Lucan) ist Teil der Metaphorik des „Kampfs der Elemente“; vgl. zu 306. Ursprünglich gehört das Wort der religiösen Sphäre an („nicht entweiht“); vgl. ThLL VII 2,1,217,64–81 (REICHMANN). 343. stant miseri nautae: „Auf hoher See gestrandet“ bleibt den Seeleuten keine Hoffnung auf Rettung. Das Schiff sitzt fest, und auf der Sandbank, auf der sie sich befinden, können sie nur verhungern. 344. litora nulla vident: ein Paradox: den auf schmaler Sandbank Gestrandeten ergeht es wie Seeleuten auf großer Fahrt: Sie sehen nichts als Himmel und Wasser. Vgl. zu diesem Topos Verg. Aen. 5,9: maria undique et undique caelum; Ov. epist. 13,22: et, quod spectarem, nil nisi pontus erat; trist. 1,2,23: quocumque aspicio, nihil est nisi pontus et aer. 344–347: Die Schiffe, die in die Syrten getrieben wurden, werden Beute des Meeres; der größere Teil der Flotte jedoch kann sich retten und gelangt nach der Aufnahme von Lotsen sicher zum Tritonsee. Die nüchterne Bestandsaufnahme der eigenen Verluste erinnert an die Ergebnismeldungen über den Ausgang von Schlachten in militärischen Texten; vgl. z.B. Caes. civ. 1,58,4: et magno numero Albicorum et pastorum interfecto partem navium deprimunt, nonnullas cum hominibus capiunt, reliquas in portum compellunt. eo die naves Massiliensium cum his, quae sunt captae, intereunt VIIII; Liv. 8,39,8; 38,2,14. 41,3; 44,28,13. 344. intercipit: „fing ab“. Die Metapher ist militärisch; vgl. Caes. Gall. 5,39,2. 40,1; civ. 1,55,1; 3,24,2. 346. nautasque loci sortita peritos: Es ist bezeichnend für den Unterschied zwischen Vergils mythologischer und Lucans rational-historischer Epik, daß es Lotsen sind, mit deren Hilfe Catos Flotte die schwierige Navigation in den Gewässern vor der afrikanischen Küste gelingt. Den trojanischen Schiffen ermöglicht Neptun, unterstützt von Cymothoe und Triton, die Einfahrt in die Syrten; vgl. Verg. Aen. 1,142–147. Lotsen waren in der antiken Seefahrt üblich. Ulpian z.B. (dig. 19,2,13,2) spricht Passagieren das Recht auf Regreßforderungen zu, falls ein Kapitän, ohne einen Lotsen an Bord genommen zu haben, in eine Flußmündung einfährt und dort Schiffbruch erleidet.
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347: Der spondeische Rhythmus malt die Ruhe nach dem Sturm. Zur geographischen Lage des Tritonsees vgl. zu 348–367. torpentem … paludem: zu torpere/torpor bei Lucan vgl. zu 436. 580. illaesa: Illaesus („unverletzt“) wird zuerst von Seneca (nat. 2,26,5. 31,1) auf Unbelebtes übertragen; vgl. ThLL VII 1,336,52–69 (PRINZ).
2.8. Mythologischer Exkurs: Tritonsee, Lethon und Garten der Hesperiden (9,348–367) 348–367: Cato und die republikanische Flotte gelangen an den Tritonsee, den Lieblingsaufenthalt der Göttin Athene (348–354). In dessen Nähe befinden sich der Lethestrom (355–356) und der Garten der Hesperiden, aus dem Herkules einst die goldenen Äpfel stahl (357–367). Als ein erzählerisches Gegengewicht zur vorangegangenen Sturmszene fügt Lucan hier eine mythologische Topothesie der Gegend um Berenike in die Darstellung der historischen Ereignisse ein. Die Information, welche mythologischen Traditionen mit dieser Stadt in Verbindung gebracht werden, konnte er den geographischen Handbüchern entnehmen; vgl. Plin. nat. 5,3–4; Solin. 2,2–6; die Art und Weise der Darstellung der einzelnen Mythen nimmt Motive und Wendungen auf, die die zu dem jeweiligen Thema bereits bestehende maßgebliche Tradition lateinischer Poesie (Lucr.; Verg.; Ov.; Sen. tragicus) lieferte. Stilistisch unterscheidet sich dieser Abschnitt daher merklich von den historischen Passagen des BC, in denen häufig prosaische Wörter und Wendungen aus der Geschichtsschreibung und den Fachwissenschaften begegnen; vgl. z.B. zu 349. Auch metrisch heben sich 348–367 vom Kontext ab. Lucan ahmt hier den spondeenreichen Hexameter nach, den die Neoteriker in der Tradition der alexandrinischen Dichtung in ihren mythologischen Kleinepen verwendeten. PATZER (1955, 79) nennt als Kennzeichen des neoterischen Hexameters Spondeenfülle, Vermeidung von Enjambement, lange parataktische Satzgefüge, Beschwerung der Satzglieder durch zahlreiche zu Nomina gesetzte Attribute (Partizipien; Adjektive, Genitive), Vorherrschen von Versen, die je zwei Nomina und zwei Attribute enthalten. Diese Charakteristika finden sich wieder in 348–349. 355–358. 361–367. Die Stadt Berenike (heute Benghazi) war im 6. Jahrhundert als Euhesperides von griechischen Siedlern gegründet worden; im Jahr 245 v. Chr. erfolgte in größerer Nähe zum Meer eine Neugründung, weil die La-
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gune, an der die Stadt lag, verlandet war. Das eigentümliche Karstgebiet im Hinterland der Hafenstadt legte es nahe, Tritonsee, Garten der Hesperiden und den unterirdischen Lethefluß dort zu lokalisieren. Im Karst bilden sich aufgrund von Auswaschungen im Kalkgestein häufig trichterförmige Einbrüche. Gelegentlich geschieht es, daß sich diese sog. Dolinen mit dem Wasser eines unterirdischen Zuflusses füllen; ist die zufließende Wassermenge weniger groß, entstehen zuweilen in einem sonst trockenen, vegetationsarmen Gebiet geschützte Oasen. Seen und Grüngebiete, deren Wasserzufuhr ungeklärt war, legten den Gedanken an das Wirken von Gottheiten nahe. Allerdings hat man bereits in der Antike durchschaut, wie diese Orte zum Ruf der Heiligkeit gekommen sind. Lucan gibt in 522–527 eine rationale Erklärung für die Oase Siwah, in der sich das Ammonsorakel befand. Zur Geographie von Benghazi und den Versuchen, die antiken Angaben mit den heutigen geographischen Gegebenheiten in Übereinstimmung zu bringen, vgl. JONES/LITTLE 1971; FERRI 1976. 348–349: Triton ist ein fischleibiger Meerdämon, der mit einem Muschelhorn über die Wellen gebietet. Zuerst erwähnt wird er bei Hesiod (theog. 930–933) als Sohn des Poseidon und der Amphitrite. Später stellen Literatur und bildende Kunst häufig auch eine Vielzahl von Tritonen dar, die zum Gefolge des Poseidon gehören und das männliche Pendant zu den Nereiden bilden. Statuen von Tritonen dienten in Rom zum Schmuck von Fischteichen (vgl. Cic. Att. 2,9,1); Kaiser Claudius setzte das Publikum einer Naumachie in Erstaunen, als er das Signal zum Kampf durch einen automatischen Triton gab, der durch eine versteckte Vorrichtung aus dem Wasser gehoben wurde und in sein Horn stieß (vgl. Suet. Claud. 21,6). Auch wenn die Bewohner von Olisipo eine Delegation zu Tiberius gesandt haben, weil sie einen Triton gesehen haben wollten (vgl. Plin. nat. 9,9), dürften die kaiserzeitlichen Römer kaum an die Existenz dieses Fabelwesens geglaubt haben; vgl. Iuv. 14,283; Tac. ann. 2,24,4. Die bekanntesten Episoden in der römischen Literatur unter Mitwirkung des Triton sind Verg. Aen. 6,162–182, die Tötung des Misenus, der den Meergott zu einem musikalischen Wettstreit herausgefordert hatte, und Ov. met. 1,330–347, die Beendigung der deukalionischen Flut durch Triton, der auf Geheiß Neptuns die Wassermassen durch einen Hornstoß zurückruft. Zum Triton vgl. H ERTER 1939, 245–304. Zur Lokalisierung des Tritonsees in der Nähe von Berenike (Benghazi) vgl. zu 347.
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348. ut fama: Mit Formeln wie ut fama (9,356), famae si creditur (3,220), fama est (6,378) o.ä. führt Lucan aus zweiter Hand übernommene mythologische (3,417; 6,378; 4,590–592. 654–655; 9,619–623), historische (2,672; 3,215. 220) und naturwissenschaftliche Stoffe (9,411–412) ein, deren Wahrheit sich für ihn nicht überprüfen läßt. Die distanzierende Formel selbst sagt noch nichts darüber aus, für wie wahrscheinlich Lucan das Referierte hält. Historisches wird von ihm unkommentiert wiedergegeben; mythologische Überlieferungen bezeichnet er als unwahr, nimmt sich aber als Dichter das Recht, Mythen zu erzählen (vgl. zu 359–360). Bei naturwissenschaftlichen Problemen ist seine Haltung nicht ganz einheitlich. Zwar lehnt er es ab, sich an der Diskussion der Spezialisten zu beteiligen und über die Plausibilität der verschiedenen von der Fachwissenschaft gegebenen Erklärungen zu entscheiden (1,417–419); scheint ihm aber eine allgemein anerkannte Ansicht gänzlich verfehlt, hält er gleichwohl mit seiner Kritik nicht hinter dem Berg und versucht eine eigene Erklärung (9,411–420). Im allgemeinen ist er bestrebt, erläuterungsbedürftige Phänomene wie z.B. den Schlangenreichtum der libyschen Wüste durch eine eigene oder eine übernommene Erklärung rational zu klären; er greift nur dann auf den Mythos zurück, wenn die Wissenschaft noch zu keinem überzeugenden Resultat gelangt ist. Das mythologische Aition wird aber in diesem Fall ausdrücklich als falsch gekennzeichnet; vgl. 9,619–623. Zu Lucans Verhältnis zum Mythos vgl. auch zu 359–360 und HÄUßLER 1978, 60–68. Formelhaftes ut fama o.ä. haben die römischen Dichter aus der hellenistischen Poesie übernommen bzw. ihr nachgebildet; vgl. z.B. Kall. fr. 200b PFEIFFER; MYNORS zu Verg. georg. 4,318; BÖMER zu Ov. met. 3,106. 349. ventosa perflantem marmora concha: Marmora ist eine von den modernen Herausgebern allgemein akzeptierte sichere Konjektur, die unabhängig voneinander von N. HEINSIUS und F. IUNIUS vorgeschlagen wurde; vgl. BADALÌ im App. z.St. Die Handschriften haben die Metapher für „Meer“ nicht verstanden und die Lesung durch murmura (ZG) bzw. litora (MPUV) erleichtern wollen. Das Modell des Ausdrucks ist Vergils Beschreibung des Misenus, der Triton herausfordert; vgl. Verg. Aen. 6,171: cava (…) personat aequora concha. Um den mythisch-fiktionalen Stoff auch sprachlich von den historischen Passagen abzusetzen, gebraucht Lucan hier mit ventosus, perflare und metaphorischem marmor Wörter vergilischer Herkunft, die er sonst meidet. Zu ventosus (sonst nur in 3,215) vgl. Verg. georg. 1,206; Aen. 6,335; 8,449;
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11,708; 12,848 (8mal bei Ovid, aber nicht in den Metamorphosen; 1mal Sen. trag.). Perflare (auch in 5,419) ist poetisch sonst nur in Lucr. 6,132. 136; Verg. Aen. 1,83; Ov. rem. 369 belegt. Marmor verwendet Lucan nur hier im übertragenen Sinn vom Meer. Die Metapher ist für das Lateinische von Vergil (georg. 1,254; Aen. 7,28. 718; 10,208) nach homerischem Vorbild (Il. 14,273: ëla marmar°hn; vgl. MYNORS zu Verg. georg. 1,254) geprägt und rückt die unregelmäßige („marmorierte“), von schaumbedeckten Wellenkämmen durchzogene Wasseroberfläche vor Augen. Ovid gebraucht marmor nur einmal von der zugefrorenen See (trist. 3,10,47); offenbar hielt er es für unangemessen, die Beschaffenheit von etwas Flüssigem durch metaphorische Bezeichnung mit dem Namen einer Gesteinsart zu verdeutlichen; vgl. ThLL VIII 411,41–71 (BRANDT). 350–354: Bereits Homer (Il. 5,880) erwähnt die Geburt der Athene durch Zeus; als eine Kopfgeburt wird sie zuerst von Hesiod (theog. 886–900. 924–926) beschrieben. In den ausführlichen frühen Berichten (Hom. h. 28,9–13; Pind. O. 7,35–38) wird die Geburt der Athene als machtvolle Epiphanie einer Kriegsgöttin beschrieben. Die Göttin springt bereits in Waffen aus dem Kopf ihres Vaters und läßt die Natur vor ihrer Erscheinung erzittern. Die Modifikationen und Erweiterungen, die der Geburtsmythos später erfahren hat, lassen sich zum großen Teil aus dem Wunsch erklären, den Beinamen der Athene, Tritog°neia, zu deuten. Ihre Geburt wird daher an den Tritonsee in Libyen bzw. an andere Gewässer dieses Namens verlegt; außerdem wird ihr in Analogie zu anderen Göttern eine Kindheitsgeschichte gegeben, die in den frühen Versionen fehlte; vgl. z.B. Apoll. Rhod. 4,1309–1311, der libysche Heroinen die neugeborene Göttin im Tritonsee baden läßt, und Apollod. (bibl. 3,144), der von ihrer Erziehung durch Triton berichtet. Zur Entwicklung des Geburtsmythos der Athene vgl. LAAGER 1957, 11–33; K AUER 1959. Zu bildlichen Darstellungen vgl. BROMMER 1961. Die ursprüngliche Bedeutung von Tritog°neia ist ungeklärt; vgl. WEST zu Hes. theog. 895. Lucan gibt eine zum Teil rationalisierte Erklärung für den Beinamen der Athene. Er verbindet die Geburt aus dem Haupt des Zeus und den Brauch, Göttern gemäß ihren Lieblingsaufenthaltsorten auf der Erde Beinamen zu geben (vgl. z.B. Venus Erycina), mit einer rationalen Erklärung dafür, warum Libyen der erste Kontinent war, den die Göttin kennenlernte. Die von Lucan hier benutzten mythologischen und naturwissenschaftlichen Vorstellungen waren geläufig; die Verknüpfung dürfte auf ihn selbst zurückgehen.
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Pallas Athene (Minerva/Tritonia/Tritonis) wird von Lucan häufig in der Wiedergabe des Perseusmythos (9,658. 665. 675. 681. 682. 689) und sonst mehrfach in Anspielung auf verschiedene andere Mythen genannt (1,598; 3,205. 306; 7,194). In die Handlung greift sie niemals ein; nur indirekt ist sie mit dem historischen Geschehen verbunden: Caesar bittet sie in Troja um Unterstützung in den noch anstehenden Kämpfen des Bürgerkriegs (994). 351–352. (nam proxima caelo est, / ut probat ipse calor): Diese Stelle ist kein Beleg dafür, daß Lucan von der stoischen Lehre, nach der die Erde eine Kugel im Zentrum des Kosmos ist, abgewichen und zur Scheibenvorstellung zurückgekehrt ist (so G ISINGER 1937, 2160). ABEL (1974, 1109–1110) weist zu Recht darauf hin, daß auch bei Annahme einer sphärischen Erdgestalt sich für die Antike die Temperaturunterschiede der fünf Klimazonen aus der jeweiligen Entfernung von der Sonne erklärten. Auch sonst dominiert bei Lucan eindeutig die Kugelvorstellung. Z.B. wird Catos Wüstenmarsch als eine Reise zu den Antipoden beschrieben; vgl. zu 538–539 und 873–878. 352–353. stagnique quieta / vultus vidit aqua posuitque in margine plantas: „sah im ruhigen Wasser des Weihers ihr Antlitz und erging sich am Ufer“. Zwei ovidische Motive werden von Lucan zu einer kleinen idyllischen Szene kombiniert. Zum Betrachten des eigenen Spiegelbilds im ruhigen und klaren Wasser eines Sees vgl. Ov. met. 1,640–641; 3,200–201 (mit BÖMER); 13,766–767; 15,565–566; epist. 14,89–98; zum vorsichtigen Baden der Füße vgl. met. 4,340–343; 5,592–595. Da 348–367 ein Gegengewicht zur vorangegangenen Sturmszene bilden, ist nicht erstaunlich, daß Lucan die schreckeneinflößende Epiphanie der Kriegsgöttin Athene durch einen locus amoenus ersetzt. 355–356: Bei Hesiod (theog. 227) ist Lethe Tochter der Eris und verkörpert den Undank; die frühesten Zeugnisse, die Lethe mit der Unterwelt in Verbindung bringen, sind Aristoph. ran. 185 und Plat. rep. 621a, wo auch zum ersten Mal der vergessenbringende Trunk aus dem Unterweltsstrom erwähnt wird. In späteren Texten gehört der Lethestrom fest zur mythologischen Geographie der Unterwelt; vgl. z.B. Verg. Aen. 6,705. 714. 749; Ov. met. 11,603; Lucan. 3,28; 6,685. 769. Neben dem Lethon/Lathon (vgl. Ptol. 4,4,3; Strab. 14,1,39; 17,3,20; Plin. nat. 5,31), der zwischen Berenike und Arsinoë ins Meer mündet, sind noch andere Flüsse, deren
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Namen an Lethe anklang, mit dem mythischen Strom identifiziert worden. Vgl. KROLL 1925; PHILIPP 1925. 355. Lethon tacitus praelabitur amnis: „fließt der Lethon vorbei, ein lautloser Strom“. Die mythologische Vorstellung vom ewigen Schweigen, das in der Unterwelt herrscht (vgl. 1,454–456; 3,29; 6,718), wird von Lucan nach dem Vorbild Senecas (nat. 3,26,1. 4) rationalisiert. Der Lethon ist lautlos, weil er unterirdisch fließt; vgl. auch 10,249 (mit HOLMES ) und 10,253. Sofern Lucan die traditionell mit der Unterwelt verbundenen Vorstellungen aufgreift, ohne sie zu rationalisieren, verkehrt er sie ins Gegenteil. Angesichts des schrecklichen Bürgerkriegs erfüllen die Verbrecher der römischen Geschichte wie Catilina, Marius und Cethegus den Tartaros mit ihren Freudenrufen und applaudieren dem Morden auf der Oberwelt (6,793–799). Auch der Lethestrom hat nicht bewirken können, daß Iulia Pompeius vergißt; die Unterweltsgötter gestatten ihrem Totengeist, Pompeius zu verfolgen und sich an ihm dafür zu rächen, daß er sich wiederverheiratet hat (3,28–34). Praelabi benutzt zuerst Seneca (nat. 3,24,3; 4,2,4) von Flüssen. Lucan greift diesen Sprachgebrauch auch in 4,13; 6,76 auf; vgl. ThLL X 2,682,81. 683,12 (FRIIS-NIELSEN). 356. infernis … trahens oblivia venis: „der in seinem unterirdischen Lauf das Wasser des Vergessens führt“. Der Vers ist eine Reminiszenz an Verg. Aen. 6,714–715: Lethaei ad fluminis undam / securos latices et longa oblivia potant. Die gewagte Metonymie oblivia, die securos latices und longa oblivia zu einem Wort zusammenzieht, hat Silius (1,236; 16,476) aufgenommen. Zum Bezug auf die Lotophagen-Episode der Odyssee vgl. zu 215–252. ut fama: grenzt sorgfältig den mythologischen vom geographischen Teil der Flußbeschreibung ab. 357–367: Mit parataktischem atque geht Lucan unmittelbar zur Beschreibung des Gartens der Hesperiden über (357–358), unterbricht sich dann aber sofort durch eine Apostrophe, in der er das Recht des Dichters verteidigt, Mythen zu erzählen (359–360). Schließlich setzt er mit fuit aurea silva neu ein und gibt ausführlich die Erzählung vom Raub der goldenen Äpfel wieder (360–367). 357. insopiti … tutela draconis: Drachen als Wächter von Schätzen, Heiligtümern, Orakeln u.ä. begegnen in vielen Mythen. Das Wertvolle
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braucht im Mythos einen Beschützer, damit nur der, der sich durch die Überwindung des Wächters als seiner würdig erweist, in seinen Besitz gelangen kann. Zum religionsgeschichtlichen Motiv der Schlange als Wächterin des Schatzes und dem antiken Brauch, in Tempeln Schlangen als symbolische Hüterinnen des Heiligtums zu halten vgl. CUMONT 1905; N ILSSON 1947. Später versuchte man, die Wächterfunktion der Schlange im Mythos zu rationalisieren, und man schrieb ihr aufgrund der fehlenden Augenlider stete Wachsamkeit und ein besonders scharfes Sehvermögen zu; vgl. Fest. 67,12 M.; Macr. sat. 1,20,3. Insopitus („der sich nicht einschläfern läßt“) ist eine Konkurrenzbildung Ovids zum geläufigeren insomnis. Es bezeichnet in met. 7,36 den Drachen, den Medea durch ihre Zauberkünste in Schlaf versetzt, um an das goldene Vlies zu gelangen. Der Neologismus erklärt, warum sich Lucan nicht auf Ovids Beschreibung des Hesperidendrachens bezieht (met. 9,190: pomaque ab insomni concustodita draconi). Insopitus ist sonst nur Claud. rapt. Pros. 3,401; 26,22; Basil. hex. 7,5,9 belegt; vgl. ThLL VII 1,1942,56–63 (SZANTYR). quondam: Der Raub der goldenen Äpfel wird von Lucan in graue Vorzeit verlegt. In historischer Zeit existiert nur noch ein gewöhnlicher Hain und die Sage, daß dort Herkules eine der ihm auferlegten Arbeiten erfüllt habe. 359–360: Lucan verteidigt das Recht des Dichters, auch unwahre Geschichten zu erzählen. Konkret dürfte die Apostrophe gegen die geographischen Fachschriftsteller gerichtet sein, deren Benutzung für die Beschreibung der Gegend um Euhesperides und auch sonst mehrfach im neunten Buch anzunehmen ist; vgl. zu 444–492. Plinius (nat. 5,3–4) und Solinus (2,2–6), die nach einer gemeinsamen Quelle den Garten der Hesperiden in der Nähe der Stadt Lix in Mauretania Tingitana ansiedeln, repräsentieren zwar nicht die Tradition, der Lucan folgt, sind aber wohl für den Umgang der Geographen mit mythischen Lokaltraditionen nicht untypisch. Solinus, der die ausführlichere Version bietet, gibt, um seine Glaubwürdigkeit als Autor nicht durch die Erwähnung des Gartens der Hesperiden und eines Wächterdrachens aufs Spiel zu setzen (2,4: ne famae licentiae vulneretur fides), eine Rationalisierung des Mythos. Die Mär vom Wächterdrachen sei aufgekommen, weil bei Ebbe die gewundenen Sandbänke einem Drachen ähneln. Erstaunlicher als der Mythos (2,5: magis mirum) sei für einen Naturwissenschaftler dagegen die Tatsache, daß das Niveau der Insel unterhalb des Meeresspiegels liege, sie aber nicht überflutet werde, weil sie von einem natürlichen Damm umgeben sei. Lucan vertei-
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digt sich angesichts dieser streng rationalen Haltung durch Berufung auf den Gattungsunterschied. Neben der vorliegenden Passage greift Lucan noch zweimal ausführlich auf mythische Traditionen zurück. In 4,581–665 schildert er Herkules’ Sieg über Antaeus, in 9,619–699 den Perseusmythos. Anhand der ein- und ausleitenden Bemerkungen zu den jeweiligen Erzählungen läßt sich sein Verhältnis zum Mythos etwa wie folgt rekonstruieren. Mythen sind unwahre, in vorgeschichtlicher Zeit entstandene Erzählungen, meist mit dem Zweck gebildet, anders nicht erklärbaren Phänomenen eine Ursache zuzuschreiben. Nach Lucan wäre es jedoch unhistorisch, dem Altertum, das eine rationale Mythenkritik durch Geschichtsschreibung und Naturwissenschaft nicht kannte (vgl. 4654–655: famosa vetustas / miratrixque sui), daraus einen Vorwurf zu machen; vgl. 359 und 4,590: non vana vetustas. Nur derjenige muß sich den Vorwurf der Lüge gefallen lassen, der in der aufgeklärten Gegenwart diese Aitiologien vorbehaltlos übernimmt; vgl. 3,198; 8,871–872. Aus Lucans Praxis geht hervor, daß er es nur dann für zulässig hält, Mythen zu referieren, wenn man sie als falsch kennzeichnet und die mythische Aitiologie noch nicht durch eine wissenschaftliche Erklärung ersetzt worden ist; vgl. 9,619–623. Lucans Haltung ähnelt derjenigen des Tacitus (ann. 6,28,1–6), der angesichts der Nachricht, daß in Ägypten ein Phönix gesichtet worden sei, zwar einräumt, daß die Wissenschaft bisher wenig Zuverlässiges über dieses Tier in Erfahrung bringen konnte, dennoch aber alles wiedergibt, was über diesen Vogel in Umlauf ist, nicht nur die (vermeintlich) sicheren Fakten. Die Sage ist zu interessant, als daß sie dem Leser vorenthalten werden könnte; vgl. Tac. ann. 6,28,2: de quibus congruunt (sc. doctissimi indigenarum et Graecorum) et plura ambigua, sed cognita non absurda promere libet. Zum Verhältnis antiker Historiker zu zweifelhaften oder falschen Überlieferungen vgl. WISEMAN 1993, 122–146. Vgl. auch zu 360. 359: „mißgünstig ist, wer dem Altertum das Recht auf Mythen abspricht“; d.h. Mythen sind zwar nicht wahr, aber das Kriterium der Wahrhaftigkeit ist ihnen gegenüber auch nicht angemessen. Famam derogare ist eine Modifikation des juristischen fidem derogare („Glaubwürdigkeit absprechen“; vgl. Cic. Caecin. 3; Quinct. 75; Font. 23; Caes. Gall. 6,23,8; Liv. 7,6,6). Derogare ist poetisch sonst nur Auson. 4,19,36 belegt. 360–367: Die mythologische Topothesie des Gartens der Hesperiden wird bestimmt durch die Antithesen reich/arm und schwer/leicht. Vor Her-
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kules’ Ankunft bogen sich die Äste (361) und die Stämme (364) der Bäume des Hains unter der Last der goldenen Äpfel; nach dem Raub bleibt der Hain um seine wertvollen Früchte erleichtert „arm“ (366: inopes sine pondere ramos) zurück. Lucan verarbeitet hier mit Lucr. 5,32–34 und Sen. Ag. 852–858 die beiden maßgeblichen Schilderungen, die ihm die lateinische Poesie vom Raub der Äpfel der Hesperiden bot (Verg. Aen. 4,480–486 nennt den Garten in einem anderen Zusammenhang). Auf Lukrez verweist das Motiv des sich um den Baum windenden Drachens (vgl. 364 und Lucr. 5,33–34) und die Formulierung fulgentia poma (367; vgl. Lucr. 5,32); der Einfluß Senecas zeigt sich in der Gegenüberstellung von reich und schwer/arm und leicht. Seneca gewinnt dem bekannten Mythos einen neuen Aspekt ab, indem er den Akt des Pflückens der Äpfel in den Mittelpunkt stellt. Der Wächterdrache wird erst durch das Geräusch der nach dem Pflücken zurückschnellenden metallenen Zweige auf Herkules aufmerksam, kommt aber zu spät, um noch einzugreifen. Da Lucan hier anders als Seneca nicht eine Tat des Herkules erzählt, sondern eine Topothesie gibt, verzichtet er darauf, die Handlung dramatisch zuzuspitzen, und kontrastiert stattdessen durch Gegenüberstellung der schweren und der leichten Zweige zwei „Standbilder“. Der Raub wird knapp und ohne Angabe von Details geschildert (vgl. 365: abstulit arboribus pretium); er wird nur erwähnt, um die Beschreibung der mit Gold beladenen Zweige (360–361) mit der der beraubten „armen“ Zweige (366) zu verbinden. Die Erwähnungen des Gartens der Hesperiden in der lateinischen Dichtung bis Lucan untersucht ESPOSITO 1986, der allerdings Sen. Ag. 852–858 nicht berücksichtigt. 360. fuit: Die Voranstellung des Verbs kennzeichnet den Beginn der Topothesie; vgl. zu 341. 361: „und Zweige, von Reichtümern schwer und mit goldenen Früchten beladen“. Die Bäume mit den goldenen Früchten hatte Ge als Hochzeitsgeschenk für Zeus und Hera wachsen lassen. Zum Motiv des von Früchten schweren Zweigs vgl. die von Lucan hier herangezogene Stelle Sen. Ag. 852–854: arborque pomis fertilis aureis / extimuit manus insula carpi / fugitque in auras leviore ramo. Sonst ist das Motiv vor allem von Ovid verwendet worden; vgl. Verg. georg. 1,187–188; Ov. ars. 2,263; rem. 175; met. 7,586; 13,812; 14,659–660; 15,76–77 (mit BÖMER). 403–407; Pont. 3,8,14.
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Germen gebraucht zuerst Lucan metonymisch im Sinn von „Frucht“ (nachgeahmt von Stat. Theb. 2,280: flebile germen / Hesperidum); vgl. ThLL VI 2,1922,73–1923,2 (SCHUSTER). 362: Die Hesperiden, Nymphen, die mit der Pflege des Gartens beauftragt waren, sind nach Hesiod (theog. 215. 275) die hellstimmigen Töchter der Nacht; in anderen Versionen stammen sie von Phorcys und Keto (Schol. Apoll. Rhod. 4,1399) oder von Atlas und Hesperis (Schol. Apoll. Rhod. 4,1399; Diod. 4,27) ab. 363: „und ein Drachen, der niemals dazu verurteilt ist, seine Augen schläfrig zu schließen“. Seit Homer (Il. 14,231; 16,672) ist vielfach die Vorstellung belegt, daß der Schlaf Bruder des Todes sei. Dies ermöglicht Lucan hier die Variation des häufigen leto/morti damnare (vgl. dazu zu 87) zu somno damnatus. Die von S HACKLETON B AILEY im App. z.St. aufgeführte Konjektur von BOTHE (donatus statt damnatus), die die anstößige Vorstellung zu beseitigen sucht, daß Lucan hier von einer Verurteilung zu etwas Positivem (dem Schlaf als demjenigen, der von Müdigkeit und Sorgen befreit) spricht, übersieht, daß hier auf den negativen Aspekt des Schlafes, seine Todesähnlichkeit, abgehoben wird. 364: „der sich um die Baumstämme schlang, die sich unter dem rötlichen Metall bogen“. Das Motiv der Schlange, die sich um einen Baum windet, hat Lucan von Lukrez übernommen; vgl. Lucr. 5,33–34: immani corpore serpens / arboris amplexus stirpes. Lucan verwendet es auch in 3,421: roboraque amplexos circumfluisse dracones. 365. abstulit arboribus pretium nemorique laborem: Der Vers ist unklar. Die Übersetzungen verstehen laborem entweder im Sinn von H ASKINS („the labor of supporting their weight“), oder beziehen es auf die Mühe, die die Nymphen und der Drache mit der Pflege des Gartens und seiner Bewachung haben. S HACKLETON B AILEY (im App.) erwägt daher, ob nicht nemorique durch Nymphisque zu ersetzen sei. Die erste Auffassung verdient den Vorzug, weil sie das Motiv der beschwerten Zweige fortführt. Vielleicht kann man laborem auch als einen Verweis auf die zwölf Arbeiten des Herkules deuten und den Ausdruck als Zeugma interpretieren. Der zweite Teil des Dikolon wäre demnach explikativ und erinnerte den Leser daran, daß Herkules mit dem Pflücken der Äpfel eine der ihm
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auferlegten Arbeiten erledigt habe und der Hain für alle, die nach ihm kommen, keinen labor mehr bietet, der zu bewältigen wäre. 366. Alcides: Neben der Erzählung vom Garten der Hesperiden schildert Lucan ausführlich den Zweikampf zwischen Herkules und Antaeus (4,581–655); sonst fällt der Name des Herkules mehrfach bei Nennung von Ortsnamen, die durch seine Taten bekannt geworden sind; vgl. 1,405. 576–577; 3,178. 278; 6,391–392. 348. 353; 8,1. 800. In der Konzeption des BC spielt Herkules keine Rolle, obwohl die stoische Interpretation des mythischen Helden, die ihn zu einem philosophischen Weisen und Wohltäter machte, der zum Nutzen der Menschheit unablässig gegen Ungeheuer, Räuber und Tyrannen kämpfte und sich schließlich durch seinen tapferen Tod auf dem Oeta die Versetzung unter die Götter verdiente, dies durchaus hätte nahelegen können. Nur in der Einleitung zur AntaeusEpisode rezipiert Lucan die stoische Deutung des Herkules-Mythos (4,609–611), führt aber die Vorstellung von Herkules als stoischem Weisen weder dort noch anderswo weiter aus. Herkules bleibt bei ihm eine Gestalt des Mythos. Der kritisch-rationale Lucan dürfte der Kritik zugestimmt haben, die Lukrez und Seneca gegen die philosophisch-aktualisierende Interpretation des Herkules-Mythos vorgebracht haben. Lukrez (5,22–54) wendet gegen die stoische Herkules-Vereinnahmung ein: Herkules’ Kampf gegen gefährliche Ungeheuer sei nutzlos gewesen, denn auch heute noch gebe es viele gefährliche Tiere; außerdem stellten sie ohnehin keine spürbare Gefährdung dar, weil man ihnen mit ein wenig Geschick aus dem Weg gehen könne. Wertvoller sei die Leistung Epikurs, der den Menschen von psychischen Ängsten wie der Todesfurcht befreit habe. Seneca (dial. 2,2,1–2) macht sich Lukrez’ Kritik teilweise zu eigen, ohne jedoch die stoische Herkules-Interpretation grundsätzlich in Frage zu stellen. Er bestreitet nur den Wert eines mythologischen Exemplums. Einem Menschen seiner Zeit nütze es nichts, zu erfahren, mit welchen Mitteln Herkules die Hydra besiegt habe. Besser als am Mythos könne man am Beispiel des jüngeren Cato lernen, wie man in einer komplexen und schwierigen geschichtlichen Situation philosophischen Grundsätzen treu bleiben könne. Daneben finden sich allerdings auch Passagen, in denen Seneca das traditionelle stoische Herkules-Bild unkritisch wiedergibt; vgl. z.B. benef. 1,13,3; Ag. 825–867. Zur Rezeption des Herkules-Mythos in Rom vgl. GALINSKY 1972, 126–184. EFFE (1980) untersucht den Funktionswandel des Herakles-Mythos in der griechischen Literatur und
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gibt einen kurzen Ausblick auf dessen Bedeutung in der römischen Dichtung. passusque inopes sine pondere ramos: vgl. Sen. Ag. 857–858: linqueret cum iam nemus omne fulvo / plenus Alcides vacuum metallo. Die Periphrase inopes sine pondere vermeidet das Wort „levis“, weil es positiv konnotiert ist. Leichte Zweige, durch die der Wind angenehm rauscht und die Schatten spenden, würden einen locus amoenus andeuten, vgl. zu 428. Pati im Sinn von efficere verwendet Lucan auch in 4,353. 449; 9,639. Die Bedeutung ist nicht häufig, begegnet aber seit Cicero hin und wieder; vgl. ThLL X 1,728,37–69 (KRUSE). Inops wird nur hier und in Sen. Ag. 572 von der Natur gebraucht; vgl. ThLL VII 1,1756,10–13 (KAPP). 367. Argolico … tyranno: sc. Eurystheus, der König von Mykene und Tiryns in der Argolis. Als die Geburt des Herkules bevorstand, hatte Zeus von Ate verblendet, gelobt, derjenige seiner Nachkommen, der an diesem Tag geboren werde, solle über alle Umwohnenden herrschen. Hera hinterging aus Eifersucht auf Alkmene darauf Zeus, indem sie eine Frühgeburt des Perseusenkels Eurystheus herbeiführte, die Wehen der Alkmene dagegen aussetzen ließ. Später einigten sich Zeus und Hera, daß Eurystheus’ Recht, über Herkules zu gebieten, sich darauf beschränken solle, ihm zehn Arbeiten aufzuerlegen; danach solle Herkules die Unsterblichkeit erlangen. Daß Herkules schließlich zwölf Arbeiten verrichten mußte, lag daran, daß Eurystheus zwei nicht anerkannte. fulgentia poma: nach Lucr. 5,32: fulgentia mala.
2.9. Aufbruch zum Wüstenmarsch; Catos Feldherrenrede (9,368–410) 2.9.1. Plan, auf dem Landweg ins westliche (Nord)afrika zu gelangen (9,368–378) 368–378: Die Flotte bleibt nach der gescheiterten Syrtendurchfahrt unter Führung des älteren der beiden Söhne des Pompeius bei Berenike zurück (368–371). Cato unternimmt den mutigen Versuch, an der Küste entlang auf dem Landweg ins westliche Nordafrika zu gelangen (371–373). Jahreszeitlich bedingt ist dieser Weg ohnehin der einzig gangbare: Das Meer ist wegen des Wintereinbruchs vereist; die Wüste aufgrund der Hitze unpassierbar. Es bleibt zwischen den beiden Extremen eine schmale Route
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gemäßigter Wetterlage; der zum Zeitpunkt des Aufbruchs niedergehende Regen verspricht, die Hitze Afrikas auf dem Marsch erträglich zu machen (374–378). Der folgende Abschnitt ist eine kurze Überleitung zum Wüstenmarsch Catos. Diese außerordentliche militärische Leistung wird bis in die Spätantike hinein häufig erwähnt und als Muster stoischer Pflichterfüllung tradiert; vgl. Liv. per. 112; Vell. 2,54,3; Sen. epist. 104,33; Strab. 17,3,20; Plut. Cat. min. 56,6–7; Sulp. Sev. dial. 1,3,6; Sidon. epist. 8,12,3; Vir. ill. 80,3; Ennod. 1,30, p. 269–270 (HARTEL) (Sammlung der Quellen bei FEHRLE 1983, 262 Anm. 105). Es fällt auf, daß es trotz vieler Erwähnungen außer bei Lucan keine ausführliche Darstellung dieses Marsches gibt; Appian und Dio erwähnen ihn gar nicht. Läßt man die einleitende Rede Catos (379–410), den Afrika-Exkurs (411–444), den Sandsturm (444–492) und die anderen Episoden (Quellen: 493–510; 604–618; Besuch beim Ammonsorakel: 511–586; Schlangen: 619–838 usw.) Revue passieren, wird deutlich, daß auch Lucan keine ausführliche historische Quelle benutzt haben kann. Die Szenen des neunten Buchs sind teils mit der Gattung Geschichtsschreibung unvereinbar, teils offensichtliche Übernahmen aus der Alexandertradition (vgl. vor allem den Besuch beim Ammonsorakel). Da Lucan den historischen Quellen, sofern sie vorliegen, in der Regel folgt, oder sie doch zumindest als Gerüst verwendet, dürfte auch Livius im verlorenen 112. Buch wohl nicht mehr als einen summarischen Bericht geboten haben, in dem die Gefahren der Wüste (Sandstürme; Hitze; Durst; Schlangen) mehr beiläufig erwähnt als eingehend geschildert worden sind. Auch die sehr kurze Zusammenfassung in per. 112 (praeterea laboriosum M. Catonis in Africa per deserta cum legionibus iter) deutet darauf hin, daß er nur kursorisch von Catos Marsch berichtete. Lucan hat das neunte Buch, auf verschiedene historische, ethnographische und naturwissenschaftliche Quellen zurückgreifend, eigenständig komponiert und damit das in der Tradition vorherrschende Bild des unbeugsamen, jeder Gefahr trotzenden Stoikers Cato maßgeblich geprägt. 368. hos … depulsa locos: Der Text ist eine im App. zur Stelle geäußerte Vermutung H OUSMAN s für das übereinstimmend überlieferte his (…) depulsa locis; als einziger der modernen Editoren akzeptiert sie S HACKLETON B A I L E Y (zustimmend aber auch F RAENKEL 1926, 509–510). H OUSMAN s Begründung der Textänderung ist stichhaltig. Behält man das überlieferte his (…) locis bei, ergeben sich zwei nicht zufriedenstellende Konstruktionsmöglichkeiten. 1. His (…) locis wird als Dativ oder Ablativ auf depulsa bezogen („aus dieser Gegend abgetrieben“; so
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BADALÌ; LUCK; BRAUND ). Dagegen spricht, daß his (…) locis als Wiederaufnahme des Erzählfadens nach der Topothesie nur den Tritonsee meinen kann; aus dem können die Schiffe aber nicht abgetrieben worden sein; in 347 wird ausdrücklich geschildert, wie die Schiffe nach der gescheiterten Syrtenüberquerung dort ungefährdet anlanden. 2. Möchte man diese Schwierigkeit umgehen, kann man his (…) locis als Periphrase von hic auffassen und d e p u l s a zu Syrtibus eiecta ziehen (so D U F F ; BOURGERY/PONCHONT/JAL; EBENER; EHLERS ; WIDDOWS ). Dies ist jedoch gezwungen und ergibt zusammen mit attigit („an diesem Ort griff die Flotte nicht mehr an usw.“) keinen rechten Sinn. HO U S M A Ns Konjektur dagegen löst die Probleme elegant. Der erweiterte Gebrauch des Richtungsakkusativs ist bei dem Entwicklungsstand, den die Dichtersprache bei Lucan erreicht hat, unproblematisch; vgl. 1,687: feror Libyen; 5,8–9: patres / elicit Epirum; 7,477: aethera tendit; Tac. hist. 3,42,2: adversante vento portum Herculis Monoeci depellitur (Stellen bei HOUSMAN z.St.). 369. haud ultra Garamantidas attigit undas: „griff nicht mehr die garamantischen Gewässer an“. Attingere („etwas Verbotenes anrühren“; „angreifen“) gehört zur Metaphorik des Kampfs des Menschen mit den Elementen. Die Übersetzungen verkennen die Metapher oder lassen sich (LUCK ; BRAUND ) durch den Kontext zur Annahme der im Zusammenhang mit Seefahrt üblicheren Bedeutung „erreichen“ (vgl. 1,224; 5,374; 10,2) verleiten. Lucan zwingt häufig den Leser dazu, durch absichtlich verunklarende Konstruktionen oder ein bewußtes Spiel mit eigentlicher und übertragener Bedeutung, ein zweites Mal hinzusehen; vgl. zu 294–295. Die auf Grammatik und Semantik gerichtete antike Dichtererklärung legt den Grundstein für ein solches Verfahren. Die bei der Exegese erworbenen Kenntnisse und das Wissen um die Interpretationsmethode werden von Lucan in die Produktion von Dichtung eingebracht. Es entsteht eine Art „Metadichtung“, in der mit den poetischen Verfahren im Wissen um ihre Auslegung gespielt wird. Die Technik, Bekanntes mit veränderter Bedeutung zu verwenden, wird in der spätantiken Cento-Dichtung (Ausonius; Proba) auf die Spitze getrieben. Die Garamanten bewohnen das Hinterland der großen (östlichen) Syrte zwischen Leptis Magna und Ara Philaenorum; vgl. zu 460. 370–371: Lucan verkürzt und verfälscht den historischen Zusammenhang hier, um zwischen dem Zurückbleiben des älteren Pompeiussohnes (mansit) und der rastlosen Tugend Catos (impatiens virtus haerere Catonis) eine
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wirksame Antithese zu schaffen. Zugleich setzt Lucan eine Reihe von Kontrastimitationen des homerischen Odysseus fort (vgl. zu 215–252 und LAUSBERG 1985, 1600–1602). Während Odysseus seine Gefährten gewaltsam zur Weiterreise zwingt (9,98–99), läßt Cato die Flotte unter Führung des Pompeius Libyae melioris in oris zurück. Er kann sie ohnehin nicht mitnehmen, dennoch ist hier ein Moment der Fürsorge angedeutet. Cato hatte nämlich in Wahrheit Cn. Pompeius minor, der mit ihm von Griechenland nach Afrika übergesetzt war, empfohlen, sich nach Spanien zu begeben, um dort, auf die Klientelen seines Vaters gestützt, einen zweiten Kampfschauplatz zu eröffnen; vgl. Bell. Afr. 22–23; Cass. Dio 42,56,4. Dies wird hier verschwiegen; für den Leser muß der Eindruck entstehen, Cato läßt Pompeius absichtlich zurück, weil er ihm nicht so viel zumuten möchte wie sich selbst. Über den historischen Pompeius brach nach beachtlichen Anfangserfolgen in Spanien mit der Niederlage von Munda (17.3.45) das Unglück herein. An der Schulter verwundet floh er aus der Schlacht und schiffte sich schleunigst ein. Bei der überhasteten Flucht verletzte er sich noch am Fuß, und man vergaß überdies, hinreichend Wasservorräte mitzuführen, so daß man bald wieder an Land gehen mußte. Dort wurden die versprengten Pompeianer von einer Abteilung Caesars überrascht. Pompeius minor gelang es noch, sich trotz seiner Blessuren in einer Höhle zu verbergen, wurde jedoch dort von den Häschern aufgestöbert. Caesar ließ seinen Kopf öffentlich in Hispalis ausstellen; vgl. Bell. Hisp. 39,3. Zu Cn. Pompeius Magnus vgl. MILTNER 1952, 2311–2313 und zu 145–166. 371. mansit: Das abrupte Satzende am Versanfang markiert den sachlichen Einschnitt. Für dieselbe Technik mit trochäischer Zäsur vgl. 3,240. 520; 4,271; 7,533. 565; 8,74; 10,72. 206 (Stellen bei HUNINK zu 3,290); statistisches Material zur Verwendung dieser Zäsur in der lateinischen Dichtung bei GÉRARD 1980, 68–70. impatiens virtus haerere Catonis: Daß wahre Tugend nicht rasten noch ruhen kann, ihre Pflicht zu erfüllen, ist für einen Römer selbstverständlich (vgl. Cic. rep. 1,2: virtus in usu sui tota posita est). Sie wächst an Widerständen und bahnt sich so den Weg zum Ruhm; vgl. OTTO, s.v. arduus. Auch im hohen Alter ist der vorbildliche Römer stets tätig; vgl. Cic. Cato 26. In der Rezeption griechischer Ethik und Handlungstheorie durch die Römer wird daher stets das Engagement des Weisen für seine Mitmenschen und den Staat hervorgehoben. Das gilt für Stellungnahmen in der Tradition der Akademie (vgl. z.B. Cic. fin. 2,41; 5,55; nat. deor. 1,110 mit
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PEASE) wie für die römische Stoa (vgl. z.B. Cic. fin. 3,24). In epist. 109 erläutert Seneca, daß der stoische Weise mit der Affektlosigkeit zwar bereits den vollkommenen Endzustand erreicht habe, doch diesen durch stetes Handeln erhalten muß und verpflichtet ist, seine Mitmenschen zu demselben Verhalten zu ermuntern und sie über den Weg zur Tugend zu belehren. Gegenüber diesen etwas gewundenen Ausführungen, die die von den Stoikern besonders akzentuierte Bedürfnislosigkeit des Weisen mit dem für den Römer selbstverständlichen Engagement für den Staat ausgleichen sollen, tritt in einem poetisch-untheoretischen Text wie dem BC die Handlungsverpflichtung selbstverständlich stärker hervor. Zu virtus bei Lucan vgl. EISENHUT 1973, 153–156. Impatiens mit Infinitiv zuerst Lucan. 8,578 und hier; danach Sil. 4,606; 6,232. 254; 11,98; Prud. ham. 133; Claud. 5,253; rapt. Pros.; Prud. psych. 191; vgl. ThLL VII 1,525,80–526,3 (LABHARDT). 372. audet in ignotas agmen committere gentes: „und wagt es, in unbekanntem Gebiet fremde Völker herauszufordern“. Committere hat in dieser Verwendung wie bei proelium committere neben der räumlichen Bedeutung eine militärische Konnotation. Die von MERTEL zu ThLL III 1903,33–62 gegebenen Synonyma (admovere; appropinquare; conferre) treffen das Gemeinte nicht. Lucan hat eine Vorliebe für diesen kräftigen Ausdruck; vgl. 1,97; 3,199; 6,323. Ignotus gibt das Stichwort für den folgenden Marsch ins unbekannt-bedrohliche Wüstengebiet. 373. armorum fidens: fidens mit Gen. vorher nur in Verg. Aen. 2,61: fidens animi atque in utrumque paratus (Sinon), / seu versare dolos seu certae occumbere morti; vgl. ThLL VI 1,697,40–45 (FRAENKEL). Es besteht nur ein formaler Bezug zwischen beiden Stellen; ein inhaltlich-kontrastiver Bezug auf Sinon ist nicht beabsichtigt. et terra cingere Syrtim: Die Syrten hatten Cato durch das Errichten von Sandbänken an der Seepassage gehindert; vgl. zu 323. Jetzt schlägt er sie mit ihrer eigenen Waffe: Er umgeht sie auf dem Land(Sand-)weg. Der Vers ist eine Umkehrung von Verg. Aen. 1,112: inliditque vadis (sc. naves) atque aggere cingit harenae. 374–377: Cato ist kein Hasardeur, der seine Soldaten aufgrund eines starren Pflichtbewußtseins leichtfertig durch einen Wüstenmarsch in Gefahr bringen würde. Der von ihm gewählte Landweg ins westliche Afrika ist jahreszeitlich bedingt der einzig gangbare; auch erweckt der Regen, der
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zwischen dem zugefrorenen Mittelmeer und der Gluthitze Libyens niedergeht, die Hoffnung, die Marschstrapazen könnten sich als weniger schlimm herausstellen als befürchtet. Um dennoch allen Vorwürfen der Soldaten vorzubeugen, weist er sie in der folgenden Rede (379–406) eindringlich auf die Gefahren der Sahara hin. Wer sich ihnen nicht gewachsen fühlt, hat die Gelegenheit, zurückzubleiben und zu Caesar überzugehen (392–394). Die Angabe über die Wettersituation zu Beginn des Marsches basiert auf der stoischen Temperatio-Lehre (vgl. auch zu 377. 435–436). Die beiden Extreme, das winterlich zugefrorene Mittelmeer und die Gluthitze des inneren Libyens, gleichen sich aus und lassen es an der Küste, wo sich Catos Truppen momentan befinden, regnen. Daß es auch im Winter an der südlichen Mittelmeerküste kein Eis oder Schnee gibt, versteht sich von selbst; das Temperatio-Motiv hat hier jedoch Vorrang vor der historischsachlichen Genauigkeit; vgl. auch 873–875 (Rede der unzufriedenen Soldaten): qua te parte poli, qua te tellure reliqui, / Africa? Cyrenis etiamnunc bruma rigebat: / exiguane via legem convertimus anni? Lucan fingiert, daß Cato und seine Soldaten den Äquator überquert haben und sich plötzlich in der Hitze des Sommers der Südhalbkugel wiederfinden. 374. quae clauserat aequor: „der das Meer verschlossen hatte“. Mit Eis? Das Plusquamperfekt deutet darauf hin; claudere mit Wegen als Objekt kann zwar jede Form des Unpassierbarmachens bezeichnen (in 5,407: clausas ventis brumalibus undas ist das Meer aufgrund von Stürmen unschiffbar), hier wird aber auf die Kälte des Winters abgehoben; vgl. 376: duro frigore und die vorige Anmerkung. Der Vers variiert Verg. georg. 2,317: rura gelu tum claudit hiems; vgl. ThLL III 1303,42–55 (HEY). 375. spes imber erat: Cato gelangte Anfang November 47 nach Afrika und brach etwa einen Monat später zum Wüstenmarsch auf; vgl. FEHRLE 1983, 260–262. Die Angabe, daß es zu Marschbeginn regnete, stimmt mit den klimatischen Bedingungen des Mittelmeers überein und dürfte aus der benutzten historischen Quelle (wohl Livius) übernommen worden sein. Lucan fügt der Wetterangabe eine Erklärung gemäß stoischer Klimatheorie (Mischung von trockener Hitze und Kälte mit Eis und Schnee = Regen) hinzu und veranschaulicht zugleich durch die Antithese von Eis und Hitze poetisch wirksam das historische Faktum, daß es zu Marschbeginn regnete.
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376–377: Der breit ausgeführte Parallelismus malt die schmale Route der republikanischen Soldaten; im Norden befinden sich die unpassierbaren Eisflächen des Meeres, im Süden droht die tödliche Hitze der libyschen Wüste. 377. polo Libyes: Durch den Kontext bedingt tut Lucan hier so, als ob Libyen den Abschluß des nach Süden hin immer heißer werdenden Globus bildet. Gewöhnlich gibt er die Lehre von den fünf Klimazonen korrekt wieder; vgl. 533–543. Die Erdachse läuft durch die kalten Pole im Norden und Süden der Erde; die Äquatorialzone ist heiß; dazwischen liegen jeweils die (allein bewohnbaren) gemäßigten Breiten der Nord- und Südhalbkugel. Zu Lucans Rezeption der Zonenlehre vgl. ABEL 1974, 1109–1111. temperet annus: „(den Weg) machte die Jahreszeit (, weil sie es regnen ließ) passierbar“. Die Wendung temperet annus ist ein Zitat aus Sen. Phaedr. 959–986 (971), einem Chorlied, in dem Seneca die stoische TemperatioLehre entfaltet. Die fürsorgliche Natur hat dafür gesorgt, daß die vier Elemente sich so mischen, daß sie das Leben auf der Erde ermöglichen und unterstützen. Ähnlich wie bei Lucan enthält auch das Chorlied einen pessimistischen Zug: Im Bereich des Menschen scheint die Fortuna willkürlich zu herrschen, den Tugendhaften zu bestrafen, den Taugenichts zu belohnen. Zur Temperatio-Lehre bei Lucan vgl. zu 184. 435–436. Annus im Sinn von „Jahreszeit“ gebraucht Lucan auch in 3,70. 452; 9,437. Temperare ist poetisch nicht selten (7mal Vergil; 17mal Ovid); Lucan verwendet es sonst nur in 4,109: sed glacie medios signorum temperat ignes. Auch dort hat es die philosophische Sonderbedeutung „unterschiedliche Naturkräfte miteinander ausgleichen“. 378. ingressurus: Das Futurpartizip schlägt den Bogen über die Feldherrenrede Catos (379–410) und den Afrika-Exkurs (411–444) hin zum Marschbeginn in 444–445. Als Brücke über einen Einschub fungiert das Participium futuri auch in 50; vgl. auch zu 409. 2.9.2. Praemeditatio malorum (9,379–410) 379–410: „Die einzige Rettung, die noch bleibt, ist tapfer zu sterben. Richtet euch ein auf außerordentliche Gefahren. Endlose Sandflächen, Durstqualen und todbringende Schlangen erwarten euch in der Wüste (379–384). Wer sich um das Vaterland ver-
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dient machen will, soll unter meiner Führung den Kampf mit der Natur aufnehmen; Feiglinge können sich von Caesar begnadigen lassen (385–394). Ich werde während des Marsches auf alle Privilegien verzichten, die ich aufgrund meines Dienstgrades in Anspruch nehmen könnte; meine Zähigkeit und Ausdauer sollen euch ein Beispiel sein (395–402). Der Tugendhafte freut sich an jeder Bewährungsprobe. Jetzt habt ihr Gelegenheit zu zeigen, daß ihr Männer seid, und könnt die Schmach der Niederlage von Pharsalos vergessen machen (402–406)“. Mit Todesverachtung ziehen Cato und seine Soldaten in die Wüste (407–410). Catos Feldherrenrede ist eine praemeditatio malorum in stoischer Tradition. Der beste Weg, die Tugend zu erreichen und zu bewahren, besteht darin, sich ständig die Grundprinzipien stoischer Ethik vor Augen zu führen: Allein die Tugend ist ein Gut; sie ist eine innere Haltung, die unabhängig von äußeren Bedingungen zu erreichen ist; sie bedeutet die Glückseligkeit. Die radikale Bestimmung des glücklichen Lebens als inneren Zustand bringt den Stoiker in einen Konflikt mit seiner Umwelt, in der gemeinhin der äußere Erfolg als Lebensziel betrachtet wird. Um an dem Weg zur Tugend nicht irre zu werden, ist es für die Anhänger stoischer Philosophie daher unabdingbar, sich ständig zu vergegenwärtigen, daß materielle Güter und gesellschaftliche Anerkennung ebenso wie vermeintliche Übel (Armut; Krankheit; Exil; Tod) in stoischer Sicht ethisch neutrale édiãfora sind. Diese Selbstvergewisserung leistet die meditatio, wie sie von Seneca vielfach beschrieben und empfohlen wird. Sie stellt sicher, daß der Philosoph niemals in seinem moralischen Urteil schwankend wird, durch falsche Wertsetzungen vom rechten Weg abkommt, sich Affekten ausliefert und so seine Seelenruhe aufs Spiel setzt; vgl. Senecas Tugenddefinition (epist. 71,32): quid erit haec virtus? iudicium verum et immotum; ab hoc enim impetus venient mentis, ab hoc omnis species quae impetum movet redigetur ad liquidum. Zur meditatio bei Seneca und im kaiserzeitlichen Stoizismus vgl. NEWMAN 1989, 1473–1496. Cato erinnert daher seine Soldaten daran, daß es keinen Wert außer der Pflichterfüllung gegenüber dem Vaterland gibt. Auch wenn sie auf dem Wüstenmarsch umkommen oder schließlich doch dem übermächtigen Caesar erliegen sollten, werden sie sich auf diese Weise die Liebe Roms erwerben. Tugend bemißt sich nicht am äußeren Erfolg; vgl. 387–388. 593–604. Durch diese Lektion in Moralphilosophie bringt Cato seine Truppen dazu, das aussichtslose Unterfangen auf sich zu nehmen. Zu den politischen Aspekten der Rede vgl. zu 394–402.
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379–380. o quibus una salus placuit mea castra secutis / indomita cervice mori: „Soldaten, die ihr meinen Feldzeichen gefolgt seid und euch für die einzige Rettung entschieden habt: erhobenen Hauptes zu sterben“. Lucan variiert hier die berühmten Worte des Aeneas, der seine Gefährten dazu auffordert, gemeinsam mit ihm im Kampfgetümmel des eroberten Trojas den Tod zu suchen; vgl. Verg. Aen. 2,353–354: moriamur et in media arma ruamus: / una salus victis nullam sperare salutem. Weil der verzweifelte Entschluß des Aeneas eine Vereinnahmung in stoischem Sinn zuläßt, greift Lucan häufig auf das vergilische Vorbild zurück; vgl. 2,113–114: spes una salutis / oscula pollutae fixisse trementia dextrae; 5,636–637: spes una salutis, / quod tanta mundi nondum periere ruina; 5,754–755: desperare viam et vetitos convertere cursus / sola salus; 10,538–539: via nulla salutis, / non fuga, non virtus, vix spes quoque mortis honestae. 380. indomita cervice: Hinter der Wendung steht das von Lucan gern verwendete Bild vom Joch; vgl. zu 603. Lucans Cato läßt sich nicht vom Fatum vor den Wagen spannen und in die von ihm vorgegebene Richtung treiben; lieber wählt er den Tod. Die Übertragung von indomitus („ungezähmt“) vom Tier auf den Menschen ist zuerst bei Hor. epist. 1,3,32–34: vos / seu calidus sanguis seu rerum inscitia vexat / indomita cervice feros? belegt; vgl. ThLL VII 1,1224,6–36 (RUBENBAUER ). Das Bild verwendet Lucan vermutlich unter dem Einfluß Senecas, der damit den mutigen Widerstand des Cremutius Cordus beschrieb, welcher Brutus und Cassius als Freiheitshelden verherrlicht hatte und sich dem von Sejan angestrengten Prozeß lieber durch Freitod entzog, als sich zu beugen: vgl. Sen. dial. 6,1,3: viget vigebitque memoria (sc. Cremuti Cordi) (…) quam diu in pretio fuerit Romana cognosci, quam diu quisquam erit qui reverti velit ad acta maiorum, quam diu quisquam qui velit scire quid sit vir Romanus, quid subactis iam cervicibus omnium et ad Seianium iugum adactis indomitus, quid sit homo ingenio animo manu liber. componite mentes: Componere mentem ist ein stoischer Terminus; vgl. Sen. epist. 26,5; 30,12; 44,5; 45,9; 82,1; 94,1; 95,5; 98,5–6; 119,10; 123,6; nat. 4 praef. 13; benef. 5,9,1; ThLL III 2120,3–2121,31 (HOFMANN). Die Wendung bedeutet, diejenige Seelenhaltung einzunehmen, in der man sich nicht von den Wechselfällen des Lebens zu Affekten hinreißen läßt, sondern Glück wie Unglück als naturgegebene unabänderliche äußere Bedingungen hinnimmt, die die Tugend, verstanden als vollkommener Zustand der Seele, nicht beeinträchtigen können; vgl. Sen. epist. 45,9: doce, beatum non eum esse quem volgus appellat (…), sed illum (…), qui natura magistra utitur, ad illius leges componitur, sic vivit quomodo illa praescripsit; cui bona sua nulla vis
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excutit, qui mala in bonum vertit, certus iudicii, inconcussus, intrepidus; quem aliqua vis movet, nulla perturbat; quem fortuna, cum quod habuit telum nocentissimum vi maxima intorsit, pungit, non vulnerat, et hoc raro. Die Stoiker unterschieden dabei terminologisch zwischen ßjiw und diãyesiw. Während ßjiw ein zum Positiven wie zum Negativen noch veränderlicher Zustand der Seele bzw. ihrer Pneumastruktur ist, bezeichnet diãyesiw den endgültigen Zustand vollkommener Weisheit, der keiner Steigerung mehr fähig ist, und aus dem wie von selbst tugendhafte Handlungen hervorgehen; in lateinischer Terminologie spielt dieser Unterschied keine Rolle. Zu ßjiw und diãyesiw vgl. H ADOT 1969, 103 Anm. 1; FORSCHNER 1981, 63–66. 111. 174–178. Zu stoischer Psychagogie im allgemeinen vgl. RABBOW 1954, 160–179. Valerius Flaccus hat Lucans Formulierung für die Abschiedsrede der Alcimede an ihren Sohn Jason adaptiert (1,320–322): nate indignos aditure labores, / dividimur nec ad hos animum componere casus / ante datum, sed bella tibi terrasque timebam. 381: Labor (407. 588. 881) und virtus (302. 371. 407. 445. 882) sind Zentralbegriffe des neunten Buchs; vgl. zu 407. 382–384: Vegetationslosigkeit, Hitze verbunden mit Wassermangel und vor allem Schlangen sind die Gefahren, die Catos Soldaten in der Wüste erwarten. Die Trias ist traditionell; vgl. z.B. Sall. Iug. 89,5. Die erzählerischen Passagen des neunten Buchs sind diesen drei Themen gewidmet. 444–492 zeigen die Republikaner im Sandsturm, 493–510 und 604–618 beschreiben die Durstqualen, 619–838 den Kampf mit den Schlangen. Darin eingebettet ist der Besuch beim Ammonsorakel (511–604), der zusammen mit Catos einleitender Feldherrenrede die Wüstendurchquerung auf dem Hintergrund stoischer Gesinnungsethik als eine herausragende militärische Leistung deutet. Dem Gewaltmarsch bleibt zwar der Erfolg versagt; Caesar ist nicht aufzuhalten, doch erweisen sich Cato und seine Soldaten als wahre Stoiker und Römer: Sie erfüllen ihre Pflicht und gehen lieber kämpfend in den Tod, als sich dem Schicksal zu fügen, das Rom einem Tyrannen ausliefert. 382. exustaque mundi: Exurere ist t.t. für das Ausdörren des Bodens durch die Sonne; vgl. 4,675; 8,851; 9,433. 692. 715; ThLL V 2,2125,4–39 (SCHMECK). Substantiviertes exusta ist zum ersten Mal in Lucan. 4,675 belegt: zonaeque exusta calentis. Substantivierungen des Neutrum Pluralis von Adjektiven/Partizipien mit näher bestimmendem partitiven oder
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possessiven Genitiv finden sich als Gräzismus bereits bei Ennius (ann. 84: in infera noctis [SKUTSCH]); aus der Dichtersprache dringen solche Wendungen seit der Kaiserzeit auch in die Prosa ein; vgl. CONTE zu 6,138; LHS 53. 384. siccaque letiferis squalent serpentibus arva: „es starren die trockenen Gefilde von todbringenden Schlangen“. Der Vers ist eine Variation von Ov. met. 14,410–411 (Circe erzeugt durch Zauberei eine Unterweltslandschaft): et latrare canes et humus serpentibus atris / squalere et tenues animae volitare videntur. Zur Stilisierung Afrikas als Unterweltslandschaft vgl. auch zu 436–437. Etymologisch leitet man squalere seit der Antike von squama ab; vgl. Gell. 2,6,20: ‚squalere‘ (…) dictum a squamorum crebritate asperitateque, quae in serpentium pisciumve coriis visuntur; WALDE -H OFMANN s.v. squamus und B ÖMER zur zitierten Ovidstelle. Das Attribut squalens gebraucht Lucan auch in 1,205; 5,39; 9,626. 755. 939 von der trockenen, rissig-aufgeplatzten Bodenbeschaffenheit Libyens. Hier macht er nach dem Vorgang Ovids die schuppigen Schlangen zu „Schuppen“ der Wüste. Letifer ist als Konkurrenzbildung zu dem archaischen mortifer zuerst bei Catull. 64,394; Verg. Aen. 3,139; 10,139 belegt; vgl. ThLL VII 2,2,1188,27–80 (STEINMANN). Beide Adjektive imitieren das griechische yanathfÒrw . Seneca versuchte daneben letificus (Med. 577) zu etablieren, fand aber nur bei Lucan. 9,901 Nachfolge. 385–394: Cato verdeutlicht den Soldaten die Situation: Sie stehen am Scheideweg. Wer ihm folgt, soll sich keinen falschen Hoffnungen hingeben. Der Wüstenmarsch ist entbehrungsreich und voller Gefahren; doch nur so erfüllt man die Pflicht gegenüber dem Vaterland (385–392). Wer sein Leben höher schätzt als die republikanische Verfassung Roms, soll umkehren und sich dem Tyrannen Caesar anschließen (392–394). Das Motiv der zwei Wege geht auf die mythologische Erzählung von Herkules am Scheideweg zurück. Der Sophist Prodikos (vgl. Xen. mem. 2,1,21–34) hat den Mythos als erster allegorisch auf die Situation des Menschen hin ausgelegt: Jeder Mensch ist mit einem freien Willen begabt und muß sich in seinem Leben zwischen dem dornigen Weg der Tugend und dem bequemen des Lasters entscheiden. Das Motiv begegnet danach vielfach, wie hier vor allem in Texten, die unter dem Einfluß kynisch-stoischer Moralphilosophie stehen. Zur Geschichte des Motivs in der Antike vgl. ALPERS 1912; GALINSKY 1972, 101–108; zum Nachleben PANOFSKY 1930.
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Es ist für Lucans realistisch-pessimistische Sicht der Geschichte charakteristisch, daß der mühsame Weg der Tugend nicht zugleich wie z.B. bei Herkules (vgl. Cic. Tusc. 1,32; Hor. carm. 3,3,9–16; 4,8,29–34; epist. 2,1,5–14) oder Aeneas (vgl. Verg. Aen. 1,259–260; 12,794–795) ein Weg zur Unsterblichkeit ist. Lucan weigert sich, die Geschichte religiös zu überhöhen. Ein Römer hat seine Pflicht zu tun, unabhängig davon, ob es ihm zu Lebzeiten oder im Jenseits gelohnt wird. 385. durum iter ad leges patriaeque ruentis amorem: „Hart ist der Weg zur Verfassung und zur Liebe des stürzenden Vaterlands“. Die Kombination von leges (Betonung des rechtlichen Aspekts) und patria (Betonung der Gefühlsseite) findet sich auch in 4,27. Die Personifikation von patria ist seit den Reden Ciceros häufig; die Junktur patria ruens hat Lucan nach Sen. Ag. 612; Oed. 73 gebildet; vgl. ThLL X 1,770,24–53. 768,20–21 (TEßMER). 386. invia: Die Substantivierung ist zuerst von Livius (Liv. 21,33,4; 38,21,1) nach analogen poetischen Vorbildern gebildet worden; vgl. zu 382. Seneca hat den Ausdruck übernommen; vgl. epist. 73,4; dial. 11,7,2; Phaedr. 939. Lucan hat ihn wohl aus Sen. dial. 5,20,2 entlehnt, wo von einem Wüstenmarsch des Kambyses berichtet wird. 387–388: Einer der Kernpunkte stoischer Lehre ist es, daß der Weise zusammen mit der Tugend auch die Glückseligkeit erreicht hat. Er hat die rechte innere Einstellung zu den äußeren Dingen und läßt sich nicht durch falsche Werturteile dazu verleiten, Dinge anzustreben, die naturwidrig oder seiner Verfügbarkeit entzogen sind. Tugend ist eine sich selbst genügende Tätigkeit der Seele. Allerdings gingen die Stoiker nicht soweit, den Weisen durch eine Definition der Tugend als einen von äußeren Bedingungen unabhängigen Habitus völlig aus der Welt herauszulösen. Die tugendhafte Disposition äußert sich in tugendhaften Handlungen; soweit es die Umstände zulassen, kümmert sich der Weise um sich selbst, seine Familie und das Gemeinwesen; vgl. zu 379–410. Erst wenn die Situation keinerlei Entfaltungsmöglichkeiten der Tugend mehr zuläßt, wählt der Stoiker den Freitod, weil ihm kein menschenwürdiges Dasein mehr möglich ist. Vor diesem theoretischen Hintergrund fordert Cato seine Soldaten auf, den Kampf gegen Caesar fortzusetzen. Virtus ist in stoischer Lehre nicht an den äußeren Erfolg gekoppelt; der aussichtslose Kampf ist die einzige Möglichkeit, sich als tugendhaft zu erweisen. Zur komplizierten
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und im einzelnen noch ungeklärten stoischen Ethik und Handlungstheorie vgl. HOSSENFELDER 1985, 53–58; FORSCHNER 1995, 142–226 und zu 587–605. 388–389. neque enim mihi fallere quemquam / est animus tectoque metu perducere vulgus: „Ich habe nicht vor, jemanden zu täuschen oder meine Untergebenen in die Irre zu führen, indem ich ihnen verschweige, welche beängstigenden Dinge sie erwarten“. Cato versichert seinen Soldaten, daß er sie nach „demokratischen“ Grundsätzen führen wird. Er liefert sie nicht unwissentlich Gefahren aus und wird mit ihnen die Marschstrapazen teilen (vgl. 394–402). Die Wendung est animus mit Inf. ist selten belegt (außer den im folgenden genannten Stellen nur Cic. Catil. 3,28; Ov. met. 5,150; Phaedr. 3,16,13. 7,25). Wie der Redezusammenhang und das Zitat des Ausdrucks in der Dido-Epistel Ovids (epist. 7,181) nahelegt, bezieht sich Lucan hier auf die berühmte Trugrede Didos, in der sie in der geheimgehaltenen Absicht, sich auf dem Scheiterhaufen zu töten, die Amme Barce bittet, dafür zu sorgen, daß ihre Schwester Anna die notwendigen Vorbereitungen für ein Opfer an Iuppiter Styx trifft; vgl. Verg. Aen. 4,639–640: sacra Iovi Stygio, quae rite incepta paravi, / perficere est animus. M. LAUSBERG hat gezeigt, daß Lucan Cato mehrfach in direktem oder antithetischem Bezug auf den homerischen Odysseus charakterisiert; vgl. LAUSBERG 1985, 1592–1605 und zu 283–292. 298–299. Im Zusammenhang mit diesen Bezugnahmen ist es nicht unwahrscheinlich, daß Lucan hier mit der Verwendung von Didos Formulierung nicht die Karthagerin, sondern den Trugredner par excellence Odysseus im Auge hat. Um seine Gefährten nicht zu entmutigen, verschweigt Odysseus vor der Durchfahrt durch Skylla und Charybdis, daß ihm die Zauberin Kirke geweissagt hat, daß die Skylla in jedem Fall sechs seiner Gefährten töten werde; vgl. Hom. Od. 12,99–100. 109–110. 223–225. Ebenso wie in 298–299, wo Cato anders als Odysseus nach dem Sieg über die Kikonen (Hom. Od. 9,39–42) die Bewohner einer eroberten Stadt schont, würde Cato hier gegenüber seinem Pendant aus archaischer Zeit erneut ein Moralbewußtsein unter Beweis stellen, das den Ansprüchen einer philosophisch aufgeklärten Zeit entspricht. Cato hebt sich damit auch von Caesar ab, den Lucan bei der Übergabe des Hauptes von Pompeius als Heuchler hinstellt; vgl. 1062. 1081. Catos Aufrichtigkeit ist Teil seiner fides, die die Grundlage für die Herrschertugend der iustitia legt; vgl. Cic. off. 1,23: fundamentum autem est iustitiae fides, id est dictorum conventorumque constantia et veritas; vgl. auch zu 761–762. Lucan bezieht sich hier auf
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allgemein römische Wertvorstellungen; in der stoischen Ethik spielt die p¤stiw/fides nur eine untergeordnete Rolle; vgl. STÜCKELBERGER zu Sen. epist. 88,28–29. 390. quos ipsa pericula ducent: „denen die Gefahren selbst Führer sind“. Die Personifikation, die das Motiv, einen entbehrungsreichen Marsch zu unternehmen, zum „Führer“ auf diesem Weg macht, ist leicht zu verstehen und begegnet häufig; vgl. 227–228; 10,184: fama quidem generi Pharias me duxit ad urbes; Verg. georg. 3,269; Aen. 3,114; Tib. 1,9,10. 10,46; Liv. 1,1,4; 5,43,6; Sen. dial. 10,2,1. Lucan läßt Cato hier die Figur zum Paradox zuspitzen: Seine Soldaten sollen so entschlossen und todesbereit sein, daß ihnen nicht das Ziel des Marsches, sondern dessen bedrohliche Begleitumstände zum Führer werden. 391–392. qui me teste pati vel quae tristissima pulchrum / Romanumque putant: „die es, wenn ich derjenige bin, der davon Zeugnis ablegen kann, für tugendhaft und römisch ansehen, selbst die schlimmsten Dinge zu leiden“; d.h. die Cato für eine moralisch integre Verkörperung des Römertums halten, unter deren Augen zu leiden und zu sterben eine Ehre bedeutet. Catos Anwesenheit verbürgt den Sinn und die Legitimität des Wüstenmarsches; sein Urteil bedeutet für die Soldaten höchste Anerkennung und sichert ihnen den Nachruhm; vgl. auch 735–736. 884–887 (Die Soldaten werden von Schlangen getötet): omnibus unus adest fatis [sc. Cato]; quocumque vocatus / advolat atque ingens meritum maiusque salute / contulit, in letum vires, puduitque gementem / illo teste mori. Es ist eine anthropologische Konstante, daß sich Menschen unter Beobachtung anders benehmen, als wenn sie sich allein glauben. Es gehörte daher zu den üblichen Mitteln der Disziplinierung und Motivation, daß ein antiker Feldherr seine Soldaten soweit möglich persönlich kannte, sie durch seine persönliche Anwesenheit in der Schlacht anspornte und so den Tapferen Belohnung, den Feigen Strafe in Aussicht stellte; vgl. P LÖGER 1975, 60–62. 63–67. 238–243. Die Bedeutung des Ruhmesgedankens in der Antike garantierte diesem Mittel eine noch größere Wirksamkeit als heute. Bei Lucan wird es häufig erwähnt: Brutus warnt z.B. Cato davor, in den Bürgerkrieg einzutreten, weil seine Tugend in der Masse der Kämpfenden unterzugehen droht (2,261–266), die auf dem Floß gefangenen Opitergier begehen Selbstmord im Wissen darum, daß sie beobachtet werden (4,488–497); vgl. dazu auch 4,542–544; 6,159–160; 8,19. 626–627.
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392–394: Wer sein Leben mehr schätzt als die Pflicht gegenüber dem Vaterland, der soll den bequemen Weg wählen und sich zu Caesar begeben. 392. sponsore salutis: Ironisch wie auch meliore via (394). Das Sklavendasein unter dem Tyrannen Caesar ist kein wahres Leben. Lucans Formulierung knüpft wohl an Sen. epist. 82,1 an: Desii iam de te esse sollicitus. „Quem“, inquit „deorum sponsorem accepisti?“ Eum scilicet qui neminem fallit, animum recti ac boni amatorem. In tuto pars tui melior est“. Nur die virtus, wie Seneca in diesem Brief ausführt, ist der Überwinder des Todes. Das bloße Überleben, das Caesar garantieren kann, ist wertlos, wenn man sich durch Überlaufen seiner moralischen Verpflichtung entzieht. 393. capiturque animae dulcedine: „und sich von der Süße des (physischen) Lebens gefangennehmen läßt“. Anima als Bezeichnung für die unbewußt-vegetativen Lebensfunktionen betont stärker, als es vita getan hätte, daß die Soldaten aus niedrigen Motiven handeln. Gewöhnlich ist das Leben süß (vgl. Verg. Aen. 6,428; Val. Max. 2,6,12; 4,7, ext. 1; Sen. Ag. 496; Lucan. 4,532; 5,739), der Tod bitter (Prop. 1,19,20; Ov. met. 5,62); doch gilt in dieser Ausnahmesituation, wo der Staat von der Tyrannei Caesars bedroht ist, für alle pflichtbewußten Bürger: dulce et decorum est pro patria mori (Hor. carm. 3,2,13). Die Junktur dulcedine capi entstammt Ciceros Übersetzung von Hom. Od. 12,186–188; vgl. Cic. fin. 5,49 (= poet. frg. 30,3–6 [BLÄNSDORF]): nam nemo haec umquam est transvecta caerula cursu / quinprius adstiterit vocum dulcedine captus, / post varias avido satiatus pectore musis / doctior ad patrias lapsus pervenit oras. Die Wendung ist häufig imitiert worden; vgl. Mat. Cic. epist. 11,28,2; Ov. met. 1,709; 11,170; Liv. 3,52,9; 5,6,15. 33,2; Lucan. 10,17. Weitere Beispiele bei ThLL V 1,2185,58–61 (LACKENBACHER). 394–402: Cato verkündet seinen Soldaten die Grundsätze, nach denen er sie durch die Wüste führen wird. Er ist primus inter pares; alle Mühsal und Gefahren wird er mit ihnen teilen. Er ist ihr Führer im wörtlichen Sinn; vor seinen Soldaten wird er als erster in die Wüste ziehen, um ihnen ein Beispiel außerordentlicher Tapferkeit und Leidensfähigkeit zu geben. Jedes Privileg, wie er es durch seinen militärischen Rang beanspruchen könnte, wird von ihm entschieden zurückgewiesen. Cato bekräftigt hier das Programm eines republikanischen Führungsstils, das er in der Rede entwickelte, in der er die Meuterei der kriegsmüden Soldaten niedergeschlagen hatte; vgl. 256–283. Nescis sine rege pati? (262) hält er ironisch sei-
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ner Truppe vor und fordert sie auf, nach dem Tod des Pompeius ihre Tüchtigkeit in den Dienst der Republik zu stellen und durch den Kampf gegen den Tyrannen Caesar ihre Interessen als römische Bürger zu wahren. Catos egalitärer Führungsstil ist also Realisierung und Beweis seiner republikanischen Ansichten. Er steht im Einklang mit der römischen Tradition der Führung eines Bürgerheers, wie sie z.B. Sallusts Marius formuliert. Vgl. Iug. 85,32–37: neque litteras Graecas didici: parum placebat eas discere, quippe quae ad virtutem doctoribus nihil profuerant. at illa multo optuma rei publicae doctus sum: hostem ferire, praesidia agitare, nihil metuere nisi turpem famam, hiemem et aestatem iuxta pati, humi requiescere, eodem tempore inopiam et laborem tolerare. his ego praeceptis milites hortabor, neque illos arte colam, me opulenter, neque gloriam meam, laborem illorum faciam. hoc est utile, hoc civile imperium, namque quom tute per mollitiem agas, exercitum supplicio cogere, id est dominum, non imperatorem esse. haec atque talia maiores vostri faciundo seque remque publicam celebravere; vgl. auch Sall. Iug. 100,3–5 und allgemein zu Marius als Feldherr bei Sallust P L Ö G E R 1975, 121–202. Aufgrund dieser Gemeinsamkeiten hat M ORFORD (1966, 112–114) vermutet, daß Lucan für die Darstellung Catos auf den Marius Sallusts zurückgegriffen hat. Dem ist entgegenzuhalten: 1. Es lassen sich keine direkten sprachlichen Bezüge auf Sallust feststellen. 2. Der Feldherr, der Gefahren und Mühen mit seinen Untergebenen teilt, ist eine allgemein verbreitete Idealvorstellung, für deren Kenntnis Lucan nicht notwendigerweise auf Sallust zurückgreifen mußte. Auch Hannibal (Liv. 21,4,1–8) und Alexander (Curt. 3,5,2. 8; 7,3,17. 8,4; 4,6,23. 10,9) werden in dieser Weise charakterisiert. Die Ähnlichkeiten beider Texte ergeben sich aus der gemeinsamen Verwendung des gleichen Feldherrenideals und desselben Schauplatzes, der afrikanischen Wüste. Gegen MORFORD vgl. auch RASCHLE 2001, 157–158. Catos Verhalten folgt aber nicht allein der römischen Tradition der Menschenführung; zugleich verwirklicht er stoische Vorschriften über die Seelenleitung. Vgl. Sen. epist. 1,6,3: quare quaedam dura patiuntur (sc. sapientes)? ut alios pati doceant; nati sunt in exemplar (vgl. Lucan. 2,380–383: hi mores, haec duri immota Catonis / secta fuit, servare modum finemque tenere / naturamque sequi patriaeque impendere vitam / nec sibi, sed toti genitum se credere mundo). Die Soldaten können sich an seinem Beispiel aufrichten und zur Tugend gelangen; vgl. Sen. epist. 11,10: elige eum cuius tibi placuit et vita et oratio et ipse animum ante se ferens vultus; illum tibi semper ostende vel custodem vel exemplum. opus est, inquam, aliquo ad quem mores nostri se ipsi exigant: nisi ad regulam prava non corrigit.
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394–395: Vgl. 587–590: ipse (sc. Cato) manu sua pila gerit, praecedit anheli / militis ora pedes, monstrat tolerare labores, / non iubet, et nulla vehitur cervice supinus / carpentoque vehens. Lucans Darstellung entspricht den historischen Tatsachen. Plutarch (Cato min. 56,7) berichtet glaubwürdig, daß Cato während des Marsches stets an der Spitze marschiert ist und sich nie eines Pferdes oder eines Tragtiers bedient hat. 396. me calor aetherius feriat: „mich soll die Hitze des Äthers treffen“. Libyens Hitze erklärt sich aus der besonderen Nähe dieser Erdzone zum feurigen Äther des Himmels; vgl. 350–351. Ferire ist eine militärische Metapher; mit Hitze als Subjekt wird das Verb nur hier gebraucht; vgl. ThLL III 182,44 (GUDEMAN). 397. occurrat: Occurrere ist in dieser Verwendung mil. t.t.: „(dem Feind) entgegentreten“. Vgl. 2,54; 6,298–299: hostibus occurrit fugiens inque ipsa pavendo / fata ruit; ThLL IX 2,392,51–72 (OOMES). 397–398. fatoque pericula vestra / praetemptate meo: „und prüft die Gefahren, die euch bevorstehen, an meinem Schicksal“. Meo ist betont nachgestellt. In 604–618 demonstriert Cato durch sein Beispiel, daß man ohne Bedenken aus einer schlangenverseuchten Quelle trinken könne, weil Schlangengift nur über das Blut wirksam sei. Praetemptare ist poetisch sehr selten und findet sich nur hier bei Lucan. Im eigentlichen Sinn bezeichnet es das vorsichtige Ertasten eines Weges; vgl. z.B. Tib. 2,1,77–78: et pedibus praetemptat iter (sc. puella) suspensa timore, / explorat caecas cui manus ante vias; Ov. met. 14,189; Sen. Oed. 656–657. 398–401: Sitiat, aestuet, deficiat sind ironische Iussive. 398–399: In 495–510 schöpft ein Soldat das spärliche Wasser aus einer Quelle und reicht es Cato als dem Ranghöchsten. Dieser schlägt das Angebot aus, empört darüber, daß ihm der Soldat weniger Standhaftigkeit zutraut als den Mannschaftsdienstgraden. Cato trinkt nur als erster, wenn die Soldaten fürchten, das Wasser könne vergiftet sein; vgl. 604–618. 400. aestuet: Aestuare von Personen im Sinn von „Hitze leiden“ ist fast ausschließlich bei Philosophen (Cicero; Seneca) und Fachschriftstellern (Celsus; Columella) belegt; vgl. ThLL I 1112,76–1113,39 (BANNIER).
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400–401. aut equitem peditum praecedere turmas, / deficiat: „oder wer auch immer sieht, wie ich beritten den Truppen zu Fuß voranziehe, soll ermatten“. Vgl. zu 394–395. Das Pferd markiert den Unterschied zwischen dem Offizier und dem gemeinen Soldaten. Es ist sichtbarer Ausdruck der Zugehörigkeit des Offiziers zu einer höheren, finanziell besser gestellten gesellschaftlichen Klasse, sichert dessen Besitzer günstigere Überlebenschancen im Kampf und erspart ihm die Strapazen der Märsche. Es ist daher ein übliches Mittel, die einfachen Soldaten zu motivieren, vor einer Schlacht die Pferde der Offiziere wegschaffen zu lassen, um ihnen im Fall einer Niederlage die Fluchtmöglichkeiten zu nehmen und das Risiko für alle Kämpfer gleichzumachen; vgl.; vgl. Caes. Gall. 1,25,1; Sall. Catil. 59,1: haec ubi dixit (sc. Catilina), paululum commoratus signa canere iubet atque instructos ordines in locum aequom deducit. dein remotis omnium equis, quo militibus exaequato periculo animus amplior esset, ipse pedes exercitum pro loco atque copiis instruit. Wieviel Haß und Ressentiments sich gegen die privilegierten Reiter in der Truppe aufstauen kann, zeigt die Meuterei der pannonischen Legionen (14 n. Chr.). Wutentbrannt reißen sie einen Präfekten von seinem Wagen, beladen ihn mit Gepäck und geben ihm einen Geschmack von den ständigen Übungs- und Kriegsmärschen; vgl. Tac. ann. 1,20,1: praecipua in Aufidium Rufum praefectum castrorum ira, quem demptum vehiculo sarcinis gravant aguntque primo in agmine, per ludibrium rogitantes, an tam immensa onera, tam longa itinera libenter ferret. 401–402: Zu der zusammenfassenden Protasis ist ein entsprechender Nachsatz zu ergänzen, also etwa: „das alles sei erlaubt, wenn (…)“ (LUCK). Die von FRANCKEN für nötig befundene Konjektur SCHRADERs seu (anstelle von si) ist überflüssig und hat zu Recht keine weiteren Befürworter gefunden. 402. serpens, sitis, ardor, harenae: eine Aufzählung, deren vier Glieder hier durch Alliteration und Assonanz zweigeteilt sind, bildet in Übereinstimmung mit der rhetorischen Theorie einen wirkungsvollen Übergang zur peroratio. Vgl. Quint. inst. 6,1,1–2: et memoriam iudicis reficit et totam simul causam ponit ante oculos, et, etiam si per singula minus moverat, turba valet. in hac quae repetemus quam brevissime dicenda sunt, et, quod Graeco verbo (sc. énakefala¤vsiw) patet, decurrendum per capita. nam si morabimur, non iam enumeratio, sed quasi altera fiet oratio. quae autem enumeranda videntur, cum pondere aliquo dicenda sunt et aptis excitanda sententiis et figuris utique varianda.
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403–404: Die beiden Paradoxa, mit denen Cato Kampfwillen und Leidensbereitschaft seiner Soldaten erhöhen möchte, formulieren Kernsätze der stoischen Lehre, wie sie in der römischen Literatur vor allem in den Paradoxa Stoicorum Ciceros und Senecas De providentia formuliert und argumentativ entfaltet werden. Der stoische Weise ist vollständig autark. Er verfügt über die Tugend, die, als selbstgenügsame Tätigkeit der Seele definiert, von äußeren Bedingungen unabhängig ist und ihrem Träger die Glückseligkeit garantiert, wie sehr ihm auch die Fortuna zusetzen mag. Wie Seneca in Verteidigung des stoischen Vorsehungsglaubens ausführt, kann der Tugendhafte durch Schicksalsschläge sogar nur gewinnen, denn erst in diesem Fall ist er in der Lage, seine sittliche Qualität unter Beweis zu stellen. Vgl. Cic. parad. und Sen. dial. 1 passim; bes. 1,2,3: marcet sine adversariis virtus: tunc apparet quanta sit quantumque polleat, cum quid possit patientia ostendit; 1,2,6: (deus dicit) operibus (…) doloribus damnis exagitentur, ut verum colligant robur; 1,4,3: Miserum te iudico, quod numquam fuisti miser. Transisti sine adversario vitam; nemo sciet quid potueris, ne tu quidem ipse. Opus est enim ad notitiam sui experimento; quid quisque posset nisi temptando non didicit. Itaque quidam ipsi ultro se cessantibus malis optulerunt et virtuti iturae in obscurum occasionem per quam enitesceret quaesierunt. Gaudent, inquam, magni viri aliquando rebus adversis, non aliter quam fortes milites bello. 405–406. sola potest Libye turba praestare malorum / ut deceat fugisse viros: „Allein Afrika kann es durch die Menge seiner Übel gewährleisten, daß es eine Ehre ist, geflohen zu sein“. Eine Sentenz verleiht der Rede einen eindringlichen Abschluß. Catos Einheit besteht zum großen Teil aus den bei Pharsalos geschlagenen Pompeianern, die sich dem Sieger durch Flucht entzogen haben. Durch den Wüstenmarsch bietet sich ihnen die Möglichkeit, ihre verlorene Soldatenehre wiederherzustellen. 405. turba … malorum: Dies ist der einzige von 51 Belegen bei Lucan, bei dem turba von Sachen verwendet wird. Der singuläre Gebrauch resultiert aus dem Bildzusammenhang: Bei Pharsalos entzogen sich die Pompeianer dem überlegenen Feind; jetzt können sie sich durch ein „Gefecht“ gegen einen zwar unbelebten, aber nicht minder gefährlichen „Feind“, die Natur Afrikas (Schlangen, Wasserknappheit und Sandstürme), rehabilitieren. 406. ut deceat fugisse viros: Die Rede endet offen. Durch eine unerwartete paradoxe Formulierung erinnert Cato seine Soldaten daran, daß
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sie durch Flucht vor dem bei Pharsalos siegreichen Caesar ihre Soldatenehre verloren haben. Der unausgesprochene Appell lautet: Jetzt ist es an euch, zu beweisen, daß ihr Männer seid. Es zeigt sich hier, daß die Figur des Paradoxons eine wichtige argumentative Funktion erfüllen kann. Aufgrund des häufigen Gebrauchs dieser Figur in der Deklamationsschule wird sie oft als ein gekünsteltes Schmuckmittel abgetan, welches, statt einem Sachverhalt Ausdruck zu verleihen, in erster Linie dazu dient, Einfallsreichtum und Kombinationsgabe des Redeschülers unter Beweis zu stellen. Diese Kritik ist sicher nicht völlig unberechtigt, doch ist immer der Einzelfall zu prüfen. Es ist bekannt, daß paradoxe Sentenzen „in einzigartiger Weise bezeichnend und konstitutiv für Lucans Werk“ (T HIERFELDER 1970 [=1934], 56) sind. Dafür sind verschiedene Faktoren verantwortlich zu machen: 1. Eine Ursache ist der Stoff. Es ist ein Paradox, daß Bürger gegen Bürger kämpfen; die durch den Bürgerkrieg bewirkte Umkehrung aller Werte bringt zahllose unter normalen Umständen undenkbare Situationen hervor; vgl. z.B. 1,2–4: iusque datum sceleri canimus, populumque potentem / in sua victrici conversum viscera dextra / cognatasque acies; 2,536–537: iam tetigit sanguis pollutos Caesaris enses. / di melius, belli tulimus quod damna priores. 2. Eine zweite Quelle für die Paradoxien im BC ist die stoische Philosophie, die radikal herkömmliche Ansichten von Glück und Erfolg in Frage stellte. Die Stoiker setzten Tugend und Glückseligkeit in eins und machten sie unabhängig von äußeren Umständen. Auch auf der Folter ist der Weise noch glücklich (vgl. Cic. fin. 3,42; Tusc. 5,73–76). Besonders wichtig für das BC ist die stoische Lehre vom Selbstmord. Wie die Stoiker die Tugend von allem Äußeren ablösten, betrachteten sie auch ihre zeitliche Dauer für unerheblich. Wer ihrer nur für einen Moment teilhaftig ist, hat sie ganz (vgl. Sen. epist. 78,27). Sofern die Situation des Einzelnen so beschaffen ist, daß ein Weiterleben nicht mehr sinnvoll ist, soll er sich in einem letzten Akt der Freiheit töten. Durch den Selbstmord entzieht sich der Unterlegene der Macht des Siegers; er kann mit einem Weiterleben in der Ätherzone rechnen und triumphiert auf diese Weise doch noch über seinen Bezwinger; vgl. z.B. 2,108–109; 3,694–696; 4,279–280. 454. 484–485. 519–520; 5,685–687; 6,724–725; 7,375–376. 382–384. 615; 9,1–18. 213–214 (Beispiele bei MORETTI 1984, 39–40). 3. Lucan ist wie alle Schriftsteller seiner Zeit durch die Deklamatorenschule gegangen. Aus der Aufgabenstellung des Deklamators, einem bekannten Sachverhalt möglichst überraschende Gesichtspunkte abzugewinnen, erklärt sich die Bedeutung von Sentenz und Paradox für die Übungsrede und die Literatur,
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deren Autoren in der Rhetorenschule ausgebildet wurden. 4. Vor allem aber betrachtet man mit Recht die Paradoxie als adäquaten Ausdruck des „gebrochenen Lebensgefühls“ der frühen nachaugusteischen Kaiserzeit. Die römischen Autoren des ersten nachchristlichen Jahrhunderts legen vielfach davon Zeugnis ab, daß eine staatliche Ordnung, in der zweifelhafte Herrschergestalten wie Tiberius, Caius, Claudius, Nero, Domitian an der Spitze standen, während die jahrhundertelang regierende Senatsaristokratie, der sie selbst angehörten, entmachtet war, nur einer widersinnigen Laune der Fortuna entspringen konnte. Auf die Bedeutung des Paradoxen bei Lucan hat zuerst THIERFELDER 1970 (= 1934) hingewiesen; LEFÈVRE (1970) untersucht das Phänomen in der kaiserzeitlichen Literatur und ordnet es literaturgeschichtlich ein. MARTINDALE (1976) verteidigt Lucan gegen Kritiker, die ihm vorwerfen, er mache von der Figur übermäßig und ohne sachliche Rechtfertigung Gebrauch. MORETTI (1984) untersucht die von Lucan gebrauchten sprachlichen Techniken der Paradoxbildung. 407. incendit: Incendere im Sinn von „Begeisterung wecken“ ist eine Lieblingsmetapher Ciceros; vgl. S. Rosc. 48; Marcell. 9; de orat. 1,97; 2,1; rep. 36; Brut. 26. 320; fat. 3; ThLL VII 1,868,14–869,76 (HOFMANN ). Lucan gebraucht sie auch in 10,148. Hier ist die Formulierung vermittelt durch Verg. Aen. 6,887–888: quae postquam Anchises natum per singula duxit / incenditque animum famae venientis amore. An einem Detail wie diesem lassen sich die diametral entgegengesetzten Konzeptionen Vergils und Lucans aufzeigen. Mit Blick auf die glanzvolle Entwicklung Roms kämpfen Aeneas und seine Gefährten gemäß dem Fatum die Rutuler nieder; Cato und die geschlagenen Pompeianer lehnen sich tapfer, aber ohne Hoffnung auf Erfolg gegen die Götter auf und bestreiten den Todeskampf der Republik. virtute … et amore laborum: Während im Griechischen die Verbindung von éretÆ und pÒnow selten ist (Ausnahme: die Kyniker; Antisthenes hielt pÒnow [mühevoller Kampf gegen die pãyh] für ein Gut; vgl. Diog. Laert. 6,2), gehören virtus und labor für die Römer untrennbar zusammen. Wahre Tugend äußert sich immer im Schwierigkeiten und Gefahren überwindenden Eintreten für die res familiaris und die res publica. Virtus als Entschlossenheit und Mut im Kampf und die Fähigkeit, labores, die Strapazen der Kriegführung, zu ertragen, sind auch die vielfach im Zusammenhang genannten Haupttugenden des römischen Offiziers und seiner Untergebenen; vgl. Caes. civ. 1,64,3; 3,53,4; Sall. Iug. 85,32–36; Liv. 1,54,4; 6,24,7; 25,5,11. 6,19; 34,18,3–5; 44,41,1; Plin. paneg. 13–14; Tac. hist.
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2,62,1; Amm. 17,1,2 und dazu BURCK 1951, 162–167; LAU 1975, 26–28. 87–96. Auch Seneca, der aus stoischer Sicht das traditionelle römische Verhältnis von virtus und labor neu reflektiert, stellt ihre Zusammengehörigkeit nicht in Frage. Zwar ist die stoische Tugend selbstgenügsam, und labores sind streng genommen ethisch neutrale édiãfora (epist. 31,3–4), doch sind sie in der Praxis unlöslich miteinander verknüpft. Der Weg zur Tugend ist anstrengend (epist. 31,3–4), den Tugendhaften kostet es Mühe, sich vor den Angriffen der Fortuna zu schützen (dial. 7,25,5–6), er nimmt Anstrengungen um sittlicher Handlungen willen in Kauf (22,7–8); labores sind der Prüfstein, an dem sich seine sittliche Größe erst erweisen kann (dial. 1,1,6. 2,4). Seneca sieht daher die Verbindung von virtus und labor als ein wesentliches Charakteristikum des stoischen Tugendbegriffs an, das ihn deutlich vom epikureischen Virtus-Begriff abhebt (benef. 4,2,4). Vgl. auch LAU 1975, 40–42. 408: „und schlägt den Weg ohne Rückkehr durch die Wüste ein“. Cato und seine Soldaten wissen, daß die Erfüllung der Pflicht sie in den Tod führen wird. Die Formulierung lehnt sich an Hor. carm. 2,17,10–12: ibimus, ibimus, / utcumque praecedes, supremum / carpere iter comites parati. irreducemque viam: Der Weg ohne Rückkehr ist gewöhnlich der Weg des Toten in die Unterwelt; vgl. z.B. Catull. 3,11–12: qui nunc it per iter tenebricosum / illud, unde negant redire quemquam. Weitere Belege geben NISBETHUBBARD zu Hor. carm. 1,28,4 und 2,17,12. Die Republikaner werden hier von Lucan also schon als Todgeweihte dargestellt. Irredux ist eine Neubildung Lucans und findet sich nur hier in der lateinischen Literatur. Das Simplex redux begegnet oft als Epitheton von Iuppiter oder Fortuna redux; vgl. z.B. Ov. epist. 13,50; Mart. 8,15,1. 65,12. Im Kontext des BC ist nicht daran zu denken, daß die Fortuna Cato und seinen Gefährten eine glückliche Heimkehr zugesteht. carpit: betont die Mühseligkeit des Wüstenmarsches. Jeder Schritt im Sand ist eine Anstrengung. Diese metaphorische Bedeutung des Verbs ist seit Hor. carm. 2,17,12; sat. 2,6,93; Verg. georg. 3,191. 347; 4,616; Aen. 6,629 häufig belegt; vgl. ThLL III 493,74–494,21 (BANNIER). 409: Vorbild für die Formulierung sind Sen. epigr. 22 und 40 (PRATO); 22: Litore diverso Libyae clarissima longe / nomina vix ullo condita sunt tumulo, / Magnus et hoc maior Cato. Quam procul a te / aspicis heu cineres, Roma, iacere tuos; 40: Ne miserere sacri deformia busta Catonis / visuntur magni parva sepulchra Iovis.
