Barbara Rinken Spielräume in der Konstruktion von Geschlecht und Familie?
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Barbara Rinken
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Barbara Rinken Spielräume in der Konstruktion von Geschlecht und Familie?
VS RESEARCH
Barbara Rinken
Spielräume in der Konstruktion von Geschlecht und Familie? Alleinerziehende Mütter und Väter mit ost- und westdeutscher Herkunft
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Karin Gottschall
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Es handelt sich bei diesem Buch um die leicht gekürzte Fassung der 2008 an der Universität Bremen eingereichten Dissertation.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Verena Metzger / Dr. Tatjana Rollnik-Manke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16417-5
Geleitwort
Dieses Buch liefert einen wichtigen und innovativen Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Forschung über Alleinerziehende, die im Zuge der Pluralisierung von Lebensformen eine wachsende und gesellschaftlich bedeutsame Gruppe darstellen. Die vorliegende Arbeit füllt in mehrfacher Hinsicht eine Forschungslücke. Zum einen werden Lebenswirklichkeiten und Haltungen von Alleinerziehenden zu Geschlechter- und Familienleitbildern zu den strukturellen Lebensbedingungen der Gruppe in Beziehung gesetzt, so dass Zusammenhänge und Widersprüche zwischen ‚Sein und Bewusstsein’ deutlich werden. Zum anderen berücksichtigt die Studie systematisch Unterschiede zwischen Ost und West und kann so der vereinheitlichenden öffentlichen Wahrnehmung der Gruppe ein differenzierteres Bild der Lebenswirklichkeit dieser Gruppe entgegen setzen. Die Studie ist durch eine breit gefächerte, gleichwohl stringente Gesamtargumentation gekennzeichnet, die in den theoretischen und sekundäranalytischen Teilen kompetent auf den aktuellen Stand der Forschung rekurriert und im qualitativen empirischen Teil handwerklich solide, sorgfältig und engagiert angelegt ist. Ein durchgängiger Rückbezug der empirischen Ergebnisse auf die theoretischen Ausführungen trägt zur Geschlossenheit der Arbeit wesentlich bei. Die zentrale Frage dieses Buches, die sich auf das Fortwirken von traditionellen Geschlechter- und Familienbildern in der heutigen Gesellschaft richtet, wird von der Autorin letztendlich nicht bejahend oder verneinend beantwortet. Vielmehr zeigen die Ergebnisse „Vor- und Zurück- Bewegungen zwischen postmodernen und traditionellen Einstellungen und Handlungen“ (S.:315), die, so die Verfasserin, einerseits Ausdruck subjektiver Ambivalenzen der Alleinerziehenden sind, und andererseits „die derzeitige institutionelle und diskursive gesellschaftliche Situation“ widerspiegeln (ebd.). Zu Recht stellt die Autorin als besondere Problematik heraus, dass „gesellschaftliche Figurationen, welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschweren“ (S.:316) nicht nur zu erheblichen zeitlichen und materiellen Belastungen für Alleinerziehende führen, sondern auch dazu tendieren, traditionelle Geschlechter- und Familienleitbilder zu stärken. Im Ergebnis ist es für Alleinerziehende schwer, ihre Lebensform nicht als belastend und defizitär wahrzunehmen.
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Barbara Rinken hat mit diesem Buch nicht nur einen Beitrag zu den soziologischen Teildisziplinen der Geschlechter- und Familienforschung geleistet, sie hat auch die lange vernachlässigte Väterforschung vorangetrieben.
Prof. Dr. Karin Gottschall
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Vorwort
An der Fertigstellung dieses Buches hatten einige Menschen Anteil, denen ich an dieser Stelle danken will: Mein ausdrücklicher Dank gilt meinen Doktormüttern Prof. Dr. Helga Krüger († 2008), Prof. Dr. Karin Gottschall und Prof. Dr. Claudia Born. Die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit ihnen und die nachhaltigen Ermutigungen durch sie waren mir eine große Hilfe beim Verfassen dieser Arbeit. Ich danke auch den allein erziehenden Müttern und Vätern, die in den Interviews vertrauensvoll mit mir über ihr Leben gesprochen haben und die so den empirischen Teil dieser Arbeit ermöglichten. Die fortwährende Bestärkung und Solidarität meiner Freunde und Freundinnen waren ebenfalls sehr wichtig für den Schreibprozess. Herzlichen Dank an Euch! Zuletzt und besonders danke ich meinen Eltern und meinem Sohn. Meinen Eltern für ihre liebevolle und beständige Unterstützung und meinem Sohn für die viele gute gemeinsam verbrachte Zeit.
Barbara Rinken
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Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung...................................................................................................... 13 2 Theoretischer Bezugsrahmen...................................................................... 25 2.1 Konstruktionsprozesse von Geschlecht und Familie ............................ 25 2.2 Definitionen: Diskurse und Leitbilder .................................................. 36 2.3 Lebenslaufforschung und Statuskonfiguration ..................................... 37 2.4 Sozialisation, Doing Gender und Doing Family................................... 43 2.5 Zusammenfassung ................................................................................ 56 3 Geschlechter- und Familienleitbilder ......................................................... 59 3.1 Familienpolitik und Familienrealitäten................................................. 60 3.2 Geschlechter- und Familienleitbilder vor 1949 .................................... 64 3.3 DDR 1949 – 1989................................................................................. 69 3.3.1 Der Diskurs zu Geschlechtergerechtigkeit .............................. 70 3.3.2 Mütterlichkeit und Väterlichkeit ............................................. 78 3.3.3 Diskurse zum Kindeswohl ...................................................... 80 3.4 BRD 1949 –1989.................................................................................. 84 3.4.1 Retraditionalisierung und sozialer Wandel ............................. 84 3.4.2 Mütterlichkeit und Väterlichkeit ............................................. 95 3.4.3 Diskurse zum Kindeswohl .................................................... 103 3.5 Nach der Vereinigung: 1989 ff. .......................................................... 105 3.5.1 Transformation und Modernisierung..................................... 106 3.5.2 Mütterlichkeit und Väterlichkeit ........................................... 121 3.5.3 Diskurse zum Kindeswohl .................................................... 135 3.6 Zusammenfassung .............................................................................. 137 4 Der Forschungsstand zu Alleinerziehenden............................................. 143 4.1 Anzahl Alleinerziehender ................................................................... 144 4.2 Entstehung des Alleinerziehens, Kinder............................................. 145 4.3 Strukturelle Bedingungen und ökonomische Situation....................... 151 4.4 Unterstützende Strukturen .................................................................. 157 4.5 Die Ressource Zeit.............................................................................. 162 4.6 Fazit .................................................................................................... 164 5 Anlage der Untersuchung.......................................................................... 169 5.1 Entwicklung der Forschungsfragen .................................................... 169
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5.2 Forschungsdesign ............................................................................... 172 5.3 Samplekonstruktion ............................................................................ 174 5.4 Erhebungsinstrumente ........................................................................ 178 5.5 Auswertungsverfahren........................................................................ 182 Lebensbedingungen des Samples.............................................................. 189 6.1 Entstehung des Alleinerziehens, Kinder............................................. 190 6.2 Überblick über sozialstrukturelle Bedingungen.................................. 193 6.3 Quantität und Qualität der Kinderbetreuung ...................................... 202 6.4 Privat organisierte und private Unterstützung .................................... 204 6.5 Erwerbsstatus...................................................................................... 208 6.6 Ökonomische Situation....................................................................... 211 6.7 Bildung und Erwerbsstatus ................................................................. 213 6.8 Alltagsbewältigung............................................................................. 219 6.9 Zusammenfassung .............................................................................. 222 Bilder von Geschlecht und Familie........................................................... 231 7.1 Selbstverständnis Körper/Geschlecht ................................................. 234 7.1.1 Verhältnis zu Geschlechtlichkeit........................................... 235 7.1.2 Distanz zur Geschlechterrolle ............................................... 238 7.1.3 Zwischenfazit ........................................................................ 243 7.2 Geschlechterverhalten der Kinder ...................................................... 249 7.2.1 Geschlechtertypisches Verhalten als Erwartung ................... 251 7.2.2 Geschlechtertypisches Verhalten als Problem....................... 260 7.2.3 Ambivalenzen ....................................................................... 261 7.2.4 Geschlechteroffene Einstellungen......................................... 264 7.2.5 Zwischenfazit ........................................................................ 265 7.3 Vorstellungen von Mütterlichkeit/Väterlichkeit ................................. 273 7.3.1 Dichotome Bilder von Mütterlichkeit/Väterlichkeit.............. 274 7.3.2 Ambivalenzen ....................................................................... 279 7.3.3 Vielfalt statt Dichotomie ....................................................... 287 7.3.4 Zwischenfazit ........................................................................ 294 7.4 Einstellungen zu unterschiedlichen Familienformen.......................... 299 7.4.1 Präferenzen für die Zwei-Eltern-Familie............................... 300 7.4.2 Ambivalenzen ....................................................................... 304 7.4.3 Präferenzen für die Ein-Elter-Familie ................................... 306 7.4.4 Zwischenfazit ........................................................................ 312 7.5 Zusammenführung der Ergebnisse ..................................................... 316 Resümee ...................................................................................................... 323 Literaturverzeichnis................................................................................... 335
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Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22: Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25: Tabelle 26: Tabelle 27: Tabelle 28:
Eltern-Kind-Gemeinschaften in West- und Ostdeutschland 2004 (in%)................................................................................... 108 Müttererwerbstätigkeit ................................................................ 112 Zustandekommen des Alleinerziehens ........................................ 190 Verschiedene Formen der Trennung ........................................... 191 Kinder in Mutterfamilien............................................................. 192 Kinder in Vaterfamilien............................................................... 193 Sozialstrukturelle Bedingungen Westfrauen ............................... 195 Sozialstrukturelle Bedingungen Westmänner.............................. 196 Sozialstrukturelle Bedingungen Ostfrauen.................................. 198 Sozialstrukturelle Bedingungen Ostmänner ................................ 200 Inanspruchnahme institutioneller Kinderbetreuung .................... 202 Inanspruchnahme privater Kinderbetreuung ............................... 205 Umfang privater Unterstützung................................................... 206 Private UnterstützungsleisterInnen.............................................. 207 Überblick Erwerbsstatus.............................................................. 208 Ökonomische Situation ............................................................... 211 Ökonomische Situation und Erwerbsstatus ................................. 213 Bildungslagen.............................................................................. 213 Erwerbsstatus und Bildungslagen................................................ 214 Zufriedenheit und Unzufriedenheit mit sozialstruktureller Situation ...................................................................................... 224 Selbstverständnis Körper/Geschlecht .......................................... 244 Selbstverständnis Körper/Geschlecht und sozialstrukturelle Situation ...................................................................................... 248 Einstellungen zum Geschlechterverhalten der Kinder................. 266 Erwartete Probleme für die kindliche Entwicklung bei gleichgeschlechtlichem Elternteil I ............................................. 268 Einstellungen zum Geschlechterverhalten der Kinder und sozialstrukturelle Situation .......................................................... 270 Einstellungen zum Geschlechterverhalten der Kinder und das Selbstverständnis Körper/Geschlecht.................................... 271 Mütterlichkeit und Väterlichkeit ................................................. 295 Erwartete Probleme für die kindliche Entwicklung bei gleichgeschlechtlichem Elternteil II ............................................ 297 11
Tabelle 29: Mütterlichkeit/Väterlichkeit und sozialstrukturelle Situation ...................................................................................... 298 Tabelle 30: Einstellungen zu unterschiedlichen Familienformen................... 312 Tabelle 31: Einstellungen zu unterschiedlichen Familienformen und sozialstrukturelle Situation .......................................................... 314 Tabelle 32: Einstellungen zu unterschiedlichen Familienformen und Mütterlichkeit/Väterlichkeit ........................................................ 315 Abbildung 1: Die Institutionalisierung von Handlungen... ............... ..................27 Abbildung 2: Gesellschaftliche Aspekte, die subjektive Konstruktionsprozesse beeinflussen .....................................................................57 Abbildung 3: Die Beziehungen zwischen Geschlechter- und Familienleitbildern, Diskursen, Institutionen und Familienrealitäten ........................................................................................ 60 Abbildung 4: Zuordnung der Themenfelder des Interviewleitfadens zu gesellschaftlichen Ebenen ........................................................... 181 Abbildung 5:Aspekte im Zusammenhang mit subjektiven Konstruktionen von Geschlecht und Familie .............................. 233
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1 Einleitung
Dieses Buch beschäftigt sich auf verschiedenen Ebenen mit Alleinerziehenden. Sowohl ihre sozialstrukturelle Situation als auch ihre Stellung in der Gesellschaft, insbesondere in Bezug auf normative Bilder von Geschlecht und Familie, wird in den Blick genommen. In den letzten Jahrzehnten lässt sich in Deutschland ein Wandel von Geschlechterrollen und Familienformen konstatieren. Dies gilt für die Zeit der beiden getrennten deutschen Staaten DDR und BRD sowie für die deutsche Gesellschaft nach der Vereinigung im Jahre 1989. Dieser Wandel äußert sich in starkem Maße in den sozialen Praktiken, also darin, wie Menschen mit ihren Partnern und Partnerinnen und ihren Kindern leben. So ist z. B. eine Zunahme von Alleinerziehenden sowie von erwerbstätigen Frauen - auch Müttern - zu verzeichnen. In geringerem Ausmaß lässt sich der Wandel von Geschlechterrollen und Familienbildern auch an der Entwicklung institutioneller Rahmenbedingungen ablesen. Dies gilt insbesondere für sozialpolitische und familienrechtliche Institutionen. Ursprünglich sind die familienrelevanten Institutionen jedoch auf traditionellen Leitbildern gegründet, welche bis heute nachhaltige Wirkung zeitigen. Im traditionellen, dichotomen Verständnis von Geschlecht schließen sich nicht nur Weiblichkeit und Männlichkeit sondern auch Mütterlichkeit und Väterlichkeit gegenseitig aus. Werden gleichzeitig beide Aspekte als Voraussetzung für ein gesundes Aufwachsen von Kindern angesehen, so folgt daraus die Normativität der heterosexuellen Zwei-Eltern-Familie. Die zentrale Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist, inwieweit diese traditionellen Geschlechterund Familienleitbilder bis heute in der Gesellschaft fortwirken und was diese Bilder für Alleinerziehende bedeuten. Die Gleichzeitigkeit von sozialem Wandel und dem Fortbestand traditioneller Sichtweisen auf Geschlecht und Familie kann nicht ohne Folgen für individuelle Lebenswirklichkeiten sein. Es stellt sich die Frage, welche Bedeutung dieser gesellschaftliche Rahmen für subjektive Konstruktionen von Geschlecht und Familie hat: Wie erleben und beschreiben die Subjekte ihre Bilder und Vorstellungen von Geschlecht und Familie? Reproduzieren sie eher traditionelle Sichtweisen auf Geschlecht oder finden sie Möglichkeiten, den in 13
diesen Sichtweisen enthaltenen Festlegungen zu entrinnen und eigensinnige, neue Bilder von Geschlecht und Familie zu entwickeln? Für die Untersuchung dieser Fragestellungen sind Alleinerziehende eine in besonderem Maße geeignete Gruppe, da ihre Lebensform von dem bis heute trotz allen Wandels als gesellschaftliche Normalität angesehenen Modell der heterosexuellen Zwei-Eltern-Familie abweicht. Für Alleinerziehende hat die hier aufgeworfene Frage nach Entwicklungsmöglichkeiten von Spielräumen in der Konstruktion von Geschlecht und Familie eine besondere Bedeutung: Verbleiben sie im dichotomen Verständnis von Geschlecht, so lässt sich vermuten, dass dies eine Sichtweise sowohl auf ihr subjektives Selbstverständnis in Bezug auf ihren Körper und ihre Geschlechtlichkeit als auch auf die von ihnen gelebte Mütterlichkeit bzw. Väterlichkeit und damit einhergehend auch der Ein-ElterFamilie als defizitär beinhaltet. Spiegeln sich Bilder von der Ein-Elter-Familie1 als defizitäre Lebensform in Interaktionen, institutionellen Rahmenbedingungen oder auch Diskursen, so kann angenommen werden, dass sich dies negativ auf das subjektive Wohlbefinden der in Ein-Elter-Familien lebenden Eltern und Kinder auswirkt. Eigene Deutungen und Umformungen dieser Bilder könnten hingegen ein Moment der Widerständigkeit gegen das normative Bild der heterosexuellen Zwei-Eltern-Familie darstellen und so zu einer Normalisierung dieser Familienform im sozialen Umfeld und in der Gesellschaft beitragen. Für die Untersuchung der umrissenen Fragestellung bietet sich ein sozialkonstruktivistischer Zugang an. Hier werden die als natürlich geltenden Kategorien Geschlecht und Familie in den Kontext kultureller Entstehung gesetzt. Dies impliziert die Veränderbarkeit dieser Kategorien. Aufbauend auf den sozialwissenschaftlichen Theorietraditionen von Ethnomethodologie und Sozialkonstruktivismus wurde in den letzten Jahrzehnten v. a. in Frauenforschung und gender studies herausgearbeitet, dass es sich bei der Kategorie Geschlecht nicht einfach um eine natürliche Bedingung und/oder funktionale Rolle handelt, sondern Geschlecht als komplexe soziale Konstruktion begriffen werden kann. Die Unterscheidung zwischen sex und gender sowie die Analyse von gender als Kategorie sozialer Ungleichheit waren zentrale Elemente dieser Entwicklung. 1
Es wird in dieser Arbeit die begriffliche Unterscheidung zwischen ‚Alleinerziehenden’ für die Beschreibung der Situation der Erwachsenen und ‚Ein-Elter-Familien’ für die Darstellung der Belange von Eltern und Kindern getroffen. Da das inzwischen häufig gebrauchte ‚Ein-ElternFamilie’ den grammatischen Fehler des Plurals in sich birgt, wird hier mit dem Begriff ‚Ein-ElterFamilie’ die zwar noch ungewohnte aber logische Form des Singulars gewählt. Die Begriffe ‚MutterFamilie’ bzw. ‚Vater-Familie’ werden an den Stellen verwendet, an denen das Geschlecht des Elternteils relevant wird. Um den Status als eigenständige Lebensform hervorzuheben, wird substantiviert von ‚Alleinerziehenden’ die Rede sein.
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Bezogen auf die hier formulierten Fragestellungen beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit Geschlechter- und Familienleitbildern2 sowie mit deren Reproduktion bzw. Modifikation durch Alleinerziehende. Die Aufgaben Alleinerziehender lassen sich auf unterschiedliche Art und Weise beschreiben. Eine Möglichkeit ist: Alleinerziehende müssen sowohl die Mutter- als auch die Vaterrolle erfüllen. Und eine andere: Alleinerziehende sind für die Erziehung und für die materielle Versorgung eines oder mehrerer Kinder allein verantwortlich. Diese unterschiedlichen Formulierungen derselben Lebenssituation haben nur auf den ersten Blick keine differierenden Bedeutungen. Erstere bezieht sich auf die Integration zweier mit Geschlecht und Körper diskursiv verbundener Rollen in einer Person. Spontan dürfte bei vielen LeserInnen das Gefühl entstehen: Sowohl Vater als auch Mutter zu sein ist für eine Person nicht leistbar. Die zweite Formulierung beschreibt die zu leistenden Aufgaben präziser, ist aber auch emotionsloser, denn es fehlen die für jede/n Leser/in mit unzähligen Assoziationen befrachteten Begriffe ‚Mutter’ und ‚Vater’. Hier ist folgende Reaktion denkbar: Eine anstrengende Lebenssituation, aber – abhängig von den sozialstrukturellen Bedingungen - im Bereich des Machbaren. In der unterschiedlichen Wirkung der beiden Kurzbeschreibungen des Alleinerziehens zeichnet sich ein Aspekt ab, der für Alleinerziehende nicht ohne Bedeutung sein kann: Je nach Sichtweise auf ihre Familienform stellt sich diese als zu bewältigen oder als Überforderung dar. Dabei entspringt die Sichtweise auf Ein-Elter-Familien als defizitär dichotomen Vorstellungen von Zweigeschlechtlichkeit, mit denen die Begriffe ‚Mutter’ und ‚Vater’ untrennbar verbunden sind. Verhaltensweisen werden an körperliche Merkmale gekoppelt und als sich gegenseitig ausschließend dargestellt: Wer das eine ist, kann nicht das andere sein. Mütterlichkeit und Väterlichkeit werden als verschieden bis gegensätzlich begriffen. Aber in wieweit verändern sich diese Zuschreibungen im Zuge des sozialen Wandels in der postmodernen Gesellschaft und dem damit einhergehenden Anspruch auf Geschlechtergleichheit und Geschlechtergerechtigkeit? Wenn Mütterlichkeit und Väterlichkeit sich qualitativ angleichen, wenn ein Verständnis vorherrscht, demzufolge beide Geschlechter für alle Aufgaben, die zur Versorgung von Kindern und zur Existenzsicherung einer Familie notwendig sind, in gleichem Maße fähig sind, dann löst sich der auf dichotomen Geschlechterbildern basierende Blick auf Ein-Elter-Familien als defizitäre Konstellation weitgehend auf. Die Sicht verändert sich in Richtung der zweiten 2 Unter Geschlechter- und Familienleitbildern werden hier richtungweisende, kollektive Einstellungen und Denkmuster gefasst, die durch zentrale Diskurse Verbreitung finden. Durch Geschlechter- und Familienleitbilder richten sich gesellschaftliche Erwartungen an die Subjekte, bestimmte Rollen und Aufgaben bezüglich Geschlecht und Familie zu erfüllen.
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oben gegebenen Beschreibung der zu leistenden Aufgaben und richtet sich damit gleichzeitig auf die Bedingungen, die zu deren Erfüllung notwendig sind bzw. wären. In welchem Maße sich ein derartiger sozialer Wandel im Selbstverständnis Alleinerziehender niedergeschlagen hat, wird in dieser Arbeit sowohl theoretisch als auch empirisch - letzteres in Form von qualitativen Interviews mit zwanzig Alleinerziehenden - untersucht. Dabei werden Herkunft und Geschlecht als unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen für subjektive Konstruktionen spezifisch berücksichtigt. Besonderes Augenmerk wird in dieser Arbeit auf die differierenden historischen Voraussetzungen in Ost und West gelegt. Auch die Frage, ob sich zwischen allein erziehenden Müttern und allein erziehenden Vätern Unterschiede in den Konstruktionen von Geschlecht und Familie feststellen lassen, findet besondere Beachtung. Alleinerziehende müssen heutzutage als gesellschaftlich relevante Gruppe gesehen werden. Im Jahr 2007 lebten in Deutschland 1,57 Millionen Alleinerziehende mit Kindern unter 18 Jahren. Diese Zahl entspricht 18% aller Familien mit Kindern. In Ostdeutschland liegt der Anteil Alleinerziehender (26%) höher als in Westdeutschland (17%), die Gesamttendenz ist steigend (BMFSFJ 2008: 5). Bei der Lebensform des Alleinerziehens handelt es sich um eine im Lebenslauf zeitlich begrenzte, vorübergehende Situation. Hieraus folgt, dass die Zahl derjenigen, die einmal allein erziehend waren oder sein werden, noch über den oben genannten Zahlen liegt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die starke Verbreitung dieser Lebensform bereits zu ihrer vollständigen Akzeptanz in Familienleitbildern, sozialen Interaktionen sowie Selbstbildern der Betreffenden geführt hat. Der Forschung zu Alleinerziehenden in Deutschland3 kommt innerhalb der letzten Jahrzehnte der Verdienst zu, Ein-Elter-Familien zumindest im Bereich der Familienforschung aus der Unsichtbarkeit gehoben zu haben. Die Lebensleistungen Alleinerziehender vor dem Hintergrund oft schwieriger ökonomischer Voraussetzungen wurden herausgearbeitet (BMFSFJ 2008; Braches-Chyrek 2002; Enders-Dragässer und Sellach 2002; Hammer 2002a; Hammer und Lutz 2002; Schewe 2002; Wiechmann 2008) und die Unterschiede im Lebensverlauf allein erziehender Väter und Mütter sowie nach Ost- und Westherkunft aufgezeigt (Bloom und Böhmer 1991; Drauschke 2002; Nestmann und Stiehler 1998; Neubauer 1989; Schewe 2002; Stegmann 1997; Stiehler 2000). In den letzten zehn Jahren ist eine Zunahme sozialwissenschaftlicher Forschung zum Thema Alleinerziehen festzustellen. Das Bundesfamilienministerium nimmt sich des Themas Alleinerziehen zunehmend an (BMFSFJ 3 Diese Arbeit bezieht sich in erster Linie auf die Alleinerziehenden- sowie Familienforschung im deutschsprachigen Raum.
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2008). Aspekte wie z. B. die „Einbindung in soziale Unterstützungsnetzwerke und die ökonomische Situation“ können inzwischen „als relativ gut erforscht gelten“ (Schneider et al. 2001: 14). Der Zusammenhang zwischen Konstruktionsprozessen von Geschlecht und Familie und Selbstbildern Alleinerziehender wurde jedoch bisher kaum in den Blick genommen. Noch in den 1960er und -70er Jahren wurden Alleinerziehende in der deutschen Familienforschung häufig als ‚unvollständige Familien’4 oder ‚Restfamilien’ bezeichnet (kritisch: Nave-Herz 1997a: 91). Diese „Differenzierung von Familie in ‚vollständige’ und ‚unvollständige’ Familie“ lässt nur die ZweiEltern-Familie, „als das ‚Normalitätsmuster’ erscheinen“ (Nave-Herz 1997a: 91). Die in den folgenden Jahrzehnten durch die Alleinerziehendenforschung erfolgte Analyse und Sichtbarmachung der Lebensform der Ein-Elter-Familie erzielte auf die allgemeine Familiensoziologie eine positive Wirkung. Dies ist u. a. daran zu erkennen, dass die oben genannten abwertenden Formulierungen auch dort inzwischen weitgehend durch die neutraleren Begriffe ‚Alleinerziehende’ bzw. ‚Ein-Elter(n)-Familie’ ersetzt wurden. Offen bleibt, wie weit diese Veränderungen in die Gesellschaft vorgedrungen sind und ob sich mit den neuen Begriffen auch die Einstellungen gewandelt haben. Es stellt sich die Frage, ob Familien mit einem Elternteil heutzutage in Ost- wie Westdeutschland als ‚ganz normale’, bzw. ‚komplette Familien’ verstanden werden oder ob die alten Bilder von ‚Unvollständigkeit’ hinter den neuen Bezeichnungen weiterleben. Gehen Sichtweisen, die von der heterosexuellen Zwei-Eltern-Familie ausgehen und andere Familienformen unberücksichtigt lassen in institutionelle Regelungen, z. B. in Steuer- und Rentenregelungen, oder auch in Adoptionsrechte5 ein, so kann vom traditionellen normativen Familienleitbild der heterosexuellen Zwei-Eltern-Familie gesprochen werden. Werden hingegen verschiedene Lebensformen intersubjektiv anerkannt und institutionell mit den gleichen Chancen ausgestattet, kann dies als Tendenz zur Detraditionalisierung im Sinne des Abbaus sozialer Ungleichheiten bezeichnet werden. Da die traditionellen Zuschreibungen zu Väterlichkeit und Mütterlichkeit auf Denkmustern basieren, auf deren Grundlage Zweigeschlechtlichkeit kulturell definiert wird, ist die Darstellung von Geschlechterbildern und die Analyse ihrer 4
Die Bezeichnung ‚unvollständige Familien’ für Ein-Elter-Familien wird z. B. im ersten Familienbericht 1965 verwendet (kritisch: Behning 1996). Ebenfalls in den 70er Jahren gebräuchliche Termini waren ‚Scheidungsfamilie’, ‚Halbfamilie’, und ‚broken home’ (vgl. kritisch: Swientek 1984: 14) 5 Wie weit der öffentliche Diskurs in dieser Gesellschaft von einer tief greifenden Veränderung dieser Einstellungen entfernt ist, zeigt u. a. die Heftigkeit der Argumentationen gegen Adoptionsrechte für Homosexuelle in den sich wiederholenden Debatten über dieses Thema und die bis heute bestehende rechtliche Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare.
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Entwicklung ein wesentlicher Teil dieser Arbeit. Das zweigeschlechtliche Denken, welches von der Notwendigkeit der Ergänzung durch das andere Geschlecht ausgeht, kann nicht ohne Folgen für das Verhältnis Alleinerziehender zu ihrer eigenen Geschlechtlichkeit bleiben. Ein traditionelles Geschlechter- und Familienverständnis würde folglich bedeuten, sich als ohne gegengeschlechtliche Partnerschaft lebendes geschlechtliches Wesen unvollständig zu fühlen. Die Emanzipation von diesem Denken jedoch könnte zu neuen Freiheiten der Selbstdefinition und des Selbstverständnisses führen. Alleinerziehende sind in Bezug auf die Konstruktionen von Geschlecht und Familie eine besonders interessante Gruppe, denn sie haben – innerhalb des traditionellen Denkens über die familiale Rollenverteilung – sämtliche sonst Mutter und Vater zugeschriebenen Aufgaben zu erfüllen. Durch diese Rollenkumulation kann ein Spannungsverhältnis zu Sichtweisen auf die heterosexuelle Zwei-Eltern-Familie als ‚normales’ oder auch ‚ideales’ Familienmodell entstehen. Es stellt sich die Frage, ob die Erfahrung der Abweichung zur dominanten Familienform der Entwicklung einer eigen(sinnig)en Haltung in besonderem Maße förderlich ist. Inwieweit dies eher zu Defizitperspektiven oder zu Gegenkonstruktionen in Hinblick auf die herrschenden Normalitätsdefinition führt, in welchem Umfang also Spielräume in der subjektiven Konstruktion von Geschlechter- und Familienbildern gegeben sind bzw. entwickelt werden, ist die übergreifende zentrale Forschungsfrage, der in dieser Arbeit nachgegangen wird. Der hier beschriebene Forschungsgegenstand tangiert verschiedene Forschungsfelder, so dass diese Studie nicht nur (allgemein gefasst) einen Beitrag zur Geschlechter- und Familienforschung sondern auch (spezieller) zur Alleinerziehendenforschung, Mütterund Väterforschung sowie Kindheitsforschung leistet. Da die Begriffe „Familie“ und „Alleinerziehen“ im Zentrum dieser Arbeit stehen, befasst sich das nun folgende Unterkapitel mit deren Definitionen:
Definition Familie Der Begriff ‚Familie’ wird für eine Lebensgemeinschaft von mindestens zwei Personen, die mehrere Generationen umfasst, verwendet. Unter diesen Familienbegriff fallen sowohl Alleinerziehende, Familien mit homosexuellen Eltern als auch Pflegefamilien. Ausgrenzungen über Blutsverwandtschaft oder Geschlecht werden nicht impliziert (vgl.: Nave-Herz 2001: 291). Eine allgemeingültige Definition von Familie kann es nicht geben.
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Der Begriff ‚Familie’ entstand zeitgleich mit der Entwicklung der bürgerlichen Kleinfamilie. Die historisch nachgewiesen sich wandelnden Familienformen können nicht als ‚natürlich’, sondern müssen als gesellschaftlich-kulturell bedingt betrachtet werden. Der Familienbegriff ist über die Pluralität hinaus nicht definierbar, ohne dass Ein- und Ausgrenzungsmechanismen in Gang gesetzt werden. Unter die Definition von Familien als Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaften (vgl. ebd.) fallen sowohl Paare mit und ohne Trauschein als auch Wohngemeinschaften, in denen sich die einzelnen Mitglieder emotional und/oder wirtschaftlich-organisatorisch unterstützen. Gleichwohl wird im Alltagsverständnis in der Regel bis heute unter Familie die heterosexuelle Zwei-Eltern-Familie mit einem oder mehreren Kindern verstanden. Im Diskurs um Familie steht die Romantisierung eines engen Familienbegriffs nach wie vor hoch im Kurs, ein Beispiel dafür ist das folgende Zitat eines bekannten Soziologen: „Ehe, Elternschaft, Liebe, Zusammenleben, Haushalt fallen auseinander; was so entsteht, wird jedoch mit der ungenierten Leichtigkeit des geschichtsblinden Blickes mit dem anheimelnden Nischenwort ‚Familie’ gefasst“ (Beck 1996: 22). Formulierungen wie diese wirken an der mythologisierenden Vorstellung eines abgrenzbaren Familienbegriffs mit (vgl. kritisch Nave-Herz 1997a: 37). Der gesellschaftlichen Einheit Familie kommen etliche individuelle und kollektive Funktionen zu, wie die Befriedigung von Liebesbedürfnissen, die Regulierung sexuellen Verhaltens, die Reproduktion, die Fürsorge für Kinder und die Sorge für Ältere und Kranke. Familien übernehmen insofern wesentliche staatstragende Aufgaben, als sie ihre Mitglieder in deren jeweilige gesellschaftliche Funktionen hineinsozialisieren. Dies betrifft sowohl das Verständnis von Demokratie als auch schicht- und geschlechtsspezifische Rollen. Die Familie bildet sowohl den Ausgangspunkt, als auch die Ergänzung und Weiterführung institutioneller Sozialisationsinstanzen, wie z. B. Kinderbetreuung, Schulen und Berufsbildung.
Definition Alleinerziehend Der Begriff des Alleinerziehens bezieht sich auf die Familiensituation. Er bezeichnet die Alleinverantwortlichkeit eines Erwachsenen für den familialen Teil der Erziehung eines oder mehrerer Kinder und die ökonomische Versorgung der Familie.
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Durch die Verwendung der Bezeichnung ‚allein erziehend’ werden außerfamiliäre Sozialisationsfaktoren nicht ausgeblendet.6 Es ist jedoch nicht einfach, diese Bezeichnung abzugrenzen. Die meisten Alleinerziehenden erhalten Unterstützung aus ihrem sozialen Netzwerk, teilweise einschließlich des getrennt lebenden anderen Elternteils. Die Frage, wie viel Unterstützung Alleinerziehende erhalten dürfen, so dass gleichzeitig die Bezeichnung ‚allein erziehend’ gerechtfertigt bleibt, ist nur Kontext- abhängig und ebenso wenig allgemeingültig zu beantworten wie die Definition von Familie. Aus der Heterogenität der Gruppe Alleinerziehender ergibt sich die Schwierigkeit, Ein-Elter-Familien zu definieren, ohne zu vage zu bleiben oder ungerechtfertigte Ausschlüsse vorzunehmen. Zunächst muss festgestellt werden, dass es ‚die Alleinerziehenden’ als gesellschaftlich homogene Gruppe nicht gibt, sondern dass es sich hier um eine sehr dynamische Lebensform handelt (Brand und Hammer 2002: 14; Schneider et al. 2001). Demzufolge weichen die Definitionen Alleinerziehender in der Alleinerziehendenforschung stark voneinander ab. Sie unterscheiden sich nach dem Alter der im Haushalt lebenden Kinder (bis 18 oder bis 27 Jahre), der Relevanz von Sorgerecht, Betreuungsbedürftigkeit der Kinder, Versorgungsleistungen anderer Erwachsener (anderer Elternteil, Verwandte), Familienstand der/s Alleinerziehenden, Haushaltsform und der verwandtschaftlichen Beziehung zum Kind bzw. zu den Kindern. Aufgrund der nach wie vor weit verbreiteten männlichen Vollerwerbstätigkeit sind auch viele Zwei-Eltern-Familien durch ein hohes Maß an Vaterabwesenheit gekennzeichnet. In diesem Zusammenhang wird manchmal argumentiert, dass auch jene Mütter in Zwei-Eltern-Familien, welche nahezu allein für Erziehungs- und Hausarbeit zuständig sind, allein erziehend seien. Diese Argumentation vernachlässigt allerdings, dass sich eine solche Lebenssituation wesentlich von derjenigen der Ein-Elter-Familie unterscheidet, da Alleinerziehende neben der alltäglichen Familienarbeit eben auch allein zuständig für die ökonomische Situation der Familie sind. Entsprechend dieser Überlegungen werden im vorliegenden Text Alleinerziehende als Erwachsene definiert, die in einem Haushalt mit betreuungsbedürftigen Kindern leben, für die sie alleine die Verantwortung tragen. Gleichzeitig sind sie allein verantwortlich für die Beschaffung der 6
Letztendlich erzieht niemand sein Kind vollständig allein. Institutionelle Einflüsse auf die kindliche Sozialisation durch Kinderbetreuungseinsrichtungen und Schule sowie die starken Einflüsse der peergroup der Kinder müssen, genau wie Effekte von Medienkonsum, als wichtige Einflüsse auf den Sozialisationsprozess angesehen werden (vgl. z. B.: Geulen 1994). Mit ‚peer-group’ wird die Gruppe der Gleichaltrigen bezeichnet, deren große Bedeutung für die kindliche Sozialisation im pädagogischen Diskurs der letzten zehn Jahre – insbesondere in Bezug auf das Geschlechterverhalten - zunehmend herausgearbeitet wurde.
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lebensnotwendigen materiellen Ressourcen über Berufstätigkeit und/oder staatliche Unterstützung.
Aufbau des Buches Dieses Buch besteht aus einem theoretisch-methodischen (Kap.2-5) und einem empirischen Teil (Kap.6-7), welcher durch das Resümee (Kap.8) abgeschlossen wird. Zunächst wird der dem Text zugrunde liegende theoretische Bezugsrahmen, u. a. das Verständnis von dem, was unter ‚sozialen Konstruktionen’ zu verstehen ist, dargelegt (2.1). Daran anschließend werden die Begriffe Diskurs und Leitbild definiert (2.2). Unter 2.3 erfolgt die theoretische Verortung von Institutionen und unter 2.4 wird die Bedeutung von Interaktionen in Bezug auf Geschlecht und Familie erläutert. Die Definitionen von Interaktionen, Institutionen und Diskursen (Kap.2) bilden die Basis für deren Analyse in der historischen Entwicklung (Kap.3), ihren konkreten Auswirkungen auf die Gesamtgruppe der Alleinerziehenden (Kap.4) sowie für Struktur, Darstellung und Interpretation der empirischen Erhebung (zweiter Teil der Arbeit). Im dritten Kapitel wird in der historischen Perspektive das Zusammenspiel von institutionellen Konfigurationen und kulturellen Bildern aufgezeigt. Die Beschreibung der Geschlechter- und Familienleitbilder in Ost und West verdeutlicht kulturelle Hintergründe der für den empirischen Teil befragten Alleinerziehenden. Die sich wechselseitig beeinflussenden Effekte von institutionellen Figurationen7 und kulturellen Bildern von Familie und Geschlecht in der Geschichte von DDR (3.3 und BRD (3.4) zwischen 1949 – 1989 werden – mit einer kurzen Einleitung zu den geschichtlichen Vorläufern in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (3.2) - im dritten Kapitel sondierend beleuchtet. Dabei wird den durch gesellschaftliche Veränderungen hindurch konstanten traditionellen Bildern besondere Aufmerksamkeit zuteil. Die enge Verknüpfung der Konstruktionen von Geschlecht und Familie wird an Diskursen um Kindeswohl, Väterlichkeit und Mütterlichkeit aufgezeigt. Darstellung und Analyse von Ähnlichkeiten und Unterschieden in DDR und BRDGeschichte stellen die Basis für die Beantwortung der Frage dar, ob - und wenn ja wie - sich Ost/West – Unterschiede bis heute im Leben Alleinerziehender abbilden. Der Konstruktionscharakter der Kategorien Geschlecht und Familie wird 7 Mit institutioneller Figuration wird hier ein Institutionengefüge bezeichnet, in dem die einzelnen Institutionen aufeinander wirken und unter wechselseitigem Einfluss mit der Subjektebene stehen.
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für die Zeit des bis heute andauernden Transformations- und Modernisierungsprozesses nach 1989 schwerpunktmäßig anhand der diskursiven Entwicklung dargelegt (3.5). Um den Überblick über die Lebensbedingungen der Gesamtgruppe der Alleinerziehenden zu gewinnen wird im vierten Kapitel der Forschungsstand zu Alleinerziehenden zusammenfassend dargestellt. Die Beschreibung der sozialstrukturellen Lebensumstände der Gruppe Alleinerziehender bildet den notwendigen Hintergrund für das Verständnis der im empirischen Teil untersuchten individuellen Lebensbedingungen. Während die Darstellung der figurativen Hintergründe von Geschlechter- und Familienleitbildern verdeutlicht, dass sich Anzeichen sowohl für das Beharrungsvermögen einer normativen Sicht auf die Zwei-Eltern-Familie als auch für eine zunehmende Akzeptanz der EinElter-Familie ausmachen lassen (Kap.3), zeigt der Forschungsstand zu Alleinerziehenden die andauernde sozialstrukturelle Benachteiligung dieser Gruppe (Kap.4). Der methodische Teil beginnt mit der Spezifizierung der Forschungsfragen aus dem Forschungsstand heraus (5.1) und setzt sich in differenzierten Informationen über die Anlage der qualitativen, empirischen Untersuchung fort (5.2). Die zwanzig im Rahmen dieser Arbeit erhobenen Interviews mit Alleinerziehenden verteilen sich auf zehn Ost- und zehn Westbiographien, davon jeweils fünf Männer und fünf Frauen. Innerhalb dieser Gruppierungen bildet sich die Heterogenität der Gruppe Alleinerziehender in der Wahl von InterviewpartnerInnen mit unterschiedlichen Bildungsabschlüssen und differierenden beruflichen Feldern ab. Die Interviews sind problemzentriert angelegt (Witzel 1995; Witzel 2000) und ermöglichen so ein sich gegenseitig ergänzendes Zusammenspiel von Fragen aus dem theoriegeleitet konzipierten Leitfaden und die Integration von inhaltlichen Schwerpunktsetzungen der Interviewten. Der empirische Teil dieser Arbeit konzentriert sich auf die Beschreibung und Analyse der Ergebnisse (Kap. 6 und 7) und ein zusammenfassendes Resümee (Kap.8). Dabei werden im sechsten Kapitel die strukturellen Lebensbedingungen der interviewten Alleinerziehenden auf die für die Gesamtgruppe im Forschungsstand dargestellten Lebensumstände bezogen. Übereinstimmungen wie Unterschiede zwischen Sample und Gesamtgruppe werden herausgearbeitet. Im siebten Kapitel finden die Geschlechter- und Familienbilder der befragten Alleinerziehenden Raum. Dabei werden Geschlechterbilder sowohl in Bezug auf das Verhältnis der Alleinerziehenden zur eigenen Weiblichkeit und Männlichkeit (7.1) als auch hinsichtlich der Wahrnehmungen und Einstellungen der Alleinerziehenden zum Geschlechterverhalten ihrer Kinder (7.2) untersucht. Familienbilder erscheinen in den Erzählungen Alleinerziehender in ihrer Sicht auf Mütterlichkeit und Väterlichkeit (7.3) sowie in ihren Einstellungen zu 22
unterschiedlichen Familienformen (7.4). Die Zusammenhänge zwischen den dargestellten subjektiven Geschlechter- und Familienbildern werden unter 7.5 in den Blick genommen und in Relation zu den jeweiligen sozialstrukturellen Bedingungen gesetzt. Während die in 5.1 entwickelten, ins Detail gehenden Forschungsfragen in Kapitel sechs und sieben bearbeitet werden, wird in Kapitel acht in einer Zusammenführung empirischer Ergebnisse und theoretischer Überlegungen auf die Hauptforschungsfrage nach den Spielräumen in der Konstruktion von Geschlecht und Familie in den Biographien Alleinerziehender erneut Bezug genommen. Gleichzeitig werden hier weiterführende Forschungsfragen formuliert und aus den Forschungsergebnissen resultierende Konsequenzen angedacht.
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2 Theoretischer Bezugsrahmen
Subjektive Konstruktionen von Geschlecht und Familie stehen unter dem Einfluss von Interaktionen, Institutionen und Diskursen und beeinflussen ihrerseits diese Ebenen gesellschaftlicher Wirklichkeit. Inwieweit subjektive Spielräume in den Konstruktionen von Geschlecht und Familie entwickelt werden können, ist folglich abhängig von der Beschaffenheit figurativer Effekte und von der Haltung der Subjekte gegenüber diesen Bedingungen. Im folgenden Kapitel wird geklärt, was in dieser Arbeit unter Diskursen, Institutionen und Interaktionen verstanden wird und in welchem Verhältnis diese zu Konstruktionen von Geschlecht und Familie zu begreifen sind. Diese theoretischen Erläuterungen bilden eine wesentliche Grundlage für das Verständnis subjektiver Konstruktionsprozesse. Dabei wird zunächst die übergreifende Perspektive der sozialen Konstruktion von Geschlecht und Familie verdeutlicht (2.1). Daran anschließend wird auf Diskurse und Leitbilder (2.2), Institutionen in der Lebenslaufforschung (2.3) und die Bedeutung von Interaktionen im Sozialisationsprozess (2.4) eingegangen.
2.1 Konstruktionsprozesse von Geschlecht und Familie Der Begriff der Konstruktion bezieht sich auf die Unterscheidung gesellschaftlicher Entstehungsprozesse von Kategorien, die als unveränderlich gegeben und daher tendenziell als ‚natürlich’ verstanden werden. Das Natürliche lässt sich in erster Linie durch seine statische bzw. schicksalhafte Verwendung im Diskurs (so ist es eben) vom prozessualen (etwas ist durch bestimmte Bedingungen entstanden und somit veränderbar) Charakter des Gesellschaftlichen differenzieren. Festzustellen ist, dass die Darstellung sozialer Erscheinungen als unveränderlich häufig mit der Verwendung von Begriffen aus Natur und Biologie einhergeht. Beim Begriff der Konstruktion wird davon ausgegangen, dass die „Gesellschaftsordnung ein Produkt des Menschen ist, oder genauer: eine ständige menschliche Produktion. Der Mensch produziert sie im Verlauf seiner unaufhörlichen Externalisierung. Gesellschaftsordnung ist weder biologisch gegeben
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noch von irgendwelchen biologischen Gegebenheiten ableitbar.“ (Berger und 8 Luckmann 1999 [1969]: 55)
Konstruktion und Reproduktion von Alltagswirklichkeit entwickeln sich Berger/Luckmann zu Folge in Prozessen der Gewohnheitsbildung in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Im Laufe der Habitualisierung von Wirklichkeit entwickeln sich Dominanzen bestimmter Sichtweisen auf Wirklichkeit über andere. Dieser Vorgang wird durch Machtverhältnisse bestimmt. Die ‚Verhärtung’ und Typisierung habitualisierter Handlungsmuster bezeichnen Berger/ Luckmann als Institutionalisierung (Berger und Luckmann 1999 [1969]: 58ff.). Gewohnheiten werden durch ihre Institutionalisierung zu allgemein-gültigen Verhaltensregeln und Ansichten. Die Weitergabe institutionalisierter Wirklichkeit – z. B. an eine nachfolgende Generation – erfordert die Legitimierung in Form einer Begründung. Weitergabe und Legitimierung institutionalisierter Handlungen geschehen im Wesentlichen über Sprache und erlangen in der primären Sozialisation besondere Bedeutung, da Sprache „dem Kind als zur ‚Natur der Dinge’ gehörig“ (ebd.: 63) erscheint. Die Nachkommen erleben die vorgefundene und durch Erklärungen ‚verhärtete’ Wirklichkeit als die einzig mögliche, als objektive Wirklichkeit. Die Legitimierung von Wirklichkeit bei ihrer Weitergabe bewirkt neben der Produktion von ‚objektiver Wirklichkeit’ nach außen gleichzeitig eine Stabilisierung dieser Wirklichkeit nach innen. Zur theoretischen Begründung dieser aus Habitualisierung entstandenen Wirklichkeit werden Konstruktionen symbolischer Sinnwelten hergestellt. Symbolische Sinnwelten dienen der Regelung und Rechtfertigung von Alltagspraktiken und –rollen (ebd.: 106). Sie werden zur „wirkungs- und machtvollsten Legitimation für die institutionale Ordnung als ganze und auch für ihre verschiedenen Teilbereiche“ (ebd.). Symbolische Sinnwelten haben nach Berger/ Luckmann also die Funktion, Wirklichkeit zu systematisieren und einen gemeinsamen Bezugsrahmen für bestimmte Gruppen herzustellen. Folglich dienen Konstruktionen der Naturalisierungen von gesellschaftlicher Wirklichkeit im Alltagsleben. Berger/Luckmann betonen den aktiven Anteil der Subjekte: „Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen, daß die Gegenständlichkeit der institutionalen Welt, so dicht sie sich auch dem einzelnen darstellen mag, von Menschen gemachte, konstruierte Realität ist.“ (ebd.: 64)
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Ich beziehe mich hier auf den sozialkonstruktivistischen Konstruktionsbegriff, bei dem die aus Konstruktionsprozessen hervorgehende Realität als solche anerkannt wird und nicht, wie im radikalen Konstruktivismus, auf Wahrnehmung reduziert ist.