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sacrum … nomen: Das berühmte victrix causa deis placuit, sed victa Catoni (1,128) enthält in nuce Lucans „Theologie“. Die Götter (fatum; Fortuna) sind im BC depotenzierte, Caesar willfährige Geschöpfe. Sie schlagen sich auf die Seite des tyrannischen Siegers und begünstigen den Untergang des freien republikanischen Rom; vgl. z.B. 4,121–123. 402–403; 5,656–671; BONNIEC 1970; LOUPIAC 1990. An die Stelle der traditionellen Gottheiten rückt der stoische Held Cato. Er ist Vater des Vaterlands und zugleich Schutzgottheit Roms. Sobald Rom wieder frei ist, prophezeit Lucan, wird es Cato die ihm zukommende kultische Verehrung erweisen; vgl. 600–604; daneben 2,285. 372; 6,311; 9,255. 555. 561. Die Divinisierung Catos findet sich zusammen mit ihrer theoretischen Begründung bei Seneca vorgegeben. Die aus Äther und Luft bestehende Seele entstammt dem Himmel; sie ist heilig und wird nach dem Tod wieder in die göttliche Ätherregion zurückkehren (dial. 6,25–26; 11,11,7). Wer den Weisungen seiner Seele gemäß moralisch vollkommen lebt, kann mit einem Fortleben nach dem Tod in der Ätherregion rechnen; seine Zeitgenossen werden ihn bewundern und ihn zu Recht wie einen Gott verehren (dial. 41,1–2. 4). Selbst wenn jemand wie Cato den Anfeindungen der Tagespolitik und den Wirren des Bürgerkriegs ausgesetzt ist, wird das seiner Heiligkeit keinen Abbruch tun. Die Seele ist göttlichen Ursprungs; und die Tugend des Weisen ist ausschließlich von ihm selbst, nicht von den äußeren Umständen abhängig (dial. 1,2,3; 2,3,3). Neben Cato (dial. 1,2,3; epist. 67,13) nennt Seneca auch Zeno heilig (epist. 83,9). parvo … clausura sepulchro: Lucan spricht hier als Römer, für den es selbstverständlich ist, daß ein Begräbnis in Afrika für Cato in jedem Fall inadäquat ist. Eine Prüfung der historischen Fakten ergibt jedoch, daß der Dichter hier den Uticensern Unrecht tut. Nach Catos Selbstmord dankten sie ihm dessen Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung, bestatteten ihn mit allen Ehren und errichteten eine Statue, die vielleicht Plutarch noch selbst gesehen hat; vgl. Plut. Cat. min. 71,1–3. Vgl. auch Cass. Dio 43,11,6; App. civ. 2,99; Bell. Afr. 88,5 mit FEHRLE 1983, 278. Ebenso wie Sterben und Tod nimmt das Thema Bestattung und Trauer eine bedeutende Stellung im BC ein; vgl. nur die Anzahl der Belege für bustum (42mal), rogus (20mal), sepulchrum (19mal). Die Wichtigkeit dieses aus heutiger Sicht für zweitrangig erachteten Themas ergibt sich aus den Bedingungen der antiken Kultur. Aus religiösen Gründen war es unerläßlich, eine rituell korrekte Bestattung durchzuführen; andernfalls war die Seele, wie man glaubte, zu einem ruhelosen Umherirren verurteilt. Wichtig war eine der Bedeutung der Person adäquate Bestattung aber auch aus
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gesellschaftlichen Gründen. Weite Teile der Bevölkerung Roms konnten nicht auf historische oder biographische Überlieferung über eine Person zurückgreifen; was im Gedächtnis blieb, waren pompa, laudatio funebris und das Grabmal. Die öffentliche Totenehrung trug wesentlich dazu bei, den Ruhm des Toten zu mehren und sein Nachleben im kollektiven Gedächtnis der Gemeinschaft zu sichern. Die in Rom errichteten Grabmäler legten sichtbares Zeugnis ab von den Leistungen und Erfolgen einer Person und deren Familie. Eine angemessene Bestattung zeigt, daß die Fortuna dem Toten bis über das Lebensende hinaus gewogen war; das Grabmal ist gewissermaßen das Siegel eines erfolgreichen Lebens. So erklärt es sich, warum Lucan immer wieder gerade auf dieses Thema zu sprechen kommt und an ihm die Verkehrung aller Werte durch den Bürgerkrieg exemplifiziert. Während Tyrannen wie Sulla (2,222), die ägyptischen Pharaonen (8,692–700; 9,150–164) und Alexander (10,14–52) in prunkvollen Mausoleen ruhen, müssen sich verdiente Römer wie Cato oder Pompeius mit einem provisorischen Begräbnis in der Fremde begnügen, oder bleiben gar wie Crassus (vgl. zu 64–65) oder die Gefallenen von Pharsalos (7,797–872; 9,179–181) unbestattet. Diese Ungerechtigkeiten werden von Lucan immer wieder empört festgestellt; manchmal ist er aber auch bemüht, den entmutigenden Befund mit verschiedenen und häufig disparaten Argumenten und Reflexionen zu entkräften und den geschändeten Toten die letzte Ehre zu erweisen. Pompeius sei so berühmt, daß sich sein Name nicht in einem kleinen Grab in Ägypten einschließen läßt (8,793–800); auch sein provisorisches Grab wird Verehrung finden (8,851–858); er hätte es verdient, daß man seine sterblichen Überreste nach Rom überführt und er dort als Schutzheros der Stadt verehrt wird. Auch Cato wird einst in Rom als Gott verehrt werden (587–604). Die gefallenen und von Caesar unbestattet gelassenen Pompeianer sind die eigentlichen Sieger von Pharsalos; ihre Leichen vertreiben durch ihren Verwesungsgeruch Caesar vom Schlachtfeld (7,820–824). Gelegentlich greift Lucan auch auf die Argumente philosophischer Konsolation zurück und transzendiert das diesseitige Geschehen: Es spielt keine Rolle, ob jemand bestattet wird oder nicht; in der Ekpyrosis sind alle gleich (7,809–819). Pompeius’ Seele erhebt sich in die göttliche Ätherzone und schaut aus überlegener Position auf das für ihn bedeutungslos gewordene irdische Treiben (9,1–18). Die Sonderstellung Caesars im BC läßt sich auch am Thema Bestattung zeigen. Seine Position ist so übermächtig, daß er auf ein Begräbnis verzichten kann (5,669–671): lacerum retinete cadaver /
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fluctibus in mediis, desint mihi busta rogusque, / dum metuar semper terraque expecter ab omni. 410. invasit Libye securi fata Catonis: „Libyen griff das Leben des unbesorgten Cato an“. Nicht Cato nimmt den Weg in Angriff, sondern Libyen greift mit seinen zahlreichen Gefahren Cato an. securi … Catonis: vgl. 2,287 sed quo fata trahunt, virtus secura sequetur. Catos Rede angesichts des Ammonsorakels (564–585) erläutert seine securitas: Es ist nicht notwendig, aus Sorge um sein Leben ein Orakel zu konsultieren, denn ein Stoiker weiß um seine Pflicht und, solange er sie erfüllt, befindet er sich in Übereinstimmung mit der göttlichen Weltordnung. Mag er auch scheitern und zugrunde gehen, seine moralische Integrität wird ihm Ruhm bei der Nachwelt und ein Fortleben im Jenseits garantieren. Vgl. auch Sen. epist. 92,3: quid est beata vita? securitas et perpetua tranquillitas. Haec dabit enim animi magnitudo, dabit constantia bene iudicanti tenax.
2.10. Exkurs: Afrika (9,411–444) 411–444: Gewöhnlich sieht man Afrika als dritten Kontinent neben Europa und Asien an; diese Einteilung ist jedoch falsch. Betrachtet man die Verteilung der Winde, muß man Afrika zu Europa rechnen (411–413). Asien nimmt die östliche Hälfte der Welt bis zu den Grenzflüssen Tanais und Nil ein; es bringt den Ostwind ganz und je zur Hälfte den Nord- und den Südwind hervor. Die Harmonie der Welt erfordert es, daß die westliche Hälfte der Welt ebenfalls von einem einzigen Kontinent bedeckt wird; diese Hälfte erzeugt den gesamten Westwind und steuert je einen Teil zum Nord- und zum Südwind bei (413–420). (Nord-)Afrika gliedert sich in zwei Teile (420–444). Der westliche Teil ist wegen der Passatwinde fruchtbar (421–423); er ist frei von Bodenschätzen, die die Bevölkerung moralisch verderben könnten (424–426). Der einzige Reichtum des Landes besteht im Zitrusbaum. Während sich die Mauren damit begnügen, in seinem Schatten zu leben (426–428), haben die Römer in ihrer Habgier die Wälder gefällt und zu Luxustischen verarbeitet (429–430). Der östliche Teil Nordafrikas ist wegen Trockenheit und Hitze beinahe völlig ohne Vegetation (431–440). Ihn bewohnen die Nasamonen, die ihr Leben durch Strandräuberei in den Syrten fristen (440–444). 411–420: Lucan beginnt den Exkurs über Afrika mit einer Reflexion über die Rechtmäßigkeit der Einteilung der Landmassen der Erde in drei Kontinente. Gegen die allgemein übliche Aufteilung in Europa, Asien und
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Afrika spricht er sich zugunsten einer Zweiteilung in Europa und Asien aus. Die von Norden nach Süden verlaufende Linie Tanais-Nil teilt die Welt achsensymmetrisch in zwei Hälften; auf diese Weise wird die Kontinentgliederung sinnvoll mit einer Windrose mit den vier Hauptwinden in Übereinstimmung gebracht. Lucans Überlegungen fußen auf einer Ökumene-Karte, deren wichtigsten Merkmale er beschreibt (Mittelmeer; Tanais, Nil). Wie detailliert diese Karte war oder ob ihm bereits eine der aus dem Mittelalter bekannten stark vereinfachten TO-Karten vorgelegen hat, muß offen bleiben. Zu allen Einzelheiten vgl. in diesem Band S. 377–389. 411. tertia pars rerum: Die herkömmliche Aufteilung der Kontinente erfolgt mittels des Mittelmeers und der Flüsse Nil und Don. Die Fläche der Erdteile spielt dagegen nur insofern eine Rolle, als daß ein Kontinent eine gewisse, nicht genau festgelegte Größe überschreiten muß, um nicht noch als Insel zu gelten. Demnach wird der unbefangene Leser tertia pars rerum im übertragenen Sinn als „der dritte Kontinent“ auffassen. Lucan stellt im folgenden jedoch klar, daß er die Erdteile nicht nach physischen Merkmalen abteilt, sondern nach den „Winden“ und dem „Himmel“, d.h. nach geometrischen Prinzipien, die Kontinente von unterschiedlicher Ausdehnung nicht zulassen. Der Rekurs auf die mathematische Gliederungskategorie bringt es mit sich, daß tertia pars rerum im eigentlichen Sinn als „Drittel der Welt“ zu verstehen ist. Indem Lucan durch die Überlegungen zur Aufteilung der Windrose zeigt, daß Afrika nur ein Viertel der Welt bedeckt, suggeriert er, daß es auch nicht als dritter Kontinent gelten kann. Das Spiel mit der Doppelbedeutung verdeckt die Unzulänglichkeiten seiner Argumentation. Die gesamte antike Diskussion um die Erdteile krankte ja daran, ganz abgesehen davon, daß keiner der drei Kontinente hinreichend bekannt war, daß man dazu neigte, „Kontinent“ ebenso wie andere geographische Begriffe („Hügel“; „Berg“; „Bach“; „Fluß“ usw.) als natürliche Kategorie anzusehen, und nicht unterschied zwischen den Gegebenheiten der Natur und dem allein auf Konvention beruhenden Begriffssystem der Sprache. So spielte man wahllos unterschiedliche Erdteildefinitionen (mythologische; kulturelle; klimatische; auf physischen Merkmalen oder Flächenberechnungen, bzw. -schätzungen beruhende) gegeneinander aus, ohne doch dessen gewahr zu werden, daß der Streit nur durch eine Übereinkunft über die Definitionsmerkmale beigelegt werden kann. Bei der in der Antike vorwiegenden Auffassung von der Natur als einer sinnvoll gestaltenden Macht lag diese Erkenntnis allerdings außerhalb des Denkhorizonts; man versuchte immer wieder, eine vorgege-
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bene verborgene Ordnung aufzuspüren. Lucans Operieren mit der Doppelbedeutung von tertia pars rerum dürfte daher nicht als ein böswilliger sophistischer Kniff anzusehen sein. Es ist der Versuch, die notwendige und nur durch Übereinkunft mögliche Bestimmung des Begriffs „Kontinent“ durch eine Bedeutungsklärung auf untergeordneter Ebene zu ersetzen. Die Formulierung tertia pars für Afrika findet sich vor Lucan nur im Afrika-Exkurs von Sallusts Bellum Iugurthinum; vgl. 17,3: in divisione orbis terrae plerique in parte tertia Africam posuere, pauci tantummodo Asiam et Europam esse, sed Africam in Europa. Lucan greift hier Sallusts Referat der unterschiedlichen Einteilungen auf und argumentiert zugunsten der Mindermeinung. Sonst finden sich in Lucans Beschreibung Afrikas keine Bezüge auf Sallust. 411–412. si credere famae / cuncta velis: Im Anschluß an Sallust referiert Lucan zutreffend, daß man allgemein eine Dreizahl der Kontinente annahm. Die Einteilung geht auf die ionische Naturphilosophie (Hekataios) zurück und wird zuerst bei Pindar (Pind. P. 9,7–9; Pind. I. 2,41–42) erwähnt. Die Auffassung, Afrika als eigenständigen Kontinent anzusehen, dominierte in der Antike und wurde schließlich dem Mittelalter tradiert. Da man aber von Afrika und seiner tatsächlichen Ausdehnung kaum etwas wußte, fanden sich die gesamte Antike hindurch auch immer wieder vereinzelte Vertreter der Zweiteilung; vgl. z.B. Hdt. 4,42,1; Pol. 3,37,1; 12,25,7 (jeweils mit WALBANK ); Oros. hist. 1,2,1; Isid. Etym. 14,2,1–3. Zur antiken Diskussion über die Aufteilung der Kontinente und deren Grenzen vgl. GISINGER 1924, 552–556; G ISINGER 1937; DIHLE 1994, 27–35. Zu Lucans Bemühen, wissenschaftlich gesichertes Wissen zur Grundlage des BC zu machen, vgl. zu 359–360. 449–462. 452–453. 457. 412. si ventos caelumque sequaris: „Wenn man die Windrichtungen und den Himmel berücksichtigt“. Lucan nimmt hier Bezug auf die Einteilung der Erde mit Hilfe mathematisch-astronomischer Methoden in gleichgroße achsen- bzw. punktsymmetrische Teile, wie sie z.B. bei der Konstruktion der Windrose angewendet wird; vgl. Manil. 4,585–594: nunc age diversis dominantia sidera terris / percipe. sed summa est rerum referenda figura. / quattuor in partes caeli discribitur orbis, / nascentem lapsumque diem mediosque calores / teque, Helice. totidem venti de partibus isdem / erumpunt secumque gerunt per inania bella. / asper ab axe ruit Boreas, fugit Eurus ab ortu, / Auster amat medium
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solem Zephyrusque profectum. / hos inter binae mediis e partibus aurae / exspirant similis mutato nomine flatus; Ov. met. 1,57–69; Sen. nat. 5,16,1–17,4. Nach diesem „den Himmel“ unterteilenden geometrischen Gliederungsprinzip korrigiert Lucan im folgenden die auf Beobachtung der Erde-WasserVerteilung beruhende Aufteilung der Landmassen der Erde in drei Kontinente. Der Umstand, daß er dabei nicht Flächen vergleicht, sondern „in Winden“ rechnet, deutet darauf hin, daß er eine Ökumene-Karte mit eingetragener Windrose oder deren schriftliche Wiedergabe benutzt hat. 413. pars erit Europae: Wenn Europa und Afrika gleichgroß sind, könnte man Europa ebensogut zu Afrika schlagen. Die naheliegende Entscheidung für Europa erläutern die Glosule z.St.: „sed quare dixit Libiam potius esse partem Europe quam Europam Libie, sic solvitur: pro dignitate Rome que est in Europa“. litora Nili: Der Nil wurde wie hier gemeinhin als Grenze zwischen Afrika und Asien angesehen; die Grenzziehung war jedoch nicht unbestritten. Es wurde als unbefriedigend empfunden, daß Ägypten dadurch auf zwei Kontinente aufgeteilt wird; vgl. Strab. 1,32; Bell. Alex. 14,5. Teils verlegte man daher die Kontinentgrenze nach Westen und betrachtete die Senke des Katabathmon als Scheide zwischen Afrika und Asien (Sall. Iug. 17,4; 19,3; Mela 1,40. 49), teils plädierte man für die auch heute noch akzeptierte Lösung und betrachtete die weiter östlich gelegene Landenge von Suez als Grenze (Strab. 1,4,7). Vgl. dazu GISINGER 1937, 2170–2171. 414. Scythicus Tanais: Aus heutiger Sicht ist es kaum nachzuvollziehen, daß man in der Antike den Tanais (Don) als Grenze zwischen Europa und Asien ansah und nicht die Wolga. Verschiedene Faktoren wirkten bei dieser Wahl zusammen: 1. Die Wolga war bis ins zweite nachchristliche Jahrhundert nahezu unbekannt. 2. Man überschätzte erheblich die Größe der Maiotis (Asowsches Meer), in die der Don mündet. Für die antiken Geographen schien der Don daher einen bedeutenden Einschnitt in der Schwarzmeerküste zu markieren. 3. Die Quellen des Don wurden im äußersten Norden, in den sagenhaften Riphaeischen Bergen in der Nähe des nördlichen Ozeans, vermutet; vgl. Lucan. 3. 272–276 mit HUNINK. Der Don wurde also als eine in Nord-Süd-Richtung verlaufende Grenze angesehen, der die Kontinente auf der ganzen Länge voneinander trennte. Vgl. dazu BURR 1932, 37–40; HERMANN 1932. primis a Gadibus: „von dem im äußersten Westen gelegenen Gades“. Gades, das heutige Cadíz, wird von Lucan als westliche Grenze der Welt
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auch in 3,279; 4,672; 7,187; 10,457 erwähnt. Nachdem Herkules mit dem goldenen Becher des Sonnengottes den Ozean befahren hatte, um die Rinder des Geryoneus zu stehlen, soll er dort die nach ihm benannten Säulen errichtet und sie mit der Inschrift, daß es keine Überfahrt nach Westen gebe, versehen haben; vgl. Pind. N. 3,20–23; O. 3,43–45; Eur. Hipp. 742–747. Man vermutet, daß die negative Bedeutung der Säulen als unüberwindbare Grenze ihnen erst im Lauf des 5. Jahrhunderts v. Chr. zugeschrieben wurde, als die Karthager die Meerenge beherrschten und den Griechen die Durchfahrt verwehrten. Ursprünglich waren die Säulen wohl ein Siegeszeichen für die Erschließung des Ozeans; vgl. HE YDENREICH 1970, 22–23. Wie lange das nec plus ultra der Säulen des Herkules das Weltbild bestimmte, zeigt der Umstand, daß man sich noch im Zeitalter der Entdeckungen darauf bezog. Mit dem persönlichen Wahlspruch plus ultra verkündete zu Beginn der Neuzeit Karl V., der Herrscher über ein riesiges europäisches und überseeisches Reich, daß die Grenzen der antiken und mittelalterlichen Welt endgültig durchbrochen wurden; vgl. SCHULIN 1999. In anderen Versionen des Mythos werden die Felsen von Calpe (Gibraltar) und Abila (Djebel Musa) als „Säulen“ betrachtet. Herkules’ Tat besteht in diesen rationalisierten Fassungen des Mythos darin, entweder den Gebirgszug durchbrochen zu haben, um dem Ozean Einlaß zu gewähren (Sen. Herc. f. 235–238; Mela 1,27; Plin. nat. 3,4), oder den Zugang schmaler gemacht zu haben, um Seeungeheuer fernzuhalten (Diod. 4,18,5). 415–416: Hinter der Meerenge von Gibraltar treten die Küsten von Afrika und Europa auseinander, ermöglichen das Einströmen des Ozeans und die Ausbildung des Mittelmeers. Seitdem durch die Erkundungsfahrten der Seefahrer die mythische Auffassung vom Ozean als einem Strom, der kreisförmig die Ökumene umschließt, zugunsten der Vorstellung eines riesigen allumfassenden Weltmeers aufgegeben worden war, betrachtete man das Mittelmeer als eine kleine Ausbuchtung des Ozeans. Plato (Tim. 24e) nennt es einen limÆn und relativiert drastisch die Bedeutung des Mittelmeerraums angesichts der Größe der restlichen Welt: Die Anrainer des Mittelmeers seien mit Ameisen oder Fröschen vergleichbar, die einen Tümpel umlagern; vermutlich gebe es noch an vielen anderen Orten auf der Welt ähnliche Wohngebiete wie das Mittelmeer (Phaed. 109a–b). Vgl. GISINGER 1937, 2168. Den Ozean, der die gesamte Ökumene umschließt (10,255) und durch das Mittelmeer, die Maiotis (3,279) oder den Nil
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(10,255–258) in die bekannte Welt vordringt, erwähnt Lucan auch in 4,675; 5,182; 8,293–294. 748; 10,36–40. 416–417. sed maior in unam / orbis abit Asiam: „aber ein größerer Weltteil bildet allein Asien“. Abire (hier metaphorisch: „sich entfernen und dabei eine bestimmte Gestalt annehmen / sich zu etwas bilden“) dient einer subjektiv-dynamischen Darstellung eines objektiv-statischen Sachverhalts. Der Leser rückt in die Rolle eines Beobachters, der von Gibraltar aus nach Osten blickt und sieht, wie sich jenseits von Tanais und Nil die Landmassen Asiens bis in weite Ferne hin erstrecken. Das nüchtern konstatierende „maior orbis est Asia“ wäre dagegen farblos. Abire wird in diesem Sinn häufig von Pomponius Mela verwendet; vgl. 1,61. 89; 2,17. 58. 86; 3,33; ThLL I 71,43–83 (VOLLMER). 418. effundant: Effundere von Winden statt von festen Stoffen oder Flüssigkeiten zu gebrauchen, ist eine Idee Vergils. Vgl. Aen. 7,221–226: Troius Aeneas tua nos ad limina misit. / quanta per Idaeos saevis effusa Mycenis / tempestas ierit campos, quibus actus uterque / Europae atque Asiae fatis concurrerit orbis, / audiit et si quem tellus extrema refuso / summovet Oceano et si quem extenta plagarum / quattuor in medio dirimit plaga solis iniqui. Die Übertragung hat nur wenige Nachahmer gefunden; vgl. Liv. 8,6,3; Sen. nat. 5,18,5; Lucan. 9,332 (mit Bedeutungsänderung); ThLL V 2,222,80–223,3 (LEUMANN). 418–419. Boreae latus … sinistrum / contingens dextrumque Noti discedit in ortus: ein Beleg dafür, daß Lucan eine nach Osten ausgerichtete Karte vorlag. Der imaginäre Beobachter schaut von „unten“ (Westen) und sieht zur Linken Europa, zur Rechten Afrika. Die Ausrichtung nach Osten erklärt sich daraus, daß man die Ökumene-Karte mit Hilfe des Horizontkreises der Sonnenstände (Aufgang, Mittagstand, Untergang, Mitternacht) konstruierte; die Fremdwörter „orientieren“ und „Orientierung“ leiten sich davon ab; vgl. GISINGER 1924, 684. Zu discedit vgl. die Anmerkung zu abit (417). 420–430: Lucan beschreibt zuerst den westlichen Teil Nordafrikas, der im Fortgang des neunten Buchs keine Rolle spielt. Indem er auf die große Fruchtbarkeit, das Fehlen von Bodenschätzen und die Bescheidenheit der Mauren eingeht, nennt er einige Merkmale des Landes, die in keiner systematischen Darstellung fehlen dürfen. Er beabsichtigt jedoch keine vollständige und detaillierte Beschreibung des Gebiets, sondern spricht nur
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Punkte an, die auch für seine römischen Leser bzw. für ihn selbst als stoischen Moralisten von Interesse sind. So verbindet er die Erklärung der Fruchtbarkeit Afrikas durch die Passatwinde mit dem Hinweis darauf, daß zu dieser Zeit in Italien notwendig der Himmel wolkenlos ist (420–423). Die Mitteilung, daß in Afrika kein Bergbau getrieben wird (424–426), übt indirekt Kritik an der Habgier der Römer, die keine Mine unausgebeutet lassen. Explizit hält Lucan seinen Landsleuten das naturgemäße Leben der Mauren vor: Während die Afrikaner den Schatten des Zitrusbaums genießen, holzen ihn die Römer ab, um daraus Prunktische zu verfertigen (426–430). 420–421: Eine Zweiteilung des den Römern bekannten Afrikas bietet sich an. Im Westen lagen die stark bevölkerten Gebiete mit hoher landwirtschaftlicher Produktion, Mauretania Tingitensis und Caesariensis, Numidia und der heute zu Tunesien gehörende Teil von Africa proconsularis; die östliche Hälfte Nordafrikas, der östliche Teil von Africa proconsularis und die Kyrenaika, war dagegen aufgrund der ungünstigen klimatischen Situation nur an der Küste schwach besiedelt und von geringer Wirtschaftskraft. Heute wäre die Scheidung in dieser Klarheit nicht mehr möglich. Zusammen mit dem römischen Reich verfiel die reiche Landwirtschaft des westlichen Nordafrikas (Getreide; Öl). Ende des 5. Jahrhunderts bemächtigten sich die nomadisierenden Mauren dieser Gebiete; im 11. Jahrhundert erfolgte ein Zustrom ebenfalls nomadisch lebender Araber; die Aufgabe der Landwirtschaft hatte eine Versteppung zur Folge. Zur Bedeutung des westlichen Nordafrikas als „Kornkammer“ Roms und dem Verfall der Landwirtschaft vgl. FUSHÖLLER 1979; LEPELLEY 1979, 29–36. 421–423: Zusammen mit Sardinien erwähnt Lucan Afrika als „Kornkammer“ Roms auch in 3,64–70. Auch dort wird die Fruchtbarkeit Nordafrikas durch die regenbringenden Nordwinde erklärt; vgl. 3,68–70: ubere vix glaebae superat, cessantibus Austris / cum medium nubes Borea cogente sub axem / effusis magnum Libye tulit imbribus annum. Lucan greift dabei auf die Erkenntnisse der antiken Windtheorie zurück. Der Sache nach waren die zur Zeit der Sommersonnenwende herrschenden Nordostpassate (Etesien), die für Schiffahrt und Landwirtschaft im Mittelmeerraum große Bedeutung besitzen, bereits Hesiod (erg. 662–678) bekannt; der Begriff findet sich zuerst bei Herodot (2,20). Seit den ionischen Naturphilosophen wurden verschiedene Erklärungsversuche für dieses Phänomen vorgeschlagen, die
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jedoch sämtlich daran scheiterten, daß man die Ursache für den Wind dort suchte, von woher er blies; vgl. REHM 1907. Die richtige Erklärung ist, daß die starke Sonneneinstrahlung im Sommer im Bereich des nördlichen Wendekreises ein Tiefdruckgebiet erzeugt und die Passatwinde eine druckausgleichende Bewegung der Luft von Norden nach Süden sind. Die auf der Nordhalbkugel erfolgende Ablenkung nach Osten erklärt sich durch Bodenreibung und Erddrehung („Coriolis-Kraft“). Die antike Diskussion um die Passatwinde ist Lucan über Seneca vermittelt worden; vgl. Sen. nat. 5,10–11 und 5,18,2: nam modo adducunt nubes, modo deducunt, ut per totum orbem pluviae dividi possint. In Italiam auster impellit; aquilo in Africam reicit; etesiae non patiuntur apud nos nubes consistere; idem totam Indiam et Aethiopiam continuis per id tempus aquis irrigant. Für die Stoiker besaßen die Passatwinde besondere Bedeutung. Wie Seneca betrachtet auch Balbus in Cic. nat. deor. 2,131 die nützlichen Passatwinde als Argument für die teleologische Naturauffassung der Stoiker. Lucan 3,68–70 und 9,420–423 sind nachgeahmt worden in Stat. Theb. 8,410–411; Rutil. Nam. 1,147–148 (Stellen bei HUNINK zu 3,69). 420–421. sed et haec non fontibus ullis / solvitur: Eine Hyperbel, die die Bedeutung der regenbringenden Winde für die Landwirtschaft Afrikas stark hervorhebt. 422–423: Das Motiv klimatischer Wechselwirkungen, wie sie von der antiken Naturwissenschaft erkannt und erklärt worden sind, gebraucht Lucan auch in 4,62–75: Der Eurus treibt alle Wolken nach Westen, wo sie sich in Gibraltar, dem westlichen Ende der Welt, stauen. Der Rest der Welt wird von der Sonne beschienen. 422. raris Aquilonibus: In der Absicht, Afrika als einen Kontinent der Trockenheit darzustellen, modifiziert Lucan die antike Lehre von den Passaten. Der regenbringende Aquilo wird als eine zufällige und gelegentlich auftretende, nicht als eine regelmäßig im Ablauf des Jahres wiederkehrende Erscheinung beschrieben. 424–430: Zwei „loci de divitiis“ schließen den ersten Teil des Afrika-Exkurses ab. Die Genügsamkeit der Nordafrikaner wird dem Luxus der Römer entgegengestellt.
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424–426: Lucan zollt Afrika Lob, weil es frei von Metallen ist. Er rezipiert hier die im Hellenismus aufkommende und vor allem von den Stoikern (vgl. Pers. 2,66–67; Sen. nat. 5,15,1–4) vorgebrachte Kritik am Bergbau. Das Schürfen nach Metallen wurde ähnlich wie die Seefahrt als eine widernatürliche Handlung angesehen. Der Mensch gibt sich nicht mit dem zufrieden, was ihm die Natur von sich aus gewährt, sondern überschreitet mit schwerwiegenden Folgen für das menschliche Zusammenleben die Grenzen, die ihm fürsorglich gesetzt worden sind. Der Bergbau wurde als eine Vergewaltigung der Mutter Natur angesehen; die Eisengewinnung ermöglichte Kriegführung, mit dem Gold wurde die Habsucht unter die Menschen gebracht. Das Schürfen nach Metallen ist ein Charakteristikum des eisernen Zeitalters, vgl. Verg. Aen. 3,55–57; Hor. carm. 3,3,49–56; Ov. met. 1,138–150; (Ps.-)Sen. Oct. 416–418; Plin. nat. 33,1–2; Tac. Germ. 5,2. Zur antiken Kritik am Bergbau, die keineswegs verhinderte, daß sämtliche mit den damaligen Mitteln erreichbaren Erzvorkommen im Mittelmeerraum bereits im Altertum vollständig ausgeschöpft wurden (vgl. S CHNEIDER 1992, 71–95), und ihrem Fortleben bis in die Neuzeit vgl. W EEBER 1990, 61–84; M ERCHANT 1994, 41–53. Kritik an der Metallgewinnung übt Lucan auch in 7,752–757: Thessalien ist das genaue Gegenteil Afrikas. Die Landschaft, in der die Entscheidungsschlacht des Bürgerkriegs stattfand, ist verantwortlich für die widernatürlichen, zur Kriegführung notwendigen Techniken des Reitens (6,395–399), des Seefahrens (400–401) und brachte durch Erfindung der Münzprägung die Gewinnsucht unter die Menschen; vgl. 6,402–405: primus Thessalicae rector telluris Ionos / in formam calidae percussit pondera massae / fudit et argentum flammis aurumque moneta / fregit et immensis coxit fornacibus aera. Lucans Angabe ist sachlich zutreffend; Afrika spielte im antiken Bergbau keine Rolle. Vgl. ORTH 1924, 110–124; SCHNEIDER 1992, 74. Die Römer bezogen ihr Erz in der Hauptsache aus Spanien; vgl. Lucan. 4,297–298; 7,752–757. 424. in nullas vitiatur opes: „wird nicht zu Reichtümern verdorben“. Aus Sicht des Moralisten erfolgt durch die Metallverhüttung keineswegs eine Veredelung der Erze. Vielleicht hat Lucan hier die zweite Satire seines Freundes Persius vorgeschwebt; vgl. Pers. 2,64–67 (mit KIßEL): haec sibi corrupto casiam dissolvit olivo, / haec Calabrum coxit vitiato murice vellus, / haec bacam conchae rasisse et stringere venas / ferventis massae crudo de pulvere iussit.
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424–425. non aere nec auro / excoquitur: „non ob aes aut aurum ignis terrae adhibetur“ (HOUSMAN im App. z.St.). Der Satz konkretisiert das vorangegangene in nullas vitiatur opes. 426–430: Die Mauren lebten bis zur Ankunft der Römer ein einfaches Leben und machten naturgemäßen Gebrauch von den Gütern ihres Vaterlandes. Die Römer dagegen fällten nach der Eroberung Mauretaniens die Zitrusbäume und verarbeiteten sie zu überflüssigen Luxusgegenständen. Von den zwei grundsätzlichen Haltungen zur Einfachheit der Naturvölker (Stolz auf die eigenen zivilisatorischen Leistungen – Idealisierung des naturgemäßen Lebens der Fremdvölker), die VISCHER (1965, 97–125) für die hellenistische Ethnographie erarbeitet hat, nimmt Lucan entschieden die zweite ein. Er stellt die luxuria seiner Landsleute bloß. Den verkommenen Sitten der Römer wird die Einfachheit der Mauren entgegengestellt. Lucans Kritik ist rein moralisch. Die ebenfalls möglichen Kritikpunkte, Imperialismus und Naturzerstörung (vgl. zu 429), werden nicht thematisiert. 426–427. tantum Maurusia genti / robora divitiae, quorum non noverat usum, / sed citri contenta comis vivebat et umbra: „Reichtum besaß das Volk der Mauren allein durch seine Hölzer; deren Gebrauch kannte es jedoch nicht und so lebte es zufrieden unter dem schattigen Laubdach des Zitrusbaums“. 427. quorum non noverat usum: Die Mauren befinden sich in einem Zustand natürlicher Unschuld. Ihre Unkenntnis bewahrt sie davor, ihre Wälder zu schlagen und aus dem Holz der Zitrusbäume Luxustische anzufertigen. Lucan variiert hier den seit der Kulturkritik des Hellenismus häufigen Topos, daß die Menschen durch Erfindungen (Seefahrt; Metallurgie u.ä.) vom einfachen und naturgemäßen Leben abgebracht worden sind; vgl. THRAEDE 1962b, 1217–1218 und zu 424–426. In Auseinandersetzung mit Poseidonios diskutiert Seneca im 90. Brief ausführlich den Zusammenhang von Kulturentwicklung und Moralität und bezieht dabei Position zum Topos des „edlen Wilden“. Die Menschen der Frühzeit lebten naturgemäß und damit besser als der durchschnittliche Mensch der zivilisierten Zeit; da sie jedoch aufgrund ihrer beschränkten Kenntnisse gar nicht anders handeln konnten, als sie es taten, besaßen sie nicht mehr als eine Vorstufe der Tugend. Eigentliche Tugend hat nur derjenige, der, durch das Studium der Philosophie belehrt, sich bewußt von der Natur
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leiten läßt und den Verführungen der Zivilisation widersteht; vgl. Sen. epist. 90,44–46. 428: Die Mauren leben wie in einem Idyll. Schattenspendende Bäume sind ein fester Bestandteil des locus amoenus; vgl. SCHOENBECK 1962, 49–56; NOVÁKOVÁ 1964, 26–27. Zu vereinzelten bukolischen Elementen im BC vgl. auch zu 261–262. citri: Tische aus dem Holz des nordafrikanischen Zitrusbaums waren in Rom wegen ihrer interessanten Maserung und ihrer harten, fleckenabweisenden Oberfläche (Plin. nat. 13,99) außerordentlich beliebt. Für besonders schöne Exemplare wurden enorme Summen erzielt. Nach Plinius, der in nat. 13,91–94 eine Rangliste der größten und teuersten Tische gibt, sollen römische Ehefrauen immer dann, wenn sie von ihren Männern wegen ihrer kostspieligen Perlen kritisiert wurden, den unzufriedenen Gatten deren Leidenschaft für Zitrustische vorgehalten haben (92). So hat Cicero angeblich 500000 Sesterzen für einen einzigen solchen Tisch ausgegeben. Seneca soll gar 500 derartiger Kostbarkeiten angehäuft haben (Cass. Dio 61,10,3). Kleopatra hat nach Lucan diese Tische noch mit Elfenbeinbeinen verziert; vgl. Lucan. 10,144. Zur Wertschätzung des Zitrusbaums in Rom vgl. OLCK 1899; MEIGGS 1984, 286–291. 429: Die Kritik erfolgt erst im nächsten Vers. Darüber, daß eine Entwaldung ohne sofortige Wiederaufforstung wegen der einsetzenden Bodenerosion häufig irreparabel ist, war man sich in der Antike nicht im klaren. Nur vereinzelt und ohne daß man sich der Schwere des Problems bewußt gewesen wäre, notieren antike Schriftsteller die Folgen des Kahlschlags; vgl. die spärlichen Zeugnisse bei MEIGGS 1984, 371–403. Zu den Ansätzen eines Umweltbewußtseins in der Antike vgl. FEDELI 1989. in nemus ignotum: Unbekannt ist der Hain natürlich nur aus der Sicht der römischen Eindringlinge. Die Junktur nemus ignotum hat Lucan der Actaeon-Episode der Metamorphosen Ovids entnommen; vgl. Ov. met. 3,175–176: per nemus ignotum non certis passibus errans (sc. Actaeon) / pervenit in lucum. Die sprachliche Reminiszenz ist durch eine inhaltliche Assoziation („Bäumefällen“) vermittelt. 430. mensasque: die Pointe. Übertriebener Aufwand für Speisen und Tafelgeschirr wird häufig von römischen Schriftstellern kritisiert; es ist aber vollends eine Perversion, wenn auch noch die Eßtische aus fernen Ländern importiert werden. Zur Polemik gegen Tafelluxus vgl. Sall. Catil.
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13,3; Hor. sat. 2,4,47–75; Manil. 5,291–292: triclinia templis / concertant, tectique auro iam vescimur auro; Sen. dial. 1,3,6; 12,10,2; epist. 89,22; 110,13. Vom stoischen Standpunkt, der verwirft, was die natürliche Bedürfnisbefriedigung überschreitet, gibt Lucan eine polemische Darstellung des luxuriösen Mahls, mit dem Kleopatra Caesar bewirtet; vgl. 10,136–158; bes. 155–158 (mit SCHMIDT): infudere epulas auro, quod terra, quod aer, / quod pelagus Nilusque dedit, quod luxus inani / ambitione furens toto quaesivit in orbe / non mandante fame. Die dem Verdursten nahen Pompeianer, die direkt aus dem Fluß trinken, sind ein Exemplum stoischen Verhaltens; vgl. 4,373–381: o prodiga rerum / luxuries numquam parvo contenta paratis / et quaesitorum terra pelagoque ciborum / ambitiosa fames et lautae gloria mensae, / discite, quam parvo liceat producere vitam / et quantum natura petat. non erigit aegros / nobilis ignoto diffusus consule Bacchus, / non auro murraque bibunt, sed gurgite puro / vita redit, satis est populis fluviusque Ceresque. Zu diesem Thema bei Lucan vgl. auch 1,163–164; 2,384 und BONNER 1966, 271–273. Zum Thema „Tafelluxus“ vgl. besonders die Senatsdiskussion, die Tacitus (ann. 3,52–55) wiedergibt. 431–444: Seine Darstellung des östlichen Nordafrikas beschränkt Lucan auf zwei besondere Aufmerksamkeit erregende Aspekte, die große Trockenheit und die räuberischen Bewohner. Weil Nordostafrika im Süden an die verbrannte Zone grenzt, ist es aufgrund der großen Hitze nahezu vollständig unfruchtbar (431–437; 7 Verse). Es gedeihen allein spärliche Kräuter, von denen sich das bedürfnislose Volk der Nasamonen ernährt. Besonders bemerkenswert ist dieses Volk jedoch aufgrund eines paradoxen Sachverhalts: Ohne selbst zur See zu fahren, treibt es gewissermaßen mit der ganzen Welt Handel. Es plündert die Schiffe aus, die in den Syrten scheitern (438–444; 7 Verse). 431. quaecumque vagam Syrtim complectitur ora: „der gesamte Küstenstreifen, der die flüchtige Syrte umschließt“. Metaphorisches complecti im geographischen Sinn ist dichterisch selten; vgl. ThLL III 2084,1–67 (JACHMANN). In dieser Bedeutung verwendet es Lucan nur hier; complectitur und vagam gehören in denselben Bildzusammenhang: Die breite Einbuchtung der nordafrikanischen Küste zwischen Kap Bon und Benghazi umfängt (complectitur) die kleine wie die große Syrte, die durch die Gezeitenwirkung ständig ihre äußere Gestalt verändern (vgl. 303–318; vagam) und sich so gleichsam der „Umarmung“ des Festlands zu entziehen trachten.
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432. sub nimio proiecta die: „hingestreckt unter der überheißen Sonne“. Metonymisches dies für sol gebraucht Lucan auch in 1,558; 2,513; 3,444; 4,129; 9,462. 905. Dieselbe Verwendung begegnet sehr häufig bei Seneca tragicus; vgl. ThLL V 1,2084,1–67 (PFLUGBEIL). 432–433. vicina perusti / aetheris: „benachbart der verbrannten Ätherzone“. Nordafrika liegt an der südlichen Grenze der gemäßigten Zone; daran schließt die nach antiker Vorstellung wegen der großen Hitze unbewohnbare äquatoriale zona exusta. Zur antiken Lehre von den Klimazonen bei Lucan vgl. zu 314. 341–342. Perusti aetheris steht hier für „zona ab aethere exusta“; vgl. 314: aequora (…) zonae vicina perustae. 433–434. et pulvere Bacchum / enecat: „und erstickt Bacchus, den Spender des Weins, im Sand“. Das drastische Bild läßt sich im Deutschen nur unvollkommen nachahmen. Wie in 431 (vagam Syrtim complectitur) kombiniert Lucan hier zwei für sich genommen gängige übertragene Ausdrucksweisen (Bacchus; enecare) in einem gemeinsamen Kontext und läßt so ein neuartiges Bild entstehen. Zu Bacchus für vitis vgl. Verg. georg. 2,113; Manil. 5,228; zu enecare in landwirtschaftlichen Sinn („ersticken“; „nicht aufwachsen lassen“) vgl. Colum. 2,9,9. 10. 11,1; Plin. nat. 17,150. 203; 18,127. 155. 435–437: Der östliche Teil Nordafrikas wird von Lucan als Bereich dargestellt, der scheinbar außerhalb der göttlichen Fürsorge liegt; vgl. zu 301–302. 435. temperies vitalis abest: „es fehlt das lebenserhaltende Mischklima“. Eines der Kernstücke der stoischen Kosmologie ist die Temperatio-Lehre. Sie besagt, daß die göttliche Vorsehung die Welt zum Wohl von Pflanzen, Tieren und Menschen eingerichtet hat, indem sie die vier Elemente (Feuer/Äther; Luft; Erde; Wasser) bzw. die auf ihnen beruhenden Gegebenheiten und Kräfte der Natur (Winde; Hitze; Kälte; Meere; Flüsse; Regen; Festländer usw.) in ein harmonisches Gleichgewicht gebracht hat, das organisches Leben ermöglicht. In Libyen ist dieses Gleichgewicht durch das Übermaß an Sonneneinstrahlung und dem Fehlen des kühlen Wassers gestört; Leben ist nahezu unmöglich. Für weitere Bezugnahmen auf die Temperatio-Lehre bei Lucan vgl. 1,647; 4,104–109; 9,377; 10,207; 230–239 und SCHOTES 1969, 15–16. 26–46.
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Ausführlichste Quelle für die teleologische Naturbetrachtung der Stoiker in der lateinischen Literatur ist Cic. nat. deor. 2. Auch Seneca nimmt häufig auf diese Lehre Bezug; als ein Beispiel für viele vgl. benef. 4,23,1: num dubium est, quin hoc humani generis domicilium circumitus solis ac lunae vicibus suis temperat? quin alterius calore alantur corpora, terrae relaxentur, immodici umores comprimantur, adligantis omnia hiemis tristitia frangantur, alterius tepore efficaci et penetrabili regatur maturitas frugum? quin ad huius cursum fecunditas humana respondeat? quin ille annum observabilem fecerit circumactu suo, haec mensem minoribus se spatiis flectens. 435–436. et nulla sub illa / cura Iovis terra est: „‚there is no Jove-sent provision under the soil‘, i.e. springs of water etc. fed by rains from heaven“ (HASKINS z.St.). Iuppiter ist hier der Wettergott, der für Niederschläge und das Klima überhaupt verantwortlich ist; vgl. auch 10,207 (sub Iove temperies et numquam turbidus aer), wo allerdings in einem astrologischen Kontext die Funktionen der Gottheit auf den Planeten Iuppiter übertragen sind. Der Satz ist eine Explikation des vorhergehenden. Der Wassermangel ist dafür verantwortlich, daß das zum Pflanzenwachstum notwendige Mischungsverhältnis von Erde, Wärme (Feuer/Äther), Luft und Wasser (temperies vitalis) in Libyen gestört ist; vgl. zu 183–184. Die Formulierung ist bewußt irreführend; man konstruiert beinahe automatisch: „terra illa sub nulla cura Iovis est“. Erst die Überprüfung der Quantitäten klärt die Syntax. Durch dieses Verwirrspiel zwingt Lucan den Leser, den Text selbständig zu durchdenken und sich den beschriebenen Sachverhalt zu vergegenwärtigen. Zu dieser stilistischen Eigentümlichkeit vgl. zu 369. 436–437. natura deside torpet / orbis et immotis annum non sentit harenis: „der Landstrich liegt starr da, weil die Natur untätig ist, regungslos sind seine Sanddünen, und er spürt nicht den Wechsel der Jahreszeiten“. Wie in der Unterwelt herrscht im östlichen Teil Nordafrikas völlige Starre. Vgl. die hier von Lucan vermutlich adaptierte Beschreibung des Totenreichs bei Sen. Herc. f. 701–706: sterilis profundi vastitas squalet soli / et foeda tellus torpet aeterno situ. / rerumque maestus finis et mundi ultima (versum delevit Z WIERLEIN secutus WAKEFIELD) / immotus aer haeret et pigro sedet / nox atra mundo: cuncta maerore horrida / ipsaque morte peior est mortis locus und zu 580.
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436. torpet: Für die stoische Naturwissenschaft ist das Starrsein einer Landschaft deshalb so bedrohlich, weil die lebensnotwendige Durchmischung der Elemente (temperatio) Bewegung erfordert. Stehen Luft oder Wasser still, verderben sie; vgl. Sen. nat. 3,16,5; 6,27,2. Die Winde sind von der Vorsehung u.a. deshalb geschaffen, um eine heilsame Luftzirkulation zu bewirken; vgl. Sen. nat. 5,18,2–3. Lucan macht von dem Schreckbild einer erstarrten Natur mehrfach Gebrauch. Er schildert die bedrohliche Atmosphäre einer Windstille (5,432–453), einen Stillstand der gesamten Welt durch Hexenzauber (6,641–645) und die Gefahr, daß der Blick der Medusa Himmel und Erde versteinert (9,647–648). Vgl. dazu LOUPIAC 1991, 250–254 und zu 580. 438–440: Ebenso wie in 426–428 wählt Lucan einen gleitenden Übergang von den geophysikalischen Gegebenheiten und der Vegetation der beschriebenen Region zu ihren Bewohnern. 438. exerit: mit Pflanzen als Objekt zuerst in Sen. epist. 124,11, wo das Keimen der Pflanzen Thema ist und Seneca um eine möglichst präzise und anschauliche Beschreibung des Vorgangs bemüht ist: aliquod arboris bonum vinum est: hoc non est in prima fronde quae emissa cum maxime solum rumpit. est aliquid bonum tritici: hoc nondum est in herba lactente nec folliculo se exerit spica mollis, sed cum frumentum aestas et debita muturitas coxit. Vgl. ThLL V 2,1856,44–69 (OELLACHER). 439. quas … legit: In der Absicht, die Nasamonen als ein exotisches Naturvolk zu schildern, übertreibt Lucan hier ihre Bedürfnislosigkeit. In Wahrheit lebten sie nomadisierend von der Viehzucht; in Oasen züchteten sie Datteln (vgl. nächste Anmerkung). Nasamon, gens dura: Die Nasamonen lebten als Nomaden im Hinterland der großen Syrte; das zuerst von Herodot (2,32. 172–173) erwähnte Volk war in der Antike für die Gewohnheit berüchtigt, seine Einkünfte durch Seeräuberei aufzubessern. Sie überfielen Handelsschiffe, die in den Syrten von der Ebbe überrascht auf Grund gelaufen waren, und plünderten sie aus. Erst unter Domitian wurden sie durch eine Strafexpedition befriedet. Vgl. zu den Nasamonen W INDBERG 1935; ROMANELLI 1959, 301–305. Durus ist ein stehendes Beiwort von allen Naturvölkern wie Iberern (2,629; 6,258), Kappadokern (3,244) und Alanen (8,223). Ebenso wie die Menschen der Vorzeit (Lucr. 5,926) sind sie noch nicht durch die Folgen
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der Zivilisation verweichlicht. Die einfache und abgehärtete Lebensweise der Völker außerhalb der römisch-griechischen und altorientalischen Zivilisationen ist ein Topos der Ethnographie; vgl. VISCHER 1965, 97–125 und zu 426–430. 427. Die Darstellung wird dabei häufig mehr von Projektionen und dem Wunsch, der eigenen Kultur eine unverdorbene und moralisch höherstehende Kultur gegenüberzustellen, als von Beobachtung bestimmt. Anhand einer Episode aus den Dialogi (1,3–5) des Sulpicius Severus lassen sich die Unterschiede in paganer und christlicher Betrachtungsweise von fremden Völkern aufzeigen. Sulpicius erzählt, wie er auf einer Reise von Karthago nach Jerusalem im Gebiet der großen Syrte an Land gehen mußte. Er und seine Gefährten stoßen dort auf einen Nasamonen, der sie in seine ärmliche Hütte aufnimmt und nach Maßgabe seiner bescheidenen Mittel bewirtet. Nachdem sich herausgestellt hat, daß auch er Christ ist, feiert der Gastgeber mit seinen Gästen und den übrigen Gemeindemitgliedern einen gemeinsamen Gottesdienst. Über die Andacht, mit der die Messe begangen wird, und über den Umstand, daß ihnen der Wirt aus christlicher Bescheidenheit bei ihrer Ankunft verschwiegen hatte, daß er selbst Priester dieser Gemeinde sei, ist Sulpicius voll des Lobes. Aus dem bizarren Volk von Strandpiraten (Nasamon nudus; gens dura) sind bei Sulpicius christliche Brüder geworden. 440. nudus: Die Nasamonen waren ebensowenig wie die Garamanten (4,334) nackt; vgl. zu ihrer Bekleidung WINDBERG 1935, 1777. Nacktheit gehört zur Topik der natürlichen Lebensweise. 440–441. quem mundi barbara damnis / Syrtis alit: „sie ernährt die fremdartige Syrte durch die Schiffbrüche der Welt“. Barbara begegnet seit Hor. carm. 2,6,3 als Beiwort der Syrte; vgl. Dirae 53; Lucan. 10,477. 441–444: Lucan dürfte hier auf ethnographisches Handbuchwissen zurückgegriffen haben, wie es etwa auch in Curt. 4,7,19 vorliegt: A septentrione Nasamones sunt, gens Syrtica, navigiorum spoliis quaestuosa; quippe obsident litora et aestu destituta navigia notis sibi vadis occupant. Es ist offensichtlich, wie Lucan den wohl bereits in der Vorlage gegebenen paradoxen Sachverhalt (navigiorum spoliis quaestuosa) ausbaut und die Auflösung (444: naufragiis) so weit wie möglich hinauszögert.
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441–442. nam litoreis populator harenis / imminet: paradox formuliert: als ob der Nasamone darauf lauert, im Sand wühlen zu können. Gemeinsam mit der nachfolgenden Paradoxie (nulla portus tangente carina / novit opes) wird die Neugier des Lesers auf die nachfolgende Erklärung (naufragiis) geweckt. Vgl. auch zu 296. Populator ist in der Prosa seit Livius (2,39,5; 3,68,13) geläufig, in der Poesie findet es sich vor Lucan nur Ciris 111; Ov. met. 12,593 (mit BÖMER z.St.); 13,665; Epiced. Drusi 433; Sen. Ag. 832; Tro. 26. Lucan hat als historisch-naturwissenschaftlicher Dichter keine Scheu vor unpoetischen Wörtern. 443–444: Es gehört zur ethnographischen Topik, festzuhalten, inwieweit ein Volk durch Handel mit seinen Nachbarn in Kontakt steht und so mit den (meist ambivalent beurteilten) Errungenschaften der Zivilisation in Berührung kommt; vgl. z.B. Caes. Gall. 1,3; 6,24,6; Mela 2,10; Tac. Germ. 5,3; 17,1.
2.11. Sandsturm (9,444–492) 444–492: In seiner unnachgiebigen Tugendhaftigkeit zögert Cato nicht, das gefahrvolle Afrika zu durchziehen (444–447). In der Wüste erleben Catos Soldaten, die mit Mühe dem Unwetter in den Syrten entronnen sind, daß ein Sandsturm noch gefährlicher ist als ein Orkan auf dem Meer. Es gibt in der Wüste weder Bäume noch Berge, die die Gewalt eines Sturms brechen könnten. Ungehindert kann ein Wirbelsturm Häuser zerstören und deren Trümmer mit sich führen. Die Gewalt des Windes gleicht der des Feuers. Der emporgewirbelte Sand erreicht die Höhe einer Rauchsäule (447–462). In ein solches Unwetter geraten Catos Soldaten. Sie finden keinen festen Halt, da der Sand überall davongetragen wird. Der Sturm ist so stark, daß er sogar ein Erdbeben verursacht hätte, hätte ihm Afrika einen festen Angriffspunkt geboten (463–471). Die Waffen der Soldaten werden davongeweht. Vielleicht wiederholt sich die kuriose Begebenheit, die sich unter der Regentschaft des Numa in Rom zugetragen hat. Damals waren Schilde, die Soldaten eines unbekannten Volks vom einem Sturm entrissen wurden, in Rom zu Boden gefallen und wurden als göttliche Vorzeichen verehrt (471–480). Die Soldaten, die sich auf die Erde werfen und im Sand festkrallen, um nicht davongetragen zu werden, werden mit Sand überschüttet. Gelingt es ihnen, sich aufzurichten, werden sie vom sich auftürmenden Sand eingeschlossen und lebendig begraben (481–489). Der Sturm trägt Mauersteine davon und läßt sie im
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Gebiet von Nomaden niederfallen. Sie, die Häuser nicht kennen, sehen plötzlich Trümmer von Häusern (490–492). Die fiktive Szene ist von Lucan in Korrespondenz zum Syrtensturm (319–347) gestaltet worden. Während sich die Syrten als unpassierbar erweisen, trotzen Cato und seine Soldaten dieses Mal den Unbilden der Natur und lassen sich nicht von der eingeschlagenen Route abbringen. Der Sandsturm hat die Funktion einer Initiation; die Soldaten überwinden die Gefahr und treten so in die lebensfeindliche Wüste ein, in der sie für die Dauer ihres Marsches Hitze, Durst und giftigen Schlangen ausgesetzt sein werden. Die Idee, Catos Afrikamarsch mit Syrten- und Sandsturm zu beginnen, dürfte Lucan der Literatur über Afrika entnommen haben, die in Verbindung mit dem Hinweis auf die gefährlichen Stürme in den Syrten regelmäßig auf die nicht minder bedrohlichen Sandstürme in deren Hinterland aufmerksam macht, vgl. Sall. Iug. 79,1–4. 6 und den älteres Traditionsgut repräsentierenden Solinus (2,39). Die Ausgestaltung im einzelnen ist Senecas Naturales Quaestiones und, wie wörtliche Reminiszenzen zeigen (vgl. bes. 473), vor allem Lukrez verpflichtet; zu Lucans Anteil an der inventio vgl. zu 481–489 und 490–492. Der Bezug auf die Naturwissenschaft zeigt, daß Lucan trotz seiner Vorliebe für bizarre und paradoxe Phänomene stets bemüht ist, innerhalb des Bereichs des rational Erklärbaren zu bleiben; vgl. zu 526–527. Die Beschreibung der merkwürdigen Effekte, die sich ergeben, als der Sturm auf Catos Heer trifft, wird durch die vorangehende Ekphrasis (447–462), die die Wirkung von Wirbelstürmen in der Wüste erläutert, als glaubwürdig abgesichert. 444–447: eine doppelte Überschrift: Die vorangegangene Ekphrasis Afrikas gibt die notwendigen Informationen zum Verständnis und der Beurteilung des gesamten Wüstenmarsches. Die Verse 444–445 fordern im historischen Präsens (hic; iubet) den Leser auf, sich das Pflichtbewußtsein und die Tapferkeit Catos zu vergegenwärtigen, der es wagt, in diese menschenfeindliche Region vorzudringen. Sie überschreiben die gesamte folgende Darstellung des Wüstenmarsches (444–949). Die Verse 445–447 leiten dagegen im konstatierenden Perfekt (illic; est passa) zur unmittelbar folgenden Sandsturmepisode über (445–492). 445. dura … virtus: zur Personifikation vgl. zu 302. 446–447. nullasque timens tellure procellas / aequoreos est passa metus: „und obwohl sie meinten auf dem Land keine Stürme fürchten zu
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müssen, haben sie Momente der Angst ertragen, wie man sie sonst nur vom Meer her kennt“. Die paradoxe Einleitung weckt die Neugier des Lesers auf die folgenden Erläuterungen. Die scheinbaren Gegensätze Wüste und Meer weisen bei näherer Betrachtung zahlreiche Ähnlichkeiten auf (menschenleere Einöde; wellenförmige Oberfläche; Abwesenheit von Trinkwasser; keine Orientierungspunkte außer den Sternen [vgl. 493–495]; vgl. auch die moderne Metapher „Wüstenschiff“ für Kamel). Ein Vergleich mit Curtius (4,7,11–12) und Mela (1,39: in eaque [sc. Cyrenaica] sunt (…) rupes quaedam austro sacra. haec cum hominum manu attingitur, ille immodicus exurgit harenasque quasi maria agens sic saevit ut fluctibus) zeigt, daß der Vergleich mit dem Meer zur festen Topik der Wüstenbeschreibung gehört hat. Aequoreus wurde von den Neoterikern analog zum griechischen efinaleow gebildet; vgl. KROLL zu Catull. 64,15: aequoreae monstrum Nereides admirantes. In der Poesie ist das Adjektiv seit Ovid (46 Belege) häufig. 447–448. nam litore sicco, / quam pelago, Syrtis violentius excipit Austrum: „denn heftiger als auf dem Meer (eigtl. instrumental) empfängt die Syrte den Südwind an der trockenen Küste“. Violentus ist eines der Schlüsselworte der Sandsturmepisode (456; 463; 472); es wird gewöhnlich vom Wind selbst gesagt; vgl. 2,617; 5,611. 717; 7,125. Hinter dem unüblichen adverbialen Gebrauch steht die zutreffende und in 449–462 begründete Erkenntnis, daß es nicht die Windgeschwindigkeit allein ist, die die violentia eines Sturms bestimmt. Die jeweilige Bodenformation trägt maßgeblich dazu bei, inwieweit sich ein Sturm entfalten kann und für den Menschen eine Bedrohung darstellt. Der Vergleich zwischen See- und Sandsturm ist zugleich ein Hinweis für den Leser, daß er im folgenden eine Überbietung des Syrtensturms (319–347) zu erwarten hat. Excipere von Winden ist in Prosa und Poesie üblich; vgl. Caes. Gall. 3,13,1; 4,17,9; Hor. carm. 2,15,16; Liv. 21,27,8; Val. Max. 3,8,4; Sen. Ag. 408; Lucan. 2,618; 6,339; ThLL V 2,1255,39–45 (REHM). 449. et terrae magis ille nocens: „und schädlicher ist er auf der Erde“. Es ist umstritten, ob terrae als Dativ (DUFF ; EHLERS , BADALÌ ) oder als Lokativ (BOURGERY/PONCHONT/JAL; SHACKLETON BAILEY im App. z.St.; LUCK; BRAUND) zu verstehen ist. Sprachlich ist beides möglich (vgl. K/ST 1,484–485; LHS 149–150), aus inhaltlichen Gründen verdient die lokale Auffassung den Vorzug. Der mit nam eingeleitete Satz bezieht sich zurück auf aequoreos (…) metus (447) und begründet, warum sich die Sol-
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daten zu Lande vor einem Sturm fürchten mußten. Zu nocens ist also im Gedanken homini o.ä. zu ergänzen. 449–462: Bevor Lucan schildert, wie es den römischen Soldaten im Taifun ergeht, begründet er, warum Wirbelstürme in Afrika besondere Kraft entfalten (Fehlen von windbrechenden Hindernissen), und beschreibt Erscheinungsform (die Sandsäule reicht so hoch wie aufsteigender Rauch) und Wirkung des Sturms (Forttragen von Häusern). Die Abfolge von naturwissenschaftlicher Ekphrasis und darauf zurückgreifende Fortführung der Handlung begegnet häufig im neunten Buch; vgl. 303–318 (Beschreibung der Syrten)/319–347 (Syrtensturm); 411–444 (Beschreibung Afrikas)/444–949 (Wüstenmarsch); 511–543 (Beschreibung der Oase Siwah)/544–604 (Ereignisse am Ammonsorakel); 612–733 (Entstehung und Gefährlichkeit afrikanischer Schlangen)/734–889 (Kampf mit den Schlangen); 890–908 (Lebensweise und Fähigkeiten der Psyller)/904–937 (Rettung durch Eingreifen der Psyller). Damit der Leser die eigenartigen Vorgänge, die sich auf dem Marsch abspielen, würdigen kann, ist es notwendig, ihn vorab über Menschen, Flora und Fauna und Topographie des nahezu unbekannten Kontinents zu informieren. Die vorangestellten erklärenden Passagen entlasten die nachfolgenden erzählerischen Abschnitte vom Ballast sachlicher Erklärungen. Kenntnisse über Wirbelstürme konnte Lucan der geographischen Literatur über Afrika (vgl. zu 444–492) sowie Lukrez (1,271–276. 290–294; 6,423–450) und Seneca (nat. 5,13,1–3; 7,5,1–3. 8–10) entnehmen. Auch wenn direkte Benutzung der angeführten Passagen nicht nachgewiesen werden kann, ist doch Lucans Ekphrasis ein deutlicher Bezug auf eine rationale wissenschaftliche Tradition, wie sie von den genannten Autoren ungeachtet ihrer im Einzelnen differierenden Auffassungen repräsentiert wird. Wirbelstürme werden in der antiken Literatur seit Hesiod. theog. 869–880 erwähnt; zu antiken Erklärungen vgl. BÖKER 1958, 2322–2323. In der epischen Tradition vor Lucan wird mit Ausnahme von Ov. met. 6,310–312 (Niobe wird von einem Wirbelsturm davongetragen) das Motiv „Wirbelsturm“ nicht verwendet; Lucan hat es hier in die Gattung eingeführt. 449–451: „wenn ein Wind entstanden ist, bricht Afrika ihn nicht an einer Barriere aus Bergen, es zerstreut ihn nicht, zurückgeworfen von Felsen, und löst ihn nicht aus einem Wirbelsturm zu einer heiteren Brise auf“. Vorbild für die Formulierung ist Vitr. 1,6,8: quas ob res convertendae sunt ab
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regionibus ventorum derectiones vicorum, uti advenientes ad angulos insularum frangantur repulsique dissipentur. Frangere und dissipare werden mit Wind als Objekt vor Lucan nur von Vitruv an der angeführten Stelle gebraucht; vgl. ThLL VI 1,1245,51–54 (BACHERLER ); ThLL V 1,1489,18–39 (HEY ). Repellere mit Wind als Objekt findet sich außer bei Vitruv und Lucan sonst nur bei Lucr. 6,571 und Sen. nat. 5,2,1 (Referat der atomistischen Windtheorie Demokrits). Zu Bergen als Hemmnisse für Wirbelsturmentstehung vgl. Lucr. 6,448–450: sed quia fit raro omnino (sc. der Wirbelsturm) montisque necessest / officere in terris, appparet crebrius idem / prospectu maris in magno caeloque patenti. 449. non montibus ortum: Das Enjambement insinuiert die (falsche) Beziehung von montibus als Abl. sep. auf ortum („nicht auf den Bergen entstanden“); erst mit dem folgenden Vers wird die verschlungene Konstruktion klar. Lucan liebt es, den Leser auf diese Weise zu überraschen; vgl. z.B. 190–191: „civis obit“ inquit „multum maioribus impar / nosse modum iuris“; 781–782: calido non ocius Austro / nix resoluta cadit und zu 369. 451. liquidas … in auras: Die Junktur ist vorher nur bei Lucr. 5,212: sponte sua nequeat liquidas exsistere in auras und Ov. Pont. 3,2,61: sceptra tenente illo liquidas fecisse per auras / nescioquam dicunt Iphigeniam iter belegt; nach Lucan: Sil. 2,91; 13,238; Stat. silv. 1,3,90. Vgl. ThLL II 1478,29–30 (HEY). 452–453. nec ruit in silvas annosaque robora torquens / lassatur: „noch fährt der Wind in Wälder und erschöpft sich, indem er bejahrte Eichen niederbeugt“. Mit Recht erklärt Lucan die besondere Gewalt der Wüstenstürme aus dem Fehlen von Hindernissen. Es ist merkwürdig, daß Lucan in 3,362–365 (fälschlich) behauptet, der Wind verlöre seine Kraft, sofern er nicht auf Hindernisse stößt, an denen er sich austoben kann: ventus ut amittet vires, nisi robore densae / occurrunt silvae, spatio diffusus inani, / utque perit magnus nullis obstantibus ignis, / sic hostes mihi desse nocet. Weil ohne Dinge, die ihm im Weg stehen, die Kraft des Winds keine sichtbare Wirkung hervorbringt, schließt Lucan in diesem Zusammenhang darauf, daß er auch schwächer wird und sich in einer freien Ebene verliert. Die unzutreffende Behauptung erklärt sich aus der Aussageabsicht des Gleichnisses (Illustration von Caesars unbändigem Kampfeswillen) und der Parallelisierung mit dem Feuer, das in der Tat erlischt, sofern der Brennstoff ausgeht. Ungeachtet dessen, daß die Aussagen widersprüchlich sind, lassen beide Stellen das Bemühen Lucans erkennen, im
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Rahmen von Naturschilderungen Kausalitäten herauszuarbeiten und sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu orientieren. Mit dem Lukrezanklang spatio diffusus inani (3,363; vgl. zu 473) stellt er den Bezug auf die Lehrdichtung heraus; zu Lucans Rezeption der Naturwissenschaft vgl. auch zu 457. Das Motiv der bejahrten Eiche (annosa quercus / annosum robur), die vom Sturm gebeugt, aber nicht gebrochen wird, geht auf Vergil zurück, der in einem Baumgleichnis Aeneas’ unerschütterliches Festhalten am göttlichen Befehl, Karthago zu verlassen, illustriert; vgl. Aen. 4,441–449: ac velut annoso validam cum robore quercum / Alpini Boreae nunc hinc nunc flatibus illinc / eruere inter se certant; (…) haud secus adsiduis hinc atque hinc vocibus heros / tunditur, et magno persentit pectore curas; / mens immota manet, lacrimae volvuntur inanes. Lucan knüpft hier an eine Kette jeweils leicht modifizierender Nachahmungen an; vgl. Verg. Aen. 10,766; Ov. met. 8,743; 12,357. 799; Sen. Ag. 95; Oed. 727. Der Baum (Zweig/Wald), der sich unter der Gewalt des Sturms beugt, begegnet als Element poetischer Naturbeschreibungen auch in vielen anderen Variationen; vgl. z.B. Verg. georg. 1,334. 460; 2,310; 3,199–200.; Aen. 6,209; 12,684–685; Lucan. 1,135–143. 390–391; 3,408–409; 6,389–390. 692. 453. lassatur: Lassare wird von keinem anderen Autor so oft mit Gegenständen der Natur als Subjekt verwendet; vgl. 5,703. 446. 621; 6,265; ThLL VII 2,2,990,4–18 (RAVENNA). Der vereinzelte Gebrauch bei anderen Autoren des ersten nachchristlichen Jahrhunderts (Ov. am. 2,10,33; Manil. 4,855; Sen. epist. 52,5; (Ps.-)Sen. Herc. O. 47; Plin. nat. 6,34; Val. Fl. 6,174) zeigt, daß Lucan hier auf eine in rhetorisch-deklamatorischen Texten dieser Zeit übliche Personifikation der Natur zurückgreift. Für ihn besaß das Verb lassare jedoch besondere Anziehungskraft, weil es gut zu seinem düster-pessimistischen Bild von einer erschöpften Natur paßt, die zunehmend dem Chaos anheimfällt. meatu: Von der Bahn des Windes findet sich meatus vor Lucan nur in Lucr. 6,300–301: fit quoque ut interdum venit vis missa sine igni / igniscat tamen in spatio longoque meatu; nach Lucan: Claud. rapt. Pros. 1,174; 2,74; Mar. Victor. aleth. 1,245. Vgl. ThLL VIII 512,64–67 (BRANDT). 454. Aeoliam rabiem totis exercet harenis: „er tobt seine im Kerker des Äolus aufgestaute Wut in der ganzen Wüste aus“. Die Winde stellte man sich von Natur aus als zornig vor; um sie zu zügeln, bannte sie Zeus in eine Höhle und setzte über sie den König Äolus ein; vgl. Verg. Aen.
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1,52–56: hic vasto rex Aeolus antro / luctantis ventos tempestatesque sonoras / imperio premit ac vinclis et carcere frenat. / illi indignantes magno cum murmure montis / circum claustra fremunt; celsa sedet Aeolus arce / sceptra tenens mollitque animos et temperat iras. / ni faciat, maria ac terras caelumque profundum / quippe ferant rapidi secum verrantque per auras; Lucan. 5,608–610: non Euri cessasse minas, non imbribus atrum / Aeolii iacuisse Notum sub carcere saxi / crediderim. Hier, in 2,457 und in der zitierten Stelle im fünften Buch wählt Lucan das mythologische Adjektiv, um den Bezug auf die Tradition epischer Sturmschilderungen herzustellen (Hom. Od. 10,1–75; Verg. Aen. 1,50–156). Ist die Assoziation beim Leser erfolgt, bedarf es nicht mehr vieler Worte, um die Gewalt des Sturmes zu schildern. Der Vers ist von Silius (9,524–526) adaptiert worden: quae dum Romuleis exercet proelia turmis / Aeolius furor et Martem succendit in iras / affatur Virgo socia Iunonem parentem. 455. non imbriferam contorto pulvere nubem: „eine Wolke aus zusammengewirbeltem Staub, die keinen Regen bringt“. Durch Hinzufügung von non imbriferam macht Lucan aus einer gewöhnlichen Staubwolke ein paradoxes Naturphänomen. Imbrifer ist von Vergil (georg. 1,313) analog zum Griechischen ÙmbrofÒrow gebildet worden. Der Neologismus wurde übernommen von Tib. 1,4,44; Ov. met. 13,725; Colum. 5,5,4; 7,6,4; Sen. Oed. 315; Phaedr. 1131; Lucan. 8,852. Vgl. ThLL VII 1,426,63–78 (EHLERS). 456. in flexum violentus agit: „heftig stürmend treibt er sie zu einem Wirbel“. Flexus im Sinn von „Kreis“ ist eine von Lucan vorgenommene Bedeutungserweiterung; vgl. ThLL VI 1,911,19–23 (KLEE ). Anders als z.B. circulus bewahrt das Nomen die Dynamik des Vorgangs. 457. et numquam resoluto vertice pendet: „und ohne daß sich der Wirbel je auflöst, schwebt (die hochgeschleuderte Erde) in der Luft“. Sachlich ist dies offensichtlich Unfug. Seneca weist ausdrücklich darauf hin, daß wie alles Heftige auch Wirbelstürme nur eine kurze Lebensdauer haben; vgl. nat. 7,9,3: omnis violentia necesse est ipsa concitatione in exitum sui tendat. Nemo itaque turbinem toto die vidit, ne hora quidem; mira velocitas eius et mira brevitas est. Lucans merkwürdige Behauptung erklärt sich aus zwei Gründen: 1. Die grundsätzlich richtige Erkenntnis, daß Winde an Hindernissen gebrochen werden, wird von ihm unzulässig dahingehend verallgemeinert, daß sich Windhosen in Afrika aufgrund des Fehlens von Bäu-
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men und Bergen nicht wieder auflösen. 2. Das eigentliche Motiv jedoch, das ihn zu dieser unzutreffenden Überlegung veranlaßt hat, ist nicht naturwissenschaftlicher, sondern literarischer Art. Lucan ist bestrebt, die Wirbelsturmbeschreibung mit einem einprägsamen Bild von der Gewalt des Sturms abzuschließen. Dem Leser soll im Gedächtnis haften bleiben, wie die Häuser der Nasamonen und Garamanten durch die Luft schweben. Fügte man hinzu, daß sie irgendwann auch wieder auf die Erde stürzen, wäre dies eine ernüchternde Einordnung der außergewöhnlichen Naturerscheinung in den Bereich des Normalen. Anhand dieser Stelle läßt sich das Verhältnis von Wissenschaft und Poesie im BC bestimmen. Im Bemühen, sich von der von ihm als unwahrhaftig beurteilten mythologischen Epik abzugrenzen, rezipiert Lucan naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Soweit sich seine Quellen ermitteln lassen, handelt es sich dabei um Werke, die sich an ein weiteres Publikum richten, wie Lukrez’ De rerum natura und Senecas Naturales Quaestiones. Wie z.B. Vers 473 zeigt, wo stoische Naturwissenschaft mit epikureischem Atomismus kombiniert wird, erfolgt diese Rezeption undogmatisch und synkretistisch. Die Darstellung des übernommenen Materials richtet sich nach Lucans stilistischen Eigentümlichkeiten und den Gattungsgesetzen. Die Phänomene werden wie hier ins Riesenhafte gesteigert oder zum Paradox zugespitzt; traditionelle Motive erfahren eine naturwissenschaftliche Überformung (vgl. zu 452–453). Das Streben nach einer literarisch möglichst wirkungsvollen Adaption bringt es mit sich, daß Lucan über das bloße Referat hinausgeht und die rezipierten Theorien und Erklärungen selbständig in den jeweiligen Kontext einarbeitet, modifiziert und weiterdenkt. Obwohl ihm dabei zuweilen sachliche Fehler unterlaufen, die auch vom antiken Kenntnisstand als solche hätten erkannt werden können, ist er dennoch als rationaler Dichter anzusehen, der gleichzeitig versucht, den Forderungen der Gattungstradition des Epos wie dem Wahrheitsanspruch des Lehrdichters gerecht zu werden. Aus dem Umstand, daß bei Lucan nach der sachlichen Richtigkeit überhaupt gefragt werden kann, ergibt sich, daß im BC die Gattungsgrenze zum Mythos nicht überschritten wird. An die Stelle der mythologischen Gelehrsamkeit des poeta doctus alexandrinischer Prägung tritt bei Lucan die Naturwissenschaft. 458–459: Auch in 474–477 und 490–492 macht Lucan von dem Paradox Gebrauch, daß durch Wirbelstürme Leuten Gegenstände zu Gesicht kommen, die sie kaum vom Hörensagen kennen. Vgl. zu 490–492.
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459–460. volitantque a culmine raptae / detecto Garamante casae: „und es fliegen umher Häuser, die am Giebel fortgerissen wurden – aufgedeckt bleibt der Garamante zurück“. Die Nennung der Garamanten (vgl. zu 512) erfolgt für den Leser gänzlich unerwartet; sie waren in diesem Kontext noch nicht erwähnt worden. Lucan fängt so den Überraschungsmoment dieses verblüffenden Vorgangs ein. 460–462: Mit einem Vergleich aus dem Alltagsleben gibt Lucan dem Leser einen Eindruck von der außergewöhnlichen Höhe des Windwirbels. Der Taifun schleudert den Staub ebenso hoch, wie eine Rauchsäule zu steigen vermag. Aus Sen. nat. 7,8–10 geht hervor, daß es über die Höhe, die ein Wirbelsturm erreichen kann, in der antiken Naturwissenschaft eine rege Diskussion gab. Ausführlich spricht sich Seneca dort gegen die Kometentheorie des Epigenes aus, der behauptet, Kometen seien bis zu den Sternen aufgestiegene Wirbelstürme. Wirbelstürme halten nach Seneca nicht lange genug an, um eine solche Höhe zu erreichen; in der feurigen Ätherzone müßten sie ohnehin sofort zerfallen, da sie aus feuchten und trockenen Bestandteilen zusammengesetzt seien; überdies lehre die Erfahrung, daß sie stets nur bis zu den Wolken reichten. Angesichts dieser Überlegungen zur Höhe von Wirbelstürmen mutet Lucans Vergleich von Rauch- und Windsäule, der die gewaltige Höhe der Staubsäule verdeutlichen soll, auf den ersten Blick kraftlos an. Warum sagt er nicht, der Wirbelsturm reiche bis an die Wolken? Höhe und Ausmaß einer Rauchsäule sind bedingt durch die Größe des Brandherds, die Art des Brennmaterials und die Windverhältnisse; theoretisch lassen sich ungeheure Rauchmassen vorstellen, doch ist Rauch per se viel weniger eindrucksvoll als das Phänomen Wirbelsturm und also schlecht geeignet, dessen Kraft und Größe durch eine Gegenüberstellung vorstellbar zu machen. Es scheint, daß dieser Vergleich vor dem Hintergrund der antiken Lehre von den vier Elemente zu verstehen ist. Feuer gilt als das aktive, Bewegung hervorrufende, Leben schaffende oder auch zerstörende Element. Wenn Lucan formuliert (460–461): non altius ignis / rapta vehit, wird also ein für antike Denkgewohnheiten paradoxer Sachverhalt festgehalten: An Wirbelstürmen zeigt sich, daß Luft unter bestimmten Bedingungen dieselbe Kraft entfalten kann wie Feuer. 462. et violare diem: „und das Tageslicht zu schänden“. Violare ist Teil der Metaphorik des „Kampfs der Elemente“. Alle Naturkräfte (Wasser; Land; Licht; Dunkelheit usw.) werden von Lucan als im ständigen Kampf
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miteinander liegend dargestellt. Der Aufruhr der Natur bildet den beängstigenden Hintergrund für den Bürgerkrieg; vgl. zu 306 und 322. Das Motiv, den Rauch als Befleckung des Tageslichts anzusehen, ist ovidisch; vgl. met. 13,601: nigrique volumina fumi / infecere diem; trist. 4,2,4: turaque in igne sonent inficiatque diem; Sen. Tro. 392–393: ut calidis fumus ab ignibus / vanescit, spatium per breve sordidus. 463–489: Der Ekphrasis folgt die eigentliche Sturmbeschreibung. Wie in 319–347 (Syrtensturm) vermeidet Lucan hier die Nennung Catos, um ihn nicht hilflos in einer entwürdigenden Situation zeigen zu müssen. Das Unglück trifft eine anonyme Gruppe von Soldaten. 463. tum quoque: nimmt die in 447 unterbrochene Erzählung wieder auf. In der eben erklärten Weise fällt der Taifun nun über Catos Soldaten her. Das solito violentior baut die Spannung neu auf. Es wäre langweilig, wenn der tatsächliche Sturm nichts über die Theorie hinaus bieten würde. 464. aggreditur: Wie bei der Darstellung des Syrtensturms (vgl. zu 320–322. 369) bedient sich Lucan militärischer Metaphorik. Der Wirbelsturm greift die Soldaten an und versucht, sie aus seinem Reich zu vertreiben. 464–465. nullisque … / … raptis … harenis: Das Hyperbaton malt die Situation: Rings um die Soldaten wird der Sand vom Wirbelsturm in die Höhe gerissen. 466–471: Dem lockeren Wüstensand ist es zu verdanken, daß der Sturm nicht auch noch ein Erdbeben verursacht. Durch die Schilderung dessen, was beinahe geschehen wäre, veranschaulicht Lucan die gewaltigen Kräfte des Sturms. Zur Funktion von „Beinahe-Szenen“ in der antiken Epik vgl. NESSELRATH 1992. Lucan adaptiert hier die seit Aristoteles (meteor. 2,8) in der Antike dominierende pneumatische Erdbebentheorie, die die Erschütterungen der Erde auf das Rütteln der Winde zurückführte, die sich an festen Hindernissen (Berge; Höhlen) aufstauen. Diese Theorie war ihm und seinen Lesern vor allem aus Lukrez (6,557–607) und dem sechsten Buch der Naturales Quaestiones Senecas, der wichtigsten erhaltenen Quelle für die antike Seismologie, bekannt. Die pneumatische Erdbebentheorie verwendet Lucan auch in 3,459–461 (vgl. dazu HUNINK): cum tantum nutaret onus
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(sc. die riesigen Belagerungstürme), telluris inanes / concussisse sinus quaerentem erumpere ventum / credidit et muros mirata est stare iuventus. Zum Wissen der Römer über Erdbeben vgl. auch Aetna 146–174; Plin. nat. 2,191–206. Zur Entwicklung der antiken Seismologie vgl. CAPELLE 1924, 362–374. 467. solida … compage et pondere duro: Compages (von conpingere) kann jedes nach einem bestimmten Plan hergestellte Gefüge bezeichnen; vgl. 1,502 (Schiff); 3,491 (Mauer); 5,119 (menschl. Körper); 6,177 (menschl. Kopf). In naturwissenschaftlichen Texten wird es häufig vom vernunftgemäßen Bau der Erde und des Weltalls gebraucht; vgl. 1,72; 10,248. 265–267: quasdam (sc. aquas) compage sub ipsa („beim Schöpfungsakt“) / cum toto coepisse reor, quas ille creator / atque opifex rerum certo sub iure coercet; Sen. nat. 7,9,4. Die Vorstellung von der Welt als einem Gefüge eignet sich vorzüglich zur Verdeutlichung der Abläufe bei einem Beben; die Erschütterung der Erde gleicht einem Krachen im Gebälk; vgl. Manil. 4,828: concutitur tellus validis compagibus haerens; Sen. Oed. 580: tellus compage rupte sonuit; Sen. nat. 6,18,3: deinde, cum circa perlustravit omne quo tenebatur nec potuit evadere (sc. ventus), inde, quo maxime impactus est, resilit et aut per occulta dividitur ipso terrae motu raritate facta, aut per novum vulnus emicuit; ita eius non potest vis tanta cohiberi nec ventum tenet ulla compages. solvit enim quodcumque vinculum et onus omne fert secum infususque per minima laxamentum sibi parat et indomita naturae potentia liberat se, utique cum concitatus sibi ius suum vindicat. pondere duro: der Wüstensand erscheint deshalb „leicht“, weil er aus einzelnen Partikeln besteht und deshalb vom Wind davongetragen werden kann. Wäre dies nicht der Fall, hätte der Sturm ein Erdbeben verursacht. 468. clauderet exesis Austrum scopulosa cavernis: „felsenreich den Auster einschließen würde im ausgehöhlten Gestein“. Metaphorisches exedere ist eine von Lukrez geprägte Metapher, die über Vergil weitere Verbreitung gefunden hat (Lucr. 5,1253, Verg. georg. 4,44. 419; Aen. 8,418). Vor allem Seneca (dial. 5,35,5; epist. 90,7; Phoen. 72; Thy. 75 u.ö.) und Lucan (2,619; 3,226; 4,584; 5,514) haben den Sprachgebrauch aufgegriffen; die Metapher fügt sich gut zur Darstellungsabsicht, das ständige Widerspiel der Naturkräfte aufzuzeigen; vgl. ThLL V 2,316,29–63. 317,53–81 (KAPP/MEYER). Scopulosus ist in der Poesie vorher nur in Manil. 2,224 belegt; Lucan (auch 2,619; 5,652) hat es in die Dichtersprache eingeführt. Vgl. Val. Fl. 2,518; Sil. 7,274; 8,390. 431; 15,305; Stat. Theb. 1,332; 4,102; Ach. 58. 691.
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470. nusquam luctando stabilis manet, imaque tellus / stat, quia summa fugit: „nirgendwo behält es (sc. Afrika) beim Ringen gegen die Winde festen Stand. Der Erdgrund bleibt nur stehen, weil die Oberfläche abgetragen wird“. Es liegt das Bild des Ringkampfs zugrunde. Im Kampf gegen den Tornado verliert Afrika den Boden „unter den Füßen“ und wäre wie ein Ringer von einem übermächtigen Kontrahenten vollständig in die Höhe gehoben worden, wenn nicht die oberste Sandschicht abgetragen worden wäre. Bei der Beschreibung des Kampfes zwischen Herkules und Antaeus (4,602–655) stellt Lucan durch zahlreiche realistische Details seine Kompetenz auf dem Gebiet des Ringkampfes unter Beweis. Metaphorisches luctari von Gegenständen der Natur findet sich zuerst bei Horaz und Vergil. (carm. 1,1,15–17: luctantem Icariis fluctibus Africum / mercator metuens otium et oppidi / laudat rura sui; Aen. 1,53: luctantes ventos tempestatesque sonoras imperio premit (danach: Ov. met. 6,694; 15,300; Sen. nat. 2,17; 6,31,2). Lucan ist der erste, der die Metapher nicht vom Wind gebraucht. In 3,503 verwendet er es vom Feuer, unter Erweiterung des Bildes gebraucht er es hier von der Auseinandersetzung der Erde mit dem Wind. Vgl. ThLL VII 2,2,1732,84–1733,39 (NOSARTI). 470–471. imaque tellus / stat, quia summa fugit: Lucans Erklärung steht vielleicht unter dem Einfluß von Lukrez, der die Wirkung der Winde auf die Erde mit derjenigen auf ein Haus vergleicht. Vgl. Lucr. 6,570–576: nunc quia respirant (sc. venti) alternis inque gravescunt / et quasi collecti redeunt ceduntque repulsi, / saepius hanc ob rem minitatur terra ruinas / quam facit; inclinatur enim retroque recellit / et recipit prolapsa suas in pondera sedis. / hac igitur ratione vacillant omnia tecta, / summa magis mediis, media imis, ima perhibent. Die Amplitude der Schwingung ist in der Höhe (Erdoberfläche bzw. Dach) am stärksten, nach unten hin nimmt sie ab. In Afrika entsteht deshalb kein Erdbeben, weil der Wüstensand emporgewirbelt wird, ohne die Kraft des Windes auf die darunterliegenden Bodenschichten weiterzuleiten. 471–472. galeas et scuta virorum / pilaque contorsit: nach Verg. Aen. 1,99–101: saevus ubi Aeacidae telo iacet Hector, ubi ingens / Sarpedon, ubi tot Simois correpta sub undis / scuta virum galeasque et fortia corpora volvit! (mit leichter Modifikation wiederholt in Aen. 8,539). 472. violento … actu: „mit heftigem Schwung“; vgl. z.B. Sen. Ag. 432–433: unda vix actu levi / tranquilla Zephyri mollis afflatu tremit; Lucan. 3,469; 9,31.
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473. intentusque tulit magni per inania caeli: „und angespannt trägt er sie durch die weite Leere des Himmels“. Mit poetischer Lizenz verknüpft Lucan hier zwanglos die sich diametral gegenüberstehenden stoischen und epikureischen Windtheorien. Während die Stoiker die Luft als unter Spannung (intentio) stehendes Kontinuum begriffen, faßten die Epikureer sie als einen weitgehend leeren Raum auf (inane), in dem sich einzelne (Luft-)atome befinden. Beide Seiten beriefen sich als Beleg für ihre Auffassung auf die Fähigkeit des Windes, Gegenstände mit sich führen. Die Stoiker werteten dies als Argument dafür, daß die Luft ein unter Spannung stehendes Kontinuum sei, denn andernfalls könnten sich Festkörper nicht in der Luft halten und müßten sofort auf die Erde stürzen. Die Epikureer hoben dagegen hervor, daß eine Vorwärtsbewegung in der Luft nur denkbar sei, wenn sie weitgehend leer sei; in einem Kontinuum sei keine Bewegung denkbar. Vgl. Lucr. 1,334–345: quapropter locus est intactus inane vacansque. / quod si non esset, nulla ratione moveri / res possent; (…) / ac nunc per maria ac terras sublimaque caeli / multa modis varia ratione moveri / cernimus ante oculos, quae, si non esset inane, / non tam sollicito motu privata carerent / quam genita omnino nulla ratione fuissent, / undique materies quoniam stipata quiesset und Sen. nat. 2,6,2–3: hunc quidam ex distantibus corpusculis, ut pulverem, struunt plurimumque a vero recedunt. Numquam enim nisi contexti per unitatem corporis nisus est, cum partes consentire ad intentionem debeant et conferre vires. Aer autem, si in atomos inciditur, sparsus est; tendi vero disiecta non possunt. Intentionem aeris ostendent tibi inflata nec ad ictum cedentia; ostendent pondera per magnum spatium ablata gestante vento; ostendent voces, quae remissae claraeque sunt prout aer se concitavit. quid enim est vox nisi intentio aeris, ut audiatur, linguae formata percussu? Der Versschluß per inania caeli ist von Lucan (übernommen von Lact. Phoen. 75) in Anlehnung an die zahlreichen (16) lukrezischen Versschlüsse mit inane/inania an vorletzter Stelle gebildet worden. Die Anspielung verdeutlicht Lucans Anspruch auf Gelehrsamkeit. 474–480: An das Bild von den davonfliegenden Waffen knüpft Lucan assoziativ eine rationale Deutung des Salier-Mythos. Geschickt macht er dem Leser seine Kritik am Mythos plausibel. Er äußert zuerst die scheinbar unverfängliche Mutmaßung, daß die Waffen, die den römischen Soldaten vom Wirbelsturm entrissen wurden, in einem anderen Land niedergegangen sind und von der dortigen Bevölkerung, die mit den Römern noch nicht in Kontakt gekommen ist, irrtümlich als Göttergeschenke angesehen werden (374–477). Wer Lucan folgend dies für möglich hält und sich über die Leichtgläubigkeit der Barbaren lustig macht, erlebt dann
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jedoch eine peinliche Überraschung: Er kann sich schwerlich dem Schluß entziehen, daß auch dem römischen Nationalheiligtum der ancilia zu Unrecht Verehrung zuteil wird (477–480). Beide Überlegungen umfassen je dreieinhalb Verse, die durch die korrespondierenden forsan (474) und profecto (477) aufeinander bezogen sind. 475. delapsaque caelo: Delabi caelo ist die vergilische Umformung des ciceronianischen delabi de caelo (Manil. 41; har. resp. 62); vgl. Verg. Aen. 5,722; 7,620; Liv. 1,16,6; Ov. met. 1,212; epist. 17,65; Val. Max. 2,10,2; Sen. Phoen. 431; ThLL V 1,414,16–415,1 (GUDEMAN). Vgl. auch zu 41. 477. hominumque erepta lacertis / a superis demissa putant: „und halten Waffen, die doch von menschlichen Schultern fortgerissen wurden, für von den Göttern herabgesandt“. Der antithetische Parallelismus (hominumque erepta lacertis – a superis demissa) unterstreicht das Fehlerhafte dieser Ansicht. 477–480: Die von Lucan hier gegebene Rationalisierung des Salier-Mythos ist ohne Vorbild; vgl. LE B ONNIEC 1970, 167–168. Obwohl Lucan mit diesem vor allem von den Stoikern praktizierten Verfahren zur Mythenerklärung durch Vermittlung seines Lehrers Cormutus, der in seiner Theologia Graeca eine rationale Theologie entwickelt, vertraut gewesen sein muß, finden sich sonst keine weiteren rationalen Mythendeutungen im BC. Spielt Lucan auf Mythen an, kritisiert er sie als unwahr; werden sie von ihm vollständig wiedergegeben, distanziert er sich von ihnen durch ein ut fama o.ä. und macht dem Leser klar, daß er sie unter Inanspruchnahme der Lizenz des Dichters, Geschichten zu erzählen, in das Epos aufgenommen hat; zu Mythologischem bei Lucan vgl. 359–360. Die Einführung des Ritus des Saliertanzes ist in der Sage mit König Numa verbunden. Diesem haben die Götter, als er betete, angeblich ein ancile vom Himmel geschickt. Numa habe danach 11 weitere, genau gleiche Schilde anfertigen lassen, damit niemand mehr wisse, welches der echte Schild sei und ihn stehlen könne. Mit diesen Schilden haben dann nach Numas Anweisungen zwölf auserwählte junge Männer jeweils im Frühjahr und Herbst öffentlich einen rituellen Waffentanz aufgeführt; vgl. Liv. 1,20,4; Ov. fast. 3,357–392; Plut. Numa 13. Zu den verschiedenen Versionen der Legende vgl. HABEL 1894. Die Religionswissenschaft vermutet den Ursprung des Salier-Ritus in einem Kriegstanz zu Mars’ Ehren. Die mit den ancilia und Lanzen bewaffneten jungen Männern repräsentie-
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ren das Heer; im Frühjahr, zu Beginn der Kriegszeit, versuchen sie, Mars günstig zu stimmen, im Herbst statten sie ihm Dank ab. In historischer Zeit wuchs dem Saliertanz zunehmend politische Bedeutung zu und wurde schließlich zu einem der bedeutendsten Rituale der Römer; er repräsentierte den römischen Staat und sollte dessen Erhalt garantieren. Zur Entwicklung der Funktion des Saliertanzes vgl. LATTE 1960, 112–114; zu seiner Bedeutung in der Kaiserzeit vgl. LIEBESCHUETZ 62–63. In der eminenten politischen Funktion des Ritus dürfte auch der Grund zu suchen sein, warum Lucan hier gegen seine sonstige Gewohnheit eine (entlarvend-polemische) rationale Mythendeutung bietet. Er wendet sich gegen die herrschende Staatsreligion. Lucans origineller Einfall ist in einem mit antiker Gelehrsamkeit prunkenden Stück der italienischen Commedia dell’arte rezipiert worden. In Gli amorosi inganni (Vincenzo Belando; 1609) rühmt sich der prahlerische Capitano Basilisco, er habe einst in der arabischen Wüste einen Löwen und einen Bären getötet; den Löwen habe er ins Mittelmeer geschleudert, wonach der Teil des Meers, in den er hineingestürzt ist, Mare del Leone heiße. Den Bären habe er bis nach Bern geworfen; dort hätten ihn die Schweizer als günstiges Omen betrachtet und sich den Bären als Wappentier gewählt (1. Akt; 4. Szene; S. 216–217 in der Edition von FERRONE 1985, Bd. 1). 478. sacrifico … Numae: Numa ist der Legende nach die Zivilisierung der Römer durch Recht und Religion zu verdanken. Im Vertrauen darauf, daß die Leser ihn in der Gestalt des Opfernden erkennen, kann Vergil in der Heldenschau darauf verzichten, ihn namentlich zu bezeichnen; vgl. Verg. Aen. 6,808–811: quis procul ille autem ramis insignia olivae / sacra ferens? nosco crinis incanaque menta / regis Romani primam qui legibus urbem / fundabit. Sacrificus ist ein Neologismus Ovids; vgl. fast. 1,130; 6,803; met. 12,249; 15,483; Sen. Med. 38. Lucan hat das Adjektiv nach der zuletzt genannten Stelle aus Ovids Metamorphosen auf Numa übertragen; vgl. Ov. met. 15,483–484: sacrificos docuit ritus gentemque feroci / adsuetam bello pacis traduxit ad artes (sc. Numa). 478–479. quae lecta iuventus / patricia cervice movet: „die die ausgewählte Jungschar um ihren vornehmen Hals trägt“. Sofern die Salier die Schilde nicht in der Hand trugen, hingen sie an einem um den Nacken geschlungenen Riemen; vgl. RAPPAPORT (1920, 1886), der sich auf Lucan.
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1,603: et Salius laeto portans ancilia collo und Iuv. 2,125–126: arcano qui sacra ferens nutantia loro / sudavit clipeis ancilibus beruft. Die Auswahl der Salier erfolgte nach strengen Kriterien; unerläßlich waren körperliche Fehlerlosigkeit, untadeliger Lebenswandel, freie Geburt und vor allem patrizische Abkunft. In der Kaiserzeit sind Fälle bekannt, wo Kandidaten vor ihrer Wahl vom Kaiser in den Patrizierstand erhoben wurden (vgl. CIL 3,6074; 9,1123. 2456). Zu den Auswahlbedingungen der Salier und den angeführten Inschriften vgl. RAPPAPORT 1920, 1882. Der Versschluß lecta iuventus ist vergilisch; vgl. Aen. 8,606. 479–480. Auster / aut Boreas: Das Eingeständnis, nicht zu wissen, welcher Wind die Schilde nach Rom getragen hat, sichert die Rationalisierung insgesamt als glaubwürdig ab. Dem Leser wird ein Autor insinuiert, der sorgfältig alle Möglichkeiten erwägt und Sicheres von Unsicherem unterscheidet. Der angedeutete Zweifel über die Richtung, aus der die Schilde angeweht wurden, verdeckt, daß das eigentlich Zweifelhafte die Tatsache ist, ob Schilde überhaupt von einem Wind nach Rom getragen wurden. 480. ancilia nostra: „die ancilia, die wir jetzt (fälschlich) für unseren Besitz halten“. Die ancilia waren kleine, an den Seiten halbrund eingeschnittene Schilde, in der Form ungefähr vergleichbar mit dem Körper einer Violine. Die Etymologie leitet sich von ambo und caedere her; vgl. Varr. ling. lat. 7,43: dicta ab ambecisu, quod ea arma ab utraque parte (…) incisa und WALDE-HOFMANN s.v. ancile. 481–489: Die römischen Soldaten versuchen, sich gegen die Gewalt des Sturms zu schützen. Um nicht davongetragen zu werden, werfen sie sich auf den Boden und krallen sich fest; sie werden mit Sand bedeckt und können sich nur mit Mühe wieder erheben (481–487). Gelingt ihnen dies, ist damit nichts gewonnen. Der Sturm umschließt sie von allen Seiten mit Sand; aufrecht stehend werden sie lebendig begraben (488–490). Lucan verwendet hier dieselbe (paradoxe) gedankliche Struktur wie in der Schilderung des Seesturms (331–348). Eine Gruppe von Seeleuten trifft dort die richtigen Maßnahmen gegen einen Seesturm. Sie reffen die Segel und legen die Mastbäume um, um dem Wind keine Angriffsfläche zu geben. Dadurch werden sie jedoch ein Spielball der einsetzenden Flut, die sie in die Syrten treibt, wo sie auf einer Sandbank stranden und zugrunde gehen. Zur Deutung dieser paradoxen Bilder vgl. zu 483.