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Die folgende Abbildung zeigt den Prozess der Habitualisierung und Institutionalisierung von Handlungen nach Berger/Luckmann:
Abbildung 1:
Die Institutionalisierung von Handlungen
Handelndes Subjekt
Habitualisierung von Handlungen
Institutionalisierung von Handlungen durch soziale Kontrolle und strukturelle Organisation
Legitimierung institutionalisierter Handlungen durch theoretische Konstruktionen / symbolische Sinnwelten
Weitergabe institutionalisierter und legitimierter Wirklichkeit an die nächste Generation Diese und die folgenden Abbildungen: Eigene Darstellung
Konstruktionen sind gleichzeitig Bestandteile des Alltagswissens – die Ordnung subjektiver Wirklichkeit – und Elemente des öffentlichen Diskurses. Geschlechterdifferenz und Geschlechterhierarchie basieren auf der Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit. Beide sind als wesentliche Teile der heutigen deutschen Gesellschaftsordnung zu betrachten. Wird der Naturaspekt zur Rechtfertigung 27
der Sinnwelten der Geschlechterordnung und dominanter Familienbilder herangezogen, so lässt sich dies als Legitimierung von Machtverhältnissen interpretieren. Zur Verdeutlichung des kulturellen Ursprungs und der historischen Verwurzelung dichotomer Bilder von Zweigeschlechtlichkeit und mit diesen verknüpften Bildern von Familie soll nun einführend ein kurzer Blick auf die historische Entstehung der Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit geworfen werden. Die in westlichen Kulturen übliche Unterscheidung in ein weibliches und ein männliches Geschlecht und die hiermit verbundenen dichotomen Zuschreibungen zu charakterlichen Eigenschaften und Fähigkeiten erlangten in den letzten Jahrhunderten, gestützt durch diverse wissenschaftliche Diskurse9, zunehmende Bedeutung. Seit dem 18. Jahrhundert ist es in weiten Teilen der Wissenschaft üblich, den Menschen zugeschriebene Merkmale wie Hautfarbe, Geschlecht und Klassenzugehörigkeit binär und hierarchisch geordnet (schwarz/weiß, weiblich/männlich, unten/oben) und in Bezug zu charakterlichen Aspekten bzw. Fähigkeiten zu setzten. In diesem dichotomen Denken wurde dabei jeweils einer Seite Normalität zugeschrieben und die andere als dieser Normalität entgegengesetzt konzipiert. Mit den dichotomen Zuschreibungen charakterlicher Eigenschaften zu körperlichen Merkmalen wurden stets hierarchische Ordnungen etabliert bzw. gefestigt – die Geschichte der Entstehung von Weiblichkeit und Männlichkeit ist nur ein Beispiel für die Funktion sozialer Konstruktionen bei der Legitimation von Machtverhältnissen. Dabei ging die systematische Abwertung des als ‚anders’ Konstruierten Hand in Hand mit dessen teilweiser idealisierender Überhöhung.10 Die Gleichsetzung von Weiblichkeit mit einem idealisierten Naturbegriff als „Wahrheit jenseits der gesellschaftlichen Tatbestände“ (Schirilla 1996: 182) wurde maßgeblich bereits in der Aufklärung konstituiert, u. a. durch Rousseau, der Vernunft und Aktivität dem Mann zuordnete und aus der Fähigkeit des Gebärens die Zuständigkeit der Frauen für die Familie und ganz grundsätzlich für den Bereich der Emotionen ableitete (vgl. kritisch: Schirilla 1996: 184). Im hier vorliegenden dichotomen Denken bedeutete die den Frauen zugedachte Nähe zur Natur gleichzeitig die Aufwertung von Mütterlichkeit und den Ausschluss aus gesellschaftlichen Räumen. Die in Spätmittelalter und Vormoderne legitime väterliche Gewalt wurde in der Aufklärung zwar einerseits durch die Etablierung eines harmonischen Familienideals abgemildert, andererseits erhielt sie jedoch neue 9
Zur näheren Erläuterung des in dieser Arbeit verwendeten Diskursbegriffs siehe Kap. 2.2. Dies gilt sowohl für die Zuschreibung beängstigender Fähigkeiten (wie z. B. die Fähigkeit der Magie, auf welche die Hexenverbrennung folgte) als auch in dem Sinne, dass den abgewerteten Gruppen besondere Fähigkeiten zugesprochen wurden und werden, die ihnen zugedachten (in der gesellschaftlichen Hierarchie abgewerteten) Tätigkeiten auszuführen. 10
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Inhalte mit der Rolle des Vaters als innerfamilialem Vertreter der Gesellschaft und somit Fachkraft für Erziehung (Fues 2000; Opitz 1998; Opitz 2000; Schmid 2000). Ab dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts gewinnen Anthropologie, Medizin und Psychologie zunehmend an Bedeutung. Sie meinen, die geschlechtsspezifische Aufgabenverteilung als Ausdruck natürlicher „Geschlechtscharaktere“ wissenschaftlich belegen zu können. „Die Vorstellungen von dem eigentlichen Wesen der Geschlechter werden zugleich offenbar so erfolgreich popularisiert, dass immer größere Kreise der Bevölkerung sie bis weit ins 20. Jahrhundert hinein als Maßstab für das jeweils Männlich-Angemessene und für das jeweils Weiblich-Angemessene akzeptieren.“ (Hausen 1976: 369)
Die Ausprägung von dichotomen Geschlechterrollenzuschreibungen und deren Legitimation als natürlich ging einher mit der Herausbildung geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung und der Entstehung der Kleinfamilie. In Folge der Industrialisierung veränderten sich die Organisationsformen von Arbeit für einen Großteil der Bevölkerung. Das Zusammenleben mehrerer Generationen mit zugehörigen Arbeitskräften unter einem Dach (das ‚ganze Haus’) wurde abgelöst durch die Kleinfamilie. Sie entwickelte sich erst im Zuge der Industrialisierung, als es die Menschen in die Städte zog und außerhäusliche Arbeit sprunghaft anstieg.11 Während in den Familien der Arbeiterschaft das Geld in der Regel nur dann zum Überleben reichte, wenn beide Eltern arbeiten gingen (die Kinder waren zu Hause auf sich allein gestellt, mussten aber häufig auch schon in jungen Jahren zum Familienunterhalt beitragen), bildete sich im Bürgertum die geschlechtsspezifische innerfamiliale Arbeitsteilung heraus, nach der Frauen für die häusliche Reproduktionsarbeit und Männer für die gesellschaftliche Produktion zuständig waren (vgl.: Hausen 1976). Die Herausbildung der Kleinfamilie zog die Diskriminierung lediger Mütter nach sich. Vor allem in den bürgerlichen Schichten haben solche Diskriminierungen eine lang zurück reichende Geschichte mit Sanktionsmechanismen bis zur körperlichen Züchtigung. In den nicht besitzenden Schichten waren ledige Mütter eher akzeptiert. Mütter blieben aus unterschiedlichen Gründen häufig alleine mit ihren Kindern zurück. Vater-Familien entstanden damals ausschließlich durch Verwitwung (NaveHerz und Krüger 1992: 62). Bis zu den Reformen des Scheidungsrechts in Ost 11 Es zeigen sich hier unterschiedliche Verläufe und Ungleichzeitigkeiten in verschiedenen Berufen: So hielt sich bei den Bauern die Organisationsform des ‚ganzen Hauses’ am längsten und auch in den Heimarbeiterfamilien fanden sich von sonstiger Arbeiterschaft und Bürgertum abweichende Organisationsformen (vgl.: Hausen 1976).
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und West in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Scheidung in den bürgerlichen Schichten so gut wie unbekannt und wurde möglichst durch die ‚Trennung von Bett und Tisch’ innerhalb eines Haushalts vermieden12 (ebd.). Selbst wenn jedoch getrennte Haushalte zu Stande kamen, führte dies in den besitzenden Schichten durch die Anwesenheit von Hausangestellten kaum zum Zustand des ‚Alleinerziehens’. In den nicht besitzenden Schichten dagegen war die Konsequenz aus dem Scheitern einer Ehe in der Regel die vollständige räumliche Trennung. Finanzielle Unterstützung durch den anderen Elternteil stand normalerweise nicht zur Verfügung. Die schichtunabhängig und durch Scheidung entstehende Ein-Elter-Familie ist also ein historisch neuartiges Phänomen, welches erst im 20. Jahrhundert zunehmend in Erscheinung tritt und zwar mit einem deutlichen quantitativen Vorsprung der Mutter-Kind vor der VaterKind-Familie (ebd.). Im Laufe der Zeit veränderten Diskurse über Männer und Frauen ihr Bezugssystem von Standesdefinitionen hin zu Charakterdefinitionen (ebd.: 370). Männern war der Zugang zu weiten Teilen des öffentlichen Raumes und damit zu einer gewissen Unabhängigkeit gesichert. Gleichzeitig waren jedoch mit der Zuständigkeit der Männer für Erwerbsarbeit – schichtabhängig in unterschiedlichem Maße – aber immer auch die mit Erwerbsarbeit einhergehenden Zwänge verbunden. Haus- und Familienarbeiten als ‚weibliche Tätigkeiten’ dagegen ziehen bis zur heutigen Zeit materielle Abhängigkeitsverhältnisse von Verwandtschaft bzw. Staat nach sich.13 Trotz gesellschaftlichen Wandels von Vater- und Mutterbildern sowie ansteigender Frauenerwerbstätigkeit bzw. Müttererwerbstätigkeit (Nave-Herz 2001) lassen sich starke Beharrungstendenzen traditioneller Strukturen im Geschlechterverhältnis feststellen. Dies trifft in besonderem Maße auf die Aufteilung der in einer Familie anfallenden Haus- und ErziehungsArbeiten zu (Reichart und Pfister 2002; Rohmann, Schmohr und Bierhoff 2002). Die Verteilung von Familien- und Erwerbsarbeit zwischen den Geschlechtern ist ein Thema, welches die Frauen- und Geschlechterforschung seit ihren Anfängen beschäftigt.
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Unter ‚Trennung von Bett und Tisch’ ist die räumliche Trennung innerhalb eines Haushaltes zu verstehen. In den beengten Wohnverhältnissen der nicht besitzenden Schichten war dies i. d. R. nicht möglich. 13 Die Auswirkungen materieller Abhängigkeitsverhältnisse für die Gruppe der Alleinerziehenden werden ausführlich in den Kapiteln 4 und 6 dargelegt.
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Von der Frauenforschung zur Geschlechterforschung Seit den späten 60er Jahren hat die Frauenforschung14 in Westdeutschland die Geschlechterzugehörigkeit als wesentliches Unterscheidungskriterium für den Zugang zu Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Macht herausgearbeitet.15 Dabei konnte auf die Arbeiten von Garfinkel (Garfinkel 1967) und Goffman (Goffman 2001 [1977]) (vgl. Kap.2.4) zurückgegriffen werden. Es gab enge Beziehungen zwischen der Frauenbewegung und der Frauenforschung. Die Frauenbewegung setzte das Recht auf Abtreibung durch und machte Vergewaltigung in der Ehe zum öffentlichen Thema. In den 70er und 80er Jahren entwickelten sich innerhalb der westdeutschen Frauenbewegung unterschiedliche Richtungen. Die einen traten für gleiche Rechte ein, die sie damit begründeten, dass Frauen die gleichen Fähigkeiten wie Männer hätten. Sie suchten beruflich neue Wege und strebten auch für Frauen gesellschaftliche Machtpositionen an. Elementar gefordert und teilweise durchgesetzt wurden gleiche Bildungs- und Berufschancen für Frauen wie für Männer (Gleichheitsansatz). Die Verfechterinnen der so genannten Differenzposition hielten dem entgegen, dass sich dahinter die „Angleichung an die männliche Welt“ (zusammenfassend Heintz 1993: 21) verberge, die „mit dem Verzicht auf Anderssein erkauft“ (ebd.) werde. Sie werteten das spezifisch Weibliche auf. Diese Kontroverse spiegelt sich bis heute in unterschiedlichen theoretischen Positionen in der Frauen- und Geschlechterforschung. In der Frauenforschung der 70er und 80er Jahre wurden die subjektive wie gesellschaftliche Bedeutung von Hausarbeit, die Geschlechtssegmentierungen des Arbeitsmarktes sowie das Verhältnis zwischen Haus - und Erwerbsarbeit analysiert. (vgl. kritisch zusammenfassend: Gottschall 2000). In der viel diskutierten Theorie vom ‚weiblichen Arbeitsvermögen’ (Beck-Gernsheim 1976; Ostner 1978) wurde z. B. die Bewältigung von Haus- und Familienarbeit als spezifisch weibliche Qualität herausgearbeitet. Geschlechtsspezifische Fähigkeiten wurden in ihrer Vermittlung durch den Sozialisationsprozess untersucht und als „Folge wie auch Voraussetzung der geschlechtsspezifischen 14
Mit dem Begriff ‚Frauenforschung’ wird hier die Forschung der 60er und 70er Jahre zu Benachteiligungen der weiblichen Bevölkerung bezeichnet, welche auch damals so genannt wurde. Seit den 80er Jahren hat sich mit der Öffnung der Fragestellungen hin zum Verhältnis der Geschlechter die Bezeichnung ‚Geschlechterforschung’ mehr und mehr durchgesetzt. Daher wird dieser Begriff für die Beschreibung der Theorien ab diesem Zeitraum verwendet. 15 Die westdeutsche Frauenbewegung bestand im Wesentlichen aus weißen Mittelschichtsfrauen. Die Bedeutung von Herkunft in kultureller und schichtspezifischer Hinsicht wurde in den 70er Jahren kaum in Theorie und Praxis integriert. Diese elitäre Sichtweise wurde in den 70er Jahren von Arbeiterinnen und in den 80er Jahren vor Allem von Seiten schwarzer Frauen scharf kritisiert und führte zu Erweiterungen der theoretischen Konzeptionen.
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Arbeitsteilung“ verstanden (Beck-Gernsheim 1976: 48). Gleichzeitig besteht im Konzept des ‚weiblichen Arbeitsvermögens’ die Tendenz zur Festschreibung der Frau als eines Charakters, der „weniger als der Mann die ‚Fähigkeit’ zu beruflichem Konkurrenzverhalten, Aggressivität und Härte besitzt“ (ebd.: 172). Die ‚Reproduktionsbezogenheit’ des ‚weiblichen Arbeitsvermögens’ wird nicht als vollständig sozialisatorisch erworben, sondern als immer auch naturgemäß gegeben verstanden (Ostner 1978: 192). Das Konzept des weiblichen Arbeitsvermögens ist ein Beispiel für jene Teile der Frauenforschung, in welchen die Existenz eines ‚weiblichen Lebenszusammenhanges’ hervorgehoben wird. Dies wird als Fortschreibung der binären Geschlechterordnung auf der symbolischen Ebene kritisiert (kritisch: Knapp 1990). Jene Ansätze, die an der Rekonstruktion eines ‚weiblichen Sozialcharakters’ beteiligt sind, haben Folgendes gemeinsam: „Ihre zentralen Kategorien, in denen Eigenschaften und Verhaltensweisen von Frauen als „spezifisch weibliche“ gebündelt sind, bleiben in dem polarisierenden Schema des Geschlechterdualismus befangen, dessen gesellschaftliche Realität sie kritisieren. Aus dem Blick geraten damit sowohl jene Potentiale oder Eigenschaften von Frauen, die auf der bipolaren Skala der Geschlechterklischees als genuin „männliche“ gelten (z. B. Sachlichkeit und Durchsetzungsvermögen) als auch solche, die nicht im engeren Einzugsbereich von „Geschlechtseigenschaften“ liegen.“ (Knapp 1990: 20/21)
Das Konzept der ‚doppelten Vergesellschaftung’ hingegen analysiert die gleichzeitige Einbindung von Frauen in Produktions- und Reproduktionsbereichen und stellt dies der männlichen Konzentration auf Erwerbsarbeit gegenüber (Becker-Schmidt 1987a; Knapp 1990). Vor diesem Hintergrund werden die differierenden Chancen auf Anerkennung und die geringeren Aussichten auf angemessene Entlohnung der Frauen analysiert. Dabei werden gesellschaftstheoretische wie subjekttheoretische Ansätze herangezogen. Der subjekttheoretische Zugang deckt die widerständigen Potentiale auf, die sich aus den Ambivalenzen von Wirklichkeit entwickeln können. Deren Vielfalt werde im Konzept des ‚weiblichen Arbeitsvermögens’ vernachlässigt: „Die Betonung der weiblichen Reproduktionsfähigkeit lenkt ab von der Vielfältigkeit weiblicher Potentialität und Handlungsfähigkeit.“ (Becker-Schmidt 1987a: 16) „Der Versuch den Subjektbegriff frauenspezifisch zu substantiieren“ (ebd.), wird als ahistorisch abgelehnt. Herausgearbeitet wird im Konzept der ‚doppelten Vergesellschaftung’ auch die Gleichzeitigkeit von Unterdrückung und Emanzipation, die sich sowohl durch Generationen als auch durch die einzelnen Lebensläufe ziehe:
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„Frauen machen in unterschiedlichen Praxisfeldern durchaus gegenläufige Erfahrungen von Ermutigung und Niederlagen, von Fortschritten und Stagnationen. Von daher können auch Befreiungsversuche nicht gradlinig, gleichmäßig und in allen Lebenslagen synchron ablaufen.“ (Becker-Schmidt 1987a: 20/21)
Dieses Konzept wirkt sich auf das Verständnis von ‚geschlechtsspezifischer Sozialisation’ aus. Demnach kann Sozialisation nicht mehr als sozialisatorische Hinführung zu mit Geschlecht verknüpften Eigenschaften verstanden werden. Vielmehr müssen Sozialisationseinflüsse, welche aus habitualisierten geschlechtsspezifischen Berufswahlen sowie gesellschaftlich Erwerbsarbeitszeiten und –normen entspringen, in den Blick genommen werden. Dabei geht die Theorie von der „doppelten Vergesellschaftung“ der Frauen davon aus, „daß der Bezug auf außerfamiliale Tätigkeit und Praxisfelder in ihrer Bedürfnisstruktur verankert, zum eigenständigen Motiv wird. Die Zerreißproben, denen Frauen ausgesetzt sind bei dem Versuch, beides unter gegebenen Bedingungen zu leben und die Kosten, die sie dabei tragen, deuten auf die objektive Unvereinbarkeit dieser Bedürfnisse mit den historisch entwickelten Strukturen von Arbeit und Arbeitsteilung in der Erwerbsphäre und im Privaten. Daß sie es immer wieder – und zwar nicht allein aus ökonomischen Gründen – versuchen, verweist auf die starke Verankerung von nicht-familiaristischen Motiven in den Subjekten.“ (Knapp 1990: 28)
Subjektivität wird hier als paralleler Vorgang von Vergesellschaftung und Individuation verstanden. Der Ursprung des Doppelcharakters subjektiver Konstitutionsprozesse wird von Becker-Schmidt folgendermaßen beschrieben: „In der Differenzierung seines Inneren, in der Strukturierung seiner psychischen Regulative und Systeme ist das Subjekt Ausdruck seiner Trieb- und Erkenntnisschicksale. In dieser intrapsychischen Dynamik ist es aktiv und passiv, Opfer und Täter. Es ist abhängig von den Triebobjekten und den Erkenntnischancen, die die Umwelt bereithält. Es nimmt aber ebenso Objektwahlen und Besetzungen nach den eigenen Bedürfnissen vor. Die Phantasietätigkeit, die Fähigkeit zur Imagination, unterläuft die Grenzsetzung von Erlaubtem und Verbotenem und bringt – gegenüber der objektiven Realität – eine psychische ins Spiel. So erhalten sich Wünsche und Erfahrungen am Leben, die in Wirklichkeit sanktioniert sein würden. Das macht das Subjekt schwer erziehbar, gegen Zähmung widerspenstig.“ (BeckerSchmidt 1987a: 17)
Wünsche und Phantasien können der Ausgangspunkt sein, von dem aus die Haltung gegenüber der gesellschaftlichen Wirklichkeit verändert und subjektive Spielräume in der Konstruktion von Geschlecht und Familie entwickelt werden. Die interaktive Subjektkonstitution muss in einem gegenständlichen Rahmen 33
gedacht werden, soziale Kontexte haben wesentlichen Einfluss auf diesen Prozess. Die oben gegebene Definition der Subjektentwicklung umfasst sowohl das Moment der Bestimmtheit durch äußere – personelle wie strukturelle – Gegebenheiten, als auch den Aspekt der Autonomie, der Bedürfnisse, die zu eigener Suche und Entscheidung, zu Um- und Abwegen, zu Widerspenstigkeit und damit zu einer Entwicklung außerhalb der Norm führen können. Die ‚doppelte Vergesellschaftung’ trifft auf Alleinerziehende – und hier auf Frauen wie Männer - in zugespitztem Maße zu, da diese die Erziehungs- und Hausarbeit vollständig allein tragen und gleichzeitig die Existenz der Familie sichern müssen. Gleichzeitig zeigt sich dieses Konzept als anschlussfähig für die Fragestellung dieser Arbeit, da hier „die Reproduktion des Geschlechterverhältnisses nicht nur als soziostrukturell und subjektiv, sondern wesentlich auch als soziosymbolisch vermittelt begriffen wird. Symbolischen Ordnungen (insbesondere Sprache) und kulturellen Repräsentationen des Geschlechterverhältnisses und der Geschlechterdifferenz im weitesten Sinn werden ein besonderer Stellenwert und eine gewisse Eigenlogik zuerkannt.“ (Gottschall 2000: 180)
Das Konzept der ‚doppelten Vergesellschaftung’ verändert die Untersuchungsperspektive: „weg von der Suche nach individuellen Ausprägungen von ‚Männlichkeit’ und ‚Weiblichkeit’ und korrespondierenden Eigenschaften hin zur Konzeptualisierung von Geschlecht als sozio-symbolischen Deutungs- und Strukturzusammenhang, innerhalb dessen Individuen sich und andere als Männer und Frauen wahrnehmen und nach dessen Maßgaben sie interagieren, sowie zur Untersuchung der Prozesse und Mechanismen seiner Tradierung und Veränderung.“ (Knapp 1995: 165)
Die theoretische Diskussion erweiterte sich um ethnomethodologische und sozialkonstruktivistische Perspektiven, welche die Sicht auf die eigene Kultur mit grundsätzlicher Infragestellung bisher unbezweifelter Kategorien ermöglichen. Die ständige, alltägliche Konstruktion von Geschlecht in der Interaktion rückte nun ins Zentrum des Interesses. Im Englischen führte dies zu der begrifflichen Unterscheidung in Sex und Gender. Dabei meint „’Sex’ (…) die natürliche Geschlechtszugehörigkeit, das sichtbare biologische Geschlecht, die Ebene der Physiologie und Anatomie. Mit ‚gender’ dagegen ist das kulturell variable soziale Geschlecht gemeint – die geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen, Verhaltensweisen und sozialen Positionierungen.“ (Heintz 1993: 19)
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In der deutschen Sprache ist eine solche begriffliche Unterscheidung nicht verfügbar. Mit dem Begriff ‚Geschlecht’ werden hier sowohl körperliche Merkmale, als auch kulturelle Zuordnungen von Attributen zu diesen Merkmalen bezeichnet. Daher wurden die Begriffe Sex und Gender von der deutschen Geschlechterforschung übernommen. Der Begriff Gender hat inzwischen sowohl in den Sozialwissenschaften als auch in der Sozialpolitik allgemeine Gültigkeit erlangt, wie z. B. die weite Verbreitung von Maßnahmen zum Gender Mainstreaming16 zeigt. Durch postmoderne TheoretikerInnen wie z. B. Butler (Butler 1991 [1990]) werden Konstruktionsprozesse von Zweigeschlechtlichkeit in erster Linie auf sprachlich-diskursive Prozesse zurückgeführt. Butler betrachtet nicht nur Gender sondern auch Sex als kulturelles Produkt und verwirft die Annahme einer biologischen Zweigeschlechtlichkeit.17 Allerdings ist trotz der inzwischen erreichten weiten Verbreitung des Gender – Begriffes nicht unbedingt davon auszugehen, dass das Verständnis von Geschlecht als kulturell konstruierte Kategorie Eingang in das Bewusstsein der Mehrheit der Subjekte gefunden hat. Vielmehr scheint im Laufe der Jahrhunderte die Natürlichkeit der Kategorien Frau und Mann bzw. Weiblichkeit und Männlichkeit in einem hohen Maße in das Alltagswissen dieser Gesellschaft eingegangen zu sein. Dabei ist die Bestimmung des Geschlechts über medizinische Diagnosen weit weniger eindeutig als gemeinhin angenommen: „Gerade die Biologie mit der exakten, naturwissenschaftlichen Methodik zeigt uns, wie vielfältig die Erscheinungsformen weiblicher und männlicher Individuen und wie fließend die Übergänge von Frau zu Mann sind.“ (Christiansen 1995: 13)
Die fortschreitend weiter differenzierten Untersuchungsmöglichkeiten chromosomaler, gonadaler18, hormonaler und morphologischer Aspekte stellen die Existenz von nur zwei Geschlechtern in Frage: „Je genauer die naturwissenschaftlichen Bestimmungsmethoden werden, um so schwerer fällt die 16
Mit Gender Mainstreaming wird das Bestreben, Geschlechtergerechtigkeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen durchzusetzen, bezeichnet. Der Begriff setzte sich nach der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 durch. Gender Mainstreaming ist seit 1997 in Folge des Amsterdamer Vertrages ein offizielles Ziel der EU-Politik. 17 Judith Butlers Buch: ‚Das Unbehagen der Geschlechter’ (Butler 1991 [1990]) wurde vielfach als Negierung der Bedeutung von Körperlichkeit interpretiert und kritisiert. In ‚Körper von Gewicht’ (Butler 1995 [1993]) korrigiert sie dieses Missverständnis. 18 „Das gonadale Geschlecht bezieht sich auf die Ausbildung der Keimdrüsen oder Gonaden beim Menschen. In beiden Geschlechtern wird in der frühesten Entwicklungsphase nach Verschmelzung der beiden Keimzellen die gleiche embryonale Anlage für die Geschlechtsorgane gebildet. Erst im Laufe der embryonalen Entwicklung erfolgt dann die Festlegung in die männliche oder die weibliche Richtung.“ (Christiansen 1995: 18)
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Bestimmung der Geschlechter.“ (Knoblauch 2002: 117)19 Auch die Kenntnis von Kulturen, in welchen die Existenz von mehr als zwei Geschlechtern sowie der Wechsel des Geschlechts im Lebensverlauf zur Normalität gesellschaftlichen Lebens gehört, bringen Zweifel in die gemeinhin als natürlich angenommene Unterscheidung zwischen Frauen und Männern (Christiansen 1995: 16-17; Hagemann-White 1988; Heintz 1993: 19). In Ausblendung dieser Uneindeutigkeiten stellt die in vielen Gesellschaften verbreitete binäre Zuordnung der Menschen über den ‚kleinen Unterschied’ jedoch nach wie vor ein wesentliches Merkmal für deren soziales und kulturelles System dar.
2.2 Definitionen: Diskurse und Leitbilder Unter einem Leitbild wird hier ein Konstrukt verstanden, in dem einzelne Elemente zu einem Vorstellungsinhalt verbunden werden. Dieses Konstrukt wird durch normative Überhöhung positiv bewertet und herausgestellt, findet weite gesellschaftliche Verbreitung und prägt sich durch Wiederholung ein. Die Abgrenzung vom Begriff der Norm liegt in einer geringeren Präzision, dem eher ideal- bzw. vorbildhaften Charakter und den größeren Handlungsoptionen der Subjekte. Die wissenschaftliche Verwendung des Diskursbegriffs20 in dieser Arbeit geht auf die Prägung dieses Begriffes durch den Philosophen Foucault21 zurück. Foucault definiert Diskurse als „die Produktion von Wissen durch Sprache“ (Hall 1994: 150). Weiterhin bezeichnet der Diskursbegriff „eine Menge von Aussagen (…), insoweit sie zur selben diskursiven Formation gehören“ (Foucault 1981 [1973]: 170). Dabei werden unter diskursiven Formationen „im strengen Sinne Aussagegruppen“ (ebd.: 168) verstanden. Im Foucaultschen Verständnis sind Diskurse weder neutral oder zufällig noch geschlossene Systeme. Vielmehr sind sie in Überschneidungsbereichen von Macht und Wissen angesiedelt und bestimmten Regeln unterworfen: „Ich setze voraus, dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird.“ (Foucault 1993 [1972]: 10/11) Kontrolle und Selektion funktionieren über Ausschließungspraxen in Form von 19 Vgl. auch, den damaligen Forschungsstand zusammenfassend Hagemann White: (HagemannWhite 1984: 34ff.). 20 Die Bezeichnung ‚Diskurs’ ist inzwischen in die Alltagssprache eingegangen und wird fälschlicherweise oftmals mit Text oder Rede gleichgesetzt. 21 Die Philosophie Foucaults wird dem Poststrukturalismus zugeordnet und basiert auf der Sprachtheorie von Ferdinand de Saussure sowie deren Bezug auf Geistes- und Sozialwissenschaften durch den Ethnologen Claude Lévi-Strauss (vgl. zusammenfassend.: Keller 2004: 14ff.).
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Verboten, Grenzziehungen und Verwerfungen (ebd.). Auch die „Verknappung der sprechenden Subjekte“ (ebd.: 26), womit die Begrenzung der Anzahl von Individuen gemeint ist, welche die Möglichkeit haben, sich in bestimmte Diskurse einzumischen, wird von Foucault als Ausschließungssystem bezeichnet. Diskursive Regeln bestimmen „die Gegenstände, die in einem Diskurs zur Sprache kommen können, die Subjektpositionen, die in ihm eingenommen werden können, die Begriffe, die in ihm verwendet werden können und die Theorien, die ihn prägen.“ (Raab 1998: 27)
Der Diskursbegriff beschreibt „nicht nur die Organisation des Wissens, also eine Form, sondern auch seine Produktion, also eine Praxis“ (Konersmann 1993: 77). Da sich Foucaults Gesellschaftsanalyse jedoch keineswegs auf die Untersuchung sprachlich-diskursiver Räume beschränkte, entwickelte er den Begriff des Dispositivs, worunter die Verflechtung der diskursiven Ebene mit Institutionen zu verstehen ist: „Als Dispositiv versteht Foucault dementsprechend das Zusammenspiel diskursiver und nicht-diskursiver Machtpraktiken, sowie deren involviert sein in die Produktion von Wissen.“ (Raab 1998: 28/29)
Kommt es zu einer derartigen Konzentration von diskursivem Einfluss, dass die Essenz eines Diskurses zu einem moralischen und praktischen Orientierungsmuster für eine Gesellschaft wird, so kann von einem Leitbild gesprochen werden, welches zur „Überführung beobachteter Normalität in gesetzte Normativität“ (Bohrhardt 1999: 24) führt. Familienleitbilder sind sowohl mit Konstruktionen von Geschlecht, als auch mit Vorstellungen von Sexualität verknüpft. Gegenwärtig ist in Deutschland nach wie vor die heterosexuelle Kleinfamilie als das Leitbild zu betrachten, dem gegenüber andere Familienformen wie homosexuelle Eltern und Alleinerziehende unter Rechtfertigungsdruck stehen.
2.3 Lebenslaufforschung und Statuskonfiguration Zwischen Diskursen und Institutionen bestehen Wechselwirkungen. Individuelle Lebensläufe werden durch die so entstehenden Konfigurationen geprägt, können in mehr oder weniger großem Ausmaß jedoch auch Einfluss auf sie nehmen:22 22 Es besteht nicht der Anspruch, an dieser Stelle eine umfassende Einführung in die Lebenslaufforschung zu geben. Vielmehr sollen die für diese Arbeit relevanten Anschlüsse herausgearbeitet
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„Die soziale Strukturiertheit einer Gesellschaft erschließt sich über den Blick auf die individuelles Leben gestaltenden und durch sie gestalteten Institutionen.“ (Born, Krüger und Lorenz-Meyer 1996: 18)
Dabei wird unter einem Lebenslauf die Abfolge von Sequenzen und Übergängen im chronologischen Verlauf subjektiven Älterwerdens verstanden, wie insbesondere Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter. Doch zunächst zur Klärung des Institutionenbegriffs: Unter ‚Institutionen’ bzw. ‚Institutionalisierung’ werden – je nach Sinnzusammenhang - drei voneinander unterscheidbare Elemente gefasst. Dies sind erstens strukturelle Institutionen, zweitens soziale Institutionen und drittens Prozesse der Institutionalisierung von Handlungsmustern. Der relativ eng gefasste strukturelle Institutionenbegriff bezeichnet jene Ämter, Behörden und andere staatlich organisierte Stellen, in denen z. B. Bildungs- und Gesundheitsprogramme sowie sozialstaatliche Maßnahmen organisiert und durchgesetzt werden. Hier sind im Leben Alleinerziehender vor allem Institutionen der Kinderbetreuung und Bildung, Arbeitsmarkt, Bildungsmöglichkeiten im Erwachsenenalter sowie Jugend- Sozial- und Arbeitsamt relevant. Der Begriff der sozialen Institutionen bezieht sich auf Formen des Zusammenlebens von Menschen, welche über die Zeit hinweg eine Norm setzende Wirkung entfaltet haben, wie z. B. Ehe und Familie. Auch wenn in Zeiten des sozialen Wandels in Deutschland kaum jemand mehr unter dem Zwang steht, zu heiraten oder eine Familie zu gründen und insofern ein Prozess der Deinstitutionalisierung der Ehe zu konstatieren ist, besteht der normierende Charakter dieser sozialen Institutionen weiterhin. Sie erfordern eine Auseinandersetzung der Subjekte im individuellen Lebenslauf (also einen Entscheidungsprozess für oder gegen Heirat bzw. Familie). Gleichzeitig wird die Ehe gegenüber anderen Lebensformen durch rechtliche und steuerliche Ordnungen bevorzugt.23
werden. Zur Lebenslaufforschung vergleiche einführend: (Heinz 1994), sowie im Detail: (Born und Krüger 2001; Leisering, Müller und Schumann 2001; Mortimer 2003; Sackmann und Wingens 2001a) Unter dem Begriff Lebenslauf werden objektiv nachvollziehbare Sequenzen gefasst. Biographie-forschung dagegen beschäftigt sich mit subjektiven Sichtweisen auf das eigene Leben. Da in der hier vorliegenden Arbeit beide Ebenen erfasst werden, werden Erkenntnisse aus Lebenslauf- und Biographieforschung herangezogen. 23 Zur Diskussion von Institutionalisierungs- und Deinstitutionalisierungs- Prozessen siehe Tyrell (Tyrell 1990), zur steuerlichen Benachteiligung Alleinerziehender vergleiche Schwan (Schwan 1997).
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Der Begriff der Institutionalisierung bezieht sich auf die Handlungsebene. Die Habitualisierung von Handlungen führt zu deren Verhärtung und Etablierung in klar umrissener Form. „Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden. Jede Typisierung, die auf diese Weise vorgenommen wird, ist eine Institution. (…) Wenn habitualisierte Handlungen Institutionen begründen, so sind die entsprechenden Typisierungen Allgemeingut. Sie sind für alle Mitglieder der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe erreichbar.“ (Berger und Luckmann 1999 [1969]: 58)
Diese Institutionalisierungen werden durch Maßnahmen der sozialen Kontrolle abgesichert und durch theoretische Konstruktionen und strukturelle Organisationen legitimiert (ebd.: 98ff.). Es wird hier deutlich, dass sowohl sozialen als auch strukturellen Institutionen Prozesse der Institutionalisierung vorausgehen. Institutionalisierungsprozesse und ihre Verhärtungen in sozialen wie strukturellen Institutionen stehen in ständigem wechselseitigen Prozess der Einflussnahme. In den Lebensverläufen Alleinerziehender beanspruchen soziale und strukturelle Institutionen wie Familie und Arbeitsmarkt die Subjekte in besonderem Maße gleichzeitig. Ob die hier entstehenden Anforderungen an die Subjekte subjektiv leistbar sind, hängt wesentlich von der Ausgestaltung sozialstaatlicher Rahmungen wie Kinderbetreuung und materiellen Zuschüssen ab. Ist die Lebensform „Alleinerziehend“ jedoch nicht in einem Maße institutionalisiert, dass ihre Anerkennung und Unterstützung als allgemeines gesellschaftliches Interesse gilt, so ist zu vermuten, dass sich dies in ungenügenden strukturellen Rahmenbedingungen niederschlagen wird. Krüger untersucht das Gendering von Institutionen, die für die Berufs- und Familienbiographien von Frauen und Männern relevant sind. Sie stellt heraus, wie diese Institutionen als Strukturgeber der fortwährenden Benachteiligung der weiblichen Genus-Gruppe gegenüber der männlichen funktionieren (vgl.: Krüger 1995). Auch Familie wird hier nicht nur unter dem Aspekt der Produktion und Reproduktion kultureller Leitbilder, sondern als historisch gewachsene spezifische Organisationsform betrachtet, durch die Rahmungen, Begrenzungen und Zwänge subjektiver Handlungsmöglichkeiten vorgegeben werden. Die Aufgabenteilung von Familienarbeit unter den Geschlechtern bewirkt, dass Väter ihrem Berufsleben in der Regel ungeachtet ihres derzeitigen Familienstatus nachkommen können, während Mütter sich in einer ständigen Balance von zwei gegenläufigen Planungsperspektiven befinden. Die familiale Aufgabenteilung wird von den Struktur- gebenden spezifischen Verknüpfungslogiken der für Familie und Erwerbstätigkeit relevanten Institutionen (Arbeitsmarkt,
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Kinderbetreuung etc.) beeinflusst. Sie bilden die Rahmungen für subjektive Aushandlungsprozesse.
Der Lebenslauf als Institution Theorien über die Institutionalisierung des Lebenslaufs gehen davon aus, dass Lebensläufe mehr oder weniger klar etablierten Mustern folgen. Passagen und Stadien von Partizipation, Position und Rollen-Konfiguration korrespondieren in gewissem Maße mit Modellen, die ‚Normalbiographie’ bzw. ‚Standard-Lebenslauf’ genannt werden. Eine weit reichende Veränderung in den industrialisierten Gesellschaften seit der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ist die Annäherung von weiblicher und männlicher Normalbiographie, deren größter Unterschied darin lag, dass für Männer eine berufliche Karriere mit Familie vereinbar war, für Frauen jedoch in der Regel nicht. Das zu Anfang der Lebenslaufforschung entworfene Drei–Phasen-Modell des Lebenslaufs, womit der durch InstitutionenAbhängigkeit in die chronologisch aufeinander folgenden Abschnitte Bildung, Arbeit und Verrentung gegliederte Lebenslauf gemeint war (Kohli 1985; Kohli 1991), bezog sich auf die männliche Normalbiographie. Die Institution Familie wurde – Mustern männlicher Lebensführung folgend - nur als nebenher laufender Zusatz zur Erwerbsarbeit erfasst24. Für alle diejenigen jedoch, die Verantwortung für die Versorgung von Kindern übernehmen25, stellt die Familie einen Arbeitsbereich mit hohen zeitlichen, emotionalen und organisatorischen Anforderungen dar (siehe z. B. Hochschild 1997). Diese Anforderungen können zu zeitweiligem Ausstieg aus dem Erwerbsleben zwingen bzw. reduzierte Arbeitszeiten erforderlich machen. Die „Bindung der Lebensereignisse an das chronologische Alter“ (Kohli 1985: 19) wird neben natürlichen auch und zentral durch institutionelle Rahmungen bestimmt. Sowohl das erodierende Normalarbeitsverhältnis und die zunehmende Frauenerwerbstätigkeit als auch die wachsende Anzahl und Akzeptanz vielfältiger familialer Lebensformen wie 24
Obwohl Kohli hier bereits eine Studie erwähnt, in der sieben verschiedene Typen der Lebensläufe von Frauen untersucht werden (Kohli 1985: 7), bezieht sich seine weitere Theoriebildung zu diesem Zeitpunkt ausschließlich auf Menschen, die keine Familienarbeit leisten: „Das Bildungs- und das Rentensystem sind die organisatorischen Träger der Ausdifferenzierung der wichtigsten Lebensphasen; auf ihrer Grundlage konstituiert sich die Dreiteilung des Lebenslaufs.“ (Kohli 1985: 9) Auch in Kohlis Formulierung von 1991 werden Lebensläufe von erwerbstätigen Männern zur Norm erhoben: „Für die Männer gilt immer noch fast ausschließlich das Modell des dauerhaften Vollzeiterwerbs; die steigende Erwerbsbeteiligung der Frauen – wenn auch mit höherem Anteil an Teilzeitbeschäftigung – hat zur Folge, dass sie sich ebenfalls zunehmend in diese arbeitsgesellschaftliche Normalbiographie integrieren.“ (Kohli 1991: 313) 25 Folgende Aussagen gelten auch für Personen, die sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern.
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Alleinerziehen, ‚Patchwork- Familie’ etc. sprechen dafür, perspektivisch die Rede vom männlichen und weiblichen Lebensverlauf aufzugeben. Hilfreich wäre stattdessen die analytische Integration unterschiedlicher Formen von Arbeit, bzw. Sequenzen von Arbeitslosigkeit mit oder ohne Chancen zum Wiedereinstieg. In diesem Zusammenhang wird in der Lebenslaufforschung die These von der De- Standarisierung bzw. De- Institutionalisierung des Lebenslaufs (Kohli 1991) diskutiert, die im Extrem mit dem Verschwinden jeglicher Normalbiographie gleichzusetzen ist.
Statuskonfigurationen in der Lebenslaufforschung Hilfreich für die Analyse vielfältiger Verläufe von Arbeit ist die Untersuchung von Lebensläufen als Status-Biographien nach Levy (Levy 1996). Mit StatusBiographie bezeichnet Levy die subjektive Bewegung durch eine sich wandelnde Konfiguration von Rollen, Positionen und Partizipationen im Verlauf des Lebens. Diese wird sowohl von strukturellen als auch von kulturellen Aspekten beeinflusst. Der Status der Subjekte wird Levy zu Folge vor allem von drei Aspekten beeinflusst: Erstens von der sozialen Umgebung (social location), zweitens von der spezifischen Position in den Strukturen der sozialen Umgebung (structural aspect) und drittens durch kulturelle Rollen und Normen, die mit der jeweiligen Partizipation und Position verbunden sind. Die soziale Verortung der Subjekte ergibt sich nach Levy im Wesentlichen durch die Partizipation an Konfigurationen in diesen drei Feldern. Levys Analyse von Lebensläufen als Statusbiographien bietet die Möglichkeit zur Erforschung der gegenseitigen Einflussnahme dieser verschiedenen Aspekte. Levy selbst untersucht schwerpunktmäßig die Effekte struktureller Bedingungen auf individuelle Status-Biographien und Handlungsstrategien. Die Einbeziehung der hierarchischen Grundstruktur der Gesellschaft ist für seine Theorie von großer Bedeutung: „Ähnlich wie die klassenartig geschichtete Gesamtgesellschaft (interindividuelles Schichtungssystem) sind auch die institutionellen Ordnungen der Gesellschaft in sich hierarchisch geschichtet, so dass sie hinsichtlich des interindividuellen Schichtungssystems als Statuslinien bezeichnet werden können. Die Stellung eines Mitglieds in der Struktur seiner Gesellschaft kann durch die Gesamtheit seiner Positionen in den Sektoren, an denen es partizipiert, beschrieben werden, mit anderen Worten durch seine Statuskonfiguration.“ (Levy 1977: 28)
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Levy unterscheidet „drei voneinander analytisch, aber nicht empirisch unabhängige Dimensionen, die zur Stellung eines Individuums in der gesamtgesellschaftlichen Struktur gehören: 1. die generelle Position im interindividuellen Schichtungssystem; 2. die Verhältnisse zwischen den einzelnen Komponenten der Statuskonfiguration; 3. der Umfang der Statuskonfiguration.“ (ebd.)