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481. sic orbem torquente Noto: „während der Notus so den ganzen Landstrich im Kreis wirbelte“; eine kräftige Hyperbel. 482. procubuit timuitque rapi: Der Rhythmus malt das Niederwerfen der Soldaten. Die „Hebung“ der Hephthemimeres gibt das aufwärts gerichtete Ziehen des Windes wieder. Vgl. die ähnlich gebaute Klangfigur in 116. constrinxit: Constringere mit Kleidung als Objekt ist zuerst in Sen. Phaedr. 390 (brevis expeditos zona constringat sinus) belegt; vgl. ThLL IV 542,20–34 (GORTZ). 483. inseruitque manus terrae nec pondere solo / sed nisu iacuit: „er bohrt die Hände ins Erdreich und liegt nicht allein durch sein Gewicht, sondern auch dadurch, daß er sich festklammert“. Es liegt nahe, den Wüstenmarsch Catos auf einer hohen Abstraktionsebene als allegorische Beschreibung der Bewährung vorbildhafter stoischer Tugend in den Gefahren der Welt zu deuten. Die Deutung als historisches Exemplum greift zu kurz, weil Lucans Zeitgenossen Catos Kampf mit Sand, Hitze, Durst und Schlangen gar nicht unmittelbar in ihre eigene Lebenssituation übertragen konnten. In diesem Sinn läßt sich vielleicht auch das von Lucan hier entworfene schreckliche Bild der Soldaten, die zwar alles tun, um sich zu retten, aber trotz aller Bemühungen in zunehmend schlimmere Situationen geraten und schließlich zugrunde gehen, als poetische Umsetzung seines pessimistischen Stoizismus interpretieren. Seneca definiert die Tugend folgendermaßen (epist. 66,6): Animus intentus vera, peritus fugiendorum ac petendorum, non ex opinione sed ex natura pretia rebus inponens, toti se inserens mundo et in omnis eius actus contemplationem suam mittens, cogitationibus actionibusque intentus ex aequo, magnus ac vehemens, asperis blandisque pariter invictus, neutri se fortunae summittens, supra omnia quae contingunt acciduntque eminens, pulcherrimus, ordinatissimus cum decore tum viribus, sanus ac siccus, imperturbatus intrepidus, quem nulla vis frangat, quem nec attollant fortuita nec deprimant – talis animus virtus est. Die stoische Tugend ist nach dieser Bestimmung die paradoxe Fähigkeit, sich der Welt zu öffnen, sich in sie hineinzubewegen und an ihr teilzunehmen (toti se inserens mundo), ohne daß die Seele in Mitleidenschaft gezogen wird (supra omnia quae contingunt acciduntque eminens, imperturbatus intrepidus). Die Metaphorik Senecas deckt sich teilweise mit dem, was von Lucan als realer Vorgang beschrieben wird. Will man Lucans Verse nicht als bloß verblüffendes, aber sonst sinnleeres Bild auffassen, liegt es nahe die Verbindung zu seinem ins Negative gewendeten Stoizismus herzustel-
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len. Während Senecas protreptische Ausführungen Optimismus verströmen, sind die Anstrengungen der Soldaten, sich der Gewalt des Sturms zu entziehen, ebenso wie alle anderen im BC geschilderten aus stoischer Haltung heraus unternommenen Handlungen vergeblich. Der Mensch unterliegt entweder der als feindselig vorgestellten Natur oder fällt der die Geschichte beherrschenden Fortuna zum Opfer. Vgl. auch die nächste Anmerkung. 484. vix sic immobilis Austro: „kaum so dem Auster unbeweglich trotzend“. Die Verbindung von immobilis mit dem Dativ hat Vergil geschaffen; vgl. Aen. 12,400: lacrimis immobilis (sc. Aeneas); ThLL VII 1,481,80–84 (BRINK). Zu immobilis in stoischem Sinn vgl. Sen. dial. 7,16,1: quid haec tibi virtus suadebit? (…) ut sis immobilis et contra malum et ex bono, ut qua fas est deum effingas und Lucan. 8,619–621: nullo gemitu consensit (sc. Pompeius) ad ictum / respexitque nefas, servatque immobile corpus, / seque probat moriens. Im Sinne der obigen Ausführungen lassen sich vielleicht beide Szenen als Umsetzungen desselben Gedanken auf zwei verschiedenen Gebieten (Geschichte und Natur) parallelisieren: Pompeius nimmt die tödlichen Schwerthiebe seiner Mörder hin, ohne eine Regung zu zeigen. Er handelt vorbildlich, findet aber den Tod. Ebenso verhalten sich die Soldaten richtig, die sich im Sturm auf den Boden werfen und festklammern. Sie bewahren ihre „Unbeweglichkeit“, werden aber vom Sand erstickt. 485. qui super ingentis cumulos involvit harenae: „dieser wälzt gewaltige Sandberge über sie“. Das Vorbild für die Junktur cumulos harenae ist Verg. georg. 1,105: cumulosque ruit male pinguis harenae. Lucan verwendet sie auch in 340. 487. multo congestu pulveris: Junktur nach Lucr. 6,724: magnus congestus harenae und Sen. dial. 2,12,2: in litoribus harenae congestu simulacra domuum excitant (sc. pueri); vgl. ThLL IV 281,7–24 (PROBST). 488–489. alligat et stantis affusae magnus harenae / agger, et immoti terra surgente tenentur: „Selbst wenn sie stehen, umschließt sie eine mächtige Düne angewehten Sandes, und unbeweglich werden sie festgehalten von der Erde, die sich um sie auftürmt“. Die aus dem Deutschen bekannte sprichwörtliche Denkfigur „vom Regen in die Traufe“ wird von Lucan in drei Gliedern entwickelt. Dadurch, daß sich die Soldaten am Boden festklammern müssen, um nicht fortgetragen zu werden,
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setzen sie sich der gegenteiligen Gefahr des Verschüttetwerdens aus. Vermeiden sie diese Bedrohung, indem sie sich aufrichten, ereilt sie ihr Geschick dennoch: Stehend werden sie von Sanddünen eingeschlossen. 490–492: In der Schilderung des Syrtensturms (319–347) läßt Lucan der Darstellung, welche Schicksale die verschiedenen Gruppen von Schiffen erlitten haben (324–344), einen beruhigenden Ausklang folgen: Das Gros der Flotte entkommt wohlbehalten dem Sturm und fährt in den sicheren Tritonsee ein (344–347). Der Wüstensturmszene fehlt ein solcher Epilog; stattdessen finden sich an seiner Stelle drei zusammenhängende Verse, die hier offenkundig fehl am Platz sind. Das Paradox, daß Leute, die keine Häuser gesehen haben, plötzlich Trümmer von Häusern sehen, ist von Lucan nicht mehr in die fortlaufende Erzählung eingebunden worden. Sie bezeugen das Fehlen einer Endredaktion im BC. Besonders interessant sind diese Verse aber deshalb, weil sie einen Einblick in die Arbeitsstadien des Dichters geben. Ausgehend von diesem Fragment läßt sich Lucans Vorgehen für die Sandsturmszene in etwa so rekonstruieren: 1. Festlegung des Themas („Wirbelsturm“). 2. Auffindung der mit diesem Thema verbundenen Motive (hier aus Lucans Sicht besonders interessant: die paradoxe Fähigkeit des Wirbelsturms, Gegenstände von einem Ort zum anderen zu transportieren). 3. Ausbau des Motivs „Windtransport“ durch Ergänzung anderer Motive zu kleinen Einzelszenen oder Bildern (In 458–460 macht er den pauper Nasamon zum Beobachter; regna und discussae domus sind die vom armen Nasamonen beobachteten niederfallenden Gegenstände. Es entsteht eine verblüffende Antithese. In 471–480 sind die vom Wind transportierten Gegenstände Waffen; Lucan assoziiert damit das Herabfallen der ancilia und gibt eine unerwartete rationale Erklärung des Salier-Mythos. In 490–492 sehen die Beobachter [Nomaden] ähnlich wie in 458–460 Gegenstände [Häusertrümmer], die sie unter normalen Umständen nie zu Gesicht bekommen dürften.) 4. In dispositio und elocutio werden die so gewonnenen Paradoxa mit den anderen Bestandteilen der Sturmbeschreibung zu einer zusammenhängenden Erzählung verbunden. Man sieht an diesem Beispiel, daß Lucans Paradoxa nicht nachträglich angefügte Schmuckmittel, sondern genuiner Bestandteil des Epos sind. Sie sind die Keimzellen, aus denen die Sturmbeschreibung erwächst. Zum Paradox bei Lucan vgl. auch zu 406. Gegen den allgemeinen Konsens der Herausgeber hat SHACKLETON BALEY auf einen Vorschlag B ENTLEY s zurückgreifend 390–392 als nichtlucanische Interpolation getilgt; er vermutet, sie seien von fremder
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Hand als Ergänzung zu 471–473 (galeas et scuta virorum / pilaque contorsit violento spiritus actu / intentusque tulit magni per inania caeli) eingefügt worden. Diese Auffassung läßt sich nicht widerlegen, doch sind die Verse in sich sprachlich und gedanklich ohne Anstoß (H OUSMAN z.St.: „ipsi per se Lucano digni sunt“). Zudem finden sich auch an anderen Stellen im BC Autorvarianten; vgl. dazu FRAENKEL 1926, 300–302. Wenn man die Verse jedoch als Interpolation ansehen will, sollte man sie anders als SHACKLETON BAILEY als Fortsetzung von 458–460 (regna videt pauper videt Nasamon errantia vento / discussasque domos, volitantque a culmine raptae / detecto Garamante casae) ansehen. 490. saxa … discussis proruta muris: „Felsbrocken, herausgebrochen aus zertrümmerten Mauern“. Proruere („nach vorne hin herausbrechen und niederfallen“) findet sich nur hier bei Lucan (nicht bei Vergil und Ovid). Die Epiker haben das Verbum wohl als zu „technisch“ gemieden. Lucan gebraucht es nach dem Vorbild Senecas; vgl. Phoen. 115: duc ubi sit altis prorutum saxis iugum; Tro. 648. 1156; nat. 6,1,2; 7,28,3. tulit penitus: „er trug weit fort“. Bereits HOUSMAN z.St. erkannte, daß penitus hier im Sinn vom longe verwendet wird. Ohne die Hilfe des ThLL sind ihm allerdings die schlagenden vergilischen Parallelen entgangen; vgl. Aen. 1,511–512: ater quod aequore turbo / dispulerat penitusque alias avexerat. 535–538: cum subito adsurgens fluctu nimbosus Orion / in vada caeca tulit penitusque procacibus Austris / perque undas superante solo perque invia saxa / dispulit; 6,59; 9,1; 11,623 und weitere Belege bei ThLL X 1,1079,50–66 (SPOTH). 491. miranda sorte malorum: Der Abl. modi („eine seltsame Art von Unglück“) weckt die Neugier des Lesers auf die Erklärung durch den nächsten Vers. 492. qui nullas videre domos: d.i. Nomaden.
2.12. Cato übertrifft Alexander (9,493–510) 493–510: Catos Soldaten dringen in die Wüste ein und müssen den Weg mit Hilfe der Sterne finden; die Sandflächen bieten keine Orientierungspunkte. Aufgrund der Veränderung der geographischen Breite bietet der Sternenhimmel für die Römer einen ungewohnten Anblick (493–497). Die Hitze dörrt die Kehlen der Soldaten aus. Als sie auf eine Quelle stoßen, bietet ein Soldat zuerst Cato von dem spärlichen Wasser an
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(498–505). Empört schlägt ihm Cato den Helm mit dem Wasser aus der Hand. Er lehnt jedes Privileg ab. Seine Bedürfnislosigkeit ist den anderen ein Vorbild. Die Soldaten begnügen sich mit dem wenigen Wasser, das sie vorfinden (505–510). Die vorliegende Episode ist eine Übernahme Lucans aus der Alexandertradition. Arrian (an. 6,26), Plutarch (Alex. 42) und Curtius Rufus (7,5,2–6) berichten (mit jeweils leichten Modifikationen), wie dem durstigen Alexander auf seinem Zug durch Asien von einem Soldaten Wasser angeboten wird, dieser es jedoch ausschlägt, seine Selbstbeherrschung unter Beweis stellt und durch sein Beispiel die Soldaten anleitet, ebenso wie er die Durstqualen tapfer zu ertragen. Lucan folgt seinem Vorbild weitgehend, stilisiert jedoch das Verhältnis zwischen Feldherr und Soldaten anders als die Vorlage. Während Arrian und Plutarch erwähnen, daß Alexander den Soldaten für ihre freundschaftliche Geste seine Dankbarkeit ausspricht, zeigt Lucan Cato voll Zorn über das Angebot des Soldaten. An die Stelle des kameradschaftlichen Umgangs Alexanders mit seinen Untergebenen tritt die Überlegenheit des rigiden stoischen Tugendlehrers, der ungehalten darauf reagiert, daß der Soldat Catos Ankündigung, er werde auf dem Wüstenmarsch auf jegliche Privilegien verzichten (394–402), für leeres Gerede hält. Für eine genaue Untersuchung des Verhältnisses von Lucan 9,493–510 zur Alexandertradition vgl. RUTZ 1970, 235–243. 493–95: Mangels anderer Orientierungspunkte richten sich Catos Soldaten auf dem Marsch durch die Sandwüste nach den Sternen. Lucan greift hier einen topischen Punkt von Wüstenbeschreibungen auf; vgl. Curt. 7,4,27–28 (dieser und die folgenden Belege bei H OUSMAN z.St.). Diese Stelle steht vielleicht unmittelbar unter dem Einfluß einer geographischen Tradition, wie sie durch Plinius (nat. 5,26) und Solinus (2,38) repräsentiert wird. Beide Autoren erwähnen, daß man sich im Hinterland der Syrten ausschließlich durch Beobachtung der Sterne orientieren kann. Möglich ist auch Einwirkung der Alexandertradition. Arrian berichtet, daß Alexander das Ammonsorakel in der Oase Siwah nur erreichen konnte, weil ihm Raben in der unwegsamen Wüste die Richtung wiesen; vgl. 3,3,3–6; vgl. auch Curt. 4,7,10–11. 15. In diesem Fall hätte Lucan die wunderhafte Überlieferung rationalisiert. Der Gebrauch der Sterne zur Navigation in der Seefahrt ist eine Erfindung der Phönizier; bereits in der Odyssee wird erwähnt, daß sich Odysseus nach den Sternen richte; vgl. Hom. Od. 5,272. Die antike Seefahrt versuchte mit dieser Methode das Fehlen eines Kompasses zu ersetzen.
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Zu Recht sagt Manilius, daß die Menschen das Meer durch die Unterstützung des Himmels erobert hätten; vgl. Manil. 4,279–280. Lucan zeigt sich auf diesem Gebiet gut unterrichtet. In 8,159–186 läßt er Pompeius’ Steuermann auf dessen Anfrage hin einen Lehrvortrag über Navigation auf See halten. Zur antiken Navigation vgl. KROLL 1921, 408–409; LE BOEUFFLE 1989, 25–27. [494]: Der schlecht überlieferte Vers (nur in Z2G) wird nach dem Vorbild B ENTLEY s übereinstimmend von den modernen Herausgebern getilgt. HOUSMANs Analyse ist zutreffend: „insertum ab aliquo qui quam apte 493 et 495 coirent non sensit. neque terrae discrimina faciebant stellae“. Zudem wirkt medio velut aequore wie eine erläuternde Glosse. 495–497: Lucan erweitert die Einleitung um einen astronomischen Topos. Nicht nur antike Astronomen, sondern auch Seefahrer und Gebildete wußten, daß aufgrund der kugelförmigen Krümmung der Erdoberfläche der jeweils sichtbare Himmelsausschnitt von der geographischen Breite abhängt. Catos Soldaten, die in die Nähe des nördlichen Wendekreises gelangt sind, machen die Erfahrung, daß bereits einige Sternzeichen, die man in Rom beobachten konnte, unterhalb des Horizonts liegen. Lucan nimmt dieses beiläufig berührte Thema in 533–543 wieder auf und beschreibt ausführlich die Auf- und Untergänge der Sternzeichen des Zodiakus, gesehen vom Äquator. Daneben wird dieses Phänomen, die Metaptose des Horizonts, auch in 3,250–252; 8,179–183. 337 erwähnt. Eine artifizielle Variation des Topos bieten 6,483–484: Hexen zaubern Gucklöcher in die Erde, so daß der normalerweise verborgene Teil des Sternenhimmels sichtbar wird. Zu Lucans Kenntnis des astronomisch-naturwissenschaftlichen Weltbilds vgl. ABEL 1974, 1110. 495. nec sidera tota: „plura Libya quam Italia sidera videt, sed illa quibus ducibus nautae utebantur non semper tota“ (HOUSMAN z.St.). 496. finitor circulus: d.i. der Horizont. Finitor ist als Übersetzung des griechischen ır¤zvn vor Lucan nur bei Seneca (nat. 5,17,3) belegt: hanc lineam quae inter aperta et occulta est, id est hunc circulum Graeci ır¤zonta vocant, nostri finitorem esse dixerunt, alii finientem; vgl. ThLL VI 1,804,7–15 (BA CHERLER).
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497. devexo terrarum margine: „durch den abwärts gekrümmten Erdrand“ (Übersetzung nach EHLERS). Mit Bedeutungsänderung nimmt Lucan hier einen ovidischen Ausdruck auf; vgl. met. 9,334–335: est lacus acclivis devexo margine formam / litoris efficiens. Interessant ist die Fortbildung der lucanischen Wendung durch Statius (Theb. 3,407–409): solverat Hesperii devexo margine ponti / flagrantes Sol pronus equos rutilamque levabat / Oceani sub fonte comam. Angeregt von Lucans Sonnenaufgang in 9,497–499 hat Statius einen Sonnenuntergang beschrieben. Die naturwissenschaftliche Terminologie, die Lucan in den folgenden beiden Versen verwendet, wird von ihm durch die Bildersprache der Mythologie ersetzt. Die zitierten Stellen sind zusammengestellt bei ThLL V 1,857,54–56 (LOMMATZSCH). 498. utque calor solvit quem torserat aera ventus: „sobald die Hitze die Luft aufgelöst hatte, die der Wind zusammengedrängt hatte“. Lucan greift hier auf die stoische Windtheorie zurück, wie sie Seneca im fünften Buch der Naturales Quaestiones darlegt. Sobald es Tag wird, wird die zusammengedrängte morgendlich feuchte Luft durch die Sonne, die sich von den Ausdünstungen der Erde ernährt, zu einer abfließenden Bewegung angeregt, und die Luft verdünnt sich wieder; vgl. Sen. nat. 5,3,3: sol matutinum aera spissum et umidum ortu suo tenuet: tunc surgit aura, cum datum est laxamentum corporibus et stipatio illorum ex turba resoluta est; 5,9,3: facit autem ventum ortus non calore tantum sed etiam ictu: lux enim, ut dixi, quae solem antecedit, nondum aera calefacit sed percutiet tantum, percussus autem in latus cedit. Zur Rezeption stoischer Windtheorie bei Lucan vgl. auch 4,74–75 und 4,123–125: iam rarior aer / et par Phoebus aquis densas in vellera nubes / sparserat. 499. incensusque dies: „und sobald der Tag angezündet worden ist“. Nach stoischer Vorstellung nähren sich („werden entzündet“) die Sonne und die Gestirne von den Wolken und den feuchten Ausdünstungen der Gewässer. Hat die Sonne die Wolken aufgezehrt, wird es heiß; vgl. Sen. nat. 5,8,1–3 und zu 313. Der Ausdruck incensusque dies ist eine Rationalisierung der mythologischen Vorstellung, daß ein Gott die Gestirne wie Leuchten anzündet; vgl. Cic. Tim. 31: deus ipse solem quasi lumen accendit. Vgl. auch Lucans Rezeption durch Statius (zu 497). 499–500. Die Beschreibung des durstigen Heeres lehnt sich an Livius 44,38,9 an: longo itinere fatigatum et onere fessum, madentem sudore, arentibus siti
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faucibus, ore atque oculis repletis pulvere, torrente meridiano sole, hosti obicias recenti, requieto. 499. manant sudoribus artus: Schweißausbrüche sind eine unvermeidliche Begleiterscheinung epischer labores und so finden sich zahlreiche Variationen des Motivs in dieser Gattung; vgl. nur Verg. Aen. 2,174; 5,200; 7,459; 9,458. 812; 12,338; Lucan. 4,303. 623. 638. 754; 9,745. Die Traditionslinie des poetischen color, den Lucan dem livianischen Ausdruck gegeben hat, eine Poetisierung des livianischen Vorbilds, läßt sich über Verg. Aen. 3,175: tum gelidus toto manabat corpore sudor über Lucr. 5,488; 6,955; Aedit. epigr. 1,7 bis auf Enn. ann. 417 (SKUTSCH ): manat ex omni corpore sudor zurückverfolgen. 500–501. maligna / … vena: „gespeist aus einer spärlichen Wasserader“. Die Bezeichnung vena für Wasser- oder Metall-„adern“ (auch in 4,326. 356. 755; 10,264) leitet sich von der dem menschlichen Körper analogen Funktionsweise der Erde her. Von dieser Analogie geht die stoische Naturwissenschaft genauso wie römisches Alltagswissen aus; vgl. Sen. nat. 3,15,1: placet natura regi terram, et quidem ad nostrorum corporum exemplar, in quibus et venae sunt et arteriae, illae sanguinis, hae spiritus receptacula. In terra quoque sunt alia itinera per quae aqua, alia per quae spiritus currit; adeoque ad similitudinem illa humanorum corporum natura formavit ut maiores quoque nostri aquarum appellaverint venas. 502. patulum galeae confudit in orbem: „und läßt es zusammenströmen in der offenen Wölbung des Helms“. Die genaue Beschreibung läßt deutlich werden, wie mühsam es ist, aus dieser Quelle einen Helm voll Wasser zu schöpfen. Der Helm wird häufig als Trinkgeschirr des Soldaten erwähnt; vgl. ThLL VI 2,1673,56–66 (LEUMANN). 503. porrexitque duci: Nach der vorangegangenen Folge von Verben (corripiens; confudit; porrexit) malt die Zäsur nach duci den Moment, in dem der Soldat Cato den Helm mit dem Wasser anbietet. 503–505: Bevor Lucan Cato antworten läßt, steigert er die Spannung, indem er noch einmal die Situation verdeutlicht. Alle litten unter dem Durst; sollte Cato die Gabe annehmen, wäre er seinen Untergebenen verhaßt.
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505–510: Empört schlägt Cato das Angebot des Soldaten aus. Er erfüllt damit seine bei Marschbeginn gegebene Ankündigung, auf jegliches Privileg zu verzichten; vgl. 394–402. 506. vacuum virtute: Vacuus findet sich im übertragenen Sinn nur hier bei Lucan; der Grund ist die Alliteration. 507. primisque caloribus: Die Junktur scheint unverfänglich, prüft man jedoch die Lexika (ThLL III 182,75–76 [GUDEMAN]), zeigt sich die Sorgfalt, mit der Lucan arbeitet. Primus calor / primi calores ist zuvor nur zweimal bei Seneca (nat. 4,1,2. 2,19) im Sinn von „erste warme Frühlingstage“ belegt. Der Ausdruck fügt sich also gut zum ironischen Ton von Catos Rede: „Bin ich wirklich so weichlich erschienen, selbst den ersten lauen Frühlingslüften nicht gewachsen?“. 509. populo sitiente: Die Metonymie populus für milites verleiht der Szene eine zusätzliche Bedeutungsebene. Cato ist nicht nur ein vorbildlicher Feldherr (vgl. zu 394–402), sondern zugleich die Verkörperung des idealen Herrschers, der selbst vorlebt, was er von anderen verlangt. Zu diesem Topos des Herrscherlobs vgl. z.B. Plin. paneg. 45,6; 65,1: in rostris quoque simili religione ipse te legibus subiecisti, legibus, Caesar, quas nemo principi scripsit. sed tu nihil amplius vis tibi licere quam nobis: sic fit, ut nos tibi plus velimus. quod ego nunc primum audio, nunc primum disco, non est „princeps super leges“, sed „leges super principem“; idemque Caesari consuli quod ceteris non licet. Lucans Episode illustriert das von Plinius gelobte Verhalten an einem praktischen Fall. Der Soldat möchte dem bedürfnislosen Cato einen Gefallen tun (vgl. sic fit ut nos plus tibi velimus), doch weist ihn dieser schroff zurück und demonstriert, daß auch er „unter den Gesetzen“ steht. concitus ira: gewiß keine Kritik am Stoiker Cato. Im alltäglichen Leben gilt Zorn über eine unangemessene Behandlung für „gerecht“; vgl. RUTZ 1970, 242 und zu 147. Die Tradition des Versschlusses, den Lucan nach Verg. Aen. 9,694 (von Turnus); Ov. met. 7,413 (vom Zerberus); hal. 39 (von einem Wolf) gebildet hat, spricht nicht dagegen. Offenbar hat der Dichter nach einem kräftigen Ausdruck gesucht, um Catos Empörung über das unverständige Verhalten des Soldaten zu beschreiben; es wäre absurd, anzunehmen, er wollte durch Bezugnahme auf die Überlieferung Cato als jähzornig und von Affekten beherrscht hinstellen.
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510. suffecitque omnibus unda: d.h. alle nahmen sich an Cato ein Beispiel und waren mit dem wenigen Wasser zufrieden, das sie vorfanden.
2.13. Das Ammonsorakel (9,511–604) 2.13.1. Exkurs: das Ammonsorakel (9,511–543 [537]) 511–543: Cato gelangt zum Heiligtum des Gottes Ammon. Obwohl die Orakelstätte von zahlreichen Gesandtschaften der Völker Afrikas und Asiens besucht wird, hebt sie sich durch ihre Schlichtheit von den goldgeschmückten römischen Tempeln ab. Hier wird die Gottheit nicht mit kostbaren Geschenken, sondern mit Aufrichtigkeit und Andacht verehrt (511–521). Weil die Stätte die einzige Oase zwischen Berenike und Leptis Magna ist, hat sich der Ammon diesen Ort gewählt. Bäume werfen hier keinen Schatten, weil die Oase auf dem nördlichen Wendekreis liegt (522–532). Es gibt ein Volk, bei dem der Schatten nach Süden fällt; es sieht die zirkumpolaren Sternzeichen im Meer versinken; alle Tierkreiszeichen erreichen dort, am Äquator, dieselbe Zenithöhe und benötigen für Auf- und Untergang dieselbe Zeit (533–543). Der Besuch Catos beim Ammon ist eine literarische Fiktion. Lucan gestaltet diese Szene nach dem Vorbild des Besuchs Alexanders beim Orakel, setzt sich aber von seiner Vorlage polemisch ab. Alexander war von Ägypten aus in die Kyrenaika und von dort durch die Wüste in die etwa 300 km südlich gelegene Oase Siwah gezogen. Er hielt die Auskünfte, die ihm im Allerheiligsten des Orakels erteilt wurden, vor seinen Gefährten geheim. Es darf jedoch als sicher gelten, daß er sich seit dieser Zeit als Sohn des Zeus-Ammon ansah. Er rief die Gottheit danach zwar selten, aber, wenn er es tat, in entscheidenden oder besonders gefährlichen Momenten an und äußerte den Wunsch, nach seinem Tod in der Oase Siwah beigesetzt zu werden; vgl. Arr. an. 3,3,1–4; Curt. 4,7,5–32; Plut. Alex. 26,11–27; Diod. 17,49,2–51; Iust. 11,11,2–12; (Ps.-)Kallisth. 1,30,2–31 und dazu LAUFFER 1993, 88–91. Lucan sieht in Alexander den verbrecherischen Prototyp der römischen Kaiser; der Makedone, proles vaesana Philippi (10,20), hat als erster gezeigt, daß ein Mann eine tyrannische Herrschaft über die ganze Welt ausüben kann (10,26–28): non utile mundo / editus exemplum, terras tot posse sub uno / esse viro. Im BC stellt sich Caesar durch den Besuch beim Grab Alexanders in Alexandria in dessen Nachfolge; vgl. 10,20–40. In der Umbildung der Ammonszene macht Lucan Cato zum „Anti-Alexander“. Cato hat es nicht nötig, sich von einem zweifelhaften libyschen Gott adoptieren und die Zukunft voraus-
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sagen zu lassen. Wie er in seiner Antwort an Labienus klarstellt (564–586), verfügt er in der stoischen Ethik über eine eindeutige Richtschnur für sein Verhalten. Was allein zählt, ist nicht der Sieg oder das durch Kapitulation erreichte Überleben, sondern das Tun des moralisch Gebotenen; zur Umgestaltung der Szene insgesamt vgl. RUTZ 1970, 247. Im Gegensatz zu Lucans ablehnender Haltung gegenüber dem Orakel lehrte die alte und mittlere Stoa (Poseidonios) durchaus die Möglichkeit der Zukunftsvoraussage. Sie unterschied zwischen natürlicher Mantik (Orakelmantik mit mantischem Enthusiasmus; Traummantik), bei der die Seele des Sehers in Kontakt tritt mit dem die Welt lenkenden göttlichen Geist, und künstlicher Mantik (Haruspizien; Auspizien; Astrologie; Losorakel), bei der ein Zeichen auf künftige Ereignisse vorausweist. Die Möglichkeit der Mantik war für die Stoiker in ihrem Gottesbegriff mitgegeben. Die Götter sind allwissend und lenken die Welt zum Wohl des Menschen. Da es für die Menschen vorteilhaft ist, die Zukunft zu kennen, muß also auch angenommen werden, daß sie sie ihnen durch Träume, Zeichen und andere Hinweise zu erkennen geben; vgl. Cic. div. 1,82–84. Die ergiebigste Quelle für die Rekonstruktion der stoischen Lehre von der Mantik ist der Vortrag des Quintus Cicero im ersten Buch von De divinatione; vgl. dazu PFEFFER 1976, 43–112; R EPICI 1995. In den Dialogen und Briefen des jüngeren Seneca spielt die Lehre von der Mantik dagegen keine Rolle. In seinen ethischen Überlegungen und lebenspraktischen Ratschlägen warnt Seneca ausdrücklich davor, sich von der Sorge um die Zukunft gefangennehmen zu lassen. Wenn die Affekte Hoffnung und Furcht vom Menschen Besitz nehmen, hindern sie die Tugend daran sich zu entfalten und machen so ein glückliches Leben unmöglich; vgl. Sen. epist. 5,7–9; 24,1–2; 78,14–15; 98,6; 92,24–25; 101,8. Der Weise lebt zufrieden in der Gegenwart und kümmert sich nicht um die Zukunft, da die Tugend durch äußere Ereignisse nicht gefährdet werden kann; vgl. dial. 7,26,3: vivit (sc. sapiens) enim praesentibus laetus, futuri securus und hierzu den Kommentar zu den Versen 410 und 568–571. In epist. 101,5 leugnet Seneca trotz Anerkennung der Vorsehung ausdrücklich die Erkennbarkeit der Zukunft: omnia, mihi crede, etiam felicibus dubia sunt; nihil sibi quisquam de futuro debet promittere; id quoque quod tenetur per manus exit et ipsam quam premimus horam casus incidit. volvitur tempus rata quidem lege, sed per obscurum: quid autem ad me an naturae certum sit quod mihi incertum est? Diese Abweichung von der traditionellen Lehrmeinung dürfte aus Senecas Nähe zur populärphilosophischen Diatribe zu erklären sein. Deren Schwerpunkt lag auf der ethischen Unterweisung; auf diesem Gebiet konkurrierte sie mit anderen
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„Heilsbringern“ wie der traditionellen Religion und deren Orakeln oder auch Astrologen und anderen Weissagern. Die Lehre von der philosophischen Zukunftsvoraussage dürfte daher, um sich von diesen mehr oder weniger dubiosen Angeboten abzugrenzen, zurückgetreten sein. Die philosophische Diatribe stellt den Kampf der Vernunft gegen die Affekte in den Vordergrund und ist bemüht, eine Anleitung zu geben, die Gegenwart rational zu meistern, ohne leere Hoffnungen zu wecken oder unbegründete Ängste zu schüren. Senecas vielfach wiederholte Behauptung, daß der Tod nicht zu fürchten sei, weil die Tugend durch zeitliche Ausdehnung nichts gewinne (vgl. z.B. epist. 92,24–25), macht deutlich, daß der Stoiker senecanischer (und lucanischer) Prägung keinen Bedarf an Weissagungen hat. Neben dieser „ausgefallenen“ Orakelbefragung bietet das BC noch zwei andere große Orakelszenen. In 5,64–256 befragt Appius Claudius das zu seiner Zeit bereits in Vergessenheit geratene Orakel von Delphi nach seinem Geschick im Bürgerkrieg. Lucan folgt dabei im groben der oben skizzierten traditionellen stoischen Orakeltheorie. Er nennt das Orakel eine Wohltat der Götter, durch die bereits vielen Menschen geholfen worden sei (5,102–124), und beschreibt den Vorgang der mantischen Ekstase als ein Eindringen der göttlichen Weltseele in das Medium der Seherin, durch deren Mund sie Geheimnisse des Weltenplans verkündet (124–224). Einige Änderungen geben jedoch der Szene ein spezifisch lucanisches Gepräge und zeigen die Distanz, die er gegenüber der herkömmlichen stoischen Lehre, besonders bezüglich der Theologie sowie der Lehre vom Fatum und der Vorsehung hat. Bekanntlich adaptierten die Stoiker die überlieferte Mythologie durch Rationalisierung. Iuppiter faßten sie als Bezeichnung für die Weltseele auf, die anderen Götter des Olymps verstanden sie als Personalisierungen verschiedener Funktionen der Weltseele. Demnach wäre der weissagende Apoll von Delphi ein Name für die prophezeiende Tätigkeit der Allnatur. Gegen diese vereinnahmende und harmonisierende Lehre wendet sich Lucan in zweifacher Weise. Er stellt heraus, daß in Delphi Orakel nicht möglich sind, weil Apoll sich dort aufhält, sondern Apoll hält sich dort auf, weil zu mantischer Ekstase führende Dämpfe aus der Erde steigen (vgl. zu 522–527). Der Gott wird zu einer Art untergeordnetem Dämon, der eine Gegebenheit der Natur oder die Anwesenheit einer höheren Macht zu seinen Gunsten ausnutzt; vgl. 5,82–85: ut vidit Paean vastos telluris hiatus / divinam spirare fidem ventosque loquaces / exhalare solum, sacris se condidit antris, / incubuitque adyto vates ibi factus Apollo. Bei der Frage nach der wahren Ursache für die Prophezeiungen der Pythia erwähnt Lucan zwar die von ihm für möglicherweise zutreffend
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gehaltene stoische Theorie, daß hier Iuppiter / die Weltseele ins Erdreich eingedrungen sei und bereit ist, über ein Medium in Kontakt zu den Menschen zu treten (5,93–101), erwägt jedoch auch, ob sich nicht eine unbekannte, überaus mächtige Gottheit rätselhafterweise bereit gefunden habe, in den Höhlen von Delphi zu hausen und von dort Prophezeiungen zu geben (5,86–93). Daß Wahrheit verkündende Prophezeiungen möglich sind, wird von Lucan also nicht grundsätzlich bestritten. Doch stellt er in Frage, daß man durch sie Zugang erhält zum rational geordneten Universum der Stoiker. Vielmehr scheinen sie für ihn einen eng begrenzten Einblick in einen unheilvollen, dämonischen Weltenplan zu geben, der den Menschen eher in Schrecken versetzt, als daß er ihm etwas nützen würde. Ähnlich äußert Lucan zu Beginn des zweiten Buchs, daß es für den Menschen besser wäre, die Zukunft nicht zu kennen (2,14–15): sit subitum, quodcumque paras, sit caeca futuri / mens hominum fati, liceat sperare timenti. In seiner abschließenden Bewertung der an Appius ergangenen und von ihm mißdeuteten Prophezeiung (er werde auf Euböa von den Wirren des Bürgerkriegs verschont bleiben = er werde dort begraben sein) bezweifelt Lucan den Nutzen einer Weissagung. Genau wie Cato in seiner Antwort an Labienus hält er fest, daß der Tod das einzig Sichere im Leben eines Menschen sei. Die Schlußfolgerung Catos, daß man sich nicht um die Zukunft sorgen, sondern pflichtgemäß handeln solle, bleibt unausgesprochen, ist aber impliziert (5,228–230): heu demens! nullum belli sentire fragorem, / tot mundi caruisse malis, praestare deorum / excepta quis Morte potest? Mit einem ähnlichen Resultat endet die große Nekromantie-Szene im sechsten Buch (6,413–830). Der von der Hexe Erictho auf Verlangen des Sextus Pompeius heraufbeschworene Totenschatten offenbart ihm zwar, wie es zur Zeit in der Unterwelt zugeht – die Helden der römischen Geschichte trauern um den Untergang Roms im Bürgerkrieg, Verbrecher wie Catilina frohlocken – doch, was sein persönliches Schicksal angeht, kann er ihm nur die wenig tröstliche Mitteilung machen, daß sein Vater und dessen gesamte Familie, ihn eingeschlossen, dereinst im Totenreich einen angenehmen Ort bewohnen werden. Sextus solle tapfer kämpfen und sterben und nach seinem Tod als Schatten die Manen der zu Unrecht zu Göttern erhobenen römischen Kaisern mit Füßen treten (6,802–809): refer haec solacia tecum, / o iuvenis, placido manes patremque domumque / exspectare sinu regnique in parte serena / Pompeis servare locum. nec gloria parvae / sollicitet vitae: veniet quae misceat omnes / hora duces. properate mori magnoque superbi / quamvis e parvis animo descendite bustis / et Romanorum manes calcate deorum. Der unter viel Aufwand mit Hilfe schwarzer Magie in seinen Körper zurückgekehrte
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Schatten verkündet Sextus also wenig mehr als ihm auch ein Stoiker hätte mitteilen können. Beide Versuche enden mit einem Fehlschlag. Dem Menschen ist übernatürliche Erkenntnis verschlossen. Das einzige, was er in Erfahrung bringen kann, ist das, was er ohnehin weiß: daß er eines Tages sterben wird. Die beiden durchgeführten Orakelbefragungen unterstützen also Catos Entscheidung, das Ammonsorakel nicht zu besuchen. Mag es auch einen Weltplan geben, die Orakel geben ihn nicht preis. Wer sein Leben richtig führen möchte, hat in der stoischen Ethik, die allein den Willen bewertet, einen hinreichenden Maßstab. Da äußerer Erfolg für den moralischen Wert einer Person belanglos ist, ist es ohnehin für Handlungsentscheidungen bedeutungslos, zu erkunden, wer schließlich den Sieg davontragen wird. Und wer eine Auskunft über sein persönliches Schicksal sucht, was soll er anderes erfahren, als daß er sterblich ist? Zu den Orakelszenen bei Lucan vgl. DICK 1963; D ICK 1965; FAUTH 1975. Lucans Haltung gegenüber den verschiedenen Formen der Weissagung, die von kritischer Distanz und Zweifeln an dem Wert von Orakeln für die persönliche Lebensführung gekennzeichnet ist, ohne jedoch die Möglichkeit der Zukunftserforschung durch mantische Praktiken vollständig in Abrede zu stellen, entspricht in etwa der des gebildeten Römers der Kaiserzeit. Auch der jüngere Plinius z.B. (epist. 7,27; vgl. Tac. ann. 11,21) berichtet eine Reihe von übernatürlichen Begebenheiten, die ihm zwar merkwürdig und der näheren Prüfung bedürftig, aber doch nicht vollkommen unglaubwürdig erscheinen; vgl. die Sammlung weiterer Zeugnisse bei LATTE 1939, 861–862. Von Seiten des Staats akzeptierte man die traditionellen Formen der Prophetie, beschnitt aber die durch das Einströmen von Wahrsagern, Zauberern und Astrologen in der frühen Kaiserzeit entstandenen Auswüchse der Volksreligion. Augustus verfügte, daß Weissagungen nur in Anwesenheit eines unabhängigen Zeugen durchgeführt werden dürfen, und verbot, um kriminellen Machenschaften vorzubeugen, grundsätzlich Prophezeiungen, die das Todesdatum eines Menschen betrafen (besonders natürlich das des Kaisers). Nahm das Treiben der geschäftstüchtigen Zukunftsdeuter überhand, wurden sie per Edikt aus der Stadt verbannt. Doch zeugt bereits der Umstand, daß diese Edikte mehrfach ausgesprochen wurden, daß ihnen auf Dauer wenig Erfolg beschieden war; zur Haltung des römischen Staats gegenüber Wahrsagerei vgl. MACMULLEN 1966, 128–162. Die Geschichte des als männliche Person mit Widderhörnern vorgestellten Gott Ammon beginnt im ägyptischen Theben. Er wurde dort als lokaler Sonnen- und Fruchtbarkeitsgott verehrt. Mit dem Aufstieg The-
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bens zur Hauptstadt Ägyptens zu Beginn des zweiten vorchristlichen Jahrtausends erlangte Ammon nationale Bedeutung und wurde mit dem Sonnengott Ra identifiziert. Vermutlich von ägyptischen Kolonisten wurde eine Orakelstätte in der Oase Siwah (ca. 800 km östlich von Theben, 350 km südlich von Paraetonium an der Küste der Kyrenaika gelegen) eingerichtet. Wann das Orakel gegründet wurde, ist nicht mehr zu rekonstruieren; aus archäologischen Funden ergibt sich als terminus ante quem, daß es zur Zeit des Amasis (570–526 v. Chr.) bereits bestanden haben muß. Nach Griechenland gelangte die Kenntnis vom Ammon über Kolonisten in Kyrene. Als Zeus Ammon erwähnt ihn zuerst Pindar (fr. 36 [SNELL]). Bis etwa zum Besuch Alexanders (331 v. Chr.) wurde das Orakel regelmäßig von Griechen besucht; auch in Griechenland selbst wurde der Gott verehrt. Ende des vierten Jahrhunderts setzte der Abstieg des Orakels ein. Es nahm teil am durch Aufkommen konkurrierender Formen der Weissagung (z.B. Astrologie) verursachten allgemeinen Niedergang der traditionellen kultischen Orakelmantik, wie sie in Delphi oder Dodona geübt wurde. Zudem wurde der Ammonskult durch die sich in der hellenistischen Welt ausbreitenden Sarapis- und Isis-Kulte verdrängt, die das Verlangen nach neuen fremdartigen (ägyptischen) Gottheiten stillten und den Zeus Ammon in Vergessenheit geraten ließen. Das endgültige Ende für das Orakel dürfte spätestens unter Justinian im sechsten nachchristlichen Jahrhundert erfolgt sein, der sich rühmt, sämtliche Reste paganer Religion in Nordafrika unterdrückt zu haben. Für die Geschichte des Ammonsorakels und dessen Darstellung in der griech.-röm. Literatur vgl. die ausführliche Darstellung PARKEs (1967, 194–252); für die Verehrung Ammons in Griechenland vor dem Hellenismus vgl. CLASSEN 1959. Zum archäologischen Befund in Siwah vgl. BELGRAVE 1923; FAKHRY 1973. 511–512. Libycis quod gentibus unum / inculti Garamantes habent: d.h. anders als die den Römern bekannte Orakelstätte in Delphi wurde das Heiligtum des Ammon nicht gemeinsam von einer „Amphiktyonie“ der umwohnenden Stämme verwaltet, sondern unterstand allein den Garamanten, deren Stamm die östlichen Oasen der Sahara bewohnte. Als Vorsteher des Orakels werden sie nur hier genannt; die Angabe scheint jedoch zuverlässig zu sein, da auch Verg. Aen. 4,198–199, wo Iarbas, Aeneas’ Rivale, als Abkömmling des Ammon und einer garamantischen Nymphe bezeichnet wird, auf eine Verbindung zwischen dem Ammon und diesem Stamm hindeutet. Die Römer machten im ersten nachchristlichen Jahrhundert mehrfach unliebsame Bekanntschaft mit dem kriegerischen No-
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madenvolk; die Quellen erwähnen für diesen Zeitraum insgesamt vier römische Strafexpeditionen, mit denen Raubzüge der Garamanten ins Kulturland geahndet wurden. Lucan, der die Garamanten auch in 4,334. 679; 9,369. 460 erwähnt, geht auf die zeitgenössischen Ereignisse jedoch nicht ein. Durch inculti werden sie allgemein als unzivilisiertes Naturvolk charakterisiert. Zu den Garamanten vgl. DESSAU 1910, 751–751. Incultus von Völkern (auch in 5,51) ist poetisch vor Lucan nur in Paneg. in Mess. 59 belegt; in diesem Sinn findet sich das Wort sonst zumeist bei Historikern und Ethnographen. Vgl. ThLL VII 1,1070,31–41 (LAM BERTZ). 512. sortiger: „als Orakelgeber“; sortiger ist ein Neologismus Lucans (von anderen Autoren nicht nachgeahmt), den er dem religiösen t.t. sortilegus („Orakeldeuter“; vgl. zu 581) ergänzend gegenüberstellt. Die Neubildung beschreibt distanziert und neutral die Funktion des Gottes: Er gibt Orakel, die die Priester auslegen. Lucan unterläßt die zu erwartende Prädikation des Ammon als „wahrheitsverkündend“ o.ä. und läßt so seine reservierte und kritische Haltung gegenüber dem Orakel erkennen. Das einzige „Orakel“, das er als „wahr-sagend“ anerkennt, ist Cato; vgl. zu 189. 255. 564–565. 513. non aut fulmina vibrans / aut similis nostro: „nicht Blitze schleudernd noch sonst in irgendeiner Weise dem Iuppiter, wie wir ihn kennen, ähnlich“. Der Blitz ist festes Attribut bei Iuppiterdarstellungen; er kennzeichnet ihn als Herrscher über Himmel und Erde, Wettergott und Kämpfer gegen die Giganten; vgl. z.B. Sil. 10,360–362: ipse refulgebat Tarpeiae culmine rupis, / elata torquens flagrantia fulmina dextra, / Iuppiter, et lati fumabant sulphure campi und zu Darstellungen in der bildenden Kunst VOUTIRAS U .A . 1997a, 310–486 und 1997b, 218–319. Zu Lucans Kritik an traditionellen Iuppitervorstellungen und deren Verwendung im Herrscherkult vgl. zu 4. Zu aut … aut als Verbindung zweier Glieder von unterschiedlicher Wichtigkeit vgl. K/ST 2,104–105. 514. tortis cornibus Hammon: Zeus Ammon wurde als männliche Gestalt mit eingedrehten Widderhörnern dargestellt; vgl. Abbildungen und Kommentar bei LECHANT/CLERC 1981a, 666–689 und 1981b, 534–554.
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515–521: Die Beschreibung der Orakelstätte verbindet Lucan mit einem polemischen Ausfall gegen die Dekadenz der zeitgenössischen römischen Religion: Die bescheidene Ausstattung des Ammontempels hebt sich positiv vom veräußerlichten römischen Kultus ab. Während in Rom Religion bedeutet, Tempel mit Gold zu schmücken, kümmern sich die Völker des Ostens nicht um Prunk, sondern verehren innerlich und aufrichtig den Gott. Die Veräußerlichung des Kultus ist häufig Thema hellenistischer, besonders stoischer Philosophie; vgl. z.B. die zweite Satire des Persius, des Jugendfreunds Lucans, vor allem 2,59–69: aurum vasa Numae Saturniaque impulit aera / Vestalisque urnas et Tuscum fictile mutat. / o curvae in terris animae et caelestium inanis, / quid iuvat hoc, templis nostros immittere mores / et bona dis et hac scelerata ducere pulpa? / (…) at vos / dicite, pontifices, in sancto quid facit aurum? Spuren dieses Topos der Populärphilosophie finden sich bei Lucan auch in 8,858–561; 9,10–11; 10,111–112 (mit SCHMIDT und HOLMES z.St.). Für die Präsenz dieses Themas bei Lucan ist aber nicht allein seine stoische Prägung verantwortlich zu machen. Kritik an übermäßigem Prunk gehörte als locus de divitiis zum Handwerkszeug eines jeden Deklamators (vgl. dazu BONNER 1966, 271–273); auch aus genuin römischer Perspektive wurde kostbare Tempelausstattung als Abweichung vom mos maiorum getadelt, daneben gelten Kultgegenstände aus kostbaren Materialien als Depravation der Schlichtheit des goldenen Zeitalters (vgl. K UBUSCH 1986, 217–224). Vgl. Sall. Catil. 12,3; Prop. 4,1,3–7 (mit FEDELI z.St.); Tib. 1,10,17–26; 2,5,27–32; Hor. carm. 2,15,14–20; Ov. fast. 1,193–204. 224–226; Val. Max. 4,4,11; Manil. 5,288–290; Plin. nat. 34,34; 35,157–158; Iuv. 11,111–116. 515–516. non … posuerunt ditia … / templa: „legten nicht den Grundstein zu prächtigen Tempeln“. Ponere ist in dieser Verwendung t.t. („den Grundstein legen“); vgl. Cic. off. 1,31: posui (…) fundamenta iustitiae; Ov. met. 4,606; 12,587: mecum posuisti moenia Troiae (Beispiele in OLD s.v. ponere Nr. 3). 516. donaria: proprie loca sunt, in quibus dona reponuntur deorum, abusive templa (Servius zu Verg. georg. 3,533). Vor Lucan ist das Wort nur dreimal jeweils in der übertragenen Bedeutung belegt; vgl. Verg. georg. 3,533; Ov. am. 2,13,13; fast. 3,335 (mit BÖMER ). Lucan gebraucht das seltene Wort hier, um durch das Paradox der donaria, die überhaupt keine dona enthalten oder jedenfalls nicht solche, die seinen römischen Landsleuten als angemessen erscheinen würden, die Frömmigkeit der Verehrer des Ammon
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hervorzuheben: Anders als die Römer haben sie es nicht nötig, Religiosität durch kostbare Geschenke vorzuheucheln. 517–518: Von den Garamanten, die das Orakel verwalten (512), über die libyschen Völkerschaften, die den Grundstein des Tempels legten (515), schreitet Lucan fort zu Aethiopiern, Arabern und Indern, die den Iuppiter Ammon in Afrika regelmäßig konsultieren, weil sich allein dort dessen Orakelstätte befindet. 517–518 erläutern Eois … gemmis (516). Ausgehend von den römischen Gepflogenheiten sollte man erwarten, daß die wohlhabenden Völker des Ostens den Tempel reich ausgeschmückt hätten. 517. Aethiopum populis: Die besondere Verehrung des Ammon durch die Aethiopier erwähnt Plinius maior (nat. 37,33). 517–518. Arabumque beatis / gentibus atque Indis: Araber und Inder waren für ihren auf Gewürzhandel beruhenden Reichtum berühmt; vgl. auch Hor. carm. 3,24,1–3: intactis opulentior / thesauris Arabum et divitis Indiae / caementis; epist. 1,6,6. Die Völker werden hier wie bei Horaz gemeinsam angeführt, weil der Indienhandel größtenteils unter Ausnutzung der Monsunwinde zur See über Arabien abgewickelt wurde; vgl. 8,854: Arabum portus mercis mutator Eoae; CASSON 1974, 118–121; DIHLE 1994, 106. 113–114. Daß aus Indien Gesandtschaften zum Ammonsorakel geschickt wurden, ist äußerst unwahrscheinlich; Lucan übertreibt; er nennt die Inder, um das durch Eois … gemmis angeschnittene Thema „Reichtum östlicher Völker“ zu erläutern und den paradoxen Sachverhalt zu unterstreichen, daß die Kultstätte des Ammon angesichts des großen Einzugsgebiets des Orakels vergleichsweise ärmlich ausgestattet war. Das Beiwort beatus (oder felix; vgl. 7,442) spielt auf den Reichtum der Flora (Südwest-)Arabiens an Aromata und Gewürzen an (vor allem Weihrauch, Myrrhe und Zimt); vgl. Plin. nat. 6,162. Der Mathematiker und Geograph Klaudios Ptolemaios (gestorben unter Marc Aurel) kanonisierte später in der geographischen Literatur die differenzierende Dreiteilung Arabiens in Arabia Petraea im Norden, Arabia deserta am persischen Golf und dem fruchtbaren Arabia felix am arabischen Meerbusen. Zu den Beziehungen zwischen Rom und Arabien vgl. BOWERSOCK 1983. 519–520. nullis violata per aevum / divitiis delubra tenens: „und bewohnt sein Heiligtum, das lange Zeit hindurch von keinerlei Prunk
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entweiht worden ist“. Die Formulierung ist eine Variation von 3,399: lucus erat longo numquam violatus ab aevo (vgl. HUNINK z.St.). 521. Romano … ab auro: „vom Gold der Römer“. EHLERS (zustimmend SHACKLETON BAILEY im App.) lehnt diese von der Mehrzahl der Interpreten favorisierte Übertragung ab und übersetzt: „von dem in Rom gewohnten Gold“. Er möchte damit den gedanklichen Bruch vermeiden, der dadurch entsteht, daß Lucan hier von römischem Gold spricht, während zuvor der Reichtum der Ammonsverehrer aus dem Osten Thema war. Beide Auffassungen sind möglich, doch gewinnt Lucans moralisierender Exkurs über die Reinheit des Ammonskults und die Verderbtheit der römischen Religion noch größere Schärfe, wenn man die leichte Inkonzinnität des Gedankens in Kauf nimmt und den Vers als Kritik an der sittenverderbenden Wirkung des römischen Imperiums liest, durch das die unverdorbenen Kulturvölker korrumpiert werden. Zu diesem Thema bei Lucan vgl. 3,399–425; 9,424–430; zum verderblichen Einfluß, den das noch reichere Ägypten auf Rom ausgeübt haben soll, vgl. 10,109–110. 522–527: Die Verse enthalten eine polemische Spitze gegen die Götter. Die einleitende Formulierung esse locis superos testatur silva per omnem / sola virens Libyen läßt als Ursache für die Oase inmitten der Wüste göttliches Wirken erwarten (Gedanke: „Wenn die Gegend sonst unfruchtbar ist, kann die Oase nur übernatürliche Ursachen haben“), es folgt aber in 526–527 eine rationale Erklärung: Das Wasser einer Quelle bindet den lockeren Sand und ermöglicht Pflanzenwachstum. Die Anwesenheit eines Gottes in der Oase hat also nichts mit deren Entstehung zu tun, sondern ist allein auf die Habgier und die Bequemlichkeit des Ammon zurückzuführen, der diesen amoenen Ort für sich okkupiert hat (solus nemus abstulit Hammon). Vgl. auch 5,82–85 (Apoll läßt sich in Delphi nieder, weil an diesem Ort mantische Ekstase verursachende Dämpfe aus der Erde steigen; wie hier die Götter nicht Ursache der Oase sind, besteht die Möglichkeit der Weissagung in Delphi unabhängig von der Anwesenheit Apolls). Die Kritik Lucans an den Göttern erinnert an die christliche Interpretation der heidnischen Gottheiten als Dämonen. Die Christen leugnen nicht, daß es neben Gott und den Engeln übernatürliche Wesenheiten gibt, die mit Fähigkeiten ausgestattet sind, die sie dem Menschen überlegen machen, doch sind es eigennützige, betrügerische Dämonen, die keinerlei Achtung verdienen. Nach Tertullian (apol. 10–22) bringen sie die Menschen dazu, Götterbilder zu verehren, um sich von den dargebrachten
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Opfern zu nähren. Ihre Fähigkeit zur Weissagung beruht darauf, daß sie vor langer Zeit den alttestamentlichen Propheten zuhörten, heimlich bei christlichen Predigten anwesend sind und sich so mit gestohlenen Weissagungen als Wahrsager aufspielen. Zur christlichen Dämonenlehre und den Beziehungen zur paganen Philosophie vgl. VAN DER NAT 1976, 715–761. Die gesamte Orakelszene und besonders diese Verse laden ein zu einem Vergleich mit ihrer Adaption bei Silius. Der Dichter der Punica läßt am Ende des dritten Buchs (3,647–714) den Karthager Bostar dem Ammon einen Besuch abstatten. Die Beschreibung seines gefahrvollen Wegs zur Oase, die Bostar dem Priester Arisbas gibt (3,650–665), ist eine stark geraffte Zusammenfassung von Lucan. 9,319–510. Bei Darstellung und Bewertung des Orakels weicht Silius jedoch charakteristisch von Lucan ab; vgl. 3,673–676: tum loca plena deo, dites sine vomere glebas / ostentat senior (sc. Arisbas) laetaque ita mente profatur: / „has umbras nemorum et conexa cacumina caelo / calcatosque Iovi lucos prece, Bostar adora.“ Er stellt die Oase als eine vom Gott erfüllte Stätte dar und führt ihre Fruchtbarkeit auf göttliches Wirken zurück. Silius übt hier implizit Kritik am Rationalismus Lucans. 522–523. esse locis superos: Zu erwarten wäre esse superis locos. Lucans Formulierung ist polemisch: Der Ort „hat“ die Götter, weil sie sich bei ihm wegen seiner Schönheit einfinden. 523–525: eine nachgeschobene geographische Erläuterung, die die zuvor behauptete Einzigartigkeit der Oase (silva per omnem sola virens Libyen) noch einmal heraushebt; vgl. auch Curtius’ Beschreibung der Oase (4,7,16): incredibile dictu, inter vastas solitudines sita (sc. sedes deo consecrata) undique ambientibus ramis (…) contecta est, multique fontes dulcibus aquis passim manantibus alunt silvae. Sie ist der einzige fruchtbare Ort, auf den Cato während seines Wüstenmarsches trifft. Berenike, gelegen an der Ostküste der großen Syrte, ist der Ausgangspunkt für Catos Marsch (vgl. 347), in Leptis Magna, der Hafenstadt zwischen großer und kleiner Syrte, verbringt Cato nach Durchquerung der Wüste den Rest des Winters (vgl. 948–949). Mit der geographischen Angabe, die den Anschein von Genauigkeit erweckt, verdeckt Lucan, daß Catos Besuch beim Ammonsorakel eine Fiktion ist. Die Oase Siwah liegt in Wahrheit weitab von Catos Route, zwischen Kyrene und Ägypten. 524. Berenicida: Berenicis – „die Gegend um Berenike“.
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525. solus nemus abstulit Hammon: „allein den Hain hat Ammon für sich in Anspruch genommen“. Solus ist als Enallage auch auf nemus zu beziehen. 526–527: Die Ursache für die Oase ist nicht wunderhaftes göttliches Wirken, sondern eine Quelle, die das für Pflanzenwachstum nötige Wasser spendet. Daß Pflanzen nur gedeihen können, wenn genügend Wasser vorhanden ist, ist banal. Die Genauigkeit jedoch, mit der Lucan die Wirkung des Wassers beschreibt, das den lockeren Sand bindet, läßt den Dichter auch hier wieder als Naturwissenschaftler erscheinen, der nicht nur Alltagswissen wiedergibt, sondern Vorgänge der Natur auch erklären kann. In 182–185 und 435–437 spielt Lucan in Äußerungen über die Bodenqualität auf die stoische Temperatio-Lehre an, nach der nur der Boden fruchtbar ist, in dem die vier Elemente Erde, Wasser, Feuer (Wärme) und Luft in einem ausgewogenen Mischungsverhältnis vorliegen. Es ist interessant, daß Lucan in der Beschreibung des Orakels und der Oase die von Herodot (4,181,3–4) zum ersten Mal erwähnte sogenannte Sonnenquelle ausläßt. Die Wassertemperatur dieser Quelle soll sich angeblich umgekehrt proportional zum Sonnenstand verhalten, also um Mitternacht am höchsten, mittags am niedrigsten sein. Es ist anzunehmen, daß Lucan von dieser Quelle gewußt hat. In der von ihm hier benutzten Alexandertradition wird sie regelmäßig erwähnt; vgl. Arr. an. 3,4,2; 17,50,4–5; Diod. 17,50,4–5; Curt. 4,7,22; auch Lukrez (6,848–878), Pomponius Mela (1,39) und Plinius der Ältere (nat. 2,228), dessen Enzyklopädie in etwa den Stand der Kenntnisse repräsentiert, die dem gebildeten Römer der frühen Kaiserzeit erreichbar waren, erwähnen sie. Offenbar hat er bewußt dieses allzu wundersame Detail unterdrückt. Für einen absichtlichen Verzicht Lucans spricht auch, daß der traditionell dichtende Silius die Quelle in seine sonst von Lucan abhängige Darstellung wieder einfügt (3,669–672); vgl. zu 522–527. Die Erklärung für die Entstehung der Legende von der Sonnenquelle gibt PARKE (1967, 199): Ausschlaggebend dürfte gewesen sein, daß das Wasser der Quelle in der Mittagshitze relativ kalt, nachts jedoch im Verhältnis zur stark abgekühlten Luft der Umgebung warm erschien. Das Fehlen des Thermometers in der Antike erschwerte es, festzustellen, daß die Wassertemperatur im Laufe des Tages so gut wie gleich blieb. Für die Tendenz von Autoren (oder deren Quellen) mit rationalem Selbstverständnis, Unglaubwürdiges zu unterdrücken und durch Verstandesgemäßes zu ersetzen, vgl. Tac. hist. 5,3,2 (Bericht vom Auszug der Juden aus Ägypten): sed nihil aeque quam inopia aquae fatiga-
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bat, iamque haud procul exitio totis campis procubuerant, cum grex asinorum agrestium e pastu in rupem nemore opacam concessit. secutus Moyses coniectura herbidi soli largas aquarum venas aperit. Bei diesem Bericht handelt es sich offenbar um eine rationale Umdeutung von wunderhaften Erzählungen, in denen Moses mit der Hilfe Gottes sein Volk mit Wasser versorgt (Ex 15,22–25; 17,1–7; Nm 20,1–11). Während Lucan implizit polemisiert, spricht Tacitus die boshafte Pointe der Eselsgeschichte aus. Angeblich verehren die Juden aufgrund dieser Begebenheit im Allerheiligsten des Tempels in Jerusalem ein Eselsbild (hist. 5,4,1 mit FAUTH/HEUBNER z.St.). Wie Lucan durch Silius widersprochen wird, hat auch Tacitus einen Kritiker gefunden. Tertullian (apol. 16,1–5) widerlegt empört die durch den Anschein von Rationalität und innerer Wahrscheinlichkeit getarnte Lügengeschichte von der Eselsverehrung der Juden. Zu Lucans Rationalismus vgl. auch zu 444–492. 526. silvarum fons causa loco: Die Parallelität der Formulierung zu esse locis superos testaur silva (522) unterstreicht, daß die Oase eine natürliche Ursache hat; vgl. zu 522–527. 526–527. qui putria terrae / alligat et domitas unda conectit harenas: „die das lockere Erdreich bespült und den durch Wasser gezähmten Sand bindet“. Das Vokabular ist überwiegend landwirtschaftlich-technisch. Zu puter vgl. Lucr. 5,142; Verg. georg. 1,44 (mit MYNORS); Colum. 2,2,2. 25; 2,10,18; 5,4,2. 9,3; 5,5,6 u.ö.; zu alligare vgl. Sen. nat. 2,1,4. 52,1; 4,5,4; epist. 55,2: erat autem a recenti tempestate spissum (sc. litus); fluctus enim, ut scis, frequens et concitatus exaequat, longior tranquillitas solvit, cum harenis, quae umore alligantur, sucus abscessit. Domare mit dem Boden als Objekt (auch Lucan. 2,114) ist eine von Vergil geprägte Metapher; vgl. Verg. georg. 2,114; Aen. 9,608; Aetna 10; ThLL V 1,1946,18–31 (BANNIER ). Lucan adaptiert sie, weil sie zu seiner vom Motiv „Kampf der Elemente“ bestimmten Naturvorstellung paßt; vgl. zu 321–322. Conectere (auch 3,400; 5,96; 9,5) ist, abgesehen von Lukrez (7 Belege; conexus: 5 Belege), poetisch selten (2mal Verg.; 3mal Ov.), begegnet aber bei Fachschriftstellern (z.B. 10mal bei Colum.). 528–532: Um die Ortsbeschreibung noch durch die Schilderung eines merkwürdigen Phänomens anreichern zu können, verlegt Lucan die Oase Siwah um mehr als 600 km nach Süden auf den nördlichen Wendekreis. Dort fällt zur Sommersonnenwende mittags das Sonnenlicht senkrecht
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ein, so daß kein Schattenwurf erfolgt. Das Motiv des veränderten Schattenwurfs zur Charakterisierung exotischer, weit im Süden liegender Orte verwendet Lucan auch in 2,587; 3,247–248; 9,539; 10,236–237; vgl. dazu ABEL 1974, 1110. Es mutet heutigen Lesern wie ein weit hergeholtes Stück astronomischer Gelehrsamkeit an, die geographische Breite eines Ortes indirekt durch die Art des Schattenwurfs zu beschreiben, doch ist die Entstehung des Motivs aus antiken Bedingungen gut erklärbar. Die Sonnenuhr war ein selbstverständlicher Bestandteil des Alltagslebens, und zumindest den Gebildeten war bekannt, daß man bei ihrer Einrichtung wegen der Kugelgestalt der Erde die geographische Breite des Orts zu berücksichtigen hatte und die Gradeinteilung der Anzeige für jeden Ort jeweils neu zu berechnen war. Zu den Kenntnissen der Römer von der ratio umbrarum vgl. Plin. nat. 2,177–187; Vitruv gibt in De architectura 9,7 eine Anleitung zur geometrisch korrekten Konstruktion von Sonnenuhren, in 9,8,1 zählt er verschiedene Formen von Sonnenuhren und deren Erfinder auf. Plinius beschreibt in nat. 7,212–215 die schrittweise Einführung der Stundenzählung in Rom. Demnach gelangte die erste Sonnenuhr als Beutestück nach der Eroberung Catanias im ersten punischen Krieg nach Rom und blieb dort, obwohl sie wegen der anderen geographischen Breite die Zeit nicht exakt anzeigte, fast 100 Jahre in Gebrauch; die erste Wasseruhr, die eine vom Wetter unabhängige Zeitmessung ermöglichte, sei von Scipio Nasica im Jahr 159 v. Chr. in Rom eingeführt worden; zur Entwicklung der von Anaximander erfundenen Sonnenuhr in der Antike vgl. REHM 1913. In der Kaiserzeit berühmt war die von E. BUCHNER Mitte der siebziger Jahre wiederentdeckte riesige, mit einem 30m hohen Obelisken als Zeiger ausgestattete Sonnenuhr des Augustus, deren Hauptachse, die Äquinoktienlinie, den 23. September, Augustus’ Geburtstag, anzeigte und gleichzeitig die Lage der Ara pacis (eingeweiht 9 v. Chr.) bestimmte; vgl. dazu BUCHNER 1982. Abgesehen von der Bereicherung der Darstellung durch ein gelehrtes und bizarres Motiv dürfte dem Hinweis auf den fehlenden Schattenwurf ebenso wie der folgenden Beschreibung des Auf- und vor allem des Untergangs sämtlicher Tierkreiszeichen und der zirkumpolaren Gestirne am Äquator noch ein tieferer Grund zugrunde liegen. Es geht nicht allein um geographische Besonderheiten oder um das Problem der Orientierung auf dem Marsch, sondern beide Stellen bereiten zugleich den Boden für Catos Lehrvortrag über stoische Ethik als dem einzig zuverlässigen Maßstab einer angemessenen Lebensführung (564–586). Der Kosmos ist in Aufruhr, und selbst an den Sternen, Sinnbild einer unwandelbaren, ewigen
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Ordnung, ist keine Orientierung mehr möglich. Kein Gestirn bleibt vom Untergang verschont (541–542: nullumque in vertice semper / sidus habes immune mari). Allein die von Cato dargelegten Lehrsätze stoischer Moralphilosophie geben dem Menschen eine Richtschnur für sein Handeln. Für diese Deutung sprechen auch 493–495 (iamque iter omne latet nec sunt discrimina terrae (…) sideribus novere viam) in der Hinführung zur Ammonszene. An der Oase bzw. am Äquator sind selbst die discrimina caeli nicht mehr gegeben. Den Abschluß des Themas der „astronomischen Verunsicherung“ bildet die Beschreibung einer Mondfinsternis innerhalb des der Ammonszene folgenden Perseus-Exkurses (692–695): nec terra celsior ulla / nox cadit in caelum lunaeque meatibus obstat, / si flexus oblita vagi per recta cucurrit / signa nec in Borean aut in Noton effugit umbram. Da in der Nacht die Sonne senkrecht auf die Afrika gegenüberliegende Zone innerhalb der Wendekreise einfällt, wirft die Erde einen ebenfalls senkrechten Schlagschatten, der eine Mondfinsternis bewirkt. Sonne und Sterne werden als Orientierungshilfen in der Ammonszene eliminiert. Systematisch konsequent werden hier nun auch der Mond und der schwache Schatten, den sein Licht zu werfen pflegt, als die letzten verbliebenen kosmischen Wegweiser ausgeschaltet. Mit der Verbindung von Kosmologie und Ethik setzt Lucan hier ein Motiv aus dem zweiten Buch fort. Cato äußert dort (2,289–292): sidera quis mundumque velit spectare cadentem / expers ipse metus? Quis, cum ruat arduus aether, / terra labet mixto coeuntis pondere mundi, / compressas tenuisse manus? Einer kosmischen Katastrophe kann der um das Staatswohl besorgte Stoiker römisch-lucanischer Prägung nicht einfach zuschauen. In der Antwortrede an Labienus wird dieses Engagement philosophisch begründet. Nach Lucans Cato gibt es nur zwei sichere Fixpunkte für die Menschen; sie bilden Einleitung und Schluß seiner Rede: (1.) die Pflicht, für die Freiheit zu kämpfen (566–567: quid quaeri, Labiene, iubes? An liber in armis / occubuisse velim potius quam regna videre?), sowie (2.) die menschliche Endlichkeit (582–584: me non oracula certum / sed mors certa facit. Pavido fortique cadendum est: / hoc satis est dixisse Iovem). Wenn ohnehin niemand dem Tod entrinnen kann, gibt es – nach Cato – kein Argument, sich der Pflichterfüllung zu entziehen. Zur Verbindung von Kosmologie und Ethik bei Lucan vgl. auch SKLENÁR 1999. Die hier gegebene Interpretation, die astronomischen Ausführungen in und im Umfeld der Ammonszene als Hinleitung zur ethischen Unterweisung zu deuten, wird durch eine Szene im achten Buch unterstützt, in der ebenfalls die Themen Astronomie und das menschliche Suchen nach Rat und Plan miteinander verbunden sind (8,159–192). Der bei Pharsalos
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geschlagene und auf der Flucht befindliche Pompeius sinnt über die Optionen nach, die ihm nach der Niederlage noch geblieben sind, und wendet sich schließlich an den Steuermann seines Schiffes (8,161–167): vigiles Pompei pectore curae / nunc socias adeunt Romani foederis urbes / et varias regum mentes, nunc invia mundi arva super nimios soles austrumque iacentis. / saepe labor maestus curarum odiumque futuri / proiecit fessos incerti pectoris aestus, / rectoremque ratis de cunctis consulit astris. Der Steuermann antwortet (8,172–176): „Signifero quaecumque fluunt labentia caelo / numquam stante polo miseros fallentia nautas, / sidera non sequimur. Sed, qui non mergitur undis (vgl. die oben zitierten 541–542: In tropischen Breiten gehen sogar alle Sterne unter) / axis inocciduus gemina clarissimus Arcto, / ille regit puppes.“ Pompeius bleibt darauf unschlüssig (8,186–192); er weist den Steuermann an, nur Italien und Thessalien möglichst weit hinter sich zu lassen. Wo er schließlich ankomme, sollen die Winde entscheiden. Anders als Cato ist Pompeius völlig konzeptionslos. Der Versuch, von den Sternen, dem Sinnbild der Zuverlässigkeit und Orientierung, Rat zu erhalten, scheitert kläglich. Er zieht sich ins Private zurück; wenigstens hat er seine Gattin bei sich, so daß es im Grunde belanglos ist, wo er schließlich anlandet (8,190–192). Noch auf ein weiteres Motiv sei verwiesen. Ebenso wie in der Ammonszene (9,538–539) werden auch bei der Beschreibung des ratlosen Pompeius die Antipoden (im neunten Buch sind es strenggenommen die Bewohner des Äquators) eingeführt (8,159–161; Einleitung der Szene): iam pelago medios Titan demissus ad ignes / nec quibus abscondit, nec si quibus exerit orbem, totus erat. Die halb unter- und halb aufgegangene Sonne weist auf die Ratlosigkeit des Pompeius voraus, doch zugleich wird durch die Erwähnung der Antipoden – deren Existenz aufgrund der Lehre von der Kugelgestalt der Erde und antiker Klimatheorie postuliert wurde (vgl. in diesem Band S. 391–409) – die Verunsicherung noch gesteigert. Wenn es Völkerschaften gibt, die Sonne und Sterne aus anderem Blickwinkel betrachten oder gänzlich andere Sterne sehen, die von Rom, Caesar und Pompeius noch niemals etwas gehört haben, was bedeuten die römische Geschichte, der Ruhmesgedanke und der Glanz eines dreimaligen Triumphators noch? In seiner Hilflosigkeit erwägt es Pompeius sogar, sich zu diesen Völkern durchzuschlagen (8,161–164: vigiles Pompei pectore curae / nunc socias adeunt Romani foederis urbes / et varias regum mentes, nunc invia mundi / arva super nimios soles Austrumque iacentis). Wie soll man sich das vorstellen? Will er ihnen mimisch und gestisch erläutern, wer Caesar, er selbst und Rom seien? Diese Dinge werden nicht ausgeführt, da sie skurrile Effekte hervorrufen würden und innerhalb eines Epos fehl am Platz sind. Doch bevor diese
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Interpretation als zu weitgehend abgetan wird, sei auf den Höhepunkt der Anchises-Rede im sechsten Buch der Aeneis verwiesen (6,791–797): hic vir, hic est, tibi quem promitti saepius audis, / Augustus Caesar, divi genus, aurea condet / saecula qui rursus Latio regnata per arva / Saturno quondam, super et Garamantas et Indos / proferet imperium; iacet extra sidera tellus, / extra anni solisque vias, ubi caelifer Atlas / axem umero torquet stellis ardentibus aptum (es folgt: Selbst Herkules und Bacchus haben nicht so viel Land bereist / sich untertan gemacht). Mit mythologisch-astronomischen Ausführungen schildert Vergil den Herrschaftsbereich und den Ruhm des Augustus als allumfassend und unendlich und baut möglichen Einwänden oder Relativierungen vor. Es scheint also, daß durch die astronomischen Motive des achten und neunten Buchs nicht nur der moralphilosophische Lehrvortrag Catos, sondern auch Lucans Neufassung des Ruhmesbegriffs in 9,593–600 vorbereitet wird (hunc ego per Syrtes Libyaeque extrema triumphum / ducere maluerim, quam ter Capitolia curru / scandere Pompei, quam frangere colla Iugurthae, 598–600). Cato hat auf dem letztlich vergeblichen Wüstenmarsch vorbildlich seine Pflicht erfüllt. Dies erhebt ihn über die allein von der Fortuna zu Triumphatoren erhobenen Marius und Pompeius. Zugleich ist er jedoch derjenige, der die Syrtes Libyaeque extrema durchschritten hat und somit seinen Ruhm weltweit ausgedehnt hat. Das Vordringen in die südliche Hemisphäre wird von einem Soldaten aus Catos Heer ausdrücklich festgehalten (9,871–878: patriae non arva requiro / Europamque alios soles Asiamque videntem: / qua te parte poli, qua te tellure reliqui, / Africa? Cyrenis etiamnunc bruma rigebat: / exiguane via legem convertimus anni? / imus in adversos axes, evolvimur orbe, / terga damus ferienda Noto; nunc forsitan ipsa est / sub pedibus iam Roma meis). Catos Soldaten sind damit selbst zu Antipoden geworden; sie und ihr Anführer, nicht Marius, Pompeius, Augustus oder auch Alexander – er gelangte nur bis zum Oceanus –, haben weltweiten, wenn nicht kosmischen Ruhm erworben. Der Sprecher versteht selbst nicht, was er damit erreicht hat, und fügt an (9,878–880): solacia fati / haec petimus: veniant hostes, Caesarque sequatur, / qua fugimus. Die Bezeichnung der Äquator-Überquerung als Flucht stellt die Interpretation des Abschnitts nicht in Frage. Es ist eine stoische Paradoxie: Mögen die Soldaten auch vor Caesar fliehen und schließlich unterliegen, sie und ihr Feldherr beweisen, wie im folgenden dargelegt wird, in der Situation stoische Tugenden (9,880–882): sic dura suos patientia questus / exonerat. Cogit tantos tolerare labores / summa ducis virtus. Sterben sie auch, sie tun, mit Catos Hilfe, gefaßt (9,884–886): quocumque vocatus / advolat atque ingens meritum maiusque salute / contulit, in letum vires. Die schon bei Vergil vorliegende Verknüpfung der Astronomie mit
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dem Gedanken weltweiten Ruhmes / weltweiter Herrschaft scheint eine Weiterreflexion des Alexander-Motivs des erreichten Oceanus angesichts der sich verbreitenden Lehre von der Kugelgestalt der Erde zu sein. Der vollkommene Herrscher muß auch die Antipoden unterworfen haben. 528–529. cum cardine summo / stat librata dies: „wenn die Sonne genau im Zenit steht“. Cardo meint hier den Meridian, den größten Kreis am Himmel durch Zenit und Pol, an dessen höchsten Punkt senkrecht über dem Betrachter die Sonne zur Zeit der Sommersonnenwende steht. Zu den verschiedenen Bedeutungen, in denen Lucan cardo verwendet, vgl. HEITLANDs Exkurs XC–XCIV. 529–530: Steht die Sonne im Zenit, kann das Laubwerk eines Baums dem Stamm kaum schützenden Schatten gewähren. Diese Verwendung des Baumschattenmotivs ist für Lucans Bild einer bedrohlichen und dem Menschen feindlichen Natur charakteristisch. Wird das Motiv des Schattenfalls gewöhnlich in Schilderungen eines locus amoenus gebraucht (vgl. z.B. Lucr. 2,23–33: gratius interdum neque natura ipsa requirit, / si non aurea sunt iuvenum simulacra per aedes / lumina nocturnis epulis ut suppeditentur / (…) / cum tamen inter se prostrati in gramine molli / propter aquae rivum sub ramis arboris altae / non magnis opibus iucunde corpora curant, / praesertim cum tempestas adridet et anni / tempora conspergunt viridantis floribus herbas; SCHOENBECK 1962, 49–56; N OVÁKOVÁ 1964, 26–27), unterdrückt Lucan auch an anderen Stellen die idyllische Seite des Motivs. Pompeius wird mit einer abgestorbenen und entlaubten Eiche verglichen, die nicht einmal mehr Schatten spenden kann (1,139–140), der Hain in der Nähe von Massilia ist finster und eiskalt, weil der dichte Baumbestand das Sonnenlicht und damit die Wärme abschirmt (3,399–401). In 9,428–430 gebraucht Lucan das Motiv in herkömmlicher Weise, das friedliche Idyll währt jedoch nicht lange: citri contenta comis vivebat (sc. Maurus) et umbra. / in nemus ignotum nostrae venere secures, / extremoque epulas mensasque petimus ab orbe. Zum Motiv des Schattens bei Lucan vgl. NOVÁKOVÁ 1964, 28–30. 531–532: „It has been ascertained that this is the latitude where the tropic of Cancer (d.h. der nördliche Wendekreis) strikes the Zodiac“ (HOUSMAN im Appendix, 330). Die Sonne bewegt sich bei ihrem scheinbaren Jahreslauf um die Erde auf der sogenannten Ekliptik, einer um ca. 23,3° zum Himmelsäquator geneigten Linie. Zu Frühlings- und Herbstanfang schneidet sie den Himmelsäquator; bei Sommer- bzw. Winteranfang hat
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sie die größte Entfernung zum Himmelsäquator, sie berührt die beiden Wendekreise. Am 21. Juni steht also die Sonne, wie Lucan hier fingiert, über der Oase Siwah im Zenit und schneidet so den Wendekreis. Der Zodiakus (lateinisch gewöhnlich: signifer; hier: signorum orbis) ist die Zone, die sich links und rechts der Ekliptik erstreckt, in die sich die zwölf Sternzeichen des Tierkreises (Krebs, Zwillinge, Stier, Widder, Fische, Wassermann, Steinbock, Schütze, Skorpion, Waage, Jungfrau, Löwe) befinden. Vgl. nachstehende Skizze (aus: HERMANN 1996, 124).
531. deprensum est: „man hat entdeckt“; vgl. 836: deprensum est, quae funda rotat quam lenta volarent. Diese Bedeutung von deprehendere ist t.t.; sie begegnet sonst häufig in naturwissenschaftlichen, besonders astronomischen Schriften; vgl. Germ. 722; Sen. nat. 1,12,1 und ThLL V 1,611,33–55 (BÖGEL).
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532. locum: nicht ganz korrekt, denn die Sonne steht nicht nur am Ammonsorakel, sondern an allen Orten, die auf dem nördlichen Wendekreis liegen, zu Beginn des Sommers im Zenit. 533–543: Es empfiehlt sich, die Verse 538–543 zwischen 532 und 533 einzuschieben. Die Ausführungen über den Schattenfall in 538–539 knüpfen an 528–532 an, und die in 533–537 beschriebenen Phänomene sind nur am Äquator, nicht am nördlichen Wendekreis zu beobachten (HOUSMAN). Zu erklären ist der Überlieferungsfehler am besten durch die Annahme, daß der Schreiber von 532 (solstitii medium signorum percutit orbem) zu 543 (et fuga signorum medio rapit omnia caelo) gesprungen ist und die ausgelassenen Verse nach Bemerken seines Irrtums am Rand notiert hat. Von dort sind sie dann an falscher Stelle wieder in den Text eingefügt worden; vgl. H OUSMAN im App. Die Korrektur der Versstellung geht zurück auf P ETRUS J A K O B U S (zustimmend: H O U S M A N ; EH L E R S ; LUCK; S HACKLETON B A I L E Y ; ablehnend: H O S I U S ; HASKINS; BOURGERY/PONCHONT/JAL; BADALÌ). 538. at tibi: ein harter, assoziativer Übergang, der nur durch die Anrede des unbekannten Volks gemildert wird. Lucan springt von der Beschreibung des Schattenfalls am nördlichen Wendekreis zu einem Volk, das auf einer geographischen Breite lebt, auf der der Schatten nach Süden fällt. Zweck des Sprunges ist es, der Darstellung durch das folgende poetische Kabinettstück, der Beschreibung der Auf- und Untergänge der zwölf Tierkreiszeichen in nur fünf Versen (533–537), ein Glanzlicht an Gelehrsamkeit und artifizieller poetischer Technik aufzusetzen. quaecumque es Libyco gens igne dirempta: „was du auch für ein Volk sein magst, von uns durch die Hitze Afrikas getrennt“. Eine Bezugnahme auf die Lehre von den Antipoden. Nach der stoischen Klimalehre gliedert sich die Welt in fünf Klimazonen. Drei von ihnen (die beiden Polkappen und die Äquatorialzone) gelten in der Antike wegen der klimatischen Bedingungen für unbewohnbar, die beiden zonae temperatae (eine auf der Nord-, eine auf der Südhalbkugel) bieten die Voraussetzungen für menschliches Leben. Diese Einteilung ist die Grundlage für die spekulative Annahme der Existenz von Menschen in den gemäßigten Breiten der Südhalbkugel. Da man die Südhalbkugel wegen der Hitze der äquatorialen Zone nicht für erreichbar hielt, ließ sich die Antipodenhypothese weder beweisen noch widerlegen und avancierte so zum reizvollen Dauerthema von Gebildeten wie Ungebildeten; vgl. Plin. nat. 2,161: ingens hic pugna
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litterarum contraque vulgi, circumfundi terrae undique homines conversisque inter se pedibus stare. Die antike Diskussion dürfte in etwa der heutigen Debatte um die Existenz von Außerirdischen entsprechen. Zur Rezeption der Antipodenlehre in Rom vgl. Lucr. 1,1052–1082 (epikur. Standpunkt: Ablehnung); Cic. rep. 6,20–21; acad. 2,123; Tusc. 1,68–69; Verg. georg. 1,247–251 (mit Servius); Manil. 1,236–246 (stoischer Standpunkt: Zustimmung); Sen. epist. 122,2–3; Plin. nat. 2,161 und KAUFFMANN 1894, 2531–2533. Auf die Antipodenlehre spielt Lucan auch in 8,163–164 und 9,875–878 an. Hier ist die Bezugnahme streng genommen unangebracht. Wie 542 (procul axis uterque est) zeigt, lokalisiert Lucan das unbekannte Volk am Äquator, um den Sternenhimmel aus dessen Perspektive schildern zu können. Nach der Zonenlehre müßte diese Gegend aber eigentlich unbewohnt sein. H OUSMAN (Astronomical Appendix, 331) führt zwar antike Geographen an, nach denen nur Nord- und Südrand der heißen Zone unbewohnbar sind, am Äquator selbst aber menschliches Leben möglich ist, doch ist diese Modifikation der Zonenlehre zu speziell, als daß Lucan kommentarlos auf sie Bezug nehmen könnte; vgl. ABEL 1974, 1110–1111. Offenbar mißachtet Lucan hier die antike Lehrmeinung aus Gründen der poetischen Darstellung. Er führt Bewohner der äquatorialen Zone ein, um die nachfolgend beschriebenen Himmelsphänomene aus deren Sicht beschreiben zu können. Der Abschnitt wird so viel lebendiger, als wenn er ihn einführen müßte mit „Berechnungen haben ergeben, daß man, wenn es möglich wäre, sich am Äquator aufzuhalten, die Tierkreiszeichen wie folgt auf- und untergehen sähe“ o.ä. 539. in Noton umbra cadit, quae nobis exit in Arcton: Für einen Beobachter in Gebieten nördlich des Wendekreises des Krebses fällt der Schatten zur Mittagszeit immer nach Norden, südlich des nördlichen Wendekreises fällt er nach Süden, jedenfalls dann – was Lucan hier unberücksichtigt läßt –, wenn sich die Sonne auf ihrem jahreszeitlichen Lauf nördlich von ihm befindet. Nur für Bewohner von Gegenden südlich des Wendekreises des Steinbocks fällt der Schatten immer nach Süden. Dasselbe Motiv verwendet Lucan auch in 3,247–248: ignotum vobis, Arabes, venistis in orbem / umbras mirati nemorum non ire sinistras; vgl. HUNINK z.St. 540. te segnis Cynosura subit: „dir tritt die träge Cynosura ins Gesichtsfeld ein“. Während für den Bewohner der nördlichen Breiten das zirkumpolare Gestirn des kleinen Wagens (auch „Kleiner Bär“ oder Cynosura = „Hundeschwanz“), dessen Deichselende der Polarstern bildet, immer
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sichtbar ist, geht es für einen am Äquator befindlichen Beobachter, dessen Horizont parallel zur Himmelsachse verläuft, auf und unter wie alle übrigen Gestirne. Te subit heißt „es nähert sich dir von unten (von unterhalb des Horizonts)“; vgl. HOUSMAN (Astronomical Appendix, 331 mit Anm.). Das folgende mergi plaustra putas (540) ist also antithetisch formuliert. Segnis (oder gravis/piger/tardus) ist häufig Beiwort der zirkumpolaren Gestirne. In derselben Zeit, in der sie ihren verhältnismäßig kleinen Radius um die Himmelsachse umlaufen, scheinen die südlicheren Gestirne weit größere Strecken auf ihrer Kreisbahn zurückzulegen; vgl. LE BOEUFFLE 1987, 215 (s.v. piger). Das Gestirn Cynosura (Arctos/Ursa) wird in der Poesie sonst meist im Zusammenhang mit der Navigation von Schiffen genannt. Da es in nördlichen Breiten nicht untergeht (vgl. Hom. Od. 5,271–275; Verg. georg. 1,246; Ov. met. 13,293. 727), diente es antiken Seefahrern zur Orientierung und ersetzte den fehlenden Kompaß; vgl. z.B. 3,218–219 (mit HUNINK); 8,180; Prop. 2,28,24; GUNDEL 1924; LE BOEUFFLE 1987, 53 (s.v. Arctos) und das folgende Lemma. 540–541. tu sicca profundo / mergi Plaustra putas: „du meinst, daß der trockene große Wagen im Meer versinkt“. Putas stellt die Meinung der Bewohner der Äquatorialzone dem Eindruck der Griechen und Römer gegenüber, für die dieses Gestirn nicht im Meer „untergeht“. Mergere vom scheinbaren Versinken der Gestirne gebraucht Lucan auch in 3,250–252; 4,54. 282. Plaustrum (Arctos; Ursa; der große Wagen/Bär), etwas südlich des kleinen Wagen gelegen, ist ebenfalls ein Gestirn, das den antiken Seeleuten zur Navigation diente. Häufig begegnet der Topos, daß die Phönikier sich nach dem näher am Pol gelegenen kleinen Wagen richteten, während die Griechen sich an den lichtstärkeren großen Wagen hielten; vgl. z.B. Cic. ac. 2,66; Manil. 1,294–307; Ov. epist. 18,149; fast. 3,107–108; trist. 4,3,1–2; Germ. 40–47; Sil. 3,665; Val. Fl. 1,17–18; L E BOEUFFLE 1987, 53 (s.v. Arctos). Siccus (oder inocciduus) ist Beiwort des großen Wagen, weil er für den Beobachter im Mittelmeerraum nicht „im Meer untergeht“ und „naß“ wird; vgl. LE BOEUFFLE 1987, 156 (s.v. inocciduus). 542. immune mari: die Wendung nach Ov. fast. 4,575–476: liquidique immunia ponti / (…) proxima signa polo und met. 13,293: immunemque aequoris Arcton (vgl. BÖMER z.St.). Vgl. auch Hom. Od. 5,275: émmorÒw §sti (sc. êrktow) loetr«n ÉVkeano›o.
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procul axis uterque est: „fern sind beide Pole“, d.h. der Beobachter befindet sich am Äquator; die Himmelspole befinden sich gleichweit entfernt auf seinem Horizont. 543: „und die Flucht der Gestirne (sc. des Tierkreiszeichens) führt alles mit sich fort mitten über den Himmel“. Weil für den Betrachter am Äquator alle Tierkreiszeichen untergehen, hat man den Eindruck, sie „flöhen“ vor ihm über den Himmel unter den Horizont. Zu fuga/fugere in diesem Sinn vgl. LE BOEUFFLE 1987, 140–141 (s.v. fugere). 533–537: Im folgenden beschreibt Lucan Auf- und Untergang sowie die Bewegung der Gestirne der Tierkreiszeichen, wie sie sich für einen am Erdäquator befindlichen Beobachter darstellen. Der Himmelsäquator befindet sich im rechten Winkel senkrecht über dem Beobachter und berührt den Zenit. Alle Zeichen des Tierkreises nehmen an ihrem höchsten Punkt nahezu denselben (rechten) Winkel zum Horizont ein und benötigen fast exakt dieselbe Zeit (ca. zwei Stunden) für Auf- und Untergang (vgl. Skizze 1). Für einen Betrachter in nördlichen Breiten ist der Himmelsäquator dagegen nach Süden verschoben. Die Gestirne, die näher der Frühjahrstagundnachtgleiche liegen, gehen in einem flacheren Winkel und schneller auf als die Gestirne, die näher an der Herbsttagundnachtgleiche liegen. Beim Untergang verhält es sich umgekehrt (vgl. Skizze 2). Für einen Beobachter am Pol wiederum sind stets dieselben Gestirne sichtbar (vgl. Skizze 3). Vgl. HOUSMAN (Astronomical Appendix, 332), auf dessen Erklärungen auch die folgenden Lemmata basieren, und die nachstehenden Skizzen (nach LE B OEUFFLE 1987, 286). Zur Entstehungsgeschichte des Zodiakus, astronomischen Einzelheiten und zur Bedeutung der Tierkreiszeichen in Religion und Mythos der Antike vgl. die Untersuchung von GUNDEL 1992. Da in der Antike eine Grundbildung in Astronomie erwartet wurde, konnte Lucan mit einer sachgemäßen Rezeption dieses Abschnitts rechnen; zumal die Tierkreiszeichen wegen ihrer Bedeutung in der Astrologie allgemein bekannt waren. Petron z.B. fingiert, daß das Speisezimmer des Emporkömmlings Trimalchio mit einer Darstellung von Planetenbahnen ausgeschmückt war und läßt ihn seinen Gästen eine kreisförmige Speiseplatte servieren, auf der der Zodiakus dargestellt war; auf jedem Sternzeichen lag ein dazugehöriges Gericht (Rindfleisch auf dem Zeichen „Stier“ usw.; Petron. 35,1–5; vgl. dazu E RIKSSON 1956, 38–84), eine Schilderung, die gleichermaßen die Geschmacklosigkeit des mit astronomisch-astrologischem Wissen prunken-
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den Trimalchio wie den Einfallsreichtum des Autors unterstreicht. Bei den bekannten Datierungsschwierigkeiten der Satyrica kann man nur spekulieren, ob hier gezielt polemisiert wird. Festzuhalten ist, daß die domus aurea Neros (erbaut von 64–66 n. Chr.) nach dem Zeugnis Suetons (Nero 31,2) ein als Planetarium gestaltetes Speisezimmer enthielt: praecipua cenationum rotunda, quae perpetuo diebus ac noctibus vice mundi circumageretur. Ob möglicherweise direkte Bezüge zwischen Lucan, Petron und Neros domus aurea vorliegen, bedarf noch der genaueren Klärung. MORFORD (1968, 170–172) und BASTET (1970, 143–144) vermuten hinter den kritischen Äußerungen Lucans (10,110–121) und Petrons (120,87–89) zu Bauluxus einen polemischen Schlag gegen Neros Prunkbau; auf die vorliegende Stelle gehen sie jedoch nicht ein. Vorläufig bietet sich eine Deutung von Petron. 35 als eine Verspottung des zeitgenössischen Geschmacks oder dessen Entartungen an; ungeachtet ihres späteren persönlichen Zerwürfnisses, müssen sich Lucan und Nero in künstlerischen und ästhetischen Fragen zumindest für eine bestimmte Zeit sehr nahe gestanden haben (vgl. 1,66: tu satis ad vires Romana in carmina dandas). Zu bildlichen Darstellungen der Tierkreiszeichen im Alltagsleben vgl. GUNDEL 1992, 40–48. Zur Interpretation dieser astronomischen Einlage vgl. zu 528–532.
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Skizze 1 (Der Beobachter befindet sich am Pol. Es sind stets dieselben Gestirne sichtbar.)
Skizze 2 (Der Beobachter befindet sich auf 45° nördlicher Breite. Die zirkumpolaren Gestirne des Nordpols sind stets sichtbar, die des Südpols nie; alle anderen erscheinen durch die Erdrotation für eine bestimmte Zeit im Sichtfeld.)
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Skizze 3 (Der Beobachter befindet sich am Äquator. Alle Gestirne gehen für ihn auf und unter.)
533. non obliqua meant: nur annäherungsweise richtig, denn der Zodiakus verläuft nicht genau auf dem Himmelsäquator, sondern auf der Ekliptik, der zum Himmelsäquator um 23,3° geneigten (scheinbaren) Bahn der Sonne um die Erde. Die Tierkreiszeichen sind also je nach ihrer Lage auf dem Zodiakus unterschiedlich weit vom Himmelsäquator entfernt; vgl. zu 531–532 und die dort eingefügte Zeichnung. Aus der Lage der Tierkreiszeichen auf der Ekliptik erklären sich auch die von Lucan im folgenden aufgeführten Phänomene. Stier und Skorpion z.B., das erste der von Lucan genannten Gestirnpaare, liegen sich auf dem Tierkreis (ebenso wie die anderen verglichenen Tierkreiszeichen) gegenüber, das eine Sternzeichen oberhalb des Himmelsäquators, das andere unterhalb. Während für den Beobachter am Äquator, dessen Horizont parallel zum Himmelsäquator ist, die beiden Gestirne in parallelen Kreisen (eins etwas links, eins etwas rechts versetzt zum Himmelsäquator) gleichschnell auf- und untergehen, schneidet der Beobachtungshorizont eines Betrachters, der sich zwischen Pol und Äquator auf der nördlichen Halbkugel befindet, den Himmelsäquator in einem bestimmten Winkel. Daher hat er den Eindruck, daß die beiden Gestirne in verschiedenen Winkeln unterschiedlich schnell aufund untergehen und sich dem Zenit nicht gleichweit nähern. Zu der Diskussion des Problems der Gestirnauf- und untergänge in der Antike vgl. GUNDEL 1992, 25. 533–534. nec Tauro Scorpius exit / rectior: Beide Gestirne erheben sich für einen Betrachter am Äquator gleichhoch, während beispielsweise auf der Breite von Rhodos, die HOUSMAN als Beispiel anführt, das Sternzeichen des Skorpions näher an der Senkrechten steht als das Zeichen Stier, so daß der Skorpion 2,5 Stunden zum Erreichen des höchsten Punkts benötigt, der Stier nur 1,5 Stunden. Die Sonne befand sich scheinbar vom 17.4. bis zum 18.5. im Zeichen des Taurus. Er war das Gestirn der Frühlingsblüte; vgl. Verg. georg. 1,217–218: candidus auratis aperit cum cornibus annum / Taurus; Manil. 4,145–146; LE BOEUFFLE 1987, 259. Scorpio (19.10–17.11) war das Gestirn der Neueinsaat; vgl. Manil. 4,217–219; LE BOEUFFLE 1987, 235. 534. aut Aries donat sua tempora Librae: „noch schenkt der Widder etwas von seiner Aufgangszeit der Waage“. D.h. beide Gestirne benötigen
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dieselbe Zeit zum Aufgang, während in nördlichen Breiten der Widder schneller als die Waage aufgeht, so daß der Eindruck entsteht, er „schenke“ etwas von seiner Zeit dem anderen Gestirn. Aries (17.3.–16.4) war das Gestirn des Frühlingsanfangs; vgl. Manil. 3,652–656; LE B OEUFFLE 1987, 55. Die Waage (19.9.–18.10) symbolisierte das Herbstäquinoctium; vgl. Verg. georg. 1,208–210: Libra die somnique pares ubi fecerit horas / et medium luci atque umbris iam dividit orbem, / exercete, viri, tauros; Lucan. 8,467–469: tempus erat quo Libra pares examinat horas, / non uno plus aequa die, noctique rependit / lux minor hibernae verni solacia damni; 10,227: ante parem nocti Libra sub iudice Phoebum; HÜ B N E R 1977; LE BOEUFFLE 1987, 165. 535. aut Astraea iubet lentos descendere Pisces: „noch befiehlt die Jungfrau den Fischen langsam unterzugehen“. Jungfrau und Fische liegen sich auf dem Tierkreis gegenüber. Auf der Breite von Rhodos benötigt das Sternbild der Jungfrau 2,5 Stunden zum Aufgang und 1,5 Stunden zum Untergang (Angaben bei HOUSMAN), bei den Fischen verhält es sich umgekehrt. So kann Lucan sagen, daß der langsame Aufgang der Jungfrau den gleichzeitigen langsamen Untergang der Fische erzwinge. Virgo (20.8.–18.9) lebte im goldenen Zeitalter als jungfräuliche Göttin der Gerechtigkeit unter den Menschen, im ehernen verließ sie die Erde und begab sich als Astraea an den Himmel; vgl. Ov. met. 1,149–150: victa iacet pietas, et Virgo caede madentes, / ultima caelestum, terras Astraea reliquit. Vgl. L E B OEUFFLE 1987, 274. Im Tierkreiszeichen der Fische schien sich die Sonne vom 15.2.–16.3. aufzuhalten. 536–537: „Der Schütze ist ebenso hoch wie die Zwillinge, und in dieselbe Höhe, in die sich der glühende Krebs erhebt, steigt der Steinbock auf, und der Löwe erhebt sich nicht weiter als der Wassermann“. Die schwierige Stelle ist von HOUSMAN geklärt worden. Lucan nennt hier drei Paare von Tierkreiszeichen, die für einen Betrachter im Mittelmeerraum unterschiedliche Höhen erreichen. Zwillinge und Krebs sind die Gestirne die dort scheinbar die höchste Bahn am Himmel beschreiben, Schütze und Widder die niedrigste. Tollitur (537) ist also zu idem, quod Carcinos ardens, umidus Aegoceros zu ergänzen; idem und quod sind Akkusative der räumlichen Ausdehnung. Vgl. dafür die von HOUSMAN angeführten Beispiele: Ov. met. 3,151: nunc Phoebus utraque / distat idem terra; Lucan. 8,179–180: quidquid descendet (…) / Arctophylax; 8,365–366: quidquid ad Eoos tractus mundique teporem / ibitur.
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Die Gemini (19.5.–18.6.) sind Castor und Pollux, die Schutzgötter der Seeleute; vgl. Hor. carm. 4,8,31–32: clarum Tyndaridae sidus ab infimis / quassas eripiunt aequoribus ratis. Chiron, der heilkundige Zentaur, der sich von seinen Artgenossen durch Gerechtigkeit und Milde unterscheidet, ist als göttlicher Sagittarius (18.11.–17.12) unter die Sterne versetzt worden, nachdem er sich durch ein Versehen mit einem der vergifteten Pfeile des Herkules eine unheilbare Wunde zugefügt hatte; vgl. Ov. fast. 5,379–414; LE BOEUFFLE 1987, 233. Carcinos/Cancer (19.6.–19.7.) ist das glühend heiße Gestirn der Sommersonnenwende; ardens (ebenso Lucan. 10,288) nennen es auch Manil. 3,264 und Germ. 6. Aegoceros (lat. Capricornus; Caper; Capella; Hircus) ist das Gestirn der regenreichen Wintersonnenwende (17.12.–15.1.). Umidus als Epitheton ist nur hier belegt; sonst wird es aquosus, brumalis, contractus oder auch gelidus genannt; vgl. LE BOEUFFLE 1987, 231. Leo (20.7.–18.8.) ist das Gestirn der Sommerhitze; vgl. Hor. carm. 3,29,19–20: et stella vesani Leonis (sc. furit) / sole dies referente siccos; Sen. Phaedr. 969–970: nunc aestivi colla Leonis / Cererem magno fervore coquant. Die vom Wassermann (Aquarius) getragene Urna (25.7.–7.8) ist das Tierkreiszeichen, das man für Regen und Sturm verantwortlich macht; vgl. Hor. sat. 1,1,36: inversum contristat Aquarius annum; Verg. georg. 3,303–304: frigidus olim / iam cadit extremoque inrorat Aquarius anno. 2.13.2. Labienus’ Bitte um Befragung des Ammon (9,544–563) 544–563: Vor dem Eingang des Heiligtums stehen die Völker des Ostens an und warten auf eine Auskunft über ihr Schicksal (544–545). Catos Gefährten bedrängen ihn, die Wahrhaftigkeit des Orakels zu überprüfen (546–548). Labienus macht sich zum Wortführer und bittet Cato, der durch seine Tugendhaftigkeit wie kein anderer als Fragesteller geeignet sei, sich den Ausgang des Bürgerkriegs prophezeien zu lassen (549–563). Die Einleitung der Szene (544–548) gestaltet Lucan antithetisch als Gegenüberstellung Catos mit dem Ammonsorakel und dessen Verehrern aus dem Osten. Catos Verdienste nötigen selbst den Völkern Afrikas und Asiens Respekt ab; obwohl sie bereits in großer Zahl vor dem Orakel warten, räumen sie ihm den Vortritt ein. Während sie abergläubisch auf eine Auskunft des Ammon warten, hat Cato selbst keinerlei Interesse an den Prophezeiungen des Gottes. Seine Gefährten fordern ihn nur deshalb zum Besuch des Orakels auf, um experimentell zu überprüfen, ob der Ruf
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der Wahrhaftigkeit, der dem Orakel vorangeht, zu Recht besteht. Sie setzen voraus, daß Cato im Besitz der Wahrheit ist und über das Orakel urteilen kann. Labienus äußert dagegen in seiner Rede an Cato (549–563) einen anderen Wunsch. Cato möge sich den Ausgang des Bürgerkriegs voraussagen lassen. Diese Bitte stellt die unreflektierte, „normale“ Reaktion auf die Möglichkeit eines Orakelbesuchs in einer schwierigen und gefahrvollen Situation dar und gibt Cato im folgenden Gelegenheit, Labienus und den Lesern eine Lektion in stoischer Moralphilosophie zu erteilen. 544. stabant: Die Anfangsstellung des Prädikats markiert den Neueinsatz nach der Ekphrasis. Bei Catos Eintreffen herrscht vor dem Orakel großer Andrang. Die Völker des Ostens warten bereits längere Zeit, um dem Orakel ihr Anliegen vorzutragen. Aus Ehrfurcht vor Cato gewähren sie ihm sofort Zutritt, doch zeigt er sich nicht an einer Belehrung durch den dubiosen Gott interessiert. populi quos miserat Eos: ein Rückbezug auf 516–518, wo das riesige Einzugsgebiet des Orakels geschildert wird, das über Aethiopier und Araber bis zu den Völkern Indiens reicht. 545. cornigerique Iovis monitu: „auf Weisung des hörnertragenden Iuppiter“. Corniger (vgl. 3,292: corniger Ammon und H UNINK z.St.) findet sich als Epitheton des Ammon zuerst bei Ovid (ars 3,788; met. 5,17; 15,309). Monitus („Mahnung“; „Weisung“) wird häufig von den mehr oder weniger deutlichen Winken oder Andeutungen göttlichen Willens verwendet; vgl. 1,588: monitus errantis in aere pinnae und ThLL VIII 1421,59–78 (BUCHWALD). nova fata: Die Junktur desavouiert das Ansinnen von vornherein als töricht. Ein „neues Fatum“ ist eine contradictio in adiecto. In 2,5–14 führt Lucan aus, daß es nur diese zwei Möglichkeiten gibt, die Welt zu deuten. Entweder ist mit der Schöpfung die Entwicklung der Natur und die Geschichte der Menschheit von Anbeginn bestimmt, und die höchste Gottheit ist selbst daran gebunden, oder es regiert blinder Zufall, der keinerlei Voraussagen zuläßt. Die Verbindung nova fata stammt aus der vorwurfsvollen Rede der Venus an Iuppiter im zehnten Buch der Aeneis (34–45): „cur nunc tua quisquam / vertere iussa potest aut cur nova condere fata?“ Den Ausdruck nova fata benutzt Venus polemisch: Es wäre ungeheuerlich, wenn eine Änderung des Fatums möglich sein sollte.
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546. sed Latio cessere duci: „aber sie wichen dem Feldherrn aus Latium“. Eine überraschende Wendung: die Völkerscharen aus dem Osten, die bereits vor Cato beim Orakel eingetroffen waren, gewähren dem einzelnen den Vortritt. Anders als Romanus ist Latius mit den Konnotationen des räumlich Kleinen, Ländlichen und Einfachen verbunden. Es steht in Antithese zu Eos (assoziativ verbunden mit riesiger Ausdehnung, Reichtum an Menschen und Gütern). Lucan erinnert durch das Zurückweichen der Menge vor Cato an das außerordentliche Ansehen, das sich Rom und seine Amtsträger ausgehend von bescheidenen bäuerlichen Anfängen in der Welt erworben haben; vgl. auch 1,9: gentibus invisis Latium praebere cruorem; 1,22: totum sub Latio leges cum miseris orbem; 5,17: „indole si dignum Latia, si sanguine prisco / robur inest animis, (…) primum hoc decernite, patres!“. comites: „die Kameraden“. Wie er in den beiden programmatischen Reden des neunten Buchs ausführt (256–283; 379–406), versteht sich Cato als primus inter pares; er führt ein Heer römischer Bürger nach demokratischen Grundsätzen und teilt kameradschaftlich alle Gefahren mit ihnen (394–406). Zwar werden auch Caesar und seine Gefolgsleute von Lucan comites genannt, doch ist ihre Gemeinschaft unehrenhaft. Caesars Plan, sich Rom untertan zu machen, macht die Caesarianer zu einer Clique von Kriminellen; vgl. 5,289–290 (Rede eines Caesarianers): Rheni mihi Caesar in undis / dux erat, hic socius; facinus, quos inquinat, aequat. Das gemeinsame Verbrechertum konstituiert ihre Gruppe, ohne daß eine zuverlässige Basis gegenseitigen Vertrauens geschaffen würde. Caesar täuscht z.B. seine Anhänger zu deren Ärger durch seinen Versuch, heimlich die Adria zu überqueren (5,678–681. 687–689). Als er über Pompeius’ Ermordung heuchlerisch Tränen vergießt, verweigern ihm selbst seine hartgesottenen Spießgesellen die Gefolgschaft (9,1104–1106): nec talia fatus / invenit fletus comitem nec turba querenti / credidit. 547. exploret: Das Stichwort wird in den Schlußversen der Szene wiederaufgenommen (584–586): sic ille profatus / servataque fide templi discedit ab aris / non exploratum populis Hammona relinquens. Vgl. auch zu 548. 547–548. Libycum memorata per orbem / numina: „das auf dem afrikanischen Kontinent berühmte Orakel“. Sachlich ist dies nicht richtig, denn Ammon genoß auch in der griech.-röm. Welt Ansehen; vgl. zu 511–543. Lucan gestaltet aber Catos Besuch mit dem Orakel als Aufeinandertreffen römisch-stoischer Rationalität mit südländischem Aberglauben; vgl. zu 546.
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548. de fama tam longi iudicet aevi: „er solle urteilen über den Ruf, den sich das Orakel in so langer Zeit erworben hat“. Der Wunsch der Gefährten richtet sich darauf, daß Cato, dem selbstverständlich die Kenntnis der Wahrheit zugestanden wird, sich vom Orakel eine Auskunft erteilen läßt und dann deren Richtigkeit überprüft. Sie fordern also die Durchführung eines Experiments. Labienus, der in der folgenden Rede als Sprecher der Soldaten auftritt, äußert dagegen die Bitte, Cato solle sich vom Orakel den Ausgang des Bürgerkriegs voraussagen lassen, damit auf dieser Basis über die Fortsetzung des Kampfs gegen Caesar entschieden werden kann. Die unterschiedlichen Motive, das Orakel zu befragen, läßt Lucan ohne Erklärung nebeneinander stehen. Cato lehnt in der Antwort auf Labienus dessen Ansinnen als überflüssig ab, da ihn die stoische Ethik über alle Pflichten hinreichend informiert. Im Schlußvers der Orakelszene nimmt Lucan dagegen wieder das Motiv der Orakelprüfung auf (584–586): sic ille profatus / servataque fide templi discedit ab aris / non exploratum populis Hammona relinquens. Durch diese unauffällige Verknüpfung zweier verschiedener Fragen und Antworten untergräbt Lucan die Autorität des Ammon in doppelter Hinsicht. In der Praxis ist es für einen stoischen Philosophen überflüssig, ein Orakel zu befragen, weil er Pflichten nicht durch utilitaristische Erwägungen ermittelt; führte man das Experiment aus rein theoretischem Interesse durch, so erhielte man vermutlich keine zutreffende Auskunft. Dadurch daß Cato auf beide Fragen nicht eingeht, weist er zugleich eine doppelte „Versuchung“ zurück. 549–550. maximus hortator scrutandi voce deorum / eventus Labienus erat: „Der eifrigste Fürsprecher, die Kriegsereignisse durch einen Götterspruch zu erforschen, war Labienus“. Hortator findet sich nur hier bei Lucan und ist auch sonst poetisch nur spärlich belegt (vor Lucan nur Enn. ann. 467 [SKUTSCH ]; Verg. Aen. 6,529; Ov. Pont. 1,7,28; 4,12,22). Lucan hat hier offenbar Sen. epist. 94,68–69 verarbeitet: inducenda in occupatum locum virtus, quae mendacia et contra verum placentia exstirpet, quae nos a populo cui nimis credimus separet ac sinceris opinionibus reddat. hoc est enim sapientia, in naturam converti et eo restitui unde publicus error expulerit. Magna pars sanitatis est hortatores insaniae reliquisse et ex isto coitu invicem noxio procul abisse. Labienus ist also ein hortator insaniae, der in seiner Beschränktheit versucht, einen stoischen Weisen vom rechten Weg zu führen. Mit Ausnahme der Lehrdichter wird scrutari („Gerümpel [= scruta] durchstöbern“; „Nachforschungen anstellen“) in der Poesie gemieden (nie bei Vergil; 1mal bei Ovid); die dem Alltagsleben entlehnte Metapher entspricht nicht dem Streben nach Erha-
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benheit. Lucan (6mal) stellt sich durch Verwendung des Verbs in die Tradition realistisch-rationaler Dichter wie Lukrez (3mal), Manilius (7mal) und Seneca (9 Belege in den philosophischen Schriften, 5 in den Tragödien). T. Labienus (ca. 99–45 v. Chr.), der als legatus pro praetore unter Caesars Kommando in Gallien diente, ging bei Ausbruch des Bürgerkriegs zu den Pompeianern über. Er kämpfte bei Pharsalos und Thapsus gegen Caesar und fand in der Schlacht bei Munda (17. 3. 45) den Tod. Lucan erwähnt ihn sonst nur in 5,345–347 (Caesar spricht): fortis in armis / Caesareis Labienus erat: nunc transfuga vilis / cum duce praelato terras atque aequora lustrat. Die vereinzelten Erwähnungen deuten nicht darauf hin, daß Lucan ihm in den nicht mehr fertiggestellten Büchern des BC eine größere Rolle zugedacht hatte. Hier legt er Labienus die Rede in den Mund, um durch den bekannten Namen der Szene Authentizität zu verleihen, nicht um eine neue Figur einzuführen. 550–551. sors obtulit … / et fortuna viae: Ein topisches Argument für die Anfrage beim Orakel: Eine günstige Gelegenheit soll man ohne Zögern beim Schopf ergreifen, denn die personifizierte Occasio ist am Hinterkopf kahl und läßt sich, hat man sie erst einmal vorbeigehen lassen, nicht mehr fassen; vgl. (Ps.-)Cato 2,26: fronte capillata, post est occasio calva, Lucan. 1,288: tolle moras: semper nocuit differre paratis und die zahlreichen Variationen dieser sprichwörtlichen Weisheit bei OTTO , s.v. occasio. Durch Labienus’ Worte wird zugleich klargestellt, daß Cato anders als Alexander, der sich in der Absicht, sich seine Nähe zur höchsten Gottheit bestätigen zu lassen, zum Orakel begeben hat, nur zufällig auf die Oase stieß. Folgerichtig zieht er desinteressiert vorbei; vgl. RUTZ 1970, 244. Labienus bemüht sich weder hier noch im folgenden, die Glaubwürdigkeit des Orakels zu erweisen. Der gute Ruf, in dem das Orakel steht, scheint ihm Argument genug zu sein. Cato hat in seiner Antwort dagegen wenig Mühe, seinen Wunsch als unsinnig abzuweisen. 551–552. tam magni numinis ora / consiliumque dei: „die Stimme einer so bedeutenden Gottheit und den Rat eines Gottes“. Im Ausdruck ist Sen. Ag. 353–359 verarbeitet (Agamemnon bittet Calchas um eine Weissagung): Tu, qui Pelasgae vincla soluisti rati / morasque bellis, arte qui reseras polum, / cui viscerum secreta, cui mundi fragor / et stella longa semitam flamma trahens / dant signa fati, cuius ingenti mihi / mercede constant ora: quid iubeat deus / effare, Calchas, nosque consilio rege.
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552. tanto duce possumus uti: eine Beleidigung Catos. In seiner Begeisterung für Ammon stellt Labienus, wohl ohne es zu wollen (vgl. 555: sancto […] Catoni), die Führungsqualitäten Catos in Frage. Labienus’ autoritätshörige Einstellung erinnert an die meuternden Soldaten, die sich nach Pompeius’ Tod lieber Caesar ergeben wollen, als die Gelegenheit zu nutzen und zu ihrem eigenem Vorteil die republikanische Freiheit wiederherzustellen. Vgl. Catos Vorwurf (258–262): quod non in regna laboras, / quod tibi, non ducibus, vivis morerisque, quod orbem / acquiris nulli, quod iam tibi vincere tutum est, / bella fugis quaerisque iugum cervice vacanti / et nescis sine rege pati. 553. Syrtes: metonymisch für „durch die Sandwüste Afrikas“. Oder wollte Lucan durch den Ausdruck Labienus’ Unüberlegtheit und blindes Vertrauen in Ammon herausstreichen, indem er ihn den Vorschlag machen läßt, im Vertrauen auf einen libyschen Gott doch noch einmal die gefahrvolle Durchfahrt durch die Syrten zu versuchen? 554–555: Es ist selbstverständlich, daß die Götter nur einen Würdigen zum Mitwisser ihrer Geheimnisse machen. Zu Catos Stilisierung als Heiligen vgl. zu 564–565. 556–557. certe vita tibi semper derecta supernas / ad leges, sequerisque deum: Labienus interpretiert Catos Verhalten falsch. Zwar lebt Cato gottgefällig, doch der Gott, dem er folgt, ist nicht, wie Labienus es hier nahelegt, eine personale Größe, die nach eigenem Gutdünken supernae leges erläßt, sondern ein die Natur durchwaltendes rationales Prinzip, das sich überall offenbart. Von Catos Gottesvorstellung her gesehen ist also Labienus’ Ansicht, durch das Orakel böte sich hier eine singuläre Gelegenheit, mit der Gottheit in Kontakt zu treten und deren Pläne und Wünsche in Erfahrung zu bringen, unsinnig. Vgl. Catos Replik (574–580): nec vocibus ullis / numen eget, dixitque semel nascentibus auctor / quidquid scire licet. sterilesne elegit harenas / ut caneret paucis, mersitque hoc pulvere verum, / estque dei sedes nisi terra et pontus et aer / et caelum et virtus? superos quid quaerimus ultra? / Iuppiter est quodcumque vides, quodcumque moveris. Derigere im übertragenen Sinn („seinem Leben eine bestimmte Richtung geben“) ist eine von Cicero für Cato geprägte Metapher; vgl. Cic. Mur. 3: et primum M. Catoni vitam ad certam rationis normam derigenti et diligentissime perpendenti momenta officiorum omnium de officio meo respondebo. In Erinnerung an die ciceronianischen Passus verwendet Seneca sie zur Beschreibung des stoischen Weisen; vgl. dial. 8,1,1: deinde vitae legem, quam ad universa derexit,
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nec nosse tantum sed sequi deos docuit et accidentia non aliter excipere quam imperata (sc. sapiens) (vgl. daneben zahlreiche andere Belege in den philosophischen Schriften). Bei Lucan verläuft der Assoziationsprozeß wieder in die umgekehrte Richtung. Senecas Charakterisierung des stoischen Weisen wird zurück auf Cato übertragen. 556: Der gravitätische Rhythmus des Verses („Prosaanfang“; überwiegend Spondeen; Pent- und Hephthemimeres) unterstreicht Catos Würde. Certe findet sich bei Lucan nur hier am Versanfang; die herausgehobene Anfangsstellung des Adverbs macht deutlich, daß es an Labienus’ Aussage über Catos Charakter keinen Zweifel geben kann. 557–558. loquendi / … libertas: Libertas ist hier jur. t.t.: „das Recht, in einer bestimmten Angelegenheit seine Meinung zu äußern“; vgl. Liv. 5,6,16–17: reliquum est ut quae hic vociferatur, eadem in castris et apud milites agant et exercitus corrumpant ducibusque parere non patiantur, quoniam ea demum Romae libertas est, non senatum, non magistratus, non leges, non mores maiorum, non instituta patrum, non disciplinam vereri militiae. Curt. 3,12,16: libertatis quoque in admonendo eo non alius plus habebat, quod tamen ita usurpabat ut magis a rege permissum quam vindicatum ab eo videretur und ThLL VII 2,2,1317,52–1318,14 (KUHLMANN). 558–559. inquire in fata nefandi / Caesaris et patriae venturos excute mores: Labienus setzt die juristische Argumentation fort. Cato habe durch seinen untadeligen Lebenswandel das Recht erworben, beim Orakel Nachforschungen über Caesars Schicksal und das des römischen Staates anzustellen. Zu inquirere in aliquem/aliquid („gegen jemanden oder in Bezug auf eine bestimmte Sache eine Untersuchung anstellen“; nur hier bei Lucan) als juristischem Terminus vgl. Cic. Verr. 2,4,4; Mur. 45; Brut. 283 und ThLL VII 1,1817,53–81 (L UMPE ). Zu excutere im juristischen Sinn von examinare/perquirere vgl. Sen. benef. 7,28,3; epist. 16,2; 22,10; 118,2; Quint. inst. 7,1,30; Traian. Plin. epist. 10,18,3 und ThLL V 2,1312,79–1313,46 (REHM). 560. iure suo populis uti legumque licebit?: „Wird es den Völkern erlaubt sein, selbstbestimmt und nach Gesetzen zu leben?“. Ius suum meint hier die Art von Freiheit, wie sie den Römern und den von ihnen unterworfenen Völkern in einem republikanisch verfaßten Reich zusteht, im Unterschied zur völligen Entrechtung in einer Tyrannis. Labienus/Lucan
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setzt selbstverständlich voraus, daß es für die fremden Völker am besten ist, unter römischer Vorherrschaft zu stehen, und daß es für sie ebenso wichtig ist wie für die Römer selbst, welche Regierungsform in Rom herrscht. Die römische Expansionspolitik ist für Lucan in keiner Weise problematisch. Rom bringt nach seiner Ansicht den Barbaren materielle, geistige und politische Kultur (vgl. 7,426–445). In 7,525–527 empört sich Lucan darüber, daß die von Pompeius rekrutierten ausländischen Hilfstruppen beim ersten Angriff Caesars, ohne sich zu schämen, d.h. ohne die Bedeutung zu erkennen, die die Schlacht von Pharsalos auch für sie hat, die Flucht ergreifen, und beschimpft sie dafür als Barbarenhorden: immemores pugnae nulloque pudore timendi / praecipites fecere palam, civilia bella / non bene barbaricis umquam commissa catervis; vgl. auch zu 597. Die Zerstörung des Rechtsstaats durch den Bürgerkrieg ist eines der wesentlichen Motive des BC (75 Belege für ius). Sowohl Caesar als auch Pompeius trachten danach, sich das römische Reich untertan zu machen und es offen (Caesar) oder verdeckt (Pompeius) nach eigenem Gutdünken tyrannisch zu regieren. Vgl. 1,2: iusque datum sceleri canimus; 1,383–386 (ein Caesarianer spricht): tu quoscumque voles in planum effundere muros, / his aries actus disperget saxa lacertis, / illa licet, penitus tolli quam iusseris urbem, / Roma sit; 2,320–323 (Cato spricht): nec, si fortuna favebit, / hunc (sc. Pompeium) quoque totius sibi ius promittere mundi / non bene compertum est: ideo me milite vincat / ne sibi se vicisse putet. 561. an bellum civile perit: „oder ist der Bürgerkrieg vergeblich gewesen?“. Perire in der Bedeutung „vergeblich sein“ ist ursprünglich umgangssprachlich und zuerst von Seneca tragicus in die hohe Poesie aufgenommen worden. Lucan hat diesen kräftigen Ausdruck von ihm übernommen; vgl. Plaut. Aul. 378; Trin. 660; Cic. fam. 9,2,1; Sen. Med. 994 (vgl. Lucan. 4,252); Thy. 695. 721 (vgl. Lucan. 4,491); Lucan. 5,54. 490; 7,211 und ThLL X 1,1339,24–43 (HILLEN). 562. tua pectora sacra / voce reple: Trotz seiner Verehrung gegenüber Cato entschlüpft Labienus in seiner blinden Hörigkeit gegenüber dem Orakel wie in 552 erneut eine unbeabsichtigte Beleidigung seines militärischen Führers. Cato hat es nicht nötig, sich vom Orakel mit göttlicher Weisheit erfüllen zu lassen. Er ist bereits deo plenus, wie Lucan in der folgenden Redeeinleitung klarstellt (564). 562–563. durae saltem virtutis amator / quaere quid est virtus et posce exemplar honesti: „Als unbeugsamer Liebhaber der Tugend frage
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wenigstens, was die Tugend sei, und fordere ein Beispiel für das sittlich Gute“. Es ist wiederum beleidigend, Cato zu unterstellen, er wisse nicht, was Tugend sei. Die Forderung nach einem exemplar honesti ist grotesk, denn wer könnte ein besseres Beispiel für moralisches Verhalten abgeben als Cato. Vgl. Lucans Beschreibung seines vorbildlichen Verhaltens (587–589): Ipse manu sua pilam gerit, praecedit anheli / militis ora pedes, monstrat tolerare labores, / non iubet. Nach Seneca ist Cato das beste Beispiel dafür, daß das oft wegen seiner hohen Forderungen kritisierte stoische Tugendideal erfüllbar ist; vgl. Sen. dial. 2,7,1: hic ipse M. Cato, a cuius mentione haec disputatio processit, vereor ne supra nostrum exemplar (sc. dem von Seneca geschilderten idealen Weisen) sit. Vgl. auch Cic. rep. 1,1: (sc. Catone) quasi exemplari ad industriam virtutemque ducimur. Durae (…) virtutis amator ist eine paradoxe Beschreibung von Catos Verhalten, denn der Gegenstand der Liebe ist gewöhnlich etwas „Weiches“ oder Angenehmes. In der auf die Einführung Catos im zweiten Buch folgenden Zusammenfassung beschreibt Lucan Catos Liebe zur Tugend. Sein Verhältnis zum Vaterland gleicht in seiner Treue und Innigkeit der Liebe des Vaters zum Kind oder des Ehemanns zur Frau; diese Liebe ist jedoch frei von eigennützigem Lustgewinn. Vgl. 2,388–391: urbi pater est urbique maritus, / iustitiae cultor, rigidi servator honesti, / in commune bonus; nullosque Catonis in actus / subrepsit partemque tulit sibi nata voluptas. Amator mit Tugend oder Weisheit als Gen. obj. ist zuerst in Ciceros Timaios-Übersetzung belegt; vgl. Cic. Tim. 51: intelligentiae sapientiaeque se amatorem profitetur (Plat. Tim. 46d: tÚn d¢ noË ka‹ §pistÆmhw §rastÆn). Die Verbindung findet sich danach vor allem bei Seneca (epist. 82,1; 92,33; benef. 4,24,2); vgl. ThLL I 1829,15–1630,2 (VOLLMER). 2.13.3. Catos moralphilosophische Belehrung (9,564–586) 564–586: Der gotterfüllte Cato erteilt Labienus eine Antwort, die einem Orakel würdig gewesen wäre: Niemand kann ernsthaft danach fragen, ob es besser sei, für die Freiheit zu sterben, als in Tyrannei zu leben. Es ist unerheblich, ob ein Leben lang oder kurz währt; nur tugendhaft muß es sein (564–572). Ebenso steht es fest, daß den Tugendhaften die Fortuna nicht ängstigen kann, denn der gute Wille reicht bereits zur moralischen Vollkommenheit aus. Diesen zentralen stoischen Lehren kann Ammon nichts Wesentliches hinzufügen. Der jeder Orakelverehrung zugrundeliegende Gedanke, daß Gottheiten sich an bestimmten Orten durch besondere Medien offenbaren, ist ohnehin absurd: Die Gottheit durchdringt den ganzen Kosmos (573–580). Alles, was ein
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Mensch wissen muß, ist, daß er einmal sterben wird und daran gemessen wird, inwieweit er im Leben seine Pflichten erfüllt hat. Desinteressiert verläßt Cato die Oase (581–586). Catos Antwort tritt ergänzend neben die Rede im zweiten Buch (2,286–323), in der er den Versuch des Brutus zurückweist, ihn zur Einnahme einer neutralen Haltung im Bürgerkrieg zu bewegen. Brutus’ Argument, durch die Parteinahme für einen der beiden nach der Alleinherrschaft strebenden Potentaten würde Cato seine moralische Integrität aufs Spiel setzen, entkräftet er mit dem Hinweis auf seine patriotischen Gefühle. Wie ein Vater den Leichenzug eines Kindes anführt, fühlt sich Cato gezwungen, im Bürgerkrieg die republikanische Freiheit zu Grabe zu tragen. Sein Tod soll ein Sühnopfer für Roms Verfehlungen sein. Sollte Pompeius jedoch gewinnen und er am Leben bleiben, werde seine Person ihn daran erinnern, daß Rom und das römische Reich nicht dessen Privateigentum sind. Diesem emotionalen Bekenntnis zu Rom läßt Cato hier eine philosophische Begründung für seinen Entschluß folgen, in aussichtsloser Lage den Kampf gegen Caesar fortzusetzen. Cato rechtfertigt sein Verhalten durch die stoische „Gesinnungsethik“, der utilitaristische Erwägungen fremd sind. Was allein zählt bei der Bewertung eines Menschen, ist der gute Wille und das entschlossene Bemühen, ihn in der Welt zu realisieren. Inwieweit diese Bemühungen erfolgreich sind, ist für das moralische Urteil bedeutungslos, denn über Erfolg oder Mißerfolg entscheidet die Fortuna, deren Willkür der Mensch ausgeliefert ist. Wer die Fortsetzung des Kampfes von einer Voraussage des Orakels über dessen Ausgang abhängig machen will, bringt also einen Gesichtspunkt ins Spiel, der für die Entscheidungsfindung unerheblich ist. Folgerichtig lehnt Cato es ab, eine Anfrage an das Orakel zu richten. Zu stoischen Lehren über die Möglichkeiten und den Sinn von Mantik und zu den anderen Orakelszenen bei Lucan vgl. zu 511–537. 564–565: Wie in 2,284–285; 9,188–189 und 255 stellt Lucan Cato als einen inspirierten Verkünder göttlicher Wahrheit dar. In dem vorliegenden Kontext ist diese Stilisierung besonders wirkungsvoll, weil sie herausstreicht, daß nicht der Ammon, sondern Cato das wahre Orakel ist. Der Vergleich Catos mit einem Orakel ist durch die Tradition vorgegeben; vgl. Sen. contr. 1,9: erratis nisi illam vocem non M. Catonis sed oraculi creditis. quid enim est oraculum? nempe voluntas divina hominis ore enuntiata. et quem tandem antistitem sanctiorem invenire sibi divinitas potuit quam M. Catonem. Eventuell liegt gleichzeitig Einfluß von Lukrez’ Lob des Empedokles vor (1,737–739): ex
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adyto tamquam cordis responsa dedere / sanctius et multo certa ratione magis quam / Pythia quae tripodi a Phoebi lauroque profatur (Hinweis von AHL 1976, 238–239). 564. deo plenus: Eine Wiederaufnahme von Labienus’ Aufforderung (561–562) tua pectora sacra voce reple! Lucan stellt in der Redeeinleitung klar, daß Cato bereits von göttlicher Weisheit erfüllt ist und keiner Belehrung durch das Orakel bedarf. Wie man sich die „Erfüllung“ der Pythia durch Apoll vorstellte, beschreibt er in 5,161–169: tandem conterrita virgo / confugit ad tripodas vastisque adducta cavernis / haesit et insueto concepit pectore numen, / quod non exhaustae per tot iam saecula rupis / spiritus ingessit vati; tandemque potitus / pectore Cirrhaeo non umquam plenior artus / Phoebados inrupit Paean mentemque priorem / expulit atque hominem toto sibi cedere iussit / pectore. Zu den mannigfaltigen religiösen und philosophischen Konzeptionen der Gotterfülltheit in der Antike vgl. HAUSSLEITER 1957, 797–808. Die Traditionsgeschichte der Wendung plenus deo ist ungeklärt. Nach Sen. suas. 3,5–8 war plena (fem. sg.) deo bei den Rednern der augusteischen Zeit ein geflügeltes Wort angeblich vergilischen Ursprungs, besonders Ovid schätzte die Phrase. Der Ausdruck findet sich jedoch nirgends im überlieferten Vergiltext. N ORDEN (1893, 506–511) vermutet, daß er aus der ursprünglichen, vor Augustus rezitierten Version der Beschreibung der Sibylle aus dem sechsten Buch der Aeneis stammt und auf dem Weg mündlicher Überlieferung bekannt geworden sei. Vergil habe diesen Passus jedoch später überarbeitet, so daß die Wendung in der endgültigen Schilderung der Sibylle (6,45–54) nicht mehr auftaucht. Völlig geklärt ist das Problem jedoch nicht. Können die Belege der Wendung in Ov. Medea frg. 2 (RIBBECK), fast. 6,538, Lucan. 6,708 und 9,564 auf eine mündliche Tradition zurückgeführt werden? Wenn es aber eine schriftlich publizierte erste Auflage gab, warum ist sonst von ihr nichts bekannt? tacita quem mente gerebat: Cato muß nicht überlegen, um die angemessene Antwort auf Labienus’ unbesonnenen Vorschlag zu geben, sondern ist sich über die Replik von Anfang an im klaren. Trotz Labienus’ törichtem Geschwätz bewahrt er sein Schweigen und stellt seine Selbstkontrolle unter Beweis. „Mens bedeutet für den Römer die Festigkeit des Sinnes, die keine äußeren Ereignisse erschüttern können“ (LATTE 1960, 240). Catos Stilisierung als gotterfüllt nach dem Vorbild griechischer Orakelpriester wird hier durch einen genuin römischen Zug ergänzt; vgl. Cic. leg. 2,28: bene vero quod Mens, Pietas, Virtus, Fides consecrantur humanae,
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quorum omnium Romae dedicata publice templa sunt, ut illas qui habeant – habent autem omnes boni – deos ipsos in animis suis conlocatos putent. 565. effudit … e pectore voces: Nachdem Cato Labienus’ Gerede schweigend über sich hat ergehen lassen, schießt nun die passende Antwort aus ihm heraus. Die Wendung effundere voces geht auf Vergils Nachahmung von Enn. ann. 540 VAHLEN (=553 SKUTSCH) zurück: effudit voces proprio cum pectore sancto vgl. Aen. 5,482: talis effudit pectore voces; 5,723; 8,70; ThLL V 2,223,76–224,3 (LEUMANN). dignas adytis: „würdig, im Allerheiligsten gesprochen zu werden“. Das Adyton ist der heilige Raum im Tempelinnern, der nur von Kultbeamten zu bestimmten Zeiten betreten werden konnte. Das berühmteste Adyton war das des Tempels des delphischen Apolls, aus dem heraus die Pythia ihre Antworten gab; vgl. STENGEL 1894. 566. quid quaeri, Labiene, iubes?: Ironie; Cato gibt sich verwundert über Labienus’ Unkenntnis stoischer Dogmen. Im folgenden erteilt er ihm allein durch eine suggestive Umformulierung und inhaltliche Füllung der Frage die Antwort. 566–567. an liber in armis / occubuisse velim: Es ist keine Frage, daß der Knechtschaft ein Tod in Waffen vorzuziehen ist. Hat man keine Gelegenheit zu kämpfen, so soll man einen ehrenvollen Selbstmord wählen. Von diesen Anschauungen ist das ganze BC durchdrungen; vgl. nur 4,577–579 und Lucans verzweifelten Wunsch (7,645–646): post proelia natis / si dominum, Fortuna, dabas, et bella dedisses. Occumbere (seit Ennius in der Epik und feierlicher Prosa) ist hoch pathetisch; vgl. ThLL IX 2,380,14–381,63 (HEINE). 567. regna videre: Der Versschluß nach Verg. Aen. 11,43–44 (Aeneas spricht zum verstorbenen Pallas): invidit Fortuna mihi, ne regna videres / nostra. Lucan übt implizit Kritik an Vergils Konzeption eines aeneisch-augusteischen Regnums. 568. an sit nostra brevis, nil, longane differat aetas?: „Oder ist es nicht belanglos, ob unser Leben kurz oder lang ist?“. Nach stoischer Auffassung ist Tugend eine selbstgenügsame Tätigkeit der Seele. Wer sie hat, hat sie ganz, unabhängig davon, ob sie Raum hat sich zu entfalten, oder ob der Tugendhafte lang oder kurz lebt. Vgl. Cic. fin. 3,45–48; Sen. epist.
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74,27–29: quod rectum est nec magnitudine aestimatur nec numero nec tempore; non magis produci quam contrahi potest. Honestam vitam ex centum annorum numero in quantum voles corripe et in unum diem coge: aeque honesta est. Modo latius virtus funditur, regna urbes provincias temperat, fert leges, colit amicitias, inter propinquos liberosque dispensat officia, modo arto fine circumdatur paupertatis exilii orbitatis; non tamen minor est, si ex altiore fastigio in humile subducitur, in privatum ex regio, ex publico et spatioso iure in angustias domus vel anguli coit. (…) beatum enim illud uno loco positum est, in ipsa mente, stabile, grande, tranquillum, quod sine scientia divinorum humanorumque non potest effici; epist. 93,4: obsecro te, Lucili, hoc agamus ut quemadmodum pretiosa rerum sic vita nostra non multum pateat, sed multum pendeat; actu illam metiamur, non tempore; Lucan. 4,478–485: vita brevis nulli superest, qui tempus in illa / quaerendae sibi mortis habet; nec gloria leti / inferior, iuvenes, admoto occurrere fato. / omnibus incerto venturae tempore vitae / par animis laus est et, quod speraveris, annos / perdere et extremae momentum abrumpere lucis, / accersas dum fata manu. Vgl. auch Senecas De brevitate vitae und Epistula moralis 1, wo Seneca darlegt, nicht auf die Länge des Lebens und die Anzahl der Genüsse komme es an, sondern auf die Vernunftgemäßheit der Lebensführung. Die Handschriften überliefern das nicht verständliche an sit vita nihil sed longa an differat aetas. OUDENDORP hat die Stelle durch Ersetzen von sed durch si zu heilen versucht (An sit vita nihil? Si longa, an differat aetas?). Dies scheitert jedoch an dem sachlichen Grund, daß die Stoiker das Leben nicht grundsätzlich als wertlos betrachteten. M ADVIG (1873/1967, 132–133) schlug daher vor, An, sit vita brevis, nil longane, differat, aetas? zu lesen. Problematisch ist jedoch die Doppelung vita/aetas. SHACKLETON B AILEY (1987, 89) hat diesen von HOUSMAN im App. zur Stelle vorgebrachten Einwand aufgegriffen und vita durch nostra ersetzt. Der von M ADVIG geklärte Sinn der Stelle hat dadurch eine sprachlich akzeptable Formulierung gefunden. Endgültig zu heilen ist die Korruptel nicht. 569–571: Durch einige zentrale Sätze stoischer Ethik stellt Cato unmißverständlich klar, daß er sich nicht durch die nur vagen Erfolgsaussichten davon abbringen lassen wird, seine Pflicht zu tun und den Kampf gegen Caesar fortzusetzen. Lucan greift in der anschließenden Bewertung von Catos Wüstenmarsch darauf zurück (587–604). Er rechtfertigt Catos Glorifizierung im BC damit, daß dieser ungeachtet seines Scheiterns eine einzigartige tugendhafte Gesinnung unter Beweis gestellt habe. Daß die Großen der römischen Geschichte wie z.B. Pompeius ihn an militärischen Triumphen übertroffen haben, sei nicht ihrer größeren Tüchtigkeit zuzu-
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schreiben, sondern den zufällig günstigeren äußeren Bedingungen; vgl. 593–600. 569. an noceat vis nulla bono: „oder ist es nicht so, daß keine Macht dem Guten schaden kann?“. Cato ruft eines der berühmten stoischen Paradoxa in Erinnerung. Allein das honestum ist ein bonum, alle anderen Dinge sind moralisch indifferent, wie Cicero im ersten Abschnitt der Paradoxa Stoicorum ausführt. Konkret formuliert: Auch auf der Folter ist der Weise glücklich. Vgl. Cic. Tusc. 5,12: nam etiam in tormentis recte, honeste, laudabiliter et ab eam rem bene vivi potest, dum modo intellegas quid nunc dicam „bene“. dico enim constanter, graviter, sapienter, fortiter und das gesamte fünfte Buch der Tusculanen; daneben auch Sen. epist. 67 und den zu 568 zitierten Abschnitt aus dem 74. Brief. 569–570. Fortunaque perdat / opposita virtute minas: Die Drohungen der Fortuna können den Weisen nicht schrecken, denn er weiß, daß nur die Tugend zählt und die Seele jederzeit frei ist, das Gefängnis des Körpers zu verlassen; vgl. z.B. Sen. epist. 65,21: maior sum et ad maiora genitus quam ut mancipium sim mei corporis, quod equidem non aliter aspicio quam vinclum aliquod libertati meae circumdatum; hoc itaque oppono fortunae, in quo resistat, nec per illud ad me ullum transire vulnus sino. Quidquid in me potest iniuriam pati hoc est: in hoc obnoxio domicilio animus liber habitat. Im BC wird diese Einstellung besonders durch die unerschrockenen Kämpfer der Seeschlacht von Massilia repräsentiert; vgl. 3,585–762, besonders 609–626 (einem Kämpfer, der das gegnerische Boot festhalten will, werden nacheinander beide Hände abgeschlagen. Er dient seinen Gefährten darauf als lebender Schutzschild gegen Wurfgeschosse und versenkt schließlich den Feind, indem er mit letzter Kraft seinen verstümmelten Körper auf das gegnerische Boot wirft und es zum Kentern bringt.). 570–571. laudandaque velle / sit satis: Die Tugend ist in der Stoa ein Willensakt; inwieweit der Tugendhafte jeweils auf die Welt einwirken kann, hängt von den jeweiligen äußeren Bedingungen, d.h. der Fortuna, ab. Die moralische Qualität eines Menschen kann also nicht am Erfolg seiner Handlungen bemessen werden. Vgl. wiederum die zu 568 angeführte Passage aus Senecas 74. Brief, daneben benef. 5,2,2–4; epist. 34,3; 71,36; 80,3–4 und zu den Einzelheiten der stoischen Handlungstheorie FORSCHNER 1995, 183–211.
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571. et numquam successu crescat honestum?: Die Tugend ist das höchste Gut, kann also per definitionem nicht mehr gesteigert werden. Vgl. Sen. epist. 66,8–9: itaque vis eius (sc. virtutis) et magnitudo ultra non potest surgere, quando incrementum maximo non est: nihil invenies rectius recto, non magis quam verius vero, quam temperato temperatius. Omnis in modo est virtus; modo certa mensura est; constantia non habet quo procedat, non magis quam fiducia aut veritas aut fides. Quid accedere perfecto potest? nihil, aut perfectum non erat cui accessit; ergo ne virtuti quidem, cui si quid adici potest, defuit. Honestum quoque nullam accessionem recipit. 572: eine nachdrückliche Bekräftigung, daß die vorangegangenen Fragen rhetorisch waren. inseret: Inserere („einsäen“) im Sinne von „einschärfen“ ist seit dem Auctor ad Herennium (3,14,24) gelegentlich belegt; vgl. ThLL VII 1,1879,31–69 (HUGENSCHMIDT ). Lucan greift hier offenbar auf Sen. epist. 121,17 zurück: si omnia propter curam mei facio, ante omnia est mei cura. haec animalibus inest cunctis, nec inseritur sed innascitur. Producit fetus suos natura, non abicit. Allen Lebewesen gibt die Natur bei ihrer Geburt den Selbsterhaltungstrieb mit. Lucan überträgt diese Vorstellung im folgenden auf das moralische Wissen. Der Mensch ist durch seine Seele mit dem die gesamte Natur durchdringenden göttlichen Allwesen verbunden und verfügt so über die notwendigen moralischen Kenntnisse. Ein Orakel ist weder nötig, um diese zu bekräftigen, noch hat es ihnen etwas hinzuzufügen; vgl. 574–576: nec vocibus ullis / numen eget, dixitque semel nascentibus auctor / quidquid scire licet. 574–575. haeremus cuncti superis, temploque tacente / nil facimus non sponte dei: eine gemeinstoische Lehre. Die Gottheit durchdringt den Kosmos und befindet sich in Form der Seele auch im Menschen; vgl. Sen. epist. 41,1–2: Non sunt ad caelum elevandae manus nec exorandus aedituus ut nos ad aurem simulacri, quasi magis exaudiri possimus, admittat: prope est a te deus, tecum est, intus est. Ita dico, Lucili: sacer intra nos spiritus sedet, malorum bonorumque nostrorum observator et custos; hic prout a nobis tractatus est, ita nos ipse tractat. Bonus vero vir sine deo nemo est: an potest aliquis supra fortunam nisi ab illo adiutus exsurgere. Ille dat consilia magnifica et erecta. Vgl. dazu HAUSSLEITER (1957, 803–807) mit zahlreichen Belegen aus der gesamten Stoa. 575–576. dixitque semel nascentibus auctor / quidquid scire licet: d.h. jeder, der geboren wird, weiß, daß er eines Tages sterben wird. Dieser Gedanke umspannt den Rest der Rede; vgl. den Schluß in 583–584: pavido
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fortique cadendum est: / hoc satis est dixisse Iovem. Seneca verwendet den Gedanken der Sterblichkeit aller Menschen häufig in konsolatorischen Kontexten. Die Betonung dessen, daß jeder früher oder später stirbt, soll dem Tod den Schrecken nehmen. Trauern muß man nicht über den zur Unzeit in der Pflichterfüllung gestorbenen Tugendhaften, sondern nur über den, der ein langes Leben durch Vergnügungen sinnlos vergeudet; vgl. Sen. dial. 6,10,5 (mit MANNING z.St.): si mortuum tibi filium doles, eius temporis quo natus est crimen est; mors enim illi denuntiata nascenti est; in hanc legem genitus est, hoc illum fatum ab utero statim prosequebatur; 11,11,3; epist. 1,2: quem dabis qui aliquod pretium tempori ponat, qui diem aestimet, qui intellegat se cotidie mori? In hoc enim fallimur, quod mortem prospicimus: magna pars eius iam praeterit; quidquid aetatis retro est, mors tenet; 4,9; 99,8; 120,14 und zu 568. 576–579: Vom stoischen Pantheismus aus argumentierend führt Cato den sonst in der Antike weit verbreiteten Gedanken, daß ein Orakel exklusives Geheimwissen vermitteln kann, in polemisch zugespitzten Formulierungen ad absurdum. 578–579. estque dei sedes nisi terra et pontus et aer / et caelum et virtus?: Die Stoiker verstanden Gott als ein Pneuma, das die ganze Welt durchströmt, gestaltet, erhält und lenkt; vgl. z.B. Sen. nat. 1 praef. 13–14: Quid est deus? mens universi. Quid est deus? Quod vides totum et quod non vides totum. Sic demum magnitudo illi sua redditur, qua nihil maius cogitari potest, si solus est omnia, si opus suum et intra et extra tenet; nat. 2,45,1–3; dial. 7,8,4–5; 8,4,2; Lucan. 4,189–191. In der zitierten Vorrede zu den Naturales Quaestiones begründet Seneca durch diese Lehre den hohen Stellenwert der Physik in der Stoa. Sie ist das vornehmste Beschäftigungsgebiet des Philosophen, weil mit ihrer Hilfe Gott erkannt wird. Zur stoischen Physik im allgemeinen vgl. LAPIDGE 1978; HOSSENFELDER 1985, 79–82 und zu ihrer Rezeption durch Lucan vgl. SCHOTES 1969, 14–46. Zur tugendhaften Seele als Aufenthaltsort Gottes vgl. zu 574–575. 580. quodcumque moveris: „wie auch immer du dich bewegst“. Zum adverbialen Akkusativ bei moveri vgl. die von HOUSMAN z.St. angeführten Beispiele. Eine Funktion des göttlichen Pneumas ist es, die Materie zu beleben und von den Planeten bis hin zu den organischen Lebewesen Bewegungen zu ermöglichen und sinnvoll zu lenken; vgl. vorige Anmerkung. In Lucans düsterem Kosmos begegnet diese Anschauung, die grundlegend für die optimistische, vom Vorsehungsglauben geprägte Weltsicht der
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Stoiker ist, sonst nur in ihrer Umkehrung. Im BC werden die geordneten Abläufe der Welt mehrfach durch einen unheimlichen torpor außer Kraft gesetzt; vgl. 5,424–455 (Schilderung einer beängstigenden Windstille); 6,461–465: cessavere vices rerum, dilataque longa / haesit nocte dies, legi non paruit aether, / torpuit et praeceps audito carmine mundus, / axibus et rapidis inpulsos Iuppiter urguens / miratur non ire polos (Einwirkung von Hexen); 9,431–437 (In Afrika fehlt der Wechsel der Jahreszeiten, der eine fruchtbare temperatio der Elemente ermöglichen würde); 9,647–648 (das Medusenhaupt droht die ganze Welt zu versteinern). Lucan hat dieses Motiv aus den Unterweltsschilderungen der Tragödien Senecas entlehnt; vgl. Herc. fur. 698–706; Phaedr. 1199–1203 und zu 436. 581–582. sortilegis egeant dubii semperque futuris / casibus ancipites: d.h. nur ängstliche und charakterschwache Naturen bedürfen eines Orakels; vgl. zu 564–586. Sortilegus (nur hier bei Lucan) verweist zurück auf Lucans Neologismus sortiger in 512 und schließt den Bogen von der einleitenden Ekphrasis des Ammonsorakels zu dessen abschließender negativer Bewertung durch Cato. Die synonymische Zusammenstellung von dubius und anceps verwendet Lucan auch in 2,447–450: tunc urbes Latiae dubiae varioque favore / ancipites, quamquam primo terrore ruentis / cessurae belli, denso tamen aggere firmant / moenia. Häufig kommen die Adjektive in Verbindung mit Verben wie inclinare (3,752), pendere (2,41; 9,19) oder stare (4,771) vor. Der Metaphorik liegt das Bild der Waage zugrunde; vgl. die zahlreichen Belege bei HEITLAND (XC). 582–583. me non oraculum certum / sed mors certa facit: „mir gibt nicht ein Orakel Gewißheit, sondern der gewisse Tod“. Lucan hat hier Sen. epist. 99,9–10 verarbeitet, wo Seneca darlegt, daß es keinen Anlaß gibt, über den Tod zu klagen, denn er ist das einzig Gewisse in einem von der Willkür der Fortuna beherrschten Leben; vgl. iactantur cuncta et in contrarium transeunt iubente fortuna, et in tanta volutatione rerum humanarum nihil cuiquam nisi mors certa est. Tamen de eo queruntur omnes in quo uno nemo decipitur. Daneben erinnert Seneca daran, daß der Tod alle Menschen gleichermassen betrifft, es also keinen Anlaß gebe, sich über ihn zu beklagen (epist. 99,8–9). Das naheliegende Argument, daß es doch wohl einen erheblichen Unterschied mache, ob man im Alter friedlich und nach einem erfüllten Leben oder durch einen Unglücksfall früh dahingerafft werde, versucht er – wenig überzeugend – dadurch zu entkräften, daß er die unterschiedli-
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chen Spannen des Menschenlebens mit der Ewigkeit vergleicht, angesichts derer auch ein langes Leben wie ein Augenblick wirkt; vgl. epist. 99,10: propone temporis profundi vastitatem et universum complectere, deinde hoc quod aetatem vocamus humanam, compare immenso: videbis quam exiguum sit quod optamus, quod extendimus. Lucan läßt Cato diese Argumentation stark verkürzt wiedergeben: Der Tod betrifft alle, ob früher oder später spielt keine Rolle. Bei Entscheidungen über Handlungen kann er also kein Argument sein. Was allein zählt ist die Pflicht, d.h. die Fortsetzung des Kampfs gegen Caesar. Die Figur des adjektivischen Polyptotons (certum / … certa) begegnet in der lateinischen Poesie höchst selten, vgl. WILLS 1996, 222–231. Sie unterstreicht wirksam Catos kraftvolle Schlußworte. 583. pavido fortique cadendum est: Die apodiktische Formulierung will das berechtigte Gegenargument (vgl. vorherige Anmerkung) unterdrükken, daß es erheblich erfreulicher anmutet, nach einem erfüllten Leben eines natürlichen Todes zu sterben als in der Schlacht getötet zu werden. 584. hoc satis est dixisse Iovem: schließt den mit 575–576 (dixitque semel nascentibus auctor / quidquid scire licet) aufgebauten Spannungsbogen. 585–586: Während Catos Argumentation allein darauf abzielt, die Befragung des Orakels als überflüssig zu erweisen, deutet die Redeausleitung (servataque fide) an, daß für den Fall, man holte eine Auskunft ein, diese irreführend wäre; vgl. zu 548. 586. populis Hammona relinquens: ein Rückverweis auf den einleitenden Vers der Szene (544: stabant ante fores populi quos miserat Eos). 2.13.4. Lucans Kommentar: Catos Wüstenmarsch übertrifft die Triumphe des Marius und des Pompeius (9,587–604) 587–604: Cato setzt den Marsch in die Wüste fort; in vorbildlicher Weise teilt er mit seinen Untergebenen alle Strapazen (587–593). Obwohl die Anstrengungen vergeblich sein werden, schätzt Lucan seine Leistung höher ein als die der berühmten Helden der römischen Geschichte: Allein der Wille zählt, über Erfolg oder Mißerfolg entscheidet nicht Tugend, sondern Fortuna (593–600). Sobald Rom frei sein wird, wird es Cato für seine unerschütterliche Tugendhaftigkeit als Gott verehren (600–604).
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Der vorliegende Abschnitt bildet kompositionell und inhaltlich Mitte und Höhepunkt des neunten Buchs. Lucan greift die von Cato vorgetragenen Anschauungen der stoischen Ethik auf und preist Cato vor diesem Hintergrund als bedeutendsten Helden der römischen Geschichte, dem einst göttliche Verehrung zuteil werden wird. Das Lob Catos dient dem Dichter auch zur Rechtfertigung des eigenen Werks. Die Bezugnahme auf das Wertsystem der stoischen Ethik sichert ihn vor dem Vorwurf, er habe zu Unrecht einen gescheiterten Mann zu einem Helden verklärt. Die Intention des BC wird deutlich: Catos Wüstenmarsch und sein erfolglos bleibender Widerstand werden dem zeitgenössischen Leser als beispielhafter Kampf gegen Tyrannenherrschaft vor Augen gerückt. Im nunc, olim der abschließenden Prophezeiung spiegelt sich Lucans Wunsch wider, daß das Unrecht nicht ewig herrschen werde; Rom wird sich der Tyrannen entledigen und Cato und allen Vorkämpfern der Freiheit die gebührende Ehre erweisen. 587–593: Lucan schildert in diesem summarischen Passus Catos Verhalten nach Verlassen des Ammonsorakels. Er verkörpert den idealen Feldherrn, der keinerlei Privileg für sich beansprucht und seine Soldaten durch sein Beispiel die Gefahren und Mühen des Wüstenmarsches zu ertragen lehrt. Cato erfüllt damit sein zu Beginn des Wüstenmarsches gegebenes Versprechen, die republikanischen Truppen als primus inter pares zu leiten; vgl. zu 394–402. 587: ipse manu sua pila gerit: „Er selbst trägt mit eigener Hand seine Waffen“. Die Zusammenstellung des Pronomen ipse mit manu oder manu sua begegnet in Poesie und Prosa häufig; vgl. ThLL VIII 348,60–74 (BULHART ). Die traditionelle Wendung ist hier dadurch neu belebt, daß sich sua syntaktisch auf pila und nur épÚ koinoË auch auf manu bezieht. Der Leser muß einen Moment innehalten, um die Konstruktion zu klären; zur stilistischen Eigentümlichkeit Lucans, semantisch oder syntaktisch Bekanntes in einem anderen als dem gewohnten Sinn zu verwenden vgl. zu 369. Lucan gebraucht den Ausdruck ipse manu sonst zweimal von Catos Gegenspieler Caesar. Auch dieser beteiligt sich, wie es von einem vorbildlichen Feldherrn gefordert wird, selbst am Kampf, doch verfolgt er damit verbrecherische Ziele: In der Schlacht von Pharsalos drückt er seinen Soldaten mit eigener Hand die Wunden zu, nur damit diese auf republikanischer Seite noch möglichst viele Römer töten können (7,566–567); er selbst reicht den Kämpfern die Waffen mit dem Befehl, den Landsleuten
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auf der Gegenseite das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln (7,574–575). Gerere mit Waffen als Objekt ist seit Vergil häufig in der Poesie belegt; vgl. ThLL VI 2,1930,80–1931,33 (KAPP/MEYER). 587–588. praecedit anheli / militis ora pedes: „vor den Augen seiner keuchenden Soldaten geht er voran – zu Fuß“. Vgl. Hor. carm. 2,17,9–11: non ego perfidum / dixi sacramentum: ibimus, ibimus, / utcumque praecedes. NISBET/H UBBARD z.St. vermuten begründet, daß Horaz an dieser Stelle aus dem Soldateneid zitiert. Der Soldat gelobt, seinem Vorgesetzten zu folgen; dem Feldherrn fällt reziprok die Pflicht zu, seine Führungsaufgaben wahrzunehmen. Cato erfüllt sie vorbildlich. Anhelus im Sinn von anhelans ist zuvor nur bei Vergil (georg. 2,135; Aen. 12,790) belegt; vgl. ThLL II 677,54–678,37 (KLOTZ). 589–590. et nulla vehitur cervice supinus / carpentoque sedens: „weder läßt er sich zurückgelehnt in einer Sänfte auf den Schultern seiner Männer tragen, noch fährt er sitzend in einem Wagen“. Die Beschreibung der Cato zu Verfügung stehenden, aber von ihm nicht gewählten Alternativen führt, geschützt durch die Verneinung, ein gattungsfremdes satirisches Element in das Epos ein; vgl. z.B. Iuv. 3,239–246 (Beschreibung eines Reichen in einer Sänfte). Das Adjektiv supinus („zurückgelehnt“; „auf dem Rücken liegend“; in der Epik sonst nicht von Personen verwendet) bezeichnet eine Körperhaltung, die assoziativ mit Faulheit, Trunkenheit, Anmaßung und sexueller Lust verbunden ist; es begegnet vor allem in satirischen Texten; vgl. Hor. sat. 1,5,19. 85; 2,7,50; Pers. 1,129; Quint. inst. 11,3,69; Iuv. 1,66; 280; 14,190. Das carpentum ist ein bequemer zweirädriger Reisewagen, gegen dessen Benutzung nichts spräche, würde er nicht, verwendet von einer Person des öffentlichen Lebens, zu einem Symbol der Bequemlichkeit und des Luxus. So belegen die römischen Historiker die Verwendung dieses Wagens fast immer mit einem Tadel; vgl. Liv. 1,48,5–7; Val. Max. 9,11,1 (Tanaquil/Tullia wagt es, mit einem carpentum auf das Forum zu fahren, um ihrem Mann als erste mit dem Königstitel anzureden; danach überrollt sie mit dem Wagen die Leiche des Servius Tullius); Tac. ann. 12,42,2 (Agrippina läßt sich mit einem carpentum, der sonst Priestern und Kultgegenständen vorbehalten ist, auf das Kapitol bringen), Suet. Cal. 15,1; Claud. 11,2; 17,3 (Die Kaiser lassen ihre Mütter und Gattinnen bei öffentlichen Anlässen in carpenta fahren. Lucan übt hier also vielleicht Kritik am Prunk der kaiserlichen Familie); zum carpentum als
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Zielscheibe satirischer Kritik vgl. Iuv. 8,146–147; 9,130–134. Wie in den Tragödien Senecas finden sich bei Lucan eine Reihe derartiger satirischer Einsprengsel (z.B. 7,442–459; 10,136–154); der Grund für diese Gattungsdurchbrechungen oder -erweiterungen ist die moralistische Tendenz beider Dichter; vgl. dazu COFFEY 1996. Die Formel carpento sedens ist livianischen Ursprungs (1,34,8; Hinweis von RASCHLE zur Stelle). 590. somni parcissimus ipse est: Wachsamkeit gehört zu den Tugenden des Feldherrn wie des Soldaten; vgl. Caes. Gall. 5,40,7; Sall. Catil. 5,3,1; 27,2,6; Iug. 100,4. Im zweiten Buch (239–241) zeigt Lucan Cato ebenfalls schlaflos, diesmal jedoch in Sorge um Rom. Er greift dort auf den durch Hom. Il. 1,1–4. 24–25. 60–63 begründeten Topos zurück, daß sich der Staatsmann in schwierigen Zeiten keine Ruhe gönnen darf; vgl. die zahlreichen von VAN C AMPEN und FANTHAM z.St. angeführten Belege. Als Soldat wie als Staatsmann ist Cato gleichermaßen auf der Hut. 591–593: Stößt man in der Wüste auf eine Quelle, trinkt Cato stets als letzter. Der exemplarischen Szene in 493–510, in der Cato das von einem Soldaten angebotene Wasser ausschlägt, um erst seine Gefolgsleute trinken zu lassen, läßt Lucan hier eine summarische Beschreibung folgen. Cato handelte nicht nur einmal, sondern immer so selbstlos. Zur Selbstbeherrschung als Feldherrentugend vgl. P LÖGER 1975, 27–30. 51–52. 96–98. 155–156. 222–224; SCHEIDLE 1993, 29–33. 591. haustor: nicht vor Lucan belegt und eventuell ein Neologismus des Dichters; vgl. ThLL VI 3,2575,40–47 (BRINK). Lucan teilt die Abneigung der Dichter gegen die prosaischen Nomina agentis auf -tor nicht (vgl. zu 549). Der apodiktische Nominalstil verleiht der Aussage mehr Gewicht als ein verbaler Ausdruck. 592. indiga conatur laticis potare iuventus: Die Wortstellung (Hyperbaton von indiga und iuventus; Einrahmung von laticis durch conatur und potare) unterstreicht das Verlangen der Soldaten nach Wasser. Indigus (auch 8,446; 9,254) ist vor Lucan nur bei Lucr. 2,650; 5,223; Verg. georg. 2,428 belegt; vgl. ThLL VII 1,1194,69–1196,14 (R UBENBAUER ). Lucan beschreibt die Durstqualen der Soldaten in der objektivierenden Sprache des Lehrdichters.
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593. lixa: prosaisch (nie bei Lucr., Prop., Tib., Verg., Ov. und Val. Fl.; 1mal belegt bei Silius). 593–600: Der zusammenfassenden Beschreibung von Catos Verhalten während des Marsches läßt Lucan bis Vers 604 eine Bewertung folgen. In einer Passage von hohem Pathos bekennt er sich zur stoischen Gesinnungsethik und äußert, daß er lieber wie Cato durch die Wüste ziehen würde, statt die Triumphe des Pompeius oder des Marius zu feiern. Aus Lucans Bekenntnis geht hervor, warum sich die Stoa in der frühen Kaiserzeit so großer Beliebtheit erfreute. Eine Ethik, die den moralischen Wert eines Menschen allein von seinem Willen abhängig macht, ist die Lösung für eines der drückendsten Probleme der römischen Nobilität des ersten nachchristlichen Jahrhunderts, der mit dem Verlust der republikanischen Freiheit einhergehenden Beschränkung der Möglichkeiten politischer Entfaltung und des Erwerbs von Ruhm. Die stoischen Lehren gaben den Aristokraten das verlorene Selbstwertgefühl zurück. Einen vom Kaiser angeordneten „Selbstmord“ tapfer auszuführen wurde ebenso hoch eingeschätzt wie ein erfolgreicher Feldzug zu republikanischen Zeiten. Diese Verknüpfung von römischem Ruhmesdenken mit stoischem Tugendverständnis ist Lucan von Seneca vermittelt worden; zu Senecas Vorstellungen von gloria vgl. NEWMAN 1987. Zum Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl der frühen Kaiserzeit im allgemeinen vgl. DÖPP 1989. 593–596: Die hypothetische Periode mildert die Abwertung der Leistung der Vorfahren. Lucan stellt es dem Leser frei, sich seinem persönlichen Bekenntnis zum Stoizismus anzuschließen. Für den philosophischen Hintergrund vgl. zu 569–571. 593–594: veris … / … bonis: Ablativ, der im folgenden durch successu … remoto und nuda … virtus expliziert wird. Vera bona sind in diesem Kontext moralische gebotene Handlungen, die ohne Rücksicht auf eine persönliche Vorteilsnahme erbracht werden; gegen RASCHLE (z.St.), der den Ausdruck als Dativ auffaßt. Er mißt dem philosophischen Lehrcharakter dieses Passus insgesamt zu wenig Bedeutung bei und verkennt, daß es sich hier um einen Exkurs zur stoischen Güterlehre handelt. 597. populorum sanguine: eine Variation von Marte secundo, keine Kritik am römischen Imperialismus. Bietet sich die Gelegenheit für einen Expansionskrieg, hat Lucan nichts dagegen einzuwenden. Vgl. seine bittere
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Klage über Roms Selbstzerfleischung im Bürgerkrieg (1,8–12): quis furor, o cives, quae tanta licentia ferri? / gentibus invisis Latium praebere cruorem / cumque superba foret Babylon spolianda tropaeis / Ausoniis umbraque erraret Crassus inulta / bella geri placuit nullos habitura triumphos? und zu 560; anders RASCHLE, der in dieser Stelle eine Kritik am Imperialismus Roms und an den Expansionskriegen des Pompeius sieht. Die von ihm angeführten Belege (2,288; 7,633–637) sind unzureichend interpretiert. Die Schuld, die Cato durch die Teilnahme am Bürgerkrieg auf sich nimmt (2,888), erwächst daraus, daß er gegen Landsleute kämpft. Die Aussagetendenz von 6,633–637 liegt nicht so sehr darauf, daß bei Pharsalos zahlreiche Soldaten aus allen Teilen der Erde getötet werden, und dies ein Verbrechen ist, sondern daß es gerade der Strom des Römerbluts ist, der die Rinnsale des Blutes der Völkerschaften nicht versiegen läßt. 598: Das Hyperbaton von hunc (…) triumphum hebt die provokante Umwertung des vergeblichen Wüstenmarsches hervor und bildet zugleich durch den Einschluß von per Syrtes Libyaeque extrema den Marschweg in der Wortstellung ab. 599–600. ter Capitolia curru / scandere Pompei: Scandere ist nur hier im BC belegt. Capitolium curru scandere ist eine livianische Junktur (44,39,2; Hinweis von RASCHLE); vgl. auch Horaz: carm. 3,30,7–9: usque ego postera / crescam laude recens, dum Captolium / scandet cum tacita virgine pontifex. Zu den Triumphen des Pompeius vgl. zu 78. 600. frangere colla Iugurthae: assoziativ mit dem Vorangehenden verbunden. Lucan spielt auf den berühmten Triumph an, der Marius für den Sieg über den numidischen König Iugurtha am 1. Januar 104 v. Chr. zuerkannt wurde; Iugurtha wurde im Zug mitgeführt und wenig später, wie es mit den im Triumph zur Schau gestellten Gefangenen üblicherweise geschah, im Staatsgefängnis, dem Tullianum, erdrosselt; vgl. WELIN 1939; EHLERS 1939, 510. Die Formulierung ist eine Variation von 2,154: laqueo fauces elisaque guttura fregit, die ihrerseits auf Sall. Catil. 55,5 zurückgeht (Beschreibung der Hinrichtung des Lentulus im Tullianum): vindices rerum capitalium, quibus praeceptum erat, laqueo gulam (sc. Lentuli) fregere; vgl. ThLL III 1661,24 (PROBST).
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601–604: Mit dem Ausruf ecce rückt Cato dem Leser wieder das Bild des eingangs (587–593) geschilderten vollkommenen Feldherrn und Staatsmanns Cato vor Augen. Auf der Grundlage dieser Darstellung und der anschließend erläuterten moralphilosophischen Bewertungsbasis (593–600) preist Lucan Cato als wahren „Vater des Vaterlands“ und schließt den Abschnitt mit einer Prophezeiung: Sobald sich Rom der Tyrannenherrschaft entledigt hat, wird es Cato die ihm gebührenden göttlichen Ehren erweisen. Die Verse bekräftigen und bestätigen mit Blick auf die von Cato seit Pompeius’ Tod bereits erbrachten Leistungen das bei dessen Einführung im zweiten Buch ausgesprochene Lob (2,388–391): urbi pater est urbique maritus, / iustitiae cultor, rigidi servator honesti, / in commune bonus; nullosque Catonis in actus / subrepsit partemque tulit sibi nata voluptas. Vgl. dazu PARATORE 1976, der mit Recht hervorhebt, daß Lucan durch die Schöpfung des neuen „Titels“ urbis maritus dem Bild des unbeugsamen Stoikers an dieser Stelle weichere Züge verleiht. Cato regiert nicht nur mit väterlicher Strenge, er ist von tiefer Liebe und Zuneigung zum Vaterland erfüllt; vgl. dazu auch 2,295–303; 9,24–30. 601–602: WEINSTOCK (1971, 364–367) verweist auf die große Ähnlichkeit dieser Stelle mit Suet. Iul. 85 (Beschreibung der spontanen Einrichtung eines Kultes nach der Ermordung Caesars): postea solidam columnam prope viginti pedum lapidis Numidici in foro statuit (sc. vulgus) inscripsitque „parenti patriae“. apud eam longo tempore sacrificare, vota suscipere, controversias quasdam interposito per Caesarem iure iurando distrahere perseveravit und vermutet, daß Lucan sich hier direkt auf die kultische Verehrung Caesars bezieht. Dies ist möglich, aber nicht zwingend. Alle Kaiser seit Augustus nahmen den Titel pater patriae an und wurden spätestens nach ihrem Ableben an Altären als Götter verehrt. 601. ecce: Im Gegensatz zu anderen Epikern gebraucht Lucan die Partikel ecce selten (9 Belege; dagegen: 34mal Verg. Aen.; 40mal Ov. met.; 55mal Stat. Theb.; 38mal Val. Fl.; 44mal Sil.). Der Grund dürfte darin liegen, daß er einen historischen, dem Leser bekannten Stoff darstellt und rational analysiert. Dramatische und wunderhafte Überraschungseffekte durch Auftreten neuer Personen oder Gottheiten ergeben sich dadurch nicht. parens verus patriae: Der Titel parens oder pater patriae stammt aus dem Militärwesen. Wer im Krieg einem römischen Bürger das Leben rettete, wurde zum „Vater“ des Geretteten, der seinerseits verpflichtet war, alles für das Wohl seines Retters zu tun. In Analogie dazu wurde der Titel
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pater patriae Feldherren und Politikern verliehen, die Rom in einer besonders kritischen Situation vor Unheil bewahrt hatten. Seit Augustus 2 v. Chr. den Titel annahm, war er ständiges Attribut der Kaiser, wenn er auch wegen seiner besonderen Dignität häufig erst nach einer gewissen Bewährungszeit angenommen wurde. Zur Diskussion um die Entstehung des Titels und seiner Funktion in der Kaiserzeit vgl. ALFÖLDI 1978 sowie RASCHLE z.St. 602. per quem numquam iurare pudebit: In der Kaiserzeit wurde es zunehmend üblich, Eide oder Gelübde nicht mehr bei den traditionellen römischen Eidgöttern (Iuppiter/Dius fidius; Penates; Herkules; Castor und Pollux), sondern beim Namen oder dem Genius des Herrschers abzulegen. Dies macht deutlich, daß die Divinisierung der Kaiser nicht allein ein formaler politischer Akt war, sondern bis in Alltagsleben und -religiosität hineinreichte und der Kaiser zumindest in einigen Bereichen mit den traditionellen Gottheiten rivalisierte; vgl. STEINWENTER 1917, 1253–1260; W EINSTOCK 1971, 212–214. Auf dieses neu entstandene Konkurrenzverhältnis anspielend, äußert Lucan in 7,455–459, daß die Vergöttlichung der Kaiser die Rache der Menschen an den Göttern dafür sei, daß sie Pharsalos zugelassen hätten: cladis tamen huius habemus / vindictam, quantam terris dare numina fas est: / bella pares superis facient civilia divos; / fulminibus manes radiisque ornabit et astris / inque deum templis iurabit Roma per umbras. 603. cervice soluta: Das Bild vom Joch der Knechtschaft, das auf dem Nacken des Staates lastet, ist von Cicero in die römische Literatur eingeführt worden. Lucan verwendet es auch in 261 und 380. Vgl. Cic. Phil. 1,6: patriae liberatores urbe carebant ea, cuius a cervicibus iugum servile deiecerant; ThLL III 951,3–29 (PROBST). 604. nunc, olim: eine Übernahme aus dem Rachefluch der verlassenen Dido; vgl. Verg. Aen. 4,624–627: nullus amor populis nec foedera sunto / exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor / qui face Dardanios ferroque sequare colonos, / nunc, olim, quocumque dabunt se tempore vires. Lucans Prophezeiung trägt einen drohenden Unterton: Der Widerstand wird nicht enden, bevor der Tyrann nicht beseitigt ist.
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[2.14. Cato trinkt als erster das mit Schlangengift vermischte Wasser (9,604–618)] 604–618: Inmitten der Wüste treffen Cato und seine Soldaten auf eine Quelle, die von Schlangen verseucht ist (604–610). Weil sie andernfalls verdursten würden, können sie nicht weiterziehen. Cato belehrt seine Soldaten, daß getrunkenes Schlangengift unschädlich ist, und nimmt ihnen die Furcht, indem er als erster trinkt (611–618). Die Szene nimmt eine kompositorische Gelenkstelle ein. Sie weist zurück auf 493–510 (Cato weigert sich, als erster zu trinken, weil er keine Privilegien in Anspruch nehmen will) und bildet gemeinsam mit dieser Episode einen Rahmen um den Besuch beim Ammonsorakel. Zugleich wird hier zum ersten Mal das Thema „Schlangen und Schlangengift“ angesprochen, das die Beschreibung des Wüstenmarsches bis zur Ankunft in Leptis Magna (619–949) dominiert. 604. iam spissior ignis: „schon ist die Feuerhitze dichter“. Der Ausdruck spissior ignis ist aus einer Kombination von Verg. georg. 1,233–234: quinque tenent caelum zonae: quarum una corusco / semper sole rubens et torrida semper ab igni und Sen. nat. 7,26,1: per stellas, inquit, ulteriora non cernimus; per cometas aciem transmittimus. – primum si fit istud, non in ea parte fit qua sidus ipsum est spissi ignis et solidi, sed qua rarus splendor excurrit et in crines dispergitur. Die Hitze der Äquatorialzone gleicht nach Lucan der im Innern eines – als Feuerball vorgestellten – Kometen. Den Gebrauch von ignis im Sinne von „große Hitze durch Einstrahlung der Sonne oder feuriger Gestirne verursacht“ hat Vergil nach dem Vorgang von Cic. Arat. 111 an der zitierten Georgica-Stelle eingeführt. In der Poesie begegnet er danach häufig in astronomischen Kontexten; vgl. Hor. carm. 3,3,53–56; Ov. met. 1,778; Manil. 4,412. 498 u.ö.; Lucan. 4,109; 6,337; 8,848; 9,375. 538; 10,211; ThLL VII 1,294,41–57 (RUBENBAUER). 605–606. plaga, quam nullam superi mortalibus ultra / a medio fecere die, calcatur: „man marschiert durch das Gebiet, über das hinaus die Götter vom Äquator her den Sterblichen keinen Lebensraum eingeräumt haben“. D.h. Cato dringt mit seinen Soldaten in die unbewohnbare heiße Zone zwischen nördlichem Wendekreis und Äquator ein; vgl. H OUSMAN im Apparat z.St., der für die Nachstellung der Präposition auf Verg. Aen. 11,509–510: sed nunc, est omnia quando / iste animus supra, mecum partire laborem verweist. Zu Lucans Adaption der stoischen Zonenlehre vgl. zu 184. 377. 435–436.
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Plaga entspricht hier wie häufig zona; vgl. 4,674; 5,24; 6,326. 816; 9,861; 10,186. 232. 307 und OLD s.v. 2c). Zu dies im Sinne von aether oder plaga caeli vgl. Ov. met. 1,603 (erster Beleg); Pont. 2,1,28; Sen. Thy. 263; Tro. 21; Lucan. 1,153; 7,189; 8,217; ThLL V 1,1028,51–67 (PFLUGBEIL). Das expressive calcare („heftig treten“, „stampfen“) ist eines der Lieblingswörter Lucans (18 Belege). Hier deutet es den mühseligen Marsch der Soldaten durch die Sanddünen an. 607. mediis fons unus harenis: Die Wortstellung bildet die Lage der Quelle inmitten der Sandwüste ab. 608. largus aquae: „reichlich Wasser führend“. Largus mit Genitiv in Analogie zu plenus, inops u.ä. mit Genitiv ist eine Schöpfung Vergils; vgl. Aen. 11,338: (sc. Drances) largus opum. Lucan ist der erste, der diese Innovation aufgreift (danach Sil. 7,601; 8,248 und spätantike Autoren); vgl. dazu und zu der Diskussion um den Sinn der Vergilstelle („begütert“ oder „reichlich Gebrauch machend von seinem Reichtum“) ThLL VII 2,2,974,56 (HEINE). 608–609. sed quem serpentum turba tenebat / vix capiente loco: „die aber ein Gewimmel von Schlangen besetzt hielt, wobei der Platz kaum ausreichte, sie zu fassen“. Ein paradoxes Spiel mit den bedeutungsähnlichen Vokabeln tenere und capere. Für die Technik, durch einen dem Prädikat, dem gewöhnlichen Signal für das Satzende, nachgestellten Ablativus absolutus überraschende Pointen zu erzeugen vgl. LUCIFORA 1991, 37–41. Sonst findet sich dieses Stilmittel (Abl. abs., PC oder Apposition als unerwarteter Anhang nach dem gemutmaßten Satzschluß) vor allem bei Tacitus; vgl. z.B. Tac. ann. 2,41,3; 6,30,4 (jeweils mit GOODYEAR) und VOSS 1963, 61–66. 609–610: Beide Schlangenarten haben sich gemäß ihrer Natur an der Quelle aufgestellt: Die Aspis im Trockenen, die Dipsas im Wasser. Die Wortstellung gibt die räumlichen Verhältnisse wieder: Das Enjambement in siccae / aspides malt die Stellung am Rand, in mediis (…) undis umschließt die im Wasser vorgestellten Dipsades. siccae / aspides: Die Aspis ist „trocken“, weil sie die Hitze liebt und feucht-kalte Klimate meidet; vgl. zu 700–705.
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610. sitiebant dipsades: Weil ihr Gift brennenden Durst verursacht, nahm man von der Schlange an, sie leide selbst Durstqualen und gab ihr den sprechenden Namen; vgl. zu 718. 737–760. Lucan hat sitiebant an Stelle von erant o.ä. gewählt, um den griechischen Namen, das wesentliche Merkmal der Schlange, zu erklären. Es liegt in der Natur der Dipsas, immer durstig zu sein, sogar wenn sie sich im Wasser befindet. 611. ut aspexit perituros fonte relicto: „sobald er sah, daß seine Leute zugrunde gehen würden, ließen sie die Quelle hinter sich zurück“. Cato stellt die Feldherrentugend des vorausschauenden und verantwortungsvollen Handelns unter Beweis. Nur weil seine Männer andernfalls verdursten würden, riskiert er es, aus der Quelle zu trinken. Die folgende Demonstration über der Unschädlichkeit von Schlangengift, das über den Verdauungstrakt aufgenommen wird, ist von der Notwendigkeit diktiert; sie ist keine Effekthascherei. Zum Feldherrenbild vgl. Cic. Manil. 29, wo consilium in providendo neben labor in negotiis, fortitudo in periculis, industria in agendo und celeritas in conficiendo als Haupttugend des militärischen Anführers genannt wird. Vgl. dazu PLÖGER 1976, 25. 50–51. 612. alloquitur: „richtet das Wort an sie“. Alloqui (allocutio) ist seit Livius der Terminus für das feierliche Anreden des Volks (oder einer Gruppe von Soldaten) von Seiten eines Staatsmanns (oder eines Feldherrn). Lucan verwendet das Verb in diesem Sinn auch in 2,530; sonst ist es in der Poesie nicht belegt; vgl. FA N T H A M zu 2,530; ThLL I 1695,72–1696,34 (MÜLLER). vana specie conterrite leti: Cato zerstreut die unbegründeten Bedenken seiner Soldaten. Lucan zeigt Cato häufig in der Rolle des aufgeklärten, moral- und naturphilosophisch Gebildeten, der mit überlegenem Wissen törichte Vorschläge (2,242–325; 9,165–166. 544–586) zurückweist oder unüberlegtes Verhalten (9,215–293. 493–510) tadelt. 613. tutos … liquores: „den unschädlichen Trunk“. Zu tutus im Sinn von „unschädlich“ vgl. die von HOUSMAN z.St. angeführten Beispiele (Verg. Aen. 4,298; Ov. met. 7,47; trist. 5,2,37. 5,18; Pont. 3,6,15) und OLD s.v. Nr.6. Die Bedeutungsnuancen von tutus diskutiert SHACKLETON BAILEY 1967 (= 1956), 86–87. 614–616: Daß es für die Wirkungsweise vieler Gifte entscheidend ist, ob sie über den Blutkreislauf oder den Verdauungstrakt aufgenommen wer-
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den, und daß es das einfachste, wenn auch nicht immer wirksame, Mittel bei Schlangenbiß ist, die Wunde auszusaugen, ist heute jedermann bekannt und selbstverständlich waren auch die Griechen und Römer darüber unterrichtet. Aelian (nat. anim. 9,62) erzählt z.B. von einem Gaukler, der sich auf einem Jahrmarkt immer wieder von einer Giftschlange beißen ließ, die Wunden dann aussaugte und zum Erstaunen des Publikums die Prozedur unbeschadet überstand. Er soll jedoch zu Tode gekommen sein, weil jemand das Wasser verschüttet hatte, mit dem er sich sicherheitshalber den Mund ausspülte. Offenbar hatte er wundes Zahnfleisch. Zu der umfangreichen medizinischen Literatur über Gegenmittel gegen Schlangengifte und der Kenntnis der Antike über Gifte im allgemeinen vgl. GOSSEN/STEIER 1921, 500–504. 528; MOREL 1931, 223–228. Catos Belehrung, die von Lucan effektvoll in Szene gesetzt wird, um den Feldherrn als furchtlos und klug erscheinen zu lassen, dürfte den Untergebenen, hätte sie denn stattgefunden, nichts Neues gesagt haben. 615. fatum dente: Die Metonymie fatum für mors unterstreicht zusammen mit dem poetischen Singular dente statt dentibus das Paradox. Mit ihrem (winzigen) Giftzahn können Schlangen das Schicksal eines Menschen entscheiden; vgl. zu 739–740. 766–767. 616–617. dixit, dubiumque venenum / hausit: Unterstützt von Alliteration und Assonanz malt die Syntax, wie Cato ohne Zaudern nach Ende der kleinen Rede aus der Quelle trinkt. 617. et in tota Libyae fons unus harena: Der Halbvers bildet mit 607 (inventus mediis fons unus harenis) einen Rahmen um das Geschehen an der Quelle. 618. Der Vers verweist zurück auf 493–510, die Szene, in der Cato zornentbrannt einen Soldaten maßregelt, der ihn aus Respekt als ersten an der Quelle trinken lassen will. Während diese Episode auf der Alexandertradition beruht, hat Lucan die vorliegende Szene offenbar selbständig unter Verwendung des Motivs „Getrunkenes Schlangengift ist unschädlich“ antithetisch dazu gestaltet.
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[2.15. Afrika als Heimat der Schlangen (9,619–699) 619–699: Lucan verwirft die Medusasage als, wie er sagt, gängige Erklärung für die Schlangenplage in Afrika. Nichtsdestoweniger fügt er diese in Ermangelung eigener Erklärungsmuster in Form eines aitiologischen Exkurses an dieser Stelle ein: Perseus, der ausgezogen ist, um das Medusenhaupt als Hochzeitsgeschenk für den ungeliebten Polydektes zu holen, besiegt Medusa mit Hilfe von Athena und Hermes. Um auf dem Heimweg vom westlichen Teil Libyens, der Heimat der Gorgo Medusa, nac Seriphos Europa vor dem Blick der Medusa zu schützen, nimmt Perseus den Weg üer Libyen. Dabei fallen einige Blutstropfen des abgeschlagenen Medusenhauptes auf Afrika. Aus diesem Blut entstehen die Schlangen, die Cato und seinen Soldaten den Marsch durch die Wüste erschweren. 2.15.1. Fehlen einer wissenschaftlichen Erklärung für die Schlangenplage in Afrika (9,619–623)] 619–623: Als Wissenschaftler fragt Lucan zuerst nach natürlichen Ursachen für die Schlangenverseuchung der afrikanischen Wüste. Da von den vier Elementen, deren Zusammenspiel nach der stoischen Temperatio-Lehre für Flora und Fauna eines bestimmten Klimats verantwortlich ist, die Sonneneinstrahlung als Träger giftiger Stoffe ausscheidet und Wasser in der Sahara nicht vorhanden ist, bleiben noch Luft oder Erde als mögliche Verursacher der Schlangenplage (619–621). Nur weil Lucan nicht in der Lage ist, diese Frage wissenschaftlich zu klären, führt er als Ersatz einen ausdrücklich als falsch gekennzeichneten aitiologischen Mythos über die Entstehung der Schlangen aus dem Blut des Medusenhauptes an. 619. cur Libycus tantis exundet pestibus aer: „warum die Luft Libyens voll von gefährlichem Pesthauch ist“. Pestis steht hier allgemein für eine Verunreinigung der Luft, die nur todbringende und giftige Pflanzen und Tiere gedeihen läßt. Nach Senecas Naturales Quaestiones (6,27–28) kann Luft verderben, wenn sie lange unbeweglich bleibt oder in lichtlosen Räumen eingeschlossen ist. Die nach Erdbeben auftretenden Epidemien führt Seneca darauf zurück, daß Luft, die lange in unterirdischen Höhlen eingeschlossen war, freigesetzt wird. Lucan beschreibt in 6,84–105 eine Pest, die durch giftige Ausdünstungen verwesender Pferdekadaver entstanden sein soll. Winde brachten schließlich Linderung. Lucan hat offenbar keine derartigen Ursachen für die ungesunde und schädliche Wirkung der Luft in der afrikanischen Wüste finden können. Zu den antiken Spe-
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kulationen über die Wirkungen verunreinigter/„verdorbener“ Luft auf Organismen, insbesondere über die Entstehung der Pest vgl. ANDRÉ 1980. 620. fertilis in mortes: „fruchtbar im Hervorbringen von Tod und Verderben“; ein Oxymoron. Die Konstruktion von fertilis mit in statt Gen. ist singulär; vgl. ThLL VI 1,588,46–47 (PFLUGBEIL). Anders als bei Wendungen wie terra fertilis fructuum o.ä. liegt hier der Akzent nicht auf dem Ergebnis, sondern der Fragestellung gemäß („Warum erzeugt die libysche Luft so viele todbringende Geschöpfe?“) auf dem Prozeß der Hervorbringung. 620–621. aut quid secreta nocenti / miscuerit natura solo: Ebenso wie die Luft kann selbstverständlich auch der Boden giftige Stoffe enthalten; vgl. Sen. nat. 6,28,1: multas autem terras habere mortifera vel ex hoc intellege quod tot venena nascuntur non manu sparsa sed sponte, solo scilicet habente ut boni ita mali semina. Quid quod pluribus Italiae locis per quaedam foramina pestilens exhalatur vapor quem non homini ducere, non ferae tutum est. 621–622. non cura laborque / noster scire valet: Weil Lucan trotz aller Bemühungen nicht in der Lage ist, die wahre Ursache für die Schlangenverseuchung Libyens zu ermitteln, greift er auf den durch die poetische Tradition vermittelten Medusa-Mythos zurück. Ähnlich ist seine Haltung gegenüber den verschiedenen in der Antike kursierenden Erklärungen für die Gezeiten (1,405–419). Er nennt die konkurrierenden Erklärungsversuche der naturphilosophischen Schulen, enthält sich jedoch einer wertenden Stellungnahme (vgl. 1,417–419: quaerite (sc. die wahre Ursache für den wechselnden Wasserstand), quos agitat mundi labor; at mihi semper / tu, quaecumque moves tam crebros causa meatus, / ut superi voluere, late), weil die Klärung des fachwissenschaftlichen Problems mit seinem Kenntnisstand unmöglich ist und zudem nicht unter die Aufgaben eines Epikers fällt. Lucan bemüht sich also gemäß dem Kenntnisstand seiner Zeit zu dichten und anachronistische Elemente der poetischen Tradition wie z.B. den Götterapparat zu meiden; liegen jedoch wie bei dem Problem der Gezeiten oder der afrikanischen Schlangenpest keine gesicherten Erkenntnisse vor begnügt er sich damit, mögliche Erklärungen anzuführen, und ist unter Umständen sogar bereit, auf eine falsche mythologische Erklärung zurückzugreifen. Das Problem der Schlangenverseuchung Afrikas hat Lucan offenbar sehr beschäftigt; trotz der hier bekannten Ratlosigkeit und gegen seine sonstige Gewohnheit, sich auf Forschungen anderer zu stützen, ver-
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sucht er in 9,854–865 eine eigenständige Erklärung. Zu Lucans Verhältnis zu Naturwissenschaft und Mythos vgl. auch zu 303–317. 359–360. Durch die Erwähnung von cura und labor, die Lucan – wenn auch hier ohne Erfolg – für die Ermittlung der Wahrheit aufbringt, knüpft er an die Tradition des Lehrdichters an; vgl. Lucr. 1,50–61. 136–148; Verg. georg. 1,52; Manil. 1,54; 2,256. 782; 3,43. Zu labor in bezug auf die Tätigkeit des Dichters vgl. zu 9,980–981 und LAU 1975, 168–184, der allerdings nicht auf die Verwendung dieses Begriffs für die Bemühung des Lehrdichters um die Wahrheit und deren klare Darstellung in poetischer Form eingeht. 622–623. nisi quod vulgata per orbem / fabula pro vera decepit saecula causa: Weil er keine bessere Erklärung finden konnte, führt Lucan den über Jahrhunderte tradierten Mythos von der Entstehung der Schlangen aus dem Blut des Medusenhauptes an. Dadurch daß er ihn ausdrücklich als falsch kennzeichnet, beugt er dem häufig von philosophischer Seite geäußerten Vorwurf vor, die Dichter würden die Jugend, die sich im Unterricht beim Grammatiker mit ihren Texten beschäftigt, mit unwahren Geschichten verderben und sich zu Unrecht ihrer Gelehrsamkeit und Weisheit rühmen; vgl. Ciceros (Tusc. 3,1–6) kritisches Urteil über den üblichen römischen Bildungsgang; bereits mit den Märchen der Ammen begänne die Verbildung der Kinder: nunc autem, simul atque editi in lucem et suscepti sumus, in omni continuo pravitate et in summa opinionum perverstitae versamur, ut paene cum lacte nutricis errorem suxisse videamur. cum vero parentibus redditi, dein magistris traditi sumus, tum ita variis imbuimur erroribus, ut vanitati veritas et opinioni confirmatae natura ipsa cedat. accedunt etiam poetae, qui cum magnam speciem doctrinae sapientiaeque prae se tulerunt, audiuntur leguntur ediscuntur et inhaerescunt penitus in mentibus (Tusc. 3,2–3). [2.15.2. Die Gestalt der Medusa und das Land ihrer Heimstätte (9,624–635) 624–635: Lucan bringt geographische Gegebenheiten des Landstriches, in dem Medusa zu Hause ist – es handelt sich um eine karge, steinige Gegen – mit dem Mythos in Einklang: Nicht nur menschliche Wesen werden durch Medusas Blick in Stein verwandelt, sondern auch die Natur selbst. Mit der Beschreibung der allerorts hervorzüngelnden Schlangen gibt Lucan bereits hier die Erklärung für die später aus dem Blut der Medusa entstehende Schlangenpest. Medusa und der Ort selbst verschmelzen zu einer Einheit.]
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624. finibus extremis Libyes: Die Medusa soll nach übereinstimmender Meinung aller Mythographen im äußersten Westen wohnen. Der Seefahrer Hanno hat auf seiner Erkundungsfahrt an der Westküste Afrikas zwei Inseln entdeckt (Lokalisierung nicht möglich), auf der er ihre Heimat vermutete; vgl. FISCHER 1912, 1595; ZIEGLER 1912, 1633–1634. 624–625. ubi fervida tellus / accipit Oceanum demisso sole calentem: Lucan präzisiert hier Ov. met. 1,63–64: vesper et occiduo quae litora sole tepescunt / proxima sunt Zephyro (aus der Beschreibung der vier Himmelsrichtungen und der ihnen zugehörigen Winde). Die Erde ist glühend heiß, weil sie sich bei Sonneneinstrahlung stärker erhitzt als der Ozean, der nur warm ist, obwohl die Sonne in ihm versinkt. Um klarzustellen, daß ein mythologischer Exkurs beginnt, greift Lucan hier auf die traditionelle Vorstellung zurück, daß die Sonne im Ozean versinkt (vgl. z.B. Verg. georg. 3,259; Aen. 4,129; Ov. met. 7,267; 15,30); für diese Technik vgl. zu 348–349. In den historischen Abschnitten setzt er sonst durchgängig die Kugelvorstellung voraus; vgl. 6,570–573: hanc ut fama loci Pompeio prodidit, alta / nocte poli, Titan medium quo tempore ducit / sub nostra tellure diem (d.h. um Mitternacht) , deserta per arva / carpit iter; 8,159–161: iam pelago medio Titan demissus ad ignes / nec quibus abscondit nec si quibus exerit orbem, totus erat. Reflexives demitti im Sinn von „untergehen“ ist ein astronomischer t.t., der vor Lucan nur bei Ov. fast. 1,653; Germ. 398. 719; Sen. nat. 1,8,2; 7,22,2 belegt ist; vgl. ThLL V 1,491,65–68 (KIECKERS). Lucan 9,624–625 scheint auf Ammian 23,6,12 eingewirkt zu haben: hinc praestrictis insulis, e quibus paucae sunt notae, Indorum mari iunguntur oceano, qui ferventem solis exortum suscipit omnium primus, ipse quoque nimium calens. 626: Der Vers ist eine Kombination aus Ov. met. 4,655–656: Medusae / ipse retro versus (sc. Perseus) squalentia protulit ora und met. 14,410–411: et humus serpentibus atris / squalere et tenues animae volitare videntur (Circe ruft die Unterwelt herbei). Das Land und seine Herrin gleichen sich; es ist eine Unterweltslandschaft; für die Stilisierung der libyschen Wüste als „Hölle“ vgl. zu 436–437. Zu squalere vgl. zu 384. Zu Phorcys vgl. 645–646. 627. non nemorum protecta coma: Die Junktur nemorum coma geht auf Horaz (carm. 1,21,5; 4,3,11) zurück, vgl. ThLL III 1753,10–13 (LEISSNER ). Protegere wird häufig vom Pflanzenschatten gebraucht; vgl. OLD s.v. 1a) und b).
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non mollia sulco: „nicht gelockert durch die Furche des Pflugs“. Mollis, angewendet auf den Boden (auch Lucan. 4,308; 8,526), ist agronomischer t.t.; vgl. Lucr. 5,780; 6,626; Varro rust. 1,20,2; Sen. nat. 3,27,5; 6,26,1; epist. 52,5 und ThLL VIII 1370,34–71 (BUCHWALD). 628. sed dominae vultu conspectis aspera saxis: „rauh an Felsen, die vom Blick der Herrin getroffen wurden“. Conspicere mit instrumentalem Ablativ ist selten; die Konstruktion wird nur dort gebracht, wo wie hier das Erblicken besonders folgenreich oder bedeutungsträchtig ist; vgl. Cic. Catil. 1,17: carere me aspectu civium quam infestis omnium oculis conspici mallem; Balb. 47: (…), ut conspicatis eum mentibus, quoniam oculis non potestis, Catull. 64,86: hunc simulac cupido conspexit lumine virgo / regia (…); ThLL IV 496,57–64 (SPELTHAHN). 629–630: die Überschrift für das folgende. Primum ist das Stichwort, das dem Leser anzeigt, daß nun eine Ätiologie folgt. 629. natura nocens: Zur Vorstellung der feindseligen Natur, die der stoischen Lehre eigentlich fremd ist, vgl. zu 301. 630. saevas / eduxit pestes: „brachte die scheußlichen Ungeheuer hervor“. Sowohl die eigentliche wie die übertragene Bedeutung von educere ist präsent: „ziehend Schlangen herausbilden“. Metaphorisches pestis für „Schlange“ gebraucht Lucan nach dem Vorbild von Verg. georg. 3,418–420: aut tecto adsuetus coluber succedere et umbrae / (pestis acerba boum) pecorique aspergere virus / fovit humum und Sen. Med. 680–685 (vgl. COSTA z.St.: et triste laeva comparans sacrum manu / pestes vocat quascumque ferventis creat / harena Libyae quasque perpetua nive / Taurus coercet frigore Arctoo rigens, / et omne monstrum. tracta magicis cantibus / squamifera latebris turba desertis adest. illis e faucibus: Die im Körper der Medusa entstandenen Schlangen züngeln aus ihrem Mund hervor. HOUSMANs Erklärung der Stelle ist nicht überzeugend. Er sieht in 629–631 eine vorweggenommene Zusammenfassung des Aitions aus 696–699, nach dem die Schlangen aus dem Blut entstanden sind, das aus dem abgeschlagenen Haupt der Medusa tropfte. Illis e faucibus faßt er als eine stark verkürzte Angabe der Herkunft auf. 630–631 sind nach HOUSMAN etwa zu übersetzen mit: Die Schlangen, die aus dem Blut der Wunden der Medusa stammen, stießen ein pfeifendes Zischen mit vibrierenden Zungen aus. Diese Auffassung ist jedoch gekünstelt. Es spricht nichts gegen das sprachlich naheliegende Verständnis
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der Verse: Die Natur ließ im Körper der Medusa zum ersten Mal Schlangen entstehen; diese züngelten aus ihrem Hals. Daß diese Vorstellung ikonographisch nicht belegt ist, tut nichts zur Sache; auch anderswo weicht Lucan von der bildlichen Tradition ab; vgl. zu 672–674. Neben dem schauerlichen Reiz, der von der Vorstellung eines Mundes, aus dem sich Schlangen hervorstrecken, ausgeht, besteht jedoch auch eine sachlogische Notwendigkeit für 629–631. Lucan ist es offenbar aufgefallen, daß es nicht unerklärt bleiben darf, warum an der Medusa selbst Schlangen sind, wenn diese doch eigentlich erst aus ihrem Blut entstanden sein sollen. So stellt sich Lucan die Schöpfung der Schlangen in zwei Stufen vor. Zuerst schuf die Natur die Schlangen im Körper der Medusa, dann verbreiteten sie sich durch ihr Blut in der ganzen Welt. Die Verse sind ein Beleg dafür, daß Lucan tatsächlich cura laborque (621) zur Klärung des Problems der Schlangenentstehung aufgewendet und den Mythos sorgfältig geprüft hat. 631. stridula fuderunt vibratis sibila linguis: „sie stoßen mit vibrierender Zunge ein pfeifendes Zischen aus“. Zischen und das Züngeln mit gespaltener Zunge gehören seit Verg. Aen. 2,211: sibila lambebant linguis vibrantibus ora zu jeder poetischen Schlangenbeschreibung. Zur Traditionsgeschichte dieser dichterischen Wendung vgl. ThLL VII 2,2,1445,29–34 (SALVADORE) und LA PENNA 1979. 633–632: Die zuerst von FRANCKEN vorgenommene Umstellung ist notwendig, um dem Relativpronomen cui ein Beziehungswort (Medusae) zu geben. Wegen der auch in 631 begegnenden Wortendungen -nt, -tis und -la wurde der ursprüngliche Vers 632 übersprungen und später falsch eingeordnet; vgl. HOUSMAN z.St. 633. flagellabant: Lucan adaptiert hier den ersten Beleg dieses Wortes bei Ov. met. 3,93–94: pondere serpentis curvata est arbor et imae / parte flagellari gemuit sua robora caudae; vgl. ThLL VI 1,834,60–835,50 (BACHERLER). gaudentis … Medusae: Medusa empfindet die perverse Freude des Ungeheuers über seine eigene Schrecklichkeit. Dasselbe abartige Vergnügen an Schreckenstaten kennzeichnet die Hexe Erictho (vgl. 6,525–526. 540–541. 604–605), aber auch Caesar und seine Anhänger, die sich über die Bürgerkriegsgreuel freuen (vgl. 2,439–440. 273–274; 3,82–83; 4,278; 5,302–303; 6,784–799).