Er geht davon aus, dass subjektive Tendenzen bestehen, eine möglichst hohe Stellung im interindividuellen Schichtungssystem zu erreichen (Levy 1977: 31). Unzufriedenheiten (Spannungen) im subjektiven Wohlbefinden können aus einer als ungenügend empfundenen Position in der gesellschaftlichen Hierarchie (Rangspannung) entstehen, aus divergierenden Positionen in verschiedenen Handlungsfeldern (Ungleichgewichtsspannung) sowie aus einer, gemessen an kulturellen Bildern und Normen, unvollständigen Statuskonfiguration (Unvollständigkeitsspannung). Für die Lebenssituationen Alleinerziehender können Bildung, Beruf, Einkommen, Wohnsituation und Familie als wesentliche statusrelevante Aspekte betrachtet werden. Dabei birgt der Statusaspekt der Familie verschiedene Unteraspekte in sich, wie z. B. Haushalt, Verhalten der Kinder und Existenz einer Partnerschaft des allein erziehenden Elternteils. Es stellt sich die Frage, ob von den befragten Alleinerziehenden eine Vollständigkeitsnorm der Familie wahrgenommen bzw. konstruiert wird26, welche sie unter Unvollständigkeitsspannung setzt und in welchem Verhältnis diese Unvollständigkeitsspannung zu den anderen Elementen der Statuskonfiguration steht. Dieser Frage wird im empirischen Teil dieser Arbeit nachgegangen. Im Konzept der Statuskonfigurationen finden die Subjekte Handlungsmöglichkeiten wie Begrenzungen u. a. in der Struktur der vorgefundenen Institutionen. Für die Lebenssituationen Alleinerziehender sind von den ‚strukturellen Institutionen’ in besonderem Maße die drei folgenden Aspekte von Bedeutung: Erstens die trotz sozialen Wandels weiterhin nach Geschlecht segregierenden Berufsbildungssysteme und Arbeitsmarktstrukturen (Krüger 2001b), zweitens (nicht genügendes) Vorhandensein und Ausgestaltung von Kinderbetreuungs- Einrichtungen (DJI 2002; Thiersch und Thiersch 2001) sowie drittens wohlfahrtsstaatliche Unterstützungsleistungen bei Erwerbslosigkeit bzw. geringem Einkommen (Heinemann 1998; Scheffler 2002; Schewe 2002). Nach wie vor sind Frauen in schlecht bezahlten Dienstleistungsberufen mit geringen Aufstiegschancen überrepräsentiert (Krüger 1999). Sind diese Frauen allein 26 Levy betont, dass immer dann besondere Probleme entstehen, „wenn über die geltende Vollständigkeitsnorm Unsicherheit besteht“ (Levy 1977: 35).
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verantwortlich für Kinder, so ist das Einkommen in der Regel nicht weit entfernt vom Existenzminimum.27 Auch Altersgrenzen haben hier eine Bedeutung: Bei längerem oder mehrfachem Ausstieg aus Bildung bzw. Erwerbstätigkeit aufgrund von Kindererziehungszeiten wird ein Wiedereinstieg schwieriger oder unmöglich. Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinsrichtungen setzen den beruflichen Möglichkeiten Alleinerziehender (und anderer für Kindererziehung verantwortlicher Eltern) zusätzliche Grenzen. Die Auswertung der Interviews mit Alleinerziehenden wird zeigen, in welchem Maße deren Lebensläufe durch äußere Zwänge bestimmt sind und wo Entscheidungsfreiheiten anzutreffen sind. Welche Bewältigungsstrategien finden Alleinerziehende im Umgang mit den strukturellen Bedingungen ihres Lebens? In welchen Zusammenhängen werden die von Levy beschriebenen StatusSpannungen subjektiv als blockierend empfunden und wann werden kreative Problemlösungsstrategien möglich? Im Anschluss an die bisher behandelten Ebenen der Diskurse, der Leitbilder und der Institutionen richtet sich der Blick nun auf eine weitere maßgebliche Ebene für die Untersuchung subjektiver Konstruktionen von Geschlecht und Familie: die sozialen Interaktionen.
2.4 Sozialisation, Doing Gender und Doing Family Zur Skizzierung der Theorieentwicklung wird zunächst einführend die Entwicklung von eher deterministisch konzipierten Sozialisationskonzepten hin zum Doing Gender- Konzept, welches die Herstellung von Geschlecht in der Interaktion betont, vorgestellt. Das die Interaktionsordnung hervorhebende Gedankenwerk Goffmans dient als Basis für eine Erweiterung des Doing Gender- Konzeptes.
Sozialisation Der Sozialisationsbegriff bezog sich zunächst in erster Linie auf Kindheit und Jugend. Bis in die 60er Jahre wurde unter Sozialisation in der Regel die Prägung des Einzelnen durch die Gesellschaft verstanden. Dabei beherrschte ein eher passives Subjektverständnis gekoppelt mit einem deterministischen Verständnis des Sozialisationsbegriffs die Diskussion. Dieses wandelte sich im Laufe der Zeit zu Gunsten einer Sichtweise, welche dem Subjekt einen aktiveren Part in der 27
Details zu diesem Aspekt finden sich in Kap. 4.3.
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Aneignung von Gesellschaft zusprach und diesen Prozess über den ganzen Lebensverlauf hinweg verortete (Hurrelmann und Ulich 1991). Der Begriff des ‚Doing Biography’ wurde geprägt (vgl.: Heinz 2002). Heute wird mit Sozialisation im Allgemeinen die „Gesamtheit aller Umweltbedingungen, die auf die Subjektentwicklung Einfluss nehmen“ (Tillmann 2003: 10) sowie der „Prozess der aktiven Aneignung“ (ebd.: 12) eben dieser Umweltbedingungen durch die Einzelnen über den ganzen Lebenslauf hinweg bezeichnet.28 Der Begriff der Aneignung wird hier im Sinne von „Selbst-Bildung in sozialen Praktiken“ (Bilden 1991: 280) verstanden, wobei mit sozialen Praktiken „symbolische Interaktionen und gegenständliche Tätigkeiten in ihrer Verschränkung“ (ebd.) gemeint sind.29 Heute wird in den Erziehungswissenschaften im Allgemeinen unter einer gelingenden Sozialisation nicht die erfolgreiche Verinnerlichung gesellschaftlicher Strukturen verstanden, sondern die „erfolgreiche Behauptung der Subjektivität und Identität, nachdem eine Auseinandersetzung mit den sozialen Strukturen stattgefunden hat und auf dieser Basis eine Beteiligung an gesellschaftlichen Aktivitäten erfolgt.“ (Hurrelmann 2002: 21)
Unter differierenden Schwerpunktsetzungen beschäftigen sich u. a. Pädagogik, Psychologie und Soziologie mit Fragen der Sozialisation. In den 70er Jahren erlebte die Sozialisationsforschung im Zuge der Infragestellung der gesellschaftlichen Ordnung durch die erstarkende Linke eine plötzliche Verbreitung. Es stellte sich die Frage, inwieweit soziale Ungleichheit durch Sozialisation und Erziehung entsteht (vgl.: Hurrelmann 2002: 15ff.). In der Analyse von Sozialisationsprozessen, anfangs in erster Linie auf familiale Erziehung und Bildung bezogen30, wurden zunächst vor allem schichtspezifische Aspekte untersucht. Feministische Theoretikerinnen brachten das Thema der Geschlechtersozialisation in die Diskussion.31 Vorstellungen von Sozialisation als biologisch determiniertem Prozess wurden kritisiert. Dabei setzten sich die Auseinandersetzungen zwischen den Differenz- und Gleichheits- orientierten Ansätzen fort. 28
Dieser Sozialisationsbegriff wird im Folgenden verwendet. Im Mittelpunkt des interdisziplinären Interesses der Sozialisationsforschung stehen nicht Fragen nach den Hintergründen der Funktionsweisen der Gesellschaft, sondern deren Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung der einzelnen Subjekte, also für das spezifische Konglomerat aus Einstellungen, Eigenschaften und Handlungskompetenzen, welches diese voneinander unterscheidet. 30 In den 80er Jahren erweiterte sich die Sozialisationsforschung auf die Aspekte Beruf, Gesundheit, Medien etc. (vgl. zusammenfassend: Dausien 1999). 31 Durch feministische Theoretikerinnen wurde in den siebziger Jahren die Verortung des Geschlechteraspektes als Nebenwiderspruch, der sich nach Beseitigung der ‚wesentlichen’, schichtspezifischen Ungleichheiten quasi von selbst lösen werde, kritisiert. 29
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Bis heute werden Fragen um geschlechtsspezifisches Verhalten von Kindern und die Vor- und Nachteile schulischer Koedukation kontrovers diskutiert (z. B.: Faulstich-Wieland 1991; Hurrelmann 1986; Kaiser 2005; Kreienbaum und Urbaniak 2006). Positivistische Designs der Forschung zur Geschlechtersozialisation in Soziologie und Psychologie, unter ‚wenn - dann Prämissen’ angelegt und dazu neigend, die in den Hypothesen vermuteten weiblichen und männlichen Sozialcharaktere im Forschungsprozess zu konstruieren bzw. zu reifizieren, fanden in Carol Hagemann-White eine frühe und radikale Kritikerin. Sie arbeitete, den englisch- und deutschsprachigen Forschungsstand zu ‚geschlechtsspezifischem Verhalten’ bei Kindern und Jugendlichen bis Anfang der 80er Jahre zusammenfassend, die Widersprüchlichkeiten bisheriger Forschungsergebnisse heraus. Dabei kam sie zu dem Schluss, es seien letztendlich keine durchgängigen Unterschiede festzustellen, welche eine Unterscheidung in weiblichen und männlichen ‚Sozialcharakter’ bei Kindern und Jugendlichen ermöglichen. Vielmehr seien die festgestellten Differenzen innerhalb der Geschlechterkategorien größer als diejenigen zwischen ihnen (vgl. Hagemann-White 1984). Diese Reflexionen führten sie zur Aufstellung der ‚Null-Hypothese’ der zufolge es „keine notwendige, naturhaft vorgeschriebene Zweigeschlechtlichkeit gibt, sondern nur verschiedene kulturelle Konstruktionen von Geschlecht“ (Hagemann-White 1988: 230). Somit wird der Körper als kulturelles Zeichen verstanden, und ‚Männlichkeit’ und ‚Weiblichkeit’ sind nicht länger als Ausdruck biologischer Merkmale interpretierbar. Mit diesem Ansatz ist bereits eine Weiterentwicklung der Sex/Gender- Unterscheidung erreicht. Wie bereits erwähnt, finden subjektive Konstruktionsprozesse von Geschlecht und Familie in wechselseitigen Beeinflussungen mit institutionellen Rahmungen statt. Von Goffman wurde die Schnittstelle zwischen der Ebene der Interaktion und den Institutionen in besonderem Maße berücksichtigt.
Exkurs: Interaktion und Geschlechtercodes bei Goffman Goffmans zentrales, analytisches Augenmerk ist auf die unmittelbare Interaktion gerichtet. Ihm zufolge teilen sich Individuen in Interaktionen Informationen über Status, Beziehungen sowie Absichten und Zwecke mit. Interaktionen geben durch eine „soziale Ritualisierung, d.h. die Standardisierung des körperlichen und sprachlichen Verhaltens, die im Prozess der Sozialisation erworben wird“ (Goffman 2001 [1980]: 59) Auskunft über das Gegenüber. Diese Sozialisation findet in Institutionen wie Familie, Schule und Arbeitsmarkt statt, sie durchzieht die Organisation des öffentlichen Raumes und erstreckt sich über den gesamten 45
Lebensverlauf. Interaktionen stehen nach Goffman in einer sozialen Wechselwirkung mit einer Interaktionsordnung, die sich auf den Bereich der unmittelbaren Begegnung von Individuen bezieht. Während Berger/Luckmann (s. o.) die gesprochene Sprache ins Zentrum der Beobachtungen über die interaktive Entstehung und Reproduktion von Wirklichkeit richten, stehen bei Goffman also zusätzlich Körpersprache und die gesamte Interaktionssituation im Fokus des Interesses. In der Interaktion ordnen sich Individuen auf zweierlei Weise: Erstens durch die kategoriale Charakterisierung, welche die Verortung in sozialen Kategorien bezeichnet und zweitens durch die individuelle Charakterisierung, welche die Unterscheidung zwischen mehreren Individuen aufgrund körperlicher Merkmale und äußerer Erscheinung ermöglicht. Die kategoriale Charakterisierung bezieht sich auf Kategorien wie z. B. Klasse, Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit und produziert Hierarchien. Durch das Aufeinandertreffen von Individuen kommen soziale Situationen zu Stande, welche sowohl positiv erlebte Begegnungen als auch „unvorhersehbare persönliche Gebietsansprüche“ (ebd.: 60) ermöglichen. Diese Gebietsansprüche unterliegen den Regeln der Interaktionsordnung. Unter Interaktionsordnung versteht Goffman eine Sphäre des Handelns, die „in weit größerem Ausmaß als alle anderen Bereiche geordnet ist und daß diese Geordnetheit auf einer breiten Schicht gemeinsamer kognitiver, wenn nicht sogar normativer Annahmen und Beschränkungen beruht, die der Stabilisierung der Ordnung dienen. (…) Die Funktionsweise der Interaktionsordnung kann einfach als die Folge eines Systems von regelnden Konventionen angesehen werden, ähnlich etwa den Grundregeln eines Spiels (…).“ (Goffman 2001 [1980]: 63)
Jedoch lässt sich Goffman zufolge weder aus der regeltreuen Teilnahme am ‚Spiel der Interaktion’ auf Zustimmung zu gesellschaftlichen Normen oder Konventionen schließen, noch bietet diese immer einen Vorteil für das einzelne Individuum, denn: „Was aus dem Blickwinkel der einen als wünschenswerte Ordnung erscheinen mag, kann von anderen als Ausschließung und Unterdrückung wahrgenommen werden.“ (ebd.: 66)
Goffman sieht die Interaktionsordnung nicht als neutral an, da es „in unserer Gesellschaft sehr breite Kategorien von Personen gibt, deren Mitglieder einen beträchtlichen Preis für ihre bloße Präsenz in der Interaktionsordnung bezahlen.“ (ebd.)
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Dass benachteiligte Gruppen durch ihr ‚eingeordnetes Verhalten’ an der Aufrechterhaltung der Interaktionsordnung mitwirken, erklärt sich für Goffman aus der Angst vor Ausgrenzungen, die Folgen offener Abweichungen sein könnten. Die Interaktionsordnung wird nach Goffman durch die Subjekte und durch Institutionen reguliert. Ein besonderes Verdienst Goffmans liegt darin begründet, dass er die Interaktionsordnung in Zusammenhang mit sozialen Strukturen bringt. Dabei betont er zunächst Effekte der Interaktionsordnung auf soziale Strukturen, denn Interaktionen können seiner Ansicht nach Einfluss auf größere strukturelle Zusammenhänge haben. Dies bedeutet jedoch nicht im Umkehrschluss, dass die Gesellschaftsstruktur in ihrer Gesamtheit von der Beschaffenheit von Interaktionen abhängt. Ähnlich wie Berger/Luckmann mit ihrem Begriff der Habitualisierung beschreibt auch Goffman die ‚Macht der Gewohnheit’ in der Interaktion. Er sagt einerseits, „daß sich durch die beständige Wiederholung Formen des unmittelbaren Zusammenlebens einspielen, denn obwohl die daran Beteiligten heterogen zusammengesetzt sind, müssen sie doch auf schnellstem Wege zu einer vernünftigen, funktionierenden Verständigung finden.“ (ebd.: 77)
betont aber andererseits, dass Interaktionsordnungen sich mit der kulturellen Entwicklung von Gesellschaften verändern. Der Frage nach dem Einfluss der Sozialstruktur auf die Interaktionsordnung begegnet Goffman zunächst mit einer Kritik am Determinismus: „Ein kleines soziales Ritual ist in keinem schlichten Sinne ‚ein Ausdruck von’ strukturellen Anordnungen; es ist bestenfalls ein Ausdruck in dem Sinne, als es mit Blick auf diese Anordnungen erzeugt wird. Soziale Strukturen ‚determinieren’ nicht kulturell standardisierte Darstellungsformen, sie helfen lediglich, aus einem verfügbaren Repertoire von Darstellungen auszuwählen.“ (ebd.: 83)
Sozialstrukturelle Einflüsse auf Interaktion beschreibt er weiterhin als ‚lose Koppelung’: „In Interaktionen beobachten wir ein Auseinanderfallen von sozialen Schichten und Strukturen in breitere Kategorien, wobei diese Kategorien selbst nicht in einem einszu-eins Verhältnis zu etwas in der Sozialstruktur stehen müssen, sondern vielmehr an eine Verzahnung erinnern, die verschiedene soziale Strukturen auf die Zahnräder der Interaktion überträgt.“ (ebd.: 85)
Die ‚lose Koppelung’ der Interaktionsordnung an die Sozialstruktur bedeutet jedoch keineswegs ein Schweben im freien Raum, vielmehr werden von 47
Goffman noch verschiedene andere Aspekte, welche die Interaktionsordnung bestimmen, ausgemacht. Entscheidend sind hier die kognitiven Beziehungen der InteraktionsteilnehmerInnen (das Wissen übereinander), die sozialen Beziehungen unter ihnen (unterschiedlicher Qualität und Intensität) und der jeweilige soziale Status, der sich im Wesentlichen aus Klasse, Geschlecht, Alter und ethnischer Zugehörigkeit zusammensetzt. Letztere bilden erstens „ein Raster sich überschneidender Linien, in dem jedes Individuum durch den Bezug auf jede der vier Statuskategorien verortet werden kann“ und zweitens „verdankt sich die Verortung hinsichtlich aller vier Attribute offenkundig den Anzeichen, die wir mittels unseres Körpers in soziale Situationen einbringen, ohne daß vorherige Informationen über uns erforderlich wären.“ (ebd.: 93)
So werden Goffman zu Folge alle alltäglichen Interaktionen, auch jene, welche den Eindruck der Gleichbehandlung erwecken, durch Annahmen über den sozialen Status bestimmt. In seinem Aufsatz: ‚Das Arrangement der Geschlechter’ (Goffman 2001 [1977]) analysiert Goffman die Bedeutung der Kategorie Geschlecht. Die biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern an sich erklären für Goffman nicht die gesellschaftliche Geschlechterordnung. Diese geht in ihren Regelungen weit über das hinaus, was sich durch den biologischen Unterschied allein – also der Fähigkeit der meisten Frauen, Kinder zu gebären und zu stillen – erklären ließe. Um die „ geringen biologischen Unterschiede als Ursachen derjenigen Konsequenzen ansehen zu können, die scheinbar selbstverständlich aus ihnen folgen, bedarf es eines umfassenden, geschlossenen Bündels sozialer Glaubensvorstellungen und Praktiken, das zusammenhängend und komplex genug ist, um die Wiederauferstehung altmodischer funktionalistischer Ansätze zu seiner Analyse zu rechtfertigen. (…) Nicht die sozialen Konsequenzen der angeborenen Geschlechtsunterschiede bedürfen einer Erklärung, sondern vielmehr wie diese Unterschiede als Garanten für unsere sozialen Arrangements geltend gemacht wurden (und werden) und, mehr noch, wie die institutionellen Mechanismen der Gesellschaft sicherstellen konnten, daß uns diese Erklärungen stichhaltig erscheinen.“ (Goffman 2001 [1977]: 106/107)
Von den gebündelten sozialen Glaubensvorstellungen und Praktiken (Goffman) lässt sich wiederum ein Bezug zu den oben definierten ‚symbolischen Sinnwelten’ (Berger/Luckmann) herstellen, welche zur Übernahme dominanter und zur Verdrängung unerwünschter Glaubensvorstellungen führen. Die soziale Klassifikation in zwei Geschlechtsklassen direkt nach der Geburt ist für Goffman der Beginn eines „Sortierungsvorgang(s), der die Angehörigen beider Klassen einer unterschiedlichen Sozialisation unterwirft“ 48
(ebd.: 109). Sie werden verschieden behandelt und an ihr Verhalten werden geschlechtsspezifisch differierende Erwartungen gestellt, die auf den Konzepten von Weiblichkeit und Männlichkeit basieren. „Diese Konzepte stellen einen Fundus an Erklärungen zur Verfügung, der auf tausenderlei Art zur Entschuldigung, Rechtfertigung, Erläuterung oder Missbilligung von individuellen Handlungsweisen oder Lebensumständen genutzt werden kann.“ (ebd.: 110)
Sie bilden die Grundlage für gesellschaftlichen Druck auf die Subjekte, sich mit den gängigen Konzepten von Weiblichkeit und Männlichkeit zu identifizieren: „Insoweit nun das Individuum ein Gefühl dafür, was und wie es ist, durch die Bezugnahme auf seine Geschlechtsklasse entwickelt und sich selbst hinsichtlich der Idealvorstellungen von Männlichkeit (und Weiblichkeit) beurteilt, kann von einer Geschlechtsidentität (‚Gender Identity’) gesprochen werden. Anscheinend ist diese Quelle zur Selbstidentifikation eine der wichtigsten, die unsere Gesellschaft zur Verfügung stellt, vielleicht noch wichtiger als Altersstufen. Droht eine Trübung oder Veränderung dieser Idealbilder, so wird dies niemals auf die leichte Schulter genommen.“ (ebd.: 110)
Geschlechtsidentität wird hier als Folge der Konstruktion von Geschlechterklassifikation und Konzeptualisierung beschrieben. Goffman zeigt den Zusammenhang zwischen normativen Vorstellungen und Verhalten sowie der Rolle populärwissenschaftlicher Diskurse auf: „Anscheinend stehen die Glaubensvorstellungen von sozialem Geschlecht, Männlichkeit, Weiblichkeit und Sexualität in einem engen Wechselspiel mit dem tatsächlichen Verhalten der Geschlechter, und hier spielt vermutlich auch popularisiertes sozialwissenschaftliches Wissen eine wichtige Rolle. Forschungserkenntnisse über das soziale Geschlecht und die Sexualität, seien sie nun gut oder schlecht begründet, werden den normativen Vorstellungen von Männlichkeit bzw. Weiblichkeit selektiv – und manchmal erstaunlich schnell – einverleibt. Durch eine solche Quelle gestärkt, können sich diese Idealbilder dann als selbsterfüllende Prophezeiungen auf das tatsächliche Verhalten der Geschlechter auswirken.“ (ebd.: 111/112)
Der Sicht auf biologische Geschlechtsunterschiede als Ursache für geschlechtsspezifisch differierenden Verhaltensweisen wird der Begriff der ‚institutionellen Reflexivität’32 entgegen gestellt. Goffman fragt, wie eine 32 „Goffman vertritt hier ein Verständnis von Institutionen und Institutionalisierung, der demjenigen des Sozialkonstruktivismus entspricht. Institutionalisierung ist Habitualisierung und Typisierung von Verhalten, womit entscheidungsunabhängige Vorgänge gemeint sind.“ (Kotthoff 2001)
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Gesellschaft organisiert sein muss, damit bestimmte biologische Merkmale eine derart hohe Bedeutung bekommen können. Mit institutioneller Reflexivität meint er, dass „tief verankerte institutionelle Praktiken so auf soziale Situationen wirken, daß diese sich in Kulissen der Darstellung von Genderismen beider Geschlechter [Sexes] verwandeln. Viele dieser Aufführungen nehmen dabei eine rituelle Form an, welche die Glaubensvorstellungen über die unterschiedlichen ‚Naturen’ der beiden Geschlechter bekräftigt (…). (ebd.: 150)
Die Familie ist für Goffman ein zentraler Vermittlungspunkt gesellschaftlicher Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit. Zur Verdeutlichung von Prozessen der institutionellen Reflexivität in der Familie führt Goffman die Tätigkeit des Stillens als Beispiel an. Diese den Frauen vorbehaltene Fähigkeit, die i. d. R. nur einen sehr begrenzten zeitlichen Lebensabschnitt betrifft, wird kulturell zu Konzepten von Geschlechtsidentitäten und der ‚Natur der Geschlechter’ ausgebaut (ebd.: 128). Ein weiteres Beispiel der ‚institutionellen Reflexivität’ in der Familie sieht er in der geschlechtsspezifisch differierenden Behandlung von Mädchen und Jungen durch ihre Eltern. In den mit gesellschaftlichen Territorienzuweisungen verbundenen unterschiedlichen Eigenschaften und Erwartungen entwickeln die Geschlechter durch Abgrenzung voneinander das, was sie als ihre unterschiedliche ‚Geschlechtsidentitäten’ in ihr Erwachsenenleben tragen. „Jedes Geschlecht wird zum Übungspartner des anderen, ein mitten ins Haus gestelltes ‚Anschauungsmittel’. Das, was dem gesamten sozialen Leben eine Struktur verleiht, wird also in einem sehr kleinen und trauten Kreis eingeübt.“ (Goffman 2001 [1977]: 131)
Goffman betrachtet das Arrangement der Geschlechter als ein rein kulturelles Phänomen, das in der alltäglichen familialen Interaktion seinen Anfang hat. Die alltägliche Kategorisierung in Geschlechtsklassen erfolgt in Identifikationssystemen der Verortung und Benennung. Jede Interaktion ist nach Goffman von Beginn an von der Tendenz durchdrungen, in geschlechtsbezogenen Begriffen formuliert zu werden. Darüber hinaus wird in der Interaktion das Bild von Frauen als „reine, zarte und wertvolle Objekte, als Spenderinnen und Empfängerinnen von Liebe und Zuwendung“ (ebd.: 150) produziert und wechselseitig bestätigt. Diese positiv besetzten Bilder sind die interaktive Beschwichtigung für die strukturelle Benachteiligung von Frauen hinsichtlich des Zugriffs auf Ressourcen gesellschaftlicher Macht und ihres Ausschlusses aus Teilen des öffentlichen Raumes.
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Idealisierungen von Frauen als Mütter sind folglich eng mit der Herstellung und Aufrechterhaltung der Geschlechterhierarchie verknüpft. Goffman zufolge sind gesellschaftliche wie individuelle Bilder von der Natur des Geschlechterunterschiedes eindeutig kulturell geprägt – keineswegs bestimmt die Natur die kulturellen Bilder. Hier wird das postmoderne Potential der Goffmanschen Theorie deutlich, denn er formuliert bereits recht früh, was feministische TheoretikerInnen später weitergedacht haben. Sex und Gender stehen in seiner Theorie nicht in einer zwangsläufigen Verbindung in dem Sinne, dass z. B. weiblichem Sex ausschließlich weibliches Gender zugeordnet werden kann. Gleichzeitig gehen bei Goffman natürliche Phänomene wie z. B. die körperliche Fähigkeit des Stillens in die Analyse der kulturellen Konstruktionen ein und auch gesellschaftlich territoriale Verankerungen derselben werden im Begriff der ‚institutionellen Reflexivität’ mitgedacht (vgl.: Kotthoff 2001).
Doing Gender Auch das ebenfalls die Interaktion betonende Konzept des Doing Gender (West und Zimmermann 1987) bietet für die in dieser Arbeit gestellte Frage nach den Konstruktionen von Geschlecht und Familie eigene Anschlussmöglichkeiten. Der auf ethnomethodologischen Zugängen (z. B.: Garfinkel 1967)33, der Verbindung von symbolischem Interaktionismus und Ethnomethodologie (Goffman 2001 [1977]; Goffman 2001 [1980]) sowie sozialkonstruktivistischen Theorien basierende Ansatz des Doing Gender fokussiert die interaktive Herstellung von Geschlecht in alltäglichen Praktiken über den gesamten Lebenslauf hinweg. Anknüpfend an Goffman und Hagemann-White (s. o.) wird im Doing Gender – Konzept eine weitere Differenzierung der Sex / Gender Unterscheidung um die Sex Category vorgenommen. So wird die soziale Prozesshaftigkeit in Konstruktionen von Geschlecht hervorgehoben. Dabei wird unter Sex nicht mehr das biologische Geschlecht als gegebene natürliche Voraussetzung verstanden, sondern die Klassifizierung ins zweigeschlechtliche System nach körperlichen Merkmalen. Unter Sex Category wird die Mitgliedschaft in der Gruppe der Frauen oder Männer gefasst: „sex category is achieved through application of the sex criteria, but in everyday life“ (West und Zimmermann 1987: 127), während sich Gender 33 In der berühmten ‚Agnes-Studie’ beschrieb Garfinkel die Einübung ‚weiblichen’ Verhaltens durch die Transsexuelle Agnes. Diese Studie verdeutlichte Aspekte menschlichen Verhaltens als kulturell geprägt, welche bis dahin als natürlich galten und ermöglichte so neue Sichtweisen auf Produktion und Reproduktion sozialer Ordnungen.
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nun auf die Vielzahl von Handlungsbausteinen bezieht, welche diese Mitgliedschaft herbeiführen und aufrechterhalten sollen: „… the activity of managing situated conduct in light of normative conceptions of attitudes and activities appropriate for one’s sex category. Gender activities emerge from and bolster claims to membership in a sex category.” (ebd.)
Somit wird in diesem Konzept der prozessuale Charakter der Geschlechterzuordnung noch stärker als in der bisherigen Unterscheidung zwischen Sex und Gender hervorgehoben. Den Subjekten kommt - in Weiterentwicklung oben beschriebener Sozialisationskonzepte - eine neue Verantwortung für den Verlauf ihres Lebens im Sinne von Selbstsozialisation zu (vgl.: Heinz 2002).34 Ein weiterer wesentlicher Gedanke der Doing Gender- Konzeption ist, dass Gender und Sex Category aneinander, nicht aber an Sex gebunden sind. Die Herstellung von Geschlecht in der Interaktion muss also nicht zwangsläufig mit dem biologisch klassifizierten Geschlecht übereinstimmen: „… sex and sex category can vary independently; that is, it is possible to claim membership in a sex category even when the sex criteria are lacking“ (West und Zimmermann 1987: 127).35 Diese Entkoppelung bedeutet jedoch keineswegs, dass die Subjekte sich je nach Situation mal dem einen und mal dem anderen Geschlecht zuordnen können, da die Geschlechtskategorien mit Zugängen zu Macht und Ressourcen verbunden sind. Dies führt zu Sanktionierungen uneindeutiger Geschlechtsidentitäten im gesellschaftlichen Leben. West und Zimmermann sprechen hier von der Unvermeidbarkeit von Doing Gender: „…doing gender is unavoidable. It is unavoidable because of the social consequences of sex-category membership: the allocation of power and resources not only in the domestic, economic, and political domains but also in the broad arena of interpersonal relations.” (ebd.: 145)
Die Zuordnung zu einer der beiden Geschlechterkategorien und die sich daraus ergebende Entwicklung von Geschlechtsidentität sind also 34 Sozialisationskonzepte, die sich nur auf Teilbereiche des Lebenslaufs beziehen und in denen die Einzelnen mehr oder weniger extrem als Opfer der gesellschaftlichen Umstände gesehen werden, werden im Konzept der Selbstsozialisation kritisiert. Diese Kritik zielt auf die Vernachlässigung der Gestaltungsmöglichkeiten der Subjekte über den Lebenslauf hinweg. Das Konzept der „self socialization“ hingegen verbindet den Einfluss sozialer Struktur mit der subjektiv-aktiven Konstruktion individueller Lebensläufe, die mit dem Begriff „doing biography“ gefasst wird (Heinz 2002: 60). 35 In der Loslösung einer zwangsläufigen Verbindung zwischen Sex auf der einen und Sex Category und Gender auf der anderen Seite ist bereits die Entkoppelung von ‚biologischem’ und ‚kulturellem’ Geschlecht enthalten, die i. d. R. Judith Butler (Butler 1991 [1990]) zugeschrieben wird, von ihr aber nur aufgenommen und weiter ausgearbeitet wurde.
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„als fortlaufender Herstellungsprozess aufzufassen (…), der zusammen mit faktisch jeder menschlichen Aktivität vollzogen wird und in den unterschiedliche institutionelle Ressourcen eingehen.“ (Gildemeister 2004: 132)
Diese Omnirelevanzannahme weist auf eine Problematik empirischer Forschungen zu Herstellungsprozessen von Geschlecht hin, da ihr zu Folge die Interaktionen zwischen ForscherInnen und den von ihnen befragten oder beobachteten Subjekten notwendig durch die jeweiligen Zuordnungen in Geschlechterkategorien beeinflusst sind. „Damit besteht für Analysen des ‚doing gender’ immer das Problem und die Herausforderung, die eigenen, oft nicht bewussten alltagsweltlichen Annahmen über ‚Unterschiede’ der Geschlechter zu kontrollieren und zu reflektieren.“ (Gildemeister 2004: 136)
Das Doing Gender Konzept wurde in den späten 80er und 90er Jahren in der Geschlechterforschung breit rezipiert und diskutiert. Es wurde auch unter der Bezeichnung des ‚Doing Work’ auf arbeitssoziologische Fragen angewendet. Williams z. B. untersuchte subjektive Konstruktionen von Geschlecht bei Frauen in Männer- und Männern in Frauenberufen (Williams 1989). Stärken und Schwächen dieses mikro-soziologischen Blickes auf die Subjekte und ihre Verhältnisse zur Gesellschaft wurden von Gottschall analysiert. Gottschall kritisiert die Verkürzung, die in der Überbetonung des Interaktionsaspektes gegenüber strukturellen Gegebenheiten wie z. B. dem geschlechtsspezifisch strukturierten Arbeitsmarkt liegt (Gottschall 1998). Diese Kritik ist sicherlich grundsätzlich für den gesamten Doing Gender Ansatz als zutreffend anzusehen und bei dessen empirischer Anwendung insofern zu berücksichtigen, als – mit Goffman - die institutionelle Interaktionsordung, innerhalb derer Interaktionen stattfinden, mit in den Blick genommen werden muss. Der Doing Gender Ansatz wurde wegen seiner Vernachlässigung der Kategorien Herkunft, Schicht und Ethnie kritisiert. In einer teilweisen Rezeption dieser Kritik entwickelten West und Fenstermaker in dem 1995 erschienenen Aufsatz ‚Doing Difference’ (West und Fenstermaker 1995) das Doing Gender Konzept weiter. Sie hoben hervor, dass das Zusammenspiel der Kategorien Gender, Klasse und ethnische Zugehörigkeit über die bloße Addierung von Dominanzen und Benachteiligungen hinausgeht und dass sich die genannten Kategorien – je nach sozialem Kontext – auf unterschiedliche Art und Weise gegenseitig beeinflussen. Die Integration anderer relevanterer Kategorien bedeutete gleichzeitig eine Relativierung der oben erwähnten Omnirelevanzannahme von Geschlechterkonstruktionen. Nicht in dem Sinne, dass es eine Situation geben kann, in der Geschlecht keine Bedeutung hat, jedoch dahin53
gehend, dass diese Bedeutung hinter anderen kategorialen Zuordnungen an Bedeutung verlieren kann. Hirschauer brachte (Hirschauer 1994) die Möglichkeit des Undoing Gender in die Debatte ein. Mit Undoing Gender bezeichnete er Einstellungen und Handlungen, die den Bezug zur Kategorie Geschlecht verlassen. Er nahm dabei Gedanken von Goffman zu unterschiedlichen Inszenierungsgraden von Geschlecht und zur Bedeutung anderer wesentlicher Status- bestimmender Kategorien wie Alter, Klasse und ethnische Zugehörigkeit auf, welche dieser bereits 1980 in seiner Rede über die Interaktionsordnung (s. o.) dargelegt hatte.
Doing Gender – Doing Family Soweit zu interaktiven Herstellungsprozessen von Geschlecht. Aber in welchem Verhältnis stehen diese zu Konstruktionen von Familie? Die Tatsache, dass Mädchen wie Jungen in der Regel hauptsächlich von Müttern und nicht von Müttern und Vätern zu gleichen Teilen versorgt und erzogen werden, führt zu Theorien geschlechtsspezifisch unterschiedlicher Problematiken beim Erwerb der Geschlechtsidentität von Mädchen und Jungen. Eine kritische Aufarbeitung der klassischen wie feministischen psychoanalytischen Theorieentwicklung durch Becker-Schmidt (Becker-Schmidt 1995) lenkt den Blick vor allem auf die Prozesse der geschlechtsspezifischen Identifikation in der primären Sozialisation und soll hier kurz zusammenfassend dargestellt werden: Es wird davon ausgegangen, dass für einen Jungen im Unterschied zu einem Mädchen frühe Kränkungen in der Realisierung der Tatsache entstehen, dass er nie wie die Mutter sein kann, er wird keine Brüste haben, nicht gebären und seine Kinder nicht stillen können (Becker-Schmidt 1995: 231ff.). Zur Verarbeitung dieser Kränkung wendet sich der Junge von der Mutter ab und sucht sich den Vater zum Vorbild: Wenn er wird wie dieser, so hat er keine Brüste mehr nötig, kann aber seinerseits Weiblichkeit begehren und die gesellschaftlich höher gestellte Geschlechterrolle übernehmen. Becker-Schmidt zu Folge stehen dem Mädchen zwei Identifikationswege offen, die zur Mutter und die zum Vater. Von der Mutter muss es sich im Laufe der Subjektwerdung zwar abgrenzen, deren mit der Mutterschaft verbundene Potentiale können jedoch auch eigene Realisierungen werden. Gleichzeitig stehen sowohl die Erwerbstätigkeit der Mutter (wenn auch in der Regel in Teilzeittätigkeit), wie der lebensgeschichtlich auf ‚Außenwelt’ (im Unterschied zu Familienwelt) konzentrierte Vater als Identifikationsobjekte in Abgrenzung zur Familientätigkeit zur Verfügung.
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Die hier beschriebenen Prozesse der Herausbildung von Geschlechtsidentität führen zu tendenziell starrem Festhalten der Jungen und späteren Männer an dem, was kulturell als ‚männliches Geschlechterverhalten’ verstanden wird, im Vergleich zu Mädchen und Frauen, die mit einer größeren Flexibilität gegenüber geschlechtertypischem Verhalten ausgestattet sind. Jungen, die ohne Vater aufwachsen, müssten demnach große Schwierigkeiten bei der Ausprägung einer ‚männlichen Geschlechtsidentität’ haben. Dem Verhältnis von Geschlecht und Familie kommt in Theorien zur primären und sekundären Ausprägung von Geschlechtsidentität große Bedeutung zu, auch wenn dies innerhalb der einzelnen Theorien nicht immer expliziert wird. Dies hängt in starkem Maße damit zusammen, dass Theorieentwicklung wie Alltagsdiskurse zum Erwerb von Geschlechtsidentität wesentlich durch die psychoanalytische Theorie geprägt sind, wobei in populärwissenschaftlichen Abhandlungen dieser Bezug häufig eher ‚hinter dem Rücken des Textes’ besteht, dass heißt weder benannt noch detailliert ausgeführt wird.36 Theorien zur Geschlechtsidentität müssen also als ein Baustein, der das Doing Family beeinflusst, berücksichtigt werden. Diesen Theorien liegen Normalitätsunterstellungen über Rollen, die Mütter und Väter in der Familie und in der Gesellschaft einnehmen, zu Grunde. Sie gehen von einer bestimmten Familienkonstruktion als Normalität aus, der Vater-Mutter-Kind Familie. Die enge Verknüpfung der Konstruktionen von Geschlecht und Familie wurde auch schon von sozialkonstruktivistischen ‚Klassikern’ wie Berger/ Luckmann und Goffman betont: So beschreiben Berger/Luckmann, wie sich Ordnungssysteme von Wirklichkeit bei ihrer Weitergabe an die nächste Generation verhärten und verdichten und zwar „nicht nur für die Kinder, sondern – mittels eines Spiegeleffekts - auch für die Eltern. (…) Für die Kinder in der Frühphase ihrer Sozialisation wird sie [die Objektivität der institutionalen Welt, B. R.] ‚die Welt’, Für die Eltern verliert sie ihren spielerischen Charakter und wird ‚ernst’.“ (Berger und Luckmann 1999 [1969]: 63)
Den Kindern steht die Welt, in die sie hineinsozialisiert werden „als gegebene Wirklichkeit gegenüber – wie die Natur und wie diese vielerorts undurchschaubar“ (ebd.). Die kategorialen Zuordnungen zu Weiblichkeit und Männlichkeit erfahren durch ihre Weitergabe an die nächste Generation eine Stabilisierung. Goffman sieht die Familie als einen der Hauptaktionsrahmen, in dem durch inner- wie außerfamiliale geschlechtsspezifische Arbeitsteilung „die sozialen 36 Näheres zu psychoanalytischen Diskursen über die Entwicklung von Geschlechtsidentität findet sich unter 3.5.2.
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Rollen von Männern und Frauen deutlich ausdifferenziert“ werden (Goffman 2001 [1977]: 115). Dabei wandelt sich Familie von einer als selbstverständlich betrachteten Lebensform zunehmend in etwas, das als subjektive Herstellungsleistung betrieben werden muss, um zustande zu kommen. „Familie als Herstellungsleistung fokussiert zum einen auf die Prozesse, in denen im alltäglichen und biographischen Handeln Familie als gemeinschaftliches Ganzes permanent neu hergestellt wird („Doing Family“), zum anderen auf die konkreten Praktiken und Gestaltungsleistungen der Familienmitglieder, um Familie im Alltag lebbar zu machen.“ (Schier und Jurczyk 2007: 10)
Die Familie steht in der neoliberalen Gesellschaft aufgrund von Vereinbarungsund Zeitproblemen, aber auch durch den Blick auf Kindheit als einer Zeitspanne, in der keine Gelegenheit zur Förderung verpasst werden darf, unter einem zunehmenden Druck des Funktionalen aller Tätigkeiten. Genau wie Doing Gender ist auch Doing Family als Handlung in institutionellen und normativen Rahmungen zu verstehen, die sowohl Wandlungen als auch Beharrungsvermögen aufweisen. Auf welche Art und Weise die Subjekte Familie alltäglich lebbar machen (Doing Family) hängt folglich eng mit den von ihnen praktizierten Geschlechterbildern (Doing Gender) und der spezifischen Einbindung in und subjektiven Haltung zu Erwerbsarbeit (Doing Work) zusammen.
2.5 Zusammenfassung Mit den Konzepten der Interaktionsordnung (Goffman), der Statuskonfiguration (Levy) und des Dispositivs (Foucault) wurden theoretische Zugänge gewählt, die kulturelle und strukturelle Aspekte integrieren. Es mehren sich die Stimmen, welche sich für eine solche integrative Bearbeitung aussprechen (siehe z. B.: Gottschall 1998; Knapp 1995; Knoblauch 2002). Die „Mehrdimensionalität der Geschlechterverhältnisse“ (Krüger 2001b: 63) erfordert die gleichzeitige Analyse von Interaktionen (Doing Gender, Doing Work, Doing Family), Institutionen (Geschlechter- und Familienordnung) sowie Diskursen und Leitbildern (Geschlechter- bzw. Familienkultur). Dabei wird das Subjekt weder als deterministisch von der Gesellschaft geprägt noch als allein verantwortlich für seine Handlungen betrachtet. Vielmehr eignet es sich die Bedingungen mehr oder weniger aktiv an. Es ist davon auszugehen, dass jeder einzelne Lebenslauf je nach Zeitpunkt und Umständen mal größeren und mal weniger großen subjektiven Handlungsspielräumen, interaktiven Einflüssen, gesellschaftlichen Zwängen und diskursiven Effekten 56
unterliegt. Abbildung Nr. 2 verdeutlicht den Zusammenhang der in diesem Kapitel beschriebenen gesellschaftlichen Ebenen. Dabei symbolisieren hier wie in den folgenden Abbildungen die breiten Pfeile stärkere und die dünnen Pfeile schwächere Effekte.
Abbildung 2:
Gesellschaftliche Aspekte, die subjektive Konstruktionsprozesse beeinflussen
Diskurse und Leitbilder zu Geschlecht und Familie
Subjekt
Interaktionen (Doing Gender, Doing Work, Doing Family)
Institutionen (Geschlechter- und Familienordnung)
Die Konstruktion von Geschlecht und Familie ist ein fortwährender Herstellungsprozess auf den Ebenen von Diskursen/Leitbildern, Institutionen und Interaktionen. Dabei ist die postmoderne Frage danach, ob es letztendlich Frauen und Männer gibt, für die hier gewählte Fragestellung ohne größere Relevanz, denn hier muss von der Alltagsrealität der Subjekte ausgegangen werden, welche durch die Unterscheidung in Weiblichkeit und Männlichkeit geprägt ist. Im Zentrum des Interesses steht die Art und Weise dieser Prägung und die Frage 57
nach dem Spielraum, der den Subjekten bei der von ihnen vorgenommenen Bestimmung dessen, was sie unter Geschlecht und Familie verstehen, bleibt. Eine Herangehensweise wie die hier gewählte muss sich den Vorwurf der teilweisen Reifizierung der Geschlechterkategorien gefallen lassen, nimmt diesen jedoch für die Nähe zur empirischen Wirklichkeit in Kauf. Zum Zeitpunkt der empirischen Erhebung (2004) lag die Vereinigung beider deutscher Staaten 15 Jahre zurück. In den 40 Jahren deutscher Zweistaatlichkeit entstanden maßgebliche Differenzen in den Alltagspraxen von Frauen, Männern und Familien sowie in Geschlechter- und Familienleitbildern. Zu untersuchen ist, inwieweit diese Unterschiede zwischen BRD und DDR bis heute nachwirken. Um dieser Frage im späteren Verlauf der Arbeit nachgehen zu können, müssen die unterschiedlichen Verläufe der mit Geschlechter- und Familienkonstruktionen verbundenen gesellschaftlichen Entwicklungen in DDR und BRD jedoch zunächst nachgezeichnet werden. Dieser Aufgabe wendet sich das nächste Kapitel zu.
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3 Geschlechter- und Familienleitbilder
Die im vorangegangenen Kapitel benannte ‚Mehrdimensionalität der Geschlechterverhältnisse’ lässt sich auf eine ‚Mehrdimensionalität von Geschlechter- und Familienverhältnissen’ erweitern. In diesem Kapitel werden unterschiedliche Dimensionen von Geschlechter- und Familienleitbildern in einer chronologisch geordneten Spurensuche herausgearbeitet. Dabei werden im Sinne des foucaultschen Begriffs des Dispositivs fragmentarisch so unterschiedliche Felder wie familienpolitische Direktiven und Maßnahmen, Elemente von Verfassungen und Rechtsprechungen, wissenschaftliche - und hier speziell psychologische Diskurse sowie Frauenzeitschriften rezipiert.37 Besondere Aufmerksamkeit wird auf Tendenzen der ideologischen Überhöhung der heterosexuellen Kleinfamilie und auf diesbezügliche Unterschiede zwischen DDR und BRD gerichtet. Es wird der Frage nachgegangen, wie Geschlechter- und Familienleitbilder institutionell verankert werden und welche Veränderungen die institutionellen Verfestigungen der Leitbilder im Zuge des sozialen Wandels durchlaufen. Dieser Aspekt ist von besonderer Bedeutung, da die Geschlechter- und Familienleitbilder nicht nur über Diskurse, sondern insbesondere auch über ihre Umsetzung in ökonomischen Verteilungen, Kinderbetreuungs- und Arbeitsmarktstrukturen direkte und intensive Effekte auf die Lebenswirklichkeit der Subjekte – hier der Alleinerziehenden – haben. Die Frage nach diskursiven Logiken und institutionellen Entwicklungen, welche Sichtweisen auf die Lebensform der Ein-Elter-Familie als normal oder abweichend prägen, steht im Zentrum des folgenden Kapitels. Abbildung Nr. 3 zeigt in schematischer Vereinfachung die Beziehungen zwischen den Ebenen, die in diesem Kapitel bearbeitet werden.
37 Die Diskurs- und Institutionengeschichten von DDR und BRD sind zu umfangreich, um sie hier lückenlos darstellen zu können. Ich verweise daher zusammenfassend auf Schäfgen, Obertreis und Gerlach (Schäfgen 2002), (Obertreis 1986), (Gerlach 1996).