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632–635: Medusas Schlangenhaar wird beschrieben: Kämmt sie sich, tropft Gift herunter. Die Schilderung der sich kämmenden Frau ist ein Motiv der erotischen Dichtung; vgl. Plaut. Most. 248–255; Tib. 1,8,10–11; 3,5,8; Ov. ars. 1,367; 3,235–236; epist. 13,30–32; met. 4,310–312. Hebt die Darstellung der intimen Szene sonst den Liebreiz der Frau besonders hervor, wird hier das Gegenteil erreicht. Medusa ist ein scheußliches Monstrum. Auch Ovid gebraucht das Motiv einmal bereits in negativer Form. Die Furien kämmen Schlangen aus ihren Haaren; vgl. met. 4,451–454 (Vorbild für Lucan?). 635. depexo crine: „kämmt sie das Haar herunter“. Depectere ist nur hier bei Lucan belegt. Er hat das Wort anstelle des in der Liebesdichtung gebräuchlicheren pectere gewählt, um genauer das „Herunterkämmen“ der aufrecht stehenden Schlangen zu beschreiben. [2.15.3. Der Blick der Medusa (9,636–658) 636–658: Medusa übersteigt in ihrer Grausamkeit alles bisher Gekannte (Eumeniden, Zerberus, Hydra) und versetzt selbst die eigenen Verwandten in Angst und Schrecken. Nichts und niemand ist vor ihrem tödlichen Blick sicher, alles verwandelt sich durch ihn zu Stein (Atlas, Giganten) – dies führt zu der paradoxen Situation, daß sich selbst das eigene Schlangenhaar von ihr abwendet.] 636. hoc: sc. das Schlangenhaar. infelix: Lucan spielt hier auf die von Ovid (met. 4,790–803) erzählte grausame Bestrafung der Medusa durch Athene an. Medusa hatte ursprünglich Haar von einzigartiger Schönheit; Poseidon erblickte sie eines Tages, als sie sich in einem Tempel der Athena aufhielt, entbrannte wegen ihrer Haarpracht sofort in Liebe und vergewaltigte Medusa unmittelbar im Heiligtum. Die keusche Athena bestrafte die Entweihung ihrer Kultstätte, indem sie Medusas Haare in Schlangen verwandelte. Zur Bewertung von Vergewaltigungen in der Antike, die, häufig ohne daß die näheren Umstände berücksichtigt wurden, für die betroffenen Frauen die soziale Ächtung zur Folge hatten, vgl. DOBLHOFER 1994, 47–82. Daß Lucan in 633 davon spricht, daß Medusa sich darüber freut, daß ihr Schlangen den Hals peitschen, ist kein Widerspruch. Hier urteilt er vom Standpunkt des distanzierten Beobachters, dort beschreibt er das
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Verhalten der verwandelten Medusa, die selbst nicht merkt, welch schreckliche Veränderung mit ihr vorgegangen ist. 637–639: Die Form der beiden rhetorischen Fragen legt dem Leser paradoxerweise die Antwort „niemand“ nahe. Warum diese Anwort tatsächlich richtig ist, erklärt Lucan erst in der Pointe in 639–641. 638. se: Der Gebrauch des Reflexivpronomens im nicht obliquen Nebensatz erklärt sich daraus, daß der Relativsatz zur Umschreibung eines Begriffs dient („welchen direkt Angesehenen“) und daher wie ein bloßes Satzglied behandelt wird; vgl. K/ST 1,613–614. 640. praevenitque metus: „und kommt der Furcht zuvor“. Die Erklärung für Lucans Behauptung, daß niemand je vor dem Antlitz der Medusa in Furcht geraten sei (637–638). Man versteinert so schnell, daß keine Zeit für Angst bleibt. 640–641: Der Körper verwandelt sich, vom Blick der Medusa getroffen, blitzschnell in Stein, die Seele wird in ihm gefangen und erstarrt schließlich selbst. Da die Antike den Tod als Trennung der Seele vom Körper definiert, kann Lucan daher behaupten, daß Medusa noch niemanden habe sterben lassen (638–639). Die Begegnung mit der Gorgo ist daher besonders schrecklich; sie nimmt dem Menschen den Trost, daß die Seele nach dem Tod das Gefängnis des Körpers hinter sich lassen und in der Ätherzone ungetrübter Erkenntnis teilhaftig werden kann; zu dieser in der Konsolationsliteratur häufigen Vorstellung vgl. 9,1–18 (Pompeius’ Himmelfahrt), besonders 9,1–4: at non in Pharia manes iacuere favilla / nec cinis exiguus tantam compescuit umbram; / prosiluit busto semustaque membra relinquens / degeneremque rogum sequitur convexa Tonantis. Die vorliegende Stelle ist offenbar angeregt durch Senecas Ausführungen am Ende des Dialogs De providentia (dial. 1,9), wo er argumentiert, daß niemand den Tod fürchten müsse, weil die Seele jederzeit leicht und rasch aus dem Körper entweichen könne: non in alto latet spiritus nec utique ferro eruendus est; non sunt vulnere penitus inpresso scrutanda praecordia: in proximo mors est. Non certum ad hos ictus destinavi locum: quacumque vis pervium est. Ipsum illud quod vocatur mori, quo anima discedit a corpore, brevius est quam ut sentiri tanta velocitas possit: sive fauces nodus elisit, sive spiramentum aqua praeclusit, sive in caput lapsos subiacentis soli duritia comminuit, sive haustus ignis cursum animae remeantis interscidit, quidquid est, prope-
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rat. Die Versteinerung durch die Medusa ist dagegen eine Bedrohung, die auch ein Stoiker fürchten muß. Die sachliche Grundlage für Lucans Idee, daß die Seele zu Stein werden könne, ist die stoische Lehre, daß die Seele ein Gemisch aus Äther und Luft und mithin körperlich sei; vgl. zu 7. 9. Auf diese Anschauung greift Lucan auch in 5,279 zurück: Caesars meuternde Soldaten wünschen sich, daß die Seele bei ihrem Tod nicht an den Helm stößt; vgl. auch 7,621–622: ore quis adverso demissum faucibus ensem / expulerit moriens anima (= Atem/Lebenshauch/Seele). Lucan „präzisiert“ hier unter Verwendung (pseudo-)naturwissenschaftlicher Kenntnisse Verg. Aen. 9,441–443: instat non setius ac rotat ensem / fulmineum, donec Rutuli clamantis in ore / condidit adverso et moriens animam abstulit hosti. 641. umbrae: Die Metonymie umbra für anima ist mit Bedacht gewählt. An die Stelle der wenig anschaulichen Vorstellung, daß das Gasgemisch der Seele nicht entweichen kann, tritt das Bild des personalen Schattens, der vergeblich aus der Steinhülle des Körpers zu entkommen versucht und schließlich selbst erstarrt; zur Setzung von umbra für anima mit dem Zweck der Veranschaulichung vgl. auch die in der vorigen Anmerkung zitierten Verse 9,1–4. 642–647: Nach der Beschreibung des Aussehens der Medusa und der entsetzlichen Wirkung ihres Blicks ordnet Lucan sie nun in eine Reihe mythologischer Ungeheuer ein, um dem Leser einen Maßstab für die Beurteilung ihrer Schrecklichkeit zu geben. Die Gorgo übertrifft die Eumeniden, den Zerberus und die Hydra; sogar Eltern und Schwestern, selbst mythologische Scheusale, fürchten sie. Die genannten Fabelwesen hat Lucan ausgewählt, weil sie entweder schlangenbewehrt (Eumeniden; Zerberus) oder selbst schlangenartig (Hydra) sind. Aus diesem Grund werden Eumeniden und Zerberus auch in 6,663–665 gemeinsam genannt: si me praebente videri / Eumenides possint villosaque colla colubris Cerberus excutiens (…). 642: Die Eumeniden (Furien; Erinnyen) sind der Unterwelt zugehörige Rachegöttinnen mit Schlangenhaar, die jeden ungesühnten Frevel verfolgen und so z.B. den Muttermörder Orest in den Wahnsinn treiben; vgl. W ÜST 1956. Bei Lucan werden die Rachegöttinnen gelegentlich erwähnt, greifen aber ebensowenig wie andere Gottheiten in die Handlung ein; vgl. 1,572. 576. 687; 3,15; 4,187; 5,246; 6,664. 695. 747; 7,169. 778; 8,90; 10,59.
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Zu der bedeutenden Rolle, die sie bei Vergil (Allecto) und in anderen mythologischen Epen der Römer spielen vgl. THOME 1993, 74–181. 255–266. 343–394. 643: Zerberus ist der dreiköpfige Höllenhund, der den Ein- bzw. Ausgang des Hades bewacht. Orpheus gelang es, ihn durch seinen Gesang zu besänftigen und Eurydike herauszuführen; vgl. zum Zerberus EITREM 1921. Lucan erwähnt ihn auch in 6,664–665. 702–703. Lenire ist nur hier im BC belegt; Lucan greift anscheinend auf Hor. ars. 393 (dictus […] lenire tigris rabidosque leones [sc. Orpheus]) zurück. 644: Die Hydra ist die neunköpfige Schlange, der für jedes abgetrennte Haupt zwei neue nachwachsen. Herkules besiegte sie, indem er die Stümpfe mit einem brennenden Scheit ausbrannte, bevor neue Häupter entstehen konnten. Ihr giftiges Blut, in dem er seine Pfeile getränkt hatte, wurde ihm schließlich selbst zum Verhängnis, als ihm Deianeira das damit vergiftete Gewand des Nessos überreichte. Zur Hydra vgl. SITTIG 1914. Amphitryoniades: Das Patronymikon (nur hier bei Lucan) findet sich seit (Ps-)Hes. scut. 165; Pind. O. 3,14 in der griechischen, seit Catull. 68,112 (falsiparens A. – denn Amphitryon ist ja nicht der leibliche Vater des Herkules) in der lateinischen Literatur. Lucan gebraucht wie die zahlreichen anderen Namen griechischer Herkunft innerhalb des Medusa-Aitions das erlesene vielsilbige griechische Wort mit der Absicht, dem Leser deutlich zu machen, daß er sich in einem mythologischen Kontext befindet. vidit, cum vinceret: Die Paronomasie unterstreicht das Paradox: Kennt man die Medusa, scheint es unglaublich, daß man einen Gegner sehen und doch besiegen kann. 645–646. genitor numenque secundum / Phorcys aquis: Phorcys ist nach Poseidon der zweitmächtigste Meergott; er gilt als Gebieter der Seeungeheuer; vgl. SCHMIDT 1941. 646. Cetoque parens: Keto ist die Tochter des Pontos und der Gaia; mit ihrem Gemahl und Bruder Phorcys soll sie neben der Medusa und deren Schwestern noch eine Reihe anderer Ungeheuer wie z.B. die Kriegsgöttin Enyo hervorgebracht haben; vgl. L ATTE 1921 und den Stammbaum der mythischen Ungetüme bei WEST zu Hes. theog. 270–336.
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646–647. ipsaeque sorores / Gorgones: Die beiden Schwestern der Medusa heißen nach Hesiod (theog. 274–276) Sthenno und Euryale. Bei Homer dagegen begegnet die Medusa noch allein (Il. 5,741; 8,349; 9,36; Od. 11,634). Zu den möglichen Ursachen der sekundären Verdreifachung der Gorgo vgl. ZIEGLER 1912, 1633. 647–648: eine polare Ergänzung zu den vorangegangenen Versen. Einerseits ist die Medusa ihren nächsten Angehörigen gefährlich, auf der anderen Seite stellt sie sogar für den gesamten Kosmos eine Bedrohung dar. Ihr Blick kann Himmel und Wasser erstarren lassen und die ganze Welt in einen Stein verwandeln. 648. torporem insolitum: „eine ungewohnte Starre“. Stoische Kosmologie lehrt, daß das göttliche Pneuma die ganze Welt durchdringt und die vier Elemente ständig bewegt, durchmischt und so die Bedingungen für organisches Lebens schafft. Der Blick der Medusa kann diese lebensnotwendige Bewegung unterbinden und so einen Weltuntergang herbeiführen. Zur Bedeutung des Begriff torpor in der stoischen Kosmologie vgl. zu 580: Iuppiter est quodcumque vides, quodcumque moveris. mundoque obducere terram: „den Kosmos mit Stein überziehen“. Terram ist statt saxum gewählt, um die mit caelo pelagoque begonnene Reihe der Bestandteile der Welt kohärent abzuschließen. Medusa kann das durch die Schöpfung geschaffene Gleichgewicht von Wasser, Luft und Erde zugunsten der letzteren zerstören. Erkennt man den durch caelo pelagoque entstandenen Systemzwang, der Lucan dazu nötigt, terram – per synecdochen – für einen Begriff für Stein zu setzen, erübrigt sich die von FRANCKEN und HASKINS geführte textkritische Diskussion. Weder ist terram durch saxum, petram oder testam zu ersetzen, noch verdient das mehrheitlich überlieferte abducere vor dem singulären obducere den Vorzug. Abducere ist eine lectio facilior, die ein durch das Verkennen der Synekdoche hervorgerufenes Scheinproblem lösen möchte. Die entstehende Lesart mundoque abducere terram („der Welt die Erde entziehen“ [sc. durch die Verwandlung der Erde in Stein]) wäre blaß. Vgl. HOUSMAN z.St. 649–651: Der Schilderung der überwältigenden Macht der Medusa, die ebenso ihren engsten Familienkreis wie den Kosmos insgesamt in Angst und Schrecken versetzt, folgen nun einige Beispiele für die gräßliche Wirkung ihres Blicks. Die Verse sind eine Adaption verschiedener Stellen der Perseus-Episode aus Ovids Metamorphosen; vgl. 4,780–781 (Perseus auf
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dem Weg zur Medusa): (…) perque vias vidisse hominum simulacra ferarumque / in silicem ex ipsis visa convexa Medusa; 5,181–186. 192–194. 208–209: bis centum restabant corpora pugnae, / Gorgone bis centum riguerunt corpora visa; 5,230–235. 649: Vom Blick der Medusa getroffen, stürzen Vögel zu Stein geworden vom Himmel. Das Motiv des Vogels in der lateinischen Literatur ist ausgiebig von SAUVAGE (1975, 101–286) untersucht worden. In der Poesie werden nicht ausschließlich, aber mit deutlichem Übergewicht die lieblichen Seiten des Motivs ausgeführt (Leichtigkeit und Eleganz des Flugs; Schönheit des Gesangs); vgl. SAUVAGE 1975, 286. Lucan betont dagegen ausschließlich die negativen Aspekte. Vögel begegnen im BC als Unheilsboten (1,585), Aasfresser (vgl. zu 141–142) oder als Ingredienz (Phönixasche) eines schauerlichen nekromantischen Hexensuds (6,680); es wird geschildert, wie sie im Winter vor Kälte verstummen (1,259–260), sie es vor Angst vor dem unheimlichen, den keltischen Gottheiten heiligen Hain vor den Toren Massilias nicht wagen, sich dort niederzulassen (3,407) und wie die Hexe Erictho die beängstigenden Rufe von Eule und Kauz nachahmt (6,689). 650. in scopulis haesere ferae: „auf den Felsen waren wilde Tiere erstarrt“. Lucan ruft beim Leser das Bild bizarrer Felsformationen hervor, die an Tiergestalten erinnern. 652–653: Vogel, Landtier und Mensch sind der Medusa schutzlos ausgeliefert. Kein Wesen kann ihrem Blick standhalten. Die Verallgemeinerung (nullum animal visus patiens) rechtfertigt Lucan durch ein bizarres Detail. Selbst Medusas Schlangenhaare scheuen den Anblick ihres Gesichts. 652. retrorsum: Das Adverb ist poetisch äußerst selten (nur hier bei Lucan; nicht bei Tib., Prop., Ov., Stat.; 1mal Lucr., 3mal Hor., 2mal Val. Fl., 1mal Sil.; retrorsus einmal bei Verg. Aen. 3,690). Es ist ein Kennzeichen Lucans, mit übergenau anmutender Präzision („Manierismus“) Gedanken konsequent bis ins Paradox hinein auszuführen. Die unerwartete und unübliche gedankliche Zuspitzung führt zum überraschenden Ausdruck oder zur Wahl eines seltenen Worts. 654–655: Atlas ist der Sohn des Titanen Iapetos und der Okeanide Klymene; seine Brüder sind Prometheus, Epimetheus und Menoitios. Bei He-
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siod (theog. 507–520. 746–748) und nach ihm in der gesamten bildenden Kunst trägt Atlas das Himmelsgewölbe mit Kopf und Händen. Für die literarische Tradition ist jedoch der homerische Passus (Od. 1,52–54) verbindlich geworden, nach dem Atlas die Säulen hält, die Himmel und Erde auseinanderhalten. Offenbar sind hier zwei heterogene Vorstellungen miteinander verbunden. Der phantastische Gedanke, daß ein Riese in der Lage ist, den gesamten Himmel zu stemmen, wird abgemildert durch die ursprünglich wohl eigenständige Vorstellung, daß das Himmelsgewölbe auf Säulen ruht; zum Fortleben der homerischen Kontamination vgl. neben dieser Stelle Aisch. Prom. 351–357; Verg. Aen. 4,482; 6,793; 8,137; Ov. met. 2,297; 6,175. Den Mythos, nach dem Perseus den Atlas zur Strafe für die Verweigerung der Gastfreundschaft mit dem Medusenhaupt in einen Berg verwandelt, überliefert am ausführlichsten Ovid (met. 4,627–662); er ist aber schon in Texten und Vasenabbildungen des fünften Jahrhunderts belegt. Zur literarischen und ikonographischen Tradition über Atlas vgl. W ERNICKE 1896; DE G RIÑO /OLMOS/ARCE/BALMASEDA 1986; WEST zu Hom. Od. 1,52–54. 654. Titana: Als Titan wird Atlas wegen seiner Abstammung auch in Aisch. Prom. 426; Hygin. fab. 150; Serv. Aen. 4,247 bezeichnet. 655. in cautes Atlanta dedit: eine reizvolle Variation des üblichen praecipitem / in fugam dare; vgl. ThLL V 1,1697,52–60 (RUBENBAUER). Die Feinde der Medusa könnten sich glücklich schätzen, wenn sie von ihr nur in die Flucht geschlagen würden. 655–658: Die Giganten sind Söhne der Gaia, gezeugt aus dem Blut des entmannten Uranos (Hes. theog. 183–187). Der zuerst bei Pindar belegte Mythos von der Erhebung der Giganten gegen Zeus fand später in der Literatur und der bildenden Kunst reichen Niederschlag; vgl. SPEYER 1978; VIAN 1988. Dem Göttervater gelang es nur mit Hilfe von Herakles, Apoll und Athena, die das abgeschlagene Haupt der Medusa als Waffe in den Kampf führte, die Aufrührer niederzuwerfen. Zur politischen Deutung des Gigantenkampfmotivs vgl. zu 4. 656. Phlegraeo … serpente: Phlegra, „die Brandstätte“, war ursprünglich eine nur im Mythos existierende Lokalität; ausgehend von rationalistischen Deutungsversuchen der erdgeborenen Giganten als Vulkane versuchte
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man im Hellenismus eine geographischen Festlegung in Gegenden vulkanischen Ursprungs. Die berühmteste, aber nicht die einzige vorgeschlagene Lokalisierung sind die Phlegraei campi bei Cumae; vgl. SPEYER 1978, 1256–1258. Die Schlangenfüßigkeit der Giganten ist eine sekundäre Übertragung (seit dem vierten Jahrhundert belegt) von Typhon, einem anderen von Gaia hervorgebrachten Scheusal, das nach ihrem Willen nach dem Sturz der Titanen Zeus die Herrschaft streitig machen sollte; vgl. SPEYER 1978, 1250. Im Kontext des neunten Buchs läßt sich Lucan dieses Detail natürlich nicht entgehen. 657. erexit: Erigi von Bergen findet sich zuerst bei Vergil (Aen. 8,416–417): insula Sicanium iuxta latus aeoliamque / erigitur Liparen fumentibus ardua saxis; danach Mela 1,55; 3,101; Sen. nat. 6,4,1; Tro. 1124; dial. 6,18,4; Lucan. 2,397. Die Konstruktion mit doppeltem Akkusativ findet sich nur hier; vgl. ThLL V 2,782,22–43 (REHM). 658: eine Anspielung auf die von Lucan in 7,570 erwähnte aegis der Athena. Nach Euripides (Ion 987–997; Version auch bei anderen Autoren erwähnt) hat Gaia die Gorgo hervorgebracht, damit sie den Giganten im Kampf gegen Zeus zur Seite steht. Athena vereitelt jedoch dies Unterfangen, tötet die Gorgo und macht sich aus ihrem Kopf eine Brustwehr; so bringt die Gorgo den Giganten statt Hilfe Verderben. Häufiger ist jedoch die Variante des Mythos, nach der Perseus das Gorgonenhaupt nach der Vernichtung seiner Feinde für den Gigantenkampf zur Verfügung stellt; zur literarischen Tradition und der Darstellung in der bildenden Kunst vgl. VIAN 1988, 191–196; DAHLINGER (bei KRAUSKOPF 1988, 285–286). [2.15.4. Athenas Hilfe für Perseus (9,659–670) 659–670: Die geflügelten Schuhe und das Krummschwert des Hermes einerseits und der bronzene Schild der Athena andererseits verhelfen Perseus schließlich zum Sieg über Medusa. Als Gegenleistung erbittet sich Athena das Haupt der Medusa, mit dem sie den Kampf der Giganten gegen die Himmelsbewohner beendet, nachdem sie es als Apotropaion in die Mitte ihres Schildes gesetzt hat.] 659. quo: „dorthin“. Der relativische Anschluß verweist über den langen Exkurs über die Schrecklichkeit der Medusa zurück auf einleitende Schil-
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derung der unwirtlichen Wohngebiete der Medusa (624–628); vgl. HOUSMAN z.St. 659–660. partu Danes et divite nimbo / ortum: Danae war das einzige Kind des Königs von Argos, Akrisios. Als diesem auf Nachfrage vom delphischen Orakel geweissagt wurde, daß ihm selbst kein männlicher Nachfolger beschieden sei, seine Tochter aber einen Sohn gebären würde, durch den er einst den Tod finden würde, schloß er sie mitsamt ihrer Amme in einem ehernen Gemach ein. Iuppiter gelang es dennoch, sich mit Danae zu vereinigen, indem er in Gestalt eines goldenen Regens durch eine Dachluke glitt. Danae empfing den Perseus von ihm und zog ihn zuerst mit Hilfe der Amme in ihrem Gemach groß. Als Akrisios dies bemerkte, tötete er die Amme, sperrte Danae mitsamt ihrem Sohn in einen hölzernen Kasten und setzte sie im Meer aus. Sie wurden schließlich in Seriphos an Land getrieben, Perseus wuchs dort auf und tötete nach seiner Rückkehr nach Argos schließlich seinen Stiefvater. Der Mythos, besonders Zeugungs- und Aussetzungsszene, ist überaus häufig in der bildenden Kunst dargestellt worden. Auch in der griechischen und römischen Literatur wird er vielfach erzählt; bereits Livius Andronicus und Naevius haben Tragödien unter dem Titel „Danae“ veröffentlicht. Eine Liste der Nennungen bei römischen Autoren erübrigt sich; vgl. die Belege bei ESCHER 1901; HERMANN 1957, 567–569; M AFFRE 1986, 325–326. Da Lucan einleitend die gesamte Perseus-Episode als mythologische Erfindung ohne Wahrheitsgehalt gekennzeichnet hat, verzichtet er hier wie auch sonst innerhalb des Exkurses auf wertende Kommentare oder rationalisierende Deutungen, wie sie z.B. von Horaz (carm. 3,16,1–13: Goldregen = Bestechungsgeld für Wärter) oder Ovid (am. 3,8,29–30: Danae prostituiert sich für Gold) vorgeschlagen werden. Dives als Synekdoche für aureus ist eine Schöpfung Vergils zur Bezeichnung des berühmten goldenen Zweigs (Aen. 6,195–196): pinguem dives opacat / ramus humum; danach Prop. 3,5,4; Manil. 5,16; Sen. Herc. f. 532; vgl. ThLL V 1,1591,26–38 (GUDEMAN). 660–661. Parrhasiae … pinnae / Arcados: die berühmten geflügelten Schuhe des Götterboten Hermes, wie sie zuerst in Hom. Il. 24,338–342 beschrieben werden. Parrhasia ist der Name von Stadt und Landschaft im südlichen Arkadien. Das Adjektiv hat zuerst Vergil (Aen. 11,31) in der lateinischen Literatur als Synekdoche für Arcadicus/Arcadius verwendet. Arcas wird zuerst hier von Hermes gebraucht; danach Mart. 9,35,6; Stat. silv.
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5,1,107. Der Gott hat dem Mythos nach als Sohn des Zeus und der Nymphe Maia auf dem Kyllenegebirge in Arkadien das Licht der Welt erblickt. 661: Zu Unrecht hält F RAENKEL (1926, 518–519) diesen Vers für eine Interpolation; vgl. zu 664. auctoris citharae: Hermes gilt als Erfinder der Kithara. Dem Mythos zufolge soll er, morgens geboren, bereits am Mittag die Höhle, in der Maia mit ihm niedergekommen war, verlassen haben und auf eine Schildkröte gestoßen sein, aus deren Panzer er dann den Klangkörper der ersten Kithara verfertigt habe; vgl. Hom. h. 4,20–62; EITREM 1912, 772–776. liquidaeque palaestrae: ein (unübersetzbares) Oxymoron, das dem Leser das Bild des staubigen Ringplatzes mit ölglänzenden Kämpfern vor Augen führt. Der Ausdruck ist offenbar eine Kombination der ovidischen Junktur nitida palaestra (fast. 5,667; met. 6,241; epist. 18,11; trist. 3,12,21) mit Verg. Aen. 3,281–282: exercent patrias oleo labente palestras / nudati socii. Hermes, der schillerndste unter den olympischen Göttern, wurde unter anderem auch als Gott der Jugend und des Sports verehrt. Als solchem wird ihm die Erfindung der Palaestra, des Ringkampfs und gymnastischer Übungen zugeschrieben; vgl. Serv. auct. Aen. 8,138. Bereits Homer (Il. 20,72) bezeichnet Hermes als s«kow; von Harpalykos, seinem Sohn, erzählt Theokrit (24,111–117), daß er Herakles im Kampfsport unterwiesen habe; vgl. die von EITREM (1912, 786–787) gesammelten Belege. In der Herkules-Antaeus-Episode (4,612–653) zeigt sich Lucan als sachkundiger Kenner des Ringkampfs. Der Kampf der beiden Riesen wird detailgenau und realistisch beschrieben und könnte sich so – abgesehen von der Stärkung des Antaeus bei Berührung mit der Erde, seiner Mutter – auch zwischen zwei menschlichen Ringern zugetragen haben. In 7,270–272 läßt Lucan Caesar die griechischen Hilfstruppen der Pompeianer als in Gymnasien und Ringschulen verweichlichte Jünglinge verhöhnen: Graia delecta iuventus / Gymnasiis aderit studioque ignava palaestrae / et vix arma ferens. 662. praepes: nur hier und 9,688 (ebenfalls von Perseus) im BC. Lucan hat das Wort aus Ov. met. 5,257: Medusaei (…) praepetis (von Pegasus) übernommen. Vgl. ferner Ov. epist. 8,38: praepetis (…) dei (von Amor) und ThLL X 2,765,13–21 (MORANO). 662–663. Cyllenida … harpen, / harpen: das einzige Vorkommen einer Anadiplosis bei Lucan. Die Figur begegnet sonst vornehmlich in Catull. 64, den in neoterischem Stil verfaßten Kleinepen der Appendix Vergiliana
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und in Vergils Aeneis. Es ist offenkundig, daß für Lucan diese erlesene Figur mit mythologischen Inhalten verbunden ist; daher gebraucht er sie hier und meidet sie in den historischen oder rational analysierenden Passagen des BC. Zum Gebrauch der Anadiplosis in der lateinischen Poesie vgl. WILLS (1996, 124–173, bes. 170–171), der als mögliches Vorbild für diese Stelle auf Verg. Aen. 12,87–91 verweist (Turnus rüstet sich): ipse dehinc auro squalentem alboque orichalco / circumdat loricam umeris, simul aptat habendo / ensemque clipeumque et rubrae cornua cristae, / ensem quem Dauno ignipotens deus ipse parenti / fecerat. Zu den stilistischen und metrischen Unterschieden zwischen historischen und mythologischen Passagen im BC vgl. zu 348–367. Die singuläre Figur wird durch die Wahl eines besonders preziösen Worts unterstützt. Die Harpe ist ein Sichelschwert, bei dem etwa auf halber Länge der Schwertklinge eine zweite (sichel-)förmig gekrümmte Klinge abzweigt. Während (Ps-)Hesiod scut. 221–222 als Waffe des Perseus ein gewöhnliches Schwert erwähnt, ist die Harpe zuerst bei Aischylos (frg. 459 [METTE]) belegt und bestimmte seit dieser Zeit die Perseustradition; allerdings scheint nie vollkommene Klarheit über die Beschaffenheit dieser Waffe bestanden zu haben: Die bildende Kunst zeigt Perseus teils mit der beschriebenen Kombination aus Schwert und Sichel, teils mit einem Krummschwert; vgl. die von JONES R OCCOS (1994, 272–309) gesammelten Darstellungen. Das Wort harpe hat Lucan aus der Perseus-Episode in Ovids Metamorphosen entlehnt, der als erster den griechischen Begriff latinisiert hat; vgl. Ov. met. 5,69–70. 175–176. In der Mehrzahl der Mythenversionen wird wie hier Perseus die Harpe von Hermes übergeben; vgl. ZIEGLER 1912, 1637–1638; B ÖMER zu Ov. met. 5,69. Ovid und Lucan haben sich unter harpe ein Sichelschwert vorgestellt, wie die Periphrase hamatus ensis (Ov. met. 4,720; 5,80; Lucan. 9,668) zeigt. Lucan nennt die Harpe nach dem Vorgang Ovids (met. 5,176) Cyllenis, weil Hermes auf der Cyllene, dem höchsten Gebirge der Peloponnes, geboren sein soll. 664. a Iove dilectae fuso custode iuvencae: „nach der Tötung des Wächters der von Iuppiter geliebten Kuh“. Lucan spielt auf die Liebschaft zwischen Iuppiter und Io an. Hera hatte aus Eifersucht Io in eine Kuh verwandelt und ihr den hundertäugigen Argos als Wächter beigegeben, worauf Iuppiter Hermes, dem Gott der Diebe, den Auftrag erteilte, die Kuh zu stehlen. Hermes gelang es, Argos durch Spielen auf der Syrinx und Berührung mit einer Zauberrute einzuschläfern und ihn dann mit der
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Harpe zu töten. Lucan greift hier wiederum auf Ovid zurück, der diesen Mythos in met. 1,677–723 erzählt und dabei die Harpe (1,717: falcato […] vulnerat ense) erwähnt, ein vermutlich von Ovid erfundenes Detail (vgl. BÖMER z.St.). Zu Argos vgl. WERNICKE 1896. Für die unterlassene Athetierung dieses schlecht bezeugten Verses (nur in Z2G) hat FRAENKEL (1926, 518–519) HOUSMAN heftig gescholten und ihm jegliches Urteilsvermögen in Echtheitsfragen abgesprochen. Der Vers ist in der Tat verdächtig. Zur schlechten Bezeugung kommt hinzu, daß er inhaltlich eine nicht zwingend notwendige Ergänzung enthält und als genau einen Vers umfassende Abl.-abs.-Konstruktion ohne Schaden für die Syntax aus dem Kontext herausgelöst werden könnte. HOUSMAN rechtfertigt seine Entscheidung durch Verweis auf die paläographische Ähnlichkeit von Anfang und Schluß der Verse 663 und 664 und betont mit Recht, daß ein Glossator im Bestreben, alterius monstri zu erläutern, schwerlich auf die Nennung des Namen Argos verzichtet hätte. Dazu kommt, daß der Vers 663 auch für den idealtypischen „gebildeten Leser“ ohne weitere Erläuterung kaum verständlich wäre. Die Tötung des Argos durch Hermes kann zwar als bekannt vorausgesetzt werden, doch spielt Lucan ja nicht auf den Mythos allgemein an, sondern speziell auf die ovidische Version, in der Argos, was sonst nirgends bezeugt ist, durch eine Harpe getötet wird. Dem Leser eine solche Detailkenntnis abzuverlangen wäre eine Überforderung. Außerdem spricht ein sprachliches Argument für die lucanische Herkunft des Verses. Fundere im Sinn von „niedermachen und verstreut liegen lassen“ ist eine vergilische Bedeutungserweiterung des Verbums; gewöhnlich verwendet er es mit Objekten im Plural; vgl. 1,192–193: septem ingentia (…) / corpora fundat humi (Aeneas jagt Hirsche); 9,317; 11,102. 665. Einmal gebraucht er die Metapher jedoch von einem einzelnen Körper (9,722): fuso germanum corpore (Turnus hat einen Kontrahenten mit einem gewaltigen Wurfspeer zerschmettert, der daraufhin wie ein Brückenpfeiler auseinandergebrochen und niedergestürzt war; vgl. Aen. 9,705–716). Lucan hat an dieser sprachlichen Innovation offenbar Gefallen gefunden. In 7,653–654 verschmilzt er auf kunstvolle Weise beide vergilischen Verwendungsweisen: tot telis sua fata peti, sua corpora fusa / ac se tam multo pereuntem sanguine vidit (Pompeius sieht, wie seine Soldaten überall auf dem Schlachtfeld niedergemacht werden und fühlt sich, als ob es sein eigener Körper wäre, der zerrissen und verblutend auf dem Schlachtfeld läge.). Auch in 664 spürt man den Dichter, nicht den Glossator am Werk. Nach Ovid (met. 717–719) tötete Hermes den Wächter der Io, indem er ihm erst mit der Harpe die Kehle durchschnitt und ihn
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dann einen Felsen hinunterstürzte: falcato nutantem vulnerat ense, / qua collo est confine caput, saxoque cruentum / deicit et maculat praeruptam sanguine rupem. Mit fuso custode hat Lucan also die ovidische Beschreibung des Tathergangs stark gerafft in einer Wendung Vergils wiedergegeben. Zu fundere vgl. ThLL VI 1,1569,70–1570,22 (ROBBERT). Ein ähnliches textkritisches Problem stellt Vers 661. Wieder werden weder syntaktisch noch inhaltlich notwendige Ergänzungen gegeben. F RAENKEL möchte ihn daher ebenfalls athetieren. Eine Glosse ist möglich, aber auch diesen Vers, der untadelig überliefert ist, sollte man wohl im Text belassen. FRAENKEL (1926, 519) argumentiert stilistisch: Lucan sei ein Dichter, dem jede Breite in inhaltlich nebensächlichen Zügen fremd sei. Dies ist zutreffend, doch ist zu bedenken, daß die mythologischen Einlagen im BC nicht nach demselben Maßstab beurteilt werden dürfen wie die historischen Passagen. Lucan kennzeichnet die mythologischen Exkurse expressis verbis als Fremdkörper (vgl. 4,589–592. 654–655; 9,348. 356. 359–360. 619–623) und setzt sie auch sprachlich, stilistisch und metrisch (vgl. zu 348–367) vom Kontext ab. Eine Glossierung läßt sich dennoch nicht vollkommen von der Hand weisen, aber man hat eher den Eindruck, daß, wenn Lucan schon Mythen erzählt, er diese nicht verrätseln oder verdunkeln will, sondern vor dem Leser die ganze Welt des Mythos und den (unwahrhaftigen) schönen Schein mythologischer Dichtung entfalten möchte. 665. innuba: Der mythologische Exkurs wird durch ein seltenes Epitheton ausgeschmückt. Innuba ist vor Lucan nur belegt bei Varro Men. 44; Ov. met. 10,92. 567; 14,142; Sen. Ag. 314. 666–668: „sie befahl dem Perseus, sich an der Grenze Afrikas in die Richtung des Sonnenaufgangs zu wenden und rückwärts fliegend das Reich der Medusa zu durchfurchen“. Grundlos wendet sich LUCK gegen den Konsens aller Übersetzer: „Sie forderte für sich das Haupt des Scheusals und befahl Perseus, an der Grenze des libyschen Landes Kurs nach Osten zu nehmen und das Land der Gorgo rückwärts anzufliegen.“ Medusas Reich wird einleitend als im äußersten Westen Afrikas liegend beschrieben (624–626); da dies jedoch das Ende der Welt ist, kann es nur von Osten her erreicht werden. Zudem heißt converti (677) hier „sich in eine bestimmte Richtung wenden“; vgl. 902–903: utque Iovis volucer, calido cum protulit ovo / implumis natos, solis convertit ad ortus.
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666. terraeque in fine Libyssae: „an der Grenze Afrikas“; d.h. an der östlichen Grenze, denn Perseus fliegt nach Osten gewandt das im äußersten Westen gelegene Reich der Medusa an. Libyssa begegnet zuerst hier und etwa gleichzeitig bei Colum. 10,418 in der lateinischen Literatur; vgl. F ORCELLINI , Onomasticon, s.v. Libyssa. Bei Lucan ist die Latinisierung des griechischen L¤bussa (substantivisch oder adjektivisch verwendete feminine Form zu LibÊh ) erklärlich aus dem Bestreben, den Mythos als Erzählung griechischer Herkunft zu kennzeichnen; vgl. zu 619–699. 668. sulcantem: Vergil (Aen. 5,158; 10,197) hat das Verb zuerst auf das Befahren des Meeres übertragen; Lucan erweitert hier den vergilischen Gebrauch; vgl. OLD s.v. Nr.1b). Daß solche Modifikationen poetischen Traditionsguts nicht immer das individuelle Werk des jeweiligen Dichters sein müssen, zeigen andere etwa gleichzeitige Belege von sulcare im Sinn von „die Luft durchschneiden“; vgl. Sen. contr. 10,5,28 (Ausspruch des Rhetors): pinge Triptolemum (der mythische Erfinder des Pflugs, der die Gaben der Demeter mit seinem Drachenwagen über die ganze Welt ausbreitet), qui iunctis draconibus sulcavit auras; Plin. nat. 10,108: plaudere in caelo varieque sulcare (von Tauben); (Ps.-)Seneca Herc. Oet. 683–684: medium caeli dum sulcat iter, / tenuit placidas Daedalus oras. Die Vielzahl der voneinander unabhängigen Belege spricht gegen je eigenständige Weiterbildungen. Es ist zu vermuten, daß Grammatiker- und Rhetorenschulen, in denen vergilische Neuerungen diskutiert, bewertet und eventuelle Verfeinerungen und Überbietungen erwogen wurden, als Zwischenglied fungierten. Im konkreten Fall kann sich die Erweiterung der metaphorischen Bedeutung von sulcare aus einem Vergleich mit dem bedeutungsähnlichen secare ergeben haben, das ebenfalls „schwimmen“ wie „fliegen“ bezeichnen kann. Vgl. zu 685–686. volatu: Mit Ausnahme Ovids (met. 4,718; 8,223; 12,527; 13,611) begegnet das Substantiv sonst nicht in der klassischen Dichtung. Lucan, der keine Scheu vor prosaischen Wörtern hat, gebraucht es als Fachterminus in 5,712 bei der Wiedergabe einer ornithologischen Beobachtung und in 7,437 im Zusammenhang mit einem Auspizium. Hier greift er auf Ovids Beschreibung des auf Pegasus fliegenden Perseus zurück (met. 4,718–719): celeri missus praeceps per inane volatu / terga ferae pressit (sc. Perseus), der seinerseits Catull. 55,24: Pegaseo ferar volatu adaptiert. Vgl. BÖMER zu met. 4,718, dem allerdings der Catull-Beleg entgangen ist.
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669. clipeum … fulvo … aere nitentem: ein pleonastischer Ausdruck, mit dem Lucan den an Epitheta reichen Stil mythologischer Dichter (Neoteriker; Vergil; Ovid) nachahmt. Der Gebrauch von fulvus (22mal bei Vergil) ist ein für den antiken Leser erkennbarer Verweis auf den Dichter der Aeneis. Das vergilische Lieblingswort verwendet Lucan sonst nur noch zweimal; in 9,361 steht es ebenfalls innerhalb eines mythologischen Exkurses, in 10,122: iaspide fulva suppellex (vgl. Verg. Aen. 4,261–264: atque illi stellatus iaspide fulva / ensis erat Tyrioque ardebat murice laena / demissa ex umeris, dives quae munera Dido / fecerat, et tenui telas discreverat auro.) begegnet es im Rahmen der Beschreibung des Palasts der Kleopatra. Wie Dido versucht, Aeneas durch kostbare Geschenke an sich zu binden, will die dekadente ägyptische Königin Caesar mit ihrem Reichtum umgarnen. Dient das Wort hier der inhaltlichen Parallelisierung der beiden Frauen, hat fulvus an den beiden anderen Stellen die Funktion eines stilistischen Signals, das dem Leser zusätzlich zu expliziten Hinweisen wie ut fama o.ä. bedeutet, den jeweiligen mythologischen Kontext als bewußt anders gestaltete Einlage aufzufassen. Die sonst gemiedene, hier plakativ gesuchte Vergilimitation warnt davor, in solchen Passagen den eigentlichen Lucan finden zu wollen. Zu fulvus vgl. ThLL VI 1,1534,43–1535,1 (KLEE). Neben Vergil hat Lucan hier auch Ovid adaptiert; vgl. Ov. met. 1,115: fulvo (…) aere; met. 8,26–27: aere / fulgentem clipeum. 670. saxificam: eine ovidische Neubildung zur Bezeichnung des Blicks der Medusa; vgl. Ov. met. 5,217 (mit BÖMER); Ib. 553; Sen. Herc. f. 902. [2.15.5. Die Enthauptung der Medusa (9,671–699) 671–699: Erfolgreich enthauptet Perseus Medusa, wobei diese selbst nach Abtrennung des Kopfes vom Rumpf die gräßliche Wirkung ihres Blickes nicht einbüßt. Dies ist der Grund dafür, daß Athena Perseus anweist, den Rückweg nach Seriphos nicht über Europa, sondern über Libyen zu nehmen, das aufgrund seiner unwirtlichen Hitze kaum besiedelt ist. Wenn auch fruchtlos in Bezug auf menschennützliche Dinge, so bietet Libyen doch den Nährboden für die Schlangen, die aus den Blutstropfen des abgeschlagenen Medusenhauptes entstehen.] 671–672. sopor aeternam tracturus morte quietem: „der Schlaf, der ewige Ruhe, durch den Tod, mit sich führen sollte“. Eine Wendung, in der verschiedene traditionelle Elemente zu einem äußerst komplexen Aus-
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druck verschmolzen sind. Den Ausgangspunkt bildet Lukrez 3,919–922 (Der Tod ähnelt dem Schlaf: Der Mensch befindet sich in einem bedürfnis- und wunschlosen Ruhezustand.): nec sibi enim quisquam tum se vitamque requirit, / cum pariter mens et corpus sopita quiescunt. / nam licet aeternum per nos sic esse soporem, / nec desiderium nostri nos adficit ullum. Hinzu tritt die durch tracturus angedeutete Beschreibung der Atembewegung der Schlafenden; vgl. Cels. 1 praef. 19: naturales vero corporis actiones appellant, per quas spiritum trahimus et emittimus; Ov. am. 2,19,55: per nulla traham suspiria somnos; Lucan. 3,578: hi luctantem animam lenta cum morte trahentes (von tödlich Verwundeten); 7,412: aera pestiferum tractu und OLD s.v. trahere Nr.7b). Ferner verleiht Lucan durch die von Seneca gebildete Junktur aeterna quies dem Ausdruck stoisches Kolorit (Tod = ewige Befreiung der Seele von der Unruhe der Welt); vgl. Sen. Ag. 592; Oed. 785; dial. 12,9,7; epist. 102,26; ThLL I 1145,30–31 (VOLLMER). 672. obruit haud totam: „überwältigte sie, aber nicht vollständig“. Obruere mit dem Schlaf als Subjekt ist sehr kräftig und ohne Vorbild (nachgeahmt bei Stat. Theb. 8,267; 10,194. 282; Val. Fl. 8,86; Apul. met. 2,22,33). Gemeinsam mit der unmittelbar folgenden Einschränkung haud totam wird eine spannungsvolle Antithese aufgebaut, die die Neugier des Lesers auf die nachfolgende Erklärung lenkt. Zu obruere vgl. ThLL IX 2,153,80–154,25 (LOSSAU). 672–674a: Nur ein Teil des Schlangenhaars der Medusa ruht, der andere hält aufgerichtet Wache und hütet den Schlaf der Herrin. Die Schlangenbehaarung der Medusa ist das Detail, das Lucan im Zusammenhang des neunten Buchs am meisten interessiert; so läßt er es sich nicht nehmen, immer wieder anhand dieses Motivs die Macht und Gefährlichkeit der Gorgo herauszuarbeiten; vgl. 629–631; 652–653 (selbst die Schlangen der Medusa müssen ihren versteinernden Blick meiden); 681–683 (Athena muß das abgeschlagene Haupt der Medusa mit Schlangen bedecken, sonst würde Perseus, obwohl er sich abgewandt hat, zu Stein). Hinter diesen manieriert-detailversessenen Ausführungen stehen also rein literarische Motive, nicht etwa Bezugnahmen auf die bildende Kunst. Zur Formulierung vgl. Ov. met. 4,492–494: caesariem excussit (sc. Erinys); motae sonuere colubrae, / parsque iacent umeris, pars circum pectora lapsae / sibila dant saniemque vomunt linguisque coruscant.
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673. protenti crinibus hydri: „Schlangen, sich als Haare hervorstrekkend“. Protendere ist als Antithese zu iacet (673) gewählt. Das Verb ist nur hier bei Lucan belegt und verleiht dem Vers eine vergilisch-ovidische Note; vgl. Verg. georg. 1,172; Aen. 5,377; 11,606; 12,930; Ov. met. 11,511; 14,191. 674. oculisque tenebras: Die Überlieferung ist zweigeteilt: Der Text findet sich in PG und M (s in ras.), oculique bieten ZUV. An oculique tenebras nahm zuerst HOUSMAN berechtigten Anstoß: Die Medusa ist kein Zyklop. In der Konsequenz muß allerdings der Ausfall eines Verses angenommen werden. Die Lesart oculique erklärt sich in diesem Fall als lectio facilior, die die Lacuna überdecken soll. HOUSMANs Ausführungen sind überzeugend (zustimmend E H L E R S , L U C K ); daß B A D A L Ì (ebenso B OURGERY /P ONCHONT /J AL ), der Überlieferung sklavisch folgend, wieder zur älteren Textgestaltung zurückkehrt, ist nicht zu rechtfertigen. 675–676. ipsa regit trepidum …, dextraque trementem / … Cyllenida derigit harpen: Die Wortstellung gibt den Vorgang wieder: Ipsa (…) Pallas und dextraque (…) derigit umschließen das Objekt und malen die Lenkung der Hand des Perseus durch Athene. Die Position von harpen außerhalb der Klammerstellung am Versende deutet den Hieb an. Zu Lucans Eigentümlichkeit, die Lesererwartung in die falsche Richtung zu lenken (trepidum und trementem lassen Perseum als Bezugswort erwarten), vgl. zu 369. Zu Cyllenis harpe vgl. zu 662–663. Derigere ist zuerst von Vergil mit Waffen als Objekt verwendet worden (Aen. 6,57; 7,497; 10,140. 400; 12,490). Lucan gebraucht es in diesem Sinn nur hier, obwohl Seneca Vergils Neuerung aufgegriffen hat; vgl. benef. 2,17,4; 4,34,2; epist. 71,3; 94,3; 107,5; Phaedr. 51. 813. Offenbar hat das Wort an dieser Stelle die Funktion einer Vergilreminiszenz. Vgl. ThLL V 1,1241,58–1242,38 (DITTMANN). 677. lata colubriferi rumpens confinia colli: „und zerteilte die ganze Breite des schlangentragenden Halses“. Confinium ist in dieser Verwendung singulär; es handelt sich um eine variierende Wiederaufnahme von 3,62–63 (Beschreibung der Straße von Messina): vis illic ingens pelagi, semperque laborant / aequora ne rupti repetant confinia montes. Wer den Kopf der Medusa abschlagen will, muß also ungefähr eine Kraft aufwenden, wie sie vor Urzeiten bei der Trennung von Sizilien und Italien wirksam war. Es wird häufig erwähnt, daß Italien und Sizilien einst verbunden waren und durch
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die Gewalt des Meeres voneinander geschieden wurden; vgl. nur Verg. Aen. 3,414–419: haec loca vi quondam et vasta convulsa ruina / (tantum aevi longinqua valet mutare vetustas) / dissiluisse ferunt, cum protinus utraque tellus / una foret: venit medio vi pontus et undis / Hesperium Siculo latus abscidit, arvaque et urbes / litore diductas angusto interluit aestu (zahlreiche weitere Beispiele bei H UNINK zu 3,60). Bei der inventio einer adäquaten Formulierung zur Beschreibung der Enthauptung der Medusa ist Lucan offenbar als eindrucksvollstes Beispiel für einen gewaltsamen Trennungsvorgang die vielzitierte Ablösung Siziliens von Italien eingefallen; den Bezug hat er nicht durch einen Vergleich, sondern implizit durch die Wortwahl hergestellt. Colubrifer ist ein Neologismus Ovids (met. 5,241: colubriferi […] lumina monstri), der in Konkurrenz zu Properz’ Gorgonis anguiferae (2,2,8) tritt. Überhaupt haben Schlangen Ovids wortschöpferische Phantasie eigenartig beflügelt; vgl. die von BÖMER (zu met. 4,741) zusammengestellte Liste ovidischer Neubildungen: anguicoma (met. 4,699); anguigena (met. 3,351); anguineus (trist. 4,7,12); anguipes (met. 1,184); draconigena (fast. 3,865); serpentigena (met. 7,212); serpentipes (trist. 4,7,17). 678–680: Zwei Ausrufe und die Einschaltung des Dichters in erster Person markieren den Höhepunkt der Erzählung. Unter Lebensgefahr trennt Perseus, unterstützt von Athena, den Tod und Verderben bringenden Kopf der Medusa ab. 678. hamati vulnere ferro: „durch den tödlichen Hieb des Schwerts mit der Sichel“. Die Periphrase hamatus ensis für harpe nach Ov. met. 4,720: ferrum curvo tenus abdidit hamo; 5,80: hamato Perseus petit ense. Zur harpe vgl. zu 662–663. Zur Metonymie vulnus (Wirkung statt Ursache) vgl. Lucan. 3,568 und BÖMER zu Ov. met. 12,103. 679. quanto spirare veneno: Spirare mit Abl. nach Verg. Aen. 8,303–304: super omnia Caci / speluncam adiciunt spirantemque ignibus ipsum. 681. vultusque gelassent: G EISSLER (ThLL VI 2,1731,52–55) faßt diese Stelle als frühesten Beleg für den äußerst seltenen medialen Gebrauch von gelare auf; es bietet sich jedoch an, aus dem Kontext oculi o.ä. als Subjekt zu ergänzen (HASKINS; HOUSMAN). Das Verb wird auch an den beiden übrigen Belegstellen im BC (6,541; 7,339) transitiv verwendet.
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684: Die Übereinstimmung von Wortakzent und Versictus im zweiten Teil des Verses malt Perseus’ raschen Aufschwung in die Luft. aliger: eine vergilische Bildung (Aen. 1,663; 12,249), die Lucan nur hier gebraucht; der mythologische Medusa-Exkurs wird sprachlich vom Kontext abgesetzt. Vgl. ThLL I 1581,73–1582,26 (BANNIER). 685–686: „er hätte den Weg abgekürzt und auf direkter Route die Luft durchschnitten, wenn er die Städte Europas gestreift hätte“. Der Indikativ Imperfekt in der vorangestellten Apodosis zeigt an, daß sich Perseus bereits auf dem Weg befand (vgl. 684), als ihn Athena zurückrief; vgl. K/ST 2,404–405. Der Konjunktiv Imperfekt scinderet statt Konjunktiv Plusquamperfekt scidisset ist nicht ungewöhnlich. Im Altlatein begegnet der Konj. Impf. in irrealen Perioden der Vergangenheit häufig, weil Potentialis und Irrealis noch nicht geschieden waren; auch in späterer Zeit kommt dieser Tempusgebrauch zuweilen vor, besonders in Fällen, wo der Bezug auf die Vergangenheit aus dem Kontext hervorgeht; vgl. LHS 332–333. 662. 685. pensabat: Simplex für Kompositum; unter Rückgriff auf substantivisches compendium („Ersparnis“) hat Seneca als erster compensare im Sinn von „abkürzen“ verwendet; vgl. Phaedr. 83–84: hac, hac pergam qua via longum / compensat iter. Lucan hat diese Innovation in 8,248–249 (magnosque sinus Telmessidos undae / compensat medio pelagi) übernommen und an der vorliegenden Stelle kühn überboten. Das nachfolgende propiusque secabat / aera sichert das Verständnis des Ausdrucks. Zu compensare/pensare vgl. ThLL III 2049,77–83 (BANNIER); ThLL X 1,1112,67–70 (MALSBURY ). Den Lexikographen ist allerdings entgangen, daß Lucans gewagter Einfall durch eine andere Stelle Senecas vermittelt wurde; vgl. Sen. Oed. 604–606: nec tanta gelidi Strymonis fugiens minas / permutat hiemes ales et caelum secans / tepente Nilo pensat („vertauscht“) Arctoas nives. Wie die Wendung aera secare und 3,199–200 (deseritur Strymon tepido committere Nilo / Bistonias consuetus aves) zeigen, war Lucan diese Stelle bekannt. 685–686. secabat / aera: Secare vom Durchschneiden der Luft ist vergilisch; vgl. georg. 1,406; Aen. 5,658; 9,15; 10,440; 12,268. Von Ovid als seinem Nachfolger und Konkurrenten wurde diese Verwendung gemieden; es begegnet wieder bei Seneca; vgl. nat. 2,20,2; 7,23,2; Oed. 390 und den in der vorangegangenen Anmerkung zitierten zweiten Passus aus dem Oedipus, der hier verwendet wurde. Bei Lucan ist secare in diesem Sinn
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singulär; es gehört zum mythologischen Kolorit dieses Abschnitts; vgl. zu 684. 686. scinderet: Scindere ist hier zum ersten Mal vom Fliegen verwendet; es macht die Bedrohung deutlich, die von dem mit dem Medusenhaupt beladenen Perseus ausgeht. Ebenso wie bei sulcare (vgl. zu 668) erweitert Lucan hier den poetischen Sprachgebrauch, indem er ein Verb, das in der Dichtung das Zerteilen des Wassers bezeichnen kann, auf das Fliegen überträgt. Ausgangspunkt der Entwicklung ist Verg. Aen. 10,763–765: quam magnus Orion, / cum pedes incedit medii per maxima Nerei / stagna viam scindens, umero supereminet undas. Lucan hat auf den kühnen vergilischen Sprachgebrauch sonst zweimal an Stellen zurückgegriffen, wo sich mit dem Befahren des Meers eine Besonderheit verbindet. In 5,440–441 (fluctuque latente sonantem / orbita migrantis scindit Maeotida Bessi) schneiden sich Wagenräder in die gefrorene Maiotis ein, in 6,400–401 (prima fretum scindens Pegasaeo litore pinus / terrenum ignotas hominem proiecit in undas) zerteilt die Argo zum ersten Mal das bis dahin „unversehrte“ Meer. 688–689. quis enim non praepete tanto / aethera respiceret?: „Wer würde denn nicht bei einem solchen Flügelwesen zum Himmel aufschauen?“. Athena ruft dem unbedachten Perseus die Gefahr in Erinnerung, die von dem Gorgonenhaupt ausgeht. Die Bewohner der überflogenen Gegenden würden nichts Böses ahnend aufschauen und sofort versteinern. Das Stilmittel, die Bedeutung eines Sachverhalts indirekt durch die Beschreibung der Reaktion eines Beobachters zu verdeutlichen, begegnet häufig; vgl. z.B. Catull. 64,14–15: emersere freti candenti e gurgite vultus / aequoreae monstrum Nereides admirantes (die Nereiden bestaunen die Argo); Lucan. 9,538–543. Die spezielle Ausformung des Motivs („erstaunter Blick nach oben“) hat Lucan vermutlich von Ovid übernommen; vgl. met. 8,217–220: hos aliquis, tremula dum captat harundine pisces, / aut pastor baculo stivave innixus arator / vidit et obstipuit, quique aethera carpere possent, / credidit esse deos (Reaktion auf Daedalus und Icarus) und dazu LUCK -HUYSE 1997, 56–57. 690. nullo consita cultu: ein bukolisches Einsprengsel. Conserere („einsäen“) findet sich oft bei landwirtschaftlichen Fachschriftstellern und bukolischen Dichtern, aber nur hier bei Lucan. Ablativisches nullo cultu ist eine Übernahme aus Verg. ecl. 4,18; georg. 1,102; vgl. ThLL IV 1325,23–27 (SIGWART).
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691. sideribus Phoeboque vacat: „ist ausgeliefert den Gestirnen und der Sonne“. Die Gestirne werden erwähnt, weil man überwiegend annahm, daß die Tierkreiszeichen, die die Sonne im Lauf des Jahres scheinbar durchwandert, die Jahreszeiten nicht nur anzeigen, sondern mitverursachen; vgl. z.B. die Epitheta wie ardens und umidus im Katalog der Tierkreiszeichen (533–537). Vacare mit Dativ und einer Sache als Subjekt („leer und dadurch ausgeliefert sein“) ist eine Personifikation. Üblicherweise wird es von Personen im Sinn von „Zeit haben für“ gebraucht. Lucan folgt hier offenbar Seneca (nat. 6,7,5): abstrusa enim et sine possessore deserta liberius undis vacant [sc. litora subterranea]; vgl. OLD s.v. Nr.4a). premit: Premere wird in astronomischen Kontexten vor allem in zweifacher Weise verwendet. Zum einen liegt eine Erweiterung der Personifikation der Tierkreiszeichen und anderer Sternbilder vor. Folgt ein Sternzeichen dem anderen, so entsteht der Eindruck, das vorangehende werde vom anderen vorangeschoben oder zum Untergang gedrängt; vgl. Lucan. 1,655–657: si saevum radiis („mit deinen Strahlen“ bzw. im Bildzusammenhang mit premeres und curribus „mit deinen Speichen / bespeichten Rädern“) Nemaeum, Phoebe, Leonem / nunc premeres, toto fluerent incendia mundo / succensusque tuis flagrasset curribus aether (die Sonne steht im heißen Sternzeichen des Löwen und verursacht einen Weltenbrand) und weitere Beispiele bei LE BOEUFFLE 1987, 220 (s.v. premere Nr.1/2). Zweitens kann premere wie hier den Druck, den ein Gestirn auf die unter ihm liegende Erde ausübt, bezeichnen (nicht erwähnt bei LE B OEUFFLE ); dieser ist dann am größten, wenn das Gestirn senkrecht über einem Gebiet steht (premere = „mit maximalem Gewicht drücken“, „senkrecht stehen über“). Dieser Sprachgebrauch ergibt sich aus der antiken Astronomie, die zwischen den Gestirnen statt leeren Raums den feinstofflichen Äther vermutete und den Gravitationsbegriff nicht kannte. Der Kosmos ist ein äquilibriertes System, in dessen Mitte sich die Erde befindet; sie wird umgeben von den an materiell vorgestellten Schalen, den Sphären, befestigten Sternen (Mond, Planeten, Sonne, Fixsterne). Bewegt sich ein Gestirn auf der (scheinbaren) Kreisbahn um die Himmelsachse, so glaubte man, daß in Analogie zu einem Gewicht, das auf einer Unterlage verschoben wird, der Druck des Gestirns auf die Erde mitwandert, und jeweils an dem Ort am größten ist, über dem das Gestirn im Zenit steht. Libyen ist also dem Druck und damit der Wirkung der Sonne in besonderer Weise ausgesetzt, weil es auf bzw. südlich des nördlichen Wendekreises liegt. Vgl. ferner Manil. 1,644; Vitr. 6,1,1: alia parte solis cursu premitur tellus, alia longe ab eo distat; Sen. nat. 4,2,28: undique sol trahit (sc. umorem), sed ex his, quae premit, maxime; Lucan.
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1,53–58: sed neque in Arctoo sedem tibi legeris orbe / nec polus aversi calidus qua vergitur Austri, / unde tuam videas obliquo sidere Romam. / aetheris immensi partem si presseris unam, / sentiet axis onus. librati pondera caeli / orbe tene medio (Nero wird ermahnt, nach seiner Versetzung unter die Sterne nicht das Gleichgewicht des Himmels zu gefährden); 3,253–255: Aethiopumque solum (sc. furor movet), quod non premeretur ab ulla / signiferi regione poli, nisi poplite lapso / ultima curvati procederet ungula Tauri (mit HOUSMAN und HUNINK z.St.). Auch die Formulierung in 9,396 (me calor aetherius feriat) ist offenkundig von astronomischen Vorstellungen beeinflußt (ferire als Steigerung von premere). Die untheoretische, den subjektiven Eindruck wiedergebende Metapher „drückende Hitze“ ist den Römern nicht geläufig; vgl. die von GUDEMAN in ThLL III 182,37–183,21 (s.v. calor) zusammengestellten Junkturen. 692–695: Die Beschreibung der Flugroute des Perseus wird um ein gelehrtes Detail erweitert. Athena legt Perseus nahe, über Libyen zu fliegen, weil dieser Landstrich wegen der klimatischen Bedingungen menschenleer ist. Der lebensfeindlichen Trockenheit und Hitze Libyens, hervorgerufen durch die senkrechte Sonneneinstrahlung bei Tage, entspricht nachts der vertikale hohe Schattenfall der Erde, der bei entsprechender Konstellation des Mondes dessen Verfinsterung bewirkt. 692–693. nec terra celsior ulla / nox cadit in caelum: „und nirgendwo auf der Erde (eigtl. comparatio compendiaria) fällt die Nacht höher in den Himmel“. Lucan kehrt hier das Motiv aus 528–532 um. Während er dort das Fehlen des Schattenfalls in Gegenden auf oder südlich des nördlichen Wendekreises beschreibt, wenn die Sonne im Zenit steht, erläutert er an dieser Stelle das entsprechende Phänomen auf der sonnenabgewandten Seite. Der Schlagschatten der Erde erhebt sich senkrecht in den Himmel und erreicht eine größere Höhe als über den gemäßigten Breiten; denn wegen des größeren Umfangs der Sonne läuft er kegelförmig zu. Wie die nachgeschobene Bedingung einräumt, verursacht der senkrechte Schattenfall selbstverständlich nicht immer eine Mondfinsternis. Der Dichter hat es vorgezogen, den senkrechten Schattenwurf der Erde an einem besonders spektakulären Phänomen zu erläutern, statt umständlich astronomisch-mathematische Details zu entfalten oder auf einen vergleichsweise unauffälligen Vorgang wie die sich im Bereich der Tropen besonders schnell vollziehende Dämmerung hinzuweisen. Für die Aufmerksamkeit, die Reisende und Geographen astronomischen Phänomenen als Beweis für die Kugelgestalt der Erde entgegenbrachten, vgl. z.B.
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die Mittsommernachtsbeschreibung bei Tac. Agr. 12,4 (mit HEUBNER ): quod si nubes non officiant, aspici per noctem solis fulgorem, nec occidere et exsurgere, sed transire affirmant. scilicet extrema et plana terrarum humili umbra non erigunt tenebras, infraque caelum et sidera nox cadit. 693. lunaeque meatibus obstat: „und steht dem Lauf des Mondes im Weg“. Für ein einprägsames Bild setzt sich Lucan mit poetischer Lizenz über die antike Astronomie hinweg. Nach der anerkannten Lehrmeinung begann ja mit der Lunarsphäre der Bereich des feurigen Äthers, in dem es keinen Schattenfall mehr geben kann. Demnach kann der Erdschatten nicht die Mondbahn schneiden, wie Lucan es hier (vom heutigen Kenntnisstand aus zu Recht) suggeriert, sondern muß exakt auf der Mondoberfläche enden. Daß dies eine wenig befriedigende petitio principii ist, hat man wohl gespürt. So führt der ältere Plinius zwei etwas gesucht klingende Begründungen zur Stützung des astronomischen Lehrgebäudes an (nat. 2,48). 1. Beweis für das Ende des Erdschattens auf der Mondoberfläche sei es, daß kein anderer Planet von der Erde verdunkelt werde (es bleibt außer Betracht, daß der kegelförmig zulaufende Mondschatten zwischen Mond und den weiter entfernten Sternen endet). 2. Ferner könne man an Vögeln, die hoch im Sonnenlicht fliegen, obwohl sie eigentlich im Schatten sein müßten, sehen, daß Schatten im Raum nach und nach verschluckt werde (unzutreffende Beobachtung oder falsche Berechnung des Schattenfalls). Gerade der Erklärung für die zweite Beobachtung (Verschwinden des Schattens im Raum) kann Plinius selbst kaum Glauben geschenkt haben, denn unmittelbar danach (nat. 2,51–52) gibt er eine korrekte Darstellung der Gesetze des Schattenfalls (der Schatten erstreckt sich ins Unendliche, es sei denn, die Lichtquelle ist größer als der schattenwerfende Körper; dann läuft der Schatten in einer Kegelspitze aus). 694–695: „duobus versibus 694 sq. nihil quod rectae sphaerae aut Libyci climatis sit continetur, sed vult poeta ostendere se defectus lunaris causam tenere“ (HOUSMAN im App. z.St.). Jede Mondfinsternis entsteht durch das Eintreten des Mondes in den Kernschatten der Erde; dies kann nur geschehen, wenn seine Bahn innerhalb der beiden Wendekreise verläuft. Die beiden Verse sind von Lucan allerdings nicht nur ausgeführt worden, um mit Gelehrsamkeit zu prunken, wie H OUSMAN glaubt, sondern vor allem, um das Mißverständnis zu vermeiden, daß der senkrechte Schattenfall der Erde im Bereich zwischen beiden Wendekreisen eine permanente Mondfinsternis verursache; vgl. zu 692–693.
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694. oblita: Der Mond „vergißt“ seine schweifende Bahn und läuft gerade durch die Tierkreiszeichen. Oblivisci bezeichnet hier eine Durchbrechung der natürlichen Abläufe; es ist vor dem Hintergrund stoischer Naturphilosophie zu interpretieren. Nach stoischer Anschauung, wie sie Cicero (fin. 4,32) diskutiert, ist jedem Wesen und jeder Sache zu eigen, sich naturgemäß zu verhalten: omnis enim est natura diligens sui: quae est enim, quae se umquam deserat aut partem aliquam sui aut eius partis habitum aut vim aut ullius earum rerum, quae secundum naturam sunt, aut motum aut statum? quae autem naturae suae primae institutionis oblita est? nulla profecto est, quin suam vim retineat a primo ad extremum. Seine Bestimmung vergessen oder ihr töricht zuwiderhandeln kann nur der Mensch als zu freien Entscheidungen fähiges Wesen; vgl. Senecas Beschreibung des Zornigen (dial. 3,1,2): impotens sui est, decoris oblita, necessitudinum immemor, in quod coepit pertinax et intenta, rationi consiliisque praeclusa, vanis agitata causis, ad dispectum aequi verique inhabilis, ruinis simillima quae super id quod oppressere franguntur. Lucan hat mit poetischer Freiheit den Vorgang des Vergessens der naturgemäßen Bestimmung mehrfach auf Erscheinungen der Natur übertragen. In 5,443–446 macht er so aus einer gewöhnlichen Windstille eine bedrohliche Durchbrechung der Naturgesetze: veluti (der Vergleich schwächt das Adynaton ab) deserta regente / aequora natura cessant, pontusque vetustas / oblitus servare vices non commeat aestu, / non horrore tremit, non solis imagine vibrat. In 9,283–290 begegnet die Personifikation in einem bukolischen Vergleich, der die Niederschlagung der Meuterei durch Cato illustriert: dixit, et omnes / haud aliter medio revocavit ab aequore puppes / quam, simul effetas linquunt examina ceras / atque oblita favi non miscent nexibus alas / sed sibi quaeque volat nec iam degustat amarum / desidiosa thymum, Phrygii sonus increpat aeris, / attonitae posuere fugam studiumque laboris / floriferi repetunt et sparsi mellis amorem. Wie der Beckenschlag des Imkers die Bienen dazu bringt, wieder Honig zu sammeln gemäß ihrer Natur, hält Catos Rede die Soldaten davon ab, sich kampflos dem Tyrannen Caesar zu unterwerfen. Ebenso wie bei der Flaute und dem Schwärmen der Bienen handelt es sich auch bei der Mondfinsternis nur um eine scheinbare Durchbrechung der Naturgesetze: Der Dichter gibt selbst die rationale Erklärung. Zugleich hält er jedoch durch die Wortwahl das Ungewöhnliche und Beängstigende dieser Erscheinung fest; vgl. auch Man. 3,259: nox oblita diei (von der langen Winternacht). 694–695. per recta … / signa: „recta linea per zodiacum“ (HOUSMAN).
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696–699: Nach Schol. Nic. Ther. 11 geht die Erklärung der Schlangenverseuchung Libyens durch das herabtropfende Blut des Gorgonenhauptes auf Apollonios Rhodios zurück; das Aition findet sich in den Argonautika (4,1513–1517); ursprünglich stand es jedoch in der ÉAlejandre¤aw Kt¤siw. Nach dem Zeugnis des Nikander-Scholions erfand Apollonios diese Erklärung in Konkurrenz zu Akusilaos (FGr Hist 2 F 14), der alle „beißenden Tiere“ aus dem Blut des Typhon entstehen ließ. Apollonios folgten Alexander Polyhistor (FGr Hist 273 F 142) und, die mutmaßliche Quelle Lucans, Ovid (met. 4,615–620): viperei referens spolium memorabile monstri / aera carpebat (sc. Perseus) tenerum stridentibus alis, / cumque super Libycas victor penderet harenas, / Gorgonei capitis guttae cecidere cruentae, / quas humus exceptas varios animavit in angues: / unde frequens illa est infestaque terra colubris. Zur Traditionsgeschichte des Aitions vgl. BÖMER zu Ov. met. 4,614–620. Lucan hat Ovids Darstellung unter Verwendung stoischer Naturphilosophie (Temperatio-Lehre) rationalisiert: Die Blutstropfen der Medusa fallen in den lockeren (luftigen) Sand (putris harena) und werden durch die Hitze mit ihm verbacken. Durch die Durchmischung aller vier Elemente ist die Voraussetzung für die Entstehung von Leben gegeben. Zur Temperatio-Lehre bei Lucan vgl. auch zu 183–184. 374–377. 435–436. 696–697. sterilis tellus fecundaque nulli / arva bono: Die Natur wird im BC beinahe ausschließlich als unfruchtbar und jedem Leben feindlich dargestellt. Läßt sie doch etwas entstehen, so sind es wie hier Ungeheuer. Vgl. LOUPIAC 1991 (besonders 250–251 zum Motiv der unfruchtbaren Erde). 698. dirosque fero de sanguine rores: Das Motiv des Bluts, das aus Wunden von Verletzten wie Tau herabtropft und Erdreich und Pflanzen benetzt, ist vergilisch; vgl. Aen. 8,645; 11,8; 12,339. 512. Lucan hat es in 7,836–837 grausig überboten: omne nemus misit volucres (zu den unbestattet gebliebenen Gefallenen von Pharsalos) omnisque cruenta / alite sanguineis stillavit roribus arbor. An dieser Stelle jedoch ist Tau keine Metapher. Das Blut der Medusa ist tatsächlich eine Art Tau; es befeuchtet den Sand und bringt grausige Kreaturen hervor. 699. putrique incoxit harenae: „und kocht (sc. den gräßlichen Tau) dem lockeren Sand ein“. In der Bedeutung „etwas mit einer anderen Sache zusammenkochen“ ist incoquere von einem natürlichen Vorgang sonst nicht belegt (von BAUER in ThLL VII 1,1023,3–36 nicht hinreichend hervorge-
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hoben). Das Verb unterstreicht die Intensität der Verschmelzung von Blut und Erde; die enge Verbindung ist die Voraussetzung für die Entstehung von organischem Leben. [2.16. Der Schlangenkatalog (9,700–733) 700–733: Der hier folgende Schlangenkatalog beschreibt die verschiedenen Schlangenarten Afrikas mit ihrer jeweils charakteristischen Ausprägung: Lebensräume, Tötungsarten und Aussehen verschiedener Schlangenarten werden beschrieben; gemeinsam ist allen ihre todbringende Eigenheit: Weder die Vögel in der Luft noch ganze Herden großer Tiere wie Büffel und Elefanten sind vor ihnen sicher.] 700–701: „hier erhob der Eiter, der zuerst einen Kopf sich aus dem Sand herausstrecken ließ, die schlafbringende Kobra mit aufgeblähtem Hals“. 701. aspida somniferam tumida cervice levavit: Die Konstruktion von levare mit effiziertem Objekt ist eine Besonderheit Lucans und nicht vor ihm belegt; vgl. 4,17–18: nec Caesar colle minore / castra levat; 4,417–418: neque enim de more carinas / extendunt puppesque levant; ThLL VII 2,2,1235,84–1236,44 (KOSTER). Somnifer ist ein Neologismus Vergils (Aen. 7,758), den er im Zusammenhang der Beschreibung eines schlangenbeschwörenden Priesters verwendet. Ovid hat die Neubildung zweimal gebraucht (met. 1,672; 9,694); Lucan bezieht sich auf den zweiten Ovidbeleg, wo das Adjektiv die Wirkung von Schlangengift bezeichnet (plenaque somniferis serpens peregrinis venenis). Die Junktur tumida cervice stammt aus einem ciceronianischen Vergleich (Vatin. 4): repente enim te, tamquam serpens e latibulis, oculis eminentibus, inflato collo, tumidis cervicibus intulisti. Die Kobra „bläht“ ihren Hals nicht wirklich „auf“, sondern erweckt diesen Eindruck dadurch, daß sie ihren Nackenschild mit Hilfe der verlängerten Rippen des Halsbereichs aufspreizt; vgl. COBORN 1995, 444–445. 702–703: ein Aition im Aition. Die besondere Giftigkeit der Kobra wird auf ihre Entstehung zurückgeführt. 704–705: Die Angabe entspricht dem antiken Kenntnisstand; die Uräusschlange findet sich in Afrika mit Ausnahme des Kaps und der arabischen Halbinsel. Vgl. COBORN 1995, 445.
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704. ipsa caloris egens: Der Antike war es bekannt, daß die Schlange zu den wechselwarmen Tieren gehört und Winterschlaf hält; vgl. die Belege bei GOSSEN/STEIER 1921, 496–497, und die Bezeichnung der Schlange als „kalt“ bei Theokrit (15,58) und Vergil (ecl. 3,93; 8,71). Es ist charakteristisch für die Epik Lucans, die bestrebt ist, Altbekanntem unerwartete Wendungen abzugewinnen, daß er ein Epitheton ornans wie „kalt“ in den Kontext einbindet. Hier stellt er den kausalen Zusammenhang zwischen Wärmebedürfnis der Schlange und ihrem Aufenthaltsort her; in 6,488–689 vollbringt Hexenzauber das Adynaton, daß sich auf einem bereiften Feld liegende Schlangen ausstrecken: gelidos („obwohl sie doch eiskalt sind“) his (sc. durch Hexen) explicat orbes / inque pruinoso coluber distenditur arvo. 705. sponte sua: bereitet die moralistische Polemik in 706–707 vor. Von sich aus verläßt die Kobra Afrika nicht; statt damit zufrieden zu sein, importieren die Römer die Schlange für verbrecherische Zwecke nach Italien. metitur: Metaphorisches metiri hat Horaz (epod. 4,7) für das absichtliche Stolzieren eines Reichen eingeführt. Lucan hat diesen Gebrauch auf die scheinbar affektierte Fortbewegungsart von Tieren übertragen; hier bezeichnet er damit das Kriechen einer Schlange, in 5,556 das Hüpfen einer Krähe. 10,308: sterilesque diu metiris harenas (vom Mäandrieren des Nils) ist ein Selbstzitat der vorliegenden Stelle. 706–707: Als stoischer Moralist geißelt Lucan häufig die Habgier seiner Landsleute; vgl. zu 426–430. Hier wiegt die Kritik besonders schwer, denn hinter dem Schlangenhandel stehen mörderische Pläne. Die Römer wissen die Vorzüge Italiens nicht zu schätzen; die Abwesenheit von Schlangen gehört zu den topischen Zügen der laudes Italiae; vgl. Verg. georg. 2,153–154: nec rapit immensos orbis per humum neque tanto / squameus in spinam tractu se colligit anguis und Prop. 3,22,27: non squamoso labuntur ventre cerastae. 706. (quis erit nobis lucri pudor?): die rhetorische Figur der indignatio; vgl. Cic. inv. 1,100: indignatio est oratio, per quam conficitur, ut in aliquem hominem magnum odium aut in rem gravis offensio concitetur. 708–709: Die Haemorrhois trägt ihren Namen wegen der Wirkung ihres Gifts; dem Opfer tritt Blut aus Mund, Nase und Ohren; vgl. Aelian. an. 15,13 und Lucan. 9,805–814. Die Identifizierung der Schlange ist unsicher;
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die Beschreibungen der antiken Autoren sind widersprüchlich und scheinen sich auf zwei verschiedene Schlangen zu beziehen, die Efa oder Sandrasselotter (Echis carinata) und die Stülpnasenotter (Vipera latastii); vgl. GOSSEN/STEIER 1921, 521–522; COBORN 1995, 484–485. 488. 496. Die Frage braucht an dieser Stelle nicht diskutiert zu werden; Lucan ist vor allem an der durch den Namen gegebenen Wirkung des Bisses der Schlange interessiert. Wie ingens zeigt, ist es höchst zweifelhaft, ob er überhaupt eine bestimmte Schlange im Auge hat, denn beide genannten Spezies erreichen nicht einmal einen Meter Länge. 709. squamiferos … explicat orbes: „entfaltet ihre schuppentragenden Windungen“. Orbis begegnet seit Vergil (georg. 1,153) häufig von den Windungen der Schlange; squamifer ist eine Alternativbildung Senecas (Med. 685) zum gängigen squamiger. Explicare orbes ist eine ovidische Junktur (met. 15,730: deus [sc. Aesculapius] explicat orbes); Lucan hat sie auch in 6,488 übernommen; hier ist sie neu mit Sinn gefüllt: Indem sie sich aus dem Blut-Sand-Gemisch herauswindet, entsteht die Schlange erst. 710–711: Der Chersydros ist wahrscheinlich ein Vertreter der Plattschwanzseeschlangen, deren Verbreitungsgebiet vom Indischen Ozean bis in den pazifischen Raum reicht; vgl. GOSSEN/STEIER 1921, 555–556; C OBORN 1995, 462–463. Lucan siedelt ihn in den Sandbänken und den seichten Gewässern der Syrten an, für die die amphibisch lebende Schlange wie geschaffen zu sein scheint. 710. ambiguae … Syrtidos arva: vgl. zu 307. 711. tractique via fumante chelydri: „und die Chelydri krochen auf rauchendem Boden dahin“. Das wunderhafte Detail des rauchenden Bodens erwähnt nur Lucan; eine Identifizierung erübrigt sich. Zu den anderen Nennungen dieser Schlange bei antiken Autoren, die sich auf reale Tiere beziehen, vgl. GOSSEN /STEIER 1921, 557. Silius (3,316) nennt die Schlange in bezug auf Lucan „medusäisch“. 712: Der Name Cenchris ist sonst nur in Plin. nat. 20,245 belegt; welche und ob überhaupt eine bestimmte Spezies gemeint ist, läßt sich nicht mehr ermitteln; vgl. GOSSEN/STEIER 1921, 544. recto … limite: „ohne sich zu winden“. Die Junktur hat Lucan aus Ov. met. 7,782–784 entnommen (der teumessische Fuchs flieht vor Laelaps,
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dem Hund des Cephalus): nec limite callida recto / in spatiumque fugit, sed decipit ora sequentis / et redit in gyrum (vgl. BÖMER z.St.). 713–714: Der Ophites (Schlangenstein; Serpentin), eine grünliche, schlangenartig gesprenkelte Marmorart, die man nach Plin. nat. 36,55–56 unter Augustus in Ägypten entdeckt hat, war zur Zeit Lucans, wie auch Stat. silv. 1,5,35 und Mart. 6,42,15 zeigen, ein gerade modischer Schmuckstein; vgl. SCHRAMM 1939. Auch wenn Lucan hier nicht die Entstehung des Schlangensteins behauptet, sondern ihn durch einen Vergleich einführt, ist dessen Nennung doch charakteristisch für seine paradoxe Gelehrsamkeit. Der Leser, der innerhalb des Katalogs nur mit der Erwähnung von Schlangen rechnet, wird überrascht. Der beliebte Schmuck ist ihm bekannt, auch er hätte in diesem Zusammenhang an ihn denken können, hat es aber (vermutlich) nicht. 713: die Formulierung nach Verg. georg. 3,427: (est anguis) notis longam maculosus grandibus alvum. 715–716: Der Hammodytes ist eine, wie aus dem Namen hervorgeht, sandfarbene Schlange, über die außer einer wenig ergiebigen Beschreibung bei Philumenos (22) und einigen Erwähnungen bei anderen antiken Autoren sonst nichts bekannt ist; vgl. GOSSEN/STEIER 1921, 523. 715. concolor … atque indiscretus: Concolor ist zuerst bei Vergil (Aen. 8,82) belegt und begegnet danach öfter in poetischen Texten (auch Lucan. 4,678). Indiscretus im Sinn von indistinctus findet sich einmal bei Vergil (Aen. 10,390–392: vos etiam, gemini, Rutulis cecidistis in arvis, / Daucia, Laride Thymberque, simillima proles, / indiscreta suis gratusque parentibus error), nicht bei Ovid und nur hier bei Lucan. Über die Gründe der spärlichen Belegung läßt sich nur spekulieren; das Wort bezeichnet offenbar einen außerordentlich hohen, an das Paradoxe grenzenden Grad von Ähnlichkeit, so daß es nur selten sachgemäß war. 716. spinaque vagi torquente cerastae: Die Hornviper (Cerastes cerastes) kommt von Marokko bis Arabien vor; den Namen hat sie von zwei hornartigen Auswüchsen über den Augen. Lucan zielt hier auf das zweite hervorstechende Charakteristikum der Schlange, die Fortbewegung durch seitliche Windungen; vgl. GOSSEN/STEIER 1921, 544–546; COBORN 1995, 480–483.
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717–718: Scytale („Stock“) ist eine nicht näher bestimmbare Schlange, die nach Philumenos (27) der Amphisbaena ähnelt. Solinus (27,30) behauptet, sie krieche sehr langsam und bemächtige sich ihrer Opfer, indem sie sie mittels ihrer bunten Schuppen anlocke. Auch er erwähnt die Häutung im Winter; vgl. GOSSEN/STEIER 1921, 553–554. etiamnunc … / exuvias positura suas: Das Futur belebt den Katalog. Man sieht die Schlange vor sich, wie sie sich anschickt, sich zu häuten. Die Wendung exuvias ponere stammt aus Vergil (georg. 3,437; Aen. 2,473). 718. torrida dipsas: Die Dipsas ist eine hochgiftige Schlange, deren Biß beim Opfer einen brennenden Durst verursacht, vgl. 737–760. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um die in der Sahara beheimatete Avicennaviper (Cerastes vipera), eine etwa einen halben Meter lange Schlange, deren sich zum Schwanz hin verdickender Körper schwarz und gelb gesprenkelt ist; die heutigen Schlangen dieses Namens (Vorkommen: Zentral- und Südamerika) haben abgesehen vom Aussehen nichts mit der antiken Schlange gemein. Zur Avicennaviper vgl. GO S S E N / STEIER 1921, 530–531; C OBORN 1995, 482; es liegt auch eine antike Monographie vor (Lukian: per‹ t«n dicãdvn). 719: Die Amphisbaena ist wahrscheinlich mit dem Blödauge (Typhlops vermicularis) gleichzusetzen, das in Griechenland, dem Balkan und dem Nahen Osten gefunden wird. Die Schlange wird nicht länger als 35 cm und ist ein vollkommen harmloser Insektenfresser. Weil ihr Körper sich zum Schwanz hin nicht verjüngt, dichtete man ihr an, sie habe zwei Köpfe und könne sich, ohne kehrtzumachen, vorwärts und rückwärts bewegen; vgl. GOSSEN/STEIER 1921, 523–524; C OBORN 1995, 111–112. Lucan entwickelt die Beschreibung der Schlange aus der Deutung des Namens; um die Amphisbaena bedrohlich erscheinen zu lassen, macht er sie zu einer Schlange von riesiger Größe und gewaltigem Gewicht (gravis; vergere findet sich bei Lucan sonst mit geographischen Gegebenheiten als Subjekt). Offenbar hat er keine Kenntnis von dieser Spezies. 720. et natrix violator aquae: Natrix (Ïdra) ist die Ringelnatter (Tropidonotus natrix/bilineatus), die, wie Vergil (georg. 3,425–439) richtig beschreibt, bevorzugt im Wasser lebt und sich hauptsächlich von Fischen und Fröschen ernährt. Die Schlange ist ungiftig; vgl. GOSSEN /STEIER 1921, 554–555; COBORN 1995, 325.
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Die Form violator (statt violatrix) erklärt sich aus dem Bestreben, das Zusammentreffen eines Nomens mit einem Attribut gleichlautender Flexionsendung zu vermeiden; die bewußte Vermeidung der Kakophonie läßt sich seit Catull beobachten; vgl. dazu die statistischen Untersuchungen von SHACKLETON BAILEY (1994). iaculique volucres: Iaculus (ékont¤aw) ist eine Schlange aus der Gattung der Zornnattern (Coluber); sie sind äußerst aggressiv, zeichnen sich durch blitzschnelles Zustoßen und Beißen aus, klettern gut und erjagen zuweilen ihre Beute, indem sie sich von Bäumen fallen lassen; für den Menschen jedoch stellen sie keine Bedrohung dar. Mit etwas Geduld ist es sogar möglich, sie zu zähmen; vgl. GOSSEN/STEIER 1921, 522–523; COBORN 1995, 208–217. Selbstverständlich haben sie weder Flügel noch können sie sich, wie Lucan in 822–828 beschreibt, von einem Baum abschnellen und wie ein Speer einem Mann durch den Kopf fahren. 721: Parias ist die Äskulapnatter (Elaphe longissimus), eine ungiftige (contentus iter cauda sulcare) Schlange, die sich vom 50. Breitengrad an in Mittelund Südeuropa findet; ihre Verbreitung ist teilweise von den Römern befördert worden, die diese angeblich heilkräftige Schlange in die nördlichen Teile des Imperiums mitführten, wo sie dann verwilderten; vgl. GOSSEN/STEIER 1921, 548–551; COBORN 1995, 226–229. Nach Ovid (met. 15,622–744; vgl. dazu BÖMER ) haben die Römer anläßlich der Pestepidemie von 293 v. Chr. nach Befragung der sibyllinischen Bücher eine Gesandtschaft nach Epidauros geschickt und aus der dortigen Kultstätte des Äskulap eine Schlange als Verkörperung des Gottes nach Rom gebracht; auf einer Tiberinsel wurde ihr ein Heiligtum errichtet. 722: Über den Prester ist nichts als sein Name und was sich aus ihm erschließen läßt bekannt; vgl. GOSSEN/STEIER 1921, 551–552. Mit prhstÆr bezeichneten die Griechen ursprünglich einen angeblich feurigen Wirbelwind; die Verbindung von Feuer und Wind ergibt sich aus der Systematik der antiken Naturphilosophie, die Blitze und Wirbelwinde im selben Kontext behandelte. Blitz und Donner entstehen nach antiker Auffassung durch das Hervorbrechen von starken Winden aus Wolken. Von dieser Erklärung ist es zur Annahme eines Feuerwinds nur ein kleiner Schritt. Das brodelnde Wasser unterhalb einer „Wasserhose“ (vgl. Lucr. 6,426–428) schien für den Zusammenhang von Feuer, Blitzen und Windhosen eine empirische Bestätigung zu sein; vgl. Lucr. 6,239–442; Plin. nat. 2,131–133.
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723: Über die Seps (sÆc oder auch shped≈n) sind die Angaben antiker Autoren gänzlich verworren, so daß an eine Identifizierung nicht zu denken ist; Einigkeit herrscht allerdings darüber, daß die Bißstelle innerhalb kurzer Zeit faulig wird, der Wundbrand sich rasch ausbreitet und zum Tode führt; vgl. Philumenos (23,2) und Lucan. 9,761–788, wo ein von der Seps gebissener Soldat sich gar vollständig auflöst und in Eiter zerfließt; vgl. GOSSEN/STEIER 1921, 552–553. Tabificus begegnet zuerst bei Lukrez (6,737) von den Schnee schmelzenden Strahlen der Sonne, Seneca (Oed. 79) und nach ihm Lucan (5,111) gebrauchen das Adjektiv von pestverursachender Luft. Aufgrund der Ähnlichkeit der Symptome von Schlangenbiß und Seuche liegt die Übertragung auf die Seps nahe. 724–726: Der Basilisk ist eine fiktive „Überschlange“, die bereits durch ihren Atem, nach einigen Quellen sogar schon durch ihren Blick töten kann. Im Christentum wurde er mit dem Teufel verglichen, vgl. Aug. serm. 2,9: rex est serpentium basiliscus, sicut diabolus rex est daemoniorum. Zum Basilisk und den verschiedenen Eigenschaften, die man ihm andichtete, vgl. ECKSTEIN/STEMPLINGER/WASZINK 1950. 725. ante venena nocens: = ante venena instillata nocens. Die brachylogische Präpositionalkonstruktion mit Auslassung des PC begegnet bei Lucan häufig, vgl. die Belege bei HOUSMAN zu 6,145 und MAYER zu 8,531. 725–726. late sibi summovet / vulgus et in vacua regnat basiliscus harena: Der Basilisk ist „König“ über die Schlangen; sein tödlicher Atem sichert ihm den Vorrang vor den nur durch den Biß schadenden „Untertanen“. Die Herrschaftsform in diesem Reich des Grauens ist selbstverständlich tyrannisch; der gute König regiert durch comitas und facilitas (vgl. z.B. Plin. paneg. 2,7; 7,3), der schlechte durch Angst und Schrecken. Die Metaphorik hat Lucan aus der Etymologie von basiliscus entwickelt. 727–733: Draco ist vieldeutig; einerseits ist es ein Sammelname für alle Arten von ungiftigen Schlangen; im besonderen bezeichnet es (a) die in Griechenland und Rom gehaltenen Haus- und Tempelschlangen und (b) die afrikanischen und indischen Riesenschlangen (vgl. GOSSEN/STEIER 1921, 531–534). Ebenfalls draco (volans) heißt eine in Ostindien beheimatete Flugeidechse/Agame (vgl. GOSSEN/STEIER 1921, 1964–1965). Lucan faßt draco als Bezeichnung einer Spezies und erklärt die unterschiedlichen
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Kommentar
Erscheinungsformen als klimatisch bedingt. In gemäßigten Breiten ist die Schlange klein und ungefährlich; unter der Hitze Afrikas wächst sie zu riesenhafter Größe, entwickelt Flügel und macht Jagd auf Rinder und Elefanten. 727–728. qui cunctis innoxia numina terris / serpitis: Schlangenverehrung ist gemeinantik und auch heute noch bei allen Naturvölkern üblich. Die Fortbewegung ohne Gliedmaßen, der starre Blick (drãkvn leitet sich von d°rkomai her) und ihr Gift machen das Faszinosum der Schlange aus und rücken sie in den Bereich des Numinosen. Zur Schlangenverehrung in Rom und Griechenland vgl. CUMONT 1905 und KÜSTER 1913, 56–158. Serpitis ist mit Nachdruck statt estis gesetzt und keine Selbstverständlichkeit; in Afrika fliegt die Schlange. 728. aurato nitidi fulgore dracones: Unter Rückgriff auf vergilisches Vokabular beschreibt Lucan die Schönheit der Tempelschlangen; vgl. georg. 3,437–438: positis novus exuviis nitidusque (sc. die gehäutete Schlange) iuventa / volvitur; Aen. 5,87–88: caeruleae cui (sc. anguis) terga notae maculosus et auro / squamam incendebat fulgor. Ihre Lieblichkeit steht in scharfem Kontrast zu den schreckenerregenden Wesen, in die sie sich unter der sengenden Sonne Afrikas verwandeln. Bei Vergil und Lucan rührt der Goldglanz der Schlange von ihren Schuppen her, Valerius Flaccus hat die Wendung neu mit Sinn gefüllt, indem er auratus im eigentlichen Sinn gebraucht (6,57–59): insuper auratos collo gerit ipse dracones (sc. vergoldete Schlangendarstellungen auf einem Schild), / matris Horae specimen, linguisque adversus utrimque / congruit et tereti serpens dat vulnere gemmae. 729. letiferos: vgl. zu 384. 729–730. ducitis altum / aera cum pinnis: „durch luftige Höhen zieht ihr mit euren Flügeln dahin“. Die Verwendung von ducere erklärt sich aus der stoischen Lufttheorie, die den aer als körperliches Kontinuum ansah; die Vögel bewegen sich darin durch Zugbewegungen ihrer Flügel fort; vgl. Sen. nat. 2,7,1–2: quidam (sc. die Epikureer) aera discerpunt et in particulos diducunt ita aut illi inane permisceant. argumentum autem existimant non pleni corporis sed multum vacui habentis quod avibus in illo tam facilis motus, quod maximis minimisque per illum transcursus est. sed falluntur. nam aquarum quoque similis facilitas est, nec de unitate illarum dubium est, quae sic corpora accipiunt ut semper in contra-
Das Ammonsorakel (511–604)
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rium acceptis refluant; hanc nostri circumstantiam, Graeci éntiper¤stasin appellant. quae in aere quoque sicut in aqua fit; circumsistit enim omne corpus a quo impellitur. nihil ergo opus erit admixto inani. Zur Körperlichkeit der Luft bei Lucan vgl. auch 1,89–90: terra fretum terramque levabit / aer; 5,93–94: forsan, terris inserta regendis / aere libratum vacuo quae sustinet orbem; 7,835: plures presserunt aera pinnae. Bei Aelian (hist. an. 2,21) wird behauptet, es gebe Riesenschlangen, die Vögel durch den Sog ihres Atems fingen. EHLERS (ähnlich LUCK ) übersetzt daher: „tief Luft einziehend, fangen sie sich Vögel“. Diese Interpretation wird zwar gestützt durch die Wendung spiritum ducere, doch ist die Auffassung von altum problematisch; vgl. 560–563: haec fatur solvensque ratem dat carbasa ventis, / ad quorum motus non solum lapsa per altum / aera dispersos traxere cadentia sulcos / sidera. Zudem fordert serpitis (728) einen Gegensatz. 730–732: Wie die Länge der Python von den antiken Autoren ins Riesenhafte übertrieben wurde (15–150m), so wuchs auch die Größe ihrer Opfer. Ganze Rinder sollen die Riesenschlangen verschlungen haben, vor allem aber werden Kämpfe mit Elefanten berichtet. Es ist bekannt, daß die antike Zoologie es liebte, Erzfeindschaften zwischen Tieren zu konstruieren und jeder noch so gefährlichen Spezies einen ebenbürtigen Kontrahenten gegenüberzustellen. So soll sich der Löwe vor dem Hahn fürchten (Lucr.), der Basilisk hat Angst vor dem Wiesel (Plin. nat. 8,79), Schlangen verabscheuen Krebse (Plin. nat. 32,54) und müssen sich vom Chamäleon ärgern lassen, das ihnen mit einem quer in das Maul genommenen Holzscheit entgegengeht und sie foppt, ohne gefressen werden zu können; vgl. GOSSEN/STEIER 1921, 505–506. Ein solches in erbitterter Feindschaft lebendes Paar stellen der Elefant, das größte und schwerste, und die Python, das längste Landtier, dar. Nach den fiktiven Berichten enden ihre Kämpfe zumeist unentschieden; der Schlange gelingt es zwar, den Elefanten zu erdrosseln, sie wird jedoch durch die Masse des zusammenbrechenden Tiers erdrückt. Vgl. die Beschreibungen bei Aelian hist. an. 21 und Plin. nat. 8,32–34. Als Grund für die Rivalität der Tiere gibt Plinius an (nat. 8,34): quam quis aliam tantae discordiae causam attulerit nisi naturam spectaculum sibi paria componentem. In Wahrheit ist es natürlich die menschliche Phantasie, die Gefallen an diesen ins Tierreich transponierten Kämpfen ungleich bewaffneter Gladiatoren findet. Lucan verzichtet darauf, diese hier auszuführen, ihm liegt nur daran, die Gefährlichkeit der Python zu betonen.