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Abbildung 3:
Die Beziehungen zwischen Geschlechter- und Familienleitbildern, Diskursen, Institutionen und Familienrealitäten
Geschlechter- und Familienleitbilder Geschlechter- und Familienpolitik
Familienrealitäten
Wissenschaftliche und politische Diskurse in Bezug auf Geschlecht und Familie
BildungsArbeitsmarkts-, Kinderbetreuungsund sozialpolitische Institutionen
3.1 Familienpolitik und Familienrealitäten Die Untersuchung der Entwicklung von Geschlechter- und Familienleitbildern in den letzten 45 Jahren in DDR, BRD und im vereinigten Deutschland nach 1989 stellt eine ‚Hintergrundfolie’ für das Verständnis sowohl der heutigen sozialen und sozialstrukturellen Lebensbedingungen Alleinerziehender in Ost und West (Kap.4 und 6) als auch für subjektive Konstruktionen von Geschlecht und
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Familie durch Alleinerziehende (Kap.7) dar.38 Es ist davon auszugehen, dass die Leitbilder der Elterngeneration der heutigen Alleinerziehenden deren subjektive Konstruktionen mit geprägt haben. Die Definition der Institution Familie, sowie ihre Struktur und Gestaltung steht in einem sich gegenseitig beeinflussenden Verhältnis mit der jeweiligen Gesellschaftsform. Die konkrete Gestaltung dessen, was als Familie gilt und gelebt wird, wird somit von verschiedenen Ebenen einer Gesellschaft beeinflusst. Von Seiten des Staates wird Familie über Familienpolitik gestaltet. „Familienpolitik i. S. einer gezielten Einflussnahme des Staates auf die Lebensverhältnisse von Familien (…) formuliert immer normative Maßstäbe im Hinblick auf das bzw. die ihr zugrunde liegende(n) Ideal(e) von Familie. Sie zeichnet ‚Bilder’ vom Normverhalten und von optimaler Funktionalität des sozialen Systems Familie, die nicht nur die Eckwerte der ihr entsprechenden Ordnungspolitik festlegen, sondern auch die Bewertung von Verhalten in der sozialen Interaktion sowie in unseren Köpfen. Sie gibt implizite oder explizite Maßstäbe zur Beurteilung von Rollenverhalten, insbesondere natürlich Geschlechterrollenverhalten, an die Hand und greift in Lebensbereiche ein, die uns so privat erscheinen und doch gesellschaftlich erzeugt sind.“ (Gerlach 1996: 15)
Familienpolitik greift über unterschiedliche Instrumente in Familienrealitäten ein. Zu nennen sind hier nach Gerlach v. a. ökonomische Bedingungen, die rechtlich– institutionelle Gestaltung von Lebensformen, die Ausformung der Umwelt von Familien, die Prägung von Leitbildern und die Kommunikation über Familie (vgl.: Gerlach 1996: 158ff.). Leitbilder von Geschlecht und Familie werden in wissenschaftlichen (v. a. in Pädagogik und Psychologie) und politischen Diskursen formuliert, teilweise liegen sie diesen auch als nicht explizierte Orientierungsmuster zu Grunde. Neben dieser als Makroebene der Gesellschaft zu bezeichnenden ist auch die Mikroebene, die Ebene der Familienrealität, das konkret gelebte Alltagsleben, das familienpolitischen Programmen entsprechen oder zuwiderlaufen kann, von Bedeutung. Zu bedenken ist, dass sich etliche Aspekte von Familienrealität der Erfassung durch wissenschaftliche Instrumente entziehen. Benannte Aspekte können nur Teilbereiche darstellen. Ähnliches gilt für die in der BRD durch eine Vielzahl von Institutionen und Trägern verwirklichte Familienpolitik. Die vorhandene Heterogenität kann nicht vollständig dargestellt werden. Der Fokus liegt daher auf der Erfassung zentraler familienpolitischer Vorgaben auf Bundesebene.
38 In diesem Kapitel werden die Entwicklungen bis zum Jahr 2004 beschrieben Zu diesem Zeitpunkt wurden die ersten Interviews für den empirischen Teil dieser Arbeit durchgeführt.
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Ebenfalls ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit sollen auch mit Familienpolitik untrennbar verbundene und von ihr beeinflusste Prozesse auf der Institutionenebene (Arbeitsmarkt, Sozialpolitik) in die Darstellung einfließen. Durch Zitate aus familienpolitischen Dokumenten wird eine Vorstellung vom ‚Geschmack’ unterschiedlicher diskursiver Entwicklungen gegeben. Aufgezeigt werden die Wechselwirkungen zwischen Konstruktionen von Familie und Konstruktionen von Geschlecht. Wesentliche Schnittpunkte von Geschlechterund Familienkonstruktionen liegen in den Diskursen zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit, welche daher in gesonderten Unterkapiteln Beachtung finden. Auch dem Kindeswohl kommt zentrale Bedeutung in Diskursen um Geschlecht und Familie zu. Bestimmte Formen von Familie werden bevorzugt, toleriert oder an den Rand gedrängt, je nachdem, welche Bedingungen für ein stabiles Kindeswohl angenommen werden. Dem Thema der geschlechterspezifischen Erziehung kommt hier besondere Bedeutung zu. Diskursen zur Entwicklung männlicher und weiblicher Identität liegen Annahmen über begünstigende und erschwerende Familienkonstellationen entweder implizit zu Grunde oder werden explizit ausgeführt. Die Diskussion um unterschiedliche Formen der Kinderbetreuung ist ebenfalls mit Diskursen um Kindeswohl, Familie und Geschlecht verknüpft: Je nach Gesellschaftsmodell, Arbeitsmarktsituation und bevölkerungspolitischen Motivationen werden familiale Erziehung oder institutionelle Betreuung bevorzugt. Die Kategorie Geschlecht findet nun Eingang über die differierenden Diskurse zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit sowie zu männlicher und weiblicher Erwerbstätigkeit. Geschlechter- und Familienleitbilder haben sich historisch entwickelt. Sie prägen gegenwärtige subjektive Bilder von Geschlecht und Familie. Im nun folgenden Unterkapitel (3.2) wird ein Überblick zu Familien- und Geschlechterbildern im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegeben. Es wird aufgezeigt, dass die unterschiedlichen Geschlechter- und Familienpolitiken von DDR und BRD zunächst als - stark differierende - Reaktionsweisen auf die Familienpolitik im Nationalsozialismus begriffen werden können. Der Blick auf die kulturelle Entstehungsgeschichte der Zuschreibungen zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit bietet die Grundlage zum Verständnis ihrer Beharrungstendenzen bis in die heutige Zeit. Gleichzeitig werden die Anstrengungen erahnbar, die im Zuge sozialen Wandels vollbracht werden, um sich – auf gesellschaftlicher wie auf subjektiver Ebene – von diesen kulturell verfestigten Bildern zu lösen und Spielräume zu entwickeln. Im Unterkapitel 3.2 wird ausschließlich Sekundärliteratur über diskursive Entwicklungen verwendet, was dessen prägnant zusammenfassendem Charakter geschuldet ist. Auf die Struktur von Institutionen wird unter 3.2 aus Platzgründen 62
nur am Rande eingegangen. Der starke Einfluss von Arbeitsmarktpolitik auf Familienpolitik soll an dieser Stelle betont werden und wird hier wie in den kommenden Unterkapiteln am Rande in die Darstellung mit einbezogen. Im Anschluss an den kurzen historischen Rückblick (3.2) wird ein Überblick über die Beschaffenheit von Geschlechter- und Familienleitbildern, insbesondere hinsichtlich zentraler familienpolitischer Zielvorgaben sowie ihrer institutionellen Umsetzung in DDR (3.3) und BRD (3.4) für den Zeitraum von 1949 bis 1989 gegeben. Besondere Berücksichtigung finden hier die Diskursbestimmenden Aspekte der gesellschaftlichen Haltungen zu Müttererwerbstätigkeit und institutioneller Ganztagskinderbetreuung. Diese Aspekte sind für Alleinerziehende von zentraler Wichtigkeit: Sie sind in besonderem Maße darauf angewiesen, Familie und Erwerbstätigkeit miteinander zu verbinden, wenn sie nicht von staatlichen Hilfen abhängig sein wollen. Für die 90% Frauen unter Alleinerziehenden ist von entscheidender Bedeutung, ob die Gesellschaftsform, in der sie leben, Müttererwerbstätigkeit kulturell akzeptiert und institutionell unterstützt oder nicht. Das Verständnis heutiger gesellschaftlicher wie subjektiver Positionen zur Müttererwerbstätigkeit in Ost- und Westdeutschland basiert auf den in DDR- und BRD- Geschichte entstandenen Geschlechter- und Familienleitbildern. Sowohl die Vereinigung überdauernde sozialstrukturelle Differenzen, als auch nach Ost- und Westherkunft differierende Einstellungen zur Müttererwerbstätigkeit werden nur vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. In den beiden Unterkapiteln 3.3 und 3.4 werden die Leitbilder an Hand unterschiedlicher Quellen, die als Hinweise auf dominante Diskurse dienen, herausgearbeitet: Es werden Gesetzestexte, Äußerungen von Politikern, wissenschaftliche Texte und Analysen von Zeitschriften verwendet. Wissenschaftliche Texte und Äußerungen von Politikern zeigen Facetten des Diskurses, von denen Teile in juristischen Regelungen institutionalisiert werden. Rechtliche Regelungen haben für die Konstruktionen von Geschlecht und Familie besondere Bedeutung, da in ihnen die jeweiligen Bilder nachhaltig festgeschrieben werden. Wird dort von der ‚Natürlichkeit der Zwei-Eltern-Familie’ ausgegangen, so werden Ein-Elter-Familien per Definition an den Rand gedrängt. Unter 3.5 wird die Entwicklung in Ost- und Westdeutschland seit 1989 bis zum Jahr 2004 behandelt. Der Fokus liegt hier auf der Frage nach nachhaltigen Effekten von durch DDR- und BRD- Geschichte geprägten Geschlechter- und Familienbildern. Besonders interessant ist, wie Individualisierungsprozesse und neoliberale Entwicklungen diese Bilder beeinflussen. Forschungsarbeiten, die sich bezüglich dieses Zeitraums mit der Frage befassen, ob Alleinerziehende heute im Diskurs als ‚normale Familien’ gelten, werden unter 3.5.1 in einem Exkurs zusammengefasst. Insofern ist in dieses Unterkapitel bereits jener Teil
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des Forschungsstandes über Alleinerziehende integriert, der sich mit Bildern von Familie beschäftigt. Der Zusammenhang zwischen verschiedenen Positionen in der psychoanalytischen Theorie mit Geschlechterkonstruktionen und Bildern von Mütterlichkeit und Väterlichkeit wird in einem weiteren Exkurs im Anschluss an 3.5.2 zusammenfassend dargestellt.
3.2 Geschlechter- und Familienleitbilder vor 1949 Die Geschichte der Familie im 18. und 19. Jahrhundert mit der Entwicklung vom ‚ganzen Haus’ zur bürgerlichen Kleinfamilie wurde im 2. Kapitel bereits kurz beschrieben. Hier soll nun auf die Konsequenzen dieser Entwicklung für die Konstruktionen von Väterlichkeit und Mütterlichkeit eingegangen werden. Obwohl Väter bei außerhäusiger Beschäftigung in den Familien kaum mehr anwesend waren, hielt sich ihre innerfamilial autoritäre Rolle diskursiv nahezu unhinterfragt. Die in der Zeit des Absolutismus gottesähnliche Stellung des Vaters wandelte sich in Folge der Säkularisierung hin zum innerfamilialen Vertreter der Gesellschaft. Diese Position wurde durch wissenschaftliche Diskurse nachhaltig untermauert. „Das Weib ist auf einen kleinen Kreis beschränkt, den es aber klarer überschaut; es hat mehr Geduld und Ausdauer in kleinen Arbeiten. Der Mann muß erwerben, das Weib sucht zu erhalten; der Mann mit Gewalt, das Weib mit Güte oder List. Jener gehört dem geräuschvollen öffentlichen Leben, dieses dem stillen häuslichen Cirkel. Der Mann arbeitet im Schweiße seines Angesichts und bedarf erschöpft der tiefen Ruhe; das Weib ist geschäftig immerdar, in nimmer ruhender Betriebsamkeit.“ (Aus einem Conversations-Lexikon von 1815, zitiert nach: Hausen 1976: 366)
Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts werden also Männlichkeit und Weiblichkeit in Verbindung mit verschiedenen Formen von Arbeit definiert und damit gleichzeitig geschlechtsspezifisch differierende innerfamiliale Rollen konstruiert. Männer werden auf die öffentliche Sphäre festgelegt und Frauen auf den privaten Raum. Die Position des Vaters erschöpft sich in der Ernährerrolle, ergänzt durch ordnende Eingriffe in das Familienleben. Der Diskurs zu Mütterlichkeit unterliegt im späten 18. sowie im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert tief greifenden Veränderungen, die von Schütze (Schütze 1986) anhand der Analyse von Ratgeberliteratur zu Erziehungsfragen untersucht worden sind. Dabei zeigt sich ‚Mutterliebe’ als ein neues kulturelles Deutungsmuster der Mutter-Kind Beziehung (Schütze 1986: 7). Dies ist gleichzeitig ein Prozess der Verwissenschaftlichung: 64
„Unter dem Einfluss der Wissenschaft wird traditionales Handeln durch zweckrationales ersetzt. (…) Die Verwissenschaftlichung der Mutter-Kind-Beziehung liegt im späten 18. und 19. Jahrhundert in den Händen der Ärzte, denen im 20. Jahrhundert die Psychologen nachfolgen.“ (Schütze 1986: 11)
Im Zuge dieser Verwissenschaftlichung geht die Medikalisierung der MutterKind-Beziehung bruchlos in deren Pädagogisierung und Psychologisierung über. Die Medikalisierung der Mutter-Kind-Beziehung wendet sich gegen die hohe Säuglingssterblichkeit. Der Arzt wird zum Ratgeber der Mutter. Die Präsenz von Ammen, Kinderfrauen und Hebammen wird problematisiert. Sie werden teilweise aus dem Familienalltag verdrängt. Anfang des 19. Jahrhunderts tauchen in den Ratschlägen der Ärzte, die sich bisher weitgehend auf den Umgang mit dem Körper beschränkten, Definitionen von Mutterliebe auf, welche diese mit Aufopferung und Pflichterfüllung in Verbindung bringen (Schütze 1986: 30/31), eine Verknüpfung mit weitreichenden Folgen bis in die heutige Zeit. Gleichzeitig mit der Erfindung der Mütterlichkeit wandelte sich die Haltung zur weiblichen Sexualität: Aus den triebhaften Weibern des Mittelalters wurden enthaltsame und sexlose moralische Wesen (ebd.: 38). Aus der Mutterliebe als Pflichterfüllung ergeben sich erste Androhungen von Schuldgefühlen bei Nichterfüllung der Pflicht: Das Bild der ‚schlechten Mutter’ hält Einzug in den Diskurs. Väter tauchen in den von Schütze untersuchten Ratgebern als relevante Erziehungspersonen kaum auf und bleiben damit auch von Vorwürfen der ungenügenden Erziehung ihrer Kinder verschont. Auch diese paradoxe Logik erscheint noch heute vertraut. Die Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts einsetzende Pädagogisierung des Eltern-Kind-Verhältnisses begann zunächst mit der durch die Medizin inspirierten „Überwachung und Pflege es kindlichen Körpers“ (ebd.: 44), z. B. in Form von Essensrationierungen und Kaltwasserkuren. Diese diskursiv propagierten Maßnahmen breiteten sich in der Realität des Familienlebens schichtspezifisch unterschiedlich aus: Von Adel und Bürgertum wurden sie zur neuen Wahrheit erklärt, von Arbeiterschaft und Bauern eher mit Misstrauen betrachtet. Die in der Aufklärung geprägte Idee der bewussten Erziehung, die sich an der Natur des Kindes zu orientieren habe, fand Eingang in pädagogische Konzepte des 19. und 20. Jahrhunderts. Beeindruckend ist, dass sich diese Definition von Mütterlichkeit als ‚natürlich’ bis in die Gegenwart gehalten hat. „Im Begriff der Mutterliebe erhält sich wie in keinem anderen die Sehnsucht nach unverfälschter Natur. Keine menschliche Beziehung wird so häufig in Analogie zum Tierverhalten interpretiert.“ (Schütze 1986: 6)
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Von der ersten Frauenbewegung Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts wurde weibliche Erwerbstätigkeit in der Regel als Alternative zur Mutterschaft thematisiert. Erwerbsarbeit und Mutterschaft wurden als unvereinbar angesehen, eine Einstellung, welche schon damals Schwierigkeiten für allein erziehende Mütter sowie für Arbeitermütter und Bäuerinnen bedeutet haben dürfte. Obgleich die Forderung nach dem Zugang zum öffentlichen Raum für Frauen einen Schritt nach vorne bedeutete, blieb der Weg zur Erwerbstätigkeit de facto für viele Frauen dadurch versperrt, dass eine Entscheidung zwischen Erwerbsarbeit und Mutterschaft getroffen werden musste. Auch von den meisten der damaligen feministischen Autorinnen wurde Mütterlichkeit idealisiert und mit besonderen weiblichen Fähigkeiten in Verbindung gebracht. Gleichzeitig wurden Anfang des 20. Jahrhunderts schon Ganztags- Kinderbetreuungseinrichtungen gefordert. Die damalige sozialdemokratische Frauenbewegung distanzierte sich von der bürgerlichen, welche auf Bildung der Arbeiterschaft zu Emanzipationszwecken setzte. Für die Arbeiterinnen jedoch stand angesichts verheerender Arbeits- und Lebensbedingungen der Klassenkampf im Vordergrund. Die Erziehungsziele betreffend waren sich Sozialdemokratinnen und Arbeiterinnen jedoch einig: Ordnung, Sauberkeit und Gehorsam bestimmten in beiden Gruppen den Diskurs zu Erziehung (Schütze 1986: 64ff.). Die Ausbreitung und Ideologisierung dieser erzieherischen Leitmotive durch Medizin und Pädagogik Anfang des 20. Jahrhunderts forderte von den Müttern enorme Disziplinierungen im Umgang mit ihren Kindern: Zum Wohle der Kinder sollten Zärtlichkeiten unterbleiben und die Nahrungsaufnahme innerhalb vorgegebener Zeitstrukturen und nicht an den Bedürfnissen der Kinder orientiert erfolgen. Das Befolgen dieser Grundsätze wurde zur Mutterpflicht und mit der Gefährdung des Wohlbefindens und sogar des Überlebens der Kinder begründet. Die Konstruktion des weiblichen Charakters als gefühlsbetont und weich blieb jedoch bestehen, so dass die Mütter zwangsläufig in den Konflikt gerieten, entweder gegen die ihnen zugeschriebene ‚Natur’ oder gegen die Erziehungsleitsätze ihrer Zeit zu handeln (ebd.: 68ff.). Kontrolle und Durchsetzung der beschriebenen Leitsätze wurde in den Erziehungsratgebern der damaligen Zeit den Vätern zugedacht (Opitz 1998). Somit führten Pädagogisierung und Psychologisierung der Elternrollen zur Verfestigung der Aufspaltung in das Gefühlsbetonte und Weiche als mütterliche Qualität und die Aneignung und Weitergabe gesellschaftlichen Wissens als väterliche Aufgabe. Diese diskursive Aufspaltung von Charaktereigenschaften, Fähigkeiten und Aufgaben zwischen den Geschlechtern bedeutete für allein erziehende Mütter die Unterstellung eines Mangels an rationaler Kontrolle in der Interaktion mit ihren Kindern. Für die wenigen allein erziehenden Väter dieser Zeit (im Falle des Todes der Mutter kümmerten sich in der Regel weibliche Verwandte um die 66
Kinder) ergab sich aus den beschriebenen dichotomen Geschlechterbildern die Annahme eines Defizits fürsorglicher Erziehungsqualitäten. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts beginnt die diskursive Verflechtung der Konstruktionen von Geschlecht und Familie mit der faschistischen Geschlechterideologie, abzulesen an dem inflationären Gebrauch des Wortes ‚Rassenhygiene’ (auch durch SozialdemokratInnen und FrauenrechtlerInnen) im Zusammenhang mit Fortpflanzung und Mütterlichkeit (vgl.: Schütze 1986: 59). Im deutschen Nationalsozialismus wird dieser Begriff dann zugespitzt und mit dem Begriff der Nation verknüpft. Für die ‚deutsche Mutter’ wird eine möglichst große Kinderzahl zur Pflicht. Die „Mütterlichkeitsideologie wurde während des Nationalsozialismus nicht einzelnen Kinderärzten u. Ä. überlassen, sondern gehörte zum Repertoire staatlicher Propaganda, der es um das ‚Volksganze’ ging.“ (Schütze 1986: 74)
Familienpolitik war also „im Nationalsozialismus zur staatlichen Eugenik und Rassenpolitik pervertiert“ (Langer 1985a: 110). Vinken zufolge wirkte sich die nationalsozialistische Geschlechter- und Rassenpolitik auf vier Ebenen aus: „Erstens trat sie im Namen einer klaren Geschlechtsidentitätspolitik an, in der die dekadente Geschlechterverwirrung an ihr Ende gebracht werden sollte. Damit sollte auch eine natürliche oder gesunde Sexualität begründet werden. Zweitens setzte sie eine rein männliche staatliche Sphäre durch; auch die traditionelle Berufswelt wurde männlich definiert. Der natürliche Beruf der deutschen Frau war der Mutterberuf. Drittens unterminierte sie die bürgerliche Familienideologie. Und sie begründete viertens eine staatliche Biopolitik, die als ‚Deutschreligion’ die arische Mutter religiös überhöhte.“ (Vinken 2001: 266)
Die Politik der Nationalsozialisten in Sachen Frauenerwerbstätigkeit nahm eine Entwicklung vom Ausschluss der Frauen aus dem Berufsleben (1934) über die Förderung von Frauenerwerbstätigkeit über spezielle Kredite (1937) bis zur Arbeitspflicht (1943). Sie orientierte sich dabei an den jeweiligen ökonomischen Notwendigkeiten und störte sich nicht an dem Widerspruch der andauernden Betonung der Geschlechterdifferenz bei gleichzeitiger Verpflichtung der Frauen zur Fabrikarbeit. Die nationalsozialistischen Mütter- und Väterbilder zogen sich ungeachtet der Familienrealitäten, in denen allzu häufig die Väter abwesend und die Mütter erwerbstätig und alleine für die Erziehung und Versorgung ihrer Kinder verantwortlich waren, stringent von 1933 bis 1945 durch (vgl.: Opielka 2002). Hier ist ein Auseinanderklaffen von Diskursen und Leitbildern einerseits und Familienrealitäten andererseits zu konstatieren. Merkel zufolge diente dabei dem faschistischen Staat die Konstruktion einer männlichen und einer
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weiblichen Welt gekoppelt an die ideologische Aufwertung von Mutterschaft dazu, sich der aktiven Mitarbeit der Frauen zu versichern. Hierfür wurde „der familiale Bereich (…) in seiner Bedeutung für den Fortbestand des ‚Volksstaates’ dem männlichen Bereich der Arbeit gleichgestellt.“ (Merkel 1990: 18) „Die traditionellen Wertvorstellungen wurden nicht nur bedeutungsvoll erhöht, sie wurden auch nationalistisch umgewertet. Mütterlichkeit war nicht mehr einfach der behutsame Umgang mit dem eigenen Kind, sondern eine ‚seelische Haltung zum Volksstaat’, sie war ‚heldisch’ oder ‚völkisch’ und nicht mehr die Privatangelegenheit einer Frau. Wer Mutter werden wollte – und darin sollte schließlich die Erfüllung jeder Frau liegen – der musste sich genetisch und seelisch als würdig erweisen.“ (ebd.)
Dabei war die gleichzeitige Heroisierung von Heldenmüttern und die Vernichtung von zu ‚unwertem Leben’ erklärten Müttern und Kindern ein ebenso allgemein gewusster wie verdrängter Zusammenhang (vgl.: ebd.). Die Begrenzung des Frauenideals auf Mutterschaft fand ihre Entsprechung in der weitgehenden Reduktion der Rolle des Vaters auf die biologische Fortpflanzungsfunktion. Gleichzeitig stand der Mann im Zentrum faschistischer Ideologiebildung. Dabei konnte an bereits bestehende Männerbilder angeknüpft werden: „Die von der faschistischen Ideologie getragenen Zuschreibungen an die Männlichkeit – wie: bestimmt, behauptend, stark, eindringlich, mutig, mächtig, ungestüm, hart, zäh usw. – unterschieden sich ja zunächst in keiner Weise von den seit je gängigen Geschlechterstereotypen.“ (Merkel 1990 :49)
Sie erfuhren allerdings Zuspitzung in ihrer extremen Ausrichtung auf Selbstzucht und Selbstbeherrschung mit dem alleinigen Ziel, Männer auf das Leben als Soldat, auf den Krieg hin zu konditionieren. Die Konstruktionen bzw. Idealisierungen nationalsozialistischer Geschlechter- und Familienbilder bezogen sich also auf Mütter und Männer: Männer in ihrer Rolle als Väter und Frauen, die nicht Mütter wurden, wurden weitgehend ausgeblendet bzw. abgewertet. Dabei erklärt sich die Faszination des nationalsozialistischen Mutterbildes auf die weiblichen Massen aus der Anerkennung von Familienarbeit als solche und dem gleichzeitigen Versprechen - sozusagen als Gegenleistung - starke Männer zu produzieren: „Hitler versprach den unverdorbenen, natürlichen deutschen Frauen in unüberhörbarem sexuellem Innuendo Männer, die ihren Mann stehen, ‚stramme und tadellose junge Spatenmänner’.“ (Vinken 2001: 267) Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass im deutschen Nationalsozialismus extreme diskursive Aufwertungen in den Zuschreibungen zu
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Männlichkeit und Mütterlichkeit produziert wurden. Die durch Arbeitsteilung, Pädagogisierung und Psychologisierung bereits historisch angelegte dichotome Konzeption der Geschlechter erfuhr durch den erhöhten propagandistischen Druck nationalsozialistischer Geschlechter- und Familienpolitik eine neue Zuspitzung. In den ersten Jahren nach 1945 war in Ost wie West die Familienrealität vielfach durch die vorherige lange Abwesenheit der Männer in Krieg und Gefangenschaft und die damit verbundene gewachsene Selbstständigkeit der Frauen in allen Lebensbereichen geprägt. Eine Situation, die bei der Rückkehr der Männer vielfach Ursache für Konflikte im Verhältnis zwischen den Geschlechtern war. Auch die Beziehung zwischen den heimgekehrten Vätern und ihren Kindern war oft über viele Jahre von Entfremdung gekennzeichnet. Ein Großteil der Frauen war über mehrere Jahre hinweg allein erziehend gewesen, durch die vier Millionen im Krieg gestorbenen Männer war die Zahl verwitwerter Frauen hoch, so dass die Ein-Elter-Familie in den Nachkriegsjahren einen Normalitätsstatus besaß. 1945 entstanden in vielen großen Städten Frauenausschüsse, die in dem Versuch, die Stunde der Neugestaltung der Verhältnisse zu nutzen, auf die Aufhebung der horizontalen und vertikalen Segregation der Geschlechter hinwirkten. Das Ziel war die Anerkennung der Arbeit von Frauen (Langer 1985b). In den folgenden Abschnitten wird sich zeigen, inwiefern sich die hier beschriebenen Konstruktionen von Geschlecht und Familie in den Leitbildern von DDR und BRD widerspiegeln bzw. verändern.
3.3
DDR 1949 – 1989
In diesem Unterkapitel wird sowohl Primärliteratur in Form von Zitaten aus Politikerreden und Gesetzestexten als auch Sekundärliteratur verwendet, in der die Geschlechter- und Familienpolitik der DDR analysiert wird. Die in der Sekundärliteratur angeführten AutorInnen stammen aus dem Westen (z. B. Opielka, Helwig, Kreckel/Schenk) wie aus dem Osten Deutschlands (z. B. Döllling, Nickel, Drauschke). Im Unterschied zum Westen konnten die nicht den offiziellen staatlichen Leitbildern entsprechenden Diskurse zu Geschlecht und Familie in der DDR erst nach 1989 veröffentlicht werden. Diese Diskurse waren zunächst stark von der westlichen Sicht auf die DDR beeinflusst.
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3.3.1 Der Diskurs zu Geschlechtergerechtigkeit Bereits mit Gründung der DDR im Jahr 1949 wurde die Gleichstellung der Frau in allen Lebensbereichen in die Verfassung aufgenommen. Das Frauenbild der DDR basierte auf marxistischen Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung, wonach die ökonomische Unabhängigkeit der Frau und ihre uneingeschränkte Teilnahme am Produktionsprozess als die wesentlichen Elemente der Gleichberechtigung angesehen wurde (vgl.: Opielka 2002). Die Frauenpolitik der DDR muss als eine bewusste Abgrenzung zur nationalsozialistischen Frauen- und Familienpolitik verstanden werden. In den fünfziger Jahren wurde die Gleichstellung der Frauen in der DDR sowohl von ‚oben’, also vom Staatsapparat, als auch von ‚unten’, z. B. von sozialen Bewegungen wie antifaschistischen Frauenorganisationen, initiiert und propagiert.39 Der Zugang von Frauen zur Vollzeiterwerbstätigkeit als ökonomische Basis der Unabhängigkeit vom Mann stand auch im Zentrum der Familienpolitik der DDR. Hier gab es neben der ideologischen Dimension auch eine starke ökonomische Motivation: Frauen als Arbeitskräfte wurden dringend gebraucht. Der Aufbau des Sozialismus war an erster Stelle Aufgabe der Männer. Hier wurden Frauen eher als ‚Mithelfende’ betrachtet (siehe Dölling 1993). Der Aufstieg in die Schaltstellen gesellschaftlicher Macht gelang ihnen nur in Ausnahmefällen.40 Für Frauenerwerbstätigkeit waren auf institutioneller Ebene Kinderbetreuungseinsrichtungen eine unverzichtbare Vorbedingung. Durch das 1950 verabschiedete „Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau“ wurde die juristische Basis für die wirtschaftliche Selbstständigkeit der Frauen gelegt (vgl.: Gerlach 1996: 109). Der Aufbau eines Bedarfs- deckenden Systems von Krippen-, Kindergarten- und Hortplätzen führte bereits in den 50er Jahren zu einer 45 - prozentigen Vollzeiterwerbstätigkeit bei Frauen im Alter zwischen 16 und 60 Jahren (Kreckel und Schenk 2001). Gleichzeitig löste das politische Programm der Emanzipation in den fünfziger und sechziger Jahren „öffentliche Debatten über eine Vergesellschaftung der Hausarbeit und eine ’gerechte’ Aufteilung der Arbeiten im Haushalt zwischen Mann und Frau“ (Dölling 1991: 198) aus, welche in den siebziger und achtziger Jahren wieder verebbten und in der Realität der Familien 39
In den Anfangsjahren der DDR riefen antifaschistische Frauenorganisationen Frauen dazu auf, beruflich tätig zu werden und ihre Bildungsmöglichkeiten voll zu nutzen. Kinderbetreuung wurde oftmals direkt durch die Frauenausschüsse am Arbeitsplatz organisiert. 40 „Gut drei Viertel aller Arbeitnehmer, die 600 bis 700 Mark im Monat verdienten, waren Frauen, während ihr Anteil an den Gehaltsstufen über 1500 Mark nur knapp 16 Prozent ausmachte. In Führungspositionen waren Männer erheblich überrepräsentiert. Das galt für die Wirtschaft wie für die Politik.“ (Helwig, 1993: 9) Zu den im Verhältnis zu Männern schlechteren Aufstiegschancen von Frauen in der DDR am Beispiel von Ärztinnen siehe (Lützenkirchen 1999).
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nur zu sporadischer Mithilfe der Männer führten. Die zentrale Verantwortung für Kinder und Haushalt verblieb auf Seiten der Mütter: Trotz der staatlichen Proklamation des Leitbildes der berufstätigen Mutter und einer weit verbreiteten gesellschaftlichen Akzeptanz mütterlicher Vollerwerbstätigkeit standen Merkel zu Folge erwerbstätige Mütter und insbesondere Alleinerziehende im Alltagsleben unter dem Verdacht, den Kindern nicht genügend Behütung und Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. Die Kinder Alleinerziehender waren in besonderem Maße sozialer Kontrolle ausgesetzt (Merkel 1990: 151). Wurde ein Verdacht der Verwahrlosung an die Jugendhilfe weitergeleitet, so bestand die Möglichkeit, dass die Kinder aus den Familien herausgenommen und staatlichen Institutionen übergeben wurden. Von derlei Maßnahmen waren Alleinerziehende in besonderem Maße betroffen. Die Erziehungsziele der Ordnung, Sauberkeit und Disziplin setzten sich auch in den Erziehungsleitsätzen der DDR durch. Die Aufgabe der Kontrolle der Erziehung wurde von ‚Vater Staat’ übernommen. Wenngleich die Kleinfamilie nicht abgeschafft werden sollte, so spricht aus dem Verhalten des SED – Staates doch ein Misstrauen gegenüber dieser schwer zu kontrollierenden Sozialisationsinstitution (Gerlach 1996: 112). Aus dem Leitbild der Emanzipation der Frau folgten weder die Infragestellung der binären Zuordnung von Männlichkeit und Weiblichkeit, noch von Mütterlichkeit und Väterlichkeit. Vielmehr wurde ein Teil des väterlichen Aspektes vom Staat übernommen und der Mütterlichkeit die Erwerbstätigkeit hinzugefügt. Die Proklamation von Frauenerwerbstätigkeit als Bestandteil der sozialistischen Lebensweise brachte neben finanzieller Unabhängigkeit auch neue Qualifizierungschancen für Frauen mit sich: Bereits in den fünfziger Jahren sind in der DDR erste Tendenzen zu einer „gewissen Umordnung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung“ und der Veränderung des „Charakters der Frauenarbeit“ (Merkel 1990: 28) weg von ungelernter und hin zu qualifizierter Berufsarbeit zu verzeichnen. Die doppelte Vergesellschaftung41 der Frauen führte jedoch weder auf der Ebene der Familienrealitäten, noch im politischen Diskurs zu Geschlechtergleichheit. Ursachen hierfür sind der weiterhin geschlechter- segregierte Arbeitsmarkt und der Mangel an doppelter Vergesellschaftung der Männer. Beiden Aspekten lagen Familienleitbilder zu Grunde, welche die erste Aufgabe der Frauen weiterhin in der Mutterschaft sahen. Ein Gefühl für den Ton der frühen DDR-Politik lässt sich durch die folgende Passage einer Rede Otto Grotewohls, 41 Mit doppelter Vergesellschaftung ist die gleichzeitige Verortung in Familien- und Erwerbsarbeit gemeint (Becker-Schmidt 1987b) (siehe auch Kapitel 2).
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dem damaligen Ministerpräsident der DDR, zum „Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau“ vor der Provisorischen Volkskammer der DDR am 27. September 1950 vermitteln: „So muss der Staat alles tun, damit die Frau ihre Aufgabe als Bürgerin und Schaffende mit ihren Pflichten als Frau und Mutter vereinbaren kann. Er hat aber auch die Verpflichtung, alles zu tun, um jene Grundlagen zu sichern, die notwendig sind, dass die Kinder zu geistig und körperlich tüchtigen Menschen heranwachsen können. Es ist daher von grundsätzlicher Bedeutung, was der Staat an besonderer Hilfe für Mütter und Kinder leistet, wobei der Förderung des Kinderreichtums besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss (…).“ (in: Müller 1975: 179)
In diesem Zitat sind einige zentrale Aspekte der Geschlechterpolitik in der DDR enthalten: Mutterschaft, und zwar am Besten vielfache, erscheint als eine natürliche Pflicht, die nun durch Erwerbstätigkeit ergänzt werden soll. Der Staat ergreift Maßnahmen, nicht nur um die so konzipierte maximale Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft sicherzustellen, sondern auch um das Heranwachsen von arbeitsamem Nachwuchs zu ermöglichen42. Die Pflicht der Väter zur Pflege und Förderung ihrer Kinder bleibt vollständig ausgeblendet – in diese Lücke springt ’Vater Staat’ ein. In einer weiteren Rede sieben Jahre später erwähnt Otto Grotewohl zwar, dass sich Männer der Gleichberechtigung der Frauen nicht in den Weg stellen sollen, aber von der Ausformulierung einer bedeutsamen ’individuellen’ Vaterrolle ist man nach wie vor weit entfernt: „Unsere Mütter tragen die Sorge um die Kinder nicht mehr allein. Sie teilen sie gemeinsam mit der Regierung und mit der gesamten Gesellschaft“ (in: Müller 1975 :219)43 – aber nicht mit den Vätern – so lässt sich hinzufügen. Die gesellschaftliche Abwertung intellektueller Berufe in der DDR (ihre Anerkennung reduzierte sich oftmals darauf, dass sie im Dienst der Arbeiterklasse standen) ging im Laufe der fünfziger und sechziger Jahre mit der Feminisierung ganzer Berufsgruppen (Lehrer, Kinder-. Allgemein- und Zahnärzte, Architekten, Grafiker, Designer) einher. Die starke Abwanderung aus der DDR und der damit einhergehende Mangel an Arbeitskräften führte Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre zu einem erhöhten Druck auf die verbliebene Bevölkerung: Nach dem Mauerbau 1961 und der Proklamation der wissenschaftlich-technischen Revolution wandelte sich die Förderung von Frauenerwerbstätigkeit in die Verpflichtung 42
Wie wenig durchgängig die Reflexion des deutschen Faschismus auch in der DDR – Politik war, zeigt die Formulierung der „geistig und körperlich tüchtigen“ Kinder, in der die Abwertung und Ausgrenzung der diesem Maßstab nicht entsprechenden Menschen enthalten ist. 43 Otto Grotewohl auf dem VI. Bundeskongress des Demokratischen Frauenbundes in Weimar, 10. Dezember 1957.
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beider Geschlechter zur Erwerbstätigkeit. Während die politischen Organe der DDR die Frage, ob Mütter zum Zwecke der Kindererziehung befristet oder dauerhaft zu Hause bleiben können, in den 50er Jahren noch recht vorsichtig behandelt hatten und die Konzentration auf Familienarbeit sogar als ein „moralisches Recht“ (siehe Helwig 1993:12) bezeichneten, so wurde nun ein Verzicht auf Erwerbsarbeit aus familialen Gründen als „Bewusstseinsrückstand“ (ebd.) diffamiert. Gleichzeitig wurde das Programm zur Emanzipation der Frau systematisch den in der Nachkriegszeit entstandenen sozialen Bewegungen aus der Hand genommen: In den ersten 15 Jahren DDR-Geschichte büßten sowohl die Betriebsfrauenausschüsse, als auch der DFD (Demokratische Frauenbund Deutschlands) ihre gesellschaftspolitischen Handlungsmöglichkeiten weitgehend ein, da sie der direkten Kontrolle der SED unterstellt wurden. Diese Einverleibung war Ausdruck und Resultat des in seinen Grundzügen bereits in der Gründung der DDR verankerten „zentralistisch-administrativen Konzepts der SED für den Aufbau des Sozialismus“ (Clemens 1990: 22). Mit dieser Entwicklung wurden wesentliche Machtaspekte, u. a. die Definitionsmacht über Frauenund Männerbilder sowie Familie, von den im Zentralkomitee der SED quantitativ stark dominierenden Männern übernommen. In den 60er Jahren wurde eine frauenpolitische Verschiebung hin zur Förderung von Weiterbildung und Qualifikation vorgenommen. Der Gleichberechtigungs- Propaganda zufolge wird Frauen der Zugang auch zu traditionell von Männern besetzten Bereichen ermöglicht. Dieses Leitbild wird jedoch in der gesellschaftlichen Realität keinesfalls durchgängig umgesetzt. Nicht alle beruflichen Wege stehen Frauen in gleichem Maße offen, sie sind weiterhin stärker im Reproduktions- und Dienstleistungsbereich anzutreffen (Nickel 1990: 11, vgl. auch Dölling 1991) Die in der DDR stark ausgeprägte geschlechtstypische Berufswahl, die sowohl FacharbeiterInnen – Ausbildungen, als auch akademische Berufe betraf, war keineswegs Ausdruck individueller Vorlieben und Entscheidungen, sondern das Resultat struktureller, planwirtschaftlicher Vorgaben bei der Vergabe von Lehrstellen, Studien- und Arbeitsplätzen (Nickel 1990), so wie insgesamt die Lebensläufe in der DDR in starkem Maße als Institutionen- gesteuert betrachtet werden müssen.44 Parallel zu der ständig zunehmenden Frauenerwerbstätigkeit blieb die gesellschaftliche Forderung an Frauen, Mütter zu werden, bestehen, allerdings bei gleichzeitiger Ignoranz der hierdurch entstehenden Anforderungen an die individuellen Ressourcen der Frauen. 44 Dies betrifft sowohl die Steuerung und Eingrenzung von Familienzeiten, als auch die staatliche Beeinflussung von Ausbildungs- und Berufswahl.
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Bereits Mitte der 60er Jahre jedoch ließ sich die bis dahin vollständige Ausblendung von Familienarbeit als einem gesellschaftlich relevanten Faktor nicht mehr aufrechterhalten. Zunehmende Zahlen von Ehescheidungen und ein starker Geburtenrückgang führten zu familienpolitischen Wendungen: 1965 wurde ein neues Familiengesetzbuch vorgestellt, in dessen Präambel die Familie über Ehe definiert und beide als staatstragende Institution etabliert wurden45. Dies liest sich folgendermaßen: „Die Familie ist die kleinste Zelle der Gesellschaft. Sie beruht auf der für das Leben geschlossenen Ehe und auf den besonders engen Bindungen, die sich aus den Gefühlsbeziehungen zwischen Mann und Frau und den Beziehungen gegenseitiger Liebe, Achtung und gegenseitigen Vertrauens zwischen allen Familienmitgliedern ergeben.“ (DDR 1965 [1975]: 5)
Aus dem hinter dieser Familiendefinition stehenden Leitbild waren Alleinerziehende und Homosexuelle ausgegrenzt, die heterosexuelle Ehe wurde idealisiert. Während sich die Ausgrenzung Homosexueller durch alle gesellschaftlichen Ebenen und durch die gesamte Geschichte der DDR zog (vgl.: Starke 1994), zeigt sich in der Haltung des SED-Staates zu der relativ hohen Zahl Alleinerziehender (siehe Kap.4) eine Ambivalenz: Alleinerziehende fanden zwar in dem bereits erwähnten 1965 eingeführten Familiengesetzbuch der DDR keinerlei Erwähnung, es wurden jedoch in den folgenden Jahren sozialpolitische Erleichterungen für Alleinerziehende eingeführt.46 1967, auf dem VII. Parteitag der SED, wurde die Zuständigkeit beider Ehepartner für Haus- und Erziehungsarbeit betont. Auf dem VIII. SED – Parteitag 1972 reagierte die Familienpolitik der DDR auf die stetig sinkenden Geburtenzahlen mit der Ausformulierung bevölkerungspolitischer Ziele (vgl.: Opielka 2002). In den nun eingeführten sozialpolitischen Maßnahmen kommt zwar der Mutterrolle eine gewisse Anerkennung zu, die familiale Arbeitsteilung jedoch wird erneut festgeschrieben. So konnte die von acht auf zwölf Wochen verlängerte Freistellung von der Erwerbsarbeit nach der Geburt eines Kindes, die
45 „Das Familiengesetzbuch lenkt die Aufmerksamkeit der Bürger, der sozialistischen Kollektive und der gesellschaftlichen Organisationen auf die große persönliche und gesellschaftliche Bedeutung von Ehe und Familie und auf die Aufgaben jedes Einzelnen und der gesamten Gesellschaft, zum Schutz und zur Entwicklung jeder Familie beizutragen.“ (DDR 1965 [1975]: 7) 46 Z. B.: „Alleinstehende Werktätige erhalten bei Freistellung von der Arbeit zur Pflege erkrankter Kinder ab dem dritten Tag bis längstens 13 Wochen im Kalenderjahr als Unterstützung das gesetzliche Krankengeld.“ (Müller 1975 :290) Aus dem gemeinsamen Beschluss des Zentralkomitees der SED, des Bundesvorstandes des FDGB und des Ministerrates der DDR über sozialpolitische Maßnahmen in Durchführung der auf dem VIII. Parteitag beschlossenen Hauptaufgabe des Fünfjahresplanes, Berlin, 27. April 1972.
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später zum Babyjahr47 ausgedehnt wurde, nur von Frauen in Anspruch genommen werden. Die Nichtzuständigkeit von Männern für die Säuglingspflege wurde somit institutionell gefestigt. Alleinerziehende wurden gegenüber verheirateten Paaren durch die Einführung eines zinslosen Ehekredits und die Bevorzugung von frisch Verheirateten bei der Wohnraumvergabe benachteiligt (Drauschke und Stolzenburg 1995: 100/101). Erst Ende der 70er Jahre bekamen allein erziehende Väter (nicht: alle Väter!) die gleichen Rechte wie Mütter. Im 1978 veröffentlichten Arbeitsgesetzbuch heißt es unter § 251: „Vergünstigungen für allein stehende Väter: Die für vollbeschäftigte werktätige Mütter geltenden Bestimmungen über die Dauer der Arbeitszeit und des Erholungsurlaubs finden auch für vollbeschäftigte allein stehende Väter Anwendung, wenn es die Betreuung des Kindes bzw. der Kinder erfordert.“ (DDR 1978: 62)
Durch den Umstand, dass die Neuerung im Gesetzestext sich ausdrücklich nur auf allein erziehende Väter und nicht auf alle Väter erstreckt, kommt das staatliche Interesse an traditioneller Rollenaufteilung in Zwei-Eltern-Familien besonders deutlich zum Ausdruck. Das Identifikations– Angebot an Frauen für die Mühen der doppelten Vergesellschaftung, bestand in der DDR in der Konstruktion der ‚sozialistischen Mütter’ als Teil des ’sozialistischen Kollektivs’. Die Frauen, die diesem Leitbild folgten, wurden großzügig mit Lobpreisungen durch das Zentralkomitee der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) und ihrer Organe eingedeckt (vgl.: Müller 1975). In der DDR waren gegen Ende der 80er Jahre rund 91 Prozent der Frauen berufstätig, ein Viertel von Ihnen arbeitete in Teilzeit48 (Nickel 1990). Der Wunsch nach flexibleren Arbeitszeitregelungen und Teilzeit - Möglichkeiten wurde jedoch von erheblich mehr Frauen geäußert, ein Bedürfnis, dem von Seiten des Staates nicht entsprochen wurde. Für die Ausgestaltung des Ideals der vollerwerbstätigen Frau und Mutter wurden männliche Zeitverhältnisse als Maßstab herangezogen (Nickel 1990). Trotz der weit verbreiteten Vollerwerbstätigkeit von Frauen, dem ’doppelten’ Arbeitsbeitrag der meisten Mütter und ungeachtet der Lobeshymnen auf DFD49 - Veranstaltungen wurde Frauen häufig weiterhin der Status von Hilfsarbeiterinnen zugeschrieben. So hieß es auf
47 Das so genannte Babyjahr bestand in zwölf Monaten Freistellung von Erwerbstätigkeit ohne Einkommensverlust (Dornseiff und Sackmann 2003 :323). 48 Wobei angemerkt werden muss, dass eine Teilzeitstelle in der DDR in der Regel ca. 30 Wochenarbeitsstunden bedeutete, während der Begriff Teilzeitarbeit in Westdeutschland häufig eine erheblich geringere Stundenzahl beschrieb und beschreibt. 49 Demokratischer Frauenbund Deutschlands.