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Kommentar
732–733: Ein Paradox beschließt den Katalog. Die gefährlichste aller Schlangen ist eine ungiftige. Kein Lebewesen ist vor der Python sicher. 732. datis omnia leto: Dare leto ist eine archaisch-feierliche Wendung; nach Varro (ling. 7,42) wurde ein öffentliches Begräbnis vom Herold mit der Formel ollus leto datus est angekündigt. Vgl. ThLL VII 2,2,1189,35–65 (STEINMANN) und zu 87.
Drei Studien zu Lucan
I. Lucan. 9,411–420 und die TO-Karte Den Afrika-Exkurs des neunten Buchs (411–444) eröffnet Lucan mit einer Reflexion über die Rechtmäßigkeit der üblichen Aufteilung der Erde in die drei Kontinente Europa, Afrika und Asien (411–420): Tertia pars rerum Libye, si credere famae cuncta velis; at si ventos caelumque sequaris, pars erit Europae. nec enim plus litora Nili quam Scythicus Tanais primis a Gadibus absunt, unde Europa fugit Libyen et litora flexu Oceano fecere locum; sed maior in unam orbis abit Asiam. nam cum communiter istae effundant Zephyrum, Boreae latus illa sinistrum contingens dextrumque Noti discedit in ortus Eurum sola tenens.
Gegen die landläufig vertretene Ansicht, daß Afrika neben Europa und Asien als eigenständiger dritter Kontinent anzusehen sei, spricht sich Lucan dafür aus, Afrika zu Europa zu rechnen. Er begründet seinen Vorschlag durch eine Überlegung zur Entstehung der vier Hauptwinde: Asien bringe den Eurus ganz, Boreas und Notus je zur Hälfte hervor. Von den beiden gegenüberliegenden westlichen Kontinenten, die durch das Mittelmeer in zwei gleichgroße Landmassen getrennt werden, steuere Europa eine Hälfte zum Boreas, Afrika eine Hälfte zum Notus bei. Außerdem seien sie gemeinsam für den Zephyr verantwortlich. Lucan verdeutlicht durch diese Ausführungen über die Windverteilung die Größenverhältnisse der Kontinente. Asien bedeckt die Hälfte der Oberfläche der Erde, Europa und Afrika nehmen je ein Viertel ein. Daher sei es falsch, Afrika als tertia pars rerum (411) anzusehen; das von Mittelmeer, Nil und Ozean umschlossene Gebiet müsse zu Europa gerechnet werden.1 1
Vgl. 9,412–413: at si ventos caelumque sequaris, / pars erit Europae. Wenn einem nur daran gelegen ist, Asien einen gleichgroßen westlichen Kontinent entgegenzustellen, könnte man genausogut Europa zu Afrika rechnen, doch kann diese Lösung wegen der Bedeutung Europas nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden.
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Drei Studien zu Lucan
Aus heutiger Sicht mutet Lucans Argumentation wie ein sophistisches Spiel mit der Doppelbedeutung von tertia pars rerum („ein Drittel der Welt“; „der dritte Kontinent“) an. Lucan zeigt, daß Afrika nur ein Viertel der Welt bedeckt, und tut so, als ob er damit schon bewiesen hätte, daß es nicht als Kontinent gelten könne. Doch ist ein Betrug des Lesers gewiß nicht beabsichtigt.2 Mit einem ähnlichen Argument, wenn auch von anderen geographischen Vorstellungen ausgehend, kritisiert z.B. auch Herodot (4,42) die Dreizahl der Kontinente; er nimmt Anstoß daran, daß Europa, Asien und Afrika gleichermaßen als Kontinente bezeichnet werden, obwohl sie unterschiedlich groß sind. Für antikes Empfinden ist offenbar eine Kontinentverteilung nur dann zufriedenstellend, wenn sie die Welt harmonisch und in paritätische Größenverhältnisse gliedert. Für Lucan und seine Leser und Leserinnen war es daher wohl eine akzeptable Widerlegung der These von der Dreizahl der Kontinente, zu zeigen, daß sich vier Winde bzw. Himmelsrichtungen nicht zu gleichen Teilen auf drei Kontinente verteilen lassen. Vier läßt sich nur durch zwei, nicht durch drei teilen. Es stellt sich die Frage, wodurch Lucan dieses stark schematisierte, nach geometrischen Prinzipien geordnete Weltbild, auf das sich seine Argumentation bezieht, vermittelt wurde. Die Glosule super Lucanum3 (zu 413) führen zur Erklärung dieser Stelle folgende Karte an:
2 3
Vgl. Glosule super Lucanum zu 413: „Sed quare dixit Libiam potius esse partem Europe quam Europam Libie, sic solvitur: pro dignitate Rome que est in Europa“. Vgl. auch den Kommentar zu 411. Die Glossen sind im 12. Jh. von einem nahezu unbekannten, in Orléans lehrenden Magister Arnulfus für die Bedürfnisse der Schule verfaßt worden. Sie beruhen auf spätantiken und mittelalterlichen Autoren und besitzen für die Kenntnis der Antike keinen unabhängigen Quellenwert; vgl. dazu M ARTI 1958, XVLXXVI.
Lucan. 9,411–420 und die TO-Karte
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Es handelt sich dabei um eine sogenannte TO-Karte. Ein in einen Kreis bzw. O eingeschriebenes T, bestehend aus Tanais, Nil und dem Mittelmeer, unterteilt die Welt in drei Kontinente. Die Übereinstimmungen mit dem Text Lucans liegen auf der Hand. In 411–420 finden sich genau die Elemente, die in der Karte zur Beschreibung der Welt verwendet werden: die vier Winde/Himmelsrichtungen, drei Kontinente, Tanais, Nil, Mittelmeer, die Kontinentscheiden und der Ozean. Nach der Karte ergeben sich ferner dieselben Größenverhältnisse für die Kontinente wie aus der Beschreibung Lucans. Tanais und Nil werden in beiden Quellen übereinstimmend in starker Vereinfachung als gleichweit von Gades entfernt dargestellt; Asien nimmt also die östliche Hälfte der Welt ein, Europa und Afrika bilden zu gleichen Teilen die westliche. Demnach läßt sich die Entstehung von Lucan. 9,411–420 vorläufig in etwa folgendermaßen rekonstruieren: Vor die Aufgabe gestellt, seinen Lesern die geographisches Lage Afrikas zu beschreiben, hat Lucan auf ein fachwissenschaftliches Handbuch zurückgegriffen und die dort vorgefundene schriftliche, vermutlich durch eine TO-Karte illustrierte Darstellung versifiziert. Gleichzeitig hat er sein Mißfallen an der Asymmetrie der allgemein anerkannten Kontinentaufteilung zum Ausdruck gebracht.
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Drei Studien zu Lucan
Befragt man die gängigen neueren Standardwerke zur Geschichte der Kartographie nach Herkunft und Verbreitung der TO-Karte, erhält man jedoch beinahe einstimmig die Auskunft, daß diese Schemakarte, die bis zum Zeitalter der Entdeckungen in Gebrauch war und in zahlreichen mittelalterlichen Texten belegt ist, der Antike unbekannt gewesen sei.4 Als Schöpfer der TO-Karte sei Isidor von Sevilla anzusehen, weil sie zum ersten Mal in den Kodizes der Origines (zu 14,2,1–3) überliefert sei und alle späteren Belege dieses Kartentyps auf direkten oder indirekten Einfluß der vielfach benutzten Enzyklopädie des gelehrten Kirchenmanns zurückzuführen seien. Als Quelle für die im Mittelalter häufig benutzte Weltbeschreibung der Origines habe Isidor auf Augustin civ. 16,17 und Orosius hist. 1,2,1–10 zurückgegriffen.5 Die genannten Texte seien hier zunächst zitiert: Aug. civ. 16,17: Asiam nunc dico non illam partem quae huius maioris Asiae nunc provincia est, sed eam quae universa Asia nuncupatur, quam quidem in altera duarum, plerique autem in tertia totius orbis posuerunt, ut sint omnes Asia, Europa et Africa; quod non aequali divisione fecerunt. Namque ista, quae Asia nuncupatur, a meridie per orientem usque ad septentrionem pervenit; Europa vero a septentrione usque ad occidentem, atque inde Africa ab occidente usque ad meridiem. Unde videntur orbem dimidium duae tenere, Europa et Africa, alium vero dimidium sola Asia. Sed ideo illae duae partes factae sunt, quia inter utramque ab Oceano ingreditur, quidquid aquarum terras interluit; et hoc mare magnum nobis facit. Quapropter si in duas partes orbem dividas, Orientis et Occidentis, Asia erit in una, in altera vero Europa et Africa.
Oros. hist. 1,2,1–3: Maiores nostri orbem totius terrae, oceani limbo circumseptum, triquadrum statuere eiusque tres partes Asiam, Europam et Africam vocaverunt, quamvis aliqui 4
5
Vgl. VAN DEN BRINCKEN 1986, 812–815 und WOODWARD 1987, 286–302; zustimmend auch BRODERSEN 1995, 76–77. Mit Recht hebt dagegen STEVENS (1980, 271–272) hervor, daß es bereits in der Antike eine mit den Vorsokratikern beginnende Tradition der TO-Schemakarte gegeben hat; Zweifel an der Urheberschaft Isidors meldet auch DILKE (1985, 173–174) an. Unbeachtet geblieben sind die hervorragenden Ausführungen von WOLSKA-CONUS zur Vermittlerrolle, die Orosius und Isidor zwischen römischer und mittelalterlich-christlicher Kartographie gespielt haben (1978, 192–195. 199–202). Vgl. VAN DEN BRINCKEN 1986, 812–815.
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duas hoc est Asiam ac deinde Africam in Europam accipiendam putarint. Asia tribus partibus oceano circumcincta per totam transversi plagam orientis extenditur. haec occasum versus a dextra sui sub axe septentrionis incipientem contingit Europam, a sinistra autem Africam dimittit, sub Aegypto vero et Syria mare nostrum quod Magnum generaliter dicimus habet. (In 4–10 folgt die Beschreibung der beiden anderen Rechtecke Europa und Afrika.)
Isid. orig. 14,2,1–3: Orbis a rotunditate circuli dictus est, quia sicut rota est; unde brevis etiam rotella orbiculus appellatur. Undique enim Oceanus circumfluens eius in circulo ambit fines. Divisus est autem trifarie: e quibus una pars Asia, altera Europa, tertia Africa nuncupatur. Quas tres partes orbis veteres non aequaliter diviserunt. Nam Asia e meridie per orientem usque ad septentrionem pervenit; Europa vero a septentrione usque ad occidentem; atque inde Africa ab occidente usque ad meridiem. Unde evidenter orbem dimidium duae tenent, Europa et Africa, alium vero dimidium sola Asia; sed ideo istae duae partes factae sunt, quia inter utramque ab Oceano mare Magnum ingreditur, quod eas intersecat. Quapropter si in duas partes orientis et occidentis orbem dividas, Asia erit in una, in altera vero Europa et Africa.
Dazu ist zu bemerken: 1. Orosius und Augustin stimmen mit Lucan darin überein, daß sie Asien als ebenso groß wie Afrika und Europa zusammen darstellen. Offenbar geht Lucans Beschreibung auf kanonisiertes Handbuch- oder Schulwissen zurück, das unverändert bis in die Spätantike hinein tradiert wurde. 2. Das in den Texten vorliegende, nach geometrischen Prinzipien vereinfachte Weltbild ist schwerlich denkbar, ohne daß ihm eine kartographische Darstellung zugrunde läge. Lucans, Augustins und Orosius’ „Weltbeschreibungen“ sind also schriftliche Wiedergaben von Karten. 3. Die Vermutung, daß Lucan aufgrund der Ungleichmäßigkeit der Kontinentgrößen nur von zwei Kontinenten ausgehen will, wird durch die bei Augustin angedeutete Kritik an der Aufteilung (non aequali divisione) bestätigt. Obwohl die Dreizahl der Kontinente allgemein anerkannt war, empfand man offenbar stets ein gewisses Mißvergnügen an der Asymmetrie der Aufteilung. 4. Um die Art der schematischen Karte zu erschließen, auf die die zitierten Texte zurückgehen, sind Lucan und Augustin unergiebig. Sie machen keine Angaben zur Gestalt der Kontinente und der des sie umschließenden Ozeans. Allein Orosius hilft hier weiter. Er beschreibt die Welt als orbis triquadrus. Die drei Kontinente stellt er sich als Rechtecke vor; Asien ist doppelt so groß wie Europa und Afrika. Drei seiner Seiten sind vom Ozean umgeben (tribus partibus oceano circumcincta), mit seiner Westseite stößt es im Norden an Europa, im Süden an Afrika. 5. Isidor
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Drei Studien zu Lucan
übernimmt dieses rechteckige Schema nicht; er beschreibt die Kontinente als Segmente eines Kreises. Die Abweichung dürfte seinem besonderen Interesse an Etymologien zuzuschreiben sein. Wie er zu Beginn seiner Ausführungen deutlich macht, muß orbis für ihn aufgrund der Etymologie immer etwas Rundes bezeichnen (orig. 14,2,1: orbis a rotunditate circuli dictus est). Orosius’ Formulierung orbis triquadrus ist somit anstößig, und aufgrund dieses sprachlichen Einwands bevorzugt er die Darstellung der Welt als Kreis. Als stützendes Argument greift er auf die bekannte traditionelle Vorstellung des Ozeans als eines kreisförmig die Kontinente umfassenden Weltmeers zurück (undique enim Oceanus circumfluens eius in circulo ambit fines). Die von Isidor zur Illustration seines Textes gezeichnete TO-Karte ist also keine Schöpfung ex nihilo, sondern die Modifikation einer antiken Schemakarte. Aus dem Umstand jedoch, daß Isidor die TO-Karte für das Mittelalter als verbindliche Repräsentation der Welt und der drei Kontinente etabliert hat, darf nicht vorschnell ihr Fehlen in der Antike geschlossen werden. Bereits Herodot (4,36,2) erwähnt einen aus der ionischen Naturphilosophie stammenden Kartentyp, in der der als Kreis gezeichnete Ozean die Kontinente Europa und Asien umschließt.6 Nun ist es jedoch äußerst unwahrscheinlich, daß eine direkte Traditionslinie von den Vorsokratikern über Lucan bis in das frühe Mittelalter hinein besteht. Mag auch die vorsokratische Karte wegen ihrer Anschaulichkeit und nicht weiter reduzierbaren Einfachheit niemals außer Gebrauch gekommen 6
Herodot hält eine derartige Schematisierung für lächerlich. Wer Karten zeichnen will, darf topographische Details wie Inseln, Halbinseln, Buchten usw. nicht unberücksichtigt lassen; vgl. 4,36,2–41. Mit den Ioniern, die Herodot hier ohne Namensnennung kritisiert, sind in erster Linie Anaximander und Hekataios gemeint. Anaximander war der erste, der wahrscheinlich unter babylonischem Einfluß eine schematische Rundkarte der Welt entwarf. Der weitgereiste Hekataios hat diese Karte später verbessert und präzisiert und die später übliche, wenn auch immer wieder bestrittene, Dreizahl der Kontinente eingeführt. Vgl. dazu die nach Herodots Angaben vorgenommene Rekonstruktion der Weltkarte des Hekataios von JACOBY (1912, 2702–2707; Abbildung bei DILKE 1985, 56), der zeigt, daß diese Karte ähnlich wie die TO-Karte mathematisch schematisiert war. Der Ozean umschloß als Kreis die Welt, von West nach Ost trennte die Achse Mittelmeer – Schwarzes Meer – Maiotis Europa und Asien, Asien wurde von Europa durch den Phasis, von Afrika durch den Nil geschieden. Zu den kosmologischen und geographischen Vorstellungen von Anaximander und Hekataios und den Anfängen der Kartographie vgl. GISINGER 1924, 546–551; LEITHÄUSER 1958, 27–28; KAHN 1960, 73–118; CLASSEN 1970, 34–35. 47–54; DILKE 1985, 22–24; OLSHAUSEN 1991, 91–95.
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sein, so ist schwerlich anzunehmen, daß sie keinerlei Modifikationen unterzogen wurde, oder auch, daß die Haltung, in der sie tradiert wurde, stets die gleiche geblieben ist. Es ist daher notwendig, in einem zweiten Schritt die Tradition schematischer Weltkarten im Umfeld Lucans einzugrenzen und zu prüfen, ob nicht Spuren eines in seiner Zeit existierenden Streits um die Aufteilung der Kontinente ausfindig zu machen sind. Aufschlußreich wegen seines hohen Reflexionsniveaus ist im Zusammenhang der Geographie Afrikas ein geographischer Exkurs im dritten Buch des Polybios (3,36–38), der der Beschreibung des Herrschaftsgebiets der Karthager vorangestellt ist. Polybios begründet die Notwendigkeit der von pädagogischer Pedanterie nicht freien Digression mit dem Hinweis darauf, daß es nutzlos sei, dem Leser Namen von Ländern, Flüssen oder Städten zu nennen, ohne ihm ein Bezugssystem an die Hand zu geben, mit dessen Hilfe er geographische Details einordnen kann (3,36,1–5. 38,4–5). Dieses Bezugssystem muß so beschaffen sein, daß es auch Menschen von geringer Bildung verständlich ist; es ist die „Einteilung und Ordnung des uns umgebenden Himmels“ (≤ toË peri°xontow ≤mçw dia¤resiw ka‹ tãjiw ), also des durch Sonnenauf- und -untergang, Mittagsstand und Mitternacht markierten Horizontkreises mit den vier Himmelsrichtungen (3,36,6–7). Dieses Raster kann theoretisch auf die ganze Erde (d.h. die Erdkugel) appliziert werden; um es jedoch sinnvoll mit Anschauung füllen zu können, wird es auf die Nordhalbkugel (bzw. deren damals bekannten Teil) angewendet, in die dann die Kontinente Europa, Asien und Afrika und deren Grenzen Tanais, Nil und Mittelmeer eingeschrieben werden (3,37). Durch diese Operationen ist die TO-Karte erreicht; Polybios bleibt jedoch dabei nicht stehen, sondern nimmt eine differenziertere Beschreibung der Kontinente gemäß dem damaligen Kenntnisstand vor; dazu gehört auch eine kritische Abgrenzung gegen Leute, die die nördlichen (Europa; Asien) und südlichen (Afrika; Asien) Kontinentgrenzen bestimmen wollen, obwohl gesicherte Kenntnisse über diese Gebiete nicht vorliegen (3,38,1–3). Dieser Abschnitt zeigt, wie Polybios mit Blick auf seine römische Leserschaft hinter den Stand des geographischen Wissens seiner Zeit zurückgeht und eine Karte der Ökumene / des Imperium Romanum entwirft, die äußerlich den ersten kartographischen Versuchen der Vorsokratiker ähnelt, aber nicht mehr Wissenschaft, sondern ein pädagogisches Konstrukt ist. Die Kugelvorstellung der Welt z.B. ist bekannt, aus praktischen Bedürfnissen jedoch wird von ihr abgesehen. Der Umstand, daß Polybios die Karte nicht als bekannt voraussetzt, sondern die Art und Weise ihrer Konstruktion sorgfältig erläutert und die durchgeführten Ver-
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Drei Studien zu Lucan
kürzungen unter Verweis auf den Zweck der Schematisierung wohl in Hinblick auf die geographische Fachwissenschaft jeweils rechtfertigt, legt die Annahme nahe, daß sie zu diesem Zeitpunkt schwerlich bereits Bestandteil der Allgemeinbildung gewesen sein kann. Bedenkt man, daß Polybios in seinem Geschichtswerk die Absicht verfolgte, zu zeigen, wie die gesamte damals bekannte Welt (pãnta tå gnvrizÒmena m°rh t∞w ofikoum°nhw) unter die Herrschaft der Römer geraten ist (3,1,4), daß er neben politischer Erfahrung und Quellenstudium zu den notwendigen Voraussetzungen einer „pragmatischen“ Geschichtsschreibung rechnet, auch die Schauplätze des Geschehens zu kennen (12,25e), er selbst im dritten Punischen Krieg in dieser Absicht eine Forschungsreise an der Nord- und Westküste Afrikas unternahm (Plin. nat. 5,9) und das verlorene 34. Buch seines Werks ausschließlich der Geographie widmete, steht zu vermuten, daß Polybios es selbst war, der diese eine Vorstufe zur TO-Karte repräsentierende Schemakarte geschaffen hat. Diese oder andere ÖkumeneKarten ähnlichen Typs wurden in Rom über die genuin römische Vorstellung des orbis terrarum rezipiert und bildeten die Grundlage für die nicht-wissenschaftlich-mathematische, allein an einer Abbildung des imperium Romanum interessierte Kartographie der Römer.7 Die Geschichte der schematischen Kartographie der Römer läßt sich aus Mangel an Zeugnissen nur ansatzweise erschließen. Folgendes ist festzuhalten: 1. Die Tradi7
Auf die Bedeutung des Polybios für die römische Kartographie hatte bereits BERGER (1903, 488–525) hingewiesen; vgl. bes. 515: „Das Verfahren wird so [sc. durch den Verzicht auf mathematisch-astronomische Methoden] zu einem wirklichen Rückschritt schlimmster Art und hat böse Früchte gebracht, denn Polybios ist dadurch für die Folgezeit zum Urheber des orbis terrarum geworden, in dessen Vorstellung die Erinnerung an einen ursprünglichen Zusammenhang des Kartenbildes mit einem gewissen Teil der Oberfläche der Erdkugel ganz erloschen war“ und 525: „Die Saat des Polybios ist aufgegangen. […] Der Niedergang war unvermeidlich und brachte im Gefolge der neu gestärkten Periplusarbeit die Radkarten, die Streifenkarten und andere Verirrungen der späten römischen Kartographie.“ Vgl. auch GISINGER 1924, 623–630. 684–685. Eigenartigerweise finden diese Erkenntnisse in der neueren Literatur keinerlei Erwähnung (vgl. z.B. BRODERSEN 1995, 81) und scheinen nahezu vollständig verlorengegangen zu sein. Richtig stellt dagegen WOLSKA-CONUS (1978, 162–164) heraus, daß Polybios als „Erfinder“ des orbis terrarum gelten könne und durch Verzicht auf die sphärische Geographie die Tradition der ionischen Kartographen unter anderen Vorzeichen wieder aufleben läßt. Zur Bedeutung der Vorstellung des orbis terrarum für das Weltbild der Römer vgl. auch VOGT 1960 (=1929); CHRIST 1938, 4–18.
Lucan. 9,411–420 und die TO-Karte
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tion verläuft nicht geschlossen und einsträngig; neben dieser speziell römischen Kartographie existierte weiterhin eine zeitgenössische wissenschaftliche Geographie der Griechen, auf diese oder auch auf ältere Ansätze konnte jederzeit zurückgegriffen werden (vgl. z.B. Cic. Att. 2,6; Varro rust. 1,2,3). 2. Die Karte unterlag einem Prozeß der Vereinfachung und Verselbständigung. Die „barbarische Form der sog. Radkarten“ (GISINGER 1924, 684) des Mittelalters stellt dabei die Endstufe dar; diese „Karten“ orientieren nicht mehr, es sind Symbole der göttlichen Einrichtung und Ordnung der Welt. Das Wissen um die Kugelgestalt der Welt ist verlorengegangen; die „pädagogische Reduktion“ des Polybios ist geographische Wissenschaft (und Theologie) geworden.8 3. Bevor die radikale Simplifizierung der Karte in der Spätantike einsetzte, muß sie zuvor zumindest in einem bestimmten Zweig der Tradition um eine Windrose erweitert worden sein. Die Zeugnisse sind leider nur spärlich, doch deuten darauf ebenso Lucan 9,411–420 wie Ov. met. 1,57–68 und vor allem die ausführliche Weltbeschreibung bei Manilius (4,585–710) hin, deren einleitender Teil hier angeführt sei (4,585–597): nunc age diversis dominantia sidera terris percipe. sed summa est rerum referenda figura. 8
Die Tendenz zur Verselbständigung läßt sich auch bei einem Autor wie Lucan beobachten, der an vielen Stellen unter Beweis stellt, daß er mit der Kugelgestalt wohl vertraut ist, vgl. z.B. 9,528–543. In 4,70–75 fingiert er, daß sich alle Regenwolken der Welt in Gibraltar aufstauen, weil dort die Welt endet: vacat imbribus Arctos / et Notos, in solam Calpen fluit umidus aer. / hic, ubi iam Zephyri fines et summus Olympi / cardo tenet Tethyn, vetitae transcurrere densos / involvere globos, congestumque aeris atri / vix recipit spatium, quod separat aethere terram. In diesem nicht-astronomischen Kontext scheint die Kugelgestalt vollkommen vergessen; offenbar liegt Lucan eine mit Windrose versehene Rundkarte vor, bei der Calpe den äußersten Westen repräsentiert. Vgl. auch 9,876–878: imus in adversos axes, evolvimur orbe, / terga damus ferienda Noto; nunc forsitan ipsa est / sub pedibus iam Roma meis. Die Kugelvorstellung wird unverbunden neben eine die Auffassung der Erde als Scheibe nahelegende Windrose gestellt. Der Südwind muß den Soldaten, die den Äquator überschritten haben, von Norden her in den Rücken blasen, weil die benutzte ÖkumeneKarte das Gebiet jenseits des Äquators nicht mehr erfaßt; dabei hatte sich die wissenschaftliche Meteorologie bereits seit Aristoteles intensiv mit dem Problem der Applikation der Windrose auf die Erdkugel befaßt, vgl. B ÖKER 1958, 2325–2381 (in: SCHMIDT/BÖKER/GUNDEL) und für die Kenntnis dieser Versuche für Lucans Zeit Sen. nat. 5,16–17. Bei Lucan hat man allerdings den Eindruck, daß er beide Vorstellungen absichtlich und wider besseres Wissen miteinander kombiniert, um paradoxe Phänomene schildern zu können.
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quattuor in partes caeli discribitur orbis. nascentem lapsumque diem mediosque calores teque, Helice. totidem venti de partibus isdem erumpunt secumque gerunt per inania bella asper ab axe ruit Boreas, fugit Eurus ab ortu, Auster amat medium solem Zephyrusque profectum. hos inter binae mediis e partibus aurae exspirant similis mutato nomine flatus. ipsa natat tellus pelagi lustrata corona cingentis medium liquidis amplexibus orbem.
Die Beschreibung setzt eine Ökumene-/Orbis-Karte voraus, bei der der kreisförmig vorgestellte Ozean die bewohnten Landmassen der Nordhalbkugel umfaßt (4,595–596). Ebenso wie bei Polybios wird das Land mit Hilfe der Sonnenstände in Viertel geteilt; diese Gliederung wird jedoch noch zusätzlich gestützt, indem der Karte eine zwölfstrichige Windrose appliziert wird, von der allerdings nur die vier Hauptwinde, die dieselben Himmelsrichtungen wie die Sonnenstände bezeichnen, namhaft gemacht werden. Durch diese Erweiterung verschärft sich ein Problem, das der polybianischen Karte bereits inhärent war, aber aufgrund des Fehlens einer Windrose noch nicht in dieser Deutlichkeit hervortrat. Es treffen zwei unterschiedliche Gliederungsmethoden der Erde aufeinander. Auf der einen Seite stehen das astronomische Schema der Sonnenstände und das mathematische Konstrukt der Windrose, die eine Teilung der Welt in Viertel oder Zwölftel nahelegen, auf der anderen die Kontinenteinteilung mittels physischer Merkmale der Erde wie Meere oder Flüsse, die gemäß der Tradition drei Weltteile ergibt. Manilius umgeht diese Schwierigkeit, indem er bei der Beschreibung der rerum (…) figura (586) zwischen Gliederung des Himmels (587: quattuor in partes caeli discribitur orbis) und Deskription der Erdoberfläche mit den drei Kontinenten trennt (595–710). In dem Moment, in dem man das Nebeneinander der beiden Ordnungsmethoden als unbefriedigend empfindet und sie miteinander harmonisieren möchte, ergibt sich das Problem, daß sich die vier Hauptwinde nicht zu gleichen Teilen den drei Kontinenten zuordnen lassen. Mit den Einleitungsversen des Afrika-Exkurses greift Lucan diese Fragestellung auf und plädiert dafür, das Problem der Kontinenteinteilung mit Hilfe des mathematischen Ordnungsprinzips der Windrose zu lösen und nur zwei Kontinente anzunehmen (411–413): tertia pars rerum Libye, si credere famae / cuncta velis; at, si ventos caelumque sequaris, / pars erit Europae. Die physischen Merkmale der Erdoberfläche wie Flüsse und Meere haben dabei nur untergeordnete Funktion. Tanais und Nil werden als Scheiden
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zwischen Europa und Asien anerkannt, weil sie die achsensymmetrische Aufteilung der beiden Kontinente durch Halbierung von Nord- und Südwind bekräftigen. Die Trennfunktion des Mittelmeers, obwohl es doch ein viel bedeutenderer Einschnitt ist als die beiden Flüsse, wird aufgehoben. Zur näheren Klärung der Stelle hat HOUSMAN (im App. zu 413) durch Angabe einer Reihe von parallelen Zeugnissen vorgearbeitet; die Belege sind von ihm jedoch weder hinlänglich erarbeitet worden, noch kann die von ihm angedeutete Lösung befriedigen, die Lucanverse seien nichts als eine späte Wiederaufnahme des alten Streits der Vorsokratiker um die Zahl der Kontinente. Der Gang der Tradition von Polybios bis Lucan legt eher folgende Deutung nahe: 1. Die Dreizahl der Kontinente war seit Hekataios kanonisch. Die wissenschaftliche Geographie der Griechen beschäftigte diese Frage nur noch am Rande; im Vordergrund standen durch die Erkenntnis der Kugelgestalt aufgeworfene Probleme, exakte Entfernungsmessungen, mit Hilfe astronomischer Methoden vorgenommene Längen- und Breitenberechnungen sowie die Anpassung der Kartographie an die durch Forschungsreisen gewonnenen Erkenntnisse. 2. Die Frage nach der sinnvollen Kontinenteinteilung wurde erst dann wieder gestellt, als die vereinfachten Ökumene-/Orbis-Karten entwickelt wurden. Polybios verwahrt sich zwar noch dagegen, die Nord- und Südgrenzen der Kontinente bestimmen zu wollen, doch ist er durch sein Verfahren, den Horizontkreis als Umriß der Karte zu wählen, für die später übliche Kreisform verantwortlich. Allein schon die zeichnerische Notwendigkeit, der Karte irgendeine Art von Umrandung zu geben, erzwingt eine Festlegung. Bei einer schematischen Übersichtskarte wird man dafür eine geometrische Form gewählt haben, entweder einen Kreis oder auch das aus Orosius zu erschließende Rechteck. Dies ist der Moment, in dem die Rechtmäßigkeit der üblichen Aufteilung der Kontinente in Asien und die jeweils halb so großen Europa und Afrika zumindest in Zweifel gezogen werden konnte, weil durch die Umgrenzung der Karte der Systemzwang spürbar wurde, auch das Innere nach geometrischen Prinzipien anzuordnen. Eine zusätzlich eingezeichnete vier- oder zwölfteilige Windrose verstärkte noch das Bedürfnis, die Dreizahl der Kontinente zugunsten einer geradzahligen Weltteilung preiszugeben. Die Eigenständigkeit Afrikas wurde aber auch mit anderen Argumenten angefochten, wie ein Passus aus Orosius lehrt (hist. 1,2,83–86): Africam, ut dixi, cum tertiam orbis partem maiores nostri accipiendam descripserint, non spatiorum mensuras, sed divisionum rationes secuti sunt. mare hoc siquidem Magnum, quod ab occasu oceano exoritur, in meridiem magis vergens
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angustiorem inter se et oceanum coartatae Africae limitem facit. unde etiam aliqui, quamvis eam longitudine parem, tamen multo angustiorem intellegentes, inverecundum arbitrati tertiam vocare partem, sed potius in Europam Africam deputantes, secundae portionem appellare maluerunt. praeterea cum multo amplius terrae in Africa ardore solis, quam in Europa rigore frigoris incultum atque incognitum sit – quippe cum omnia paene animantia vel germinantia patientius et tolerabilius ad summum frigoris quam ad summum caloris accedant – ea scilicet causa est, Africam per omnia situ et populis minorem videri, quia et natura sui minus habeat spatii et caeli inclementia plus deserti.
Wie aus dem Abschnitt hervorgeht, gab es eine Gruppe von Geographen, die daran Anstoß nahm, daß die „maiores nostri“ den Größenverhältnissen der Kontinente keine Bedeutung zumaßen, sondern den traditionellen divisionum rationes folgten, d.h. die Funktion des Mittelmeers als Kontinenttrenner anerkannten. Die Behauptung, daß das Mittelmeer sich weiter nach Süden als nach Norden ausbuchtet, setzt voraus, daß eine Karte vorliegt, bei der die nördlichen und südlichen Grenzen der Kontinente durch den Ozean bestimmt waren. Erst in Relation zu den Grenzen kann eine Aussage über die Lage des Mittelmeers gemacht werden. Es ist auch nicht anders denkbar, daß die „Berechnung“ der Kontinentflächen auf Basis einer geschlossenen Karte „mit Augenmaß“ vorgenommen wurde; präzise Methoden der Landvermessung waren prinzipiell natürlich bekannt, können aber bei der tatsächlich herrschenden Unkenntnis über den Umfang der Erdteile nicht angewendet worden sein. Die Kritik an der Eigenständigkeit Afrikas wird gestützt durch den Verweis auf die schwache Besiedlung und die dürftige Flora und Fauna der damals bekannten Teile Afrikas. Auch in dieser Überlegung offenbart sich das Bedürfnis nach einer harmonischen Aufteilung der Kontinente. Lucan. 9,411–420 und Oros. 1,2,41–42 lassen die Umrisse einer Diskussion erahnen, die gleichzeitig mit dem Aufkommen von Schemakarten der Ökumeine / des Imperium Romanum entstanden sein muß. Die Karte, die von Polybios bewußt unter Vernachlässigung der Kugelgestalt der Erde als unvollkommener Notbehelf für eine grobe Orientierung entworfen wurde, verselbständigte sich und wurde für eine maßstabgerechte Abbildung der Größenverhältnisse der Kontinente angesehen. Auf Grundlage dieser Karte entzündete sich sekundär eine pseudowissenschaftliche Diskussion, die die übliche Aufteilung der Kontinente erneut in Frage stellte. Die Qualität der vorgebrachten Argumente fiel dabei weit hinter den Stand zurück, den die Geographie in empirischer Forschung, Mathematik und Astronomie bereits erreicht hatte. Ausschließlich fußend auf dem pädagogischen Konstrukt der Ökumene-Karte sprach man sich
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von verschiedenen Seiten dafür aus, Afrika zu Europa zu schlagen, um eine paritätische Verteilung der Winde, der Kontinentflächen oder des Klimas zu ermöglichen.9
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Die Interpretation, daß es sich bei der aus Lucan. 9,411–420 erschließbaren Diskussion um ein römisches Phänomen handelt, wird gestützt durch die Vorrede zu einer anonym überlieferten Cosmographia des 5. Jahrhunderts (ediert von RIESE in den „Geographi Latini Minores“, p. 71–90). Das Kompilat beruht auf den geographischen Abschnitten der Historia adversus paganos des Orosius und der verlorenen Beschreibung einer Weltkarte durch Iulius Honorius; vgl. dazu RIESE praef. XXVII-XXIX; KUBITSCHEK 1917, 614–628 (614: „[ein Schriftchen], das allerdings so ungefähr den äußersten Tiefstand der uns bekannten Reste antiker Geographie darstellt“). Der einleitende Teil der mehr als wirren Vorrede scheint jedoch eigenständige Informationen zu enthalten (RIESE, p. 71–72): „Lectionum pervigili cura comperimus senatum populumque Romanum totius mundi dominos […], cum quidquid subiacet caelo penetrarent triumphis, omnem terram oceani limbo circumdatam invenisse atque eam ne incognitam posteris reliquissent, subiugato virtute sua orbe totum qua terra protenditur proprio limite significavisse. et ne divinam eorum mentem omnium rerum magistram aliquid praeteriret, quam vicerant, quadripertito caeli cardine investigaverunt et intellectu aetherio totum quod ab oceano cingitur tres partes esse dixerunt, Asiam, Europam et Africam reputantes. sed hinc magnum inter doctos certamen fuit. nam plurimi qui res divinas evidentius agnoverunt, duae tantum partes accipiendas suadent, id est Asiam et Europam tantummodo, Africam vero censent Europae finibus deputandam. Et re vera hoc ita esse evidenti documento monstratur, quia non solum venenorum male altrix terra partem habet spatii, verum etiam et caeli adverso sidere plus destituta. nam qui illam partem tertiam vocaverunt, non ut aequalem inclytis praecellentibus posuerunt, sed situ pessimo […], in extremo positam ab optimis secarunt, non divisionis merito, sed sicut incisa fluctibus invenitur.“ Sofern man diesem kruden Gemenge aus hymnischer Römerverehrung, Vereinnahmung griechischer Kulturleistungen, Alexandertopik, pompöser Rhetorik und Rudimenten geographischen Wissens trauen darf, scheint die nach Orosius referierte Auseinandersetzung um die Eigenständigkeit Afrikas richtig eingeordnet worden zu sein. Die Diskussion ist entstanden durch das Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Gliederungsmuster der Erde, des quadripertitus caeli cardo und der Dreizahl der Kontinente. Dem panegyrisch gestimmten Anonymus bleibt dies allerdings verborgen; es ist eine häßliche Unstimmigkeit, nicht die Leistung eines intellectus aetherius, die Welt gleichzeitig nach den vier Himmelsrichtungen und den drei Kontinenten zu gliedern.
II. Lucans Cato, die Antipoden und das römische Herrscherlob Zur Verbindung von Physik und Ethik im neunten Buch des Bellum civile Im folgenden soll gezeigt werden, daß im neunten Buch Lucans die dort aufgebotene Gelehrsamkeit (Astronomie, Geographie, Kartographie, Ethnologie, Klimatheorie) in enger Verbindung mit den von Cato (9,564–586) und dem epischen Erzähler selbst (9,587–604) entfalteten moralphilosophischen Maximen steht. Ziel dieser Verknüpfung ist es, Cato als unbeirrbar in den Tod gehenden stoischen Weisen und zugleich als kosmischen Triumphator herauszustellen. Bevor Catos Besuch am Orakel des Ammon (9,511–604) behandelt wird, wo in auffälliger Weise eine erlesene astronomische Gelehrsamkeit mit moralphilosophischen Reflexionen verbunden wird, soll ein Blick auf eine Szene des achten Buchs geworfen werden, die offenkundig mit Blick auf die Ammonszene entworfen wurde und dieser präludiert. Sie zeigt den fliehenden und ratlosen Pompeius (8,159–192; hier: 159–167): iam pelago medios Titan demissus ad ignes nec quibus abscondit nec si quibus exerit orbem totus erat. vigiles Pompei pectore curae nunc socias adeunt Romani foederis urbes et varias regum mentes, nunc invia mundi arva super nimios soles Austrumque iacentis. saepe labor maestus curarum odiumque futuri proiecit fessos incerti pectoris aestus, rectoremque ratis de cunctis consulit astris.
Pompeius ist unschlüssig, bei wem er nach der Niederlage von Pharsalos noch Unterstützung finden kann, und zieht es sogar in Betracht, einen Versuch zu unternehmen, die unbewohnbare heiße Zone zu überschreiten, um sich dort in Sicherheit zu bringen. Er ist jedoch nicht in der Lage, eine Entscheidung zu fällen, und wendet sich an seinen Steuermann mit der Bitte, ihn über Navigation zu unterrichten. Der Seemann antwortet (8,172–176): siginifero quaecumque fluunt labentia caelo, numquam stante polo miseros fallentia nautas, sidera non sequimur; sed, qui non mergitur undis
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axis inocciduus gemina clarissimus Arcto, ille regit puppes.
Der Polarstern, der für einen Betrachter auf der nördlichen Hemisphäre niemals untergeht, ist der Fixpunkt, der den Seeleuten die Orientierung erlaubt; alle Sterne, die untergehen, sind trügerisch. Dem unentschlossenen Pompeius (186: dubio […] pectore) nützt diese Auskunft nichts. Er befiehlt dem Steuermann nur, Italien und Thessalien möglichst weit hinter sich zu lassen, und flüchtet sich ins Private. Er hat seine Gattin dabei, so daß es keine Rolle spielt, wo er schließlich an Land gehen wird (8,190–192). An dieser Stelle werden eine Reihe von Motiven (Antipoden; Pompeius’ Ratlosigkeit; Idee, in die südliche Hemisphäre vorzudringen; Orientierung an den Sternen) eingeführt, die offenkundig aufeinander bezogen sind, ohne daß man jedoch unmittelbar angeben könnte, worin dieser Zusammenhang besteht. Die hier eingeführten Themen und Probleme werden jedoch sämtlich im neunten Buch aufgegriffen und in einen systematischen Zusammenhang gestellt. Mit Blick auf das folgende sei vor allem dies festgehalten, daß Pompeius trotz der Existenz von Fixpunkten am Himmel nicht in der Lage ist, irgendeine Entscheidung zu treffen. Abgesehen von der Sorge um seine Frau fehlt ihm jede Art von handlungsleitendem Prinzip oder dergleichen. Weit ausführlicher werden Astronomie und Ethik in der Ammonszene des neunten Buchs miteinander verbunden. Cato stößt mit seinem Heer auf das Orakel des Ammon; Labienus bittet ihn, das Orakel zu befragen (9,544–563); Cato lehnt es ab, unterrichtet ihn über stoische Moralphilosophie (9,564–586) und übertrifft damit Alexander, der sich nach seinem Besuch beim Ammon vermutlich als Sohn dieses von Lucan in ein höchst zweifelhaftes Licht getauchten Gottes ansah.1 Diese herkömmliche Deutung ist richtig, jedoch ist der Lehrvortrag über Ethik, den Cato hält, nicht bloß die Zurückweisung eines törichten Fragestellers, sondern aufgrund eines tieferen Begründungszusammenhangs notwendig. Lucan schildert das Orakel des Ammon als einen Ort der kosmischen Unordnung, der keinerlei Art von Orientierung erlaubt. In der Hinführung zur Szene heißt es (9,493–495): iamque iter omne latet nec sunt discrimina terrae (…) sideribus novere viam. Am Ammon selbst sind nicht nur die discrimina terrae nicht mehr erkennbar, Lucan eliminiert, offenkundig systematisch vorge-
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Vgl. LAUFFER 1993, 88–91.
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hend, auch die „discrimina caeli“. Der erste Orientierungspunkt, der entfällt, ist die Sonne (9,528–532): hic quoque nil obstat Phoebo, cum cardine summo stat librata dies; truncum vix protegit arbor, tam brevis in medium radiis compellitur umbra. deprensum est hunc esse locum qua circulus alti solstitii medium signorum percutit orbem.2
Fällt die Sonne auf dem nördlichen Wendekreis senkrecht ein, erfolgt kein Schattenfall. Daß dies eigentlich nur zur Mittagszeit am Tag der Sommersonnenwende der Fall ist, weiß auch Lucan. Er scheint mir hier nicht einen einzelnen Moment, sondern einen Zustand beschreiben zu wollen. Die Sonne steht immer senkrecht im Zenit, es gibt keinen Schattenfall, die Sonnenuhren können dort nicht justiert werden, vielleicht geht die Sonne dort noch nicht einmal auf oder unter, so daß auch die Himmelsrichtungen nicht mehr bestimmbar sind.3 Mit der Apostrophe an das unbekannte Volk, das am Äquator lebt (9,538), leitet Lucan die Beseitigung der Sterne als Fixpunkte der menschlichen Orientierung ein (533–543). Der von Pompeius befragte Seemann hatte ja bereits alle Sterne außer den zirkumpolaren als zur Navigation untauglich ausgeschlossen; da sich ein Beobachter am Äquator parallel zur Himmelsachse befindet, gehen für ihn gar sämtliche Sterne auf und unter (540–543): te segnis Cynosura subit, tu sicca profundo mergi Plaustra putas, nullumque in vertice semper sidus habes immune mari; procul axis uterque est, et fuga signorum medio rapit omnia caelo.4
2 3
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Zur Realienerklärung vgl. HOUSMAN und meinen eigenen Kommentar. Vgl. auch 5,24–5: vel plaga qua torrens claususque vaporibus axis / nec patitur noctes nec iniquos crescere soles. D.h. Lucan behauptet für die Tropen – unzutreffenderweise – eine ständige Gleichheit von Tag und Nacht. Dies ist bereits von ABEL (1974, 1110) festgestellt worden. Wenn man eine Gegend als andersartig beschreiben will, kann man dies zwar durch Erwähnung gelegentlich beobachtbarer Phänomene tun, doch das Bestreben muß es sein, sie als wesenhaft und damit auch dauerhaft anders zu beschreiben. Im Gegensatz zu der Behauptung, daß in den Tropen ständige Tag- und Nachtgleiche herrsche, ist die Behauptung, am Ammon falle niemals Schatten, weit kühner und „unrichtiger“, doch muß dies intendiert sein. Zur Klärung der Realien vgl. den astronomischen Appendix der Edition HOUSMANs.
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Lucans kunstvolle Bewältigung dieses spröden Stoffes, wie er sie besonders in der folgenden Beschreibung der zwölf Tierkreiszeichen in nur fünf Versen unter Beweis stellt, ist nicht nur ein Zurschaustellen poetischer Fähigkeiten und astronomischer Gelehrsamkeit, sondern verkündet die Lehre: Alles ist relativ oder gar trügerisch,5 das einzig Absolute sind die im Anschluß formulierten Forderungen der stoischen Ethik, von denen die beiden wichtigsten Catos Rede umrahmen: 1. Besser im Kampf frei sterben als sich einem Tyrannen zu unterwerfen (566–567). 2. Das einzig Sichere im Leben eines Menschen ist der Tod (582–584: me non oracula certum / sed mors certa facit. Pavido fortique cadendum est: / hoc satis est dixisse Iovem). Wenn auch der Feige irgendwann sterben muß und ihm der Weg zu ei5
Das Motiv der vollständigen astronomischen Verunsicherung wird innerhalb des Perseus-Exkurses abgeschlossen, indem auch der Mond als Wegweiser beseitigt wird (9,692–695): nec terra celsior ulla / nox cadit in caelum lunaeque meatibus obstat, / si flexus oblita vagi per recta cucurrit / signa nec in Borean aut in Noton effugit umbram. Es ist das Pendant zum fehlenden Schattenwurf bei senkrecht stehender Sonne. Scheint des Nachts die Sonne senkrecht auf die gegenüberliegende Seite des Äquators, fällt der Schlagschatten der Erde senkrecht in den Himmel und verdeckt dabei den Mond. Gemeint ist wieder ein Dauerzustand: In Afrika herrscht eine ständige Mondfinsternis. HOUSMAN und RASCHLE (jeweils zur Stelle) verkennen dies. Die Interpretation als Dauerzustand sei durch einen modernen Vergleich gestützt. Stünde in einem modernen Reiseführer über Göttingen, daß nach Auskunft der Sternwarte alle 17 Jahre und 232 Tage eine Mondfinsternis in Göttingen zu beobachten sei, wäre dies eine einfach nur futile Auskunft. Nach dem Prinzip „Mann beißt Hund“ ist nur eine ständige Mondfinsternis eine beachtenswerte Nachricht. Heutzutage würden die Touristen aus aller Herren Länder zusammenströmen, in früheren Zeiten hätte man vermutlich diesen Ort schaudernd gemieden und verödet zurückgelassen. Vgl. auch 9,846–847 (Höhepunkt des Wüstenmarschs): nec, quae mensura viarum / quisve modus, norunt caelo duce. Dieser Aussage voran geht eine summarische Darstellung der Bedrohung durch Schlangen, nach der eingeschobenen Rede (848–880) wird ihnen jedoch ausdrücklich dura patientia (9,880) zugestanden. Wenn sie die Orientierung mit Hilfe der Sterne nicht leisten, dann – so scheint es – finden sie ihren Weg durch reine Pflichterfüllung. Vgl. ferner 9,938–941: hoc igitur tandem levior Romana iuventus / auxilio late squalentibus errat in arvis. / bis positis Phoebe flammis, bis luce recepta / vidit harenivagum surgens fugiensque Catonem. Errat und harenivagus zeigen deutlich, daß Cato nicht aus Erobererbegierde in die südliche Hemisphäre vordringt, sondern dies gleichsam en passant tut. Der Mond scheint zwar, bietet jedoch keine Orientierungshilfe. Dieser Passus spricht meines Erachtens nicht gegen die Interpretation als ständiger Mondfinsternis. Das Scheinen des Mondes wird erst auf dem Rückweg erwähnt, es beschreibt lediglich die Dauer des Marsches.
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nem ewigen Leben verschlossen ist und ferner die zeitliche Ausdehnung der Tugend des Weisen keine Bedeutung hat (9,568), dann gibt es keinen Grund, sich dem von der Pflicht gebotenen Kampf zu entziehen. Im Kommentar, den der epische Dichter anfügt, bestätigt er, daß Cato diese ethischen Forderungen erfüllt hat (9,587–593). In einem Exkurs zur stoischen Güterlehre stellt er ferner den Wüstenmarsch Catos über die Triumphe des Marius und des Pompeius (9,593–600): si veris magna paratur fama bonis6 et si successu nuda remoto inspicitur virtus, quidquid laudamus in ullo maiorum, Fortuna fuit. quis Marte secundo, quis tantum meruit populorum sanguine nomen? hunc ego per Syrtes Libyaeque extrema triumphum ducere maluerim, quam ter Capitolia curru scandere Pompei, quam frangere colla Iugurthae.
Oberflächlich wertet Lucan / der epische Sprecher vom Standpunkt der stoischen Gesinnungsethik Catos Pflichterfüllung bis in den Tod zur bedeutendsten historischen Leistung Roms auf. Was bisher übersehen wurde, ist der Umstand, daß mit per Syrtes Libyaeque extrema nicht nur ein guter Wille, sondern auch eine von Cato tatsächlich erbrachte Leistung angedeutet wird, die alles in den Schatten stellt, was antike Feldherren oder Herrscher vollbracht haben bzw. die Panegyrik ihnen zugeschrieben hat. Auf dem Höhepunkt des Wüstenmarschs (9,839–891) führt Lucan hier die bisher nur locker verbundenen naturwissenschaftlichen und moralphilosophischen Passagen zusammen. In der Erfüllung stoischer Pflichten hat Cato die Grenzen der antiken Welt durchbrochen und wahrhaft weltweiten Ruhm erworben (Klagen einiger Soldaten aus Catos Heer; 9,871–880): patriae non arva requiro Europamque alios soles Asiamque videntem: qua te parte poli, qua te tellure reliqui, Africa? Cyrenis etiamnunc bruma rigebat: exiguane via legem convertimus anni? imus in adversos axes, evolvimur orbe, terga damus ferienda Noto; nunc forsitan ipsa est 6
RASCHLE (im Kommentar z.St.) versteht veris […] bonis als Dativ, doch kann dies kaum akzeptiert werden. Veris […] bonis sind vielmehr das Stichwort, das den Leser darauf vorbereiten soll, daß ein Exkurs über stoische Güterlehre folgt (bedeutende Triumphe – fälschlich für bedeutend angesehene Triumphe).
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sub pedibus iam Roma meis. solacia fati haec petimus: veniant hostes, Caesarque sequatur qua fugimus.
C H .R. RASCHLE deutet diese Verse in seinem jüngst erschienenen Kommentar als eine rhetorische Übertreibung, der schon allein deshalb, weil sie aus dem Munde eines unkundigen Soldat stammt, keine tiefere Bedeutung zukommen könne. Lucan ergötze sich daran, an dieser Stelle einige bizarre Motive zur Schau zu stellen.7 Mir scheint das Gegenteil der Fall zu sein. 7
Zu 875: exiguane via legem convertimus annni? bemerkt RASCHLE: „Allein diese kleine Wendung, die im Gegensatz zu der entwickelten Theorie steht, daß sich die Soldaten schon auf der südlichen Erdhalbkugel befinden, entlarvt die rhetorische Übersteigerung der Klagen. Der Marsch dauerte wahrscheinlich 27 […], bzw. dreißig Tage, maximal aber zwei Monate […].“ Zu 877: terga damus ferienda Noto fügt er der zutreffenden Erklärung, daß diese Wendung besage, die Soldaten hätten den Äquator überschritten und damit das vom System der antiken Windrose erfaßte Gebiet über den Notus hinaus verlassen, so daß ihnen nichts weiter übrig bleibe, als vorläufig alle Winde als Notus zu bezeichnen, hinzu: „In Tat und Wahrheit dürften Catos Soldaten aber schon wieder nach Norden unterwegs sein. Lucan illustriert damit noch einmal nachhaltig die Orientierungslosigkeit der Soldaten und legt den Grundstein für die nächste Behauptung, daß sie sich bei den Antipoden befinden.“ Mir scheint, daß sich RASCHLE hier von der Rhetorik Lucans täuschen läßt. Nimmt man einmal an, Lucan wolle tatsächlich behaupten, Cato habe die heiße Zone überwunden und sei in die südliche Hemisphäre eingedrungen, so treten erhebliche erzählerische Schwierigkeiten auf. Es handelt sich um eine so krasse Abweichung von der historischen Realität und dem, was man wissenschaftlich für möglich hielt, daß der epische Erzähler dies nicht selbst konstatieren kann, ohne unglaubwürdig zu werden. Eine derartige Behauptung muß dem Leser in abgeschwächter Form mehr unterschwellig insinuiert als mit epischem Pathos verkündet werden. Indem der Sprecher selbst an dem, was er feststellt, zweifelt, wird es gerade wahrscheinlich gemacht. Exigua via deute ich als eine Vorwegnahme eines Einwandes. Wer aus Livius weiß, daß der Marsch wahrscheinlich nur einen Monat gedauert hat, kann damit nicht mehr gegen Lucan argumentieren. Was die Rede der Soldaten (9,848–880) insgesamt anbetrifft, ist RASCHLE dagegen zuzustimmen, wenn er eine allgemeine Orientierungslosigkeit feststellt und die Rede als eine Wiedergabe von verschiedenen Sprechern, die jeweils disparate Ansichten äußern, ansieht. 848–858: Der erste Sprecher glaubt sich nördlich der heißen Zone; er will dorthin marschieren, um lieber am Klima zugrunde zu gehen als an den Schlangen. An Afrika selbst richtet er keinen Vorwurf. Die Schlangen seien dort so zahlreich, damit sie eben nicht an anderen Orten sind, und der Mensch so vor ihnen geschützt ist (Ad-hoc-Argument aus stoischer Tradition, das angesichts des Schlangenreichtums Afrikas die These von der auf den Menschen abgestimmten, sinnreichen Natur aufrechterhalten will;
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Erst aus den Worten des Soldaten ergibt sich die Funktion der im gesamten neunten Buch ausführlich dargelegten naturwissenschaftlichen Gelehrsamkeit. Eine Zusammenstellung der Motive, vor allem jedoch der Vergleich mit der literarischen Tradition werden dies belegen. (1.) Zu 874–875: Cyrenis etiamnunc bruma rigebat: / exiguane via legem convertimus anni?: Der Soldat ist so verblüfft, daß er das Eindringen in die südliche Hemisphäre, einen Bereich, in dem sich die Jahreszeiten reziprok zu denen der Nordhalbkugel verhalten, nur in eine erstaunte Frage kleiden kann; doch daß dies tatsächlich der Fall ist, ergibt sich aus (9,374–377) hoc (sc. die Wüstendurchquerung) eadem suadebat hiems quae clauserat aequor; / et spes imber erat nimios metuentibus ignes, / ut neque sole viam nec duro frigore saevam / inde polo Libyes, hinc bruma temperet annus sowie (9,948–949) proxima Leptis erat, cuius statione quieta / exegere hiemem nimbis flammisque carentem. Mit vgl. die Belege bei RASCHLE). Die darauffolgenden Sprecher (Wechsel in den Plural) fordern einen unbekannten Gott auf, von ihnen Strafen zu fordern, da sie in sein von Schlangen verseuchtes Gebiet eingedrungen seien, obwohl er es doch durch Syrten im Norden und die heiße Zone im Süden geschützt hat. Er wähnt, sie pochten an die claustra mundi (9,865). Er vermutet (9,865: forsan), sollten sie diese claustra durchbrechen, würden sie in ein Gebiet kommen, in dem (gemäß des mythologischen Weltbilds) Himmel und Erde zusammenstoßen. Der Gedanke wird jedoch wieder verworfen (9,867–869: sed longius istac / nulla iacet tellus, quam fama cognita nobis / tristia regna Iubae; dazu RASCHLE: „Obwohl Lucan in der Rede der Soldaten Mythen und Realien miteinander vermischt, gibt er die Marschrichtung nach Südwesten […] korrekt an. […] Um dennoch der Orientierungslosigkeit der Soldaten gerecht zu werden, scheint für Lucan selbst dieses für die republikanischen Truppen als Bündnispartner wichtige Gebiet im Nebel der fama, dem ‚Hörensagen’, zu verschwinden.“). Schließlich folgt der bereits behandelte Abschnitt 9,871–880. Die von RASCHLE konstatierte Orientierungslosigkeit, die in dieser schwierig eindeutig zu gliedernden und zu interpretierenden Rede zum Ausdruck kommt, liegt in der Tat vor, nur ist dies nicht einfach Prosopoiie, sondern die Hilflosigkeit derjenigen, die die südliche Hemisphäre erreicht haben und vergeblich versuchen, dieses unbekannte und völlig neue Gebiet mit verschiedenen überkommenen Vorstellungen, die jedoch sämtlich unzureichend sind, zu deuten. Die zutreffende und die Meinung des Autors wiedergebende Interpretation der Lage wird vom letzten Sprecher gegeben, der schon dadurch, daß sie an den Schluß gerückt ist, besonderes Gewicht zugemessen ist. In kurzen Kola und einfacher Sprache äußert dieser einige Beobachtungen, die in der naivplumpen Feststellung münden (9,877–878): nunc forsitan ipsa est / sub pedibus iam Roma meis. Gerade dadurch, daß der Sprecher an seiner eigenen Aussage zweifelt und völlig unverdächtig ist, gelehrte Theorien oder ideologische Konstrukte zu äußern, werden seine Worte beglaubigt.
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erheblichem erzählerischem Aufwand schildert Lucan zu Beginn und am Ende des Wüstenmarschs die Jahreszeit. Wenn man sich nicht damit begnügen will, dies als poetisch-gelehrte Periphrase für bei Livius befindliche Zeitangaben aufzufassen, so kann es nicht anders als als eine gezielte Steuerung des Lesers aufgefaßt werden, der die unerträgliche Hitze Afrikas als einen Wechsel der Jahreszeit ansehen soll. Ohne daß die Jahreszeit bei Beginn des Marsches beschrieben worden wäre, könnte der Soldat nicht darauf zurückverweisen. Der Motivreihe ist noch hinzuzufügen (9,436–437; Afrika-Exkurs) natura deside torpet / orbis et immotis annum non sentit harenis. Offenbar ist Lucan hier bestrebt, gemäß der Lehre von den fünf Zonen die unbewohnbare heiße Zone zu schildern, die von Cato erst durchquert werden muß, bevor er auf der Südhalbkugel den Wechsel der Jahreszeiten erlebt. (2.) Zu 9,876–877: imus in adversos axes, evolvimur orbe, / terga damus ferienda Noto:8 Vorbereitet ist diese Äußerung durch die Beschreibung und Reflexion des antiken Weltbilds / der antiken Weltkarte in 9,411–420. Um die Durchbrechung der Grenzen der antiken Welt wirksam beschreiben zu können, ist es aus erzähltechnischen Gründen ratsam, diese Grenzen erst einmal zu schildern und als allgemein anerkannt und unüberwindbar hinzustellen. Die Reflexion über die Entstehung der Winde auf den drei bzw. zwei Kontinenten (417–420) macht die Wendung terga damus ferienda Noto erst verständlich. Wer den Ozean befährt und die Welt für eine Scheibe hält, muß befürchten, irgendwann herunterzufallen. Wer dem Schematismus der TO-Karte folgt, fällt aus dem System der Windrose heraus. Es ist dasselbe Motiv, nur jeweils anders gefaßt. Was Kolumbus geleistet, hat Cato bereits über 1500 Jahre früher erreicht. (3.) Zu 9,877–878: nunc forsitan ipsa est / sub pedibus iam Roma meis: Die Aussage, daß Cato und seine Soldaten selbst Antipoden geworden sind, kann nur durch forsitan abgeschwächt formuliert werden. Doch daß Lucan ebendies behaupten will, ergibt sich aus der eingangs behandelten Passage aus dem achten Buch und der nochmaligen Erwähnung der Antipoden/Bewohner des Äquators in der Ammonszene. Was Pompeius unschlüssig erwog, hat Cato tatkräftig realisiert. Die Mutmaßung des Soldaten, bei den Antipoden
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Zur Erklärung der sachlichen Bedeutung vgl. RASCHLE z.St. Wie lange das System der antiken Windrose dominierend war, zeigt die Benennung des Kontinents Australien. Die Australier werden sicher rasch davon abgegangen sein, alle Winde auf ihrem Kontinent Auster zu nennen.
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zu sein, ist der von Lucan mit langer Hand vorbereitete Höhepunkt des Wüstenmarsches.9 Daß diese Stelle bisher verkannt wurde, ist vermutlich darauf zurückzuführen, daß Lucan trotz dieses äußeren Erfolges nicht vom stoischen Wertesystem abgeht. Der Soldat selbst gesteht ein, auf der Flucht zu sein (9,878–880). Im summarischen Abschnitt, der folgt, werden lucanischstoische Tugenden demonstriert, d.h. es wird vor allem tapfer gestorben (9,880–889): sic dura suos patientia questus exonerat. cogit tantos tolerare labores summa ducis virtus, qui nuda fusus harena excubat atque omni Fortunam provocat hora. omnibus unus adest fatis; quocumque vocatus advolat atque ingens meritum maiusque salute contulit, in letum vires; puduitque gementem illo teste mori. quod ius habuisset in ipsum ulla lues? casus alieno in pectore vincit spectatorque docet magnos nil posse dolores.
Die Soldaten beweisen dura patientia; Cato ist unermüdlich dabei, die Fortuna herauszufordern: excubat atque omni Fortunam provocat hora. Erschöpft ist sie gezwungen einzulenken (9,890–891): vix miseris serum tanto lassata periclo / auxilium Fortuna dedit. Sie sendet die zaubermächtigen Psylli, mit deren Hilfe die Schlangen überwunden werden. Der Zweikampf zwischen Cato und der Fortuna entscheidet sich zugunsten des Feldherrn. Im Zusammenhang mit den Worten des Soldaten scheint mir die Niederlage der Fortuna noch eine tiefere Ursache zu haben. Natur und Geschichte sind im BC dem Menschen feindlich gesonnen, und Lucan läßt vor allem im neunten Buch keine Gelegenheit aus, die unbarmherzigen Mechanismen natürlicher Vorgänge in aller Ausführlichkeit darzulegen. Die Menschen scheitern im Syrtensturm, im Sandsturm und sind den Schlangen hilflos 9
Für die Richtigkeit der Annahme, daß mit Roma sub pedibus das Betreten der südlichen Hemisphäre gemeint ist, spricht auch, daß die Formulierung in diesem Kontext traditionell ist; vgl. Lucr. 3,25–30: at contra nusquam apparent Acherusia templa / nec tellus obstat quin omnia dispiciantur, / sub pedibus quaecumque infra per inane geruntur. / his ibi me rebus quaedam divina voluptas / percipit atque horror quod sic natura tua vi / tam manifesta patens ex omni parte retecta est; Verg. Georg. 1,242–243: hic vertex nobis semper sublimis; at illum / sub pedibus Styx atra videt Manesque profundi; Manil. 1,238–241: austrinis pars est habitabilis oris / sub pedibusque iacet nostris supraque videtur / ipsa sibi fallente solo declivia longa / et pariter surgente via pariterque cadente.
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ausgeliefert. Mit medizinischer Akkuratesse wird ausgeführt, wie sie deformiert werden, sich aufblähen, in Eiter zerfließen oder sonst in irgendeiner abscheulichen Weise zugrunde gehen. Eine Rettung gibt es nicht. Das einzige, was man tun kann, ist, alle Kräfte aufzubieten, die Leiden zu ertragen und zu hoffen, bis zu dem Zeitpunkt am Leben zu bleiben, wo der Natur/Fortuna selbst die Kräfte ausgehen.10 Dieser Zeitpunkt wird von Lucan mit dem Überschreiten des Äquators synchronisiert. Cato hat der Natur und den Gesetzen der bekannten Welt widerstanden – einer, wie das gesamte BC zeigt, gefährlichen Bedrohung –, er hat die heiße Zone, in der es keine Jahreszeiten gibt und keine Orientierung an den Sternen möglich ist – ein Raum ohne Naturgesetz, d.h. eine noch gefährlichere Bedrohung11 –, überschritten, er hat die südliche Hemisphäre betreten – eine Gegend, in der alle Naturgesetze ins Gegenteil verkehrt sind, d.h. die größte überhaupt denkbare Bedrohung (daß er gemäß der Klimatheorie dort wieder in eine gemäßigte Zone eingetreten sein müßte, fügt sich nicht in den Duktus der Argumentation und wird unterdrückt; der abschließende Wunsch des Soldaten, Caesar soll ihnen folgen, schützt die Verse vor einer Fehlinterpretation: Die Südhalbkugel ist ein so furchtbarer Ort, daß man ihn seinem schlimmsten Feind wünscht12) – und sich auch dort bewährt. Die Natur hat die ganze Erde aufgeboten, ohne Cato in die Knie zwingen zu können. Ihr Repertoire ist erschöpft; sie muß die Niederlage anerkennen. Bevor der literarische Hintergrund entfaltet wird, sei als Überleitung noch auf zwei Passagen des zehnten Buchs verwiesen. In einer Passage über Alexander heißt es (1.) in 10,36–42: 10 Vgl. die Einleitungsworte aus Catos Feldherrenrede (9,379–381): o quibus una salus placuit mea castra secutis / indomita cervice mori, componite mentes / ad magnum virtutis opus summosque labores. 11 Zum Motiv der Bedrohung durch Fehlen oder Ambivalenz von Gesetzen vgl. 9,306–307 (Syrtenexkurs): nec se defendit ab aequore tellus, / ambigua sed lege loci iacet invia sedes. 12 Zugleich wird hier das Schlußwort aus Catos Feldherrenrede vor dem Betreten der Wüste aufgenommen (9,405–406: sola potest Libye turba praestare malorum / ut deceat fugisse viros). Durch die Überwindung der heißen Zone sind die Soldaten von der Schmach von Pharsalos entsühnt. Da ihnen Caesar nicht folgt oder folgen kann, haben sie ihn durch ihre Flucht auch militärisch überwunden. Lucan scheint hier sprichwörtliches Gut aufgenommen zu haben; vgl. z.B. iam victi vicimus (Plautus, Casina 2,8,74); Petron. 59: qui vincitur, vincit; Beispiele bei OTTO, Sprichwörter s.v. vincere.
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Oceano classes inferre parabat exteriore mari. non illi flamma nec undae nec sterilis Libye nec Syrticus obstitit Hammon. isset in occasus mundi devexa secutus amissetque polos Nilumque a fonte bibisset: occurrit suprema dies, naturaque solum hunc potuit finem vaesano ponere regi.
H OUSMAN erklärt zu Vers 39: „tellurem circumnavigando ab oriente usque ad occasum pervenisset.“ Er knüpft also an die in 36–37 vorgestellte Situation an (Fahrt über den Ozean von Indien/Asien aus in Richtung Osten über den „Pazifik“ bis zum Erreichen von Gebieten, die vom Mittelmeerraum aus gesehen im „Westen“ liegen). SCHMIDT (im Kommentar z.St.) hat dagegen die Passage auf die Pläne Alexanders bezogen, nach Eroberung des Ostens auch den Westen zu unterwerfen, und versteht unter exteriore mari den Atlantik. Das Problem braucht hier nicht diskutiert zu werden. In welche Richtung Alexander auch den Globus umrunden will, entscheidend ist, daß er es auf dem Seewege tun will. So kann sich der Einschub 37–38 nicht auf ihn beziehen. LUCK übersetzt: „Weder Hitze noch Meere, weder das dürre Libyen noch die Syrten noch Ammon bildeten ein Hindernis.“ Es muß heißen: „Sie standen ihm gar nicht im Weg“,13 da er ja über den Ozean fahren wollte. Die eingeschobenen Verse beziehen sich auf Catos Wüstenmarsch und schränken Alexanders Leistung ein. Wäre er durch die afrikanische Wüste gezogen, wäre er, so wird insinuiert, gescheitert. Alexander hat dieses Unterfangen ohnehin nicht realisiert, da die Natur ihn vorher hat sterben lassen. Cato ist trotz unvorstellbarer Gefahren nicht in Afrika gestorben; was Alexander nur geplant hat, hat er umgesetzt. Etwas später im zehnten Buch wird von Lucan
13 Es handelt sich um ein konstatierendes Perfekt, nicht um ein historisches (SCHMIDT z.St.: „Das bereits 332/331 durchgeführte Unternehmen […] und sein glücklicher Ausgang dienen dem Dichter dazu, auch die Durchführung der Westpläne wahrscheinlich zu machen.“ Bereits HASKINS hat zu flamma auf 9,949 (exegere hiemem nimbis flammisque carentem) und 9,604 (iam spissior ignis) hingewiesen. Undae greift dagegen den Schluß des Syrtenexkurses auf (9,317–318): nam iam brevis unda superne / innatat et late periturum deficit aequor. Die flachen Syrten sind nur undae, nicht aequor/mare/Oceanus, mithin dem Seefahrer noch weitaus gefährlicher. Die Bezeichnungen für Wasser/Gewässer werden bei Dichtern häufig völlig unterschiedslos gebraucht; es wäre dennoch merkwürdig, wenn die gerade gebrauchten mare und Oceanus durch undae aufgenommen würden.
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formelhaft mit Blick auf die Parther der römische Herrschaftsbereich umrissen (10,48–51): licet usque sub Arcton regnemus Zephyrique domos terrasque premamus flagrantis post terga Noti, cedemus in ortus Arsacidum domino.
Das Motiv des von Norden kommenden, unerträglich heißen Notus wird hier aus dem neunten Buch übernommen. Cato ist es zu verdanken, daß der römische Herrschaftsbereich bis auf die südliche Hemisphäre reicht und selbst die Antipoden von den Römern bedrängt werden.14 Als drittes sei noch ergänzt, daß die Themen „Grenzen der Welt“ oder „Überwindung der Grenzen der Welt“ noch zweimal in unterschiedlichen Zusammenhängen im zehnten Buch angeschnitten werden. Bei der Beschreibung der Begegnung zwischen Kleopatra und Caesar wird wiederholt auf die zu Zwecken des Tafelluxus oder sonstigem Gepränge durchgeführte Ausplünderung der ganzen Welt in unersättlicher Gier durch die ägyptische Königin hingewiesen (10,136–138. 155–158. 169–171). Bei der Diskussion um die Herkunft des Nils wird das Scheitern aller bisher unternommenen Versuche, zur Quelle vorzustoßen, festgehalten (10,268–282). Die von Alexander ausgesandte Expedition mußte in der heißen Zone kehrtmachen, Sesostris gelang es nicht, in den äußersten Westen vorzudringen, Kambyses nicht, in den äußersten Osten vorzudringen, und er wurde zudem aus Mangel an Lebensmitteln zum Kannibalen. Allen, auch dem lediglich nach dem Nil fragenden Caesar, wird eine noscendi cupido zugeschrieben, eine Form der Unbeherrschtheit, die weit entfernt ist von Catos Zug aus reiner Pflicht. Zur Erhellung der literarischen Tradition sei hier zuerst auf den Augustus betreffenden Abschnitt der Anchises-Prophezeiung aus dem sechsten Buch der Aeneis verwiesen (6,791–800): hic vir, hic est, tibi quem promitti saepius audis, Augustus Caesar, divi genus, aurea condet saecula qui rursus Latio regnata per arva Saturno quondam, super et Garamantas et Indos proferet imperium; iacet extra sidera tellus, extra anni solisque vias, ubi caelifer Atlas axem umero torquet stellis ardentibus aptum. 14 SCHMIDT (im Kommentar z.St.) weist auf die „Ähnlichkeit“ mit 9,877 (terga damus ferienda Noto) hin, ohne jedoch daraus Schlußfolgerungen zu ziehen.
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huius in adventum iam nunc et Caspia regna responsis horrent divum et Maeotia tellus, et septemgemini turbant trepida ostia Nili. (Es folgt darauf eine mythologische Beschreibung e negativo [6,801–805]: Selbst Herkules und Bacchus sind auf ihren Reisen nicht so weit gelangt.)
Die Kommentatoren (NORDEN; AUSTIN) interpretieren diese Weissagung als eine Überbietung der Alexander-Topik. Alexander, der ebenfalls häufig mit Bacchus und Herkules verglichen wird, hat den Ozean erreicht, dort aber kehrtgemacht.15 Die Herrschaft des Augustus ist weltweit. Der Verweis auf Alexander ist natürlich nicht falsch, der wahre Grund jedoch, daß Vergil mit teils astronomischen, teils mythologischen Wendungen die Herrschaft des Augustus als den gesamten Globus einschließend beschreibt, liegt in der Änderung des Weltbilds. Die Kugelvorstellung der Erde, die Zonenlehre und die Lehre von den Antipoden waren zumindest unter den Gebildeten allgemein anerkannt. Ist die Welt keine vom Ozean umflossene Scheibe, sondern ein Globus, so muß ein Herrscher, der Anspruch auf ein weltweites Reich erhebt, sich auch den gesamten Globus untertan machen. Da niemand die Südhalbkugel aus eigener Anschauung kannte und Augustus dort auch gar nicht war, wird dies mit absichtlich dunkel gehaltenen Wendungen (iacet extra sidera tellus / extra anni solisque vias, ubi caelifer Atlas / axem umero torquet stellis ardentibus aptum16) nur angedeutet.17 Es scheint mir offensichtlich, daß sich Lucans breit ausgebreitete 15 Zu den Belegen aus der Alexandertradition vgl. die Kommentare. Nach Curtius (9,9,1. 27) trieb ihn eine cupido visendi, bis an die Grenzen der Welt vorzustoßen. Er begnügte sich, 400 Stadien auf die offene See hinauszufahren, brachte Dankopfer dar und trat dann den Rückmarsch an. 16 AUSTIN folgt Servius, indem er extra sidera als „beyond the Zodiac“ versteht. Lucan scheint dies ebenso verstanden zu haben, wenn er ausführlich in der Ammonszene auf den Zodiakus Bezug nimmt. Nur dürfte es verfehlt sein, mit Servius/NORDEN/AUSTIN anzunehmen, in Aen. 6,797 sei Aethiopien gemeint. Der mythologische Ausdruck hält das Gemeinte bewußt in der Schwebe. Augustus wird eine weltweite Herrschaft verheißen, nur darf dies nicht so deutlich ausgesprochen werden, daß die rhetorische Überhöhung (und absehbare Nichterfüllung) dieser Prophezeiung mit dem Finger an der Landkarte nachgewiesen werden kann. In der bei Tacitus vorliegenden Tradition wird Augustus vorgehalten, er habe nichts für die Erweiterung des Herrschaftsbereiches getan (Agr. 13,2; ann. 1,11,4; 4,32,2). Ein Konkurrent für Cato kann er also nicht sein. 17 Zum sonstigen Nachleben der Anchises-Prophezeiung führen die Kommentare an: Consolatio ad Liviam 20 (von Drusus): protulit in terras imperium novas; Statius
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astronomische Gelehrsamkeit im neunten Buch auf die Prophezeiung des Anchises bezieht. Nach Lucan war Cato auf der südlichen Hemisphäre; die astronomischen und klimatheoretischen Exkurse und Einschübe versuchen, diese Grenzüberschreitung als tatsächlich stattgefunden zu erweisen. Ergänzend sei noch auf eine Stelle aus den Georgica verwiesen (2,510–512; die Vorzüge des bäuerlichen Lebens werden von anderen Lebensformen abgegrenzt): gaudent perfusi sanguine fratrum, / exsilioque domos et dulcia limina mutant / atque alio patriam quaerunt sub sole iacentem. MYNORS (z.St.) äußert sich zweifelnd: „The reference is not clear; perhaps to the soldiers of a defeated leader in civil war, who cannot return home.“18 Die Deutung scheint mir vollkommen zutreffend zu sein. Lucan dürfte angeregt durch diese Verse die eingangs behandelte Pompeius-Szene entworfen haben, die mit einer Variation des Motivs des alius sol beginnt. Während die Sonne untergeht und halb von ihm und halb von den Antipoden gesehen werden kann, erwägt er zwar den Plan, auf die Südhalbkugel zu fliehen,19 ausgeführt hat diesen Plan jedoch Cato, der, wie 9,872 zu entnehmen ist, tatsächlich eine „andere Sonne“ sieht, was natürlich nicht heißt, daß er sich dort niederlassen will, sondern daß er die Grenzen der bekannten Welt überschritten hat.20 Abschließend sei hinzugefügt, daß silv. 4,3,155–157 (von Domitian): ibis qua vagus Hercules et Euhan / ultra sidera flammeumque solem, / et Nili caput et nives Atlantis. Für ein Feldherrenlob, das vor der Etablierung der Zonenlehre durch das Somnium formuliert wurde, vgl. Cic. Cat. 4,21: Pompeius, cuius res gestas atque virtutes isdem quibus solis cursus regionibus ac terminis continentur. 18 Über MYNORS hinaus ist zu ergänzen, daß die Entstehung des Motivs des alius sol vermutlich zwei Wurzeln hat. Zum einen die Besonderheit, daß der römische Bürgerkrieg die ganze Welt betroffen hat und daher nur außerhalb ihrer eine sichere Bleibe gefunden werden kann. Zudem dürfte noch die mythologische Vorstellung eingewirkt haben, daß Helios/Sol derjenige ist, dem keine Untat verborgen bleibt (vgl. Aeschyl. Cho. 982; Soph. OC. 868; Hom. Od. 8,721). Wer sich im Bürgerkrieg mit Brüderblut befleckt hat, kann nur unter einer anderen Sonne eine Zuflucht finden. 19 Unfähig, eine Entscheidung zu fällen, schließt er seine Ausführung mit portum Fortuna dabit (8,192). Cato widersteht der Fortuna, Pompeius wird von ihr in einen „Hafen“ geführt, in dem er schon auf der Barke, die ihn vermeintlich an Land bringen soll, sein Leben lassen muß. 20 Zum Motiv der (anderen) Sonne seien noch einige Belege aus Horaz hinzugefügt. In carm. 1,22 beteuert er, er werde Lalage lieben, auch wenn man ihn in die heiße Zone versetze, was offenbar das Schlimmste bezeichnen soll, was einem Menschen zustoßen kann (1,22,21–24: pone sub curru nimium propinqui / solis in terra do-
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Lucan auch die von Vergil zum Vergleich herangezogenen Bacchus und Herkules erwähnt. In 9,432–434 heißt es über Afrika: sub nimio proiecta die, vicina perusti / aetheris, exurit messes et pulvere Bacchum / enecat. Es ist eine Metonymie, doch im Zusammenhang mit den anderen Motiven ist die Aussage klar: Wäre Bacchus Cato gefolgt, wäre er elendiglich im Sand erstickt. Von Herkules heißt es (Truppenkatalog des Pompeius; 3,277–279): quaque, fretum torrens, Maeotidos egerit undas / Pontus, et Herculeis aufertur gloria metis, / Oceanumque negat solas admittere Gadis. Nachdem Herkules mit dem goldenen Becher des Sonnengottes den Ozean befahren hatte, um die Rinder des Geryoneus zu stehlen, soll er dort die nach ihm benannten Säulen errichtet haben, mit der Aufschrift, es gebe keine Überfahrt nach Westen.21 Die Leistung des Herkules wird hier nicht unmittelbar in Abrede gestellt, doch sie wird relativiert. Auch über Don und Maiotis strömt das Wasser des Ozeans in den Pontus und das Mittelmeer. Im neunten Buch kommt Lucan zweimal auf Gibraltar zu sprechen. In 9,414 fällt der Name Herkules nicht, in 9,654 spricht er innerhalb des mythologischen
mibus negata: / dulce ridentem Lalagen amabo, / dulce loquentem. In carm. 2,16 verwirft er vom Standpunkt vivitur parvo bene (2,16,13) die Gier, andere Länder zu sehen (2,16,17–20): quid brevi fortes iaculamur aevo / multa? quid terras alio calentis / sole mutamus? patriae quis exsul / se quoque fugit? Wichtig ist ferner carm. 4,14,5–6, wo die Anchises-Prophezeiung offenbar zurückgenommen wird: o, qua sol habitabilis / illustrat oras, maxime principum? Es sei hier noch ein Diktum NORDENs angeführt (im Kommentar zu Aen. 6,794ff.). Er behauptet dort, daß Horaz’ Rede vom sol habitabilis „der kühlen Art des Augustus angemessener“ gewesen sein dürfte als die hart an kakozhl¤a streifende Rhetorik Vergils (iacet extra sidera tellus etc.). Was Augustus mehr zugesagt hat, mag offenbleiben, doch wenn jemand Gefühl für die lateinische Sprache hatte, dann NORDEN. Mit feinem Empfinden stellt er fest, daß Vergil die Grenzen dessen, was man ernsthaft behaupten kann, hier überschreitet. Vor demselben erzähltechnischen oder stilistischen Problem hat Lucan gestanden, als er die Feststellung formulierte, Catos Heer sei bei den Antipoden angelangt. Es ist eine Aussage von derartiger Tragweite, daß sie nicht der Erzähler selbst aussprechen kann, ohne grotesk oder skurril zu wirken. So etwas kann nur verdeckt insinuiert oder dunkel angedeutet werden. Aus diesem Grund wählt er eine Person mit geringer Autorität, einen anonymen Soldaten, als Sprecher, der diese Feststellungen selbst ungläubig trifft, in zweifelnde Fragen kleidet oder mit einem forsitan abschwächt. Vgl. die Auseinandersetzung mit RASCHLE (Anm. 6). 21 Vgl. meinen Kommentar zu 9,414.
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Perseus-Exkurses von Hesperiis (…) columnis (absichtliche Unterdrückung des Namens?22). 22 Für ein absichtliches Verschweigen des Herkules in seiner Rolle als Sieger über die Natur und die von ihr gesetzten Grenzen spricht eine Passage aus dem nachlucanischen, aber sicher älteres Gut transportierenden Hercules Oetaeus (38–51): in tutum meas / laudes redegi, nulla me tellus silet: / me sensit ursae frigidum Scythicae genus / Indusque Phoebo subditus, cancro Libys; / te, clare Titan, testor: occurri tibi / quacumque fulges, nec meos lux prosequi / potuit triumphos, solis excessi vices / intraque nostras substitit metas dies. / natura cessit, terra defecit gradum: / lassata prior est. Nox et extremum chaos / in me incucurrit: inde ad hunc orbem redi, / nemo unde retro est. Tulimus Oceani minas, / nec ulla valuit quatere tempestas ratem / quamcumque pressi. Die Natur und die Erde mußten ihre Unterlegenheit anerkennen. Sie waren eher erschöpft als Herkules. Die Parallelen zu Lucan. 9,880–891 liegen auf der Hand. Es liegt nahe, als Vorbild für Lucans Cato eine Herkules-Tradition stoischer Provenienz anzunehmen. Um Catos Einzigartigkeit nicht zu gefährden, spielt der Welteroberer Herkules im BC keine Rolle. Bedauerlicherweise ist das Verhältnis von H.O. zu Lucan noch nicht gezielt untersucht worden. Die Studie von ROZELAAR, der im H.O. und offenbar auch in dieser Stelle eine „mythologisch dramatisierte Selbstdarstellung Senecas“ (1985, 1394) sieht, hilft nicht weiter. GALINSKY (1972) behandelt Herkules in seiner Rolle als Überwinder der Weltgrenzen nicht. Für die stoische Bewertung eines Durchbrechens der Grenzen der Welt vgl. auch Seneca (epist. 94,61): multi sunt qui […] ad mare magnum perfusi caede gentium veniant, sed hi quoque ut vincerent hostem cupiditate victi sunt; 94,63 (von Alexander): it tamen ultra oceanum solemque, indignatur ab Herculis Liberique vestigiis victoriam flectere, ipsi naturae vim parat. non ille ire vult, sed non potest stare, non aliter quam in praeceps deiecta pondera quibus eundi finis est iacuisse. Es wird deutlich, warum Lucan Catos Erfolg nicht herausstreicht, sondern ihn eher verdunkelt als erhellt und den Protagonisten in strenger stoischer Pflichterfüllung zeigt. Der cupiditas-Vorwurf muß entkräftet werden, es darf nicht der Eindruck entstehen, er fordere aus Mutwillen oder persönlichem Ruhmesstreben die Natur heraus. Daß Seneca hier von der Tradition abweicht und Alexander den Ozean überwinden läßt, scheint eine Rückprojektion kaiserlicher Propaganda auf das historische Exemplum zu sein, um im Fahrwasser allgemein verbreiteter philosophischer Kritik an Alexander die kaiserlichen Weltmachtpläne in Frage zu stellen. In ihrer Maßlosigkeit schrecken die principes auch vor „Widernatürlichem“ nicht zurück. Vgl. auch epist. 119,7 (ebenfalls von Alexander): scrutatur maria ignota, in oceanum classes novas mittit, et ipsa, ut ita dicam, mundi claustra perrumpit. quod naturae satis est, homini non est. Da bei Lucan die Natur nicht als Fürsorgerin, sondern als Feindin, die auf der Seite Caesars steht, gefaßt ist, kann er dagegen die Überwindung der Natur als positiv herausstellen. Dazu sei noch 9,846–847 (vgl. Anm. 4) angeführt: nec, quae mensura viarum / quisve modus, norunt caelo duce. Mit Blick auf Seneca wird Lucans Cato offenbar vor dem Vorwurf der Maßlosigkeit in Schutz genommen. Sein Kampf mit der Natur und ihre schließliche Überwindung ergibt sich aus dem moralisch gebotenen Freiheits-
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Die von Vergil formulierte Anchises-Prophezeiung scheint mir ihrerseits auf einen nicht minder berühmten Passus der römischen Literatur zu reagieren, das Somnium Scipionis (Cic. rep. 6,20–21; zu Quellen und Sacherklärungen vgl. ABEL 1974, 1082–1083; BÜCHNER z.St.23): Tum Africanus: „sentio“, inquit, „te sedem etiam nunc hominum ac domum contemplari; quae si tibi parva ut est ita videtur, haec caelestia semper spectato, illa humana comtemnito. Tu enim quam celebritatem sermonis hominum aut quam expetendam consequi gloriam potes? Vides habitari in terra raris et angustis in locis, et in ipsis quasi maculis ubi habitatur vastas solitudines interiectas, eosque qui incolunt terram non modo interruptos ita esse ut nihil inter ipsos ab aliis ad alios manare possit, sed partim obliquos, partim transversos, partim etiam adversos stare vobis. A quibus exspectare gloriam certe nullam potestis. Cernis autem eandem terram quasi quibusdam redimitam et circumdatam cingulis, e quibus duos maxime inter se diversos et caeli verticibus ipsis ex utraque parte subnixos obriguisse pruina vides, medium autem illum et maximum solis ardore torreri. Duo sunt habitabiles, quorum australis ille, in quo qui insistunt adversa vobis urgent vestigia, nihil ad vestrum genus.24
kampf gegen Caesar und erfolgt gewissermaßen „en passant“. Was seinen Ruhm, die Natur überwunden zu haben, natürlich nicht schmälert, sondern erhöht; vgl. Buch 10,41–42: naturaque solum / hunc potuit finem vaesano ponere regi [sc. Alexandro]. 23 Zum römischen Ruhmesbegriff im allgemeinen vgl. KNOCHE 1934 (behandelt die genuin römischen Wurzeln); zu gloria bei Cicero S ULLIVAN 1941; HELLEGOUARC’H 1963. 24 Ergänzend sei noch ein Abschnitt aus den Tusculanen angefügt (1,68): ut cum videmus speciem primum candoremque caeli, dein conversionis celeritatem tantam quantam cogitare non possumus. Tum vicissitudines dierum ac noctium commutationesque temporum quadrupertitas ad maturitatem frugum et ad temperationem corporum aptas eorumque omnium moderatorem et ducem solem, lunamque adcretione et deminutione luminis quasi fastorum notantem et significantem dies, tum in eodem orbe in duodecim partes distributo quinque stellas ferri eosdem cursus constantissime servantis disparibus inter se motibus, nocturnamque caeli formam undique sideribus ornatam, tum globum terrae eminentem e mari, fixum in medio mundi universi loco, duabus oris distantibus habitabilem et cultum, quarum altera, quam nos incolimus; (Accius Philoct. 566) sub axe posita ad stellas septem, unde horrifer / Aquilonis stridor gelidas molitur nives; (Cic. Tusc. 1,28,68) altera australis, ignota nobis, quam vocant Graeci ént¤xyona, ceteras partis incultas, quod aut frigore rigeant aut urantur calore; hic autem, ubi habitamus non intermittit suo tempore; (Ennius Eum. 161) caelum nitescere, arbores frondescere, / vites laetificae pampinis pubescere / rami bacarum ubertate incurvescere, / segetes largiri fruges, florere omnia, / fontes scatere, herbis prata convestirier. – Es ist müßig, das neunte Buch Lucans im einzelnen als Gegenbild herauszustellen. Hingewiesen sei nur auf den Punkt, daß Sonne, Sterne und Mond ausdrücklich als Ordnungsfaktoren genannt werden, die das Leben des Menschen sinnreich regeln. In Afrika ist
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Daß Vergil diese Ausführungen Ciceros gekannt hat, versteht sich von selbst. In den Georgica (1,231–258) beschreibt er überdies selbst die Zonengliederung (allerdings mit einigen mythologischen Zusätzen): Idcirco certis dimensum partibus orbem per duodena regit mundi sol aureus astra. quinque tenent caelum zonae: quarum una corusco semper sole rubens et torrida semper ab igni; quam circum extremae dextra laevaque trahuntur caeruleae, glacie concretae atque imbribus atris, has inter mediamque duae mortalibus aegris munere concessae divum, et via secta per ambas, obliquus qua se signorum verteret ordo. (…) illic (sc. auf der Südhalbkugel), ut perhibent, aut intempesta silet nox semper et obtenta densentur nocte tenebrae; aut redit a nobis Aurora diemque reducit, nosque ubi primus equis Oriens adflavit anhelis illic sera rubens accendit lumina Vesper. hinc tempestates dubio praediscere caelo possumus, hinc messisque diem tempusque serendi, et quando infidum remis impellere marmor conveniat, quando armatas deducere classis, aut tempestivam silvis evertere pinum; nec frustra signorum obitus speculamur et ortus temporibus parem diversis quattuor annum.
Die Traditionslinie, die Lucan im neunten Buch aufnimmt, reicht also von der Alexander-Topik über Cicero bis Vergil und die nachfolgenden Herrscherenkomien. Lucans Cato ist derjenige, der die Prophezeiung des Anchises erfüllt. Nihil ad vestrum genus heißt es bei Cicero von den Antipoden. Cato lag Rom sub pedibus; er hat weltweiten, wenn nicht kosmischen Ruhm erlangt. Die Leistungen Alexanders, Scipios, des Marius und des Pompeius, Caesars und des Augustus reichen nicht einmal entfernt an ihn heran. Er ist dabei den Prinzipien stoischer Ethik treu geblieben. Am Ammonsorakel, dem Ort der Versuchung und der kosmischen Orientierungslosigkeit, hat er die absoluten Grundsätze der stoischen Ethik formuliert. Er hat sie erfüllt, gezeigt, daß alles andere nur relative Bedeutung
all dies nicht gegeben. Dieselbe Ordnungsfunktion der Gestirne findet sich auch in der zitierten Stelle aus den Georgica.
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hat, und hat, gestützt auf diese Maximen, die Gesetze der Natur und die Grenzen der Welt durchbrochen. Zu ergänzen sei noch, daß die stoische Ethik, besonders in der Form, in der sie bei Lucan begegnet, wo unbedingte Todesbereitschaft und Kampfeswillen bis zum letzten Blutstropfen gepriesen werden, so nicht adaptiert werden kann. Seneca selbst hat in den Trostschriften an Marcia und seine Mutter Helvia diese selbstverständlich nicht aufgefordert, sich in ein Schwert zu stürzen, sondern versucht, zu einer maßvollen Form der Trauer anzuleiten. In diesem Sinne hat auch eine bisher im Bereich der klassischen Philologie wenig beachtete Rezeption der stoischen Tradition der Seelenleitung um die Mitte des letzten Jahrhunderts stattgefunden. Der Amerikaner Albert ELLIS hat vor allem unter Rückgriff auf das Enchiridion Epiktets den allgemein-antiken und besonders stoischen Gedanken der Vorherrschaft des Verstandes über die (krankhaften) Gefühle aufgenommen und maßgeblich die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie begründet, zu deren wichtigen Bausteinen die rational-emotive Therapie gehört. Dies bedeutet: Ein krankhaft übermächtiges Gefühl, wie z.B. eine Depression, wird auf das ihr zugrundeliegende (falsche) Verstandesurteil (hier etwa: alles ist „kaputt“, nichts wird mehr gelingen etc.) zurückgeführt, einer verstandesmäßigen Überprüfung unterzogen und in der Regel als eine unzutreffende Verallgemeinerung erwiesen („es gibt noch gangbare Alternativen“; „bestimmte Bereiche sind noch intakt“ etc.). Auf diese Weise wird – die Wirksamkeit ist klinisch erwiesen – das krankhaft übersteigerte Gefühl (Depression) in ein angemessenes überführt (maßvolle Trauer).25
25 Vgl. HOELLEN 1992; zur neueren Diskussion um die Entstehung und Funktion von Gefühlen, in der noch vieles im Fluß ist, vgl. STAVEMANN 2001; WASSMANN 2002 (mit einer aus zweiter Hand gefertigten, nicht zufriedenstellenden historischen Einleitung).
III. Ein Anonymus der frühen Kaiserzeit Zu Lucan. 9,167–185 und Tac. ann. 3,1–2 Die beiden ersten Bücher der Annalen des Tacitus sind bestimmt vom Gegensatz zwischen der Lichtgestalt des jungen Germanicus und dem finsteren ränkeschmiedenden Kaiser Tiberius, der den sich loyal verhaltenden Adoptivsohn als Konkurrenten betrachtet, voll Neid und Mißgunst auf dessen militärische Erfolge und allgemeine Beliebtheit sieht und danach trachtet, ihn zu schikanieren. Während diese Grundtendenz der taciteischen Darstellung unbestritten ist,1 ist in letzter Zeit mehrfach darauf aufmerksam gemacht worden, daß sich Tacitus nicht in reiner Schwarz-Weiß-Malerei erschöpft: Der Germanicus der Annalen ist eine komplexe Persönlichkeit; auch ungeschicktes oder fehlerhaftes Verhalten wird von Tacitus nicht verschwiegen.2 Die Frage nach dem Germanicusund Tiberiusbild des Tacitus soll hier durch eine quellenkritische Untersuchung vertieft werden: In welchem Maß sind Darstellung und Urteil des Tacitus seinen Vorlagen verpflichtet? Inwieweit sind sie als seine eigenständige Leistung anzusehen? Bekanntlich ist die Diskussion dieses komplizierten Problems in den letzten Jahren durch eine Reihe von Funden epigraphischer Originaldokumente angeregt und gefördert worden, die die offiziellen Reaktionen des Kaisers und des Senats auf den Tod des Germanicus am 10. Oktober 19 n. Chr. in Syrien zum Inhalt haben. Es liegen vor: 1. Die sog. Tabula Siarensis, die fragmentarisch ein in den letzten Dezembertagen des Jahres 19 n. Chr. zustande gekommenes senatus consultum bewahrt, das Ehrenbeschlüsse für den Verstorbenen enthält und festlegt, daß die für das Jahr 20 designierten Konsuln (Marcus Valerius Messalla 1 2
Vgl. z.B. BORSZÁK 1969; LEHMANN 1971. Vgl. dazu SCHMIDT 1982; RUTLAND 1987; PELLING 1993; in dieselbe Richtung weisen bereits die älteren Arbeiten von KOESTERMANN (1956; 1957). BORSZÁK (1970) versuchte in einer Revision seines unter Anmerkung 1 genannten Aufsatzes zu zeigen, daß Tacitus Germanicus durch die Darstellung seines populistischen Gebarens im Osten des Reichs als potentiellen Tyrannen orientalischen Zuschnitts charakterisieren wollte, doch geht eine solche Deutung sicher zu weit.
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und Marcus Aurelius Cotta Maximus) nach Amtsantritt beim Volk ein Gesetz über die Ehrungen für Germanicus einbringen sollen.3 2. Dieses Gesetz, die rogatio Valeria Aurelia, ist, wenn auch unvollständig, in drei Fragmenten einer Bronzeplatte (sog. Tabula Hebana) ebenfalls aufgefunden worden.4 3. Als bisher letztes und umfangreichstes Dokument wurde das senatus consultum de Cn. Pisone patre in insgesamt sechs Exemplaren in Andalusien entdeckt; es enthält das Urteil, das über Cn. Piso Pater, dessen Familie und Anhänger, die eigenmächtig im östlichen Mittelmeerraum gegen Germanicus agitierten und sich nach dessen Tod der Provinz Syrien zu bemächtigen versucht hatten, nach ihrer Rückkehr nach Rom gesprochen wurde.5 Zwei dieser Dokumente, die Tabula Siarensis (vgl. ann. 2,83) und den Senatsbeschluß über Piso, hat Tacitus verwendet; auf die Ehrenbeschlüsse für Germanicus kann hier nicht eingegangen werden; auf das Urteil über Piso komme ich unten zu sprechen.6 Konnte die Art der Verwendung der dokumentarischen Überlieferung durch Tacitus aufgrund dieser Funde zumindest punktuell erhellt werden, ist die Verhältnisbestimmung zur literarischen Überlieferung aus einer Reihe von Gründen ungleich schwieriger. Die Schriften der frühkaiserzeitlichen Historiker sind nahezu vollständig verloren; in Buch 1–6 der Annalen unterläßt es Tacitus zudem, Werknamen oder Autoren zu nennen.7 Das Hauptproblem bei der Ermittlung der Quellen besteht jedoch in 3
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Die beiden Fragmente der Bronzetafel, auf der der Senatsbeschluß eingraviert ist, wurden in der Nähe von Sevilla aufgefunden; die Tafel ist von den beiden Editoren JULIÁN GONZÁLEZ und FERNANDO FERNÁNDEZ nach der am Fundort zu lokalisierenden römischen Ortschaft Siarum benannt. Die editio princeps ist in GONZÁLEZ 1984 (55–82) enthalten. Zur umfangreichen Diskussion vgl. LEBEK 1990; LEHMANN 1991; LEBEK 1992. Die drei Fragmente wurden 1947 im mittelitalienischen Magliano, dem antiken Heba, durch einen glücklichen Zufall aus einem Altmetallhaufen geborgen. Kurze Zeit später wurden noch zwei kleinere Bruchstücke entdeckt; die neueste Edition bei JAVIER LOMAS 1978; vgl. dazu LEBEK 1988. Zum Verhältnis von Tabula Siarensis und Tabula Hebana vgl. LEBEK 1990, 94–97. Vorbildlich ediert und kommentiert durch ECK/CABALLOS/FERNÁNDEZ (1996). Vgl. unten S. 75–78. Es gibt zwei Ausnahmen: In 1,69,2 erwähnt Tacitus die Bella Germanica des älteren Plinius, in 4,53,2 die Memoiren der jüngeren Agrippina, wo durch Quellennennung jeweils Mitteilungen über ungewöhnliche Verhaltensweisen Agrippinas der Älteren abgesichert werden. Aus der letztgenannten Stelle (id ego, a scriptoribus annalium non traditum, repperi in commentariis Agrippinae filiae, quae Neronis principis ma-
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der hohen historischen und literarischen Qualität des Tacitus. Wie gerade die neueren Funde zeigen, hat sich Tacitus bemüht, alle ihm erreichbaren Informationsquellen auszuschöpfen; neben historischen Werken hat er Memoirenliteratur und Biographisches verwendet; ferner hat er acta diurna, acta senatus und inschriftlich veröffentlichte offizielle Dokumente wie die obengenannten Senatsbeschlüsse oder die Tafel von Lyon eingesehen.8
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ter vitam suam et casus suorum posteris memoravit) geht hervor, daß Tacitus mehrere geschlossene Werke über die Kaiserzeit vorliegen, er aber dennoch bemüht ist, seiner Darstellung unter Einbeziehung authentischen Materials eine breitere Basis zu geben. Aus dieser Notiz läßt sich weder über die Bedeutung der Memoiren der Agrippina noch die der anonymen Autoren für das Werk des Tacitus Genaueres entnehmen; allein eine „Ein-Quellen-Theorie“ scheint ausgeschlossen. Ähnlich verhält es sich in ann. 1,69,2; offenbar wird Plinius als Gewährsmann angeführt, weil er eine in anderen Werken nicht enthaltene singuläre Information bietet, die der Erfindung verdächtig wäre, gäbe Tacitus sie ohne Nennung der Herkunft wieder. Neben den Bella des Plinius müssen also noch andere Tacitus und seinen Lesern bekannte Werke über diese Zeit vorliegen. Zum Werk des Plinius vgl. SALLMANN 1984; zu den Memoiren der jüngeren Agrippina vgl. KAPLAN 1979, 410 Anm. 2. Die älteren Versuche, eine Ein- oder Zwei-Quellen-Theorie für die erste Hexade der Annalen plausibel zu machen, müssen als gescheitert gelten. Einflußreich war EDUARD SCHWARTZ’ Hypothese (1899, 1715–1717), der aus den Übereinstimmungen der Charakterporträts von Augustus, Tiberius und Germanicus bei Tacitus und den von ihm unabhängigen Sueton und Cassius Dio meinte, einen genialen, Tacitus bereits vorwegnehmenden Annalisten des frühen Prinzipats erschließen zu können, der „die Erinnerung der höchststehenden Kreise an das vergangene Regiment zu einem Gemälde“ zusammenfaßte „von so stahlharter Linienführung, von so lastender Wucht der Schatten, wie sie nur die in unmittelbarer Erfahrung herangereifte Leidenschaft im Bunde mit sicherster Berechnung des Effects hervorbringt“ (SCHWARTZ 1899, 1717). SCHWARTZ’ Beobachtungen sind zutreffend, doch geht er in seinen Folgerungen zu weit. Tacitus, Sueton und Cassius Dio hat offenbar ein Werk (eine Tradition) vorgelegen, in dem dem Tyrannen Tiberius der zu großen Hoffnungen berechtigende Kronprinz Germanicus gegenübergestellt wurde. Stil und Umfang dieser Schrift bleiben jedoch unklar; allein schon die geringe Anzahl der Übereinstimmungen zwischen Tacitus und Dio warnt vor einer durch SCHWARTZ’ wortgewaltige Ausführungen nahegelegten Überschätzung. Zudem ergibt eine Überprüfung der genannten Charakterisierungen bei Tacitus und Dio, daß sie nur bei Tacitus in eindrucksvoller Zuspitzung vorliegen. Die dem Original näherstehenden Versionen, wie sie der schriftstellerisch mittelmäßige Dio bewahrt hat, geben keinen Anlaß, dahinter einen herausragenden Literaten zu vermuten, der das Werk des Tacitus maßgeblich beeinflußt haben könnte; vgl. KLINGNER 1964 (=1940). Spekulationen darüber, daß auch Dio seine Vorlage bewußt überarbeitet haben könnte, vielleicht sogar in
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Diese Quellen sind von Tacitus selbständig beurteilt und mit großem schriftstellerischem Geschick verarbeitet worden, so daß der taciteische Text trotz zahlreicher kontaminierter Vorlagen dem Leser als sprachliche und stilistische Einheit vorliegt. Inhaltliche Widersprüche, Doppelberichte, stilistische Schwankungen, Neueinsätze oder Brüche in der Darstellung, die sonst Ansatzpunkte für eine Quellenuntersuchung bilden, lassen sich kaum ausmachen. Auch wenn man vermuten kann, daß einem bestimmten Passus eine einzige Quelle zugrunde liegt, ist die Frage, was in diesem Abschnitt der Tradition, was der taciteischen Redaktion zuzuschreiben ist, aufgrund der starken Überarbeitung durch Tacitus in der Regel nicht zu beantworten. Das Verhältnis des Tacitus zu literarischen Vorgängern in ann. 1–6 läßt sich also nur in Grundzügen bestimmen; zum einen kann aufgrund der Äußerungen im Proömium der Annalen Tacitus’ Selbstverständnis und sein Urteil über seine Vorgänger erschlossen werden; zum anderen bietet ein Vergleich mit der Germanicus betreffenden Parallelüberlieferung bei Sueton und Cassius Dio die Möglichkeit, die vortaciteische Geschichtsschreibung umrißhaft zu rekonstruieren und Tacitus’ Neuerungen davon abzuheben. Im Proömium der Annalen begründet Tacitus die Wahl, die frühe Kaiserzeit als Stoff für eine historiographische Darstellung zu nehmen, mit der Unzulänglichkeit der vorliegenden Werke über diese Zeit (ann. 1,2–3): sed veteris populi Romani prospera vel adversa claris scriptoribus memorata sunt, temporibusque Augusti dicendis non defuere decora ingenia, donec gliscente adulatione deterrerentur: Tiberii Gaique et Claudii ac Neronis res florentibus ipsis ob metum falsae, postquam occiderant recentibus odiis compositae sunt. inde consilium mihi pauca de Augusto et extrema tradere, mox Tiberii principatum et cetera, sine ira et studio, quorum causas procul habeo.
Tacitus ist also bestrebt, mit den Annalen seine Vorgänger zu ersetzen; er beurteilt sie als unbefriedigend, weil sie entweder zu Lebzeiten des Kaisers, dessen Regierung sie schilderten, die Wahrheit aus Furcht nicht zu schreiben wagten, oder nach dessen Ableben aufgrund erlittenen Unrechts ihrem aufgestauten Haß freien Lauf ließen und die positiven Züge unterdrückten. Er hält sich für diesen Autoren überlegen, weil er in das beschriebene Geschehen nicht persönlich involviert ist und keinen Anlaß zu höherem Maß als Tacitus (vgl. TRÄNKLE 1969; SAGE 1990, 1001 Anm. 758), lassen sich bei Verlust der Vorlage zwar nicht widerlegen, können aber nicht überzeugen; vgl. MANUWALD 1973; MEHL 1981.
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ungerechtfertigter Parteinahme hat. Es wird auch deutlich, warum Tacitus es unterläßt, seine Vorläufer zu erwähnen. Es sind keine decora ingenia, mit deren Namen man sich hätte schmücken können. Im Gegenteil, zum Schutz des eigenen Werks empfahl es sich, ihre Bedeutung, die sie zumindest für die Informationsbeschaffung besessen haben müssen, zu verdunkeln. Sofern Tacitus also Passagen älterer Werke in die Annalen aufgenommen hat, ist nach diesen Worten zu erwarten, daß er sie einer starken Überarbeitung unterzogen und vor allem die ob metum oder recentibus odiis enthaltenen tendenziösen Verzerrungen gemäß eigenem, auf breiter Quellenbasis beruhendem Urteil berichtigt hat.9 Das Verhältnis des Tacitus zu der ihm vorliegenden Tradition über die tiberianische Zeit ist von MANUWALD in einem ausgewogenen, die ältere Forschung zusammenfassenden und weiterführenden Aufsatz dargelegt worden, dessen Ergebnisse in stark geraffter Form hier referiert werden sollen.10 Moderne Historiker sind sich mit der antiken Geschichtsschreibung darin einig, daß sich die Herrschaft des Tiberius nach verheißungsvollen Anfängen zunehmend zum Schlechteren hin veränderte und schließlich in offener Tyrannei endete.11 Nach Sueton (Tib. 75,1) kam es nach Tiberius’ Tod zu Freudenkundgebungen, die Menge forderte, seinen Leichnam in den Tiber zu werfen. Als entscheidendes Ereignis für diesen Wandel wird von der vortaciteischen Tradition, die indirekt aus Cassius Dio und dem Germanicus betreffenden Teil der Caligula-Vita Suetons (Cal. 1,1–7) zu erschließen ist, der Tod des Germanicus namhaft gemacht. Während sich Tiberius zu Germanicus’ Lebzeiten aus Angst vor dem Rivalen Zurückhaltung auferlegt habe, seien mit dessen Tod alle Hemmungen gefallen, er habe seinen Lastern freien Lauf gelassen und ein rücksichtsloses Schreckensregiment errichtet.12 Tacitus hat dieses Modell 9
Zum Verhältnis von Tacitus zu den Historikern der frühen Kaiserzeit vgl. KLINGNER 1958; WILKES 1972; FLACH 1973. 10 Zum folgenden vgl. MANUWALD 1990, 27–41. 11 Vgl. CHRIST 1992, 178–207. 12 Vgl. Cassius Dio 57,7,1. 13,6. 19,1. 19,8; 58,28,5 und Suet. Cal. 6,2; in der Tiberius-Vita (40–41) bringt Sueton dagegen den Beginn der Tyrannis mit dem Rückzug nach Capri (26/27 n. Chr.) in Zusammenhang; wenn es sich auch nicht ausschließen läßt, handelt es sich dabei wohl nicht um eine eigenständige Tradition, sondern um eine selbständige Akzentsetzung Suetons; er betrachtet Tiberius vornehmlich aus biographisch-moralistischer Perspektive und hat daher den Einzug auf die abgeschiedene Insel, nach dem Tiberius den Gerüchten zufolge seinen se-
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aufgenommen und in eine erheblich differenziertere Konzeption überführt. Er trennt den Umschlag in der Qualität der Herrschaft von der Entwicklung bzw. Aufdeckung des tiberianischen Charakters. Letztere vollzieht sich nach dem Resümee in 6,51,3 in fünf Stufen: morum quoque tempora illi diversa: egregium vita famaque, quoad privatus vel in imperiis sub Augusto fuit (bis 14 n. Chr.); occultum ac subdolum fingendis virtutibus, donec Germanicus ac Drusus superfuere (bis 23 n. Chr.); idem inter bona malaque mixtus incolumi matre (bis 29 n. Chr.); intestabilis saevitia, sed obtectis libidinibus, dum Seianum dilexit timuitve (bis 31 n. Chr.): postremo in scelera simul ac dedecora prorupit, postquam remoto pudore et metu suo tantum ingenio utebatur (bis 37 n. Chr.).
Die Ausübung der Herrschaft wird dagegen nach wie vor in zwei Phasen unterteilt, doch bringt bei Tacitus der Tod des Drusus (23 n. Chr.) die Depravation von maßvoller Alleinherrschaft zu brutaler Tyrannis (vgl. ann. 4,1,1. 6,1. 7,1). Tacitus hat aber nicht allein den Wendepunkt vom Tod des Germanicus auf den des Drusus übertragen, sondern das Modell zugleich ausgebaut, indem er Sejan als entscheidenden Faktor für die Verschlechterung der Herrschaft einführt. Der Gardepräfekt wagte nämlich erst dann, seinen verhängnisvollen Einfluß auf Tiberius auszuüben, als er Drusus durch Giftmord beseitigt und keinen Widerstand bei seinen Machenschaften mehr zu fürchten hatte (vgl. ann. 4,3,1–2). Gegenüber der Tradition zeichnet Tacitus also ein bedeutend komplexeres Bild von der Herrschaft des Tiberius; die monokausale Erklärung, die alles Negative auf den Wegfall der Furcht vor Germanicus zurückführte, ist durch eine differenzierte Analyse ersetzt worden.13 Tiberius’ haltloser und verbrecherischer Charakter offenbart sich schrittweise; sooft eine von ihm respektierte Person aus seinem näheren Umkreis stirbt (Augustus; Germanicus/Drusus; Livia; Sejan), tritt eine Verschlechterung ein. Während sich der moralische Verfall des Tiberius allmählich vollzieht, verändert sich die Qualität der Herrschaft mit einem Schlag. Durch die xuellen Neigungen in schamloser Weise freien Lauf gelassen haben soll, besondere Bedeutung zugemessen. Mit dem folgenden Kapitel (42) beginnt er die ausführliche Schilderung seiner vitia; vgl. MANUWALD 1990, 35–36. Eine negative Entwicklung in der Herrschaft des Tiberius bezeugt auch Seneca (clem. 1,1,6), der, ohne einen Zeitpunkt für den Wandel zu nennen, allgemein von guten Anfängen spricht. 13 Zu Tacitus’ Wendung gegen die simplifizierende Darstellung der tiberianischen Herrschaft durch seine Vorgänger vgl. SCHMIDT 1982.
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Ermordung des Drusus gewinnt plötzlich der skrupellose Sejan Einfluß auf Tiberius. Auf die Gründe, die Tacitus zu dieser Umgestaltung der Tradition bewogen haben, kann hier im einzelnen nicht eingegangen werden. Im Zusammenhang der Beschäftigung mit Tiberius und Germanicus bedarf eine Frage jedoch der Klärung: Warum hat Tacitus den Wendepunkt in der Herrschaft des Tiberius vom Tod des Germanicus (19 n. Chr.) auf den des Drusus (23 n. Chr.) verlegt? Unmittelbar mit dem Auftreten Sejans kann dies nicht begründet werden, denn Sejan wurde bereits im Jahr 20 n. Chr., als sein Vater, mit dem zusammen er bis zu diesem Zeitpunkt die Prätorianer befehligt hatte, zum praefectus Aegypti ernannt wurde, alleiniger praefectus praetorio. Chronologisch richtig geht Cassius Dio auf Sejan bereits nach dem Tod des Germanicus näher ein (57,19,5–7) und erwähnt als erste Maßnahme die von ihm vorgenommene Konzentration der Prätorianer in einem einzigen Lager (57,19,6), ohne jedoch diesem Ereignis besondere Bedeutung zuzumessen; Sejan spielt in seiner Konzeption von der tiberianischen Herrschaft keine nennenswerte Rolle. Tacitus hätte Sejan also bereits zu diesem Zeitpunkt als neuen Faktor einführen können; stattdessen findet sich dessen Kurzcharakteristik und die Notiz über die Zusammenlegung der Prätorianer in den Annalen zu Beginn des vierten Buchs (4,1–2). Beides ist also mit der Verlegung des Einschnitts auf den Tod des Drusus mitverschoben worden.14 Über die Gründe, die Tacitus 14 SAGE dagegen (1990, 998–107) vermutet, daß Tacitus den Einschnitt bei Drusus bereits in einer Quelle vorgefunden hat. Auf die umfangreichen Untersuchungen QUESTAs (1967) zurückgreifend, hat er den Versuch unternommen, die beiden bei Quintilian (inst. 10,1,102–103) und Tacitus selbst (dial. 23,2; vgl. auch ann. 14,19) als herausragende Historiker der ersten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts angeführten Aufidius Bassus und Servilius Nonianus mit den beiden unterschiedlichen Erklärungsmodellen in Verbindung zu bringen. Die These ist zwar reizvoll, weil die beiden Historiker so nicht nur bloße Namen bleiben und es wahrscheinlich ist, daß sie tatsächlich von Tacitus in irgendeiner Weise rezipiert worden sind, läßt sich aber nicht plausibel machen; die von ihm angeführten Argumente (1990, 1006–1007) sind schwach, letztlich werden die beiden Konzeptionen den Historikern nur zugeordnet, weil es eben auch zwei sind. Gegen die Annahme, daß Tacitus hier einer Vorlage folgt, spricht vor allem, daß in diesem Fall sein Beitrag zur Darstellung und Interpretation der Geschichte des Tiberius außerordentlich klein würde. Aus dem Umstand, daß bei Cassius Dio im Zusammenhang mit dem Tod des Germanicus von der Zusammenlegung der Prätorianer gesprochen wird, dies bei Tacitus aber erst rückblickend im Kontext der Ermordung des Drusus erwähnt wird, geht hervor, daß die zweite
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Konzeption keine eigenständige Bildung ist, sondern eine Modifikation der ersten. Tacitus referierte demnach unverändert ein bereits sekundäres Deutungsmuster der tiberianischen Herrschaft und hätte die Gliederung der ersten Hexade in zwei Teile zu je drei Büchern gemäß diesem unbekannten Autor gestaltet. Eine derartige Abhängigkeit ist weder mit den theoretischen Äußerungen des Annalenproömiums noch mit der sonst allenthalben spürbaren Gestaltungskraft und dem selbständigen Urteil des Tacitus vereinbar. Noch ein zweiter Umstand weist auf Tacitus als Urheber einer Deutung, die in Sejan den Hauptschuldigen für den Umschlag des tiberianischen Prinzipats in Tyrannis sieht. Nach Cassius Dio (57,22,1–2) inszenierte Sejan den Giftanschlag auf Drusus aus Angst vor einem Racheakt, denn er hatte sich bei einer nicht näher geschilderten Auseinandersetzung dazu hinreißen lassen, ihm einen Faustschlag zu versetzen. Eher beiläufig erwähnt Dio, daß sich Sejan von der Beseitigung des Drusus als Nebeneffekt erhoffte, seinen Einfluß auf Tiberius erweitern zu können, und daß der Anschlag mit Hilfe Livillas, Drusus’ Frau, erfolgte, mit der Sejan ein Verhältnis hatte. Tacitus’ Darstellung unterscheidet sich davon wesentlich (ann. 4,3,1–3): ceterum plena Caesarum domus, iuvenis filius, nepotes adulti moram cupitis adferebant; et quia vi tot simul corripere intutum, dolus intervalla scelerum poscebat. placuit tamen occultior via et a Druso incipere, in quem recenti ira ferebatur. nam Drusus impatiens aemuli et animo commotior orto forte iurgio intenderat Seiano manus et contra tendentis os verberaverat. igitur cuncta temptanti promptissimum visum ad uxorem eius Liviam convertere, quae soror Germanici, formae initio aetatis indecorae, mox pulchritudine praecellebat. hanc ut amore incensus adulterio pellexit, et postquam primi flagitii potitus est (neque femina amissa pudicitia alia abnuerit), ad coniugii spem, consortium regni et necem mariti impulit. 1. Schon vor dem Streit mit Drusus hatte Sejan geplant, die kaiserliche Familie zu vernichten, und Überlegungen angestellt, wie dies am geschicktesten zu bewerkstelligen sei (dolus intervalla scelerum poscebat). 2. Die tätliche Auseinandersetzung mit Drusus ist nicht Grund für den Mord, sondern nur willkommener Anlaß. 3. Nicht Sejan, sondern Drusus ist es, der zuschlägt. Da bei Tacitus der heimtückische Sejan den Untergang des Kaiserhauses und den Verfall der Herrschaft des Tiberius herbeiführt, wäre es äußerst mißlich, dies alles als Vertuschungsversuch einer Unbeherrschtheit hinstellen zu müssen. Die Irrationalität und Kontingenz der Geschichte, wie sie in Dios naivem Bericht festgehalten wird, daß jemand einen Giftmord begeht, um sich vor den Folgen einer Ohrfeige zu schützen, und dies schließlich dazu führt, daß ein Weltreich an den Rand des Untergangs gerät, wird von Tacitus, der Sinnzusammenhänge sucht oder konstruiert, in eine falsche, dafür aber wahrscheinliche Darstellung überführt. Die gewundene Formulierung intenderat Seiano manus et contra tendentis os verberaverat überspielt die Änderung; durch das contra tendere Sejans wird der Vorgang in der Schwebe gehalten, so daß Tacitus nicht der Fälschung bezichtigt werden kann. Die Glaubwürdigkeit wird durch die Kurzcharakteristik des eifersüchtigen und jähzornigen Drusus zusätzlich erhöht. 4. Dasselbe gilt für die Durchführung des Mords unter Mithilfe der Livia. Bei Dio begann das Verhältnis bereits vor dem Faustschlag gegen den Ehemann; es ist ein für Sejan glücklicher Zufall, daß ihm die Liaison ermöglicht, ungeschoren davonzukom-
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zu diesem Eingriff veranlaßten, sind bisher verschiedene Mutmaßungen men. Bei Tacitus wird der Ehebruch durch den Streit begründet und mittels der Bemerkung über die Schönheit der Livia noch darüber hinaus motiviert. Ebenso meint Tacitus, die Ungeheuerlichkeit, daß sich Livia an der Ermordung ihres Mannes beteiligt, psychologisch erklären zu müssen. Es ist offenkundig, daß die taciteische Version, in der Ohrfeige und Mord in den größeren Zusammenhang der Umsturzpläne Sejans eingeordnet sind und alle Einzelheiten sorgfältig aufeinander abgestimmt und bezogen wurden, eine Bearbeitung des Tatsachenberichts ist, wie ihn Dio referiert. Theoretisch kann diese Umgestaltung bereits vor Tacitus erfolgt sein, doch ist dies bei der Komplexität und Dichte des Passus äußerst unwahrscheinlich; jedes Detail ist wichtig, und Tacitus hätte ihn Wort für Wort abgeschrieben haben müssen. Zur Analyse von Dio 57,22,1–2 und Tac. ann. 4,3,1–3 vgl. HEINRICHS 1976, 124–130. Für Tacitus als denjenigen, der Sejans Bedeutung aufwertete, spricht ferner das in der Diskussion noch nicht genannte Argument, daß die neronische Herrschaft in den Annalen ähnlich verläuft. Die Wende zum Schlechten tritt ein, als nach Burrus’ Tod und Senecas Rückzug Tigellinus zum praefectus praetorio ernannt wird (ann. 14,51–52). – Bekanntlich hat sich auch SYME in einer Reihe von Arbeiten (1964; 1977, 234–235) mit der Frage nach den Quellen von Ann. I-VI beschäftigt und versucht, durch Auswertung der spärlichen prosopographischen Zeugnisse die Bedeutung, die Aufidius Bassus und Servilius Nonianus für Tacitus möglicherweise besessen haben, zu erhellen. Sofern sich die von SCHWARTZ ermittelte gemeinsame Quelle von Tacitus, Sueton und Dio überhaupt mit einem Namen verbinden läßt, dürfte es sich bei dem gesuchten Historiker um Servilius Nonianus handeln; seine gesellschaftliche Stellung als Senator und Konsul dürfte auch seinen Schriften große Aufmerksamkeit gesichert haben; die Notiz, daß der Dichter Persius ihn wie einen Vater verehrt habe (Vita Persi, Z.17 [CLAUSEN]), stellt ihn in ein literarisch ambitioniertes Umfeld. SYME selbst jedoch warnt davor, dieser Mutmaßung für die Tacitus-Erklärung zuviel Gewicht zu geben und erinnert mit Recht an das abwertende Urteil des Tacitus über seine Vorgänger im Annalenproömium (ann. 1,1,2). Wenn überhaupt von einer Hauptquelle des Tacitus gesprochen werden könne, so könnten dies nur die acta senatus sein (zustimmend BORSZÁK 1968, 479–480). SYMEs Unbehagen gegenüber allen Bemühungen, eine „Ein-“ oder „Zwei-Quellen-Theorie“ wahrscheinlich zu machen, ist nur zu berechtigt. Eine der Hauptursachen für die zahlreichen und wenig fruchtbaren Spekulationen über die von Tacitus benutzten „Quellen“ scheint in der Verwendung des Begriffs „Quelle“ selbst zu liegen, der nach dem üblichen Sprachgebrauch eine sehr starke, lineare Abhängigkeit suggeriert; auf diese Weise geraten die Untersuchungen von vornherein auf ein falsches Gleis. Ebenso wie die Senatsakten allein schon wegen des Gattungsunterschieds eher „Materialbasis“ als „Quelle“ im herkömmlichen Sinn genannt werden sollten, sollten auch die von Tacitus benutzten Schriften literarischen Charakters allgemein als „Material“ klassifiziert werden. Die Art der Verwendung ist im einzelnen zu klären; erst danach sind die Texte in ein möglichst differenziertes Raster intertextueller Beziehungen einzuordnen.
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vorgebracht worden.15 KOESTERMANN (1965, 19–20) hält kompositorische Überlegungen für maßgeblich. Tacitus hat die Regierungszeit des Tiberius in zwei Perioden von je drei Büchern gliedern wollen. Die erste Trias befaßt sich mit dem Gegenüber von Tiberius und Germanicus, die zweite mit dem von Tiberius und Sejan. Während dem Kaiser in der ersten Phase der Regierung ein vermeintlicher Feind zur Seite steht, der sich in Wahrheit loyal verhält, hat er es in der zweiten mit einem vermeintlichen Freund zu tun, der in Wahrheit sein Feind ist. Eine andere Hypothese führt den Neueinsatz mit dem Jahr 23 n. Chr. auf die Tatsache zurück, daß erst dann die Nachfolgekämpfe einsetzten, deren erstes Opfer Drusus war. Tacitus habe also den historischen Gegebenheiten Rechnung getragen.16 MANUWALD (1990, 40–41) knüpft dagegen an Tacitus’ Worte aus dem Annalenproömium (1,2) an, nach denen die Kaiser von Tiberius bis Nero in der Historiographie entweder panegyrisch überhöht oder, sofern das betreffende Werk nach ihrem Ableben verfaßt wurde, aufgrund „frischen Hasses“ übertrieben schlecht dargestellt wurden. Da nach dem Tod des Tiberius von Caligula bis Nero Kaiser aus dem Hause des Germanicus herrschten, stehe zu erwarten, daß die Geschichtsschreibung dieser Zeit ein ungerechtes Zerrbild von Tiberius entworfen habe. Der Synchronismus von Germanicus’ Tod und der Entartung der tiberianischen Regierung lege davon Zeugnis ab. Tacitus habe daher im Bestreben, Tiberius Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, den Zeitpunkt der Depravation um vier Jahre verschoben, um die gute oder zumindest erträgliche Phase der Regentschaft des Tiberius zu verlängern. MANUWALD muß allerdings einräumen, daß Tacitus diese Absicht eher subjektiv vorgeschwebt haben mag, als daß sie in der Tiberius-Darstellung der ersten drei Bücher zum Tragen gekommen sei. Ich meine, daß in der Tat historische, kompositorische und literarkritische Überlegungen Tacitus dazu veranlaßten, den Wendepunkt in der tiberianischen Herrschaft auf das Jahr 23 n. Chr. zu verlegen. Die eigentlichen Gründe und deren Zusammenspiel sind jedoch noch nicht hinreichend klar erfaßt worden. Im Unterschied zu der aus Cassius Dio und Sueton zu erschließenden Tradition betrachtet Tacitus aus historischen Gründen heraus den verderblichen Einfluß Sejans auf Tiberius als entscheidend bei der Entartung des Regimes des zweiten Kai-
15 Gesammelt bei MANUWALD 1990, 39–40. 16 Vgl. HEINRICHS 1976, 130–131.
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sers.17 Die Ursachen dafür, daß er erst im Jahr 23 n. Chr. (Anfang des vierten Buchs) und nicht schon nach dem Tod des Germanicus (Anfang des dritten Buchs) auf Sejan zu sprechen kommt, sind sachlicher und kompositorischer Natur. Die Übernahme des alleinigen Oberbefehls über die Prätorianer und deren Zusammenlegung in ein einziges Lager (20 n. Chr.) bedeutete ja nicht die sofortige Einflußnahme Sejans auf die Regierung, sondern schuf erst die Voraussetzungen für das allmähliche Anwachsen seiner Macht (ann. 4,2,2–3): ut perfecta sunt castra (sc. das Prätorianerlager), inrepere paulatim militares animos adeundo, appellando; simul centuriones ac tribunos ipse deligere. neque senatorio ambitu abstinebat clientes suos honoribus aut provinciis ornandi, facili Tiberio atque ita prono, ut socium laborum non modo in sermonibus, sed apud patres et populum celebraret colique per theatra et fora effigies eius interque principia legionum sineret.
Tacitus beschreibt hier in einem summarischen Rückblick einen drei Jahre währenden Prozeß, der mit Sejans Bemühen um die Gunst der ihm unterstellten Soldaten beginnt und in einer vom Kaiser gebilligten öffentlichen Verehrung von Bildnissen endet. In dieser Situation hielt Sejan seine Position schließlich für so weit gefestigt, daß er das Wagnis unternehmen konnte, Drusus, den einzigen Rivalen, den er beim Griff nach der Macht noch fürchten mußte, durch einen Giftanschlag zu beseitigen.18 Daß Tacitus den Einschnitt in der tiberianischen Herrschaft in das Jahr 23 n. Chr. setzt, ist vor allem historisch begründet. Sejan ist für ihn der Hauptschuldige für den Wandel zum Schlechten; zum ersten Mal zeigt sich in der Ermordung des Drusus, des leiblichen Sohns des Tiberius, welche Machtfülle er beginnend von der Ernennung zum Oberbefehlshaber der Prätorianer vorsichtig und schrittweise erworben hat. Den Vorlauf 17 Vgl. ann. 4,1,1: C. Asinio C. Antistio consulibus nonus Tiberio annus erat compositae rei publicae, florentis domus (nam Germanici mortem inter prospera ducebat), cum repente turbare fortuna coepit, saevire ipse aut saevientibus vires praebere. initium et causa penes Aelium Seianum. 18 Vgl. Anmerkung 12 und 4,7,1: quae cuncta [sc. Tiberius’ erträgliche Regierungsführung] non quidem comi via, sed horridus ac plerumque formidatus, retinebat tamen, donec morte Drusi verterentur: nam dum superfuit, mansere, quia Seianus incipiente adhuc potentia bonis consiliis notescere volebat et ultor metuebatur non occultus odii, sed crebro querens incolumi filio adiutorem imperii alium vocari. et quantum superesse, ut collega dicatur? primas dominandi spes in arduo: ubi sis ingressus, adesse, studia et ministros, exstructa iam sponte praefecti castra, datos in manum milites; cerni effigiem eius in monimentis Cn. Pompei, communes illi cum familia Drusorum fore nepotes. Drusus hatte Sejan also durchschaut.
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dieses Ereignisses erzählt Tacitus gerafft im Rückblick zu Beginn des vierten Buchs, weil sich die vielfältigen und anfänglich unscheinbaren Aktivitäten Sejans zur Vermehrung seiner Macht nicht für eine Darstellung in chronologischer Reihenfolge eignen. Es erhöht die literarische Wirkung, wenn Sejan mit einem „Paukenschlag“ auf den Plan tritt. Zudem wäre die Bedeutung des Wendejahrs 23 verdunkelt worden, wenn bereits im Laufe des dritten Buchs (20 bis 22 n. Chr.) auf Sejans verhängnisvollen Aufstieg eingegangen worden wäre.19 Hinzu kommt, daß Sejans heimliche Herrschaft durch den Giftmord gleich von Beginn an als Schreckensregiment charakterisiert wird. In derselben Absicht führt Tacitus die Regentschaft des Tiberius und des Nero jeweils durch ein Verbrechen ein.20 Ferner dürfte für die Verlegung des Bruchs vom Tod des Germanicus auf den durch Sejan inszenierten Tod des Drusus auch das von MANUWALD in die Diskussion eingeführte Argument eine Rolle gespielt haben, daß Tacitus, aus historischem Abstand, sine ira et studio, urteilend, die Parteilichkeit seiner Quellen korrigieren wollte. Diese Korrektur dürfte jedoch nur zu einem kleinen Teil im Versuch einer Aufwertung des Tiberius bestanden haben. Tacitus betrachtet ihn als eine im Kern schlechte Persönlichkeit; daß die erste Phase seiner Herrschaft von außen betrachtet als gut betrachtet werden kann, führt er auf listige Verstellung zurück (ann. 6,51,3: occultum ac subdolum fingendis virtutibus, donec Germanicus ac Drusus superfuere). Der Hauptgrund für die Ablösung der Verschlechterung der Herrschaft des Tiberius vom Tod des Germanicus dürfte in der Absicht zu sehen sein, die ideologische Überhöhung des Germanicus zugunsten einer rea-
19 Aus demselben Grund unterdrückt Tacitus die von Cassius Dio (57,19,6) an der entsprechenden Stelle gelieferte Information, daß Sejan bereits vor dem Jahr 20 gemeinsam mit seinem Vater den Prätorianern vorstand (4,2,1: vim praefecturae modicam antea intendit, dispersas per urbem cohortes una in castra conducendo, ut simul imperia acciperent numeroque et robore et visu inter se fiducia ipsis, in ceteros metus oreretur). Ohnehin wird die Chronologie gezielt verunklart. Der Leser ist nicht in der Lage, aus dem zitierten Einleitungssatz des Kapitels über Sejans Aufstieg das Jahr der Kommandoübernahme zu entnehmen. So ist ihm die Möglichkeit genommen, Tacitus’ Entscheidung für das Epochenjahr 23 anzuzweifeln. Auch die vereinzelten Erwähnungen Sejans in Buch 1–3 (1,24,2. 69,5; 3,16,1. 29,4. 35,2. 66,3. 72,3) lassen seine spätere Bedeutung allenfalls erahnen. 20 Vgl. ann. 1,6,1: primum facinus novi principatus fuit Postumi Agrippae caedes; ann. 13,1,1: prima novo principatu mors Iunii Silani proconsulis Asiae ignaro Nerone per dolum Agrippinae paratur. Hinweis von HEINRICHS (1976, 67).
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listischen Darstellung zurückzunehmen.21 Nach Tiberius’ Tod herrschte von Gaius bis Nero die Linie des Germanicus; die Geschichtsschreibung jener Zeit dürfte sich nicht nur recentibus odiis gegen Tiberius gewendet, sondern gleichzeitig „cum studio“ Germanicus als denjenigen hingestellt haben, der es eigentlich verdient hätte, in Rom zu herrschen.22 Tacitus löst die verkürzende Antithese Tiberius – Germanicus auf und setzt an ihre Stelle eine Analyse der Regierungszeit des Tiberius, in der die persönliche Entwicklung des Kaisers und der Einfluß von Germanicus, dem Liebling der Massen, dem Tiberiussohn Drusus und dem intriganten Sejan auf die Regierung differenziert gewürdigt werden. In diesen Zusammenhang ist folgende Untersuchung einzuordnen. Es hat den Anschein, daß Lucan. 9,167–185 und Tac. ann. 3,1–2 dieselbe Quelle zugrunde liegt. Ein Vergleich beider Texte ermöglicht es, ein kleines Stück der verlorengegangenen prätaciteischen Historiographie in Ansätzen zu rekonstruieren und die jeweiligen Bearbeitungen davon abzuheben. Die beiden Passagen seien hier zunächst synoptisch zusammengestellt.23 Lucan. 9,167–185
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Tac. ann. 3,1–2
1 1 Nihil intermissa navigatione hiberni maris Agrippina Corcyram insulam advehitur, litora Calabriae contra sitam. illic paucos dies componendo animo insumit, violenta luctu et nescia tolerandi. 2 interim adventu eius audito intimus Interea totis audito funere Magni litoribus sonuit percussus quisque amicorum et plerique militares, planctibus aether ut quique sub Germanico stipendia exemploque carens et nulli fecerant, multique etiam ignoti vicinis e cognitus aevo municipiis, pars officium in principem luctus erat, mortem populos rati, plures illos secuti, ruere ad oppidum deflere potentis. Brundisium, quod naviganti celerrimum fidissimumque adpulsu erat. 3 atque ubi primum ex alto visa classis, complentur non modo portus et proxima maris, sed Für Tacitus’ Kritik an Germanicus vgl. die in Anmerkung 2 zitierte Literatur. moenia ac tecta, quaque longissime Vgl. die vortaciteische Tradition bei Sueton Cal. poterat, 4: quarummaerentium virtutum fructum prospectari turbauberriet mum tulit, sic probatus et dilectus a suis, ut Augustus – omitto enim necessitates reliquas rogitantium inter se, silentione an voce – diu cunctatus an sibi successorem destinaret, adoptandum Tiberio dedit. exciperent. neque aliqua egredientem Der Text der Annalen wird nach der Ausgabe von Hquid EUBNER (Stuttgartforet, 1983) zisatis constabat pro tempore 21997). B AILEY s (Stuttgart tiert, Lucan nach der Edition SHACKLETON cum classis paulatim successit, non alacri, ut adsolet, remigio, sed cunctis ad tristitiam compositis.
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primum ex alto visa classis, complentur non modo portus et proxima maris, sed moenia ac tecta, quaque longissime prospectari poterat, maerentium turba et rogitantium inter se, silentione an voce aliqua egredientem exciperent. neque satis constabat quid pro tempore foret, cum classis paulatim successit, non alacri, ut adsolet, remigio, sed cunctis ad tristitiam compositis. 4 postquam duobus cum liberis, feralem sed magis, ut visa est lacrimis exhausta, solutas urnam tenens, egressa navi defixit oculos, in vultus effusa comas, Cornelia idem omnium gemitus, neque discerneres puppe proximos alienos, virorum feminarumve egrediens, rursus geminato verbere planctus, nisi quod comitatum plangunt. Agrippinae longo maerore fessum obvii et recentes in dolore anteibant. ut primum in sociae pervenit litora 2 1 Miserat duas praetorias cohortes terrae, Caesar, addito ut magistratus Calabriae Apulique et Campani suprema erga 175 collegit vestes miserique insignia Magni memoriam filii sui munia fungerentur. 2 igitur tribunorum centurionumque armaque et impressas auro, quas gesserat olim umeris cineres portabantur; praecedebant exuvias pictasque togas, velamina incompta signa, versi fasces; atque ubi summo colonias transgrederentur, atrata plebes, ter conspecta Iovi, funestoque trabeati equites pro opibus loci vestem intulit igni. odores aliaque funerum sollemnia ille fuit miserae Magni cinis. accipit cremabant. etiam quorum diversa oppida, omnis tamen obvii et victimas atque aras dis Manibus statuentes lacrimis et 180 exemplum pietas, et toto litore busta conclamationibus dolorem testabantur. 3 Drusus Tarracinam progressus est cum surgunt Thessalicis reddentia manibus ignem. Claudio fratre liberisque Germanici, qui sic, ubi depastis summittere in urbe fuerant. consules M. Valerius M. gramina campis Aurelius (iam enim magistratum et resonare parans hibernas Apulus occeperant) et senatus ac magna pars herbas populi viam complevere, disiecti et ut igne fovet terras, simul et cuique libitum flentes; aberat quippe Garganus et arva adulatio, gnaris omnibus laetam Tiberio Germanici mortem male dissimulari. 185 Vulturis et calidi lucent buceta Matini.
Die beiden Texte weisen eine Vielzahl inhaltlicher, struktureller und sprachlicher Ähnlichkeiten auf. Die Ehefrau eines im Ausland umgekommenen Anwärters auf die Alleinherrschaft landet an einer Küste, wo sich
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die Nachricht vom Tod des allgemein beliebten Staatsmanns bereits verbreitet hat und sie von einer trauernden Menge empfangen wird. Beim Anblick der vom Leid gezeichneten Witwe kommt es zu einem kollektiven Schmerzensausbruch; dem Verstorbenen wird darauf die letzte Ehre erwiesen, indem man symbolische Scheiterhaufen aus Gewändern, Duftstoffen und anderen traditionellen Verbrennungsbeigaben errichtet. Diese Kundgebung der Anteilnahme und Betroffenheit ist in beiden Fällen zugleich eine Demonstration gegen den unbeliebten Rivalen des Verstorbenen, dessen Herrschaft durch den Tod des Widersachers gesichert (Tiberius) oder begünstigt (Caesar) wird. Die Komposition der Abschnitte verläuft weitgehend parallel. Den Höhepunkt bildet jeweils der Affektausbruch der Menge beim Anblick der Witwe (Lucan. 9,176–178; Tac. ann. 3,1,4); während Lucan darauf durch die Beschreibung der trauernden Soldaten in einem Schritt hinleitet, erfolgt der Spannungsaufbau bei Tacitus zweistufig: Die Germanicus-Anhänger strömen auf die Nachricht von der Ankunft Agrippinas in Brundisium zusammen (3,1,2) und besetzen, als das Schiff in Sichtweite kommt, Hafen, Küste sowie Mauern und Dächer der Stadt, um das Geschehen genau verfolgen zu können (3,1,3). Die Szene klingt jeweils aus mit der Errichtung der Scheiterhaufen für den Verstorbenen (Lucan. 9,174–185; ann. 3,2,1). Bevor die Passagen im einzelnen untersucht werden, sei zunächst der Versuch unternommen, durch Analyse der jeweiligen Kontexte weitere Spuren des anonymen Autors ausfindig zu machen. Lucan ist in dieser Hinsicht unergiebig; der Ankunft Cornelias am Strand der Kyrenaika geht ein Gespräch zwischen Gnaeus und Sextus Pompeius voran (9,117–145), in dem Sextus seinem älteren Bruder von der Ermordung des Vaters berichtet, worauf dieser sofort zu einem Rachefeldzug gegen Ägypten aufbrechen will. Weder diese Szene noch die auf die Ankunftsszene folgende Leichenrede Catos auf Pompeius (190–214) weisen Elemente der Germanicus-Tradition auf. Anders als bei Lucan ist bei Tacitus davon auszugehen, daß er die gesuchte Quellenschrift, in der schwerlich nur die Ankunft Agrippinas in Brundisium beschrieben worden ist, nicht nur punktuell ausgewertet hat; die Quellenanalyse gestaltet sich jedoch äußerst schwierig, weil Tacitus seine Vorlagen mit großer Souveränität umgestaltet und in sein Werk organisch einbindet und es zudem unklar ist, wonach überhaupt zu suchen ist. Ist es erlaubt, von Tac. ann. 3,1,1–2, einem germanicusfreundlichen, auf Wirkung und dramatischen Effekt zielenden Passus, auf Intention und Stil der gesamten Schrift zu schließen? Die Tatsache, daß auch Lucan diesen Passus rezipiert hat, zeigt, daß es sich um einen
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herausragenden literarischen Glanzpunkt der Schrift handelt, und warnt vor vorschnellen Verallgemeinerungen. Dennoch gibt es einen Fingerzeig, daß der durch Quellenvergleich ermittelte Abschnitt nicht untypisch für die Gesamtschrift sein dürfte. Im folgenden Kapitel (ann. 3,3) berichtet Tacitus nämlich, daß er auf andere Quellen (auctores rerum; diurna actorum scriptura) habe zurückgreifen müssen, um zu ermitteln, wer von der kaiserlichen Familie und der Verwandtschaft des Germanicus an der Leichenfeier in Rom teilgenommen habe. Dieses Kapitel, in dem Tacitus offenbar bemüht ist, die Defizite der zuvor benutzten Quelle auszugleichen, und eigene Mutmaßungen darüber anstellt, warum Tiberius, Livia/Augusta und die Mutter des Germanicus, Antonia, der Zeremonie ferngeblieben sind, bestätigt die Vermutung bezüglich des Charakters der anonymen Schrift. Es dürfte sich um eine stark dramatisierende Parteischrift zugunsten des Germanicus handeln, die sich darauf beschränkt, den Gegensatz zwischen Germanicus und dem verhaßten Tiberius herauszustreichen. Interesse am Detail, wie es Tacitus durch die Einsicht der acta diurna bekundet, hat offenbar nicht bestanden. Stilistische und inhaltliche Parallelen zu 3,1–2 legen die Annahme nahe, daß dem Anonymus auch noch der Grundstock von ann. 3,4 zuzuordnen ist. Dort wird beschrieben, wie bei der Beisetzung der Asche des Germanicus die Straßen mit Menschen gefüllt waren, die in unheimlicher Stille verharrten oder in Schluchzen ausbrachen, Fackeln brannten, die Menge den Tod des Germanicus als Untergang Roms beklagte (ann. 3,4,1: concidisse rem publicam, nihil spei reliquum clamitabant) und für das Wohlergehen der Agrippina betete (3,4,2). Eine genaue Unterscheidung zwischen Vorlage und taciteischer Bearbeitung ist auf der Basis nur eines Textes jedoch nicht möglich.24 Die beiden folgenden Kapitel (3,5–6), die letzten, die sich unmittelbar mit Germanicus befassen, können nicht mehr der anonymen Quelle zugerechnet werden. In 3,5 referiert Tacitus Äußerungen, die die Beisetzung des Germanicus mit der seines Vaters Drusus vergleichen und die ihm erwiesenen Ehren für unzureichend halten, worauf Tiberius (3,6) dieses Gerede durch ein Edikt zum Verstummen bringt, in dem er mahnt, in der Trauer Maß zu halten. 3,6 ist offenkundig die taciteische Wiedergabe der 24 Eventuell ist die Bemerkung über die Art und Weise, in der die Weherufe des Volks vorgebracht wurden (3,4,1: promptius apertiusque quam ut meminisse imperitantium crederes), ein Urteil des Tacitus.
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amtlichen Anordnung des Tiberius, das mißmutige Räsonnement in 3,5, das die unerfreuliche Gegenwart einer angeblich besseren Vergangenheit gegenüberstellt, paßt inhaltlich und stilistisch nicht zu der vorhergehenden dramatischen Schilderung der Bestattung. Ergebnislos bleibt der Versuch, die Quelle nach vorn zu verlängern; die Berichte über Germanicus’ Tod und Pisos Umtriebe, sich der Statthalterschaft Syriens zu bemächtigen (ann. 2,69–83), lassen keinen Schluß auf die Art der benutzten Quellen zu. Die Interpretation hat sich also auf den durch den Vergleich mit Lucan gesicherten Abschnitt Tac. ann. 3,1–2 zu beschränken. Wenn die Überlegungen zu ann. 3,3 zutreffend sind, handelt es sich bei der von Tacitus verwendeten Quelle um eine einsträngige, stark rhetorisierte Schrift zur Verherrlichung des Germanicus.25 Tacitus hat sich eines besonders eindrucksvollen Abschnitts dieses Werks bedient, um das dritte Buch mit einem Höhepunkt zu eröffnen; er hat dabei jedoch nicht auf eine kritische Bearbeitung verzichtet. In den ersten beiden Kapiteln finden sich Bemerkungen, die sich nicht zu der zu vermutenden enkomiastischen Tendenz der Vorlage fügen und wahrscheinlich auf die redaktionelle Arbeit des Tacitus zurückgehen. Zuerst fällt auf, daß der Notiz, Agrippina habe die in aller Eile durchgeführte gefahrvolle Reise über das winterliche Meer von Syrien nach Italien in Korkyra unterbrochen, um vor ihrem öffentlichen Auftreten in Italien und Rom die Kontenance wiederzugewinnen, eine interpretierende Apposition folgt. Agrippina sei violenta luctu et nescia tolerandi (3,1,1) gewesen. Diese Charakteristik ist in einer dem Haus des Germanicus nahestehenden Schrift schwerlich denkbar, fügt sich aber ausgezeichnet in das Gesamtbild, das Tacitus von der Gemahlin des Germanicus zeichnet. In ann. 1,33 beschreibt er den die beiden ersten Annalenbücher durchziehenden Gegensatz zwischen dem liebenswürdigen und gewinnenden Germanicus und dem anmaßenden und undurchsichtigen Tiberius. Diese Spannung sei verschärft worden durch die Rivalität zwischen der Kaisermutter Livia und der Gattin des Germanicus; Livia habe Agrippina durch Sticheleien gereizt, diese wiederum sei paulo commotior, nisi quod castitate et mariti amore quamvis indomitum animum in bonum vertebat. Diese beiden Seiten der Agrippina, Direktheit, Furchtlosigkeit, aufbrausendes 25 Ist SYME s Zuweisung der germanicusfreundlichen, den Bruch in der tiberianischen Herrschaft in das Jahr 19 n. Chr. datierenden Schrift an Servilius Nonianus zutreffend (vgl. Anm. 14), dürfte er auch der Autor sein, der Tacitus die Grundlage für den Beginn des dritten Annalenbuchs geliefert hat. Gewonnen ist mit dieser Identifizierung nichts; sie sei daher nur am Rande erwähnt.
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Wesen, das sie auch vor unklugen Provokationen nicht haltmachen läßt, sowie liebevolle Treue zu ihrem Mann, die ihr ungezügeltes Temperament in rechte Bahnen lenkt, bestimmen in der Darstellung des Tacitus ihr Auftreten.26 Im Zusammenhang mit dem Tod des Germanicus nimmt Tacitus zweimal auf Agrippina Bezug. Er läßt den Sterbenden sich mit der inständigen Bitte an seine Gattin wenden, nach ihrer Rückkehr nach Rom äußerste Vorsicht walten zu lassen (2,72,1: tum ad uxorem versus per memoriam sui, per communes liberos oravit, exueret ferociam, saevienti fortunae summitteret animum, neu regressa in urbem aemulatione potentiae validiores inritaret), erwähnt jedoch, daß diese Bitte ungehört blieb; auf Rache an Piso sinnend, schifft sich Agrippina eilends nach Rom ein (2,75,1): at Agrippina, quamquam defessa luctu et corpore aegro, omnium tamen quae ultionem morarentur intolerans, ascendit classem. Diese Zustandsbeschreibung, die Agrippina schwer angegriffen von der Trauer um ihren Mann und zugleich vor Rachsucht außer sich zeigt, wird durch violenta luctu et nescia tolerandi zu Beginn des dritten Buchs 26 In 1,69,1 verhindert sie durch ihr energisches Eingreifen, daß die in Angst vor den Germanen in Panik geratenen römischen Truppen eine Rheinbrücke abbrechen: Pervaserat interim circumventi exercitus fama et infesto Germanorum agmine Gallias peti, ac ni Agrippina impositum Rheno pontem solvi prohibuisset, erant qui id flagitium formidine auderent. sed femina ingens animi munia ducis per eos dies induit militibusque, ut quis inops aut saucius, vestem et fomenta dilargita est. In 4,12 provoziert sie durch unvorsichtige Äußerung ihrer Hoffnung, daß einer ihrer Söhne Tiberius auf den Thron folgen könnte, Anschläge Sejans gegen ihre Kinder; in 4,52 verärgert sie den Kaiser dadurch, daß sie ihn zornentbrannt über eine Anklage gegen ihre Cousine Claudia Pulchra wegen Ehebruchs (4,52,2: semper atrox, tum et periculo propinquae accensa) mit Vorwürfen überschüttet; ihr Verhältnis zu Tiberius wird endgültig durch eine Intrige Sejans zerstört (4,54,1–2), der ihre Unfähigkeit, sich zu verstellen (simulationum nescia), heimtückisch ausnutzt, indem er ihr durch Helfershelfer weismachen läßt, Tiberius wolle sie vergiften; bei einer gemeinsamen Mahlzeit mit dem Kaiser weist sie, wie Sejan es vorausgesehen hatte, die von ihm angebotenen Speisen zurück und beleidigt den Kaiser, der erkennt, daß sie ihm einen Giftmord zutraut. Ihre Offenheit wird ihr schließlich zum Verhängnis; da ihr Lebenswandel untadelig ist, wirft Tiberius ihr adrogantiam oris et contumacem animum vor und läßt die gefährliche Rivalin wegen Renitenz verbannen (5,3–5; 14,63,2). Die Beschuldigung, Ehebruch begangen zu haben, wagt der Kaiser erst nach ihrem Tod; Tacitus weist sie jedoch entschieden zurück (6,25,2): sed Agrippina aequi impatiens, dominandi avida, virilibus curis feminarum vitia exuerat. Als Frau des Germanicus war sie beim Volk ohnehin beliebt, ihr Freimut, der sich von der Schmeichelei und den Ränken des Hofs vorteilhaft abhob, dürfte ihre Popularität weiter gesteigert haben; vgl. ann. 3,4,2; 4,12,1; 5,4,2. Zu Agrippina der Älteren und der Darstellung von Frauen in den Annalen überhaupt vgl. KAPLAN 1979.
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wiederaufgenommen. Die paradoxe Verbindung von schwerem Leid und unbeherrschtem Zorn fügt sich nahtlos in das psychologische Gesamtbild, das Tacitus in unterschiedlichen Zusammenhängen und auf je verschiedene Quellen zurückgreifend von Agrippina zeichnet.27 Die Apposition ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein sekundäres Interpretament des Tacitus. Ein zweiter Einschub, der die taciteische Überformung der Quelle greifbar werden läßt, ist die Erläuterung, daß von den zahlreichen Leuten, die, obwohl mit Germanicus nicht persönlich bekannt, nach Brundisium geströmt sind, dies nur ein Teil aus Pflichtgefühl gegenüber dem Adoptivsohn des Kaisers tat, die Mehrheit ihnen jedoch ohne spezielles Motiv einfach nachfolgte (3,1,2: multique etiam ignoti vicinis e municipiis, pars officium in principem28 rati, plures illos secuti, ruere ad oppidum Brundisium). Die Bemerkung 27 Tacitus hat an der Person der älteren Agrippina offenbar ein besonderes Interesse besessen. Es ist auffällig, daß sich die beiden einzigen Quellennennungen innerhalb der ersten sechs Annalenbücher im Zusammenhang mit der Frau des Germanicus finden. Berichte über für eine Frau ungewöhnliche Verhaltensweisen werden durch die Angabe des Belegs als glaubwürdig abgesichert; vgl. Anmerkung 7. Die Sorgfalt, mit der Tacitus bei der Charakterisierung der Agrippina zu Werke geht, ist ebenfalls ein Hinweis darauf, daß die Apposition auf ihn selbst zurückgeht. 28 Die Bedeutung von in principem ist nicht klar; FURNEAUX und KOESTERMANN diskutieren die Stelle nicht, verstehen unter princeps also in Übereinstimmung mit dem üblichen taciteischen Sprachgebrauch stillschweigend den Kaiser (Tiberius). Gegen diese Auffassung spricht eine Reihe von Gründen: 1. Germanicus war beim Volk beliebt, Tiberius nicht; niemand käme auf die Idee, Germanicus um Tiberius willen zu betrauern. 2. In 3,2,3 wird ausdrücklich festgehalten, es sei allen bekannt gewesen, daß der Tod des Germanicus von Tiberius mit Freude aufgenommen wurde. 3. In 2,71,3 legt Tacitus dem sterbenden Germanicus die von ihm ex eventu formulierte Prophezeiung in den Mund: flebunt Germanicum etiam ignoti. Eine rein formale Erfüllung der Voraussage kann er dabei schwerlich im Auge gehabt haben. Die Verfasser des neuesten Kommentars zum dritten Buch der Annalen (R.H. MARTIN und A.J. WOODMAN) konnten sich angesichts dieses Problems nicht einigen. MARTIN plädiert für die traditionelle Lesart, WOODMAN bezieht aus den genannten Gründen in principem auf Germanicus und verweist zur sprachlichen Stützung auf ann. 3,6,3. 34,6. 47,2. 57,1, wo die Mitglieder des Kaiserhauses als principes bezeichnet werden, und auf Ovid, der Germanicus mehrfach princeps nennt (z.B. in Pont. 2,5,55). Die sachlichen Argumente, die W OODMAN gegen die herkömmliche Deutung der Stelle auf Tiberius geltend macht, scheinen mir zutreffend, aber es ist mehr als eine stilistische Variation, daß Germanicus hier princeps genannt wird. Tacitus gliedert die Menschenmenge, die sich nach Brundisium aufmacht, in drei Gruppen. Die erste umfaßt die eng-
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bewirkt eine kritische Brechung der Mitleidsbekundung für Germanicus; die Mehrheit war nach Tacitus nur anwesend, weil sich Menschen bei bestimmten Anlässen gern versammeln und das nachahmen, was man ihnen vormacht. Mit der Tendenz der Quellenschrift, Germanicus durch die Beschreibung seiner ungeheuren Beliebtheit beim Volk als wahren Princeps darzustellen, ist dieser entlarvende Einblick in die Psychologie der Masse nicht zu vereinbaren. Er dürfte Tacitus zuzuschreiben sein, dessen skeptisches Bild vom Menschen, vor allem das des Menschen in der Gruppe, sein gesamtes Werk prägt.29 Hier hat er den Topos des vulgus mutabile einsten Freunde des Germanicus und die Soldaten, die unter ihm gedient haben; ihnen geht es um die Person des Germanicus. Die zweite Gruppe, die mit Germanicus nicht persönlich bekannt ist, will Germanicus das letzte Geleit geben, weil sie meint, ihm gegenüber eine Pflicht erfüllen zu müssen. Tacitus kann an dieser Stelle also nicht den Namen Germanicus wiederholen, sondern muß ein Amt oder einen Titel nennen, durch die diese Pflicht begründet wird. Die Mitglieder der kaiserlichen Familie einschließlich der Prinzen hatten zwar de facto eine herausgehobene Stellung im Staat, rein rechtlich erwuchs ihre Macht jedoch aus den Ämtern, die ihnen durch Wahlen oder kaiserliche Anordnungen übertragen wurden. Die damit verbundenen Titel und Befugnisse gaben aber ihre tatsächliche Machtposition nur unzureichend wieder. Tacitus war also bei der Suche nach einer Bezeichnung, die Germanicus’ Bedeutung für den Staat adäquat erfaßte, auf den Titel princeps („Mitglied der kaiserlichen Familie“) angewiesen. Dasselbe gilt für die obengenannten Stellen, an denen die Mitglieder der kaiserlichen Familie als principes bezeichnet werden, und den zweiten singularischen Beleg von princeps bei Tacitus, der nicht den Kaiser meint: In hist. 5,1,2 wird berichtet, daß sich nach der Machtübernahme durch Vespasian viele Leute von Rom und Italien aus nach Judäa begeben hätten, um an der von Titus geleiteten Belagerung Jerusalems teilzunehmen. Nach Tacitus bewegte sie die Hoffnung occupandi principem adhuc vacuum. Titus erhält die Unterstützung also nicht als militärischer Befehlshaber, sondern in seiner Funktion als neuer zweiter Mann im Staat und möglicher Nachfolger Vespasians. Es ist auffällig, daß sich in hist. 5,1,2 und ann. 3,1,2 die Abweichungen vom üblichen Sprachgebrauch jeweils im Referat von Handlungsmotiven finden. Tacitus steht der titularischen Aufwertung der kaiserlichen Prinzen, die er selbst sonst unterläßt, und den daraus resultierenden Verhaltensweisen offenbar skeptisch gegenüber. – Für das Bemühen der Kaiser, die Stellung ihrer Familienmitglieder durch Ämter formal abzusichern, vgl. z.B. Tac. ann. 1,3. Speziell für die kaiserlichen Prinzen und möglichen Thronnachfolger führte Augustus den Titel principes iuventutis ein; in republikanischer Zeit galt diese Bezeichnung der adligen Reiterei; vgl. BERINGER 1954, 2296–2311. Hier kann dieser Titel nicht gemeint sein. 29 Zur Darstellung der Volksmassen bei Tacitus vgl. die Untersuchung von NEWBOLD (1976); nach der von ihm erstellten Statistik (86–87) sind die häufig-
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geschoben, der die antik-aristokratische Sicht der Masse repräsentiert. Sie ist leicht erregbar und stets bereit, Affekten nachzugeben oder auf bloße Gerüchte hin irrational zu reagieren. Das Handeln der Masse wird dabei von wenigen mit Überlegung handelnden Führungspersönlichkeiten bestimmt, die Mehrheit folgt entindividualisiert dem Herdentrieb.30 Das Stilmittel der nachgestellten Reflexion auf die Motive einer Handlung und die sprachliche Form, in der der Topos hier begegnet, ist typisch taciteisch. In seinem Bestreben, Geschichte nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu deuten und die wahren Triebkräfte historischen Geschehens aufzudecken, läßt Tacitus häufig nach der Schilderung einer Handlung eine Reflexion auf die Motive folgen; zumeist werden dabei mehrere Beweggründe für ein und dieselbe Handlung verantwortlich gemacht.31 Als sten Handlungszusammenhänge, in denen Tacitus auf das Volk Bezug nimmt: 1. Verbreitung von Gerüchten, 2. Leichtsinn, Wankelmut, 3. Undiszipliniertheit, Erregung von Tumulten, 4. Neigung zu Panikreaktionen. 30 Vgl. z.B. hist. 1,69 (ein Redner beruhigt eine aufgebrachte Masse): militis animum mitigavit, ut est mos, vulgus mutabile subitis et tam pronum in misericordiam quam immodicum saevitia fuerat; ann. 3,65,11: o homines ad servitutem paratos! und weitere Beispiel bei OTTO, Sprichwörter s.v. vulgus (S. 378). Der Topos findet sich zum ersten Mal im Bienengleichnis, mit dem Homer (Il. 2,85–96) das Zusammenströmen der Soldaten zur Volksversammlung veranschaulicht. 31 Vgl. z.B. ann. 6,7,3 (das Delatorenwesen breitet sich aus): perinde in foro, in convivio, quaqua de re locuti incusabantur, ut quis praevenire et reum destinare properat, pars ad subsidium sui, plures infecti quasi valetudine et contactu; nur ein Teil der Denunziationen gehen auf den immerhin nachvollziehbaren Wunsch zurück, sich selbst zu schützen; die Mehrheit ist von der Bereitschaft, andere durch Anzeigen zu Fall zu bringen, wie von einer Krankheit infiziert. Ann. 6,43,1 (Zwistigkeiten am armenischen Hof): pars metu, quidam invidia in Abdagaesen, qui tum aula et novo rege potiebatur, ad Artabanum vertere; die Entscheidung für Artabanus fällt aufgrund von Affekten; sich von Furcht oder Haß leiten zu lassen, ist gleichermaßen töricht. Ann. 15,13,2 (römische Soldaten verteidigen sich in einem Kastell gegen einen Partherangriff): at illi vix contuberniis extracti, nec aliud quam munimenta propugnabant, pars iussu ducis, et alii propria ignavia aut Corbulonem opperientes. Alle Soldaten tun das Richtige, doch nur ein Teil handelt aus Pflicht und somit moralisch wertvoll. Die militärische Abteilung als ganze wird desavouiert, und es überrascht nicht, daß Tacitus in der Folge ihre Absicht erwähnt, nach dem Beispiel der Niederlage bei den Caudinischen Pässen lieber eine schmähliche Niederlage zu erdulden als ehrenvoll zu sterben (15,13,2). Mit der Technik, das äußerlich einmütig scheinende Handeln von Gruppen durch Rückführung auf unterschiedliche Motive aufzusplittern, wirkt Tacitus jeglicher Heroisierung entgegen; die menschliche Natur wird durch Introspektion aufgedeckt. Wenn überhaupt, handeln nur wenige vernünftig, die
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Beispiel sei hier hist. 1,27,2 angeführt (Otho begibt sich zum Goldenen Meilenstein auf dem Forum, um sich zum Kaiser ausrufen zu lassen und Galba zu entmachten):32 ibi tres et viginti speculatores consalutatum imperatorem ac paucitate salutantium trepidum et sellae festinanter impositum strictis mucronibus rapiunt; totidem ferme milites in itinere adgregantur, alii conscientia, plerique miraculo, pars clamore et gladiis, pars silentio, animum ex eventu sumpturi. Tacitus beschreibt den Beginn der Erhebung Othos, die schließlich zu seiner Ernennung zum Kaiser führen sollte, unter ständiger Berücksichtigung der Psyche der Beteiligten. Otho hatte zwar den Plan gefaßt, Galba zu entmachten, der Plan gelingt aber nur, weil es zu einem irrationalen MasMehrheit läßt sich von niedrigen Beweggründen, Affekten oder gar dem bloßen „Herdentrieb“ leiten. Geschichtliche Abläufe werden von Zufall und Irrationalität bestimmt, die Vernunft kommt nur selten zum Tragen. Der Eindruck schonungsloser Wahrhaftigkeit, den Tacitus durch die Anführung der Motive erweckt, trägt wesentlich zur Wirkung des taciteischen Werks bei; aus Sicht der heutigen Geschichtsschreibung wird man ihm kaum folgen wollen; nur zu einem geringen Teil können seine Behauptungen auf empirisch abgesicherten Kenntnissen beruhen, in der Mehrheit sind es von einem bestimmten Menschenbild angestellte Wahrscheinlichkeitsüberlegungen oder Topoi. Auch die Handlungen von Einzelpersonen werden von Tacitus in ein Zwielicht getaucht, indem er dem Leser die Wahl zwischen mehreren Motiven überläßt, von denen aus sie bewertet werden können; vgl. z.B. ann. 3,3,1: Tiberius atque Augusta publico abstinuere, inferius maiestate sua rati, si palam lamentarentur, an ne omnium oculis vultum eorum scrutantibus falsi intellegerentur [sc. bei der Beisetzung der Asche des Germanicus]; ann. 13,45,3 (von Poppaea Sabina): rarus in publicum egressus, idque velata parte oris, ne satiaret adspectum, vel quia sic decebat. Menschliche Irrationalität stellt Tacitus auch dar, indem er auf ein gegebenes Ereignis hin eine Reihe widersprüchlicher Handlungsweisen schildert. Handelten Menschen rational, sollte es auf eine bestimmte Situation nur eine Reaktion geben; vgl. ann. 1,4,2 (Augustus liegt im Sterben): pauci bona libertatis in cassum disserere, plures bellum pavescere, alii cupere; pars multo maxima imminentes dominos variis rumoribus differebant; ann. 14,8,1: interim vulgato Agrippinae periculo, quasi casu evenisset, ut quisque acceperat, decurrere ad litus, hi molium obiectus, hi proximas scaphas scandere; alii, quantum corpus sinebat, vadere in mare, quidam manus protendere. questibus votis clamore diversa rogitantium aut incerta respondentium omnis ora compleri; ann. 15,38,4 (Brand von Rom): ad hoc lamenta paventium feminarum, fessa aetate aut rudis pueritiae, quique sibi quique aliis consulebant, dum trahunt invalidos aut opperiuntur, pars mora, pars festinans, cuncta impediebant. 32 Zur Geschichte des Kaisers Otho bei Tacitus vgl. H EUBNER 1935 und KLINGNER 1964 (=1940), die durch einen Vergleich mit der Parallelüberlieferung bei Plutarch zeigen, daß Tacitus dazu neigt, die in den Quellen genannten Motivierungen durch Psychologismen zu ersetzen. Die hier angeführte Stelle wird von ihnen nicht behandelt.
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senphänomen kommt. Durch die geringe Anzahl der Begrüßenden entmutigt, war Otho offenbar schon bereit, den Umsturzversuch abzubrechen, doch wird er in den Strudel der Ereignisse hineingerissen. Mit gezückten Schwertern entführen die Soldaten den widerstrebenden Usurpator; sofort finden sie weitere Anhänger; nur einige schließen sich jedoch dem Zug aus Überlegung an (alii conscientia), die meisten tun mit, weil es sich um einen erstaunlichen und interessanten Vorgang handelt (plerique miraculo); diese Gruppe wird noch einmal untergliedert; die einen sind zuversichtlich und freuen sich über die Gelegenheit, laut schreien und ihre Schwerter zur Schau stellen zu können, die anderen halten sich vorerst bedeckt und warten den Erfolg der Revolte ab. In Tacitus’ Beschreibung mischt sich Beobachtbares mit Topischem. Von außen feststellbar und möglicherweise historisch zuverlässig sind die Zahlenangaben, Anzeichen der Furcht bei Otho, die Entführung und das Verhalten der dazustoßenden Soldaten. Auf Tacitus’ vorgefaßtes Menschenbild gehen zurück die unbeweisbaren Behauptungen, daß nur wenige der Mitläufer wußten, was sie taten, als sie sich dem Zug anschlossen, die Mehrheit dagegen aus Neugier folgte und daß es sich bei dem schweigenden Teil der Menge um unschlüssige Opportunisten gehandelt habe. Durch das Mittel der topischen psychologischen Introspektion deutet und wertet Tacitus Geschichte. Der Erfolg von Othos Revolte ist nur zu einem geringen Teil planvollem Handeln zuzuschreiben, es dominieren die affektischen irrationalen Mechanismen von Massenbewegungen. Hier handelt die Menge, weil sie vom Ungewohnten angezogen wird, bei der Bestattung des Germanicus versammelt man sich sogar ohne besonderes Motiv, nur aus der Neigung, anderen etwas nachzumachen. Aus beiden Darstellungen spricht der Widerwille gegen eine Zeit, in der die republikanischen Organe der politischen Willensbildung zur Farce geworden waren und der Staat willkürlich handelnden einzelnen oder gar den Launen der Menge ausgeliefert war. An den beiden behandelten Stellen läßt sich das Eingreifen des Tacitus durch Vergleich mit dem Kontext (3,1,1) oder den Erweis paralleler stilistischer Erscheinungen (3,1,2) wahrscheinlich machen. Er verfolgt dabei die Absicht, die in der ihm überkommenen Darstellung des Trauerzuges implizierte politische Aussage, Germanicus sei der wahre Princeps, durch psychologisierende Bemerkungen zu entwerten. Dieses Verfahren richtet sich nicht gegen Germanicus, sondern gegen seine Anhänger und den Schriftsteller, der diese Trauerkundgebung in enkomiastischer Absicht gestaltet hat. Auch der Höhepunkt der Darstellung, das unisono erfol-
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gende Aufstöhnen der Menge, als sie der Agrippina ansichtig wird, wie sie mit ihren beiden Söhnen und der Asche des Gatten das Schiff verläßt (3,1,4), ist bei Tacitus in ein eigenartiges Zwielicht getaucht. Er schildert zuvor, daß die Trauernden sich uneinig waren, wie sie die Ankommende empfangen sollten, mit einem Ausruf oder durch Schweigen. Diese Überlegung über die angemessene Form des Kondolierens stellt die Aufrichtigkeit des Mitgefühls nicht in Frage, beim Leser bewirkt sie jedoch eine Ernüchterung. Er ist gezwungen, Tacitus’ kühl analysierende Perspektive zu teilen; eine ungebrochene Identifikation mit den Trauernden ist nicht mehr möglich. Zudem fügt Tacitus der Behauptung der Gleichförmigkeit der Trauer eine einschränkende Bemerkung an: idem omnium gemitus, neque discerneres proximos alienos, virorum feminarumve planctus,33 nisi quod comitatum Agrippinae longo maerore fessum obvii et recentes in dolore anteibant. Als kritischdistanzierter Beobachter vergleicht und begründet Tacitus die unterschiedliche Heftigkeit der Schmerzensregungen. Auch wenn Tacitus Germanicus und seinen Anhängern grundsätzlich positiv gegenübersteht, dürfte er die hier beschriebene hemmungslose Freigabe der Affekte, die die traditionellen Formen der Trauer sprengt, mißbilligt haben.34 33 Aus heutiger demokratischer Perspektive ist man geneigt, die durch die Trauer um Germanicus hervorgerufene Aufhebung der gesellschaftlichen Unterschiede positiv zu bewerten. Für einen Moment vereinen sich die Menschen zu einer „klassenlosen“ Idealgesellschaft. Ein Vergleich mit ann. 6,7,3 mahnt zur Vorsicht: quod maxime exitiabile [sc. das Delatorenwesen] tulere illa tempora, cum primores senatus infimas etiam delationes exercerent, alii propalam, multi per occultum: neque discerneres alienos a coniunctis, amicos ab ignotis, quid repens aut vetustate obscurum. Für den Aristokraten Tacitus sind solche tumultuarischen Auflösungserscheinungen der gesellschaftlichen Ordnung, sei es im Guten oder im Schlechten, offenbar zumindest ambivalent, wenn nicht das Symptom einer chaotischen Zeit. 34 Tacitus’ Vorstellungen von adäquater Trauer lassen sich aus folgenden Äußerungen entnehmen: Agr. 29,1: initio insequentis aestatis Agricola domestico vulnere ictus anno ante natum filium amisit. quem casum neque ut plerique fortium virorum ambitiose, neque per lamenta rursus ac maerorem muliebriter tulit; et in luctu bellum inter remedia erat; Agr. 46,1: si quis piorum manibus locus, si, ut sapientibus placet, non cum corpore exstinguuntur magnae animae, placide quiescas, nosque domum tuam ab infirmo desiderio et muliebribus lamentis ad contemplationem virtutum tuarum voces, quas neque lugeri neque plangi fas est. admiratione potius te et immortalibus laudibus et, si natura suppeditet, similitudine decoremus: is verus honos, ea coniunctissimi cuiusque pietas; Germ. 27,1: funerum nulla ambitio: id solum observatur, ut corpora clarorum virorum certis lignis crementur. struem rogi nec vestibus nec odoribus cumulant: sua cuique arma, quorundam igni et equus adicitur, sepulcrum caespes erigit: monumentorum arduum et operosum honorem ut gravem defunctis aspernantur, lamenta ac lacrimas
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cito, dolorem et tristitiam tarde ponunt. feminis lugere honestum est, viris meminisse. Mannhafte Trauer besteht darin, seine Affekte zu beherrschen, dem Toten ein ehrenvolles Gedenken zu bewahren und sich an seinen Tugenden ein Beispiel zu nehmen. Einen Trauerfall als Gelegenheit öffentlicher Selbstdarstellung zu betrachten (ambitio) lehnt Tacitus ausdrücklich ab. Wenn hier auch die in Brundisium versammelte Menge Agrippina und ihr Gefolge nicht aus Berechnung, mit Blick auf die Öffentlichkeitswirkung, an Äußerungen der Trauer übertrifft, dürfte Tacitus dem dennoch ablehnend gegenüberstehen. Vgl. auch die lobende Beschreibung der Bestattung des Germanicus in Antiochia; sie beschränkt sich auf das Wesentliche (ann. 2,73,1): funus, sine imaginibus et pompa, per laudes ac memoriam virtutum eius celebre fuit. – Lehrreich zum Verständnis von ann. 3,1–3 und Tacitus’ Ansichten über die rechte Weise zu trauern ist ferner ein Vergleich von ann. 2,82 und Sueton Cal. 4–6; die Abschnitte beschreiben die Tumulte, die sich in Rom ereigneten, als dort die Nachricht von Germanicus’ Tod eintraf. Beide Abschnitte beruhen vermutlich auf derselben Quellenbasis, der germanicusfreundlichen Tendenzschrift über den Prinzipat des Tiberius. Bei Sueton ist dieser Passus eingeordnet in die Schilderung der zahlreichen Tugenden des Germanicus, derentwegen ihn Augustus von Tiberius als Thronfolger adoptieren ließ; als Beweis für seine Eignung führt er die zahlreichen Beliebtheitsbekundungen an, die ihm zu Lebzeiten vom Volk entgegengebracht wurden (Cal. 4); er setzt fort (5–6): tamen longe maiora et firmiora de eo iudicia in morte ac post mortem extiterunt. quo defunctus est die, lapidata sunt templa, subversae deum arae, Lares a quibusdam familiares in publicum abiecti, partus coniugum expositi. […] Romae quidem cum ad primam famam valetudinis attonita et maesta civitas sequentis nuntios opperiretur, et repente iam vesperi incertis auctoribus convaluisse tandem percrebuisset, passim cum luminibus et victimis in Capitolium concursum est ac paene revolsae templi fores, ne quid gestientis vota reddere moraretur, expergefactus e somno Tiberius gratulantium vocibus atque undique concinentium: salva Roma, salva patria, salvus est Germanicus. Es fehlt jegliche Reflexion dieser Tumulte; die Rechtsverletzungen werden mit keinem Wort kommentiert. Alles zielt auf die Verherrlichung des Germanicus ab. Bei Tacitus (ann. 2,82) werden diese Vorgänge dagegen aus kritischer Distanz geschildert. Er vermerkt, daß das Volk ohne amtliche Anordnung ein iustitium herbeiführt, und hält das, was Sueton stillschweigend voraussetzt, die Aufrichtigkeit der Trauerbekundungen, in einem nüchternen Kommentar fest (2,82,3): nihil compositum in ostentationem; et quamquam neque insignibus lugentium abstinerent, altius animis maerebant. Aufschlußreich ist vor allem die Beschreibung des kurzen Aufflackerns der Hoffnung durch das Gerücht, Germanicus sei noch am Leben (2,82,4–5): forte negotiatores, vivente adhuc Germanico Syria egressi, laetiore de valetudine eius attulere. statim credita, statim vulgata sunt: ut quisque obvius, quamvis leviter audita, in alios atque illi in plures cumulata gaudio transferunt. cursant per urbem, moliuntur templorum fores; iuvat credulitatem nox et promptior inter tenebras adfirmatio. nec obstitit falsis Tiberius, donec tempore ac spatio vanescerent. et populus quasi rursum ereptum acrius doluit. Typisch taciteisch sind die entlarvenden Bemerkungen über die Psychologie des Gerüchts; was bei Sueton eine Ehrung für Germanicus ist, wird in den Annalen zu einem sinnlosen Getümmel. Die Sprechchöre der Menge, in denen die Genesung des
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Eine der Verhaltensweisen des Germanicus, die Tacitus besonders schätzt, ist, daß er sich weder von seiner ehrgeizigen Frau noch von seinen Anhängern zu einer Illoyalität oder Provokation gegenüber Tiberius verleiten läßt; er verzichtet darauf, seine Beliebtheit zu populistischen Umtrieben zu nutzen.35 Diese Politik der Zurückhaltung und Wahrung der Form sollen nach dem Wunsch des Germanicus seine Freunde und seine Frau nach seinem Ableben fortführen (ann. 2,71,2–72,1): erit vobis locus querendi apud senatum, invocandi leges. non hoc praecipuum munus est, prosequi defunctum ignavo questu, sed quae voluerit meminisse, quae mandaverit exsequi. flebunt Germanicum etiam ignoti: vindicabitis vos, si me potius quam fortunam meam fovebatis. (…) Tum ad uxorem versus (…) oravit, exueret ferociam, saevienti fortunae summitteret animum, neu regressa in urbem aemulatione potentiae validiores inritaret. TaGermanicus als Rettung Roms gefeiert wird, werden wie belanglos weggelassen. Auch das Verhalten des Tiberius wird psychologisch gedeutet. Da der Kaiser nichts gegen die durch das Gerücht bewirkten Unruhen getan hat, ist es reine Spekulation, sein Verhalten zu deuten. Tacitus arbeitet auch hier mit dem Topos des vulgus mutabile. So schnell sich die Masse erregt, so rasch beruhigt sie sich wieder, wenn man ihr keinen Anlaß für weitere Umtriebe gibt. Hier wie in ann. 3,1–3 lassen sich Tacitus’ Interesse an der Masse und sein tiefer Widerwille gegen deren irrationale Verhaltensweisen, die Formverletzungen und Rechtsbrüche mit sich bringen, konstatieren. Die Tendenz der Quellen ist jeweils gebrochen; unvoreingenommen und aus historischer Distanz urteilend listet er Positives und Negatives auf. Die tiefe Betroffenheit des Volks über Germanicus gereicht diesem zur Ehre; entscheidend ist aber, daß diese Trauer innerlich empfunden wird (altius animis maerebant), die Art und Weise, wie sich dieses Gefühl äußert, ist abzulehnen. Die Unparteilichkeit des Tacitus zeigt sich auch in der Beschreibung des Tiberius. Aus der aus dem Schlaf aufgeschreckten Karikatur eines Kaisers wird bei ihm ein mit Überlegung handelnder Herrscher. Eine Aufwertung ist damit nicht beabsichtigt, aber Tacitus betrachtet es offenbar als Pflicht des Historikers, auch sein Verhalten sachgemäß zu erklären und über die verkürzende Darstellung der Vorlage hinauszugehen. 35 Der Gegensatz zwischen dem loyalen Germanicus und dem neidischen, intriganten Tiberius durchzieht die beiden ersten Annalenbücher; vgl. ann. 1,4,5; 31,1; 33,1; 34,1. 4; 35,3–5; 42,1. 3–4; 43,1. 5; 52,1–2; 62,1–2; 69,1–5; 2,26,2–5; 42,1. Nach Tacitus hat Germanicus nur ein einziges Mal gegen eine kaiserliche Anordnung verstoßen, als er ohne kaiserliche Genehmigung Ägypten besuchte und dort durch Senkung des Getreidepreises und leutseliges Auftreten versuchte, die Volksgunst für sich zu gewinnen (2,59). Tacitus bemüht sich jedoch, Germanicus in Schutz zu nehmen: Er habe den Aufenthalt in Ägypten nur ausgedehnt, weil ihn die Depesche des Tiberius, die ihn zurückrufen sollte, nicht mehr vor seiner Reise nilaufwärts erreichte (2,60,1).
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citus hat mit Blick auf die späteren Ereignisse in Rom dem sterbenden Germanicus diese Empfehlungen in den Mund gelegt; sie repräsentieren auch seine eigenen Ansichten über die sinnvolle Form der Trauer, die adäquate Art und Weise, von Piso Rechenschaft zu fordern, und lassen den Maßstab erkennen, mit dem Tacitus die Erzählung von der Massentrauer bei Agrippinas Ankunft in Brundisium beurteilt und überarbeitet hat. Die Bitte an Agrippina, Zurückhaltung zu üben, wird durch 3,1,1 (illic paucos dies componendo animo insumit, violenta luctu et nescia tolerandi) aufgenommen. Da Agrippina im Verlauf des Prozesses gegen Piso nicht mehr erwähnt wird, scheint dieser Versuch, die Beherrschung wiederzugewinnen, erfolgreich gewesen zu sein. Solidaritätskundgebungen, die sich zum Unwillen des Tiberius bei der Beisetzung der Urne in Rom ereignet haben, hat Agrippina offenbar nicht zu ihren Gunsten auszunutzen versucht.36 Entscheidend für die politische Bewertung der Szene durch Tacitus ist der Bezug zwischen den Weisungen des Germanicus an seine Freunde und 3,1,2: multique etiam ignoti vicinis e municipiis, pars officium in principem rati, plures illos secuti, ruere ad oppidum Brundisium. Germanicus hatte klargestellt, daß ihm nicht daran liege, von Unbekannten um seiner Stellung als Mitglied des Kaiserhauses willen beweint zu werden. Wenn seine Freunde um ihn klagen wollten, so sollten sie das vor dem Senat tun; dort sei auch der Ort, ihn als Person zu rächen, indem unter Anrufung der Gesetze ein förmlicher Prozeß gegen Piso angestrengt wird. Tacitus läßt Germanicus diese Worte sprechen, um ihn als loyales Mitglied des Kaiserhauses zu kennzeichnen, das die Institutionen respektiert und jedem Umsturzversuch durch Aufwiegelung des Volks abgeneigt ist. Die Worte des Germanicus enthalten Tacitus’ Urteil über die tumultuarischen Vorgänge in Brundisium: Sie sind ein ignavus questus. Die Bemerkung, daß die meisten nur anwesend sind, weil sie anderen nachgefolgt seien, entlarvt diesen gewaltigen Massenauflauf als irrationales Gruppenphänomen.37 36 Vgl. 3,4,2: nihil tamen Tiberium magis penetravit quam studia hominum accensa in Agrippinam, cum decus patriae, solum Augusti sanguinem, unicum antiquitatis specimen appellarent versique ad caelum ac deos integram illi subolem ac superstitem iniquorum precarentur. Weder hier noch während des Prozesses gegen Piso erwähnt Tacitus irgendeine Aktivität der Witwe. 37 Die Interpretation des Abschnitts wird gestützt durch Agr. 40,3–4: ac ne notabilis celebritate et frequentia occurrentium introitus esset, vitato amicorum officio noctu in urbem, noctu in Palatium, ita ut praeceptum erat, venit; […]. ceterum uti militare nomen, grave inter otiosos, aliis virtutibus temperaret, tranquillitatem atque otium penitus hausit, cultu modicus,
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Zum Abschluß sei noch ein kurzer Blick auf das eingangs erwähnte senatus consultum de Pisone patre geworfen. Der Kern des Beschlusses, das Urteil gegen Piso, das einen Vergleich mit der taciteischen Darstellung des Prozesses (ann. 3,11–18) erlaubt, kann hier außer Betracht bleiben. Im Zusammenhang der Interpretation von ann. 3,1–2 ist besonders interessant, daß dem eigentlichen Urteil noch eine umfangreiche, mehr als ein Viertel des gesamten Edikts (42 von 165 Zeilen) einnehmende Liste von Danksagungen folgt, in denen allen durch den Tod des Germanicus und den Prozeß gegen Piso betroffenen Personen und gesellschaftlichen Gruppen Lob für ihr vorbildliches Verhalten, das sie in dieser Krisensituation des Staats an den Tag gelegt hätten, ausgesprochen wird. 1. Tiberius wird bezeugt (Z. 123–132), er habe alle Parteien an pietas übertroffen; oft seien an ihm Zeichen des Schmerzes über den Verlust des Adoptivsohns wahrgenommen worden. Nun jedoch solle er, so fordert der Senat von ihm, seine Fürsorge Drusus, dem neuen Nachfolger, und dem Staat zukommen lassen; er müsse finire dolorem ac restituere patriae suae non tantum animum, sed etiam voltum, qui publicae felicitati conveniret (Z. 130–132). 2. An Livia und Drusus ergeht Dank, weil sie moderatio bewiesen und sich nicht durch die Zuneigung zu Germanicus dazu hätten hinreißen lassen, Piso vorzuverurteilen (Z. 132–136). 3. Agrippina, Antonia, der Mutter des Germanicus, und Livia, dessen Schwester, wird bestätigt (Z. 136–146), sie hätten aeque et dolorem fidelissumum et in dolore moderationem gezeigt (Z. 145–146). 4. Auch die Söhne des Germanicus hätten in ihrem Schmerz nicht den modum probabilem überschritten (Z. 146–151). 5. Desgleichen wird das Verhalten des Ritterstandes gelobt (Z. 151–155), weil er erkannt habe, um welch wichtige Angelegenheit es sich gehandelt habe, und quod frequentibus adclamationibus adfectum sui et dolorem de principis nostri filiique eius iniuriis ac pro rei publicae utilitate testatus sit (Z. 154–155). 6. Selbst die plebs wird mit Dank bedacht (Z. 155–158): cum effusissumis studis ad repraesentandam poenam Cn. Pisonis patris ab semet ipsa accensa esset, regi tamen exemplo
sermone facilis, uno aut altero amicorum comitatus, adeo ut plerique, quibus magnos viros per ambitionem aestimare mos est, viso aspectoque Agricola quaererent famam, pauci interpretarentur. Agricola praktiziert hier das von Tacitus unter den Bedingungen einer Tyrannenherrschaft empfohlene Programm der Verbindung von vigor und industria mit modestia und obsequium (Agr. 42,4). Die Interpretation von ann. 3,1–2 durch M. BILLERBECK (1991, 2755–2758) ist unbefriedigend, weil sie allein die Dramatik des Abschnitts herausarbeitet, Tacitus’ kritische Brechungen aber übersieht.
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equestris ordinis a principe nostro se passa sit (Z. 156–158).38 Die Danksagungen legen Zeugnis ab von der gewaltigen Erschütterung des römischen Reichs, die der Tod des Germanicus und der darauffolgende Prozeß gegen Piso hervorgerufen haben. Die mühsam austarierte Machtbalance innerhalb der kaiserlichen Familie war gestört worden; Ritterschaft und Volk, bei denen Germanicus außerordentlich beliebt war, waren außer sich vor Schmerz. Aus den Dankadressen des Senats spricht die Erleichterung, daß diese gefährliche Situation ohne Umsturzversuch oder Bürgerkrieg gemeistert werden konnte. Es ist eine Beschwörung des gesellschaftlichen Konsenses und setzt durch die Hervorhebung des Begriffs moderatio den Maßstab, an dem sich das Verhalten einzelner oder von Gruppen bei ähnlichen Vorgängen in Zukunft auszurichten hat, um eine Bedrohung des Gemeinwesens zu vermeiden. Es ist offenkundig, daß im Rückblick die tatsächliche Gefährdung durch den Tod des Germanicus überspielt wird; der Senat lobt, weil es einerseits unsinnig wäre, den inneren Zusammenhalt des Staats durch einen weitere Mißstimmungen hervorrufenden Tadel zu zerreißen, er andererseits gar nicht über die Möglichkeiten verfügt, Ritterschaft oder plebs, geschweige denn das Kaiserhaus in irgendeiner Weise zu strafen. Offenkundig ist diese Beschönigung bei der Danksagung an die plebs. Wenn eine offizielle Untersuchung durchgeführt wird, welchen gravierenderen Regelverstoß kann man begehen, als Anstalten zu machen, den Angeklagten zu lynchen?39 Ebenso scheint die Beschreibung und Bewertung des Verhaltens der Ritterschaft der nachträglichen Klitterung verdächtig. Gerade die Betonung, daß die von den Rittern organisierten Akklamationen gleichermaßen Tiberius wie Germanicus galten und diese Kundgebungen dem Nutzen des Staats dienten, legt die Vermutung nahe, daß das Gegenteil der Fall gewesen ist. Bei dem bekannten Unterschied in der Beliebtheit zwischen Tiberius und Germanicus ist es unwahrschein38 Zum Abschluß wird noch den Soldaten Anerkennung ausgesprochen, die sich geweigert haben, Piso bei seinem gewaltsamen Versuch, die Provinz Syrien in seine Gewalt zu bringen, zu unterstützen (Z. 159–165). Hier sollen jedoch die stadtrömischen Ereignisse im Vordergrund stehen. 39 Vgl. Tac. ann. 3,14,4: simul populi ante curiam voces audiebantur: non temperaturos manibus, si patrum sententias evasisset. effigiesque Pisonis traxerant in Gemonias ac divellebant, ni iussu principis protectae repositaeque forent [d.h. es wurde Militär eingesetzt]. Das „Lob“ regi […] a principe nostro se passa sit bezeichnet also einen Vorgang gewaltsamer Lenkung. Vgl. dazu ECK 1995 und ECK/CABALLOS/FERNÁNDEZ 1996, 249–251.
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lich, daß die Akklamationen auch Tiberius miteinschlossen; zudem ist nicht ersichtlich, inwieweit das Staatswohl durch derartige öffentliche Auftritte befördert worden sein kann.40 Auffällig ist auch die Behandlung der jüngeren Agrippina, deren Verhältnis zu Tiberius ohnehin extrem gespannt war und die nun vor Rachsucht außer sich war. Die Interpretation von ECK/CABALLOS/FERNÁNDEZ (1996, 242–245) ist überzeugend, daß dieser besonders problematische Fall dadurch entschärft werden sollte, daß man auf Agrippina nicht eigens einging, sondern sie im Zusammenhang mit der Mutter des Germanicus, Antonia, und dessen Schwester, Livia, der Frau des Drusus, behandelte. Die Gleichstellung mit den anderen Frauen aus dem Umfeld des Germanicus mindert ihre Bedeutung; nach außen hin wird die domus Augusta als Einheit präsentiert. Sorgfältig baut das Edikt auch der Kritik an Tiberius vor. Die Aufforderung, sich wieder den Regierungsgeschäften zuzuwenden, wird dadurch abgesichert, daß dem Kaiser bestätigt wird, er habe alle anderen an pietas übertroffen, und oft seien an ihm Zeichen der Trauer wahrgenommen worden. An dieser Stelle soll nicht untersucht werden, inwieweit Tacitus das senatus consultum und die ihm zugrunde liegenden Verhandlungsprotokolle des Senats benutzt hat, sondern allgemein die Darstellung des Historikers vom offiziellen Dokument her beleuchtet werden. Es wird deutlich, daß Tacitus weder die germanicusfreundliche Tendenz seiner historischen Quelle noch die der Konflikte übertünchenden öffentlichen Verlautbarung teilt. Die Unabhängigkeit des Historikers zeigt sich in ann. 3,1–2 darin, daß er den aufsehenerregenden Einzug der Agrippina in Italien durch psychologisierende Einschübe als Massenphänomen hinstellt, das als politisches Argument für Germanicus ohne Wert ist. Anders als das SC schmälert er jedoch nicht die Gefährlichkeit eines solchen Vorgangs. Die Dramatik des Ablaufs wird festgehalten; die ungeheuren Emotionen, die durch den Tod des Germanicus freigesetzt wurden, werden dem Leser eindrucksvoll vor Augen geführt. Die doppelte Wendung gegen Erzähltext und Dokument ist auch im folgenden Kapitel (ann. 3,3) zu beobachten. Tacitus unterbricht die Narration, die in ann. 3,4 mit der Schilderung der Bestattung des Germanicus in Rom fortgesetzt wird, um festzuhalten, wer von der kaiserlichen Familie an der Zeremonie teilgenommen hat. Die 40 Vgl. Tac. ann. 3,4,1: illic [sc. auf dem Marsfeld] miles cum armis, sine insignibus magistratus, populus per tribus concidisse rem publicam, nihil spei reliquum clamitabant und ECK/CABALLOS/FERNÁNDEZ 1996, 247–249.
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erzählende Quelle hat darauf vermutlich keinen Wert gelegt, so daß Tacitus andere Schriftsteller und die acta diurna einsehen mußte. Das Bemühen um Genauigkeit und Differenzierung unterscheidet den Historiker vom SC, dessen Bestreben es ist, das Verhalten der kaiserlichen Familie als einheitlich und gleichförmig darzustellen. Der Versuch des Senats, das Benehmen des Kaisers vor Kritik in Schutz zu nehmen, indem ihm bestätigt wird, er habe oft Zeichen der Trauer erkennbar werden lassen, wird von Tacitus vereitelt. Er legt eine negative Interpretation nahe (ann. 3,3,1: Tiberius atque Augusta publico abstinuere, inferius maiestate sua rati, si palam lamentarentur, an ne omnium oculis vultum eorum scrutantibus falsi intellegerentur). Ebenso wird festgehalten, daß Antonia, die Mutter des Germanicus, nicht an der öffentlichen Feierlichkeit teilgenommen hat (3,3,2: matrem Antoniam non apud auctores rerum, non diurna actorum scriptura reperio ullo insigni officio functam […], seu victus luctu animus magnitudinem mali perferre visu non toleravit. facilius crediderim Tiberio et Augustae, qui domo non excedebant, cohibitam, ut par maeror et matris exemplo avia quoque et patruus attineri viderentur). Die Politik des Tiberius und des Senats, nach außen hin die Einheitlichkeit der kaiserlichen Familie zu demonstrieren, wird von Tacitus entlarvt. Noch an einem weiteren Punkt scheint die taciteische Darstellung von einem Lavieren zwischen germanicusfreundlicher Quelle und offiziellen Dokumenten bestimmt zu sein. In den drei Abschnitten, in denen die durch den Tod des Germanicus verursachten Tumulte in Rom beschrieben werden, finden sich jeweils Urteile, daß die dort beschriebenen Affekte authentisch und frei von Schmeichelei gegenüber dem Kaiser waren.41 Dies ist insofern sonderbar, weil weder durch den unmittelbaren noch den weiteren Kontext eine gegenteilige Interpretation nahegelegt wird. Germanicus ist bei Tacitus von Beginn an der Liebling des Volks; die Schmerzensäußerungen würden auch ohne ausdrückliche Bestätigung für aufrichtig angesehen werden. Es ist zu vermuten, daß sich Tacitus mit diesen Einschüben gegen den Versuch wendet, diese Kundgebungen für Tiberius zu vereinnahmen, wie es im Senatsbeschluß mit den Akklamationen der Ritterschaft versucht wird. Durch die in den Erzählzusammenhang eingeschobenen Urteile bekräftigt Tacitus, daß die parteiische Quellen41 2,82,3: nihil compositum in ostentationem; et quamquam neque insignibus lugentium abstinerent, altius animis maerebant; 3,2,3: aberat quippe adulatio, gnaris omnibus laetam Tiberio Germanici mortem male dissimulari; 3,4,1: illic miles cum armis, sine insignibus magistratus, populus per tribus concidisse rem publicam, nihil spei reliquum clamitabant, promptius apertiusque, quam ut meminisse imperitantium crederes.
442 schrift in diesem Fall zuverlässig ist, und baut der möglichen Kritik eines Lesers vor, der mit der amtlichen Deuung dieser Vorgänge vertraut ist.42
42 Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen ECK/CABALLOS/F ERNÁNDEZ (1996, 289–303) bei der Untersuchung der taciteischen Darstellung des Konflikts zwischen Germanicus und Piso im Orient. Tacitus folgt zwar insgesamt einer positiven Germanicusdarstellung und weist Piso die Hauptschuld an den Auseinandersetzungen zu, unterläßt es jedoch nicht, auch Vorgänge zu erwähnen, die Piso entlasten (vgl. z.B. 2,57,1–4; 2,69,1; 2,70,2). Vermutlich hat er durch die Einsicht der Verhandlungsprotokolle, in denen z.B. auch die Aussagen der Söhne Pisos enthalten gewesen sein müssen, davon Kenntnis erhalten, daß auch Germanicus sich bei verschiedenen Gelegenheiten eines Fehlverhaltens schuldig gemacht hat. Tacitus versucht, die Balance zu halten zwischen germanicusfreundlicher Historiographie und der offiziellen Darstellung des Falls, die aus Gründen der Staatsraison Piso als Alleinschuldigen hinstellte, und der ebenso parteiischen Äußerungen der Verwandten und Anhänger Pisos, um eine sachgerechte Wiedergabe der Vorkommnisse zu geben.
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Index locorum Die Zahlenangaben hinter den Stellenangaben der Autoren beziehen sich auf die Lemmata des Kommentars. Nur die Verweise auf die Einleitung und die Aufsätze erfolgen durch Nennung der Seitenzahlen. Sie sind mit dem Zusatz p(agina) kenntlich gemacht. Die Namen der Autoren und Werke sind einheitlich in lateinischer Sprache wiedergegeben.
ACCIUS
APOLLODORUS
Fragmenta tragica (ed. RIBBECK ): 314: 188-189; 566: p. 40724; 647: 188189.
Bibliotheca: 3,144: 350-354.
VALERIUS AEDITUUS Epigrammata (ed. BLÄNSDORF ): 1,7: 499. AESCHYLUS Agamemnon: 45: 32. Choephori: 982: p. 40418. Persae: 419-420: 35; 683: 173. Prometheus: 351-357: 654655; 426: 654. Fragmenta: 459: 662663. AMMIANUS 17,1,2: 407; 23,6,12: 624-625; 23,3,9: 35. APPIANUS Bella civilia: 2,23-24: 195-196; 2,84,353: 131; 2,93: 283; 2,99: 409; 2,204: 32. Iberica: 86,372: 296.
APOLLONIUS RHODIUS 1,1026-1028: 182-185; 4,139-144: 182185; 4,1309-1311: 350-354; 4,1513-1517: 696-699. SCHOLIA IN APOLLONIUM 4,1399: 362. APULEIUS Metamorphoses: 2,22,33: 672; 10,12: 109. ARCHILOCHOS Fragmenta (ed. BERGK; LASSERRE/ BONNARD): 61 B. (85 L./B.): 313. ARISTOPHANES Ranae: 185: 355-356. ARISTOTELES Meteorologica: 2,8: 466-467.