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einem Plakat zum XI. SED – Parteitag noch 1986: Frauen „schaffen den Wohlstand mit“ (zitiert nach: Dölling 1991: 174).50 Im Vergleich zur BRD war die Situation allein erziehender Frauen in der DDR jedoch gegen Ende der 80er Jahre Drauschke zufolge durch „soziale Sicherheit, Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie, Einkommenssicherheit, ein Netz öffentlicher Kinderbetreuung“ sowie „eine weitgehende öffentliche Akzeptanz dieser Familienform (…)“ (Drauschke 2002: 123)
geprägt. Dies führte u. a. dazu, dass in der DDR weniger Alleinerziehende als arm einzustufen waren als in der BRD. „Bei Festlegung der Armutsschwelle auf 40% des Pro-Kopfnettoeinkommens aller Haushalte waren 5,7% aller Alleinerziehenden in der DDR, aber 39,4% der Alleinerziehenden in der BRD arm.“ (Niepel 1994a: 63)
Auch die rechtliche Situation war für Alleinerziehende in der DDR verhältnismäßig vorteilhaft: Im Vergleich zur BRD waren eheliche und uneheliche Kinder erheblich früher, nämlich bereits 1949 verfassungsrechtlich gleich gestellt. Wie Drauschke betont, gingen die für Alleinerziehende relativ günstigen sozialstrukturellen und rechtlichen Bedingungen in der DDR jedoch nicht mit einer kulturellen Gleichwertigkeit dieser Familienform gegenüber Zwei-ElternFamilien einher: „In der DDR verstanden sich unverheiratete Frauen mit Kindern als allein stehend oder auch als unvollständige Familie. Dahinter hat sich bewusst oder unbewusst eine traditionelle Sicht auf diese Familienform versteckt. Frauen fehlte sozusagen der Mann an der Seite. Als vollständig galt eine Familie dann, wenn zwei Elternteile vorhanden waren. Dass sich Frauen über Männer definierten, wurde trotz Fortschritten in der Gleichbehandlung von Frauen in der DDR nie überwunden. Demzufolge war die Qualität der ‚Ein-Eltern-Familie’ und auch deren Ressourcen ausgeblendet, vielmehr galt diese Familienform als defizitär.“ (Drauschke 2002: 125)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Leitbild der berufstätigen Frau und Mutter sich auf dem Weg massiver staatlicher Propagierung und deren Materialisierung auf der organisatorisch-institutionellen Ebene durchsetzte 50 Die Aussage dieses Plakates ist als typisch für den staatlichen Diskurs zur Rolle der Frau anzusehen. Auch in einer von der SED herausgegebenen Broschüre aus dem Jahre 1986 wird getitelt: „Die Frauen – aktive Mitgestalter der sozialistischen Gesellschaft.“ (DDR 1986: 116)
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(Schaeper und Falk 2001 :187). Es kann davon ausgegangen werden, dass sich „aufgrund des gestiegenen Qualifikationsniveaus bei Frauen fast aller Altersgruppen ein allgemeines Bedürfnis nach Berufstätigkeit entwickelt hatte“ (Hempel 1995: 52). Selbstverwirklichung im weiblichen Lebensverlauf wurde subjektiv in hohem Maße mit Berufstätigkeit verknüpft. Nichts desto trotz blieben Frauen bis in die achtziger Jahre in der DDR in der Regel vom Aufstieg in die einflussreichsten Felder beruflicher Hierarchien ausgeschlossen. In den achtziger Jahren ist eine vorsichtige Annäherung der Männer an Familienarbeit zu verzeichnen. Ab 1986 konnten auch Männer das Babyjahr in Anspruch nehmen. Das Zentrum männlichen Lebens bleibt jedoch die Vollerwerbstätigkeit. Durch die Normalisierung weiblicher Erwerbstätigkeit verlieren die Männer allerdings die Rolle des Haupternährers. Die lang andauernde diskursive und institutionelle Etablierung der traditionellen familialen Arbeitsteilung durch staatliche Maßnahmen erweist sich letztendlich für den DDR Staat als nicht tragfähig: Die Zahl der Scheidungen steigt an. Zwei Drittel der Scheidungen in der DDR werden in den 80er Jahren von Frauen eingereicht - häufig genannte Gründe sind die Hausarbeitslosigkeit des Mannes (vgl.: Nickel 1990), sowie dessen ungenügendes Engagement in der Kindererziehung. Auch die sinkenden Geburtenraten können als Zeichen der Unzufriedenheit der Frauen mit den gesellschaftlich üblichen Aufteilungen von Familienarbeit verstanden werden. Trotz des im Vergleich zur BRD erheblich besser ausgebauten Systems der öffentlichen Kinderbetreuung und der hohen Frauenerwerbstätigkeit in der DDR muss also festgestellt werden, dass auch in der DDR eine strukturelle Geschlechtergerechtigkeit nicht erreicht wurde. Sowohl vertikale, als auch horizontale Segregationsmechanismen prägen das Alltagsleben und die Verteilung gesellschaftlicher Macht bis zum Ende der DDR (Dölling 1991: 163 ff.). DDR-Frauen nahmen also als ‚biografisches Gepäck’ „eine ‚Gemengelage’ zwischen Selbstständigkeit, ökonomischer Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein (…) einerseits, ihres fraglosen Akzeptierens der Verantwortung für die familiären Belange andererseits“ (Dölling 2005: 27)
in die Zeit nach dem Zusammenbruch der DDR mit. Das Männerleben konzentrierte sich weitgehend auf Erwerbstätigkeit, diese wurde als ‚Aufbau und Erhalt des Sozialismus’ idealisiert. Das oben dargestellte Familienleitbild der DDR ist vom Verständnis differierender Fähigkeiten von Frauen und Männern geprägt, welches sich einerseits in strukturellen Ungleichheiten der Geschlechter ausdrückt und gleichzeitig von diesen immer neu produziert wird. Interessant ist allerdings, dass trotz fortbestehender Ungleichheiten viele Männer und Frauen
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aus der DDR der Überzeugung sind, die Gleichberechtigung der Geschlechter sei in der DDR erreicht gewesen.
3.3.2 Mütterlichkeit und Väterlichkeit Wie Mütterlichkeit in der DDR ‚offiziell’ besetzt war, untersuchte Dölling anhand der Analyse von Frauenzeitschriften: Noch Ende der achtziger Jahre war das Stereotyp der Mütterlichkeit im Sinne von Naturnähe und besonderen Fähigkeiten beim Pflegen hilfsbedürftiger Wesen das Leitmotiv vielfältiger Abbildungen von in der DDR herausgegebenen Zeitschriften (Dölling 1991: 200).51 In beständiger Wiederholung von Mütterlichkeits- Stereotypen wurde den Leserinnen einprägsam vermittelt, sie seien für andere Tätigkeiten als Männer ‚bestimmt’ (ebd.: 201). Zugleich ist bemerkenswert, dass ein Großteil der abgebildeten Frauen die dem Weiblichen zugeschriebene Fürsorglichkeit nicht den eigenen Kindern zukommen ließ, sondern sich im Rahmen ihres Berufes als Erzieherin, Krankenschwester etc. um die Kinder Anderer kümmert. In dem gleichzeitigen Verharren in Geschlechterstereotypen und ihrer Verlagerung aus dem privaten in den öffentlichen Bereich lassen sich sowohl Effekte des ’Doing Gender’ (siehe Kap.2.4) im Sinne einer Reproduktion traditioneller Zuschreibungen zu Geschlechterkategorien als auch Detraditionalisierungseffekte erkennen. Bemerkenswert ist, dass fürsorgliche Tätigkeiten auf den Abbildungen fast ausnahmslos idealisiert wurden, womit die Banalisierung der mit Kindererziehung und Pflegetätigkeit verbundenen Arbeitsbelastungen und Verantwortlichkeiten einherging. Alltägliche Probleme von Frauen spiegelten sich nicht in den Bildern der wichtigsten Frauenzeitschriften der DDR in den siebziger und achtziger Jahren. Die Betonung der ‚mütterlichen, natürlichen Fähigkeiten’ von Frauen trug stets das Potential der Ausgrenzung aus den männlich besetzten, der Kultur zugeschriebenen Bereichen wie der Ausbildung von Sachkompetenz, Leistungsfähigkeit und beruflichen Höchstleistungen in sich (Dölling 1991 :203). In den von Dölling untersuchten Frauenzeitschriften wurde Weiblichkeit mit Häuslichkeit verbunden. Die Aufgabe, ein gemütliches Zuhause für die Familie herzurichten, war untrennbar mit Vorstellungen von Mütterlichkeit verknüpft. Diese Aufgabe wurde in Bild und Text jedoch grundsätzlich mit dem Leitbild der berufstätigen Mutter verbunden. Die bürgerliche Hausfrau war ein Antibild im Selbstverständnis der DDR – Gesellschaft. Die Mühseligkeit von Hausarbeit und 51
Irene Dölling untersuchte in einer Forscherinnengruppe Fotos aus den Zeitschriften „Für Dich“ und „Neue Berliner Illustrierte“ (vor 1963 „Frau von Heute“). Der Arbeitsschwerpunkt lag auf Fotos aus den siebziger und achtziger Jahren.
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der mit ihr verbundene große zeitliche Aufwand wurden dethematisiert. Mit Reproduktionsarbeit war keine gesellschaftliche Anerkennung verbunden; Mütterlichkeit dagegen wurde besonders betont und hervorgehoben (ebd.: 216). Durch Inanspruchnahme des Babyjahres aus dem Zeit- und Leistungsdruck der Arbeitswelt auszusteigen, bedeutete, für ein Lebensjahr subjektiv andere Schwerpunkte als den der Erwerbsarbeit zu setzen. Mutterschaft stellte im Alltagsleben der DDR sowohl einen Gegenpol zur Berufswelt dar, ging aber auch in diese ein. Mütterlichkeit wird in Fürsorgeberufen funktionalisiert. In anderen Berufsfeldern wurde das Konstrukt Mütterlichkeit dazu benutzt, die Kompetenz von Frauen ‚weich zu zeichnen’ bzw. abzuschwächen. Da diese Abschwächung in der nur auf den ersten Blick positiven Idealisierung ‚besonderer weiblicher Fähigkeiten’ lag, war die Abwertung von Sachkompetenz in Bezeichnungen wie der Frau als ‚Seele des Kollektivs’ (ebd.: 205) nicht leicht zu durchschauen. Und wie stellte sich Väterlichkeit in der DDR dar? Bilder von Kinderwagen schiebenden Männern waren (auch) in der DDR eher die Ausnahme: Väterlichkeit wurde in der Vater-Sohn-Beziehung zu älteren Kindern gezeigt, die nicht mehr der Pflege bedurften. Sie bestand vor allem in der Beschäftigung mit ‚typisch männlichen’ Tätigkeiten, also technischen Spielen und Basteleien. Die besondere gesellschaftliche Rolle des Mannes setzte sich v. a. in der Beziehung zu Söhnen fort (Dölling 1991: 218; Merkel 1990: 166 ff.). Während Mütter also für Haushalt, Versorgung und Erziehung zuständig waren und ihnen wenig Zeit für Außergewöhnliches blieb, erlebten die Kinder ihre Väter in Spiel- und Ausnahmesituationen (Merkel 1990: 167). Mit der ansteigenden Zahl berufstätiger Frauen in der DDR verblasste das Bild vom Vater als dem Ernährer der Familie. Während Darstellungen von Vätern in den 60er Jahren noch deren Unsicherheit im Umgang mit den Kindern hervorhuben, reklamierte in den 80er Jahren eine zahlenmäßig langsam ansteigende Minderheit von Männern für sich das Recht auf zärtliche Gefühle auch zu ihren Kleinstkindern und begann, sich an deren Pflege und Versorgung zu beteiligen (Dölling 1991: 218 ff.). Die Bilder in Frauenzeitschriften dieser Jahre zeigen zunehmend Väter, die das Zusammensein mit ihren Kindern (und zwar sowohl größeren Kindern als auch Säuglingen) genossen und dabei vormals Mütterlichkeit zugeschriebene Eigenschaften wie Fürsorglichkeit und Zärtlichkeit ausbildeten. Die Erziehungsverantwortung scheint jedoch weiterhin bei den Frauen geblieben zu sein: Männer übernahmen nach wie vor eher spielerische Anteile in der Beschäftigung mit ihren Kindern. Die Toleranz unter Männern bezüglich der Veränderung des Vaterbildes stieß in dem Moment an ihre Grenzen, wo der Beruf im Leben der Männer seine
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eindeutige Vormachtstellung verlor, wo also Abstriche aufgrund familiärer Verpflichtungen gemacht werden mussten (Dölling 1991: 223).
3.3.3 Diskurse zum Kindeswohl Die flächendeckende weibliche Vollzeiterwerbstätigkeit führte zusammen mit der nicht in Frage gestellten männlichen Vollzeiterwerbstätigkeit dazu, dass in der Anfangszeit der DDR die Erziehungsfunktionen der Familie kaum beachtet wurden (vgl.: Gerlach 1996: 109). Ab den 60er Jahren wurden Familien jedoch zunehmend als wesentliche gesellschaftliche Sozialisationsinstanz vom Staat fokussiert (ebd.: 112). Die Diskurse zum Kindeswohl in der DDR beschäftigten sich in erster Linie mit der Definition und möglichst störungsfreien Produktion der ‚sozialistischen Persönlichkeit’. In dem Kapitel zu „elterlicher Erziehung“ im DDR Familiengesetzbuch war zu lesen: „Das Ziel der Erziehung der Kinder ist, sie zu geistig und moralisch hochstehenden körperlich gesunden Persönlichkeiten heranzubilden, die die gesellschaftliche Entwicklung bewußt mitgestalten. Durch verantwortungsbewußte Erfüllung ihrer Erziehungspflichten, durch eigenes Vorbild und durch übereinstimmende Haltung gegenüber den Kindern erziehen die Eltern ihre Kinder zur sozialistischen Einstellung zum Lernen und zur Arbeit, zur Achtung vor den arbeitenden Menschen, zur Einhaltung der Regeln des sozialistischen Zusammenlebens, zur Solidarität, zum sozialistischen Patriotismus und Internationalismus.“ (DDR 1965 [1975])
Die Heranziehung des ‚sozialistischen Menschen’ ging mit der Zuschreibung der Orientierung zu Ehe und Familie einher: „Die Erziehung der Kinder umfaßt auch die Vorbereitung zu einem späteren verantwortungsbewußten Verhalten zur Ehe und Familie.“ (DDR 1965 [1975] § 42 Abs.2 u.3).
Wesentlicher Teil der Erziehung zum sozialistischen Menschen war die intensive institutionelle Begleitung des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen, die sowohl unterstützende, als auch kontrollierende Merkmale aufwies. Wie weit dabei die Kontrolle des DDR-Staates im Umgang mit Kindern und Jugendlichen gehen konnte, zeigten die Reaktionen panischer Härte auf jugendliche Subkulturen und Protestaktionen (Wierling 1994). Denunziations- und Bespitzelungssysteme untergruben bis in die Familien hinein systematisch den Wert, der doch zum höchsten Erziehungsziel erklärt worden war, die gegenseitige Solidarität. Eltern mussten sich für ‚auffälliges Verhalten’ ihrer Kinder nicht nur
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rechtfertigen, sondern ein solches Verhalten konnte Konsequenzen bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes nach sich ziehen. Infolgedessen konnten sich Kinder und Jugendliche in Auseinandersetzung mit VerteterInnen des Staates (z. B. LehrerInnen) nur in Ausnahmefällen auf die Unterstützung durch ihre Eltern verlassen. Eltern, die sich in solchen Konflikten hinter ihre Kinder stellten, waren ihrerseits infantilisierendem, autoritärem staatlichem Vorgehen ausgesetzt (ebd.: 421). Es ist davon auszugehen, dass auf Kinder und Erwachsene in Ein-ElterFamilien ein besonders starker Konformitätsdruck in Erziehungsfragen lastete. Das System der Kontrolle der gesamten Familie war ein zentraler Bestandteil aller pädagogischen Einrichtungen der DDR. Dabei war eine mechanistische Sicht auf die Entwicklung des Menschen vorherrschend: Wierling zu Folge spiegelte der oftmals zur Schau getragene „pädagogische Optimismus“ von DDR- Erziehern eher die Überzeugung der Plan- und Kontrollierbarkeit allen pädagogischen Handelns als eine an der Realität der Kinder und Jugendlichen orientierte Einschätzung wider (ebd.: 417). 1970 erschien unter dem Titel ‚Disziplin bei Jungen und Mädchen’ (Otto 1970 diskutiert in: Hempel 1995) ein Buch, das auf die Pädagogik der DDR starken Einfluss hatte. Otto entsprach mit seinen Forschungsergebnissen der damals in der DDR inflationär angewandten pädagogischen Theorie Makarenkos (vgl.: Makarenko 1983 [1970]). Ordnung und Disziplin zeigen sich hier wiederum als elementar für den pädagogischen Diskurs. Mit der thematischen Hinwendung auf den Geschlechtsunterschied als in der Pädagogik relevantem Aspekt stellte die Publikation Ottos – wie er selbst bemerkte – eine Ausnahme im Diskurs der DDR dar (Otto 1970: 32).52 Otto ging einerseits davon aus, dass „die biologischen Geschlechtsunterschiede nicht für die Entwicklung psychischer Geschlechtsbesonderheiten entscheidend und wesentlich sein können.“ (ebd.: 178) Vielmehr sei die gesellschaftliche Prägung von elementarer Bedeutung, u. a. für das in seiner Untersuchung festgestellte unterschiedliche Disziplinverhalten von Jungen und Mädchen, welches wiederum der vollen Gleichberechtigung der Geschlechter im Wege stehe. Andererseits bemerkte er jedoch, es sei nicht anzunehmen, „dass die psychischen Geschlechtsunterschiede restlos auf gesellschaftliche Einflüsse zu reduzieren wären“ (ebd.: 179) und distanzierte sich von „jeglicher Gleichmacherei in der Frage der psychischen Geschlechtseigenarten“ (ebd.: 182): 52
Eine Sichtung der Literatur über den pädagogischen Diskurs in der DDR zeigt, dass das Thema der geschlechtsspezifischen Erziehung in seiner Bedeutung im Vergleich zu anderen Themen wie z. B. der Ideologiekonformität zurückstand. So findet die geschlechtsspezifische Erziehung in einschlägigen Werken zur Pädagogik in der DDR keinerlei Erwähnung (vgl. z. B.: Häder und Tenorth 1997; Schneider 1995; Steinhöfel 1993).
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„Als ‚echt’ und ‚wahr’ bezeichnen wir jene psychischen Geschlechtsbesonderheiten, die in keiner Weise auf irgendwelche unterschiedlichen sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen der Geschlechter zurückzuführen sind. Wir müssen uns vorläufig mit dieser negativen und lediglich abgrenzenden Bestimmung der echten psychischen Geschlechtsdifferenzen begnügen, da noch nicht genau bekannt ist, worin sie wirklich bestehen“ (ebd.)
Diese Haltung, bei der an einer Natürlichkeit des Geschlechtsunterschiedes festgehalten wurde, kann als typisch für den pädagogischen Diskurs der DDR angesehen werden. Die Akzeptanz öffentlicher Kinderbetreuung wurde durch den weitgehend einheitlichen pädagogischen Diskurs der DDR, der diese als förderlich für das Kindeswohl und die Prägung der sozialistischen Persönlichkeit ansah, gestützt. Eine Ausnahme bildete der Dresdener Sozialhygieniker Rudolf Neubert, als er 1962 dafür plädierte, „daß sich Frauen nach der Geburt eines Kindes etwa drei Jahre lang nur der Erziehung widmen sollten“ (Neubert, Rudolf: Frau, Mutter und außerhäusliche Arbeit, in: Die Wirtschaft, 30/1962, S.9, zitiert nach: Helwig 1993:11). Diese Meinungsäußerung führte zu einer direkten Reaktion der SED, von der ein Gegenartikel in Auftrag gegeben wurde, der den Vorschlag von Neubert als „spießbürgerlich“ verwarf: “Eine Frau, deren Tätigkeit sich auf den engen Kreis der Familie beschränkt, wird auch als Mutter stets in Gefahr sein, schon durch ihr Beispiel bei den Kindern ähnliche Idealbilder zu wecken, von den Gefahren der ‚Affenliebe’ und der zu starken Konzentration auf die Interessen der Kinder, weil man von eigenen nicht ausgefüllt ist, ganz zu schweigen. Jeder kennt die engstirnigen ‚Klein-aber-meinSpießbürger’, die das Ergebnis sind und zugleich eine Bremse jeder sozialistischen Entwicklung. Eine gute Mutter aber ist heute eine arbeitende Mutter, die gleichberechtigt und gleich qualifiziert neben dem Vater steht.“ (Eva Schmidt Kolmer / Heinz H. Schmidt: Frauenarbeit und Familie. In: Einheit, 12/1962, S.99. Zitiert nach: Helwig 1993:11)
Über die Frage der Qualität der Kinderbetreuung in den Kinderkrippen und Kindertagesstätten der DDR gingen und gehen die Meinungen (auch in der nachträglichen Reflexion) weit auseinander. Helwig bezeichnet Kinderkrippen als „Kompromiss zwischen den Interessen des Kindes und denen der Mutter“ (Helwig 1993: 11). Auf der einen Seite wurden die ganztägigen Kinderbetreuungseinrichtungen der DDR als Bildungseinrichtungen und kindgerechte Lebensbereiche geschätzt, auf der anderen Seite aber auch als Erziehungseinrichtungen mit ideologischen und politischen Zielsetzungen kritisiert (Höckner 1995).
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In den achtziger Jahren wurde die Emanzipation der Frau als erreicht gefeiert, Geschlechterungleichheiten wurden systematisch dethematisiert. Ein Prozess, der für jüngere Generationen nicht leicht zu entschlüsseln war und zur Reproduktion von Geschlechterstereotypen in der Alltagswirklichkeit der Subjekte beitrug (Hempel 1995: 56). Hempel zu Folge wurde dieser ‚Gleichberechtigungsmythos’ im Curriculum der DDR-Schulen gestützt. Diese Haltung ließ keinen Raum für Reflektionen über den Niederschlag der in die Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit eingeschriebenen Hierarchien in die alltägliche Interaktion, sowohl zwischen Kindern und Jugendlichen, als auch in Interaktionen zwischen Pädagogen und Kindern / Jugendlichen. Insofern verhinderte die Idealisierung des gesellschaftlichen Zustands die Analyse fortbestehender geschlechtstypischer Verhaltensmuster in pädagogischen Institutionen. Während der Geschlechteraspekt in der psychologischen Forschung der DDR durchaus erwähnt wurde, fanden geschlechtsspezifische Besonderheiten in der pädagogischen Literatur – mit Ausnahme der Sexual- und Familienpädagogik - nahezu keine Erwähnung (vgl.: Hempel 1995: 61). Hinsichtlich der Untersuchung des Geschlechterverhaltens bestand insgesamt in der erziehungswissenschaftlichen Forschung eine starke Konzentration auf die Familie – im Privaten konnte im Gegensatz zur öffentlichen Sphäre auf Verhältnisse eingegangen werden, die dem sozialistischen Gesellschaftsideal nicht entsprachen. Die systematische Dethematisierung von Geschlechterungleichheiten hatte u. a. zur Folge, dass geschlechtertypisierende Bilder in pädagogischen Interaktionen wie auch Diskursen (z. B. Schulbüchern) unreflektiert weiter getragen wurden. Können einerseits auch durch geschlechtsspezifische Pädagogik Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen reproduziert und erneut festgeschrieben werden – wenngleich mit Modifikationen zu als überkommen betrachteten Bildern – so verschwinden doch andererseits strukturelle Ungleichheiten nicht durch ihre Dethematisierung, sondern teilen sich im Sozialisationsprozess der nachfolgenden Generation wiederum mit: Wie bereits in Kap.2 erwähnt, erleben Kinder die Gesellschaft, in die sie hineingeboren werden, zunächst als Natur- ähnlich. Eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung der Erwachsenengeneration wird gerade dann, wenn sie als solche nicht thematisiert wird, in der alltäglichen Sozialisation an die nächste Generation weitergegeben (vgl.: Nickel 1990 :18). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die DDR- Geschichte ein Beispiel für die gleichzeitige Proklamation von Geschlechtergerechtigkeit und Dethematisierung von Geschlechterungleichheit ist. Trotz der Einführung flächendeckender institutioneller Kinderbetreuung und der erreichten Normalität 83
von Frauenerwerbstätigkeit setzte sich die Idealisierung der heterosexuellen Zwei-Eltern-Familie fort. Die Lebensform der Ein-Elter-Familie war weit verbreitet, jedoch standen Alleinerziehende weiterhin unter erhöhtem Normerfüllungs- und Rechtfertigungsdruck, z. B. in dem Fall, dass ihre Kinder den an Disziplin und Ordnung orientierten sozialistisch-pädagogischen Vorgaben nicht entsprachen. Es zeigen sich also in der DDR– Geschichte Gleichzeitigkeiten von gesellschaftlicher Anerkennung und fortwährendem Misstrauen gegenüber EinElter-Familien. Spielräume in der Konstruktion von Geschlecht und Familie gegenüber der heterosexuellen Zwei-Eltern-Familie mit traditioneller Arbeitsteilung lassen sich an der weiten Verbreitung von Ein-Elter-Familien, hohen Scheidungszahlen, institutionell ermöglichter Frauenerwerbstätigkeit und der gegen Ende der DDR zunehmend aktiven Vaterschaft ablesen. Gleichzeitig sind jedoch neue normierende, Spielräume begrenzende Entwicklungen festzustellen, wie z. B. der wachsende gesellschaftliche Druck auf Mütter, Familienarbeit und Vollerwerbstätigkeit miteinander zu vereinbaren.
3.4 BRD 1949 –1989 In diesem Unterkapitel werden ähnliche Quellen wie in Kapitel 3.3 verwendet. Eine besondere Stellung nehmen die Familienberichte ein, welche 1965 durch einen Beschluss des Bundestages als Instrument geschaffen wurden, um „Handlungsbedarfe im Aktionsfeld Familie auf der Basis von Ist-Analysen und SollWerten zu definieren“ (Gerlach 1996: 180). Die Familienberichte dienen der Begründung einer rationalen Familienpolitik und zugleich der Kontrolle finanzieller Leistungen für Familien (vgl.: Heinz 1980: 355).
3.4.1
Retraditionalisierung und sozialer Wandel
Im Gegensatz zur DDR findet die Gleichberechtigung der Frau im Laufe der BRD- Geschichte nur unter großen Schwierigkeiten Eingang in die Verfassung. Im Parlamentarischen Rat ereignen sich Ende der 40er Jahre heftige Diskussionen um den Gleichberechtigungsgrundsatz. Noch als dieser 1949, als Reaktion auf den außerparlamentarischen Sturm der Frauen und angesichts der weiblichen Bevölkerungsmehrheit, durchgesetzt war (GG Art. 3 Abs.II), gab es innerhalb des Parlamentarischen Rates massive Widerstände gegen die konkrete Umsetzung des Gleichberechtigungsgrundsatzes im Familienrecht.
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„Es gab gewichtige juristische Meinungen, die bestrebt waren, den Willen des Parlamentarischen Rates auszuhöhlen oder zumindest zu verwässern. Sie gingen davon aus, daß Mann und Frau in natürlicher Weise verschieden seien und daß sich dies auch im Recht niederschlagen müsse; ja, sie gingen sogar so weit zu erklären, das männliche Entscheidungsrecht in allen Fragen, die das gemeinsame Leben der Eheleute betreffen (§1354 BGB), der väterliche ‚Stichentscheid’ sowie die ‚Alleinvertretungsmacht’ des Vaters (§1628,1629 BGB) stünden mit dem Gleichberechtigungsartikel in Einklang. Man berief sich dazu auf die ‚natürliche Ordnung’ der Ehe und eine ‚gewisse natürliche Präponderanz des Mannes’!“ (Langer 1985b :75)
Die Unterstützung der evangelischen und der katholischen Kirche war dieser Position gewiss. Nach längerem politischem Gerangel wurde die Aufnahme des Gleichheitsgrundsatzes ins Grundgesetz in seiner vollen Geltung auf das Jahr 1953 verschoben. Es wurde zunächst eine Übergangsregelung (GG Art. 117) in Kraft gesetzt (Schäfgen 2000: 71). Auch um die Definition und den verfassungsrechtlichen Status der Familie (der spätere Artikel 6 GG) fanden heftige Diskussionen im parlamentarischen Rat statt. Einer der besonders kontrovers diskutierten Punkte war die Stellung von den so genannten ‚Restfamilien’ bzw. ‚unvollständigen Familien’ sowie von unehelichen Kindern. Die letztendliche Formulierung des Abs. 5 des Art. 6 GG fiel schließlich zögerlich aus und lautete folgendermaßen: „Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.“ (zitiert nach: Gerlach 1996: 98)
Dieser Artikel beinhaltet keinen Rechtsanspruch. Er kommt eher einer Absichtserklärung gleich. In den folgenden Jahren ging die politische Diskussion um die konkreten Ausformungen und Umsetzungen des Gleichberechtigungsparagraphen weiter. Der vom Gericht ausgeschlossene ‚Stichentscheid des Vaters’53 wurde in einem Regierungsentwurf erneut eingebracht. Erst 1958 schließlich „trat das Gleichberechtigungsgesetz auch im Ehe- und Familienrecht in Kraft“ (Schäfgen 2000: 73). Besonders interessant sind die Argumentationsmuster der Verfechter patriarchalischer Strukturen: Die Konstruktion der Hierarchie zwischen Männern und Frauen wurde mit dem Naturbegriff verbunden, woraus sich Vorstellungen 53
Im so genannten ‚Stichentscheid des Vaters’ wurde zwar „festgelegt, dass das minder-jährige Kind unter der elterlichen Gewalt von Vater und Mutter stehe (§1626), dass beide die Verantwortung tragen und sich einigen sollten (§1627), doch für den Fall, dass keine Einigung zustande kam, war vorgesehen, dass der Vater entscheiden sollte (§1628). Auch blieb die Vertretung der Kinder nach außen dem Vater vorbehalten (§1629).“ (Langer 1985b: 76/77)
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von Bedingungen fürs Kindeswohl ableiteten. Exemplarisch deutlich wird diese Argumentationsstruktur in Aussagen von Vertretern der christlich-liberalen Koalition (1949-1966). Bundesministers Neumayer, FDP: „Können sich die Ehegatten nicht einigen, so muss im Interesse der Familie die Entscheidung der einzelnen Angelegenheiten dem Ehegatten übertragen werden, der nach der natürlichen Ordnung von Ehe und Familie, wie sie das Leben selbst entwickelt hat, diese Entscheidung treffen muss. Das ist der Mann.“ (Langer 1985b: 54 77)
Dr. Weber, CDU/CSU: „Daß insbesondere nicht aus doktrinären Gedankengängen heraus eine formale Gleichstellung von Mann und Frau auch da herbeigeführt werden darf, wo der in Artikel 6, Abs. 1 GG besonders anerkannte Schutz der Ehe und Familie oder die in Artikel 6 Abs.2 ebenda hervorgehobenen Interessen der Kinder einer völligen Gleichstellung beider Geschlechter in der Ehe Schranken setzen.“ (in: Langer 1985b: 77)
Ehe, Familie und das Wohlergehen der Kinder wurden als von der Gleichberechtigung der Frauen bedroht angesehen. Schutz bot hier allein die Aufrechterhaltung der ‚natürlichen’, hierarchischen Ordnung. Die im Begriff ‚doktrinär’ bereits angedeutete argumentative Verbindung zur Abgrenzung gegen sozialistische Gesellschaftsstrukturen, insbesondere die der DDR, wurde in folgendem Zitat des ab 1953 amtierenden Familienministers Würmeling55 unmissverständlich formuliert: „Wohin schließlich eine totale Gleichberechtigung und Gleichsetzung von Mann und Frau in letzter Konsequenz führt, zeigt uns ein Blick in die Ostzone. … In der
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Aus: „Stenographische Berichte des Bundestages“, 2 WP, 15. Sitzung, vom 12. Februar 1954, S.474. 55 Adenauer gründete 1953 das erste Familienministerium und ernannte Würmeling zu dessen Minister. Würmeling erreichte nachhaltigen Bekanntheitsgrad durch die Einführung der im Volksmund als ‚Karnickelpass’ bezeichneten Fahrpreisermäßigung für Kinder bei Bahnfahrten, die Teil seines familienpolitischen 8-Punkte-Programms war und folgende Aspekte umfasste: „1. Familiengerechter Wohnungsbau, 2. Bevorzugter Familieneigenheimbau, 3. 20 DM monatliches Kindergeld ab drittem Kind, 4. Hohe Kindergeldzuschläge für alle Rentenempfänger, 5. Hohe Steuerfreibeträge für Familien mit Kindern, 6. Familienermäßigung bei der Bundesbahn, 7. Schutz der überanspruchten Mutter, 8. Mehr Schutz schuldlos verlassener Frauen und Kinder.“ (Delille und Grohn 1985) Würmeling hatte das Amt des Familienministers bis zum Jahr 1962 inne.
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letzten Konsequenz enden diese Dinge dann im Kohlen- oder Uranbergwerk.“ (in: 56 Langer 1985b: 81)
Zeitgleich mit der Rückkehr der Männer aus der Kriegsgefangenschaft wurde die heterosexuelle Zweielternfamilie als Norm festgeschrieben. Die Frauen, die während des Krieges oftmals sowohl den Broterwerb, als auch die Familienarbeit alleine bewältigt hatten, wurden in die Hausfrauenrolle zurückgedrängt. Durch die vielen verwitweten Frauen gab es eine große Zahl von Ein-Elter-Familien. Diese stellten zunächst eine Normalität dar, wurden aber in den 50er Jahren, mit der zunehmenden Idealisierung der Kleinfamilie, mehr und mehr als abweichende Lebensform angesehen und dementsprechend als ‚unvollständige Familien’ bezeichnet, auch wenn sie in einem gemeinschaftlichen Verband mit Kindern und Geschwistern, Eltern oder Freundinnen zusammen lebten (Meyer und Schulze 1985). Der wirtschaftliche und der familienideologische Aufschwung ereigneten sich in den 50er Jahren parallel. Während die Beschäftigung von Frauen in typischen Männerberufen in den ersten Nachkriegsjahren weit verbreitet war, wurden Frauen in den darauf folgenden Jahren auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt: Kriegsheimkehrer wurden bei der Vergabe von Stellen bevorzugt und Frauen durch wieder eingesetzte Arbeitsschutzbestimmungen aus typischen Männerberufen gedrängt. „Während 1946 z. B. im Bau- und Baunebengewerbe 49.711 Frauen arbeiteten, waren es Ende 1950 nur noch 11.146“ (ebd.: 94). Insgesamt lässt sich für die 50er Jahre der Trend zur Abdrängung der Frauen aus dem Arbeitsmarkt bzw. in schlecht bezahlte Berufe konstatieren (vgl.: ebd.). Viele allein erziehende Frauen mussten mit einem äußerst geringen Einkommen die in dieser Zeit sehr hohen Lebenshaltungskosten für sich, ihre Kinder und oftmals auch noch für andere Verwandte bestreiten. Das Nichtvorhandensein staatlich organisierter Kinderbetreuung verkomplizierte die Organisation des Alltags zusätzlich. Hinzu kam eine große Wohnraumnot. Alleinerziehende mussten oftmals jahrelang zur Untermiete wohnen. In den 50er Jahren wurden aufgrund bevölkerungspolitischer Überlegungen nacheinander Kindergeld57, Kinderfreibeträge und das Ehegattensplitting eingeführt. Diese Zahlungen kamen den Familienernährern, also i. d. R. den Männern, zu. Der bezahlte Mutterschaftsurlaub, der Ende der 70er Jahre eingeführt wurde, war die erste
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Ebd.: S.479. Die politische Diskussion um die Wiedereinführung eines Kindergeldes nach seiner Abschaffung durch die Alliierten begann bereits Ende der 40er Jahre, ein Kinderfreibetrag für das erste Kind wurde schon 1948 beschlossen.
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familienpolitische Leistung, die explizit an die Mütter gerichtet war (vgl.: Kolbe 2001). Mit der Gründung des Familienministeriums 1953 und der Einsetzung des Katholiken Würmeling ins Amt des Familienministers begann in der BRD die Ära einer ideologisch besetzten, unter demographischen Gesichtspunkten diskutierten und der Wirtschaftspolitik nachgeordneten Familienpolitik mit starken klerikalen Einflüssen. Proklamiert wurde das Familienleitbild der heterosexuellen Zwei-Eltern-Familie mit mehreren Kindern, mit eindeutiger Zuständigkeit der Frauen für Familie und der Männer für Erwerbstätigkeit. Im folgenden Zitat Würmelings deutet sich an, dass in dieser Familienpolitik Elemente faschistischer Ideologie weiterlebten und dass sie gleichzeitig ganz im Zeichen des kalten Krieges in Abgrenzung zur DDR konzipiert war: „Millionen innerlich gesunder Familien mit rechtschaffen erzogenen Kindern sind als Sicherung gegen die drohende Gefahr der kinderreichen Völker des Ostens 58 mindestens so wichtig wie alle militärische Sicherungen.“ (in: Langer 1985a :110)
Die in den ‚gesunden Familien’ enthaltene Konstruktion ‚ungesunder’, also als abweichend gesehener Familien erinnert stark an den nationalsozialistischen Umgang mit dem Begriff der Degeneration. Die Rede von der „drohenden Gefahr der kinderreichen Völker des Ostens“ scheint entlehnt aus dem Vokabular des deutschen Faschismus und verdeutlicht, in welchem Ausmaß die Familienpolitik der fünfziger Jahre in der BRD mit außenpolitischen Zielen verwoben war. Elemente dieser Politik waren die Strafbarkeit von Schwangerschaftsunterbrechungen, Erschwerung von Geburtenkontrolle und Scheidung sowie die unterlassene Einrichtung öffentlicher Kinderbetreuung. Letzteres diente u. a. dem Ziel, das traditionelle Familienleben und die geschlechtertypische elterliche Rollenverteilung zu stärken.59 Die Belastungen besonders kinderreicher Familien wurden gleichzeitig durch finanzielle Vergünstigungen wie Heiratsdarlehen, Familienlastenausgleich und Kindergeld abgemildert (Schäfgen 2000: 72). Hierzu zusammenfassend Behning: „Die Leitbilder der ‚sozialen Geschlechter’ sind klar definiert. Sie sind trotz des Gleichheitsgebotes des Grundgesetzes (Art.3 Abs.2GG) im Bürgerlichen Gesetzbuch geschlechtsspezifisch festgeschrieben. Bis 1957 gilt der §1356, der besagt, dass die Frau berechtigt und verpflichtet ist, das gemeinsame Hauswesen zu leiten. In der Neufassung vom Juni 1957 beinhaltet der §1356, dass die Frau den Haushalt in 58
Zitiert nach: Franz-Josef Würmeling, Staatliche Familienpolitik, in: Bonner Hefte 8 (1953), S.1-6. Forderungen nach institutionell geregelter Kinderbetreuung standen in dieser Zeit unter dem Verdacht des Kollektivismus. 59
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eigener Verantwortung führt, mit dem Zusatz, dass sie berechtigt ist, erwerbstätig zu sein, allerdings nur, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“ (Behning 1996: 148)
Vom Gesetzgeber wurde – trotz vorsichtiger Schritte in Richtung Gleichberechtigung - das Leitbild der Hausfrauenehe, bzw. des männlichen Familienernährers festgelegt, eine Gesetzgebung, die bis zum 1976 formulierten „Ersten Gesetz zur Ehe- und Familienrechtsreform“ in Kraft blieb. Dann allerdings erfuhr das gesetzliche Leitbild der familialen Geschlechtsrollenverteilung eine zentrale Wende: Die Entscheidung für das Modell des männlichen Haupternährers, der Zuverdiener- oder Doppelverdienerehe wird nun vollständig in das Ermessen der Ehepartner gestellt (vgl.: Gerlach 1996: 105/106). Hiermit wird eine Stärkung individueller Rechte vorgenommen. Ähnlich wie bei den Diskussionen um eine geschlechtergerechte Aufteilung von Hausarbeit in der DDR der 50er Jahre gab es zu dieser Zeit auch in der BRD emanzipative Diskurse: In den Jahren nach Gründung der Bundesrepublik erlangte das Genre der Beratungslektüre für verwitwete, allein erziehende Mütter einen enormen Zuwachs. Zielsetzung dieser Literatur war die Vermittlung von Handlungshilfen für ein selbstständiges Leben (vgl.: Nave-Herz und Krüger 1992: 17). In einigen Frauenzeitschriften wurde auch die Wiederherstellung patriarchaler Familienverhältnisse durch die heimkehrenden Männer und die besonders für Frauen bedrohliche ökonomische Situation diskutiert und kritisiert (Langer 1985b). Die kritischen Stimmen in diesen Medien verstummten jedoch, auch hier eine Parallele zur oben erwähnten Diskussion in der DDR, Ende der 50er Jahre. In der Folgezeit dominierten der ‚weibliche Körperkult’ (Mode, Schminken und Gewichtskorrekturen) sowie Haushalt, Hygiene und Mutterschaft die Bilder, Textbeiträge und Werbeanteile der Frauenzeitschriften. Gesellschaftlich relevante Themen wurden mehr und mehr ausgespart und der Weg in Konsumwelten vorgezeichnet (Grum 1985). In der von Meyer und Schulze durchgeführten Medienanalyse von Frauenzeitschriften und Illustrierten wird die thematische Umorientierung von der Zielgruppe der allein erziehenden Mütter in der Nachkriegszeit auf verheiratete Frauen und Mütter im Laufe der 50er Jahre beschrieben. Fragen und Probleme allein erziehender Mütter wurden danach kaum mehr diskutiert (Meyer und Schulze 1985: 97). Zu den Benachteiligungen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt und der diskursiven Ausblendung der Alltagsrealität Alleinerziehender kamen soziale Diskriminierungen, die von Unachtsamkeiten und mangelndem Einfühlungs-
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vermögen bis zu sexistischen Ausgrenzungen reichten.60 Trotz dieser Schwierigkeiten geht aus den ebenfalls von Meyer und Schulze durchgeführten retrospektiven Interviews mit in der Zeit der 50er Jahre ‚allein stehenden’ Frauen jedoch hervor, dass diese in dem Versuch, das Beste aus ihrer Situation zu machen, größte Beharrlichkeit zeigten. Meyer und Schulze zu Folge zogen sie die hierfür nötige Stärke aus solidarischen Kontakten zu anderen Frauen und zur Verwandtschaft. Ihre in den End- und Nachkriegsjahren errungene Selbstständigkeit hatte sie selbstbewusst gemacht (vgl.: Meyer und Schulze 1985: 98). In den folgenden Jahrzehnten konnten weder rechtliche61, noch institutionelle Maßnahmen62, noch die Verfestigung von Leitbildern gesellschaftliche Entwicklungen stoppen, die sich aus der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte ergaben: Die Zahl der jährlichen Ehescheidungen stieg von 19.271 im Jahre 1961 auf 86.614 im Jahre 1972 an (vgl.: Langer 1985b). Während bereits Anfang des 20. Jahrhunderts erste Stimmen für einen humaneren Umgang mit ledigen Müttern zu hören waren, so verbesserte sich deren soziale Lage de facto erst 1970. Durch das Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung nichtehelicher Kinder bekamen Alleinerziehende einen geschützteren gesellschaftlichen Status (vgl.: Nave-Herz und Krüger 1992: 51). Die Verwandtschaft zwischen leiblichen Vätern und unehelichen Kindern wurde nun anerkannt - mit positiven Folgen für Unterhalts- und Erbrechts- Ansprüche der unehelichen Kinder, bzw. der EinElter-Familien, in denen diese in der Regel lebten (vgl.: Gerlach 1996: 105). Auch die Quote erwerbstätiger Frauen stieg, nachdem sie in den Nachkriegsjahren erheblich gesunken war, ab Mitte der 50er Jahre wieder an. Ende der 60er Jahre lässt sich auch eine Zunahme von Müttererwerbstätigkeit feststellen. Unter Bezugnahme auf eine demographische Studie zur Entwicklung mütterlicher Erwerbstätigkeit im Zeitraum zwischen 1965 und 197163 beschreibt Lehr, dass die „Zahl der außerhalb der Landwirtschaft tätigen Frauen, die Kinder unter 15 Jahren haben, sich von 1965 bis 1971 um 29% erhöhte“ (Lehr 1974: 75), wobei jedoch einschränkend darauf hingewiesen wird, dass „nur 48% aller erwerbstätigen Mütter mit Kindern unter 18 Jahren eine Vollzeitbeschäftigung“ hatten (ebd.: 76).
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Bis weit in die 60er Jahre hinein war es in Westdeutschland z. B. nicht üblich, dass eine Frau alleine ein Restaurant besuchte. 61 1961 setze die CDU/CSU eine rechtliche Erschwerung der Scheidung durch (§48 Ehegesetz), die in ihren unübersehbaren klerikalen Einflüssen als Bruch mit den säkularen Grund-sätzen des Staates gesehen werden kann. 62 1954 werden Kindergeld, Steuererleichterungen für Verheiratete und die Option auf Heiratsdarlehen eingeführt. 63 Es handelt sich hier um die Arbeit von H. Schubnell: „Der Geburtenrückgang in der Bundesrepublik. Die Entwicklung der Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern.“ Kohlhammer, 1973 (Stuttgart).
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Wie bereits in der Einführung zu diesem Unterkapitel erwähnt, wurde durch einen Beschluss des Bundestages im Jahre 1965 das Instrument der periodisch neu herzustellenden ‚Familienberichte’ institutionalisiert, welches dazu gedacht war, den gegenwärtigen Zustand von Familien zu erfassen und zu analysieren sowie Richtungs- weisende Inhalte für Familienpolitik zu formulieren. Damit wurde auf die Schwierigkeiten reagiert, denen ein politischer Querschnittsbereich wie die Familienpolitik mit seinen Bezügen zu Arbeitsmarkt, Sozialpolitik und Bildungspolitik ausgesetzt war. Die Familienberichte stellen Gerlach zufolge den Versuch dar, Familienrealitäten möglichst präzise zu beschreiben und aus diesem Befund familienpolitische Zielvorgaben zu entwickeln. Insofern komme den Familienberichten eine Schlüsselposition für die Definition der Probleme von Familien zu. Gleichzeitig dokumentieren die durch die jeweilige Regierung den Familienberichten angefügten Stellungnahmen, welche politischen Konsequenzen aus den Analysen gezogen wurden (Gerlach 1996: 180). Aufgrund der zentralen Stellung, welche die Familienberichte für die jeweilige Familienpolitik einnahmen (und nehmen), lassen sich an ihnen die Vor- und Rückschritte, denen sozialer Wandel im Laufe der Zeit unterworfen war und ist, besonders gut ablesen. Der erste Familienbericht erschien 1968 und wurde unter der Federführung des Familienministeriums erstellt. In diesem Bericht wurden ein, wenn auch geringer so doch gleichmäßiger, Bevölkerungszuwachs sowie die Zunahme eines gleichberechtigten und partnerschaftlichen Umgangs der Ehepartner prognostiziert. Problematisiert wurden Chancenungleichheiten durch schichtbezogene Unterschiede in der schulischen Sozialisation. Im ersten Familienbericht wurde Familie als Kernfamilie auf ehelicher Basis definiert. Ein-Elter-Familien wurden als ‚unvollständige Familien’ bezeichnet und aus der Definition der ‚Normalfamilie’ ausgegrenzt. Das traditionelle Familienmodell mit männlichem Ernährer und weiblicher Hausfrau wurde selbstverständlich vorausgesetzt (vgl.: Gerlach 1996: 181/182). Der erste Familienbericht kann als „eine wissenschaftlich gestützte Rechtfertigung der während der langjährigen Herrschaft der CDU propagierten Ideologie der bürgerlichen Familie“ (Heinz 1980: 355) gelesen werden. Dies änderte sich im zweiten Familienbericht. Während die AutorInnen dieses 1975 unter der sozial-liberalen Koalition erschienenen Berichtes ergänzend zu den Bezeichnungen ‚unvollständige Familie’ und ‚alleinstehende Elternteile’ die Begriffe ‚Mutter-Familie’ und ‚Vater-Familie’ vorschlugen (vgl.: Der Bundesminister für Jugend 1975 :17), war in der Stellungnahme der damaligen Regierung unter Brandt weiterhin nur von ‚unvollständigen Familien’ und – parallel zu den in der DDR üblichen Formulierungen – ‚allein stehenden Elternteilen’ die Rede (vgl.: Der Bundesminister für Jugend 1975: XIII). Eine 91
Veränderung des Familienleitbildes ließ sich gleichzeitig jedoch darin erkennen, dass „gesellschaftliche Anerkennung lediger Elternteile mit Kindern als Familie“ (ebd.: VIII) auch von Regierungsseite ausdrücklich eingefordert wurde. Die den Bericht verfassenden WissenschaftlerInnen kritisierten jene gesellschaftlichen Normen, denen zufolge Kinder zur gelungenen familialen Sozialisation Mutter und Vater benötigen würden. Sie explizierten, dass sich diese Form der Idealisierung der Zwei-Eltern-Familie in sozialen Vorbehalten gegenüber EinElter-Familien ausdrücke (Der Bundesminister für Jugend 1975: 23). In deutlicher Abgrenzung zur Familienpolitik der 50er und 60er Jahre wurde im zweiten Familienbericht die private Abschottung vieler Familien und die daraus resultierende „fehlende Kontrollierbarkeit elterlicher Machtausnutzung“ (Der Bundesminister für Jugend 1975: 37) problematisiert und die Notwendigkeit des Ausbaus öffentlicher Kinderbetreuung thematisiert. Es zeigte sich ein verändertes Familienleitbild. Durch die positive Haltung gegenüber frühkindlicher Erziehung in kollektiven Strukturen kam auch eine Auflockerung der Beziehungen zur DDR zum Ausdruck, welche als bezeichnend für die Ära Brandt angesehen werden kann. In den Sozialausschüssen der CDU werden in den 70er Jahren64 dagegen die Argumentationsmuster des Familienministers Wuermeling aus den 50er Jahren reproduziert: Emanzipation führe zur ‚Vermännlichung’ von Frauen und die Verkümmerung von ‚Mütterlichkeit’ bewirke kindliche Defizite. Weiterhin wird die Familie als heimeliger Gegenpol zu der von Konkurrenz und Käuflichkeit bestimmten modernen Industriegesellschaft konstruiert, indem Mütterlichkeit mit Natürlichkeit, Liebe, Fürsorglichkeit und Aufopferung für die Familie gleichgesetzt wird (vgl.: Delille und Grohn 1985: 147).65 Infolge von Studenten- und Frauenbewegung lockerten sich Ende der 60er / Anfang der 70er Jahre die normativen Vorstellungen zu Ehe und Familie. Diese Entwicklung brachte sowohl eine Pluralisierung von Familienformen im Sinne der Ausbildung neuer Formen des Zusammenlebens als auch die quantitative Zunahme bereits bestehender nicht-traditioneller Familien- und Sozialisations-
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„Die Sonderorganisationen der beiden großen Parteien, der CDU und der SPD, sind – dies gilt insbesondere für die CDU – Ausdruck ihres Selbstverständnisses als Volkspartei und des in ihr organisierten innerparteilichen Interessenpluralismus. Dabei ist ihre Aufgabe grundsätzlich in einer Doppelfunktion zu sehen: Zum einen artikulieren sie innerhalb der eigenen Partei die Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen; zum anderen haben sie die Aufgabe, innerhalb der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe für die Ziele und Prinzipien der eigenen Partei intensiver zu werben.“ (Andersen und Woyke 2003: 555) 65 Delille und Grohn beziehen sich hier auf eine Studie, die von den Sozialausschüssen der christlich demokratischen Arbeitnehmerschaft unter dem Titel: „Die sanfte Macht der Familie“ im Jahr 1981 herausgegeben wurde.
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formen (z. B. Singles, Alleinerziehende und Patchworkfamilien) mit sich.66 Zwischen 1970 und 1980 nahm die Zahl der Ein-Elter-Familien um 35% zu, ihr Prozentsatz im Verhältnis zur Gesamtzahl aller bundesdeutschen Familien betrug 1980 15%, davon waren 250.000 allein erziehende Väter und 1,3 Millionen allein erziehende Mütter (vgl.: Delille und Grohn 1985: 146). Auch die Anzahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften und Singlehaushalte stieg seit den 70er Jahren an. Die normative Kraft der Institution Ehe verlor an Wirkung. Der soziale Wandel in den siebziger Jahren wurde auch durch die starke Expansion des Bildungssystems vorangetrieben, durch den sich die individuellen Handlungsräume vor allem für Mädchen und Frauen erheblich erweiterten. Die seit den siebziger Jahren gewachsene subjektive Entscheidungsfreiheit wurde von den jeweiligen politischen Lagern sehr unterschiedlich bewertet, von den Linken als Erfolg der Emanzipationsbewegungen und von den Konservativen als Werteverlust und Krise der Familie. Trotzdem kann konstatiert werden, dass sich die Diskurse zu Leitbildern von Familie und Geschlecht in den siebziger und achtziger Jahren in Richtung wachsender Akzeptanz von Frauenerwerbstätigkeit veränderten - Müttererwerbstätigkeit allerdings blieb (und bleibt im Westen) ein intensiv diskutiertes Thema. Der 1979 erschienene dritte Familienbericht positionierte sich einerseits als Fürsprecher der Mütter im Sinne freier Entscheidungen der Ausbalancierung von Erwerbs- und Familienarbeit, Väter wurden in ihrer Erziehungsverantwortung bezüglich der zeitlichen Verteilung zwischen Erwerbs- und Familienarbeit jedoch nicht berücksichtigt. Sinkende Geburtenzahlen führen zur 66 Die These der Pluralisierung familialer Lebensformen entwickelte sich mit Bezug auf die Becksche Theorie von dem fortschreitenden Prozess der „Individualisierung und Diversifizierung von Lebenslagen und Lebensstilen“ (Beck 1986: 122). Aktuell wird diskutiert, ob „Familienformen, die in der Pluralisierungsdebatte als ‚neue’ Familienformen argumentativ angeführt werden, wie z. B. nicht-eheliche Lebensgemeinschaften historisch vergleichend als wirklich neu, als ‚Produkt’ bzw. Prototyp der Moderne betrachtet werden oder [ob es sich hier, B.R.] um bereits früher existierende Familienformen, deren quantitative Bedeutung in der Moderne zunimmt“ handelt (Vaskovics 1997: 25). Nach Nave-Herz ist „die Frage nach der Vielfältigkeit familialer Lebensformen selbstverständlich abhängig vom gewählten Begriff von Familie.“ (Nave-Herz 1997b: 37) Da es „keine allgemein anerkannte Definition von Familie“ (ebd.) gibt, fallen die Antworten auf die Frage nach der Pluralität familialer Lebensformen entsprechend unterschiedlich aus. Festzuhalten ist, dass es sich, wird ein erweiterter historischer Vergleichszeitraum (bis hinein in die vorindustrielle Zeit) gewählt, „lediglich um eine geringe Verschiebung in der Gewichtung der verschiedenen Familienformen handelt, nicht um die Entstehung von neuen.“ (ebd.: 39) In der These von der Pluralität der Familie wird hingegen der Vergleichszeitraum vollständig ignoriert, oder es werden die 50er/60er Jahre, das ‚golden age of marriage’, die Hoch-Zeit der gesellschaftlichen Dominanz der heterosexuellen Kleinfamilie als Vergleich herangezogen. Durch die (häufig ungenannte) Wahl dieses Zeitraums als Maßstab entsteht eine Mythologisierung der bürgerlichen Kleinfamilie, vor allem bei jenen AutorInnen, die der ‚heilen’ und ‚normalen’ Familie in der Vergangenheit nachtrauern (vgl. kritisch: Lüscher 1997: 53).
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Ausformulierung einer bevölkerungspolitischen Zielvorstellung in diesem Bericht, es wurde zum Kinderkriegen ermutigt (vgl.: Gerlach 1996: 183/184). Im dritten Familienbericht wie auch in den Mitte der 70er bis Mitte der 80er Jahre vorgenommenen institutionellen Maßnahmen ist ein Wandel vom Modell des alleinigen männlichen Haupternährers zum Modell des männlichen Haupternährers mit der Frau als Zuverdienerin erkennbar. Durch die Reform des Heirats- und Familienrechts 1977 wurde Hausarbeit in die Verantwortung von Frauen und Männern gestellt, von nun an hatten auch Frauen das Recht auf Erwerbstätigkeit (Pfau-Effinger 2000: 130). 1979 wurde der Mutterschaftsurlaub eingeführt, der allerdings weiterhin nur von Frauen in Anspruch genommen werden konnte. Zwischen 1979 und 1985 gab es für westdeutsche Frauen nach der Geburt eines Kindes die Möglichkeit eines sechsmonatigen Mutterschaftsurlaubs. Trotz steuerlicher Diskriminierung von Doppelverdiener-Haushalten67 und fehlenden Kinderbetreuungseinrichtungen stieg die Erwerbsquote verheirateter Frauen an (Delille und Grohn 1985: 146). „Mehr als ein Drittel der erwerbstätigen Frauen, circa 2,6 Millionen, hat Kinder im Alter unter 15 Jahren“ (ebd.). Sommerkorn zufolge hat sich die Zahl erwerbstätiger Mütter im Zeitraum zwischen 1950 und 1980 annähernd verdoppelt, wobei sie darauf aufmerksam macht, dass der Zuwachs bei zunehmender Kinderzahl geringer ausfällt (vgl.: Sommerkorn 1988: 117). Nach 1986 war in Westdeutschland der Erziehungsurlaub auf 12 Monate begrenzt, 1992 wurde die Höchstdauer von 36 Monaten eingeführt (vgl.: Dornseiff und Sackmann 2003: 323). 1986 wurde das Bundeserziehungsgeldgesetz als staatliche Anerkennung von Erziehungsleistung einschließlich der Berücksichtigung bei der Rentenregelung verabschiedet. Eltern konnten jetzt einkommensabhängig bis zu 600 DM monatlich für maximal zwei Jahre erhalten. Ab 1988 wurde das Erziehungsgeld von 10-monatiger Bezugszeit auf 12-monatige Bezugszeit und später auf 24 Monate angehoben, Teilzeitarbeit wurde arbeitsrechtlich besser abgesichert. Obwohl die neuen Rechte auch Vätern zugesprochen wurden, führten die genannten Maßnahmen weniger zur geschlechtergerechten Aufteilung von Familienarbeit, als zur Verlängerung der tatsächlichen Verweildauer von Frauen in der Familienphase (Bird 2001). Familienleitbilder und Familienpolitik blieben widersprüchlich: Im 1986 erschienenen, vierten Familienbericht, der den Themenschwerpunkt ‚ältere Menschen in der Familie’ hatte, wurde von einem dynamischen, durch sich wandelnde kulturelle Vorstellungen veränderbaren Familienverständnis ausge67
Bereits im Steuersystem von 1958 wurde das ‚Ehegattensplitting’ eingeführt, durch welches jene Ehepaare bevorteilt wurden, welche „das Modell der Hausfrauenehe lebten, unabhängig davon, ob sie Kinder hatten.“ (Pfau-Effinger 2000: 130) Auch erwerbstätige Alleinerziehende werden durch diese Regelung benachteiligt.
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gangen. Erklärtermaßen nahm die zu diesem Zeitpunkt christlich-konservative Bundesregierung hier grundsätzlich von einer Leitbildkonstruktion Abstand: „Es geht nicht darum, den Bürgerinnen und Bürgern ein bestimmtes Leitbild für ihre Lebensplanung vorzugeben, bestimmte Aufgabenverteilungen zwischen Männern und Frauen vorzuschreiben oder bestimmte Lebensformen zu diskriminieren.“ (Der Bundesminister für Jugend 1986: III)
Dieser offene Ansatz stand im Widerspruch zur Familiendefinition der Sachverständigenkommission, welche Familie unter rechtlicher Bindung und Blutsverwandtschaft fasste, wodurch nichteheliche Lebensgemeinschaften, homosexuelle Paare mit Kindern und andere Formen der Wahlverwandtschaften wiederum ausgegrenzt wurden (vgl.: Der Bundesminister für Jugend 1986: 14). Somit fiel der vierte Familienbericht hinter Differenzierungen des zweiten Familienberichtes zurück, indem das ‚biologische Geschlecht’ nun wiederum der Familienbildung selbstverständlich vorausgesetzt und in Verbindung mit Sexualität gebracht wurde (vgl. kritisch: Behning 1996: 152). Interessant am vierten Bericht war insbesondere die eindeutige Parteinahme für familienfreundliche Arbeitsmarktstrukturen, die eine flexible Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ermöglichen sollten, so dass auch die Variante, in der „beide Familienmitglieder [hier: Mutter und Vater, B.R.] Teilzeit bzw. wechselseitig auch einmal Vollzeit erwerbstätig sind“ (Der Bundesminister für Jugend 1986: 165) als wünschenswerte Alternative bezeichnet wurde. Zentral für den vierten Familienbericht war außerdem das Thema der Solidarität zwischen den Generationen. Die geschlechtsspezifisch ungleiche Arbeitsverteilung der familiären Pflege älterer Menschen wurde kritisiert.
3.4.2 Mütterlichkeit und Väterlichkeit In den 50er Jahren führte die ansteigende Müttererwerbstätigkeit zu einer heftigen gesellschaftlichen Diskussion über die Folgen für das Kindeswohl. In dieser Debatte wurde mit den Begriffen ‚Schlüsselkinder’ und ‚Rabenmütter’ ein Bild vernachlässigter bis verwahrloster Kinder erzeugt. Erwerbstätige Mütter, welche nicht aus purer ökonomischer Not heraus arbeiteten, wurden als egoistisch und konsumorientiert stigmatisiert (vgl. kritisch: Sommerkorn 1988). Mit größter Selbstverständlichkeit wurde die Berufstätigkeit der Väter als mögliches Problemfeld ausgeklammert, eine diskursive Praxis, die sich bis heute weitgehend erhalten hat. Der einflussreiche Familiensoziologe Schelsky wurde in den 60er Jahren das wissenschaftliche Sprachrohr konservativer Kräfte. Er interpretierte die 95
(wieder) zunehmende wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen als gegen ihren eigentlichen, natürlichen Willen gerichtet, welcher sie ausschließlich nach Hausund Familienarbeit streben lasse. Der Sinn der ’früheren’68 Frauen- und Mütterschutzgesetzgebung sei „die Bewahrung ihrer eigentümlichen familiären Rolle und deren Schutz vor der Ausbeutung durch die industriellen Produktionsformen“69 (in: Delille und Grohn 1985: 60) gewesen. Schelsky vertrat die Ansicht, dass die Emanzipation der Frauen gegen deren Willen erfolge und ignorierte bei seinen Ausführungen über die Vorteile des Hausfrauendaseins, welche in der freien „Persönlichkeitsgestaltung“ und individueller Gestaltung des Alltags lägen (ebd.), sowohl die Monotonie dieser Tätigkeiten als auch die bei ausschließlicher Hausfrauentätigkeit gegebene Abhängigkeit vom erwerbstätigen Mann. Die Zuspitzung der Emanzipation „gegen den Willen und die Interessen der Frau“ (zitiert nach: Delille und Grohn 1985: 59) sah Schelsky in der „Rolle der Frau in den totalitären Staats- und Wirtschaftssystemen“ (ebd.). Hier führt er das 1950 in der DDR erlassene „Gesetz über Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau“ an (ebd.). Das mit dieser Einstellung verbundene Bild der Mutter dieser Zeit wird vom damaligen Familienminister Würmeling folgendermaßen dargestellt: „Mutterglück ist stets vom Anfang an nicht nur mit großer Verantwortung, sondern auch mit stetem Verzicht verbunden“ … „Diese Gabe und Aufgabe der Selbsthingabe um höherer Ziele willen ist es auch, die die Mutter zur verständnisvollen Lebensbegleiterin des Mannes und Vaters und zum Herzen der Familie werden lässt. In einer Zeit immer stärkerer Entpersönlichung der menschlichen und sozialen Beziehungen ist sie es, die die Tugenden geduldiger, liebender, verstehender und verzeihender Sorge miteinander, der Dankbarkeit und Hilfsbereitschaft, des Miterlebens und Mittragens am Schicksal des Nächsten, der Freude an Fortschritt und 70 Fortentwicklung menschlich-geistigen Lebens vorlebt.“ (in: Delille und Grohn 1985: 67)
Ein Teil der Mütter distanzierte sich durch ihre Handlungen von einem derart weich gezeichneten Hausfrauenleben. Die Anzahl der erwerbstätigen Mütter nahm trotz der Warnungen vor den negativen Auswirkungen von Müttererwerbsarbeit auf das Kindeswohl stark zu (ebd.: 50).
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Der Zeitpunkt des ‚früher’ wurde hier nicht näher definiert. Schelsky, Helmut (Stuttgart, 1960): „Wandlungen der deutschen Familie der Gegenwart“ zitiert nach (Delille und Grohn 1985). 70 Würmeling, Franz-Josef (Baden-Baden 1959): „Familie – Gabe und Aufgabe“. 69
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Inwieweit sich dichotome Bilder von Mütterlichkeit und Väterlichkeit im juristischen Diskurs der 80er Jahre spiegelten, zeigen folgende Aussagen eines Familienrichters: „Die Erfahrung zeigt, dass ein Aufwachsen nur bei einem Elternteil zu schweren erzieherischen Fehlentwicklungen führen kann. Denn die mehr verstandesgemäße Erziehung durch den Vater erhält ihr Äquivalent durch die mehr emotionelle seitens der Mutter (…) Fehlt eines der erzieherischen Elemente, so kann es zu einer Verkümmerung der einen oder anderen Seite kommen…“ (Marx 1982: 14 zitiert nach Swientek 1984: 104)
Die weitgehende Abwesenheit der Väter aus den Familien wurde von sozialwissenschaftlicher Seite her auf sehr unterschiedliche Art und Weise aufgegriffen. Breite Rezeption finden bis heute die Gedanken des Historikers und Psychoanalytikers Alexander Mitscherlich. Mitscherlich verortete in seinem Buch: ‚Auf dem Weg in die vaterlose Gesellschaft’ bereits Beginn des 19. Jahrhunderts „zwei Stufen der Entfremdung“ (Mitscherlich 1984 [1963]: 188) der Väter von ihren Söhnen71. Die erste Stufe der Entfremdung betrifft die Trennung von Arbeits- und Familienleben, durch welche die Arbeit des Vaters ihre Anschaulichkeit in der Wahrnehmung der Nachkommen verliert. Diesen Prozess bezeichnete er als ein „Erlöschen des Vaterbildes (…), das im Wesen unserer Zivilisation selbst begründet ist und das die unterweisende Funktion des Vaters betrifft: Das Arbeitsbild des Vaters verschwindet, wird unbekannt“ (ebd.: 177). Auf die vormalige Idealisierung des Vaterbildes folgt nun ein Prozess der Entwertung. Die zweite Stufe der Entfremdung betrifft die Verwandlung väterlicher Autorität in eine erzieherische Strafinstanz, nun „taucht der Vater häufig nur noch als ein Schreckgespenst in der Welt des Kindes auf“ (ebd.: 188). Mitscherlich nahm eine kritische Haltung gegenüber der substanzlosen Autoritätsausübung, welche weitgehend in unreflektierten Befehl / Gehorsam – Interaktionen besteht, ein.72 Jedoch sah er den Vater als unverzichtbar an (vgl.: Drinck 2005). Getreu der klassischen psychoanalytischen Theorie wurden bei Mitscherlich die Väter für die Vermittlung des Gesellschaftlichen und die Frauen für den emotionalen Bereich zuständig angesehen. Dabei kam in Mitscherlichs Konzept dem Vater die zentrale Stellung für die sozialisatorische Vermittlung von Selbstverantwortung und Autonomie zu (ebd.: 154). 71
Mitscherlich bezog sich auf die Beziehung zu Vater und Sohn und bezeichnete diese als beispielhaft für die anderen innerfamilialen Beziehungen (Mitscherlich 1984 [1963]: 175). Diese Übertragbarkeit müsste innerhalb seiner Theorie aber gerade aufgrund seines ausgeprägten Verständnisses unterschiedlicher Rollen der Geschlechter angezweifelt werden. 72 In einer derartig reduzierten Vater-Sohn-Interaktion sah Mitscherlich eine Ursache unterschiedlichster psychischer Störungen.
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In den folgenden Jahrzehnten wurde vielfach in diesem Sinne auf Mitscherlich Bezug genommen. Während Vätern also, wiederum und weiterhin, der kulturelle Bereich zugeschrieben wurde, wurden Mütter für Versorgungsaspekte zuständig gesehen. Ihre primäre Aufgabe sah Mitscherlich in der Bereitstellung einer stabilen frühkindlichen Bindung zum Kind. Die zunehmende Erwerbstätigkeit der Frauen, welche Mitscherlich zufolge „längst nicht mehr nur von Wünschen nach Vitalsicherung angetrieben, sondern zu einem guten Teil von konformistischen Zwängen der Statussicherung“ (Mitscherlich 1984 [1963]: 77)
motiviert waren, sah er als Gefahr für die Mutter-Kind Beziehung: „Die Konflikte werden besonders tief sein, wenn in der Mutter die pflegerischen Tendenzen von anderen Triebregungen (besonders selbstbezogenen, narzisstischen) durchkreuzt werden.“ (ebd.).
Es lässt sich festhalten, dass Müttererwerbstätigkeit aus so unterschiedlichen Perspektiven wie konservativer Politik (Schelsky) und sozialkritischer Psychoanalyse (Mitscherlich) her problematisiert wurde. Bestärkung erhält diese Position in den siebziger und achtziger Jahren aus dem pädagogisch/psychologischen Diskurs, der im Folgenden dargestellt wird. In den sechziger und siebziger Jahren wurden in der BRD Theorien zur Bedeutung der frühen Mutter-Kind-Beziehung für die Persönlichkeitsentwicklung im pädagogischen und psychologischen Diskurs diskutiert. Häufig rezipierte Theoretiker, die bis heute in pädagogischen Ausbildungen herangezogen werden, waren in dieser Zeit René Spitz, John Bowlby und D.W. Winnicott73. Aus der Kritik an Massenunterbringungen von Säuglingen und Kleinkindern in Krippen und Heimen (Spitz 1969) entsprang in den Theorien von Bowlby und Winnicott die Idealisierung der biologischen Mutter-Kind-Beziehung, wobei die Anforderungen an die Mütter dahingehend gesteigert wurden, dass sie kein Bedürfnis außer dem der Mütterlichkeit haben durften, wenn sie ihrem Kind nicht schaden wollten. Mit der fortschreitenden Pädagogisierung der Kindheit wuchs die Verantwortung der Mutter. Über Frauen, die nicht vollständig in der ‚primären Mütterlichkeit’, also in der symbiotischen Beziehung zum Säugling in dessen ersten Lebenswochen aufgehen, schrieb Winnicott74: 73
Diese Diskussion kam damals mit 10-15jähriger Verspätung aus den englischsprachigen Ländern in die B.R.D. Die Verzögerung lässt sich mit den aus der nationalsozialistischen Ideologie übernommenen, fortgesetzten Vorbehalten gegen die psychoanalytische Theorie erklären. 74 Winnicott war Kinderarzt und Psychoanalytiker.
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„Manche dieser Frauen haben sicher sehr große andere Interessen, die sie nicht gern völlig aufgeben (…). Wenn eine Frau sehr männlich identifiziert ist, fällt es ihr ganz besonders schwer, diesen Teil ihrer mütterlichen Funktion zu erfüllen, und ein verdrängter Penisneid lässt für die primäre Mütterlichkeit nur wenig Raum.“ (Winnicott 1976 [1985]: 156)
Hier wird das Interesse von Müttern an der gesellschaftlichen Realität mit Penisneid gleichgesetzt. Wird die ‚Außenwelt’ nicht zumindest für eine Zeit völlig unwichtig, so ist die psychische Gesundheit des Kindes nach Winnicotts Theorie gefährdet. Während der Mutter also keine Atempause und keine aus der Beziehung zum Kind gelösten Bedürfnisse zugestanden werden, besteht die Rolle des Vaters zunächst nur in der Sorge um das Wohlbefinden der Mutter, darüber hinaus gibt es „über die Vater-Kind-Beziehung nur wenig zu sagen“ (Bowlby 1972 [1953]: 13). Durchschlagende Wichtigkeit bekommt der Vater jedoch in dem Moment, wo er nicht mal in der Peripherie des Familienlebens auftaucht, also bei Ein-Elter-Familien. Bowlby kam durch die Auswertung psychologischer Untersuchungen Alleinerziehender zu dem Schluss, „dass es in den westlichen Ländern emotional gestörte Männer und Frauen sind, die in gesellschaftlich unannehmbarer Weise uneheliche Kinder hervorbringen. Darüber hinaus halten sie den gesellschaftlichen Prozess in Gang, von dem bereits gesagt wurde, dass er schwerwiegende Konsequenzen hat, indem eine Generation vernachlässigter Kinder zu Eltern werden, die eine nächste Generation vernachlässigter Kinder hervorbringen werden“ (Bowlby 1972 [1953]: 104).
Es sei allerdings angemerkt, dass Bowlby aus dieser abwertenden Aussage die Notwendigkeit materieller und psychologischer Hilfen für Ein-Elter-Familien hergeleitet hat (ebd.: 110). Schütze fasst kritisch zusammen, dass in den Theorien von Bowlby und Winnicott das Verhältnis zwischen Müttern und ihren Kindern zu einem gegenseitiges Machtverhältnis wird. Da Abweichungen von vollständiger Hingabe an die Mutterschaft als schädlich für die kindliche Entwicklung angesehen werden, wird das kindliche Verhalten zum Prüfstein wahrer Mütterlichkeit (vgl.: Schütze 1986: 91). Nun ist es aber keineswegs so, dass eine Mutter ein gutes Gewissen haben kann, wenn sie sich voll und ganz ihrem Kind widmet, denn damit setzt sie sich dem Verdacht der Überfürsorglichkeit aus. So wurden von Spitz Dreimonatskoliken von Säuglingen mit übergroßer Aufmerksamkeit der Mütter erklärt, welche wiederum unbewussten Feindseligkeiten gegen das Kind entspringe (Spitz 1969, diskutiert in: Schütze 1986: 93ff.). So wandeln die Mütter „auf
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einem schmalen Grat zwischen Vernachlässigung und Überfürsorglichkeit“ (Schütze 1986: 95). Im Zuge der fortschreitenden Psychologisierung wird die ehemals als irrational konstruierte Mutterliebe zunehmend funktionalisiert (ebd.: 96). In den Theorien von Spitz, Bowlby und Winnicott finden wir von psychologischer Seite die Ausformulierung des mütterlichen Liebesideals, das in der fürsorgerischen Tätigkeit an sich Erfüllung findet, ohne materieller oder anders gearteter gesellschaftlicher Anerkennung zu bedürfen. Erwerbstätige Mütter und damit viele Alleinerziehende geraten durch die psychologisch prophezeiten negativen Folgen mütterlicher Erwerbstätigkeit in Verunsicherung und Stress, ein emotionaler Zustand, der in einem Prozess von ‚Self-fulfilling Prophecy’ ungünstige Folgen für ihre Kinder haben kann.75 In den 50er bis 80er Jahren wurde den Vätern in der BRD nahezu unhinterfragt die Rolle der Familienernährer zugeschrieben. Der zum Nachteil der Frauen geschlechtsspezifisch segregierte Arbeitsmarkt, in dem Frauen in schlechter bezahlten Berufen mit geringeren Aufstiegschancen arbeiteten, war und ist im Prozess der Konstruktion und Aufrechterhaltung der innerfamilialen Rollenaufteilung ein tragendes Element. Es gab jedoch auch Gegenbewegungen zu diesem traditionellen Diskurs zu Geschlecht und Familie, deren Bedeutung und Einfluss mit der Zeit zunahm. Dem feministischen Diskurs sowie der beginnenden Väterforschung kommen hier maßgebliche Bedeutungen zu. So versuchte Landolf bereits 1968 eine Neubeschreibung väterlicher Funktionen, setzte sich kritisch mit den oben beschriebenen Rollenzuweisungen auseinander und konstatierte optimistisch das Entstehen einer neuen Väterlichkeit (Landolf 1968). Diesem mutigen Vorstoß folgten in den 80er Jahren einzelne soziologische und psychologische Publikationen, durch die auf Väter, die sich um ein verstärktes Engagement in der Familie bemühten, positive gesellschaftliche Aufmerksamkeit gelenkt wurde (vgl. zusammenfassend: Walter 2002: 24ff.). Die parallel zur Debatte zu konstatierenden, zunächst vorsichtigen und schließlich immer deutlicher werdenden sich wandelnden väterlichen Wünsche weg von der alleinigen Konzentration auf Erwerbsarbeit und hin zur Teilhabe an der innerfamilialen Verantwortung, fanden ihre Grenzen an der Institution Arbeitmarkt (vgl.: Born und Krüger 2002), die sich einer Veränderung in Richtung mehr Familienfreundlichkeit nachhaltig verweigerte. Während Teile des feministischen Diskurses sich frühzeitig mit den speziellen und heterogenen Lebensbedingungen von Frauen auseinandersetzten 75
Eine Zusammenfassung der feministischen Kritik an den Theorien von Spitz und Bowlby findet sich in Lehr, 1982, S. 108ff..
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und hierarchische Strukturen zwischen den Geschlechtern in Beruf und Familie analysierten und kritisierten, sich also mit Herrschaft und Dominanz basierend auf der Forderung nach gleichen Chancen für alle auseinandersetzten, beharrten andere Teile des feministischen Diskurses auf der wesenhaften Verschiedenheit der Geschlechter, wenngleich die traditionellen dichotomen Zuschreibungen nun positiv zu Gunsten des Weiblichen uminterpretiert wurden (z. B.: Ostner 1987). Auch wenn festzuhalten ist, dass die beharrliche Rekonstruktion dichotomer Geschlechterbilder von Teilen des feministischen Diskurses reproduziert und stabilisiert wurde,76 soll dem zu diesem Aspekt kritischen Teil des Diskurses als Kontrapunkt zum gesellschaftlichen Mainstream größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Eine wichtige Stellung bei der Analyse und Kritik der Zuschreibungen zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit kommt Lehr77 zu, die dieses Thema systematisch unter verschiedenen Gesichtspunkten bearbeitet hat und hier daher beispielhaft für einen Teil der feministischen Kritik angeführt wird: So kritisierte sie schon früh in einer Studie zur Bedeutung der Familie im Sozialisationsprozess die auf Vorurteilen beruhenden Einstellungen78, die mütterlicher Erwerbstätigkeit negative Folgen für das Kindeswohl zuschreiben (Lehr 1970). Auch die Vernachlässigung des Vaters in der Sozialisationsforschung und generalisierende Familienbilder wurden von Lehr kritisiert (Lehr 1974): „es gibt weder die Vollfamilie noch die unvollständige Familie. Je nach Gründen der Vaterabwesenheit, je nach Reaktion der Mutter auf diese Vaterabwesenheit, die von der gegebenen Situation und der Einstellung der Umwelt abhängig ist, und je nach Alter, Geschlecht und Persönlichkeit des Kindes wird diese Vaterabwesenheit unterschiedliche Sozialisationseffekte nach sich ziehen. Das eindimensionale UrsacheFolge-Denken wie: diese oder jene Fehlentwicklung ist Folge der Berufstätigkeit oder ist Folge des fehlenden Vaters, ist unzulässig.“ (Lehr 1979: 27)
Der Diskurs um mütterliche Berufstätigkeit in den 70er Jahren zeigt, wie groß die Vorurteile gegen und Angriffe auf erwerbstätige Mütter zu dieser Zeit im Westen im Unterschied zu und in der Abgrenzung vom Osten Deutschlands waren. Es herrschte erheblicher Rechtfertigungsdruck für erwerbstätige Mütter (vgl.: Lehr 1982). Dichotome Zuschreibungen zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit wurden in der deutschen feministischen Theorie der 70er und 80er Jahre zwar nicht als solche kritisiert, die Forderungen nach egalitärer Arbeitsaufteilung 76
Eine beharrliche Kritikerin fand der Differenzansatz bereits frühzeitig in A. Knapp (vgl. z. B. Knapp 1990. 77 Die Psychologin und CDU- Politikerin U. Lehr bekleidete von 1988 bis Anfang 1991 das Amt als Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. 78 Welche teilweise mit der oben beschriebenen Bindungstheorie nach Bowlby begründet werden.
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basierten jedoch auf der Überzeugung, dass beide Geschlechter über in Familie wie Erwerbsarbeit benötigte Fähigkeiten verfügen. Mitte der 70er und Mitte der 80er Jahre erschienen zwei repräsentative Studien über Einstellungen von Männern zu Beruf, Familie und Partnerschaft.79 In der Zusammenfassung der Ergebnisse der ersten Studie80 wurde konstatiert, dass die Forderungen der Frauen nach egalitärer Verteilung von Haus-, Familienund Berufsarbeit von den Männern schlichtweg ignoriert wurden. Die Dichotomie der Geschlechter und die aus dieser Logik folgende Aufteilung von gesellschaftlicher Arbeit sollte nach Meinung der Männer dieser Zeit nicht in Frage gestellt werden. Pross beschrieb die Frauen- und Männerbilder der 70er Jahre folgendermaßen: „So wie die meisten Männer sie zeichnen, sind die sozialen Muster der Beziehungen zwischen den Geschlechtern im wesentlichen problemlos: Der Mann ist stärker, er will den Beruf und will Familienernährer sein; die Frau ist schwächer, sie will ihre heutige Familienrolle und nur zeitweise einen dann auch noch anspruchslosen Beruf, und sie will zum Mann aufschauen können. Nach diesem Situationsverständnis sind Männer und Frauen einander so zugeordnet, daß sie sich in prinzipiell harmonischer Weise ergänzen. Eine solche Ordnung in Frage zu stellen, gilt als schlechte Störung.“ (Pross 1978: 173)
Während in den 70er Jahren von Seiten der Männer also an der traditionellen Ordnung gegen die Wünsche vieler Frauen festgehalten wurde, war in der zehn Jahre später folgenden Studie (Metz-Göckel und Müller 1986) ein heterogeneres Bild festzustellen. Grundsätzlich ließ sich nun die Tendenz konstatieren, dass die beruflichen Interessen von Frauen nun von den Männern akzeptiert wurden, solange keine Abstriche am eigenen beruflichen Engagement zu erwarten waren. Das Mütterbild war nach wie vor ideologisch überhöht – die Mütter wurden als Alleinverantwortliche für die Kleinkindbetreuung gesehen, denen man nun aber hier und da ein bisschen half. Zusammenfassend wurde festgestellt: „Die Männer sind in ihren Reaktionen geteilt. Wofür sie mit ihrem Kopf eintreten, setzen sie in die Tat nicht um.“ (Metz-Göckel und Müller 1986: 18) Die bestehenden Widerstände gegen die anstehende Veränderung hatten ihre Ursachen sowohl auf subjektiver als auch auf struktureller Ebene: Einer weit verbreiteten Resistenz gegenüber Hausarbeit und einem familienunfreundlichen Arbeitsmarkt. Während also in die Einstellungen der Subjekte um innerfamiliale Rollenverteilung innerhalb der heterosexuellen Zwei-Eltern-Familie langsam 79 Diese von der Zeitschrift „Brigitte“ in Auftrag gegebenen Studien fanden aufgrund der großen Verbreitung dieser Zeitschrift und dem für viele Frauen drängenden Thema der Rolle des Mannes weitreichende Rezeption. 80 Datenerhebung: 1976, Veröffentlichung: 1978.
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Bewegung kam, waren die subjektiven Einstellungen gegenüber Mütterlichkeit und Väterlichkeit in Ein-Elter-Familien weiterhin von dichotomen Geschlechterbildern geprägt: Eine Hamburger Untersuchung der Einstellungen gegenüber Alleinerziehenden (Napp-Peters 1983) ergab, dass „die Ein-Eltern-Familie an dem traditionellen Muster der ‚Normalfamilie’ gemessen wird und überwiegend die Auffassung besteht, dass die Alleinerziehenden nicht in der Lage sind, alle Bedürfnisse der Kinder zu befriedigen. Den alleinerziehenden Mutter-Familien mangelt es an Vaterautorität, den alleinerziehenden Vater-Familien an Emotionalität – so die Vorstellung vieler Interviewter. Diese 1983 durchgeführte Befragung zeigt, wenn auch regional begrenzt, dass in der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung noch Vorstellungen von einer sozialen und psychischen Defizitsituation in Ein-Eltern-Familien bestehen.“ (Nave-Herz und Krüger 1992)
Hier schlugen Mütterideologie (Emotionalität) und Vaterideologie (Autorität) wiederum voll durch.
3.4.3 Diskurse zum Kindeswohl In erster Linie als Folge der Studentenbewegung und der grundsätzlichen Infragestellung von Autorität kamen Rechte von Kindern gegenüber sozialisatorischen Instanzen wie Familie und Schule zunehmend in die gesellschaftliche Diskussion. Während Versuche zur praktischen Umsetzung einer antiautoritären Erziehung auf relativ kleine Personenkreise, welche z. B. Kinderläden gründeten, beschränkt blieben, so schlug doch die Diskussion um verschiedene Erziehungsstile hohe Wellen in der gesamten Gesellschaft. Durch das 1976 formulierte „Erste Gesetz zur Ehe- und Familienrechtsreform“ wurde die elterliche Erziehungsgewalt eingeschränkt, es wurden Erziehungsleitbilder formuliert, nach denen auf die Interessen und Bedürfnisse der Kinder Rücksicht zu nehmen ist, entwürdigende Erziehungsmaßnahmen wurden verboten. Somit erfolgte eine stärkere Verrechtlichung der Familie, der Staat erhob Anspruch auf die Realisierung der durch seine Organe formulierten Leitbilder und wertete somit gleichzeitig die individuellen Rechte der Kinder auf (vgl.: Gerlach 1996: 107). In den 70er Jahren erschienen erste Studien, die besagten, die kindliche Sozialisation sei von einer Vielzahl von Faktoren abhängig und mütterliche Erwerbstätigkeit allein habe keine negativen Folgen für Kinder (z. B. Lehr 1973, diskutiert in: Sommerkorn 1988: 134). Hier deutet sich ein sozialer Wandel hinsichtlich größerer Akzeptanz der Vereinbarung von Mutterschaft und Beruf an. Allerdings blieb es bis auf weiteres bei dieser Andeutung, denn Kinderbe103
treuung wurde in der BRD zu dieser Zeit fast ausschließlich für Kinder ab drei Jahren und nur für wenige Stunden am Vormittag angeboten, und auch diese Angebote existierten noch nicht flächendeckend. Die oben beschriebene Mystifizierung von Mutterschaft zeigte nachhaltige Effekte auf Vorstellungen vom Kindeswohl. Es sind hier also gleichzeitig Prozesse sozialen Wandels und der Beharrung traditioneller Sichtweisen festzustellen. In den 60er und 70er Jahren wurden geschlechtsspezifische Ungleichheiten in der schulischen Sozialisation von Mädchen und Jungen thematisiert. Die entscheidende Maßnahme gegen diesen Zustand war die Koedukation, die Ende der 70er Jahre an einem Großteil der Schulen eingeführt war. Untersuchungsergebnisse der 80er Jahre zeigten jedoch, dass geschlechtsspezifische Nachteile für Mädchen in naturwissenschaftlichen Fächern und Mathematik weiterhin bestanden. Dieser Umstand war der Auslöser für eine zweite Koedukationsdebatte. Nahezu unerforscht blieb, wie Schüler und Schülerinnen das geschlechterdifferierende Verhalten des Lehrerpersonals wahrnehmen. Auch eine strukturierte Untersuchung von Lernmitteln auf Geschlechterstereotype erfolgte nicht (vgl. zusammenfassend: Jungwirth 1997). Durch Studentenbewegung und Emanzipation lockerten sich die Erwartungen an die Reproduktion von Geschlechterstereotypen im kindlichen Verhalten. Gleichwohl durchzogen Vorstellungen von einer ‚gesunden Geschlechtsidentität’ wie ein roter Faden die Diskurse um geschlechtsspezifische Sozialisation. Der Überblick über Geschlechter- und Familienleitbilder in den 40 Jahren nach dem zweiten Weltkrieg in der BRD zeigt beides: einen erheblichen sozialen Wandel, die Gleichberechtigung der Geschlechter wie die Sichtweisen auf Familien betreffend, und das Fortbestehen von Idealisierungen der heterosexuellen Zwei-Eltern-Familie, manifestiert in Mystifizierungen von Mutterschaft und fortgesetzten Reproduktionen von Geschlechterstereotypen. Gegenüber Ein-Elter-Familien sind Normalisierungsprozesse auszumachen, wenngleich eine durchgehende gesellschaftliche Anerkennung dieser Lebensform noch nicht festgestellt werden kann. Auch Müttererwerbstätigkeit erfährt einen Prozess der Normalisierung. Sie bleibt gleichzeitig Gegenstand heftiger Debatten, während Vätererwerbstätigkeit keinen Diskussionsgegenstand darstellt – ebenso wenig kommen Vaterfamilien in den Blick. Das Leitbild innerfamilialer Arbeitsteilungen wandelt sich vom männlichen Haupternährer und Hausfrau zum männlichen Haupternährer und Hausfrau/Zuverdienerin. Der Vater verliert durch juristische Änderungen einen Teil seiner Machtstellung in der Familie, gleichzeitig wird die Bedeutung des Vaters im psychologischen Diskurs abgestützt (Mitscherlich). Wachsende Kritik an der fortdauernden Ideologisierung von Familie und Geschlechterungleichheiten wird in feministischen Theorien geäußert. 104
Die Expansion des Bildungssystems stellte einen entscheidenden Faktor für die zunehmende Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen dar, wenngleich das geschlechtsspezifisch segregierte Ausbildungssystem Geschlechterungleichheiten reproduzierte. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich in der BRD im Zeitraum bis 1989 von Institutionen und Leitbildern her Spielräume für die Konstruktion von Geschlecht und Familie eröffnen, die jedoch weiterhin durch strukturelle, diskursive und interaktive Aspekte begrenzt werden.
3.5 Nach der Vereinigung: 1989 ff. In dem nun folgenden Teilkapitel wird auf etwas andere Quellen als in den beiden vorangegangen zurückgegriffen. Selbst die bruchstückhafte Rezeption von Zitaten aus dem politischen Diskurs hätte anlässlich der quantitativen Zunahme von Stellungnahmen zum Thema Familie den hier vorgegebenen Rahmen gesprengt. Stattdessen wird größerer Wert auf die Darstellung der sozialstrukturellen Hintergründe familialen Lebens gelegt, da diese die Lebensbedingungen der im empirischen Teil dieser Arbeit befragten Alleinerziehenden vom Zeitkontext her bereits mitbestimmen. Besondere Bedeutung erlangt hier die Diskussion um institutionelle Kinderbetreuung. Am Für und Wider gegenüber der Ganztagsbetreuung besonders von kleinen Kindern machen sich auch heute Familienbilder fest, wobei mit der Befürwortung von Ganztagsbetreuung eine Relativierung der Bedeutung von Familie und damit gleichzeitig eine Entmystifizierung der Mutterrolle einhergeht. Die Diskussionen um die PISA – Ergebnisse spielen hier eine entscheidende Rolle, da sie zu einer breiteren öffentlichen Zustimmung zu Ganztagsschulen wie auch ausgedehnten Kinderbetreuungszeiten für Kinder im Kindergarten- und Vorschulalter führten und damit den staatlichen Institutionen größere Verantwortung für die Bildung der Kinder zusprechen. Diese Diskussionen haben besondere Bedeutung für Alleinerziehende, da sie in stärkerem Maße als Zwei-Eltern-Familien auf institutionelle Kinderbetreuung angewiesen sind, wenn sie erwerbstätig sein wollen. Inwieweit die Diskussionen um Familie in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten zu einer Normalisierung von Ein-Elter-Familien geführt haben, wird in einem an Kap. 3.4.1 anschließenden Exkurs beleuchtet. Wie bereits in den vorangegangen Teilkapiteln (3.2 und 3.3) wird auch in dem nun folgenden den Aspekten ‚Väterlichkeit und Mütterlichkeit’ so wie dem ‚Kindeswohl’ besondere Aufmerksamkeit zuteil (3.5.2 und 3.5.3). Dabei wird das Unterkapitel zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit (3.5.2) durch einen Exkurs 105
zu „Psychoanalyse und Geschlecht“ ergänzt, da die moderne Diskussion um Mütterlichkeit und Väterlichkeit - insbesondere was die Mütterlichkeit betrifft in starkem Maße von Begriffen und Positionen aus psychoanalytischen Diskursen bestimmt ist. Weiterhin ist anzunehmen, dass sich die Diskurse der Alleinerziehendenforschung, der ‚neuen-Väter’ und psychoanalytischer Theorien in der Beratungs- und Betreuungspraxis von Pädagogen, Psychologen und Sozialarbeitern bemerkbar machen und auf diesem Wege Eingang in die Selbstbilder Alleinerziehender finden.