486
Index locorum
ARRIANUS
CALLIMACHUS
Anabasis: 3,3,1-4: 511-543; 3,3,3-6: 493-495; 3,4,2: 526-527; 6,26: 493-510; p. 23; 7,8,1-11: 268; 17,50,4-5: 526-527.
Epigrammata: 32,1: 313. Fragmenta (ed. PFEIFFER): 200b: 348. (PS.-)CALLISTHENES
AUGUSTINUS De civitate dei: 16,17: p. 380. BASILIUS Hexaëmeron: 7,5,9: 357. CORPUS INSCRIPTIONUM LATINARUM 3,6074: 478-479; 7,250: 2; 9,1123: 478479; 9,2456: 478-479. CAESAR Bellum Gallicum: 1,3: 443-444; 1,25,1: 400-401; 1,35,1: 85; 2,20,1: 283284; 3,4,2: 315; 3,13,1: 447-448; 3,14,9: 118; 4,7,5: 89; 4,17,9: 447-448; 4,22,6: 118; 5,2: 93; 5,5: 93; 5,11,1: 283-284; 5,23: 93; 5,30,3: 84-85; 5,39,2: 344; 5,40,1: 344; 5,40,7: 590; 6,23,8: 359; 6,23,9: 131; 6,24,6: 443-444. Bellum civile: 1,28,3: 283-284; 1,55,1: 344; 1,58,4: 344-347; 1,64,3: 407; 2,25,4: 300-301; 3,3: 90; 3,11,3: 30-33; 3,14,2: 283-284; 3,24,2: 344; 3,51,3: 283-284; 3,53,4: 407; 3,67,6: 315; 3,72,4: 84-85; 3,90,2: 263-264; 3,103,3: 131. Fragmenta (ed. MALCOVATI) 121 (p. 390): 190-191. (PS.-)CAESAR Bellum Africum: 22-23: 370-371; p. 20; 22,2: 296; 76,1: 315; 88,5: 409. Bellum Alexandrinum: 14,5: 413; 23,1: 84-85; 76,1: 334. Bellum Hispaniense: 39,3: 370-371.
1,30,2-31: 511-543. CALPURNIUS SICULUS Eclogae: 1,10: 313; 3,79-80: 287-288. CARMINA EPIGRAPHICA 55,7: 87; 389,1-2: 87; 395,3: 2; 423,3-4: 7; 969,8: 2; 995,17-18: 110; 1054,2: 2; 1076,7-8: 104-105; 1165,1-4: 7; 1178B,3: 2; 1295,3-4: 87; 1338,2-4: 102-103. (PS.-)CATO Disticha: 2,26: 550-551. CATULLUS 3,11-12: 408; 55,24: 668; 59,3-5: 61; 64,14-15: 688-689; 64: 662-663; 64,15: 446-447; 64,50-75: 122; 64,67: 329; 64,86: 628; 64,156: 303-318; 64,296270: 329; 64,394: 384; 66,3: 313; 67,20: 205; 68,112: 644; 89,3: 189; 101,6: 205. CELSUS 1, praef. 19: 671-672; 2,6,3: 317-318. (PS.-)CENSORINUS Fragmenta (ed. HULTSCH/SALLMANN): 1,5 H. (= p. 61-62 S.): 183-184. CICERO Orationes: Pro Caecina: 3: 359. I n Catilinam: 1,10: 268; 1,17: 628; 3,22: 178; 3,28: 388-389; 4,21: p. 40417. De domo sua: 75: 117; 90: 202-203; 99: 238-239. Pro Flacco: 23: 217. P r o
Index locorum
Fonteio: 23: 359; 31: 152. De haruspicum responsis: 62: 475. De lege agraria: 2,57: 230. De lege Manilia: 21: 165; 199; 29: 611; 34: 31; 41: 41-42; 475; 47: 80. Pro Marcello: 9: 407. Pro Milone: 38: 230. Pro Murena: 3: 556557; 4: 41-42; 45: 558-559; 83: 118. Philippicae: 1,6: 603; 10,12: 255; 12,14: 230; 14,32: 202-203. In Pisonem: 7273: 238-239. Pro Plancio: 11: 202-203; 101: 146-147. De provinciis consularibus: 35: 230. Pro Quinctio: 75: 359; 7 9 : 73; 83: 230. Post reditum in senatum: 4: 24. Pro rege Deiotaro: 29: 148-164. Pro Roscio comoedo: 23: 230. Pro Sestio: 44: 118; 131: 117; 145: 230. Pro Sexto Roscio Amerino: 48: 407. In Vatinium: 4: 701; 15: 255; 26: 221. In Verrem: II,4,4: 558-559; II,5,150: 237-238. Rhetorica: Brutus: 26: 407; 224: 221; 283: 558-559; 320: 407. De inventione: 1,52: 89. 1,100: 706; Orator: 13: 188-189. De oratore: 1,97: 407; 1,127: 293; 2,23: 16; 2,1: 407; 2,96: 182. Partitiones Oratoriae: 77: 133. Topica: 47: 261. Philosophica: Academica: 2,66: 540541; 2,123: 538. Cato maior: 26: 371; 51: 183-184. De divinatione: 1: 511543; 1,60-66: 11-12; 1,68: 30-33; 1,8284: 511-543; 1,129-131: 11-12; 2,114: 30-33; 120. De fato: 3: 407. D e finibus: 1,48: 261; 2,41: 371; 2,77: 207; 3: 228; 3,24: 371; 3,42: 406; 3,45-48: 568; 4,32: 694; 5,49: 393; 5,55: 371; 5,79: 189. Laelius: 88: 7. De legibus: 1,52: 253-255; 2,28: 564; 2,59: 174-178; 2,59-60: 10; 3,2,5: 118. De natura deorum: 1,110: 371; 2: 435; 2,25: 313; 2,35: 301-302; 2,39-41: 313; 2,83: 313; 2,115-119: 301-302; 2,118: 53; 311-318; 2,131: 421-423; 3,37: 313; 3,83: 199; 3,185: 118. De officiis: 1,23: 388-389; 1,31: 515-516; 1,77: 238-239; 1,114: 261; 2,23: 170; 2,64: 131. Paradoxa
487
Stoicorum: 403-404. De re publica: 1,1: 562-563; 1,2: 371; 1,15: 11; 1,51: 188-189; 2,51: 194-195; 3,6: 407; 3,15: 152; 4,8: 188-189; 6: 5-18; 6,1: 188189; 6,15: 7; 6,18-19: 12-13; 6,20-21: 538; p. 407; 6,29: 7. Timaeus: 18: 303304; 31: 499; 51: 562-563. Tusculanae Disputationes: 1: 5-18; 1,18: 69; 1,28: p. 40724; 1,32: 385-394; 1,42: 7; 1,43: 8; 1,45-46: 12-13; 1,46-47: 11-12; 1,68: p. 40724; 1,68-69: 538; 1,97: 272; 1,102109: 10-11; 2,11: 294-295; 2,61: 70; 3,16: 622-623; 3,66: 36-50; 5,12: 569; 5,73-76: 406; 5,95-96: 234-235. Epistulae: Ad familiares: 6,1,7: 8485; 9,2,1: 561; 9,16,6: 308; 11,28,2 (Mat): 393; 15,19,4: 148-164. Ad Atticum: 1,17,2: 293; 1,18,2: 137; 2,1,12: 85; 2,6: p. 385; 2,9,1: 348-349; 3,15,4: 137; 6,3,3: 137; 8,3,3: 195-196; 11,9,2: 137; 11,17,1: 137. Carminum fragmenta (ed. BLÄNSDORF ): 6: 11. 199; (ed. SOUBIRAN ): 1 6 = (ed. TRAGLIA) 11: 199; 30,3-6: 393. Arat. 11: 604. QUINTUS CICERO Commentariolum Petitionis: 42: 207; 46: 207. CLAUDIANUS De raptu Proserpinae: 1,174: 453; 2 , 7 4 : 453; 3 , 4 0 1 : 357; 5,253: 371; 26,22: 357. COLUMELLA 2,2,2: 526-527; 2,2,25: 526-527; 2,6,23: 183-184; 2,9,9: 433-434; 2,9,10: 433434; 2,10,18: 526-527; 2,11,1: 433-434; 3,10,18: 293; 5,4,2: 526-527; 5,5,4: 455; 5,5,6: 526-527; 5,9,3: 526-527; 7,6,4: 455; 7,7,4: 285; 7,12,11: 285; 7,12,13: 285; 9,1,7: 285; 9,9,5: 149; 10,396: 285; 10,418: 666.
488
Index locorum
CURTIUS RUFUS 3,5,2: 394-402; 3,5,8: 394-402; 3,12,18: 557-558; 4,3,18: 319-320; 4,4,21: 25; 4,6,23: 394-402; 4,7,5-32: 511-543; 4,7,10-11: 493-495; 4,7,16: 523-525; 4,7,19: 441-444; 4,7,11-12: 446-447; 4,7,22: 526-527; 4,8,1: 154; 4,10,9: 394402; 6,3: 230; 7,3,17: 394-402; 7,4,2728: 493-495; 7,5,2-6: 493-510; p. 23; 7,8,4: 394-402; 8,7,11: 263-264; 8,13,4: 339; 9,9,1: p. 40315; 9,9,20: 148; 9,9,27: p. 40315; 10,5,36: 208; 10,9,3-4: 25. DICTYS CRETENSIS
T IBERIUS C LAUDIUS D ONATUS (ed. GEORGII) Aen. 1,235 (p. 54,25): 123-124; 10,300 (p. 332,25): 338-339. ENNIUS Annales (ed. SKUTSCH ): 38: 171; 84: 32; 382; 129: 58; 417: 499; 467: 549550; 507: 120; 553: 565. Tragoediae (ed. JOCELYN): 161: p. 40724; 182: 170. ENNODIUS
1,5: 41-42.
Opuscula (ed. HARTEL ): 1,30 (p. 269-270): 368-378.
CASSIUS DIO
EPICEDIUM DRUSI
41,52,2: 32; 41,63,1: 219; 42,3,2: 131; 42,10,2: 30-33; 42,12,2: 30-33; 42,13,23: 36-50 bis; 42,49,2: 36-50; 42,56,4: 370-371; p. 20; 43,11,6: 409; 47,26,2: 219; 48,14: 152; 51,7,4: 219; 54,9,2: 219; 56,46: 10-11; 57,7,1: p. 41512; 57,13,6: p. 41512; 57,19,1: p. 41512; 57,19,5-7: p. 417; 57,19,6: p. 42219; 57,19,8: p. 41512; 57,22,1-2: p. 41813; 41913; 58,28,5: p. 41512; 59,11: 10-11; 61,10,3: 428; 62,29,4: 190-214; 77,2223: 153-154.
85-86: 171-172; 433: 441-442.
DIODORUS
EUSEBIUS
1,22: 158; 4,18,5: 414; 4,27: 362; 17,49,2-51: 511-543; 17,50,4-5: 526527; 17,109,2-3: 268.
Praeparatio evangelica: 1: 158.
DIOGENES LAËRTIUS 6,2: 407; 7,157: 7. AELIUS DONATUS Terentius, Eunuchus: 409,1: 188189. Terentius, Andria: 465: 253.
EPIGRAMMATA BOBIENSIA 26,17-18: 91-92. EURIPIDES Andromache: 106: 32. Helena: 129: 341-342; 731: 341-342. Hippolytus: 742-747: 414. Ion: 987-997: 658; Iphigenia Taurica: 46: 341-342. Orestes: 352: 32.
FESTUS (ed. MUELLER/LINDSAY) 67,12 M. (= 59,6 L.): 357; 254 M. (= 304,2 L.): 87. FRONTINUS De aquae ductu urbis Romae: 105: 207. Strategemata: 4,1,1: 296; 4,1,15: 296.
Index locorum
FLORUS: 2,13,13: 271; 4,1,5: 253-255. FRONTO (ed. VAN DEN HOUT) p. 11-12: 10-11; p. 222-223: 155.
489
155; 4,42,1: 411-412; 4,36,2: p. 382; 4,42: p. 378; 4,169: 303-318; 4,173: 303-318; 4,181,3-4: 526-527; 7,45: 35. HESIODUS
Medicinae: 29: 317-318.
Opera et dies: 662-678: 421-423. Theogonia: 183-187: 655-658; 215: 362; 227: 355-356; 270-336: 646; 274276: 646-647; 275: 362; 507-520: 654655; 746-748: 654-655; 762: 341-342; 781: 341-342; 869-880: 449-462; 886900: 350-354; 924-926: 350-354; 930933: 348-349.
GELLIUS
(PS.-) HESIODUS:
2,6,20: 384; 11,1,1: 184-185.
Scutum 165: 644; 221-222: 662-663.
G EOGRAPHI L ATINI M INORES (ed. RIESE)
HIEROCLES:
GAIUS Institutiones: 2,262: 85. GARGILIUS MARTIALIS
p. 71-90: p. 3899. GERMANICUS Phaenomena: 6: 536-537; 40-47: 540541; 621: 331-332; 398: 624-625; 719: 624-625; 722: 531. Fragmenta (ed. LE BOEUFFLE): 4,146: 313. GRATTIUS 61: 190-191. HEGESIPPUS: 5,21,4: 317-318. HERODIANUS: 4,8,9: 153-154. HERODOTUS 2,20: 421-423; 2,32: 303-318; 439; 2,41: 158; 2,61: 173; 2,150: 303-318; 2,169,5: 155; 2,172-173: 439; 3,16,1-5: 155; 3,39-43: 155; 3,81: 217-218; 3,123-125:
1,38: 228. HIERONYMUS Epistulae: 82,3: 170. HOMERUS Ilias: 1,1-4: 590; 1,24-25: 590; 1,60-63: 590; 2,1-332: 215-252; 2,84: p. 17; 2,84-89: 285-293; 286-287; 2,85-96: p. 43131; 2,86-90: 215-252; 2,89: p. 17; 2,214: 215-252; 2,159: 341-342; 2,289298: 232-233; 2,455-458: 182-185; 3,162: 341-342; 5,271-275: 540; 5,741: 646-647; 5,880: 350-354; 8,349: 646647; 9,36: 646-647; 11,155-159: 182185; 14,231: 363; 14,273: 349; 14,396397: 182-185; 15,605-606: 182-185; 16,672: 363; 18,336: 152; 19,315: 55; 20,72: 661; 21,26: 152; 22,431: 55; 23,174: 152; 24,338-342: 660-661. Odyssea: 1,1-2: 331; 1,52-54: 654-655; 2,85-104: 215-252; 3,142: 341-342; 3,286: 36; 4,514: 36; 5,272: 493-495; 5,275: 542; 5,282-407: 319-347; p. 18; 8,721: p. 40418; 9,39-40: 215-252; 9,39-
490
Index locorum
42: 297-299; 388-389; p. 7; p. 17; 9,6784: 319-347; 9,80: 36; 10,1-75: 454; 11,634: 646-647; 12,99-100: 388-389; 12,109-110: 388-389; 12,186-188: 393; 12,223-225: 388-389; 19,186: 36; 20,17: 173. (PS.-)HOMERUS Hymni: 3,374: 313; 4,20-62: 661; 28,9-13: 350-354. HORATIUS Carmina: 1,1,15-17: 470; 1,12,30-32: 305; 1,21,5: 627; 1,22: p. 40520; 1,22,5: 303-318; 1,28,3: 184-185; 1,28,4: 408; 1,35,27: 315; 1,37,13: 154; 2,1,25: 152; 2,6,3: 303-318; 440-441; 2,9,12: 313; 2,13,26: 215-216; 2,14,9: 2; 2,14,14: 308; 2,15,14-20: 515-521; 2,15,16: 447448; 2,16: p. 40520; 2,17,9-11: 587-588; 2,17,10-12: 408 ter; 3,2,13: 393; 3,3,916: 385-394; 3,3,49-56: 424-426; 3,3,53-56: 604; 3,4,9: 184-185; 3,5,1-3: 4; 3,16,1-13: 659-660; 3,24,1-3: 517518; 3,29,19-20: 536-537; 3,30,7-9: 599-600; 4,2,27: 184-185; 4,3,11: 627; 4,4,63: 182; 4,8,29-34: 385-394; 4,8,3132: 536-537; 4,14,5-6: p. 40520. Epodi: 2,46: 315; 4,7: 705; 4,14: 79; 5,99: 141-142; 9,31: 321; 9,31-32: 331; 16,28: 184-185; 17,40: 215-216. Saturae: 1,1,36: 536-537; 1,2,24: 261; 1,3,24: 221; 1,4,43-44: 215-216; 1,5,1: 117; 1,5,19: 589-590; 1,5,85: 589-560; 2,2,11: 199; 2,4,47-75: 430; 2,6,68: 315; 2,6,93: 408; 2,7,50: 589-590; 2,8,57: 262-263. Epistulae: 1,3,32-34: 380; 1,6,6: 517518; 1,8,11: 261; 1,17,15: 221; 2,1,5-14: 385-394; 2,3,393: 643. ISIDORUS Etymologiae: 14,2,1-3: 411-412; p. 380-382; 19,24,5: 176-178.
IULIUS RUFINIANUS 27: 268. IUSTINUS 11,11,2-12: 511-543; 12,11,4-12,12,10: 268; 39,4,12: 237-238. IUVENALIS 1,66: 589-590; 1,280: 589-590; 2,25: 6; 2,125-126: 478-479; 3,239-246: 589590; 6,94: 262-263; 7,48-49: 296; 8,146-147: 589-590; 8,242: 271; 9,1301 3 4 : 589-590; 11,111-116: 515-521; 12,81-82: 115; 13,127: 173; 14,190: 589590; 14,283: 348-349. LACTANTIUS Divinae institutiones: 1,21: [160]. De ave Phoenice: 75: 473. LAMPRIDIUS (Historiae Augustae auctor fictus) Alexander Severus: 52: 283. LIVIUS 1,1,4: 390; 1,5,2: 118; 1,15,4: 91; 1,16,4: 475; 1,17,4: 123-124; 1,20,4: 477-480; 1 , 2 3 , 4 : 123-124; 1,34,8: 589-590; 1,48,5-7: 589-590; 1,54,4: 407; 2,1,6: 118; 2,20,7: 22; 2,32,8-12: 253-254; 2,39,5: 441-442; 3,1,4: 22; 3,7,3: 217; 3,19,1: 98; 3,28,10-11: 237-238; 3,52,9: 393; 3,68,13: 441-442; 4,3,6: 6; 4,43,9: 25; 4,50,2: 217; 5,6,15: 393; 5,6,16-17: 557-558; 5,33,2: 393; 5,41,2: 174-178; 5,43,6: 390; 6,3,1: 123-124; 6,24,7: 407; 7,6,6: 359; 7,25,9: 258; 7,38,5: 70; 7,39,8: 91; 8,6,3: 418; 8,14,12: 215-216; 8,31,5: 84-85; 8,39,8: 344-347; 9,1-6: 237-238; 9,33,1: 88; 10,35,18: 217; 21,4,1-8: 394-402; 21,18,14: 94-95; 21,27,8: 447-448; 21,33,4: 386; 22,23,8:
Index locorum
98; 2 2 , 2 8 , 1 2 : 334; 2 2 , 2 9 , 9 : 211; 22,43,3: 217; 22,57,6: 152; 23,33,1: 89; 23,25,3: 33; 24,2,3: 91; 24,12,2: 217; 25,5,11: 407; 25,6,19: 407; 28,42,12: 69; 32,21,3: 131; 33,7,13: 334; 34,7,3: 174178; 34,18,3-5: 407; 37,11,6: 42-43; 38,2,14: 344-347; 38,21,1: 386; 38,41,3: 344-347; 38,46,4: 33; 39,44,4: 268; 44,28,13: 344-347; 44,38,9: 499-500; 44,39,2: 599-600; 44,41,1: 407; [109]: 191-192. Periochae: 57: 296; 111: 3033; 112: 36-50 bis; 368-378. LUCANUS Liber I 1,1-482: 86; 1,2: 560; 1,2-4: 406; 1,5: 182-185; 1,5-6: 20; 1,7: 138; 1,8-12: 597; 1,8-20: 143-145; 1,8-23: 20; 1,9: 158; 546; 1,11: 65; 1,13: 304; 1,22: 546; 1,24-32: 143-145; 1,33-37: 4; 1,38-39: 152; 1,40: 121; 1,53-58: 691; 1,54: 184185; 1,66: 533-537; 1,72: 467; 1,72-80: 20; 311-318; 1,81-128: 265-267; 1,82: 158; 1,84-85: 20; 1,84-86: 124-125; 265-267; 1,85: 20; 1,89-90: 729-730; 1.91-106: 65; 1,97: 372; 1,99-106: 65; 1,103: 308; 1,104: 167-168; 1,108: 9495; 1,111-113: 100; 1,121-123: 78; 1,125126: 239-240; 1,128: 19-35; 97; 143145; 299; 409; 1,129-143: 80; 216; 1,131-133: p. 147; 1,135: 91; 1,135-143: 229; 42-453; 1,139-140: 529-530; 1,142: 5; 1,151-157: 31; 1,152-182: 265-267; 1,153: 605-606; 1,158-170: 191-192; 1,158-182: 191-192; 1,163-164: 430; 1,175-176: 191-192; 1,178-180: 191-192; 1,181-182: 191-192; 1,183-203: 124-125; 1,185-192: 24; 1,186: 171; 1,188: 171172; 1,195-200: 4; 1,222: 308; 1,224: 369; 1,228: 22; 1,228-229: 165; 1,234: 320; 1,234-235: 303-318 bis; 1,242: 198; 1,248: 64; 1,255-256: 147; 1,259260: 649; 1,272-273: 259; 1,273-276: 259; 1,279: 190; 1,288: 158; 550-551; 1,290-291: 259; 1,299-351: 190-214;
491
1,313: 19-35; 1,319-323: 195-196; 1,325-331: 204-205; 1,327-332: 294295; 1,335: 217; 1,336: 224; 1,338: 202203; 1,340-346: 259; 1,346: 224; 1,349351: 259; 1,351: 20; 1,353-356: 228; 1,359: 194-195; 1,359-160: 255; 1,363365: 259; 1,365: 268; 1,366: 260; 1,371: 308; 1,373-374: 190; 1,376: 264; 1,377: 189; 1,383-386: 259; 56; 1,384: 40-41; 1,384-386: 124-125; 1,390-391: 452453; 1,394-395: 245; 1,405: 366; 1,405407: 321; 1,405-419: 621-622; 1,409410: 304; 1,409-417: 333-334; 1,409419: 306; 307; 1,415-416: 313; 1,417419: 307; 348; 621-622; 1,443: 171-172; 1,454-456: 355; 1,465: 158; 1,466-522: 47-48; 1,471: 199; 1,483-9,85: 86; 1,501: 44; 1,502: 467; 1,509: 189; 1,512: 158; 1,521: 227; 1,521-695: 120; 1,542: 158; 1,549-552: 74; 1,550: 199; 1,553: 305; 1,558: 432; 1,564: 199; 1,568: 189; 1,572: 642; 1,576-577: 366; 1,576: 642; 1,577: 171; 1,580: 171; 1,585: 649; 1,588: 545; 1,598: 350-354; 1,603: 478479; 1,642-645: 303-318; 1,645: 305; 1,647: 435; 1,651-657: 306 bis; 1,655657: 311-318; 691; 1,670: 20; 1,675: 189; 1,680: 271; 1,687: 368; 642; 1,694: 271. Liber II 2,1-10: 120; 2,4: 194-195; 2,5-14: 545; 2,7-13: 303-318; 2,14-15: 511-543; 2,16: 256; 2,23: 171-172; 2,34-36: 4; 64; 2,38: 105; 2,41: 19; 581-582; 2,44: 146147; 2,54: 397; 2,63: 179-180; 2,64233: 204-205; 2,65: 103; 2,70-131: 204205; 2,77: 31; 2,90-93: 229; 2,108-109: 406; 2,111: 15-16; 2,113-114: 379-380; 2,114: 526-527; 2,118: 167-168; 2,119: 90; 2,121-122: 120; 2,136-137: 184-185; 2,137-138: 237-238; 2,139-222: 204205; 2,154: 600; 2,154-159: 106-107; 2,155-156: 336; 2,156: 15-16; 2,171-173: 145; 2,174-184: 152; 2,175: 63; 152; 2,205: 384; 2,214-218: 306; 2,219-220: 156; 2,222: 69; 235-236; 409; 2,230-
492
Index locorum
232: 204-205; 2,234: 1; 133; 2,234-325: 17-18; 2,234-391: 19-35; 215-252; 2,238: 97; 2,239-241: 590; 2,239-240: 633; 2,259: 269-270; 2,261-266: 391392; 2,264-266: 299; 2,273-274: 633; 2,275-276: 215-216; 2,278: 35; 2,284285: 564-565; 2,285: 409; 2,286: 292293; 2,286-323: 19-35, 564-586; 2,287: 410; 2,288: 269-270; 2,289-292: 311318; 2,290-295: 50; 2,295-303: 601604; 2,303-304: 190-214; 2,316: 190214; 249-251; 2,319-323: p. 61; 21; 249251; 269-270; 2,320-323: 190-191; p. 147; 560; 2,320-322: 95-96; 2,320-323: 124-125; 239-240; 292-293; p. 16; 2,326: 167-168; 2,326-371: 190-214; 2,326-391: 51; 200-201; 2,392: 167-168; 2,331: 230; 2,335: 171-172; 2,335-336: 105; 2,336-391: 101-105; 2,338-339: 98; 2,342-344: 259; 2,372: 409; 2,372380: 50; 2,377: 90; 2,378: 19-35; 2,380383: 394-402; 2,380-391: 50; 2,382383: 190-214; 228; 249-251; 2,383: 1935; 2,384: 230; 430; 2,388-389: 249251; 2,388-391: 19-35; 562-563; 601604; 2,391-392: 190-214; 2,399-402: 308; 2,401: 308; 2,409-410: 171; 2,435438: 306; 2,439: 147; 2,439-440: 633; 2,446: 190; 2,447-450: 581-582; 2,454455: 320; 2,457: 454; 2,483-490: 306; 2,505-525: 210; 2,511-514: 210; 2,512515: 169-170; 2,513: 432; 2,523: 268; 2,526: 167-168; 2,530: 216; 612; 2,531: 17; 2,531-533: 207; 2,531-595: 190-214; 2,532: 124-125; 2,536-537: 406; 2,538: 124-125; 2,545-546: 204-205; 2,552554: 65; 2,562-563: 190; 192-193; 2,564-564: 124-125; 2,266-268: 50; 2,550-551: 83; 2,571: 305; 2,576-579: 224; 2,586-587: 184-185; 2,587: 528532; 2,594: 224; 2,596-600: 190-214; 2,610-627: 306; 2,610: 38-39; 2,617: 447-448; 2,618: 447-448; 2,619: 468; 2,619-620: 310-311; 2,628: 256; 2,628649: 121; 2,629: 439; 2,632-634: 91-92; 2,632-644: 78; 2,632-634: p. 147;
2,638-639: 237-238; 2,669: 256; 2,672: 348; 2,683: 189; 2,696: 44; 2,701-702: 319-320; 2,702: 309; 2,704: 256; 2,727728: 78; 2,730: 229; 2,734-736: 124125; 2,735: 127-128; 2,735-736: 97. Liber III 3,1-2: 319-320; 3,10: 171; 3,11: 54; 3,12-30: 102; 3,15: 642; 3,20: 78; 3,2834: 355; 3,29: 355; 3,28: 355-356; 3,3132: 1; 3,39-40: 303-318; 3,60-63: 306; 3,62-63: 677; 3,64-70: 421-423; 3,70: 377; 3,79: 260; 3,82-83: 633; 3,91-97: 124-125; 3,100-101: 247; 3,103-112: 190-214; 3,109-112: 253-254; 3,116: 22; 3,125-127: 65; 3,129: 17; 3,145-150: 195-196 bis; 3,155-164: 19-35; 3,164: 131-132; 3,165-167: 78; 3,167-168: 197198; 3,169-170: 229; 3,169-297: 167168; 3,178: 366; 3,198: 359-360; 3,199200: 685; 3,199: 372; 3,205: 350-354; 3,215: 348; 349; 3,218-219: 540; 3,220: 348; 3,226: 468; 3,228: 224; p. 158; 3,228-290: 202-203; 3,240: 371; 3,244: 439; 3,247-248: 528-532; 539; 3,250252: 540-541; 3,253-255: 691; 3,261263: 306; 3,265-266: 65 bis; 3,266-267: 237-238; 3,272-276: 414; 3,277-279: p. 405; 3,278: 366; 3,279: 414; 415-416; 3,292: 545; 3,295-296: 229; 3,306: 350354; 3,315-320: 4; 3,317-318: 179-180; 3,328: 224; 3,357: 255; 3,359: 5; 3,362365: 452-453; 3,367: 268; 3,399: 519520; 3,399-401: 529-530; 3,399-425: 521; 3,400: 526-527; 3,407: 649; 3,408409: 452-453; 3,417: 348; 3,421: 364; 3,440: 40-41; 3,444: 432; 3,452: 377; 3,459-461: 466-471; 3,469: 472; 3,482483: 168; 3,491: 467; 3,500: 149; 3,503: 470; 3,509-762: 103-106; 3,520: 371; 3,549: 315; 3,549-552: 333-334; 3,558: 44; 3,566: 35; 3,568: 678; 3,578: 671672; 3,585-762: 569-570; 3,597: 253255; 3,609-626: 103-106; 3,694-696: 406; 3,716-719: 103-106; 3,718-719: 8485; 3,731: 136; 3,741: 136; 3,752: 581582.
Index locorum
Liber IV 4,13: 355; 4,17-18: 701; 4,27: 385; 4,54: 540-541; 4,62-75: 422-423; 4,70-75: p. 3858; 4,72-75: 321; 4,74-75: 498; 4,98101: 306; 4,104-109: 435; 4,109: 377; 604; 4,111: 194-195; 4,119: 154; 4,121123: 143-145; 253-255; 409; 4,123-125: 498; 4,129: 432; 4,171: 99-100; 4,174175: 228; 4,187: 642; 4,189-191: 578579; 4,189-195: 228; 4,204-205: 228; 4,211: 255; 4,217: 20; 4,218-219: 274275; 4,282: 540-541; 4,231-232: 274275; 4,236: 17; 228; 4,252: 561; 4,254259: 17; 143-145; 4,271: 371; 4,272275: 264; 4,278: 633; 4,279-280: 406; 4,297-298: 424-426; 4,299: 309; 4,299302: 303-318; 4,303: 499; 4,308: 627; 4,314: 315; 4,322: 38-39; 4,326: 500501; 4,334: 440; 511-512; 4,344: 268; 4,353: 366; 4,356: 500-501; 4,363-364: 210; 4,373-381: 430; 4,375: 304; 4,393394: 126; 4,402-403: 143-145; 253-255; 409; 4,417-418: 701; 4,427-429: 306; 4,427-431: 333-334; 4,448-452: 224; 4,449: 366; 4,454: 406; 4,474-475: 226; 4,475: 133; 4,484-485: 406; 4,488-497: 391-392; 4,491: 561; 4,496-499: 169170; 4,498-499: 179-180; 4,505-506: 147; 4,516-517: 147; 4,519-520: 406; 4,532: 121; 393; 4,540: 147; 4,542-544: 391-392; 4,560-562: 336; 4,575-581: 147; 4,577-579: 566-567; 4,581-665: 359-360; 366; 4,584: 468; 4,589-592: 664; 4,590: 359-360; 4,590-592: 348; 4,593: 285; 4,602-655: 470; 4,609-611: 366; 4,611: 133; 4,612-653: 661; 4,623: 499; 4,628-629: 56; 4,638: 499; 4,654655: 348; 359-360; 664; 4,661-665: 120; 4,665: 300-301; 4,666-824: 300-301; 4,672: 414; 4,674: 605-606; 4,675: 382; 415-416; 4,678: 715; 4,679: 511-512; 4,688-693: 300-301; 4,710-712: 120; 4,724-729: 300-301; 4,736-737: 102103; 4,754: 499; 4,755: 500-501; 4,771: 19; 581-582; 4,778-485: 568; 4,777: 256; 4,788-790: 1; 152; 4,780-781: 649-
493
651; 4,789: 15-16; 4,791-792: 143-145; 4,799: 215-216; 4,806: 264; 4,807-808: 143-145; 4,809-810: 235-236; 4,821: 264; 4,821-824: 90; 190-214; 4,822: 1516; 4,850-581: 28; 4,821-824: 204-205. Liber V 5,7-37: 215-252; 5,8-9: 368; 5,17: 546; 5,24: 605-606; 5,24-25: p. 3933; 5,3637: 224; 5,39: 384; 5,47-49: 194-195; 5,51: 511-512; 5,54: 561; 5,56-57: 300301; 5,59: 143-145; 187-188; 5,60: 153; 5,61-63: 268-269; 5,64-256: 511-543; 5,82-85: 511-543; 522-527; 5,86-93: 511-543; 5,92-93: 303-318; 5,93-94: 729-730; 5,93: 63; 5,96: 526-527; 5,98: 215-216; 5,102-124: 511-543; 5,111: 723; 5,119: 467; 5,124-224: 511-543; 5,130-140: 303-318; 5,139: 215-216; 5,143: 171-172; 5,157-158: 147; 5,161169: 564; 5,182: 415-416; 5,186: 189; 5,192-194: 649-651; 5,198-203: 189; 5,208-209: 649-651; 5,221-224: 189; 5,228-230: 511-543; 5,230-235: 649651; 5,232-236: 306; 5,237: 167-168; 5,237-373: 268; 5,246: 642; 5,260: 194195; 5,261: 146-147; 5,263: 264; 5,269: 94-95; 5,273-282: 232-233; 5,279: 640641; 5,289-290: 546; 5,297: 199; 5,302303: 633; 5,313-314: 262; 5,335-343: 188-189; 5,340-342: 143-145; 5,345347: 549-550; 5,351-353: 143-145; 5,358: 283; 5,370: 264; 5,371-373: 294295; 5,374: 369; 5,378-380: 184-185; 5,381-384: 194-195; 5,381-386: 238239; 5,381-402: 124-125; 238-239; 5,385-402: 195-196; 5,386: 20; 5,407: 374; 5,413-414: 118; 5,419: 349; 5,424455: 580; 5,430-432: 325-327; 5,432453: 436; 5,440-441: 686; 5,440: 309; 5,442-443: 305; 5,442-444: 309; 5,443446: 694; 5,444-446: 333-334; 5,481484: 55; 5,484-485: 333-334; 5,490: 561; 5,499-500: 143-145; 5,514: 468; 5,537: 230; 5,556: 705; 5,565: 341-342; 5,611: 447-448; 5,564-565: 341-342; 5,581-583: 143-145; 5,584-586: 306;
494
Index locorum
5,592-593: 143-145; 253-255; 5,594597: 325-327; 5,608-610: 454; 5,610612: 321; 5,611: 321-322; 5,614: 309; 5,625-637: 168; 5,625-626: 253-255; 5,626: 194-195; 5,632: 4; 5,636-637: 379-380; 5,646: 308; 5,652: 468; 5,653677: 319-347; 5,656-671: 409; 5,662663: 238-239; 5,663: 194-195; 5,668671: 235-236; 5,669-671: 409; 5,6786 8 1 : 546; 5,685-687: 123-124; 406; 5,687-689: 546; 5,697: 338-339; 5,698: 194-195; 5,703: 453; 5,705: 308; 5,712: 668; 5,717: 447-448; 5,722-731: 51; 5,722-815: 200-201; 5,727-815: 200201; 5,739: 393; 5,739-740: 259; 5,747749: 127-128; 5,754-755: 379-380; 5,761: 255; 5,767-778: 259; 5,776-778: p. 12; 5,770-778: 101-105 bis; 5,776778: 108; 5,778: 262; 5,810: 99-100; 5,814-815: 120. Liber VI 6,1-2: 225-226; 6,19-28: 306; 6,27: 320; 6,36-37: 40-41; 6,53-54: 215-215; 6,56: 339; 6,76: 355; 6,105: 189; 6,122-128: 341-342; 6,123: 322-323; 6,155-156: 147; 6,145: 722; 6,159-160: 391-392; 6,160: 322-323; 6,160-161: 336; 6,161: 264; 6,177: 467; 6,196-197: 71-72; 6,214: 38-39; 6,214-219: 103-106; 6,234-235: 169-170; 6,257-262: 126; 6,258: 439; 6,260-262: 4; 6,262: 20; 6,265: 453; 6,266: 308; 6,284-289: 327328; 6,298-299: 397; 6,299-303: 263264; 6,300-301: 147; 6,301-313: 124125; 6 , 3 0 6 : 121; 6,306-311: 19-35; 6,309-311: 152; 6,311: 409; 6,318-319: 119; 6,319-329: 124-125; 263-264; 6,323: 372; 6,326: 605-606; 6,332-633: 84-856; 6,337: 313; 604; 6,339: 447448; 6,348: 366; 6,353: 366; 6,360: 256; 6,375-376: 317-318; 6,378: 348; 6,389390: 452-453; 6,391-392: 366; 6,395399: 424-426; 6,400-401: 424-426; 686; 6,402: 194-195; 6,402-405: 424-426; 6,413-419: 120; 6,413-830: 85; 511-543; 6,418-420: 188-189; 6,419-423: 78; 85;
6,461-465: 580; 6,461-467: 168; 6,468: 171-172; 6,469-472: 324-327; 6,488689: 704; 6,488: 709; 6,494-495: 303318; 6,479-480: 306; 6,525- 526: 633; 6 , 5 2 6 : 54; 6 , 5 4 0 : 633; 6,541: 681; 6,550-553: 141-142; 6,564-569: 56; 6,570-573: 624-625; 6,582: 271; 6,594495: 303-318; 6,595: 235-236; 6,604605: 633; 6,617: 101; 6,627-628: 141142; 6,641-645: 436; 6,642: 305; 6,648651: 36; 6,650-661: 1; 6 , 6 5 3 : 121; 6,622: 215-216; 6,662-663: 309; 6,663665: 642-647; 6,664: 642; 6,664-665: 643; 6,680: 649; 6,685: 355-356; 6,689: 649; 6,692: 452-453; 6,695-820: 102; 6,695: 642; 6,697: 194-195; 6,702-703: 643; 6,708: 189; 564; 6,718: 355; 6,719725: 234; 6,720: 121; 6,724-725: 406; 6,745: 226; 6,747: 642; 6,756: 56; 6,761: 215-216; 6,765: 54; 6,769: 355356; 6,778: 121; 6,784-799: 633; 6,786787: 204-205; 6,788-789: 235-236; 6,789-790: 19-35; 6,793-799: 355; 6,794-795: 204-205; 6,802-809: 511543; 6,803-805: 121; 6,807-809: 62; 6,810-811: 235-236; 6,816: 605-606; 6,818-820: 78. Liber VII 7,5-6: 313; 7,7-8: 80; 7,9-19: 78; 7,1924: 303-318; 7,28: 179; 7,29: 126; 7,2944: 124-125; 7.30-44: 170; 7,38: 171172; 7,40-44: 4; 7,46: 217; 7,56: 90; 7,63-64: 238-239; 7,65-66: 215-216; 7,76: 255; 7,79-80: 194-195; 7,85: 194195; 7,87-90: 194-195; 7,91-94: 263264; 7 , 9 5 : 17; 7,110-120: 124-125; 7,113: 143-145; 7,114-120: 17; 7,115122: 263-264; 7,117-119: 124-125; 7,118: 33; 7,123-127: 124-125; 7,124: 147; 7,125: 447-448; 7,128: 217; 7,133137: 306; 7,134-137: 311-318; 7,169: 642; 7,172-206: 120; 7,185: 237; 7,187: 414; 7,189: 605-606; 7,194: 350-354; 7,200: 99-100; 7,210: 561; 7,221-223: 224; 7,237-239: 143-145; 7,257-258: 230; 7,261-262: 199; 7,261-263: 124-
Index locorum
125; 7,264-269: 190; 7,270-272: 661; 7,274-725: 143-145; 7,277-280: 78; 7,292-294: 139; 7,295-296: 147; 7,296: 227; 7,305: 215-216; 7,307: 204-205; 7,318-319: 210; 7,319: 190; 7,339-341: 120; 7,339: 681; 7,342-348: 232-233; 7,342-382: 190-214 bis; 7,345: 230; 7,349-355: 124-125; 7,412: 671-672; 7,360-364: 202-203; 7,369-376: 124125; 7,370: 171-172; 7,373: 20; 7,3753 7 6 : 406; 7,379-382: 190-214; 210; 7,382-384: 120; 190-214; 211; 406; 7,383: 190-214; 7,385: 256; 7,385-386: 143-145; 7,387-400: 143-145; 7,394: 230; 7,400-407: 143-145; 7,419-431: 143-145; 7,426-445: 560; 7,431: 65; 7,432-455: 143-145; 7,439: 33; 7,442: 517-518; 7,442-443: 126; 161; 7,442459: 589-590; 7,455-459: 62; 602; 7,475-484: 168; 7,477: 368; 7,478: 4; 7,525-531: 271; 7,533: 264; 371; 7,540543: 143-145; 7,542: 224; 7,752-757: 424-426; 560; 7,558: 17; 7,564-565: 190; 7,565: 371; 7,565-571: 15-16; 7,566-567: 587; 7,567-571: 15-16; 7,570: 658; 7,574-575: 587; 7,596: 152; 7,612: 121; 7,615: 406; 7,617: 235-236; 7,621-622: 640-641; 7,626-628: 145; 7,644: 264; 7,645-646: 566-567; 7,647: 20; 7,647-649: 143-145; 7,647-679: 123-124; 7,632: 92; 7,651: 121; 7,653654: 664; 7,654-658: 124-125; 7,654677: 263-264; 7,673-675: 139; 7,675677: 200-201; 7,677-727: 190-214; 7,680-682: 124-125; 7,683: 121; 7,683686: 78; 7,689-691: 190-214 bis; 7,689697: 190-214; 7,692: 121; 7,693-696: 90; 7,693-697: 23-24; 7,696-697: 211; 7,706: 260; 7,709: 121; 7,710: 121; 7,712-721: 229; 7,724-725: 187-188; 7,725: 187-188; 7,740: 189; 7,752-757: 424-426; 7,753-755: 78; 7,758-760: 124-125; 7,760: 264; 7,766-786: 180181; 7,771: 17; 7,778: 642; 7,786-796: 139; 7,786-803: 180-181; 7,796: 147; 7,797-872: 409; 7,798-799: 143-145;
495
187-188; 7,802-803: 190; 7,803-824: 180-181; 7,809-819: 409; 7,810-815: 311-318; 7,820-824: 409; 7,825-846: 141-142; 7,833: 320; 7,835: 729-730; 7,836-837: 698; 7,838-839: 15-16; 7,847-872: 180-181; 7,872: 271. Liber VIII 8,1: 366; 8,1-32: 208-211; 8,1-210: 190214; 8,19: 391-392; 8,29-31: 208-211; 8,37-38: 30; 8,38: 224; 8,40-45: 120; 8,50: 45; 8,55: 143-145; 187-188; 8,67: 25; 8,73-85: 83(78)-82(83); 8,74: 371; 8,87: 255; 8,88-97: 65; 8,88-105: 55; 8,90: 642; 8,93-105: 259; 8,110-146: 229; 8,119: 309; 8,132-133: 230; 8,140: 90; 8,147-148: 187-188; 8,149: 143-145; 8,159-186: 493-495; 8,159-161: 624625; 8,159-192: p. 391-392; 8,161-164: 246; 8,162-163: 90; 8,163-164: 538; 8,178: 331-332; 8,179-180: 536-537; 8,180: 540; 8,192: p. 40419; 8,197-199: 309; 319-320; 8,204-205: 85; 8,206209: 229; 8,217: 605-606; 8,223: 439; 8,223-230: 81; 8,229-231: 78; 8,232234: 65; 8,234: 166; 8,237-238: 20; 8,243-455: 246; 8,248-249: 685; 8,257: 224; 8,264: 224; 8,273-274: 245; 8,274276: 91-92; 8,283-288: 300-301; 8,293294: 415-416; 8,295-304: 267; 8,300301: 138; 8,300-302: 65; 8,320-321: 78; 8,322-327: 124-125; 8,325-327: 65; 8,331: 33; 8,363-366: 161-162; 8,340341: 210; 8,351-352: 124-125; 8,353: 237-238; 8,356-358: 65; 8,365-366: 536-537; 8,365-388: 267; 8,374: 308; 8,385-386: 267; 8,390-394: 65; 8,410416: 65; 8,410-411: 277; 8,420-422: 65; 8,430: 299; 8,437-439: 306; 8,442-443: 300-301; 8,444-445: 156; 8,446: 592; 8,448: 152; 8,450: 8; 8,452: 90; 8,453455: 194-195; 8,456: 224; 8,467-469: 534; 8,472-473: 131; 8,475: 153; 8,478480: [160]; 8,489: 90; 8,498-499: 131; 8,499-500: 130; 8,503-511: 229; 8,507: 141-142; 8,512: 299; 8,526: 627; 8,528529: 128-129; 8,531: 722; 8,532: 229;
496
Index locorum
8,536-721: p. 12; 8,537: 152; 8,539: 306; 8,547-550: 128-129; 8,550: 127128; 8,552: 130; 152; 8,553-554: 79; 8,557: 152; 8,560-561: 326; 8,560-872: 126-145; 8,566: 308; 8,571: 120; 8,578: 371; 8,584-586: 259; 8,590: 146-147; 8,592: 135; 8,592-595: 210; 8,593: 127128; 8,597-580: 85; 8,597-598: 138; 8,607: 153; 8,607-608: 268-269; 8,610: 127-128; 8,610-872: 190-214; 8,611612: 212; 8,612-613: 268-269; 8,616: 146-147; 8,619-621: 484; 8,620: 127128; 8,622-635: 229-230; 8,626-627: 391-392; 8,627-629: 128-129; 8,629635: 133; 8,634: 70; 8,634-635: 85; 8,635-636: 212; 8,637-662: p. 12; 8,637: 1; 8,638: 127-128; 8,640-642: 134-135; 8,641: 135; 8,642: 17; 8,6516 6 2 : 259; 8,653-662: 86; 101-105; 8,654-656: 106-107; 8,659-661: 212; 8,661-662: 51-54; 8,661-673: 137-140; 8,664: 216; 8,665-667: 212; 8,667-685: 145; 8,668: 31; 8,699: 216; 8,676: 268; 8,677: 216; 8,679-681: 216; 8,685: 215216; 8,686: 124-125; 8,687-691: 137140; 8,688-691: 145; 8,692-700: 409; 8,692-693: 130; 8,692-699: 148-164; 8,692-700: 235-236; 8,693: 153-154; 8,694-698: 153-154; 153; 8,698: 336; 8,708: 336; 8,708-711: 306; 8,709-710: 14; 8,712-714: 235-236; 8,713: 69; 8,715-717: 63; 8,723-726: 306; 8,725: 333-334; 8,729-742: 10-11; 8,733: 78; 8,738: 61; 8,739-741: 56; 8,741-742: 51-54; 8,748: 415-416; 8,749: 227; 8,752: 189; 8,753: 333-334; 8,755-758: 142; 8,758: 316; 8,761-762: 66; 8,762: 148; 8,763-767: 142; 8,764-765: 66; 8,765: 141-142; 8,769: 216; 8,786-789: 3; 8,787: 189; 8,792: 216; 8,793: 1-18; 8,793-795: 66; 8,793-800: 409; 8,793805: 1-18; 8,793-872: 1-18; 8,795-797: 2; 8,796: 69; 8,799-800: 143-145; 187188; 8,800: 189; 366; 8,800-805: 148164; 163-164; 8,806: 216 bis; 8,807915: 78 bis; 8,811: 224; 8,813-814: 199;
8,813-815: 200; 8,817: 189; 8,821: 69; 8,823-834: 1-18; 8,823-830: 161-162; 8,828-830: 148-164; 8,831-834: 158; 8,835-838: 1-18; 8,835-850: 1-18;8,837: 229; 8,840-841: 2; 8,841: 216; 8,841850: 5-18; 8,843-845: 126; 8,848: 604; 8,851: 382; 8,851-858: 409; 8,852: 455; 8,853: 305; 8,854: 517-518; 8,855: 69; 8,856-856: 1-18; 8,857: 63; 8,858-561: 515-521; 8,858-864: 1-18; 8,859-862: 1-18; 8,667: 57; 8,778-780: 75; 8,871872: 1-18; 359-360; 8,871-872: 97; 8,872: 4. Liber IX 9,1-733: passim; 9,167-185: p. 411-442; 9,411-420: p. 377-390; 398; 9,511-604: p. 391-409; 9,734-838: 303-318; 9,734889: 449-462; 9,735-736: 391-392; 9,737-760: 610; 9,739-740: 615 bis; 9,745: 499; 9,755: 384; 9, 761-788: 723; 9,766-767: 615 bis; 9,766: 202-203; 9, 9,781: 320; 9,781-782: 449; 9,805-814: 708-709; 9,822-828: 720; 9,839-891: p. 395; 9,846-847: p. 3945; p. 40622; 9,848-880: p. 3945; 9,848-880: 301-302; p. 3967; 9,850-851: 301-302; 9,854-862: 303-318; 9,854-865: 621-622; 9,861: 605-606; 9,871-880: p. 395-396; 9,872: p. 404-405; 9,873-875: 374-377; 9,873878: 351-352; 9,874-875: p. 397-398; 9,875-878: 538; 9,876-877: p. 398; 9,876-878: p. 3858; 9,877: 321; 9,877878: p. 398; 9,878-880: p. 399; 9,879880: 301-302; 9,880-889: p. 399; 9,880891: p. 40622; 9,881: 381; 9,882: 381; 9,884: 229-230; 9,884-887: 391-392; 9,890: 262-263; 9,890-891: 399; 9,890908: 303-318; 449-462; 9,901: 384; 9,902-903: 666-668; 9,904-937: 449462; 9,905: 432; 9,909-937: 303-318; 9,932: 315; 9,938-941: p. 3945; 9,939: 384; 9,948-949: 523-525; p. 398; 9,963: 229-230; 9,980-981: 621-622; 9,994: 350-354; 9,1015: 229-230; 9,1038-1041: 210; 9,1058-1059: 280-281; 9,1062: 388-389; 9,1062-1063: 210; 9,1073:
Index locorum
256; 9,1081: 388-389; 9,1089: 227; 9,1095-1104: 210; 9,1099-1102: 210; 9,1104-1106: 546. Liber X 10,2: 369; 10,3-4: 81; 10,5-6: 299; 10,68: p. 5; 10,11: 217; 10,12: 46; 10,14-52: 409; 10,17: 393; 10,19: 153-154; 10,20: 511-543; 10,20-40: 511-543; 10,20-52: 153-154; 235-236; 10,21: 199; 10,22-23: 153-154; 10,26-28: 511-543; 10,26-27: 153-154; 10,36-40: 415-416; 10,36-42: p. 401; 10,39-41: 253-255; 10,41-42: p. 40722; 10,48-51: p. 402; 10,51-52: 65; 10,52: 202-203; 10,54: 152; 10,59: 642; 10,72: 371; 10,72-77: 101-105; 10,82103: 130; 10,105: 130; 10,109-110: 521; 10,110-121: 533-537; 10,111-112: 515521; 10,122: 669; 10,136-138: p. 402; 10,136-158: 430; 589-590; 10,144: 428; 10,148: 407; 10,155-158: p. 402; 10,161: 154; 10,169-171: p. 402; 10,175: 226; 10,184: 390; 10,186: 605-606; 10,204: 307; 10,206: 371; 10,207: 435; 435-436; 10,211: 313; 604; 10,227: 534; 10,230239: 435; 10,232: 605-606; 10,236-237: 528-53; 10,238-239: 310-311; 10,239245: 303-318; 10,239-247: 306; 10,247254: 306; 10,248: 467; 10,249: 355; 10,253: 355; 10,255: 415-416; 10,255258: 415-416; 10,258-261: 313; 10,264: 500-501; 10,265-267: 467; 10,268-282: p. 402; 10,288: 536-537; 10,307: 313; 605-606; 10,308: 705; 10,313-322: 306; 10,324: 306; 10,335-337: p. 5; 10,335344: 143-145; 10,336: 127-128; 10,351352: 9; 10,381: 121; 10,385-387: 152; 10,391-393: 152; 10,392-393: 123-124; 10,412: 135; 10,412-413: 147; 10,430: 152; 10,453: 230; 10,455: 237-238; 10,456-457: 9; 10,457: 414; 10,461-462: 152; 10,464-467: 145; 10,474: 161-162; 1 0 , 4 7 4 - 4 7 8 : 81; 10,475: 300-301; 10,477: 440-441; 10,479: 230; 10,483: 230; 10,506-508: 252; 10,524-529: 152; 10,538-539: 379-380; 10,545-546: 297298.
497
LUCIANUS De luctu: 10-11; 12-15: 56. LUCILIUS (ed. MARX): 462: 188-189; 1053: 85. LUCRETIUS 1,8: 182; 1,50-61: 621-622; 1,91: 146147; 1,125: 146-147; 1,136-148: 621622; 1,193: 182; 1,271-276: 449-462; 1,290-294: 449-462; 1,334-345: 473; 1,737-739: 564-565; 1,977-979: 303318; 1,1052-1082: 538; 2,6: 262-263; 2,23-33: 529-530; 2,650: 592; 3 , 1 1 : 289-290; 3,12: 182; 3,25-30: p. 3999; 3,426-428: 76-77; 3,451-456: 76-77; 3,456: 76-77; 3,583: 76-77; 3,919-922: 671-672; 4,354: 303-318; 4,619: 315; 4,1088: 315; 5,22-54: 366; 5,32: 367; 5,32-34: 360-367; 5,33-34: 364; 5,98: 306; 5,123: 55; 5,142: 526-527; 5,212: 451; 5,223: 592; 5,350: 223; 5,380-415: 315-318; 5,390: 315; 5,392-405: 306; 5,446: 6; 5,488: 499; 5,493: 305; 5,509533: 303-318; 5,526-533: 303-318; 5,575-577: 303-318; 5,780: 627; 5,926: 439; 5,1247-1248: 182; 5,1253: 468; 6,132: 349; 6,136: 349; 6,143: 308; 6,144: 308; 6,239-442: 722; 6,269: 189; 6,423-450: 449-462; 6,426-428: 722; 6,448-450: 449-451; 6,540: 341-342; 6,557-607: 466-471; p. 22; 6,559: 334; 6,570-576: 470-471; 6,571: 449-451; 6,590: 305; 6,614-630: 315-318; 6,626: 315; 627; 6,695: 308; 6,724: 487; 6,737: 723; 6,848-878: 526-527; 6,955: 499; 6,1230-1234: 120; 6,1232: 87; 6,12721277: 62. MACROBIUS Saturnalia: 1,20,3: 357; 6,3,31: 319347.
498
Index locorum
MANILIUS
NAEVIUS
1,54: 621-622; 1,125-131: 303-318; 1,294-307: 540-541; 1,132-136: 303318; 1,236-246: 538; 1,238-241: p. 3999; 1,644: 691; 1,758-804: 7; 1,908-913: 271; 2,197: 315; 2,223-233: 307; 2,224: 468; 2,256: 621-622; 2,269: 315; 2,306: 315; 2,417: 315; 2,424: 315; 2,782: 621622; 3,43: 621-622; 3,259: 694; 3,264: 536-537; 3,652-656: 534; 4,88: 315; 4,145-146: 533-534; 4,279-280: 493495; 4,412: 604; 4,498: 604; 4,585-594: 4,585-710: p. 386; 412; 4,728-729: 315; 4,794-796: 307; 4,810: 315; 4,828: 467; 4,855: 453; 4,917: 293; 5,16: 659-660; 5,228: 433-434; 5,288-290: 515-521; 5,291-292: 430.
Fragmenta (ed. BLÄNSDORF): 23: 83; 48: 135. NEMESIANUS Eclogae: 1,25-26: 215-216. NEPOS Atticus: 22,4: 10-11. NONIUS (ed. MERCERUS/LINDSAY) p. 519,1 M = 835-836 L: 188-189. OROSIUS
Alethia: 1,245: 453.
Historiae adversum paganos: 1,2,1: 411-412; 1,2,1-3: p. 381; 1,2,1-10: p. 380; 1,2,41-42: p. 388; 1,2,83-86: p. 388; 6,15,18: 36-50.
MARTIALIS
OVIDIUS
2,11,5: 173; 3,78: 42; 6,19,8: 215-216; 6,42,15: 713-714; 7,45,7: 20; 8,15,1: 408; 8,65,12: 408; 9,35,6: 660-661; 9,91: 4; 13,9: 83.
Amores: 1,3,16: 83; 1,3,18: 259; 1,8,11: 83; 2,6,51: 83; 2,10,33: 453; 2,11,20: 303-318; 2,13,3: 262-263; 2,13,13: 516; 2,16,21: 303-318; 2,19,36: 261; 2,19,45: 296; 2,19,55: 671-672; 3,1,69: 227; 3,8,29-30: 659-660. 3,9,61-66: 7. Ars amatoria: 1,206: 215-216; 1,367: 632-635; 1,545: 261; 1,608: 73; 2,38: 227; 2,470: 101; 2,263: 361; 3,235-236: 632-635; 3,788: 545. Remedia amoris: 175: 361; 369: 349; 739: 303-318. Medicamina faciei femineae: 57: 315-318. Epistulae: 2,5,55: p. 42928; 3,140: 259; 4,156: 227; 5,116: 296; 7,181: 388-389; 8,38: 662; 9,20: 221; 9,166: 205; 11,117: 57; 11,122: 58; 11,125: 59; 12,3-6: 103; 13,22: 344; 13,30-32: 632-635; 13,50: 408; 13,114: 74; 14,89-98: 352-353; 14,105: 261; 16,106: 227; 16 [17]: 139; 296; 16,190: 75; 17,65: 475; 18,11: 661;
MARIUS VICTORINUS
MELA 1,27: 414; 1,35: 303-318; 317-318; 1,39: 446-447; 526-527; 1,40: 413; 1,49: 413; 1,55: 657; 1,61: 416-417; 1,89: 416-417; 1,102: 317-318; 2,10: 443-444; 2,17: 416-417; 2,58: 416-417; 2,86: 416-417; 3,33: 416-417; 3,101: 657. MENANDER RHETOR 420,10-15: 190-214. MINUCIUS FELIX 11,4-5: 10-11; 22,1: 49.
Index locorum
18,104: 315-318; 18,149: 540-541; 19,26: 315-318; 21,41-42: 319-320. Fasti: 1,18: 123-124; 1,130: 478; 1,193204: 515-521; 1,224-226: 515-521; 1,653: 624-625; 2,623: 8; 2,829: 227; 3,107-108: 540-541; 3,286: 315-318; 3,335: 516; 3,357-392: 477-480; 3,389: 215-216; 3,509: 315-318; 3,865: 677; 4,137: 315-318; 4,141: 315-318; 4,499: 303-318; 4,575-476: 542; 4,582: 205; 4,600: 101; 5,279: 70; 5,283: 182; 5,379-414: 536-537; 5,667: 661; 6,363364: 174-178; 6,538: 564; 6,803: 478. Metamorphoses: 1,2-3: 150-151; 1,43: 305; 1,57-68: p. 386; 1,57-69: 412; 1,6364: 624-625; 1,115: 669; 1,774: 300; 1,138-150: 424-426; 1,149-150: 535; 1,184: 677; 1,192: 7; 1,212: 475; 1,253292: 306; 1,327: 8; 1,330-347: 348-349; 1,492-495: 182-185; 1,603: 605-606; 1,640-641: 352-353; 1,672: 701; 1,677723: 664; 1,709: 393; 1,717: 664; 1,778: 604; 2,12: 315-318; 2,103-332: 306; 2,252: 315-318; 2,297: 654-655; 2,329331: 110; 2,577: 296; 2,665-669: 315318; 3,93-94: 633; 3,151: 536-537; 3,175-176: 429; 3,200-201: 352-353; 3,351: 677; 3,359-360: 315-318; 3,376: 315; 4,82: 315-318; 4,90: 300; 4,310312: 632-635; 4,340-343: 352-353; 4,451-454: 632-635; 4,492-494: 672674a; 4,606: 515-516; 4,614-620: 696699; 4,615-620: 696-699; 4,627-662: 654-655; 4,655-656: 626; 4,699: 677; 4,718: 668; 4,718-19: 668; 4,720: 662663; 678; 4,741: 677; 4,790-803: 636; 4,780-781: 649-651; 5,17: 545; 5,62: 393; 5,69-70: 662-663; 5,69: 662-663; 5,80: 662-663; 678; 5,150: 388-389; 5,175-176: 662-663; 5,176: 662-663; 5,181-186: 649-651; 5,192-194: 649651; 5,208-209: 649-651; 5,217: 670; 5,230-235: 649-651; 5,241: 677; 5,257: 662; 5,575: 315-318; 5,592-595: 352353; 6,175: 654-655; 6,241: 661; 6,310312: 449-462; 6,455-457: 182-185;
499
6,568: 68; 6,694: 470; 7,17-19: 664; 7,36: 357; 7,47: 613; 7,212: 94-95; 677; 7,267: 624-625; 7,413: 509; 7,586: 361; 7,782-784: 712; 8,26-27: 669; 8,120: 303-318; 8,142: 252; 8,217-220: 688689; 8,223: 668; 8,367: 252; 8,469: 2; 315-318; 8,470-472: 333-334; 8,553: 300; 8,620: 300; 8,743: 452-453; 8,788: 341-342; 8,874: 54; 9,190: 357; 9,334335: 497; 9,370: 146-147; 9,373: 8; 9,395: 315-318; 9,694: 701; 10,92: 665; 10,187: 315-318; 10,205: 215-216; 10,567: 665; 11,170: 393; 11,362: 315318; 1 1 , 4 3 3 : 118; 11,455-456: 329; 11,474-572: 319-347; 326; 11,476-477: 331-332; 11,483: 327-328; 11,487: 326; 11,495: 113; 11,511: 673; 11,551: 331332; 11,592: 341-342; 11,603: 355-356; 12,37: 32; 12,39: 341-342; 12,103: 678; 12,249: 478; 12,274: 182-185; 12,293: 540; 12,345-346: 252; 12,357: 452-453; 12,527: 668; 12,587: 515-516; 12,593: 441-442; 12,615-616: 2; 12,727: 540; 12,799: 452-453; 13,293: 542; 13,494: 55, 13,601: 462; 13,611: 668; 13,665: 441-442; 13,688-699: 171-172; 13,690: 315-318; 13,725: 455; 13,766-767: 352353; 1 3 , 8 1 2 : 361; 14,189: 397-398; 14,142: 665; 14,191: 673; 14,404: 101; 14,410-411: 384; 626; 14,659-660: 361; 15,30: 624-625; 15,76-77: 361; 15,300: 470; 15,309: 545; 15,315: 300; 15,338: 339; 15,367: 258; 15,403-407: 361; 1 5 , 4 8 3 : 478; 15,565-566: 352-353; 15,622-744: 721; 15,730: 709; 15,823824: 271. Tristia: 1,2,23: 344; 1,2,31: 261; 1,4,9: 113; 1,11,19: 113; 2,527: 315-318; 2,529: 215-216; 3,10,47: 349; 3,12,21: 661; 4,2,4: 462; 4,3,1-2: 540-541; 4,3,37-38: 106; 4,7,12: 677; 4,7,17: 677; 5,2,37: 613; 5,4,48: 296; 5,6,43: 296; 5,8,20: 182-185; 5,18: 613. Ex Ponto: 1,2,80: 341-342; 1,7,28: 549-550; 2,1,28: 605-606; 2,1,46: 123124; 2,3,10: 123-124; 3,2,61: 451;
500
Index locorum
3,6,15: 613; 3,8,14: 361; 3,9,55: 227; 4,6,45: 300; 4,9,53: 74; 4,12,22: 549550; 4,14,9: 303-318. Ibis: 553: 670; 774: 341-342. Medea (ed. RIBBECK): 2: 564. (PS.-)OVIDIUS Consolatio ad Liviam: 20: p. 40417. Halieutica: 39: 509. PACUVIUS Tragoediae (ed. RIBBECK): 94: 309; 335-336: 113; 319-347. PALLADIUS 9,4: 183-184; 12,7,9: 184-185. PERSIUS 1,129: 589-590; 2,66-67: 424-426; 2,6467: 424; 2,59-69: 515-521. PETRONIUS 35,1-5: 533-537; 59: p. 40012; 89,33-34: 319-320; 112,111-112: 271; 114,3: 321; 115: 10-11; 118,6: 167-168; 120,87-89: 533-537. PHAEDRUS 3,16,13: 388-389. PHILODEMUS De morte: 10-11. PHILUMENUS: 22: 715-716; 23,2: 723; 27: 717-718. PINDARUS Isthmiae: 2,41-42: 411-412. Nemeae: 3,20-23: 414. Olympiae: 3,14: 644; 3,43-45: 414; 7,35-38: 350-354; 7,70:
313. Pythiae: 4,45: 341-342; 4,228: 341-342; 9,7-9: 411-412. Fragmenta (ed. SNELL): 36: 511-543. PLATON Epistulae: 347e-348a: 16. P h a e d o : 109a-b: 415-416; 115c-116a: 10-11. Phaedrus: 247c: 341-342; 249d: 16. Res publica: 439a: 253-254; 508-509: 11-12; 615-617: 11-12; 621a: 355-356. Timaeus: 33b: 303-318; 46d: 562-563. PLAUTUS Aulularia: 378: 561. Bacchides: 175: 136. Casina: 2,8,74: p. 40012; C u r culio: 576: 141-142. Epidicus: 314: 136. Mercator: 876-877: 320. Mostellaria: 25: 136; 248-255: 632-635; 431437: 115. Rudens: 358-360: 115. Trinummus: 660: 561; 820-839: 115. PLINIUS MAIOR 2,48: 693; 2,51-52: 693; 2,131-133: 722; 2,161: 538 bis; 2,177-187: 528-532; 2,191-206: 466-471; 2,228: 526-527; 3,4: 414; 5,3-4: 348-367; 359-360; p. 19; 5,9: p. 384; 5,54: 317-318; 5,26: 493-495; 5,26-28: 303-318; 5,31: 355356; 6,162: 517-518; 6,34: 453; 7,212215: 528-532; 7,139-140: 190-214; 7,145: 176-178; 8,32-34: 730-732; 8,34: 730-732; 8,79: 730-732; 9,9: 348-349; 10,108: 668; 12,82-83: 10; 13,91-94: 428; 1 3 , 9 9 : 428; 17,150: 433-434; 17,203: 433-434; 18,127: 433-434; 18,155: 433-434; 19,14: 83; 20,245: 712; 21,56-57: 287-288; 21,70: 287-288; 24,115: 42-43; 32,54: 730-732; 33,1-2: 424-426; 34,34: 515-521; 35,157-158: 515-521; 36,55-56: 713-714. PLINIUS MINOR Epistulae: 5,5,3: 211 bis; 7,27: 511543; 8,12,4-5: 211 bis; 8,16,4-5: 112;
Index locorum
8,17,2: 317-318; 10,18,3 (Traianus): 558-559; 10,52: 24; 10,102: 54. Panegyricus: 2,7: 725-726; 7,3: 725726; 8,1: 247; 12,3: 341-342; 13-14: 407; 18,1: 25; 44,8: 261; 45,6: 509; 61,4: 247; 65,1: 509; 67,3-6: 247; 68: 24; 68,2: 253-254. PLUTARCHUS De Iside et Osiride: 20-21: 159. Vitae: Alexander: 26,11-27: 511-543; 42: p. 23; 42: 493-510; 71,2-9: 268. Caesar: 17,5: 31; 38,5: 306. Cato minor: 54,5: 32; 55,2: 148-164; 55,3-4: 30-33; 56,1: 29-30; 56,4: 36-50; 297299; 56,6-7: 368-378; 56,7: 394-395; 68,2-70,4: 211; 71,1-3: 409. Cicero: 39,1-2: 148-164. Crassus: 33,1-7: 145. Numa: 13: 477-480. Pompeius: 1,4: 200-201; 2,5-10: 200-201 bis; 2,11-12: 200-201; 18,3: 200-201 bis; 36,3: 200201; 36,9-10: 200-201; 42,3-4: 140; 45,3: 197-198; 46,2: 208; 53,1-2: 200201 bis; 54,1: 200; 55,1-5: 51; 55-56: 195-196; 64,1: 32; 80,5: 36-50. Sertorius: 18,8: 204-205. Apophthegmata Scipionis minoris: 16-19 (= Moralia 201 B-D): 296. POLYAENUS Strategemata: 8,16,2-4: 296. POLYBIUS
501
PROPERTIUS 1,1,12: 150-151; 1,2,9: 182; 1,6,34: 150151; 1,8,20: 117; 1,17,21: 57; 1,19,20: 393; 2,2,8: 677; 2,15,36: 259; 2,28,24: 540; 2,28,42: 259; 3,5,4: 659-660; 3,7,41-42: 99; 3,19,7-8: 303-318; 3,21,11: 319-320; 3,22,27: 706-707; 3,24,16: 303-318; 4,1,3-7: 515-521; 4,9,66: 117; 4,11,12: 34. PRUDENTIUS Hamartigenia: 133: 371. Psychomachia: 191: 371. PTOLEMAEUS Geographica: 4,4,3: 355-356; 4,4,8: 42-43; 4,5,2: 42-43. QUINTILIANUS Institutio oratoria: 3,8,3: 237-238; 4,2,56: 134; 4,3,5: 126-145; 5,10,23-31: 190-214; 6 prooem. 3: 103; 6,1,1-2: 402; 6,4,5: 293; 7 , 1 , 3 0 : 558-559; 7,10,11: 167-168; 8,5,11: 82; 9,2,48: 268; 10,1,81: 189; 10,1,90: 34-35; 145; 167-168; 10,1,102-103: p. 41714; 11,1,49: 207; 11,3,69: 589-590. Declamationes maiores: 5: 109; 10,8: 2. RHETORICA AD HERENNIUM 3,14,24: 572; 3,22,35: 80; 4,20,28: 261.
1,39,3-5: 303-318; 333-334; 3,1,4: p. 384; 3,36-38: p. 383; 3,37,1: 411-412; 6,53-54: 215-216; 6,53,7: 174-178; 12,25e: p. 384; 12,25,7: 411-412.
RUTILIUS NAMATIANUS
PRISCIANUS
SACRA SCRIPTURA
Praeexercitamina: 7: 190-214.
Exodus: 15,22-25: 526-527; 17,1-7: 526-527. Numeri: 20,1-11: 526-527. Acta Apostolorum: 2,1-13: 17-18; 27,17: 331; 27,28-30: 331.
1,147-148: 421-423; 1,575-596: 91-92.
502
Index locorum
SALLUSTIUS Coniuratio Catilinae: 4,3: 188-189; 5,3,1: 590; 12,3: 515-521; 13,3: 430; 25,2: 70; 27,2,6: 590; 38,3: 188-189; 55,5: 600; 59,1: 400-401. Bellum Iugurthinum: 17,3: 411; 17,4: 413; 19,3: 413; 76,1-4: p. 22; 76,6: p. 22; 79,1-4: 444-492; 79,6: 444-492; 85,32-36: 407; 85,32-37: 394-402; 89,5: 382-384; 92,3: 315; 100,3-5: 394-402; 100,4: 590. Historiae (ed. MAURENBRECHER): 1,55: 202-203; 1,113: 91; 4,9: 46. (P S .-)S CYLAX (Geographi Graeci minores ed. MÜLLER) 1,84-89: 303-318. SEDULIUS Opus paschale: 3,26 p. 252,5: 197198. SENECA PATER Suasoriae: 3,2: 319-347; 3,5-8: 564. Controversiae: 1,6,2: 198; 1,9: 564565; 7,1,4: 319-347; 8,6,2: 319-347; 10, praef. 10: 145; 10,1,6: 106; 10,5,28: 668. SENECA Dialogi: 1: 403-404; 1,1,6: 407; 1,2,3: 409 bis; 1,2,4: 403-404; 407; 1,2,6: 403404; 1,2,9: 143-145; 1,2,10: 143-145; 1,3,6: 430; 1,4,3: 403-404; 1,6,3: 393402; 1,9: 640-641; 2,2,1-2: 366; 2,3,3: 409; 2,3,5: 308; 309; 2,7,1: 562-563; 2,11,3: 187-188; 2,12,2: 487; 2,13,2: 187-188; 3,1,2: 694; 3,12,5: 147; 4,11,4: 113; 4,18,1: 166; 4,19,1: 184-185; 4,33,6: 166; 5,20,2: 386; 5,35,5: 468; 5,41,1: 258; 6,1,3: 380; 6,1,5: 171; 6,1,7: 112; 6,2-3: 101-116; 6,10,5: 575-576; 6,12,6: 198; 204-205; 6,18,4: 657;
6,20,2-6: 208; 6,22,3: 234; 6,23: 5-18; 6,23,2: 16; 6,24,5: 11-12; 6,25,1-3: p. 32; 6,25-26: 409; 6,25: 5-18; 6,25,1: 7; 6,25,2: 11-12; 14; 6,26,3-4: 13-14; 6,26,6-7: 306; 311-318; 7,8,4-5: 578579; 7,14,1: 303-318; 7,15,4-5: 24; 7,16,1: 484; 7,25,5-6: 407; 7,26,3: 511543; 8,1,1: 556-557; 8,4,2: 578-579; 9,1,3: 258; 9,12,6: 258; 10,2,1: 390; 10,5,2: 25; 10,20,1: 258; 10,20,5: 10-11; 11,2,1: 171; 11,7,2: 386; 11,8,3: 4; 11,9,8: 25; 11,11,3: 575-576; 11,11,7: 409; 11,25,3: 303-318; 12,9,5-9: 5-18; 12,9,7: 671-672; 12,9,8: 3; 11-12; 12-13; 13-14; 12,10,2: 430; 12,16,1: 101-116. De beneficiis: 1,13,3: 366; 2,17,4: 675676; 4,2,4: 407; 4,7,1: 301-302; 4,23,1: 435; 4,24,2: 562-563; 4,34,2: 675-676; 5,2,2-4: 570-571; 5,9,1: 380; 5,16,1: 152; 5,16,4: 198; 6,22: 311-318; 7,1,7: 234; 7,28,3: 558-559. De clementia: prooem. 1,5: 24; 1,1,6: p. 41612; 1,4,1-3: 24; 1,4,2-3: 190-214; 1,11: 152; 2,1,1: 255. Epistulae: 1: 568; 1,2: 575-576; 4,9: 575-576; 5,7-9: 511-543; 11,10: 394402; 12,10: 28; 14,3: 234; 15,11: 258; 16,2: 558-559; 17,7: 258-262; 19,3: 198; 22,7-8: 407; 22,8: 234; 22,10: 558-559; 24,1-2: 511-543; 24,7: 234; 26,5: 380; 30,12: 380; 31,3-4: 407; 31,9: 303-318; 32,3: 234; 34,3: 570-571; 41,1-2: 574575; 44,5: 380; 45,9: 380; 52,5: 453; 627; 53,2-4: 331; 55,2: 526-527; 63,13: 101-116; 65,6: 258; 65,17: 73; 65,21: 569-570; 66,6: 483; 66,8-9: 571; 66,40: 234; 67: 569; 67,13: 409; 70,19: 234; 70,25: 211; 71,3: 675-676; 71,32: 379410; 71,36: 570-571; 73,4: 386; 74,2729: 568; 78,14-15: 511-543; 78,27: 406; 79,11: 11-12; 79,12: 5-18; 80,3-4: 570571; 82,1: 380; 392; 362-363; 82,19: 198; 83,9: 409; 88,28-29: 388-389; 8 9 , 2 2 : 430; 90,7: 468; 90,16: 258; 90,44-46: 427; 92,3: 410; 92,24-25: 511-543 bis; 92,33: 562-563; 92,34:
Index locorum
141-142; 92,34-35: 10-11; 93,4: 568; 94,1: 380; 94,3: 675-676; 94,61: p. 40622; 94,63: p. 40622; 94,68-69: 549550; 95,5: 380; 98,5-6: 380; 98,6: 511543; 99,8: 575-576; 99,9-10: 582-583; 99,14: 106; 101,5: 511-543; 101,8: 511543; 102,23-29: 5-18; 102,26: 671-672; 102,28: 11-12; 12-13; 104,33: 368-378; 107,5-12: 306; 107,5: 675-676; 107,1112: 242-243; 108,2: 198; 108,27: 258; 109: 371; 110,13: 430; 118,2: 558-559; 119,7: p. 40622; 119,10: 380; 120,14: 575-576; 121,17: 572; 122,2-3: 538; 123,6: 380; 124,11: 438. Naturales Quaestiones: 1 praef. 717: 5-18; 1 praef. 13-14: 578-579; 1,8,2: 624-625; 2,1,4: 526-527; 2,5,2: 198; 2,6,2-3: 473; 2,7,1-2: 729-730; 2,17: 470; 2,20,2: 685-686; 2,26,5: 347; 2,28,1: 309; 2,29,1: 309; 2,30,4: 309; 2,31,1: 347; 2,45: 4; 2,45,1-3: 578-579; 2 , 5 2 , 1 : 526-527; 3,15,1: 500-501; 3,16,5: 436; 3,24,3: 355; 3,26,1: 355; 3,26,4: 355; 3,27-30: 306; 311-318; 3,27,5: 627; 3,28,3: 308; 3,30: 306 bis; 4 praef. 13: 380; 4,1,2: 507; 4,2,4: 355; 4,2,5: 308; 4,2,19: 507; 4,2,28: 691; 4,5,4: 526-527; 5,2,1: 449-451; 5,3,3: 498; 5,8,1-3: 499; 5,9,3: 498; 5,10-11: 421-423; p. 21; 5,13,1-3: 449-462; 5,15,1-4: 424-426; 5,16,1-5,17,4: 412; p. 3858; 5,17,3: 496; 5,18,2-3: 436; 5,18,2: 421-423; 5,18,5: 418; 6: p. 22; 6,1,2: 490; 6,1,3: 306; 6,4,1: 657; 6,7,5: 691; 6,18,3: 467; 6,26,1: 627; 6,27-28: 619; 6,27,2: 436; 6,28,1: 620-621; 6,29,1: 183-184; 6,31,2: 470; 7,1,3: 183-184; 7,5,1-3: 449-462; 7,8-10: 449-462; 460462; 7,9,3: 457; 7,9,4: 467; 7,11: 3; 7 , 2 2 , 2 : 624-625; 7,23,2: 685-686; 7,26,1: 604; 7,28,3: 490. Tragoediae: Agamemnon: 95: 452453; 138-140: 333-334; 160-161: 319320; 267: 227; 314: 665; 353-359: 551552; 408: 447-448; 432-433: 472; 460585: 319-347; 488-489: 333-334; 496:
503
393; 503-504: 331-332; 504-505: 324; 571: 82; 571-575: 336-337; 572: 317318; 366; 575-576: 331; 592: 671-672; 612: 385; 664: 106; 756: 341-342; 825867: 366; 832: 441-442; 852-858: 360367; 852-854: 361; 857-858: 366. Hercules furens: 235-238: 414; 323: 317-318; 532: 659-660; 535: 341-342; 595: 227; 662-759: 36; 698-706: 580; 701-706: 436-437; 902: 670; 1267: 227. Hercules Oetaeus: 38-51: p. 40622. Medea: 38: 478; 139: 70; 392: 308; 473: 102-103; 577: 384; 680-685: 630; 685: 709; 914: 70; 944: 70; 963-964: 58; 994: 561; 1016: 70. Oedipus: 58: 315; 73: 385; 79: 723; 266: 317-318; 315: 455; 390: 685-686; 580: 467; 604-606: 685; 649-650: 289-290; 656-657: 397398; 727: 452-453; 785: 671-672; 846: 182. Phaedra: 51: 675-676; 83-84: 685; 225: 227; 390: 482; 570: 303-318; 813: 675-676; 939: 386; 959-986: 377; 969970: 536-537; 1131: 455; 1181-1182: 57; 1199-1203: 580; 1256-1274: 58. Phoenissae: 24: 252; 72: 468; 115: 490; 431: 475. Thyestes: 75: 468; 263: 605-606; 292: 303-318; 436-439: 333-334; 446470: 262; 470: 262; 505-507: 171-172; 588-589: 305; 695: 561; 721: 561; 952953: 112; 968-969: 112; 1009: 101; 1046: 105. Troades: 21: 605-606; 26: 441-442; 107: 70; 108-115: 168; 230: 40-41; 392-393: 462; 392-396: 76-77; 449-450: 171-172; 483: 341-342; 595: 70; 648: 490; 765: 106; 800: 57; 1068: 341-342; 1124: 657; 1156: 490. Epigrammata (ed. PRATO): 22: 409; 40: 409. (PS.-)SENECA Tragoediae: Hercules Oetaeus: 38: 234; 47: 453; 215-216: 234; 683-684: 668; 1240: 339; 1723: 198; 1758-1764: 2; 1770: 2; 1965-1966: 1. Octavia: 169170: 2; 416-418: 424-426.
504
Index locorum
SERVIUS Verg. Georg.: 1,247-251: 538; 3,533: 516; Aen.: 2,19: 110; 3,127: 38; 3,357: 77; 3,596-599: 122; 4,247: 654; 5,396: 285; 6,223: 55-56. SERVIUS AUCTUS Aen.: 3,67: 152; 8,138: 661. SEXTUS EMPIRICUS 1,130: 11-12; 9,71: 7; 9,73: 5-6. SIDONIUS 2,2,14: 184-185; 8,12,3: 368-378. SILIUS ITALICUS 1 , 2 3 6 : 356; 2,91: 451; 2,307: 165; 2,572: 84-85; 3,316: 711; 3,647-714: 522-527; 3,665: 540-541; 3,669-672: 526-527; 4,606: 371; 6,232: 371; 6,254: 371; 6,495: 49; 7,274: 468; 7,360-366: 182-185; 7,601: 608; 8,248: 608; 8,390: 468; 8,431: 468; 9,159-160: 126; 9,343: 215-216; 9,524-526: 454; 10,360-362: 513; 10,422: 268; 11,98: 371; 13,238: 451; 13,806-830: 7; 14,370: 35; 15,305: 468; 16,476: 356. SOLINUS 2,2-6: 348-367; 359-360; p. 19; 2,38: 493-495; 2,39: 444-492; p. 22; 27,30: 717-718. SOPHOCLES Oedipus Coloneus: 868: p. 40419. STATIUS Silvae: 1,3,90: 451; 1,5,35: 713-714; 2,7,100: 14; 2,7,107-111: 5-18; 13; 3,284-287: 7; 4,2,66: 215-216; 4,3,155-
157: p. 40417; 5,1,107: 660-661; 5,1,253257: 7. Thebais: 1,332: 468; 1,639: 268; 2,280: 361; 3,407-409: 497; 4,102: 468; 4,569: 58; 5,619: 59; 8,182: 84-85; 8,185: 87; 8,267: 672; 8,375: 87; 8,410-411: 421423; 9,492-494: 304; 1 0 , 1 9 4 : 672; 10,209: 268; 10,282: 672; 10,333: 268; 11,79: 2; 12,124: 68; 12,179: 262-263. Achilleis: 58: 468; 691: 468. STRABON 1,4,7: 413; 1,32: 413; 14,1,39: 355-356; 17,3,17-20: 303-318; 17,3,20: 355-356; 368-378; 17,3,22-23: 42-43. SUETONIUS Iulius Caesar: 57: 31; 7 0 : 283; 71: 300-301; 85: 601-602. Augustus: 15: 152; 18,1: 153-154 bis; 21: 22; 53,1: 20; 94,6: 176-178; 100: 10-11. Tiberius: 27: 20; 40-41: p. 41512; 75,1: p. 415. Caligula: 1,1-7: p. 415; 4: p. 42322; 4-6: p. 43534; 5: 170; 187-188; 6,2: p. 41512; 15,1: 589-590; 21,6: 348-349; 50,1: 116. Claudius: 11,2: 589-590; 17,3: 589690; 21,6: 348-349. Nero: 25,2: 159; 31,2: 533-537; 49,2: 87; 49,4: 145; 50: 174-178; 57,1: 170. Galba: 20,2: 145. Vitellius: 11,2: 20. Fragmenta (ed. REIFFERSCHEID): p. 243: 317-318. SULPICIUS SEVERUS Dialogi: 1,3-5: 439; 1,3,6: 368-378. TACITUS Scripta minora: Agricola: 12,4: 692693; 13,2: p. 40416; 29,1: p. 43434; 40,34: p. 43737; 42,3-4: p. 3113; 42,4: 211; p. 43837; 46,1: p. 43434;. Germania: 5,2: 424-426; 5,3: 443-444; 17,1: 443-444; 21,2: 131; 27,1: p. 43434. Dialogus de
Index locorum
oratoribus: 6,1-3: p. 11-12; 23,2: p. 41714. Historiae: 1,27,2: p. 432; 1,69: p. 43130; 2,62,1: 407; 2,83: p. 412; 3,42,2: 368; 4,71: 88; 5,1,2: p. 43028; 5,3,2: 526-527; 5,4,1: 526-527. Annales: 1,1,2: p. 41913; 1,2: p. 420; 1,2-3: p. 414; 1,3: p. 43028; 1,4,2: p. 43231; 1,4,5: p. 43635; 1,6,1: p. 42220; 1,11,4: p. 40416; 1,17,3: 232-233; 1,17,6: 230; 1,20,1: 400-401; 1,24,2: p. 42219; 1,31,1: p. 43635; 1,33,1: p. 43635; 1,33: p. 427; 1,34,1: p. 43635; 1,34,4: p. 43635; 1,35,3-5: p. 43635; 1,35,4-5: 268; 1,42,1: p. 43635; 1,42,3: 283; 1,42,3-4: p. 43635; 1,43,1: p. 43635; 1,43: 71-72; 1,43,5: p. 43635; 1,52,1-2: p. 43635; 1,62,1-2: p. 43635; 1,69,1: p. 42826; 1,69,1-5: p. 43635; 1,69,2: p. 4127; 1,69,5: p. 42219; 2,17,4: 334; 2,23,2: 319-320; 2,24,4: 348-349; 2,26,2-5: p. 43635; 2,41,3: 608-609; 2,42,1: p. 43635; 2,56,2: 237238; 2,57,1-4: p. 44242; 2,59: p. 43635; 2,60,1: p. 43635; 2,69,1: p. 44242; 2,6983: p. 427; 2,70,2: p. 44242; 2,71,2-72,1: p. 436; 2,71,3: p. 42928; 2,72,1: p. 428; 2,73,1: p. 43534; 2,75,1: p. 428; 2,82: p. 43534; 2,82,3: p. 44141; 3,1-2: 167-185 ter; p. 13; p. 411-442; 3,1-3: p. 43634; 3,2,3: p. 44141; 3,3: p. 426-7; p. 440; 3,3,1: p. 43231; p. 441; 3,3,2: p. 441; 3,4: p. 426; p. 440; 3,4,1: p. 44141; 3,4,2: p. 42826; p. 43736; 3,5-6: p. 426-7; 3,6,3: p. 42928; 3,11-18: p. 438; 3,14,4: p. 43939; 3,16,1: p. 42219; 3,28,1: 195196; 3,29,4: p. 42219; 3,34,6: p. 42928; 3,35,2: p. 42219; 3,47,2: p. 42928; 3,5255: 430; 3,57,1: p. 42928; 3,65,2-3: 195196; 3,65,3: 253-254; 3,65,11: p. 43130; 3,66,3: p. 42219; 3,72,3: p. 42219; 4,1-2: p. 417; 4,1,1: p. 416; p. 42117; 4,2,1: p. 42219; 4,2,2-3: p. 421; 4,3,1-2: p. 416; 4,3,1-3: p. 41813; 41913; 4,6,1: p. 416; 4,7,1: p. 416; p. 42118; 4,12: p. 42826; 4,32,2: p. 40416; 4,52: p. 42826; 4,53,2: p. 4127; 4,54,1-2: p. 42826; 5,3-5: p.
505
42826; 5,4,2: p. 42826; 6,7,3: p. 43131; p. 43433; 6,28,1-6: 359-360; 6,30,4: 608609; 6,35,2: 334; 6,51,3: p. 416; p. 422; 6,25,2: p. 42826; 6,43,1: p. 43131; 11,21: 511-543; 11,24,5: 237-238; 12,42,2: 589-590; 13,1,1: p. 42220; 13,35,1-4: p. 1711; 13,45,3: p. 43231; 14,8,1: p. 43231; 14,19: p. 41714; 14,49,2: 190-214; 14,5152: p. 41913; 14,63,2: p. 42826; 15,13,2: p. 43131; 15,38,4: p. 43231; 15,49,3: 190214; 15,52,1: 131; 15,52,3: 190-214; 15,60-64: 211; 15,63,1-2: 101-116; 15,64,4: 10-11; 16,18-19: 211. TELES 31-32: 10-11. TERENTIUS Andria: 128: 54. Eunuchus: 1: 188189; 120: 85. Phormio: 546: 136. TERTULLIANUS De anima: 2,7: 188-189; 54: 5-6. Apologeticum: 10-22: 522-527; 16,15: 526-527. Adversus Marcionem (ed. KROYMANN): 1,18 p. 313,5: 87. TIBULLUS 1,3,32: 1; 1,4,44: 455; 1,7,139-143: 159; 1,8,10-11: 632-635; 1,9,10: 390; 1,10,1726: 515-521; 1,10,46: 390; 1,10,63: 50; 2,1,77-78: 397-398; 2,5,27-32: 515-521; 3,2,15-22: 60; 3,5,8: 632-635. (PS.-)TIBULLUS Panegyricus in Messallam: 59: 511512. ULPIANUS Digesta: 19,2,13,2: 346; 31,51,1: 85.
506
Index locorum
VACCA Vita Lucani (ed. HOSIUS): p. 335,19p. 336,2: 190-214; p. 335,24-25: 190214; p. 336,12-17: 190-214. VALERIUS FLACCUS 1,17-18: 540-541; 1,320-322: 380; 2,77: 319-320; 2,127: 41-42; 2,518: 468; 2,654: 84-85; 6,57-59: 728; 6,174: 453; 6,474: 262-263; 8,86: 672. VALERIUS MAXIMUS 2,6,12: 393; 2,7,1: 296; 2,10,2: 475; 3,2,22: 293; 3,8,4: 447-448; 4,4,11: 515521; 4,7 ext. 1: 393; 5,1 ext. 5: 237238; 7,2 ext. 1: 189; 7,2 ext. 17: 237238; 9,11,1: 589-590. VARRO De re rustica: 1,2,3: p. 385; 1,20,2: 627; 2,6,5: 183-184; 2,7,1: 183-184. De lingua latina: 5,164: 184-185; 7,42: 87; 732; 7,43: 480. Saturae Menippeae: 44: 665. VELLEIUS PATERCULUS 2,15,1: 88; 2,29,3: 195-196; 2,53,3: 80; 2,54,3: 368-378. VERGILIUS Eclogae: 1,54: 182; 287-288; 1,60: 335; 2,10: 313; 2,42: 315; 3,93: 704; 3,95: 315; 4,18: 690; 8,71: 704. Georgica: 1,44: 526-527; 1,52: 621622; 1,84-93: 183-184; 1,92: 313; 1,102: 690; 1,105: 340; 485; 1,112: 182; 1,153: 709; 1,172: 673; 1,187-188: 361; 1,206: 349; 1,208-210: 534; 1,217-218: 533534; 1,228: 83; 1,231-258: p. 408; 1,233-234: 604; 1,242-243: p. 3999; 1,246: 540; 1,247-251: 538; 1,254: 349; 1,313: 455; 1,334: 452-453; 1,359: 309;
1,380: 79; 1,406: 685-686; 1,414: 231; 1,424: 313; 1,460: 452-453; 1,489-492: 271; 2,41: 326; 2,113: 433-434; 2,114: 526-527; 2,135: 587-588; 2,153-154: 706-707; 2,163: 309; 2,167-170: 204205; 2,310: 452-453; 2,317: 374; 2,321: 313; 2,428: 592; 2,510-512: p. 404; 3,191: 408; 3,199-200: 452-453; 3,259: 624-625; 3,269: 390; 3,294: 215-216; 3,303-304: 536-537; 3,347: 408; 3,361: 341-342; 3,418-420: 630; 3,425-439: 720; 3,427: 713; 3,437-438: 728; 3,437: 717-718; 3,458: 182; 3,533: 516; 4,27: 286-287; 4,44: 468; 4,64: 288; 4,78: 149; 4,82: 286-287; 4,106: 286-287; 4,203: 286-287; 4,222: 6; 4,337: 171172; 4,419: 468; 4,425: 313; 4,536: 227; 4,539: 182. Aeneis: 1,3: 331; 1,35: 326; 1,50-156: 454; 1,52-56: 454; 1,53: 470; 1,81-156: 319-347 bis; 1,82-83: 321-322; 1,83: 349; 1,87: 113; 1,99-101: 471-472; 1,102-156: 303-318; 1,109-110: 341-342; 1,110-111: 317-318; 1,111-112: 37; 1,112: 373; 1,115: 44; 1,118: 329; 1,135: 319347; 1,142-147: 346; 1,148-153: 220226; 1,159: 341-342; 1,161: 308; 1,193: 664; 1,203: 63; 1,223-226: 13; 1,247248: 119; 1,259-260: 385-394; 1,373: 90; 1,511-512: 490; 1,535-538: 490; 1,663: 684; 2,40: 252; 2,61: 373; 2,136: 326; 2,174: 499; 2,211: 631; 2,215: 182; 2,271: 146-147; 2,304-305: 182-185; 2,314-317: 147; 2,353-354: 379-380; 2,370: 252; 2,467: 49; 2,473: 717-718; 2,651: 146-147; 2,677: 22; 2,693-698: 331-332; 3,9: 326; 3,55-57: 424-426; 3,62-68: 167-185; 3,68: 68; 3,71: 148; 3,78-79: 117; 3,96: 117; 3,114: 390; 3,135: 148; 3,139: 384; 3,171: 38-39; 3,175: 499; 3,191: 326; 3,268: 45; 3,277: 135; 3,281-282: 661; 3,303: 68; 3,356357: 326-327; 3,405: 115; 3,414-419: 677; 3,510: 148; 3,545: 115; 3,566-567: 339; 3,596-599: 122; 3,690: 652; 3,705: 326; 3,707-708: 117; 4 , 5 1 : 4; 4,129:
Index locorum
624-625; 4,198-199: 511-512; 4,215: 152; 4,261-264: 669; 4,269: 6; 4,298: 613; 4,381: 268; 4,435-435: 227; 4,441449: 452-453; 4,480-486: 360-367; 4,482: 654-655; 4,507: 176-178; 4,509: 171-172; 4,546: 326; 4,624-627: 604; 4,625-627: 604; 4,639-640: 388-389; 4,650-651: 176-178; 4,668: 168; p. 136; 4,687: 315; 4,699: 87; 5,9: 344; 5,76: 252; 5,87-88: 728; 5,93: 182; 5,126: 86; 5,158: 668; 5,160-162: 226; 5,169: 309; 5,200: 499; 5,221: 317-318; 5,377: 673; 5,459-460: 116; 5,482: 565; 5,487-488: 331-332; 5,504: 331-332; 5,564: 46; 5,658: 685-686; 5,695-696: 320; 5,716: 262-263; 5,722: 475; 5,723: 565; 5,772776: 319-320; 5,778-777: 319-320; 5,780: 146-147; 5,796: 326; 5,833-871: 42; 5,866: 309; 5,871: 64; 6: 5-18; 6,4554: 564; 6,57: 675-676; 6,59: 490; 6,162-182: 348-349; 6,162: 148; 6,171: 349; 6,185-186: 120; 6,195-196: 659660; 6,209: 452-453; 6,212-235: 167185; 6,220-222: 176-178; 6,227-228: 1; 6,270-271: 73; 6,335: 349; 6,337-383: 42; 6,428: 393; 6,505: 68; 6,529: 549550; 6,551: 309; 6,629: 408; 6,658-659: 317-318; 6,686: 146-147; 6,705: 355356; 6,714-715: 356; 6,714: 355-356; 6,736-747: 7; 6,747: 7; 6,749: 355-356; 6,756-887: 7; 6,791-800: p. 402-403; 6,793: 654-655; 6,797: p. 40316; 6,801805: p. 403; 6,808-811: 478; 6,836: 79; 6,887-888: 407; 6,901: 135; 7,28: 349; 7,221-226: 418; 7,302-303: 303-318; 7,459: 499; 7,497: 675-676; 7,551: 159; 7,620: 475; 7,653: 341-342; 7,718: 349; 7,758: 701; 8,70: 565; 8,82: 715; 8,137: 654-655; 8,303-304: 679; 8,416-417: 657; 8,418: 468; 8,449: 349; 8,463: 119; 8,520-523: 120; 8,539: 471-472; 8,606: 478-479; 8,643: 141-142; 8,645: 698; 8,667: 119; 8,696: 158; 8,708: 326; 9,1: 490; 9,9: 119; 9,15: 685-686; 9,148-149: 32; 9,196: 297-298; 9,280-281: 125; 9,317: 664; 9,441-443: 640-641; 9,458:
507
499; 9,481-483: 99; 9,608: 526-527; 9,694: 509; 9,705-716: 664; 9,722: 664; 9,812: 499; 10,1-4: 13; 10,34-45: 545; 10,94-95: 54; 10,139: 384; 10,140: 675676; 10,152: 55; 10,197: 668; 10,208: 349; 10,288: 317-318; 10,290: 308; 10,303-305: 336-337; 10,303: 341-342; 10,308: 22; 10,359-362: 334; 10,384: 315; 10,390-392: 715; 10,400: 675-676; 10,405-409: 182-185; 183-184; 10,438: 237; 10,440: 685-686; 10,545: 147; 10,604: 147; 10,625: 90; 10,678: 303318; 10,763-765: 686; 10,766: 452-453; 10,802: 147; 10,846: 55; 10,907: 264; 11,8: 698; 11,31: 660-661; 11,43-44: 567; 11,79-99: 167-185; 11,81-84: 152; 11,102: 664; 11,152-153: 99; 11,338: 608; 11,509-510: 605-606; 11,595: 4142; 11,606: 673; 11,623: 490; 11,645: 138; 11,665: 664; 11,708: 349; 12,87-91: 662-663; 12,99: 152; 12,107-109: 147; 12,249: 684; 12,268: 685-686; 12,338: 499; 12,339: 698; 12,358: 264; 12,400: 484; 12,490: 675-676; 12,494-499: 147; 1 2 , 5 1 2 : 698; 12,521-522: 182-185; 12,572: 123-124; 12,610: 33; 12,684685: 452-453; 12,790: 587-588; 12,794795: 385-394; 12,848: 349; 12,930: 673; 12,945-947: 147; 12,948-949: 152. (PS.-)VERGILIUS Aetna: 10: 526-527; 146-174: 466-471. Ciris: 111: 441-442; 512: 117. Culex: 260-291: 7. Dirae: 53: 440-441. VITRUVIUS 1,4,4: 184-185; 1,6,8: 449-451; 6,1,1: 691; 6,3,3: 184-185; 9,7: 528-532; 9,8,1: 528-532. XENOPHON Memorabilia: 2,1,21-34: 385-394.