3.5.1 Transformation und Modernisierung Die Zeit nach dem Fall der Mauer, speziell das Jahr vom Herbst 1989 bis zum 3.10.1990 (Inkrafttreten des Einigungsvertrags) war eine Zeit des Umbruchs, der Veränderung, in der zunächst vieles möglich schien: Die autonome Frauenbewegung der DDR versuchte, emanzipative Errungenschaften81 aus der DDR-Zeit in den ‚Vereinigungsprozess’ hinein zu retten. Dies gelang in den 90er Jahren mit dem weitgehenden Erhalt der Kinderbetreuungseinrichtungen in Ostdeutschland. Mit dem Ende der DDR-Gesellschaft und der Umwandlung des Gebietes der ehemaligen DDR in die ‚neuen Bundesländer’ sahen sich die dort lebenden Menschen einem Wohlfahrtsstaat gegenüber, der sich selbst in einem Prozess des wirtschaftlichen und sozialpolitischen Wandels befand und bis heute befindet. Im Zusammenhang mit Globalisierungsprozessen und der Ausbreitung neoliberaler Wirtschaftspolitik erodierte das so genannte Normalarbeitsverhältnis zunehmend. Die Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse in Form von Leiharbeit, Ein-Euro-Jobs etc. stieg an, während tarifliche Absicherung abnahm. Die Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitszeiten brachte es mit sich, dass die Erwerbsarbeit eine immer stärkere Dominanz gegenüber der privaten Lebenssphäre erlangte. Hohe Arbeitslosenzahlen und der demographische Wandel waren Auslöser für den Umbau der sozialen Sicherungssysteme des Wohlfahrtsstaates. Dieser Umbau bedeutete für viele Hilfenehmer einen Zuwachs an Zumutungen und Verunsicherungen. Nimmt man die genannten tief greifenden Veränderungen in den Blick, so wird deutlich, dass die BürgerInnen der neuen Bundesländer einem doppelten Transformationsprozess ausgesetzt (Dölling 2005) waren. Die Einführung der Marktwirtschaft82 und die dadurch ausgelöste flächendeckende Schließung der 81
Z. B. die flächendeckende Ganztagsbetreuung und das Abtreibungsrecht. Die Ausbreitung des kapitalistischen Wirtschaftssystems rückte Werbung und Konsum in den Vordergrund und hatte so u. a. Konsequenzen für die Wahrnehmung weiblicher Körperlichkeit: „Der 82
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DDR- Industrieanlagen durch die Treuhandgesellschaft in Ostdeutschland führte zur schnellen Ausbreitung von Arbeitslosigkeit – eine Erfahrung, die für die Menschen im Osten völlig neu war. Frauen waren von dem Verlust des Arbeitsplatzes öfter betroffen als Männer: „Im März 1991 stellten Frauen schon 55 Prozent aller Arbeitslosen, und bis Anfang 1993 wuchs diese Quote auf rund zwei Drittel, in manchen Regionen gar auf 70 Prozent und mehr.“ (Helwig 1993: 9)
Eine Befragung Ostberliner Frauen nach der Wende zeigte, wie widersprüchlich die Veränderungen erlebt wurden: Einerseits als Möglichkeit größerer Wahl- und Bewegungsfreiheit und materiellen Zugewinns, andererseits als psychische Belastung durch den Druck auf dem Arbeitsmarkt (Drauschke und Stolzenburg 1995: 47ff., 64ff.). Die kollektive Transition der DDR BürgerInnen nach 1989 in die BRD brachte einen ebenfalls kollektiven Verlust der Amortisierungschancen83 von Qualifikationen mit sich, von dem Frauen besonders getroffen waren.84 (vgl. Brand 2002: 21) „Im Transformationsprozess gerieten sowohl die Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt“ wie die Voraussetzungen für die „Vereinbarkeit von Beruf und Familie von Anfang an massiv unter Druck“ (Brand und Hammer 2002:17). Die materielle Lage allein erziehender Frauen verschlechterte sich mit der Wende (Drauschke und Stolzenburg 1995: 62). Zu den materiellen Einschränkungen kam die Sorge um die eigene und die Zukunft der Kinder. „Neu ist die existentielle Angst.“ (Drauschke und Stolzenburg 1995: 80). Zwar brachten Drauschke und Stolzenburg zufolge viele der allein erziehenden Frauen in den neuen Ländern aus ihrer Alltagsbewältigung in DDRZeiten Fähigkeiten sparsamen Haushaltens mit (ebd.), die zunächst unbekannte und - Arbeitsmarkt- wie wohlfahrtsstaatliche Hilfeleistungen betreffend komplizierte Situation nach der Wende bedeutet jedoch häufig eine Übererruptive Aufbruch der westlichen Warenwelt in unsere sozialistische Mangelwirtschaft ist zugleich ein Feldzug der Bilder, Symbole und Fetische des Konsums.“ (Merkel 1990: 7) Es sind andere Frauenbilder, aufgeladen mit den Normen sexueller Attraktivität und Jugendlichkeit, mit denen sich die Frauen der DDR plötzlich und unentrinnbar konfrontiert sehen. Die dadurch bewirkten Mechanismen der Präsentation und Veräußerlichung, die von jeder Einzelnen verlangen, „das Einverständnis mit der erzwungenen Unterordnung auch noch zur Schau zu stellen“ (Merkel 1990: 8), sind längst Gewohnheit für Frauen im Westen, für die Ostfrauen jedoch zunächst ein Schock. 83 Mit Amortisierungschancen werden hier die Möglichkeiten bezeichnet, Kosten, Zeit und Anstrengungen für Qualifikationen in einem entsprechend entlohnten Arbeitsplatz mit Aufstiegsmöglichkeiten einsetzen zu können. 84 Die geringen Amortisierungschancen weiblicher Qualifikationen sind bis heute im Westen Deutschlands als Folge partnerschaftlicher Aushandlungsprozesse der Aufteilung von Familien- und Berufsarbeit, sowie institutionell schlechter Vereinbarungsbedingungen Teil weiblicher Lebensverläufe (Born und Krüger 2001; Krüger 2001a).
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forderung. Nichtsdestotrotz ist die Lebensform des Alleinerziehens bis heute in den neuen Bundesländern stärker verbreitet als in den alten Bundesländern: Im Jahr 2004 sind in Westdeutschland 7,0 % der Bevölkerung über 18 Jahren allein erziehend (davon 1,2 % Männer). In Ostdeutschland (einschl. Ostberlin) sind es 8,8% (davon 1,3 % Männer) (vgl.: DJI 2005: 234). Schaut man sich den Anteil Alleinerziehender an familialen Lebensformen an, ergeben sich deutlichere Bilder85 der starken Verbreitung von Ein-Elter-Familien wie auch der Unterschiede in West und Ost:86:
Tabelle 1:
Eltern-Kind-Gemeinschaften in West- und Ostdeutschland 2004 (in %)
Lebensformen Verheiratete Eltern Nichteheliche Lebensgemeinschaften Alleinerziehende ohne Lebenspartner/in Zusammen
West N = 10.211.000 76,2
Ost N = 2.312.000 63,5
4,8
12,3
19,0
24,2
100,0
100,0
Datenbasis: Mikrozensus 2004 Quelle: Statistisches Bundesamt, Sonderauswertung
Die Ein-Elter-Familie im Osten hat aber auch einen stärkeren Übergangscharakter. Es kann festgestellt werden, dass die vorübergehende Ein-Elterschaft „zum normalen Bestandteil ostdeutscher Frauen-Biographien geworden ist“ (ebd.). Die größere Verbreitung der Lebensform Alleinerziehend in Ostdeutschland scheint vor allem durch die „Nachwirkungen der spezifischen Situation der Alleinerziehenden in der DDR“ (Schneider et al. 2001: 12) verursacht worden zu sein. Bezüglich der Unterschiede zwischen Ost und West sind auch die folgenden Erkenntnisse aus einer Untersuchung von Schneider et al. zu Unterschieden im Belastungserleben von Frauen interessant:
85 86
Die Tabelle wurde leicht verändert übernommen aus: (DJI 2005: 250). Hier sind die ostdeutschen Bundesländer einschließlich Ostberlins erfasst.
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„Berufstätige Frauen aus dem Westen fühlen sich deutlich stärker durch die Kindererziehung, die Organisation der Kinderbetreuung, die Alleinverantwortung sowie die Rollenvielfalt belastet. Zum anderen berichten sie von einer deutlich höheren Gesamtbelastung als die berufstätigen Frauen in den neuen Bundesländern.“ (Schneider et al. 2001: 300)
Der hier beschriebene Unterschied im Belastungserleben ist umso beeindruckender, als allein erziehende Frauen im Osten fast durchgängig Vollzeit erwerbstätig sind – im Unterschied zu westdeutschen Alleinerziehenden, von denen nur etwa die Hälfte einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht. „Ostdeutsche Alleinerziehende sind also in einem deutlich höheren Umfang berufstätig, dennoch beschreiben sie sich als geringer belastet“ (ebd.). Diese Unterschiede in Belastung und Bewertung der Belastung lassen sich im Wesentlichen mit zwei Faktoren in Verbindung bringen: Erstens mit den nach wie vor bestehenden Unterschieden institutioneller Kinderbetreuung in den alten und den neuen Bundesländern, und zweitens mit den bis heute divergierenden Mutterleitbilder in Ost und West (s. u.). Auch wenn von den Frauen in Ostdeutschland die DDR als Ganzes kaum zurückgewünscht wird, bedauern viele den Verlust sozialer Sicherheiten. Je nach konkreter Lebenslage führen die Veränderungen zu Resignation oder verstärkten Aktivitäten. Dabei lässt sich die beharrliche Orientierung auf Erwerbstätigkeit ostdeutscher Alleinerziehender auch daran erkennen, dass entgegen den im Westen konstant reproduzierten Vorurteilen über eine Ostdeutsche ‚NehmerHaltung’ die Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung nur im Notfall akzeptiert wird (Drauschke und Stolzenburg 1995: 18). Die massiven wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten nach dem Zusammenbruch der DDR 1989 schlugen sich jedoch massiv in sinkenden Geburtenraten nieder: Während in der DDR die Geburtenziffern in den 80er Jahren noch bei 1,7 je Frau lagen, sanken sie bis zum Tiefstand in den Jahren 1993/94 auf 0,77 Kinder pro Frau. Somit fielen die Geburtenziffern in Ostdeutschland von ihrem im Vergleich zur BRD ehemals relativ hohen Niveau noch unter die westdeutsche Geburtenrate (Dornseiff und Sackmann 2003). Die im Jahre 2000 zu verzeichnenden 1,21 Kinder je Frau bedeuten zwar einen Wiederanstieg der Zahlen, eine Diskrepanz zwischen West und Ost bleibt jedoch bestehen. Auch die signifikante Verschiebung des Timings der Familiengründung im Lebensalter nach hinten in Ostdeutschland lässt „auf eine Angleichung an ähnliche Entwicklungen in Westdeutschland schließen“ (Dornseiff und Sackmann 2003 :315). Während Frauen in der DDR ihre Kinder häufig im Alter von Anfang zwanzig bekamen, liegt der heutige Altersdurchschnitt von Erstgebärenden in Ostdeutschland bei dreißig Jahren. Die Ergebnisse einer Unter109
suchung des Timings im Lebensverlauf von Müttern in Bezug auf Erst- und Zweitgeburten und die Länge der Erwerbsunterbrechung bzw. Teilzeitarbeit oder Vollzeit- Familientätigkeit zeigt allerdings anhaltende Unterschiede für Ost- und Westdeutschland: Während in Westdeutschland die Familienzeiten von Frauen oftmals länger ausgedehnt werden als die 36 Monate Elternzeit, bzw. zweite Kinder häufig bereits in dieser Zeit zur Welt kommen, gibt es in den Jahren seit 1991 für Ostdeutschland sowohl Anzeichen für einen Wandel als auch für Persistenz. Die Familienzeiten ostdeutscher Mütter sind zwar deutlich länger als vor 1991, im Vergleich zu Westdeutschland fangen die Mütter jedoch erheblich früher wieder an zu arbeiten und wesentlich mehr von ihnen arbeiten Vollzeit (Dornseiff und Sackmann 2003). Globalisierung und Modernisierungsprozesse bringen auch für die aus den alten Bundesländern stammenden Menschen neue Erfahrungen mit sich: Die oben beschriebene Flexibilisierung von Arbeitszeiten und die zunehmende Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen trifft Alleinerziehende in besonderem Maße, zumal in den 90er Jahren die Ganztagsbetreuung im Westen nicht nennenswert ausgebaut wird. In den neuen Bundesländern werden Kinderbetreuungseinrichtungen, vor allem im ländlichen Raum, teilweise abgebaut. Wie bereits oben angedeutet, ist der soziale Wandel wesentlich mit dem Faktor Zeit verknüpft. Arbeits- und Produktionsprozesse sowie Entwicklungen von Kindheit, Jugend und alltäglich gelebter Elternschaft sind steigendem Zeitdruck ausgesetzt. Dies birgt besondere Probleme für diejenigen, die Erwerbsarbeit und Familienaufgaben allein bewältigen müssen. Elternschaft wird zunehmend nicht die ganze Kindheit hindurch im gemeinsamen Haushalt oder überhaupt gemeinsam gelebt. Diese Entwicklung ist für die BürgerInnen der alten Bundesländer einschneidender als für jene mit DDR-Herkunft: Im Westen ist Elternschaft weiterhin weitaus enger mit der Institution der Ehe verknüpft als in Ostdeutschland (Dornseiff und Sackmann 2003). Die Entkoppelung von Ehe und Elternschaft war dort erheblich weiter fortgeschritten, die Anzahl nichtehelicher Geburten und damit auch der Alleinerziehenden erheblich höher (s. o.). Die wachsende gesellschaftliche Toleranz gegenüber Lebensformen, die von der weiterhin als Normalitätsmuster fungierenden Zwei-Eltern-Familie abweichen, bringt sowohl die Möglichkeit als auch den Zwang zur Wahl mit sich. In den alten Bundesländern lässt sich trotzdem weiterhin eine stärkere Orientierung von Elternschaft und Mutterschaft an der Norm der bürgerlichen Kleinfamilie konstatieren als in Ostdeutschland (Alt 2001: 16-19). Es kann zusammenfassend festgehalten werden, dass sich nach 1989 die westdeutsche (im Wandel begriffene) Institutionenordnung im Osten ausbreitete,
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während die Unterschiedle der Familienleitbilder in West- und Ostdeutschland teilweise weiter bestanden (vgl.: Schaeper und Falk 2001 :181)87. Von ostdeutschen Frauen wurden gleichwohl Handlungsräume genutzt, die ihnen in der DDR verwehrt waren: Anfang der 90er Jahre war Teilzeitarbeit das von ostdeutschen Müttern präferierte Arbeitszeitmodell: „Die Frauen wollen mehr Zeit gewinnen für die Familie, andererseits aber ihre Berufstätigkeit nicht völlig zugunsten der Kindererziehung aufgeben. Diese Auffassung vertreten ca. 42% der Frauen solange ein Kleinkind und 58% solange ein Kindergartenkind im Haushalt ist, bei Schulkindern in der Familie sind es 49%. Der Trend geht hier mit einem Drittel bereits wieder in Richtung Vollbeschäftigung. Damit wird deutlich, daß die gelebte Realität der Vollbeschäftigung von Müttern mit Vorschulkindern in der DDR nicht ihren Wünschen, sondern gesellschaftlichen Strukturen und Zwängen entsprach.“ (Höckner 1995: 345)
Um die Unterschiede zwischen Ost und West zu fassen, muss die Kategorie Teilzeitarbeit differenziert werden: Kreckel/Schenk schlagen die Unterscheidung in die Rubriken ‚reduzierte Stundenzahl’, ‚Halbzeitarbeit’ und ‚Arbeitsverhältnisse, die unter 20 Wochenstunden liegen’ vor. Anhand dieser Differenzierung lässt sich aufzeigen, dass es sich bei der Teilzeiterwerbstätigkeit bei Frauen im Osten in der Regel um reduzierte Stundenzahl handelt (um die 30 Stunden), während Teilzeitarbeit bei Frauen im Westen überwiegend in 20 oder weniger Stunden besteht (Kreckel und Schenk 2001). Mitte der 90er Jahre sind die Einstellungen zur Teilzeitarbeit im Westen weitaus positiver als im Osten, die überwiegende Mehrheit der erwerbstätigen Frauen in Ostdeutschland zieht nun eine Vollzeitstelle einer wie auch immer reduzierten Stundenzahl vor. Dies entspricht auch den tatsächlichen Arbeitsverhältnissen, 1995 arbeiten 67% aller erwerbstätigen Frauen im Osten 40 und mehr Stunden wöchentlich, im Westen sind es nur 34% - bei den Teilzeitarbeitsverhältnissen sind die Verhältnisse nahezu umgekehrt (ebd.: 169). Die Entscheidung für Teilzeitarbeit bringt allerdings neben aktuellen materiellen Einschränkungen auch eine schlechtere Altersabsicherung, sowie geringe berufliche Aufstiegschancen mit sich. Zahlen zur Müttererwerbstätigkeit zeigen Parallelen zur Frauenerwerbstätigkeit. Die Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern sinkt in den 90er Jahren in Ostdeutschland zwar von 60,1 % im Jahr 1991 auf 47,9 %, im Jahr 2002 ab, liegt damit jedoch immer noch weit über der Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern im Westen, welche im Jahr 2002 bei 15,6 % liegt (Geisler und Kreyenfeld 2005:
87 Schaeper und Falk untersuchen Geschlechterarrangements und Geschlechterordnung in Bezug auf ‚cultural lags’ und ‚structural lags’.
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17). Somit sind auch zehn Jahre nach der Wende noch erhebliche Unterschiede zwischen Ost und West festzustellen. Tabelle 2:
Vollzeit Teilzeit geringfügig erwerbslos Nichterwerbsperson
Müttererwerbstätigkeit Ostdeutschland 1991 1996 2002 60,1 58,1 47,9 7,8 7,6 9,3 0,8 1,4 3,6 10,3 16,8 15,6 21,0 16,2 23,6
Westdeutschland 1991 1996 2002 18,5 16,1 15,6 18,5 18,3 21,2 7,0 9,9 14,6 3,1 3,8 3,8 52,9 51,8 44,9
Deutschland 1991 1996 29,1 24,6 15,8 16,2 5,4 8,2 4,9 6,4 44,7 44,6
2002 20,4 19,4 12,9 5,6 41,7
Vollzeiterwerbstätigkeit>=30 h/Woche; Teilzeiterwerbstätigkeit: 15-29 h/Woche; geringfügige Beschäftigung: <=14h/Woche Quelle: (Geisler und Kreyenfeld 2005: 17, nach Berechnungen des Mikrozensus)
Während Frauen im Osten also einerseits an Vollzeiterwerbstätigkeit festhalten und andererseits die neuen Handlungsräume der Teilzeitarbeit in Sequenzen des Lebensverlaufs nutzen, zeigt sich die Veränderung des Geschlechter- und Familienleitbildes im Westen u. a. darin, dass sich viele junge Frauen heute am Modell der doppelten Lebensführung88 orientieren, worunter die parallele Präsenz in Familie und Beruf zu verstehen ist.89 Ihnen steht hierfür jedoch weder ein institutioneller Rahmen (denn dieser ist auf Vollerwerbstätige ohne Familienpflichten zugeschnitten) noch eine Orientierung in Form von gesellschaftlichen Leitbildern zur Verfügung. „Angesichts der fehlenden institutionellen Absicherung eines Lebenslaufs, in dem auch familiale Statuspassagen vorkommen, kann es sich bei der Herstellung biographischer Kontinuität und bei dem Entwurf einer biographischen Verbindung von Familie und Beruf nur um eine je individuelle Konstruktion handeln.“ (Geissler 1998: 14)
88 Es ist hier anzumerken, dass die ‚doppelte Lebensführung’ nicht das Modell aller jungen Frauen ist – u. a. da sich nicht alle Frauen Kinder und Familie wünschen. 89 Born, Krüger und Lorenz-Meyer zeigten auf, dass die Vereinbarung von Familie und Beruf bereits von Müttern in der Nachkriegsgeneration angestrebt und auch erstaunlich weitgehend verwirklicht wurde. Die materiellen Bedingungen dieser Zeit machten Gelderwerb für viele Frauen entgegen den herrschenden Familienleitbildern und damit konform gehenden Einstellungen der Ehemänner notwendig. (Born, Krüger und Lorenz-Meyer 1996).
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Moderne Lebensläufe von Müttern sind daher von einer Ambivalenz der doppelten Lebensführung geprägt: Das Leitbild der selbstständigen Frau endet mit der Geburt des ersten Kindes und wird für mehr oder weniger lange Zeit vom Leitbild der guten Mutter abgelöst, in dem die Unentbehrlichkeit derselben für das kleine Kind das ideologische Kernstück darstellt (Oechsle 1998). An die Familienphase schließt sich im Lebensverlauf dann häufig eine längere Phase der Teilzeitarbeit an. Frauen im Westen, die stark berufsorientiert sind, wählen oftmals den Weg der Kinderlosigkeit, worauf auch die hohe Zahl kinderloser Akademikerinnen hinweist. Es ist davon auszugehen, dass die massiv gesunkenen Geburtenraten im Osten mit der grundsätzlichen Verunsicherung aufgrund des Transformationsprozesses zusammenhängen. Allerdings haben Frauen in Ostdeutschland weiterhin bessere Möglichkeiten, das Bild der guten Mutter und der selbstständigen Frau in ihrem subjektiven Lebenskonzept miteinander zu vereinbaren, da sie im Vergleich zu Westdeutschland immer noch über bessere Möglichkeiten der institutionellen Kinderbetreuung verfügen. Der 1993 unter den Unionsparteien erschienene fünfte Familienbericht unter dem Titel ‚Familie und Familienpolitik im geeinten Deutschland. Zukunft des Humanvermögens’ verfolgte „das Leitbild einer Aufwertung der Familienarbeit und problematisierte Individualisierungstendenzen, die die Leistungsstärke der Familien reduzierten“ (Vornmoor 2003: 23). In diesem Bericht wurde betont, dass Erwerbs- und Familienarbeit als gleichwertig anzusehen seien. Kritisiert wurde die geringe Beteiligung von Männern an Familienarbeit und die geringe Wertschätzung von Familienarbeit durch Medien und Wissenschaft. Die hieraus resultierende Forderung nach mehr Solidarität in der Familie wurde im Sinne einer geschlechtergerechten Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit interpretiert, womit erstmals die Aufhebung geschlechterspezifischer Arbeitsteilung Teil familienpolitischer Programmatik wird (vgl.: Behning 1996: 154).90 Neben den fortschrittlichen Tendenzen, die in der Hinzuziehung der Väter zur Familienarbeit sowie in der Forderung nach Anerkennung derselben sichtbar werden, scheint dieser Bericht eine Reaktion sowohl auf sinkende Geburtenraten, als auch auf die anhaltend hohe Erwerbstätigkeit ostdeutscher und die steigende Erwerbsorientierung westdeutscher Mütter zu sein. Auf institutioneller Ebene wurde durch die Einführung des Rechtes auf einen Kindergartenplatz für vier Stunden täglich im Jahr 1996 Müttererwerbstätigkeit (bzw. die Erwerbstätigkeit eines der beiden Elternteile) im
90 Die Sorge um die ‚Zukunft des Humanvermögens’ richtete sich auf die Entwertungs-Prozesse von Qualifikationen durch zu lange ‚Familienpausen’ und dürfte eher den höher qualifizierten Teil der weiblichen Bevölkerung betreffen.
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Rahmen von Arbeitsverhältnissen unter 20 Wochenstunden ermöglicht.91 Das Gesetz über das Recht auf einen Kindergartenplatz bedeutete eine Öffnung des bisher allein auf Familienarbeit festgelegten Mütterleitbildes sowie der Diskurse zum Kindeswohl. Trotz der zeitlich starken Einschränkungen nun möglicher Erwerbstätigkeit bei gleichzeitiger Übernahme von Familienverantwortung sind durch das Leitbild der geschlechtergerechten Arbeitsteilung und die Akzeptanz institutioneller Kinderbetreuung bereits unter der Regierungsverantwortung von CDU und CSU Auflösungserscheinungen des Bildes der ‚heiligen Familie’ zu konstatieren. Mit der Übernahme der Regierungsverantwortung durch die rot-grüne Bundesregierung 1998 wird darauf aufbauend an das offenere Familienverständnis, das bereits im zweiten Familienbericht formuliert wurde, angeknüpft. Dieses zeigt sich zum Beispiel an der Ausgestaltung der Erziehungsgeldnovelle im Jahr 2000. Der ehemalige ‚Erziehungsurlaub’ wird in ‚Elternzeit’ umbenannt, worin gleichzeitig eine stärkere Anerkennung von Erziehung als Arbeit und die Einbeziehung beider Geschlechter zum Ausdruck gebracht wird. In dem nach der Neuregelung möglichen kombinierten Bezug von Erziehungsgeld mit Teilzeitarbeit bis zu 30 Stunden wöchentlich sowie der Möglichkeit einer partnerschaftlichen Elternschaft bei gleichzeitiger Teilzeitarbeit zeigen sich „neue Konstruktionen von Elternschaft (…), die eine deutliche konzeptionelle Erweiterung des bisherigen Familienleitbildes beinhalten“ (Vornmoor 2003: 24). In den neuen Regelungen kommt das gestiegene Bewusstsein über das zu geringe Engagement der Väter in der Familienarbeit zum Ausdruck. Wie aus einer qualitativen Studie von Nentwich zu ersehen ist, lassen sich auch Ende der 90er Jahre noch Retraditionalisierungstendenzen von Geschlechterrollen im Zuge der Familiengründung feststellen (Nentwich 2000). Nentwich befragte Väter und Mütter zu ihren Entscheidungsprozessen bei der Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit. Die von ihr beschriebenen Argumentationsmuster der Eltern reichen von biologistischen Erklärungsmodellen, nach denen es in der Natur der Frau läge, die Kinder zu versorgen, bis zur Berufung auf strukturelle Bedingungen: Derjenige, der mehr verdient, soll weiter arbeiten gehen und dies ist – bis heute - in der Regel der Mann. In der Studie von Born, Krüger und Lorenz-Meyer wurde herausgearbeitet, dass diese Entscheidungen zur Arbeitsaufteilung sich nicht nur an strukturellen Rahmungen, sondern auch an der Übernahme traditioneller Familienleitbilder entlang bilden:
91
Diese Neuregelung erfolgt unter dem Argument des ‚Schutzes des ungeborenen Lebens’. Das Recht auf einen Kindergartenplatz soll der Angst vor Verlust der Erwerbsarbeit im Falle der Geburt eines Kindes entgegenwirken (Vornmoor 2003).
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„Nicht die faktische Familienbelastung und nicht die faktische Einkommenshöhe, wohl aber der normative Gehalt der Zuständigkeits- sowie der Einkommensdebatte erweist sich als zentrales Medium innerfamilialer Innovationsresistenz.“ (Born, Krüger und Lorenz-Meyer 1996: 222).
Geschlechterbilder und ihr Niederschlag in Institutionen formen also zentral die Vorstellungen von Familie sowie deren alltäglich gelebte Praxis. Eine größere Offenheit gegenüber pluralen Familienrealitäten zeigte sich u. a. in dem 2001 in Kraft getretenen Gesetz zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Die Diskussionen um dieses Gesetz schlugen hohe Wellen in den Medien: Gegner des Gesetzes reklamierten lautstark den ‚Untergang der natürlichen Familie’. In den Diskussionen um homosexuelle Elternschaft wurde und wird stetig reklamiert, dass Kinder ‚eine Mutter und einen Vater brauchen’ – ein Denkschema, welches auch Alleinerziehende mit ausgrenzender Wirkung betrifft. Wie weit sich Alleinerziehende, trotz des zu konstatierenden sozialen Wandels, weiterhin mit, auch verinnerlichten, defizitären Sichtweisen auf ihre Familienform auseinandersetzen müssen, ist Teil der Fragestellungen mehrer Studien zu Alleinerziehenden, die seit Anfang der 90er Jahre erschienen sind und die hier in einem Exkurs zusammengefasst werden:
Exkurs: Alleinerziehen heute - in der Normalität angekommen? Ein Blick in die TV-Programme der Republik zeigt die weitgehende Aussparung der Lebensform der Ein-Elter-Familie als ernstzunehmendes Thema. Darstellungsformen von Alleinerziehenden in Talkshows, in denen diese unter dem Deckmantel der Auseinandersetzung mit sozialen Problemen als erziehungsunfähige Sozialschmarotzer vorgeführt werden, wechseln sich ab mit rührseligen Spielfilmen, in welchen je nach Plot Idealisierung bzw. Defizitperspektive reproduziert werden. Allein erziehende Mütter werden entweder als TopManagerinnen gezeigt, welche Anforderungen in Beruf und Familie ohne sichtbare Mühe erledigen. Oder auf die Darstellung der Ein-Elter-Familie als bedauernswert, da ‚der Vater’, bzw. ‚die Mutter’ fehlt, folgt die Rekonstruktion der ‚Normalfamilie’ als stereotypes ‚Happy-End’. Auch in anderen diskursiven Bereichen lässt sich feststellen, dass die gesellschaftliche Haltung gegenüber der Lebensform ‚Alleinerziehend’ nach wie vor von differierenden Sichtweisen geprägt ist. In wissenschaftlichen Arbeiten finden sich zwar kaum Idealisierungen der Lebensform des Alleinerziehens. Von Teilen des pädagogischen und psychologischen Diskurses wird jedoch beharrlich ein Blick auf Ein-Elter-Familien als defizitäre Lebensform reproduziert (z. B. 115
Amendt 1999; Dammasch 2000).92 Werden dagegen der historische Wandlungsprozess der Familie und die Vielfältigkeit von familialen Lebensformen in den Blick genommen, wird deutlich, dass ‚DIE Familie’ nicht existiert. Der weitaus größte Teil der familiensoziologischen und Alleinerziehendenforschung geht differenzierter vor. Hier konzentriert man sich auf die Erfassung der Heterogenität der Gruppe Alleinerziehender, sowie auf eine sorgfältige Analyse von Stärken und besonderen Problemen der Lebensform der Ein-ElterFamilie, was durch Publikationstitel wie z. B. „Alleinerziehen: Vielfalt und Dynamik einer Lebensform“ (Schneider et al. 2001) und „Balanceakt Alleinerziehend“ (Brand und Hammer 2002) zum Ausdruck kommt. Auf der Basis einer qualitativen Befragung Alleinerziehender beschreiben Schiedeck/Schiedeck die Wichtigkeit von Normalisierungsstrategien für deren subjektive Lebenszufriedenheit (Schiedeck und Schiedeck 1993)93. Dabei wird unter einer Normalisierungsstrategie ein kognitiver Prozess verstanden, „in dem Alleinerziehende durch eine interpretative Verarbeitung der strukturellen Besonderheiten ihres Familienzusammenhangs diesem für sich selbst Normalität attestieren. Gelingt dieser Prozess der Normalitätsherstellung, so gelangt das Individuum zu einer Typisierung, die seine familiale Wirklichkeit als Variante des Normalfalls ausweist.“ (Schiedeck und Schiedeck 1993: 57)
Schiedeck/Schiedeck zufolge wird durch einen solchen Normalisierungsprozess sowohl eine Stabilisierung der Identität als auch eine tendenziell optimistische Grundhaltung gegenüber der Entwicklung der eigenen Familie mit insgesamt Leid- reduzierender Wirkung erreicht. Erfolgt jedoch kein Normalisierungsprozess, so „wird die Ein-Elternteil-Familie als abweichender und defizitärer Sonderfall definiert, und die Person schreibt sich selbst und ihrer Familie einen Sonderstatus zu. Diese Selbsttypisierung als abweichend und unzulänglich hat negative Folgen für das Selbstkonzept der Person, ihrer Perzeption der sozialen Wirklichkeit und der erwarteten Folgen. Die Gesamtwirkung ist als leidproduzierend zu bezeichnen.“ (ebd.)
In dem Sample von Schiedeck/Schiedeck hat ein Großteil der von ihnen interviewten Alleinerziehenden Normalisierungsstrategien entwickelt: Die Funktionsweisen dieser Strategien reichen von Akzeptanz der eigenen Lebenssituation 92 Details zu den in Bezug auf Ein-Elter-Familien bedeutsamen Sichtweisen im psychologischen Diskurs folgen im Exkurs zu Psychoanalyse und Geschlecht. 93 Schiedeck und Schiedeck arbeiteten auf der Grundlage von 20 qualitativen Interviews zu Selbstund Situationsdefinitionen Alleinerziehender.
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über einen kritischen Vergleich mit Zwei-Eltern-Familien bis zu GegenKonstruktionen, in denen positive Sozialisationseffekte der Ein-Elter-Familie und eine bewusste Distanzierung vom Ideal der Zwei-Eltern-Familie hervorgehoben werden. Kann allerdings keine positive Herangehensweise an die bestehende Familiensituation gefunden werden, so sind die betreffenden Alleinerziehenden „in ihrem Selbstwertgefühl stark beeinträchtigt, erleben sich als unzulänglich und sind von Selbstzweifeln geplagt“ (Schiedeck und Schiedeck 1993: 63). Bedauerlicherweise werden die objektiven Lebensbedingungen wie Berufstätigkeit, Gehalt und Wohnsituation von Schiedeck/Schiedeck nicht systematisch in Zusammenhang mit der Entwicklung von Normalisierungsstrategien gebracht. Auch in der qualitativen Untersuchung von Schöningh et al. (Schöningh, Aslanidis und Faubel-Diekmann 1991) wird nach Mustern der Verarbeitung der Lebenssituation allein erziehender Frauen gefragt, nun allerdings ausschließlich in Hinblick auf Trennung oder Scheidung.94 Es wird davon ausgegangen, dass die Trennung aus einer heterosexuellen Partnerschaft oder Ehe in der Regel eine Neudefinition der Identität dieser Frauen hinsichtlich der eigenen Geschlechterrolle erfordert.95 Die Interviewdaten verdeutlichen, dass die „herkömmliche geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, d. h. die Alleinverantwortlichkeit der Frauen für Haushalt und Kinder, auch wenn sie einer Erwerbstätigkeit nachgingen“ (Schöningh, Aslanidis und Faubel-Diekmann 1991: 56) in den dem Alleinerziehen vorangehenden Beziehungen die Regel war. „Eine Übernahme von Verantwortung für Haushalt und Kindererziehung seitens der Männer findet nicht statt, allenfalls gelegentliche Mithilfe.“ (ebd.: 57) Schöningh et al. arbeiten für die Frauen ihres Samples eine Differenz zwischen Trennungsauslösern wie Alkoholismus oder Untreue und anderen Trennungsgründen heraus. Unterschiedliche Trennungsgründe wie z. B. ungleiche Arbeitsteilung oder Entfremdungsgefühle vom Partner korrespondieren mit differierenden Auffassungen von Geschlechterrollen. Die AutorInnen kommen in der Typisierung unterschiedlicher Verarbeitungsmuster zu folgenden drei Gruppen: Zu Typ I, der gelungenen Neuorientierung, werden allein erziehende Frauen gezählt, „deren Lebenssituation sich stabilisiert hat“ (ebd.: 101). Von ihnen wird „ihre jetzige Lebensform als im Vergleich mit der Ehe positiv“ (ebd.) bewertet. Die zu Typ II zugeordneten Frauen befinden sich in einer Phase der Umorientierung und zu Typ III, der nicht gelungenen Neuorientierung, werden jene allein erziehenden Frauen gezählt, die „erhebliche emotionale Probleme“ (ebd.) mit der Lebensform
94
Das Sample dieser identitätstheoretisch basierten Untersuchung umfasst 25 Frauen. Eine Ausnahme hiervon stellen jene Alleinerziehenden dar, welche bereits in der Beziehung bzw. Ehe ein kritisches Verhältnis zu traditioneller Rollenaufteilung hatten. 95
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der Ein-Elter-Familie haben und ihre Lage „nicht als Möglichkeit für eine persönliche Weiterentwicklung“ (ebd.) empfinden.96 Durch die Untersuchung von Schöningh et al. wird deutlich, dass die Fähigkeit und Bereitschaft der Alleinerziehenden zur Reflexion97 ihrer Lebenssituation sowie das Bewusstsein über eigene Handlungsfähigkeit wesentliche Faktoren für die Entwicklung von Zufriedenheit darstellen. Hierzu ist die Infragestellung gesellschaftlicher Normen und die Entwicklung eigener Maßstäbe für individuelle Entscheidungsprozesse erforderlich (ebd.: 116). Dies gelingt den Frauen, die in Typ I eingeordnet wurden. Die Auseinandersetzung mit den an unterschiedliche Familienformen gebundenen subjektiven Wünschen und Erfahrungen führt nach Schöningh et al. zu einer positiveren Haltung gegenüber dem Alleinerziehen: „Durch die Reflexion beginnt ein Prozess, in dem tradierte Werte und Verhaltensnormen in Frage gestellt werden. Dies gilt vor Allem für die Institutionen Ehe und Familie, aber auch für geschlechtstypisches Verhalten. Reflexion ist demnach ein wichtiges Mittel, von der eigenen, zunächst als schmerzhaft empfundenen Lage Abstand zu gewinnen, und dient damit der Selbstfindung. Diese Problematisierung führt schrittweise zu einem positiven Erleben der Situation als Alleinerziehende.“ (Schöningh, Aslanidis und Faubel-Diekmann 1991: 157)
Es ist anzunehmen, dass zu dem hier festgestellten stabilen Selbstbewusstsein die von den Frauen dieser Gruppe erreichte finanzielle Unabhängigkeit durch Erwerbstätigkeit nicht unwesentlich beiträgt. Im anderen Extrem der Untersuchungsgruppe, Typ III, ist diese Voraussetzung nicht vorhanden. Hier überwiegen finanzielle Abhängigkeiten von Ämtern in Verbindung mit schlechten beruflichen Aussichten aufgrund mangelnder Ausbildung. In den Interviews, die von Schöningh et al. diesem Typ zugeordnet wurden, werden Gefühle von Minderwertigkeit und Versagen zum Ausdruck gebracht. „Ihrem Empfinden nach gelingt es ihnen nicht, ihr Leben aktiv zu gestalten, sondern sie fühlen sich ihm ausgeliefert.“ (Schöningh, Aslanidis und Faubel-Diekmann 1991: 136) Hier trifft die problematische materielle und berufliche Situation98 mit dem
96 Es ist hier kritisch anzumerken, dass die Forschungsarbeit von Schöningh et al. in der Typisierung der Fälle und deren Beschreibung von einer Wertung der subjektiven Sichtweisen der Befragten durchzogen ist, in der die Vorstellungen der Verfasserinnen von ‚richtigem’ und ‚falschem’ Leben bzw. Bewusstsein durchscheinen. 97 Unter Reflexion wird hier ein Prozess verstanden, „in dem die Frauen sich selbst in ihrer Person, ihren Erfahrungen und ihrem Verhalten in der Ehe, während der Trennung und danach zum ‚Denkgegenstand’ machen“ (Schöningh, Aslanidis und Faubel-Diekmann 1991: 153). 98 Die Effekte von Ämterabhängigkeit und schlechten beruflichen Aussichten werden meiner Ansicht nach von Schöningh et al. in der Interpretation ihrer Ergebnisse ungenügend gewichtet, da sie trotz
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Ausbleiben von Reflexionen über Familie zusammen. „Überzeugungen und Orientierungen, die sie sich im Laufe des Lebens zueigen gemacht haben [wurden, B.R.] nicht in Frage gestellt und nicht verändert.“ (ebd.) Die meisten Frauen aus dem Sample von Schöningh et al. lassen sich allerdings der ‚mittleren Gruppe’, Typ II zuordnen. Hier werden von den Alleinerziehenden starke Ambivalenzen gegenüber der Lebensform der Ein-Elter-Familie geäußert. Schöningh et al. interpretieren dies als Folge der relativ kurzen Zeit, die bei diesen Frauen seit der Trennung vergangenen ist. Die Betonung von negativen und positiven Aspekten des Alleinerziehens könnte aber auch als den Besonderheiten dieser Lebensform, der Gleichzeitigkeit von Angebundenheit (durch Erziehungs- und Erwerbsanforderungen) und Unabhängigkeit (vom anderen Elternteil) entsprechend verstanden werden. Die in den Arbeiten von Schiedeck/Schiedeck und Schöningh et al. dargestellten Effekte der Einstellung zur eigenen Familienform auf die subjektive Lebenszufriedenheit werden durch einen interessanten Befund hinsichtlich des Belastungserlebens Alleinerziehender im Rahmen der Untersuchung von Brand/Hammer bestätigt: „Diejenigen Alleinerziehenden, die dieser Lebensform bestimmte Eigentümlichkeiten beimessen, haben sowohl höhere Belastungswerte als auch eine insgesamt negative Gesamtbilanz ihrer Lebenssituation.“ (Brand und Hammer 2002: 85/86)
Auch Niepel kommt in ihrer qualitativen Untersuchung zur Bedeutung sozialer Netzwerke für Alleinerziehende zu dem Schluss, dass es für das Wohlbefinden Alleinerziehender von erheblicher Bedeutung ist, ob sie sich ‚in der Gesellschaft angekommen’ fühlen: „Ob sich die Alleinerziehenden in ihrer Situation wohl fühlen, hängt entscheidend auch davon ab, ob sie sich selbst als ‚unnormal’ und ihre Familienform als defizitär definieren, oder ob sie sie als häufige, gleich gute und gleich schlechte Familienform wie andere Familienformen auch bewerten. Hier spielt auch der Lebensentwurf der Alleinerziehenden eine Rolle. Bestand dieser im Ideal der Vater-Mutter-KindFamilie, so ist es wichtig, dass alternative Lebensentwürfe entwickelt werden. Daraus leitet sich für die Alleinerziehendenforschung ab, die genannten Orientierungen der Alleinerziehenden zu untersuchen und zu analysieren, von welchen Bedingungen es abhängt, ob z.B. eine Neuorientierung gelingt.“ (Niepel 1994b: 305)
dieser Gegebenheiten die Alltagsregelungen der Frauen der Gruppe Typ III als „gelungen“ (Schöningh, Aslanidis und Faubel-Diekmann 1991: 136) bezeichnen.
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Ähnlich wie Schiedeck/Schiedeck sieht auch Niepel99 die Einstellungen der Alleinerziehenden zur eigenen Stellung in der Gesellschaft als außerordentlich bedeutsam für die Entwicklung von Zufriedenheit. Definieren und erleben Alleinerziehende sich als optimistische, aktive, kompetente und konfliktfähige Subjekte, so ist dies für die Bewältigung der Situation eine erheblich günstigere Ausgangslage als ein Selbstverständnis, das eher mit Gefühlen von Hilflosigkeit und Passivität einher geht. Als ebenfalls bedeutsam für die Entwicklung einer positiven Einstellung zum Alleinerziehen sieht Niepel die Fähigkeit, Hilfe in Anspruch zu nehmen, sowie die Distanzierung von Perfektionsansprüchen an. Niepel betont allerdings die Prozesshaftigkeit der oben genannten Einstellungen und Verhaltensweisen: „Diese Einstellungen und Verhaltensweisen bringen die Frauen als in ihrer Biographie erworbene mit, zugleich sind sie jedoch auch wiederum nicht als unveränderbare Persönlichkeitsmerkmale zu denken, sondern verändern sich in der Auseinandersetzung mit der aktuellen Lebenssituation als Alleinerziehende.“ (Niepel 1994b: 306)
Weiterhin beschreibt sie als Ergebnis ihrer Untersuchung, dass Einstellungen in starkem Maße von Reaktionen des sozialen Umfeldes abhängig sind: „Die im sozialen Bezugssystem vorherrschende Einstellung gegenüber möglichen Familien- und Lebensformen beeinflusst die Bewertung der Situation als Alleinerziehende als normal und nicht pauschal pathogen oder als unnormal und schädlich erheblich. Immer wieder kehrende Vorwürfe, beispielsweise von Seiten der Familie, bringen stets neue Verunsicherungen. Werden diese nicht von einem Gegenpol (meist aus Freunden) abgefangen, die in der selben Situation sind, oder die das Alleinerziehen nicht verdammen, ist die Gefahr groß, dass die Alleinerziehenden sich als minderwertig fühlen und sich sorgen, dass ihre Kinder in ihrer Entwicklung beeinträchtigt werden.“ (Niepel 1994b: 308)
Niepel führt weiter aus, dass stigmatisierende bzw. anerkennende Reaktionen der Netzwerkmitglieder weitreichende Effekte auf das Selbstwertgefühl der Alleinerziehenden sowie auf ihre Bewertung der Lebensform der Ein-Elter-Familie haben. In den von ihr geführten Interviews kam das Bedürfnis der Alleinerziehenden nach Anerkennung auch bei selbstsicher wirkenden
99
Basierend auf der Beschreibung von deutschem und angloamerikanischem Forschungsstand zu Netzwerken und Unterstützungsstrukturen Alleinerziehender wird von Niepel die Lebenssituation von Ein-Elter-Familien, insbesondere bezüglich besonderer Belastungen und deren Bewältigung analysiert.
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Alleinerziehenden mit einer positiven Einstellung zur Ein-Elter-Familie zum Ausdruck (vgl.: Niepel 1994b: 309). Zusammenfassend sei festgestellt, dass die in den dargestellten Untersuchungen deutlich werdende Notwendigkeit von Normalisierungs- und Verarbeitungsstrategien für die subjektive Lebenszufriedenheit Alleinerziehender als ein Hinweis auf die nachhaltige normative Kraft der heterosexuellen Zwei-Eltern-Familie und die hier wirksame Geschlechtsrollenverteilung gesehen werden kann. Denn wäre die Normalität und Gleichberechtigung von Ein-ElterFamilien bereits gesellschaftlicher Status Quo, so bestände kein Anlass für die dargestellten subjektiven Anstrengungen.
3.5.2
Mütterlichkeit und Väterlichkeit
Der nun folgende Abschnitt konzentriert sich auf Väterlichkeit, da in Bezug auf das Vaterthema größere diskursive Entwicklungen zu verzeichnen sind. Im nachfolgenden Exkurs zu Psychoanalyse und Geschlecht werden Vater- und Mutterrolle in die Analyse einbezogen. Mit ca. 20-jährigem zeitlichem Abstand zur Problematisierung der Mutterrolle durch die Frauenbewegung kann in den letzten fünf Jahren ein diskursiver Aufschwung des Vaterthemas in der deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen Literatur beobachtet werden. Diese Entwicklung wurde durch verschiedene Aspekte ausgelöst wie z. B. erstens der inhaltlichen Umorientierung feministischer Forschung - weg von der alleinigen Konzentration auf Frauen, hin zur Thematisierung der Geschlechterverhältnisse - sowie zweitens der Erosion des Normalarbeitsverhältnisses und damit einhergehend der Verunsicherung der Haupternährerrolle. Der bisher weitgehend blinde Fleck der Väterlichkeit100 füllt sich nun mit einer Serie von Publikationen (vgl. z. B.: Amendt 2004; Connell 1999; Fthenakis und Textor 2002; Hank und Tölke 2005; Kassner und Rüling 2005; Kolbe 2001; Petri 2004; Scholz 2005; Siedler 2003). Die Fragestellungen, unter denen sich dem Phänomen Väterlichkeit genähert wird und das, was unter Vatersein verstanden wird, variieren dabei stark. Übereinstimmend wird jedoch eine qualitativ eigenständige Beziehung von Vätern zu ihren Kindern nicht mehr wissenschaftlich angezweifelt. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu Konzeptionen von Vaterschaft, die als über die Mutter vermittelt verstanden wurden (z. B. bei Bowlby, siehe Kap. 3.4). Zu konstatieren ist, dass die Konstruktionen von Männlichkeit und damit auch Väterlichkeit vielfältiger 100
Die englischsprachige Forschung ist der deutschsprachigen hier ein weiteres Mal um Einiges voraus. Vergleiche zusammenfassend Fthenakis 1985.
121
werden.101 In dem größten Teil des neuen Väterlichkeits - Diskurses wird unter dem Begriff der ‚neuen Väter’ die Aufgabe von Einseitigkeiten und damit das Erschließen neuer Handlungsmöglichkeiten verstanden: „Männer erweitern ihr Spektrum, und sie tun es lustvoll.“ (Höhler 2004: 4) Zu unterscheiden ist hier allerdings zwischen dem Wandel von Einstellungen und der Veränderung von Handlungen. Noch immer scheint die von Beck Mitte der 80er Jahre den Männern gestellte Diagnose der „verbale(n) Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“ (Beck 1986: 169) zuzutreffen, denn die Reduzierung von Arbeitszeiten bei Geburt eines Kindes ist bei Männern in Deutschland nach wie vor eine Seltenheit.102 Trotz zunehmender Erwerbslosigkeit, diskontinuierlicher Erwerbsbiographien und prekärer Arbeitsverhältnisse ist eine erstaunliche Persistenz der Identifikation mit Berufstätigkeit als Zentrum männlicher Identitätskonstruktion in West- (z. B. in: Petri 2004) wie Ostdeutschland festzustellen (Scholz 2005, Meuser 2005). In ihrer qualitativen Untersuchung zu Identitätskonstruktionen ostdeutscher Männer hat Scholz gezeigt, dass die Familiengeschichte derart weitgehend hinter der Berufsgeschichte zurücktritt, dass von einer Dethematisierung gesprochen werden kann. Selbst von eigenem Engagement wie der Inanspruchnahme des Babyjahres wurde erst auf beharrliches Nachfragen hin berichtet (Scholz 2005). Dies trifft auch für allein erziehende Väter zu: Ein typisches Merkmal liegt in der starken Bindung an Erwerbstätigkeit als Zentrum ihres alltäglichen Lebens und Lebensentwurfes. „Sowohl bei Alleinerziehenden als auch in Paarhaushalten gilt: Männer sind in größerem Umfang erwerbstätig als Frauen.“ (Kahle 2004: 178) Selbst wenn lange Arbeitszeiten die Vereinbarung von Familien- und Erwerbsarbeit im Alltag erheblich erschweren, halten allein erziehende Männer in der Regel an langen Arbeitszeiten, Schichtarbeit und ehrgeizigen beruflichen Zielen fest (Stiehler 2000: 148). Berufsunterbrechungen wegen Kindererziehung kommen bei allein erziehenden Vätern selten vor, manchmal wird die Berufstätigkeit eingeschränkt. Für die Mehrheit jedoch ist sogar die Tendenz auszumachen, sich der beruflichen Tätigkeit zunehmend zuzuwenden. Dies wird 101
Beeindruckend ist, in wie vielen Publikationen zu Männlichkeit das Vaterthema ausgespart bleibt, bzw. wie wenig Raum es oftmals einnimmt, wenn es denn erwähnt wird. Diese Tendenz zur Dethematisierung von Vaterschaft lässt sich auch für einen großen Teil der seit den 90er Jahren erstarkten ‚kritischen Männerforschung’ feststellen (z. B.: Böhnisch und Winter 1993; Döge 2001). Die Beschäftigung mit Väterlichkeit geschah hier nur am Rande oder gar nicht. 102 Eine Wiener Studie zu ‚neuen Vätern’, die 1993 veröffentlicht wurde, bestätigt die oben angeführte Becksche Diagnose: Auch hier wird selbst bei ausgesprochen positiven Einstellungen zur Vaterschaft eine weitgehende Abstinenz von der Familienarbeit festgestellt. Strukturelle Faktoren wie das geringere Einkommen der Partnerin und familienunfreundliche Arbeitsplätze werden hier als wichtige Aspekte bei der Traditionalisierung der Elternrollen genannt (Rollett und Werneck 1993).
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damit begründet, als von „Haus- und Kinderarbeit ‚gezeichnete’ Männer nicht als ‚Versager’“ (ebd.: 150) dastehen zu wollen und sich trotz der allein erziehenden Vaterschaft als „richtiger Mann“ beweisen zu müssen (ebd.: 150). Trotz ihrer starken Erwerbsorientierung nehmen allein erziehende Väter die Bedürfnisse ihrer Kinder intensiv wahr. Die eigene Leistungsorientierung wird jedoch gleichzeitig auf die Kinder übertragen: „Für die Garantie der Anerkennung ihrer Lebensform von außen ist den Männern wichtig, dass ihre Kinder in der Schule gute Leistungen bringen und nicht das Bild entsteht, mangelnder Schulerfolg läge an der fehlenden Mutter.“ (Stiehler 2000: 150)
Dass Teile der allein erziehenden Väter trotz ihres Wechsels ins weibliche Territorium in der Ein-Elter-Familie weniger gravierende Veränderungen ihres Alltags sehen als viele allein erziehende Mütter, erklärt sich auch aus der Tatsache, dass allein erziehende Väter in der Regel ältere Kinder zu versorgen haben und nur selten verantwortlich für Säuglinge und Kleinkinder sind. Aus der Versorgung jüngerer und damit betreuungsbedürftigerer Kinder durch allein erziehende Mütter, der anhaltend wirksamen Benachteiligungen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und der starken männlichen Erwerbsorientierung ergeben sich fast zwangsläufig „klare geschlechterspezifische Unterschiede (…) bei der Elternzeit, beim Sozialhilfebezug und bei der Erwerbslosigkeit (…). In diesen drei Bereichen sind (…) fast keine allein erziehenden Männer zu verzeichnen.“ (Hammer 2002b: 198)
Die erheblich schlechteren ökonomischen Situation der Frauen ist wichtigste Unterschied zwischen allein erziehenden Müttern und Vätern: „Armut unter alleinerziehenden Frauen ist der Normalfall, Armut unter alleinerziehenden Männern eher die Ausnahme.“ (Niepel 1994a: 89) Weitgehende Gemeinsamkeiten allein erziehende Väter und Mütter lassen sich jedoch bei der Selbsteinschätzung der persönlichen „Qualifikationen und Stärken“ für den beruflichen Alltag feststellen. Hier zeigen sich „sehr ähnliche Stärkeprofile“ (Hammer 2002:206), wonach ein Großteil der allein erziehenden Männer und Frauen (70 und 80%) über Managementkompetenzen wie z. B. selbstständiges Arbeiten, Entscheidungsfreudigkeit, ein hohes Maß an Flexibilität und Organisationsvermögen sowie über die Fähigkeit zu „maßvolle[m] Umgang mit Problemund Stresssituationen“ (Hammer 2002b: 200) verfügen. Die differenziertere Erfassung der Qualität von Vater-Kind-Beziehungen stellt allerdings bis heute eine Forschungslücke dar. Es ist
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„nur wenig darüber bekannt, was die Väter in diesem Kontext tatsächlich tun, welche Variationen väterlicher Fürsorge es gibt, welche Bedingungen hierfür verantwortlich sind“ (Fthenakis 2002: 91).
Feststellen lässt sich, dass Väter ihre Freizeit vermehrt mit ihren Kindern verbringen und dass die Aktivitäten von Vätern sich stärker auf Spiel- bezogene als auf Pflege- bezogene Handlungen beziehen (Fthenakis 2002: 92). An diese Tendenz knüpfte die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2001 mit ihrer Kampagne ‚mehr Spielraum für Väter’ an, mittels derer Männer für eine aktive Vaterschaft motiviert werden sollten (Kolbe 2001: 195).103 In der Rolle des Vaters als Spielpartner des Kindes ist zwar eine Enthierarchisierung des Vater-Kind-Verhältnisses enthalten, aber die Konstruktion des Vaters als Kumpel beinhaltet auch eine Abgrenzung zu Fürsorglichkeit. Eine entdichotomisierte Vaterkonstruktion müsste sowohl zeitliche Verfügbarkeit als auch sorgende Elemente, wie z. B. die Verantwortung für Ernährung, Kleidung, Gesundheit und Betreuung des Lernens einschließen. Eine der wenigen differenzierten, aktuellen soziologischen Untersuchungen über väterliches Handeln in der Familie mit spezieller Berücksichtigung unterschiedlicher Erziehungsstile wurde von Matzner vorgenommen (Matzner 2004). Er arbeitet als Ergebnis einer qualitativen Studie vier Typen subjektiver Vaterschaftskonzepte heraus: Erstens den „traditionellen Ernährer“, für den neben der „Wahrnehmung der Ernährerfunktion“ v. a. „der Schutz der Familie, die Ausübung der väterlichen Autorität und die Verantwortung für die Berufsausbildung der Kinder als väterliche Funktionen verstanden“ werden (Matzner 2004: 339). „Der traditionelle Ernährer sieht sich im Bereich der Erziehung nur für bestimmte, eher ‚klassische’ väterliche Funktionen als zuständig an. Dies sind das Einhalten der häuslichen Ordnung, das ‚Grenzen setzen’, notfalls auch durch Bestrafen, sowie die Unterstützung der Kinder in ihrem schulischen und beruflichen Fortkommen.“ (ebd.)
Der „traditionelle Ernährer“ beteiligt sich relativ wenig an Hausarbeiten, sein Engagement in der Familie ist verhältnismäßig gering. „Wenn der Vater anwesend ist, konzentriert er sich häufig auf ‚männliche’ oder ‚väterliche’ Tätigkeiten wie Spielen, Hausaufgabenhilfe, Reparaturen (…)“ (ebd.: 345). Den zweiten Typus, der sich aus seiner Untersuchung ergibt, bezeichnet Matzner als „modernen Ernährer“. Der „moderne Ernährer“ erfüllt ebenfalls die
103 Diese fünf Millionen DM teure Kampagne knüpft in ihrer Betonung von Elternarbeit als Spiel an dem gerade erst abgeschafften Begriff des Erziehungsurlaubs an und fördert damit die Dethematisierung der mit Erziehungsarbeit verbundenen Anstrengungen. In dieser Hinsicht kann diese Kampagne als ein diskursiver Rückschritt betrachtet werden.
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Funktionen des Schutzes, er gibt Orientierung und setzt Grenzen, zusätzlich erfüllt er jedoch noch die Funktionen des „präsenten Vaters, dem es gelingt, enge und gute Beziehungen zu seinen Kindern zu entwickeln“ (ebd.: 354). Das Konzept des „modernen Ernährers“ basiert auf den Funktionen des „traditionellen Ernährers“, wird jedoch um Dimensionen „kindbezogener Betreuungstätigkeiten“ erweitert. Dem „modernen Ernährer“ geht es vor allem um die Entwicklung einer engen Beziehung zu den Kindern (ebd.: 356). Der von diesem Typus bevorzugte Erziehungsstil bewegt sich zwischen autoritärem und autoritativem104 Verhalten. Wie der „traditionelle“ so überlässt auch der „moderne Ernährer“ Erziehungs- und Hausarbeit nahezu vollständig der Mutter der Kinder. Als „ganzheitlichen Vater“ bezeichnet Matzner den dritten von ihm beschriebenen Typus. Diese Väter möchten umfassende Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder übernehmen, sie möchten nicht die Rolle des ‚Helfers der Mutter’ spielen. Es wird angestrebt, durch Teilzeitarbeit möglichst viel in der Familie präsent zu sein. Wunsch und Wirklichkeit klaffen hier jedoch auseinander: Die tatsächliche alltägliche Präsenz dieses Vatertyps in der Familie ist eher gering. Der Erziehungsstil des „ganzheitlichen Vaters“ kann als autoritativkommunikativ bezeichnet werden: Regeln werden verhandelt, Unterstützung und Verständnis der Kinder werden angestrebt (ebd.: 382ff.). Der vierte Typus, der „familienzentrierte Vater“, stimmt in Erziehungsstil und väterlichem Verhalten weitgehend mit dem „ganzheitlichen Vater“ überein, ist jedoch in erheblichem Umfang tatsächlich in der Familie präsent. Dieser Umstand ist teilweise selbst gewählt, teilweise unfreiwillig durch Erwerbslosigkeit zustande gekommen. Aber auch in letzterem Fall empfindet der „familienzentrierte Vater“ seine umfangreiche Präsenz in der Familie positiv für die eigene Person wie für die Kinder. Die Beziehung zum Kind hat hier einen größeren Stellenwert als dessen Erziehung. Der Erziehungsstil kann als „laissezfaire“ bzw. autoritativer Stil bezeichnet werden (ebd.: 425ff.). Bezieht man die vier unterschiedlichen Verteilungen von Erwerbs- und Familienarbeit bei den von Matzner aufgezeigten Vatertypen auf die Differenzen in den Erziehungsstilen, so zeigt sich, dass die am wenigsten in der Familie präsenten Väter autoritäre Erziehung und die am meisten präsenten Väter Verhandlungs- und Beziehungs- zentrierte Erziehung bevorzugen. Ein weiteres zentrales Ergebnis der Studie von Matzner sind die weitreichenden Konsequenzen des Vereinbarkeitsdilemmas zwischen Erwerbsarbeit und Familienaufgaben für die Lebenszufriedenheit der allein erziehenden Väter. Bei den familienorientierten Vätertypen bestehen bis auf wenige Ausnahmen 104
Unter autoritativem Erziehungsstil wird hier ein Erziehungsverhalten verstanden, bei dem Regeln existieren, jedoch nicht auf starre Art und Weise, sondern als Gegenstand von Verhandlungen und Kommunikation.
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Vereinbarkeitsprobleme und führen zu Schwierigkeiten von innerfamilialen Konflikten bis zu gesundheitlichen Problemen. Die Brüchigkeit des dominanten männlichen Leitbildes, der hauptsächlichen Orientierung auf Erwerbstätigkeit, wird deutlich. Gleichwohl zeigt sich im Vergleich von männlicher und weiblicher Zeitverwendung, „dass sich an der klassischen Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen nicht sehr viel geändert hat: Männer sind fast doppelt so lang mit Erwerbsarbeit beschäftigt wie Frauen, wenden jedoch nur rund zwei Drittel der Zeit für Haus- und Familienarbeit auf, die Frauen hierfür aufbringen.“ (Döge und Volz 2004: 22)
Der auch in Deutschland rezipierte französische Psychologe Le Camus beschreibt die unterschiedlichen Umgangsweisen von Müttern und Vätern mit ihren Kindern. Seiner Beobachtung nach erfahren Kinder mehr Fürsorge bei ihren Müttern und mehr Anregung bei ihren Vätern. Obgleich er diese Beobachtung mit den oben dargestellten Mütter- zentrierten Theorien von Bowlby und Spitz in Verbindung bringt, zieht er einen anderen Schluss aus ihnen als jene, - insbesondere die Säuglings- und Kleinkindzeit betreffend. Er reklamiert auch für diese frühe Zeit die Wichtigkeit der Vater-Kind-Beziehung und merkt mit kritischem Bezug auf die Mutter- bezogene Sichtweise von Bowlby an, dass ebenso der Vater dem Kind Trost und Sicherheit vermitteln könne, wenn er häufig genug präsent sei (vgl.: Le Camus 2001: 79). Der Mutter spricht er die Fähigkeit zur Verkörperung von Autorität in der Erziehung zu, die allerdings hinter der schärfer umrissenen „Kontrollfunktion“ des Vaters zurückstehe (ebd.: 158/159). Wenngleich Le Camus an elementar differierenden Mutter- und Vaterrollen festhält, zeigt sich doch eine fragmentarische Veränderung im psychologischen Diskurs, eine Öffnung in Richtung ähnlicher erzieherischer Fähigkeiten beider Geschlechter. Insgesamt lässt sich für die psychoanalytisch orientierte Psychologie seit den siebziger Jahren ein Paradigmenwechsel weg von der Kind- und Mütterzentrierung hin zum Konzept der frühen Triangulierung konstatieren. Der Beziehung des Kindes zu Mutter und Vater sowie der Beziehung zwischen den Eltern wird zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt (vgl.: Matzner 2004). Parallel zur Aufwertung der Väter betreibt ein Teil des Diskurses um neue Väterlichkeit die Abwertung von Mutterfamilien. Die hier reproduzierten defizitären Bilder von allein erziehenden Müttern werden mittels der erneuten Traditionalisierung der Elternrollen und somit der Reproduktion dichotomer Geschlechterkonstruktionen hergestellt. So macht z. B. Petri die durch die Emanzipationsbewegung inspirierten Frauen für die Zunahme von Ehescheidungen und damit auch für die Zunahme von Ein-Elter-Familien verantwortlich (vgl. Petri 2004: 141). Er stellt die heterosexuelle Zwei-Eltern-Familie als natürliche 126
und beste Lebensform dar, in die die Väter ihre Triebenergien hauptsächlich über ihre Berufstätigkeit einbringen sollten, da dieser Bereich ihrer ‚Natur’ am nächsten komme, denn: „Väter sind Männer. Männer wollen Sexualität und Kampf. Das ist ihre primäre Natur.“ (Petri 2004: 137) Ein weiteres Beispiel für diesen Diskursstrang, in dem die Mütter für gesellschaftliche Missstände verantwortlich gemacht werden, ist Amendt, der in seinem Buch ‚Vatersehnsucht’ im Zuge der Betonung der großen Bedeutung des Vaters das alte Bild von Ein-Elter-Familien als unvollständig und notwendigerweise defizitär erneut heraufbeschwört: „Vater und Mutter sind die Eltern. Sie sind es gemeinsam. Ob sie ihre Elternschaft praktizieren, ist damit noch nicht gesagt. Wenn sie es gemeinsam nicht sein wollen (oder nicht sein können), so ist ‚Einelternschaft’ doch nie ein Ausweg. Zumal es keine Einelternschaft gibt, allenfalls einzelne Elternteile. ‚Einelternschaft’ ist allenfalls eine Wunschvorstellung von Erwachsenen, die sich über kindliche Elternwünsche hinwegsetzt und aus äußerer Not, aus Schicksalsschlägen, aus Leichtsinn, Hass auf Männer, deren Verachtung oder ideologischen Wahngebilden und vielen anderen Gründen auf den Vater verzichten will.“ (Amendt 1999: 10)
Amendt hält an einer naturgegebenen Aufgabenteilung zwischen Vätern und Müttern fest. Demnach seien Mütter voraussetzungslos gewährend, während Väter positive Reaktionen an Situationen und Voraussetzungen bänden (Amendt 1999: 43). Die reale Beteiligung der Väter an der Familienarbeit ist für ihn nur von sekundärer Relevanz: „Fehlende oder mäßig aktive Väter stehen nicht für Vaterlosigkeit noch eine vaterlose Gesellschaft. Vaterlosigkeit hat auch nichts damit zu tun, ob Männer sich beim Windeln der Säuglinge oder an der häuslichen Arbeit nicht oder nicht im Ausmaß der mütterlichen Erwartungen beteiligen. Das sind Angelegenheiten der Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern und hängt davon ab, wie sie Lasten und Freuden der Kindererziehung untereinander absprechen. Vaterlosigkeit heißt, dass die Kinder innerlich von Mütterlichkeitsbildern beherrscht werden, die kein anderes Bild neben ihr kennen. Allenfalls gibt es Bilder von Väterlichkeit, die recht blass geraten sind. Unter Vatersehnsucht können wir deshalb den kindlichen Versuch sehen, dem frühen Eindruck der allmächtigen und alles gewährenden guten Mutter die eher einschränkenden Sichten des Vaters, die aus einer völlig anders beschaffenen Welt kommen, hinzuzufügen.“ (Amendt 1999: 17)
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Die Bedeutung der symbolischen Repräsentanz105 des abwesenden Vaters ist ein Aspekt, der auch in einer psychoanalytischen Studie über „Die innere Erlebniswelt von Kindern alleinerziehender Mütter“ (Dammasch 2000) thematisiert wird: „Bei Töchtern alleinerziehender Mütter kann es zu einer strukturellen Triangulierung mit Hilfe des im Innenraum der Mutter vorhandenen symbolischen Vaters kommen. Voraussetzung dafür ist die mütterliche Akzeptanz des die narzisstische Omnipotenz begrenzenden Mangels und das Aufrechterhalten einer Bedürfnisspannung, die zumindest die Phantasie zulässt, dass der Mangel durch einen Mann, durch den außerhalb der Dyade stehenden väterlichen Phallus, befriedigt werden kann.“ (Dammasch 2000: 223)
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Resultate von Amendt und Dammasch nicht mit den Ergebnissen der Alleinerziehendenforschung übereinstimmen. Sind es dort gerade die gelungenen Normalisierungen der Ein-ElterFamilie, welche die Voraussetzung für das Wohlergehen ihrer Mitglieder schaffen, so ist bei Amendt und Dammasch die Anerkennung des geschlechtlich konnotierten Defizits des anderen Elternteils die Bedingung für die psychische Gesundheit der Kinder Alleinerziehender. Amendt problematisiert die Macht der Mütter und knüpft damit (wenn auch auf differierende Weise) an feministische Theorien der achtziger und neunziger Jahre an, die bis heute in pädagogischen Ausbildungen und im Alltagsdiskurs rezipiert werden. Um diese Theorien verständlich zu machen, folgt hier zunächst ein kurzer Einstieg in den Aspekt der Geschlechtersozialisation in psychoanalytische Theorien. Dabei werden die Grundlagen psychoanalytischer Theorie hier als bekannt vorausgesetzt und nur diejenigen Aspekte aufgegriffen, die für die hier gewählte Fragestellung bedeutungsvoll erscheinen: Der Erwerb der Geschlechtsidentität und die Bedeutungen, die dem weiblichen und dem männlichen Körper in diesem Prozess gegeben werden.
Exkurs: Psychoanalyse und Geschlecht In ihren Freudschen Anfängen106 war die psychoanalytische Theorie des Unbewussten in starkem Maße an der Konstruktion von defizitärer Weiblichkeit
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In der jüngeren Psychoanalyse wird „der Begriff Repräsentanz vor Allem zur Bezeichnung einer verinnerlichten Vorstellung über eine Objekterfahrung verwendet“ (Dammasch 2000: 20). Die Psychoanalyse als Heilmethode für psychische Erkrankungen wurde von Sigmund Freud Ende des 19./ Anfang des 20. Jahrhunderts begründet. 106
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(Penisneid) und dominanter Männlichkeit (Phallus) sowie an der Idealisierung der heterosexuellen Kleinfamilie beteiligt (vgl. zusammenfassend: HagemannWhite 1984ff.). Als normativer Bezugspunkt wurde der männliche Körper herangezogen, der weibliche Körper als defizitär, weil ‚penislos’, betrachtet (vgl. kritisch: Flaake 2000: 170). Die zentrale Geschichte, die Freud zur Erklärung geschlechtsspezifischer Sozialisation heranzieht, ist die Sage von Ödipus, der bekanntermaßen mit seiner Mutter schläft und seinen Vater ermordet. Interessanterweise wird - und das nicht nur von Freud - diese Geschichte einer traumatischen Familienentwicklung als normativer Bezugspunkt für die weitere Theorieentwicklung herangezogen. Aus dem Vatermord folgt in der Theoriebildung die Kastrationsdrohung, welche den männlichen Nachkommen durch die unbewusste Angst, ihr Geschlecht zu verlieren, aus der ödipalen Situation hilft. Der Kastrationskomplex der Mädchen hingegen verwandelt sich in den Wunsch nach einem Kind. Mädchen wollen nach Freud der Mutter ähnlich werden, um vom Vater geliebt zu werden. Der Junge rettet also sein Geschlecht, indem er sich von der Mutter abwendet, während das Mädchen seine Geschlechtlichkeit entwickelt, indem es sich zukünftigem Mann und Kindern zuwendet. Der Gedanke, auch der Junge könnte seine Geschlechtlichkeit über Wunsch und Realisierung eigener Vaterschaft aus der Primärfamilie lösen, scheint innerhalb dieser Theorie keine denkbare Alternative zu sein. Die unterschiedlichen Prozesse beim Erwerb der Geschlechtsidentität führen in der klassischen psychoanalytischen Theorie zu einem differenziert entwickelten Über-Ich beim Jungen und einem uneindeutigen Über-Ich beim Mädchen (vgl. zusammenfassend: Tillmann 2003). Bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren wurde die Freudsche Theorie mit ihrer psychischen Differenzierung zwischen den Geschlechtern, welche für „Mädchen unüberwindliche charakterliche Defizite“ (Tillmann 2003: 70) festschreibt, von Psychoanalytikerinnen wie Karen Horney und Melanie Klein kritisiert.107 Die durch den deutschen Faschismus hervorgerufene Diskussionslücke führte dazu, dass eine systematische Bearbeitung psychoanalytischer Theorie in Bezug auf geschlechtsspezifische Entwicklungen erst in den siebziger und achtziger Jahren durch Autorinnen wie z. B. Janine Chasseguet-Smirgel, Margarete Mitscherlich, Jessica Benjamin und Christiane Olivier sowie die Sozialwissenschaftlerin Nancy Chodorow erfolgte. Gemeinsam war diesen Arbeiten eine stärkere Konzentration auf die Bedeutung der frühen Mutter-KindBeziehung. Es soll hier auf drei besonders häufig rezipierte dieser Arbeiten näher 107
Anzumerken ist, dass der Bezug auf die hier diskutierten psychoanalytischen Theorien keinen Anspruch darauf erhebt, diese vollständig zu erfassen. Dies würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Es kann daher hier nur auf Mutter- und Vaterbilder in diesen Theorien eingegangen werden.
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eingegangen werden: ‚Das Erbe der Mütter’ von Nancy Chodorov, ‚Jokastes Kinder’ von Christiane Olivier und ‚Die Fesseln der Liebe’ von Jessica Benjamin. Chodorovs Ausgangspunkt ist der Umstand, dass beide Geschlechter in ihren ersten Lebensjahren fast ausschließlich von Frauen erzogen werden. Ihre Theorie basiert auf der Annahme, die Geschlechtsidentität der Kinder bilde sich bereits in der vorödipalen Phase. Die durch den abwesenden Vater hervorgerufene große Abhängigkeit von der Mutter erzeugt Chodorov zufolge verbunden mit der körperlichen Ähnlichkeit größere Ablösungsschwierigkeiten für Mädchen als für Jungen. Mädchen müssten das Aushalten von Ambivalenz, von gleichzeitiger Zuneigung und Abgrenzung lernen. Durch diesen emotionalen Prozess entstehe die Fähigkeit zur Empathie und damit grundsätzliche Beziehungsfähigkeit, also auch Mütterlichkeit. Jungen können sich nach Chodorov aufgrund ihrer körperlichen Differenz zwar leichter als Mädchen von der Mutter lösen, erlangen ihre Abgrenzung jedoch nur über den Weg der Verdrängung, die wiederum zu Beziehungsschwierigkeiten führe. Beziehungskompetenzen „werden bei Männern beschnitten, sowohl durch die sehr frühe Behandlung als etwas Gegensätzliches durch die Mutter als auch durch die Notwendigkeit, die spätere Liebe zu ihr zu verdrängen“ (Chodorow 1994 [1978]: 267).
Chodorov sieht diese innerfamilial sozialisatorischen Prozesse in Abgrenzung zur traditionellen psychoanalytischen Theorie als Folge historisch gewachsener Rollenaufteilung: „Das Muttern der Frauen pflanzt sich selbst immerwährend durch sozial-strukturell ausgelöste psychologische Mechanismen fort. Es ist kein unmittelbares Produkt der Physiologie. Frauen werden mütterlich, weil sie von Frauen bemuttert worden sind. Männer hingegen besitzen, weil sie von Frauen bemuttert worden sind, diese Fähigkeiten nur in eingeschränkter Form.“ (Chodorow 1994 [1978]: 271)
Offen bleibt hier, warum Jungen von ihren Müttern laufen und sprechen lernen können, aber kein fürsorgliches Verhalten. Ähnlich wie für Chodorov steht auch für Olivier die Frage danach im Mittelpunkt des Interesses, was es für die Entwicklung von Jungen und Mädchen sowie für das Verhältnis der Geschlechter zueinander im weiteren Lebensverlauf bedeutet, dass die erste Bezugsperson in der Regel die Mutter ist. Zentral für Oliviers Argumentation ist eine normativ heterosexuelle Sicht auf sexuelles Begehren:
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„Ein wirkliches Sexualobjekt kann nur gegengeschlechtlich sein, und so kann – außer im Fall angeborener Homosexualität – die Mutter für die Tochter nicht in gleicher Weise befriedigendes Objekt sein wie für den Sohn…“ (Olivier 1989: 52).
Olivier zufolge wird nur der Junge, nicht das Mädchen, von der Mutter begehrt, daher passe die Geschichte vom Ödipus auch nur auf die männlichen Nachkommen. Ähnlich wie Chodorov argumentiert sie, dass, ein abwesender Vater vorausgesetzt, die Entwicklung der Männlichkeit des Jungen in Abgrenzung vom Weiblichen gefangen bleibe. Das völlige Ausbleiben des Begehrens von Seiten beider Eltern führe für das Mädchen zu einem unstillbaren Verlangen nach Anerkennung durch den männlichen Blick: „Wenn es das Problem des Jungen ist, sich von einem ‚allzu entsprechenden’ komplementären Objekt zu lösen, dann ist es das Drama des Mädchens, auf seinem Weg das ihm entsprechende Objekt nicht zu finden und so bis in ein fortgeschrittenes Lebensalter außerhalb des Ödipus bleiben zu müssen.“ (Olivier 1989: 59)
Die Hauptursache für psychische Erkrankungen liegt für Olivier in der Ausschließlichkeit der Mutter-Kind-Beziehung. In Konsequenz plädiert sie daher für eine erhöhte Aktivität der Väter bei der Kindererziehung sowie für Ganztagseinrichtungen zur Kinderbetreuung. Gleichzeitig reproduziert sie selbst die weibliche Abhängigkeit vom Mann: „Nur der Vater könnte seiner Tochter die ihr angemessene Stellung als geschlechtliches Wesen geben, denn er sieht das weibliche Geschlecht als komplementär zu seinem eigenen und als unentbehrlich für sein Lustempfinden.“ (Olivier 1989: 60)
Sowohl Chodorov als auch Olivier betonen die Bedeutung väterlicher Präsenz für die psycho-sexuelle Entwicklung von Kindern. Trotz ihres emanzipativen Anspruchs tragen sie so zu einem defizitären Blick auf Mutter-Familien (und Vater-Familien, wenn man die Theorien ‚umgedreht’) bei. Durch Jessica Benjamin wurde 1990 in der Studie ‚Die Fesseln der Liebe’ die u. a. in Chodorovs Theorie reproduzierte Idealisierung von Mütterlichkeit, in deren Wesen es liegt, jederzeit in das abwertende Gegenteil kippen zu können, kritisiert. Nach Benjamin kann nicht nur die Verschmelzung mit der Mutter, sondern auch die Abgrenzung von ihr als lustvoll erlebt werden. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn auch die Mutter ein vom Kind unabhängiges Eigenleben führt: Die Bedeutung intersubjektiver Anerkennung zwischen der Mutter und dem Kind basiert auf der Erkenntnis, dass
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„… wir tatsächlich das Bedürfnis haben, die andere als selbstständige Person anzuerkennen: uns ähnlich und doch verschieden. Also hat auch das Kleinkind ein Bedürfnis, die Mutter als selbstständiges Subjekt zu sehen – und nicht nur als Teil der ‚Außenwelt’ oder als Anhängsel seines Ichs.“ (Benjamin 1990: 26)
Der idealisierende und den Müttern allumfassende Verantwortung zuschreibende Mütterlichkeits- Diskurs wird von Benjamin kritisiert. Sie sieht familienunabhängige Aktivitäten der Mutter vielmehr als Notwendigkeit für eine anerkennende Mutter-Kind-Beziehung an: „Aber nur selten wird sie auch als anderes Subjekt gesehen, das mehr will im Leben als nur für ihr Kind da zu sein. Und gleichzeitig fühlen sich die Mütter, irregeleitet durch populäre Eltern-Ratgeber und durch die realen Lebensbedingungen mit dem Baby, oft auf eine solche Rolle reduziert. Trotzdem ist die reale Mutter nicht nur Objekt für die Bedürfnisse ihres Kindes. Sie ist ein anderes Subjekt, und sie braucht einen unabhängigen Mittelpunkt ihres Lebens, wenn sie ihrem Kind die Anerkennung geben will, die es braucht.“ (ebd.)
Interpsychische Anerkennung in der Eltern-Kind-Interaktion ist Benjamin zufolge ein wesentlicher Aspekt der primären Sozialisation, der Entwicklung des Selbst und der Realisierung der Anderen. Sie entwickelt sich in der entspannten Kommunikation zwischen dem Kind und seinen relevanten Erwachsenen und ist nicht an körperliche Aspekte wie die Fähigkeit zum Stillen gebunden. Benjamin entwickelt eine psychoanalytische Theorie, nach der Erwachsene beiderlei Geschlechts - und dies müssen nicht die biologischen Eltern sein –die Pflege und emotionale Fürsorge auch sehr kleiner Kinder in einer für diese förderlichen Art und Weise bewerkstelligen können. Seine Grenzen findet dieser Ansatz in dem Moment, wo das Geschlecht ins Spiel kommt. Mit Bezug auf Chodorov beschreibt auch Benjamin die Schwierigkeiten, die für Jungen in ihrer Beziehung zur Mutter entstehen, wenn sie sich als körperlich anders wahrnehmen. Diese Realisierung von Differenz führe zu einer Überbetonung von Abgrenzung und Selbstständigkeit im Unterschied zu Bindung und Gemeinschaft bei der Bildung der männlichen Identität (vgl.: Benjamin 1990 74ff.). Für Mädchen stelle sich andersherum genau diese Abgrenzung als das Problem gegenüber der ihnen körperlich gleichen Mutter dar. Die Differenzierung zwischen dem eigenen Selbst und den Ansprüchen der Mutter falle den Mädchen schwer. Da Trennung mit Zerstörung gleichbedeutend ist, wird die Unterwerfung, der Autonomieverlust vorgezogen. Dies führt Benjamin zu einer ihrer zentralen Thesen, der zufolge „die mangelnde Subjektivität der Mutter, die von männlichen und weiblichen Kindern
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wahrgenommen wird, eine innere Disposition zu weiblichem Masochismus und männlichem Sadismus hervorbringt“ (Benjamin 1990: 81). Mit Rekurs auf Chasseguet-Smirgel wird von Benjamin die Option auf einen positiven Verlauf des Loslösungsprozesses eingeführt (in Abgrenzung zu Penisneid-Theorien). Die Loslösung der Eltern-Kind-Beziehung wird von ihr auch als ein Ausdruck der ‚Liebe zur Welt’ verstanden. Schwierigkeiten für diesen Prozess sieht sie in erster Linie in der sozialen Isolation, in der Mutter und Kinder sich oftmals befinden: „Die Phantasie der gefährlichen mütterlichen Allmacht wird durch die spezifischen (in der westlichen Kultur herrschenden) Bedingungen der Mutterschaft verstärkt, die Mutter und Kind in ein emotionales Treibhaus sperren und beiden die Ablösung erschweren.“ (Benjamin 1990: 95)
Den freudschen Penisneid interpretiert Benjamin als Hinwendung von Kindern beiderlei Geschlechts zum Vater als Repräsentant der Außenwelt. Gleichzeitig bedeutet die Orientierung an einem zweiten relevanten Erwachsenen eine Verminderung der Abhängigkeit von der Mutter. Auch bei Benjamin stehen also zwei relevante Erwachsene als Repräsentanten für Abhängigkeit und Unabhängigkeit. In Abgrenzung zur klassischen psychoanalytischen Theorie, in der Abhängigkeitsgefühle an die Mutter (als erster relevanter Bezugsperson) und Unabhängigkeit an den Vater geknüpft sind, formuliert Benjamin diese Aspekte jedoch als potentiell geschlechtsunabhängig: „Ich glaube aber, unter der Bedingung, daß stereotype Vorstellungen über Geschlechterrollen und geschlechtsspezifische Elternrollen abgebaut werden, könnten beide Eltern ihren Kindern als Vorbilder für Ablösung wie für Anlehnung dienen. Und sowohl Mädchen wie Jungen könnten sich die Identifikation mit beiden Eltern zunutze machen, ohne in ihrer geschlechtlichen Identität verunsichert zu werden.“ (Benjamin 1990: 110/111)
Bezieht man die theoretische Entwicklung bei Benjamin auf die Lebenssituation Alleinerziehender, so scheinen die wesentlichen Aspekte für die Entwicklung einer ‚gesunden Geschlechtsidentität’ das Vorhandensein von Identifikationsfiguren beiderlei Geschlechts in der nahen sozialen Umwelt, sowie ein Gleichgewicht zwischen Familienzugewandtheit und Eigenleben in der Alltagsstrukturierung der relevanten Erziehungspersonen zu sein. Aus Benjamins Reformulierung von Mütterlichkeit und Väterlichkeit folgt, wie auch aus Oliviers Argumentation, dass die Verbindung von Mutterschaft und Erwerbsarbeit als eine Lebensmöglichkeit gesehen wird, die auch den Kindern zugute kommen kann. Benjamin sieht den identifikatorischen Wechsel zwischen 133
beiden Geschlechtern als elementar für die Entwicklung einer stabilen Geschlechtsidentität an. Diese ist bei ihr durch eine Flexibilität im Umgang mit Geschlechterrollen gekennzeichnet: „Wenn dieses Wechseln entwicklungsmäßig erlaubt wird, brauchen die Individuen später, wenn sie heranwachsen, nicht mehr an ihrer geschlechtlichen Identität zu zweifeln. Vielmehr können sie diese flexibel zum Ausdruck bringen. Im Bewusstsein des Individuums existiert die geschlechtsspezifische Selbst-Repräsentanz neben einer geschlechtlosen oder sogar gegengeschlechtlichen Selbst-Repräsentanz. So könnte jemand sich abwechselnd erleben als „Ich, eine Frau“, „Ich, ein geschlechtsloses Subjekt“, „Ich, wie ein Mann (oder: wie eine Frau)“. Eine Person, die diese Flexibilität beizubehalten vermag, kann alle Aspekte ihres Selbst wie auch des anderen akzeptieren.“ (Benjamin 1990: 111)
Nach Benjamin ist der Wunsch, dem anderen Geschlecht zugeschriebene Verhaltensweisen zu übernehmen, nicht pathologisch und geht nicht mit der Verleugnung der eigenen geschlechtlichen Identität einher. Mit dieser Sichtweise trägt sie zur Auflösung der Geschlechterpolarität bei. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich ein Teil der wissenschaftlichen Diskurse zu Mütterlichkeit im Vergleich zu den siebziger und achtziger Jahren hin zu einer positiveren Sicht auf mütterliche Erwerbstätigkeit geöffnet hat. Ein anderer Teil des Diskurses jedoch, z. B. durch die Theorien Chodorovs und Oliviers repräsentiert, reproduziert weiterhin dichotome Geschlechterkonstruktionen. Die Frage, wieso Söhne von ihren Müttern keine Fürsorglichkeit lernen können sollen, bleibt hier letztendlich unbeantwortet. Hier wird das Konstrukt der Geschlechtsidentität selbst zur Ursache des Problems. Die Verbindung von psychoanalytischem und dekonstruktivem Denken eröffnet hier neue Sichtweisen und zeigt auf, dass Ersteres nicht durch Zweiteres negiert werden muss. So beschreibt Goldner, dass die Psychoanalyse auch ein Werkzeug sein kann, dass die Kritik an „unmerklich Zwang ausübende(n) Prozesse(n)“, durch die Geschlechtskonformität erzeugt wird, ermöglicht. Dies ist dann der Fall, wenn die Diagnose der „Geschlechtsidentitätsstörung“ aufgegeben und das „Geschlechtsparadigma“ als „pathogenes Syndrom (…) mit Spaltung als einem zentralen Merkmal“ angesehen wird: „Wird die Geschlechtsidentität erstmal als Problem und nicht als Lösung, als eine defensive Hemmung und nicht als Leistung aufgefasst, können die Dilemmata von Maskulinität und Feminität erneut die dramatische Raison d’être der Psychoanalyse als einer kritischen Tradition liefern. Eine solche Tradition könnte den Widerstand gegen die normative Konstruktion von Geschlechtspolaritäten und -hierarchien unterstützen, indem sie dokumentiert, wie die Ausnutzung von Geschlechtsunterschieden in dem unausweichlichen Kampf um Macht in Gesellschaft und
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Familienleben unhaltbare Beziehungsprobleme und unüberbrückbare psychische Spaltungen verursacht, die dem menschlichen Geist in uns allen und in der nächsten Generation Schaden zufügt.“ (Goldner 1995)
Wie in diesem Unterkapitel aufgezeigt wurde, ist das Spektrum der wissenschaftlichen und speziell auch psychoanalytischen Sichtweisen auf Mütterlichkeit und Väterlichkeit sehr breit.
3.5.3 Diskurse zum Kindeswohl Die in den Siebzigern äußerst konträren Diskussionen um autoritäre und antiautoritäre Erziehung beruhigten sich in den 90er Jahren: Heute kann ein autoritativer Erziehungsstil, die Gleichzeitigkeit von Aushandlungsprozessen und klaren Grenzen in der Erziehung, als gesellschaftlicher Konsens im pädagogischen und populärwissenschaftlichen Diskurs gelten. Die Rechte von Kindern wurden in den vergangenen Jahrzehnten weiter gestärkt, wenngleich erst im Jahr 2000 das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung gesetzlich festgeschrieben wurde (§1631, Abs.2 BGB). Familienrealitäten scheinen allerdings weiterhin nicht nur in Ausnahmefällen von Gewalt geprägt zu sein. Die Frage der Bevorzugung institutioneller oder familialer Kinderbetreuung bleibt ein intensiv diskutiertes Thema, wobei inzwischen „zahlreiche empirische Untersuchungen und theoretische Abhandlungen über die Folgen der mütterlichen Erwerbstätigkeit für ihre Kinder vor[liegen, B.R.], die zeigen, dass die pauschale Abwertung (…) sowohl gegenüber der mütterlichen Erwerbstätigkeit als auch gegenüber der institutionellen Kinderbetreuung – nicht haltbar ist.“ (Nave-Herz 1997a: 36/37)
Es kann inzwischen als belegt angesehen werden, dass „Erwerbstätigkeit der Mutter per se nichts über Risiken – ebenso nichts über Chancen – für den Entwicklungsprozess ihres Kindes aussagt. Relevant sind: der Grund der Erwerbstätigkeit der Mutter, ihre Einstellung zur Berufsarbeit, die Arbeitsbedingungen und –zeiten, die Einstellung des Ehemannes zur Erwerbstätigkeit seiner Frau, die Qualität der Ersatzbetreuung, die Einstellung der Betreuerin oder der Betreuerinnen zu ihrer Tätigkeit usw. Viele Bedingungen also, die sich gegenseitig kompensieren oder auch verstärken können, bestimmen die kindliche Entwicklung und nicht ein einzelner Faktor.“ (Nave-Herz 1997a: 38)
Verschiedene Frauenorganisationen sahen in der institutionellen GanztagsKinderbetreuung ein erhaltenswertes Element der DDR-Gesellschaft. Damit 135
vertraten sie die Meinung eines großen Teils der Ostdeutschen: Einer Untersuchung von Kreckel und Schenk zu folge, in der sie Allbus Daten auswerteten, 108 waren nur 34 Prozent der Ostdeutschen der Meinung, dass Kinder bis zum Alter von sechs bis sieben Jahren für ein gutes Aufwachsen ihre Mutter zu Hause benötigen, in Westdeutschland dagegen stimmten diesem Item 71 Prozent der Befragten zu (Kreckel und Schenk 2001: 167/168). Dementsprechend fielen auch die Meinungsunterschiede bei der Interpretation von zwischen 1991 und 1996 durchgeführten Untersuchungen aus, bei denen explizit nach innerfamilialer Arbeitsteilung gefragt wurde: Der Ansicht, es sei besser für alle, wenn die Männer Vollzeit- beschäftigt wären und die Frauen sich um Kinder und Haushalt kümmern würden, stimmten in Ostdeutschland 1991 noch 33% zu, dieser Wert sank 1996 sogar noch auf 26%. In Westdeutschland dagegen blieb die Zustimmung zu diesem Lebenskonzept stabil bei 50% (Kreckel und Schenk 2001: 163). Interessant ist die Tatsache, dass es in beiden Teilen Deutschlands kaum geschlechtsspezifische Unterschiede im Antwortverhalten gab.109 Das ‚cultural and institutional lag’, mit dem Westdeutschland hinter Teilen Europas zurückbleibt, scheint sich zu verkleinern. Obwohl sich Familienphasen, beeinflusst durch die Erziehungsgeldregelungen, auch in Ostdeutschland inzwischen verlängern, halten Frauen mit Ostherkunft an der Neigung zur Vollzeiterwerbstätigkeit und an der positiven Einstellung zu institutioneller Kinderbetreuung fest (Schaeper und Falk 2001). Für die gleichwohl zu konstatierende verringerte Nutzung der Kinderbetreuungseinrichtungen für unter 3-jährige Kinder in Ostdeutschland (Dornseiff und Sackmann 2003) sind Veränderungen der institutionellen Ordnung und die diskursive Ausbreitung der oben beschriebenen westdeutschen Konstruktionen des Kindeswohls, durch welche die innerfamiliale Betreuung favorisiert wird, als Ursachen zu sehen. Die Diskurse um Mütterlichkeit und Kindeswohl sind bis heute stark miteinander verknüpft, während über Väterlichkeit und Kindeswohl kaum Veröffentlichungen vorliegen. Allerdings sind die Diskurse um Ganztagskinderbetreuung, angestoßen durch die Familienministerinnen Renate Schmidt und Ursula von der Leyen sowie durch den siebten Familienbericht, in den letzten
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Diese Daten wurden im Jahr 1996 erhoben. Aus den von Kreckel/Schenk interpretierten Daten geht weiterhin hervor, dass die Antworten vor allem in Westdeutschland nach Alter und Bildung differieren und zwar insofern, als die jüngsten und am besten gebildeten Kohorten der westdeutschen Untersuchungsteilnehmer und Teilnehmerinnen sehr weitgehend mit den ostdeutschen Einstellungen übereinstimmen (ebd.). Allerdings muss hier der Zeitpunkt der Familiengründung als Retraditionalisierungs – Faktor berück-sichtigt werden: „Während 60% der westdeutschen Frauen mit Kindern das Wohlbefinden der Kinder angesichts der Berufstätigkeit der Mutter als gefährdet sehen, sind es bei den westdeutschen Frauen ohne Kinder nur 51%.“ (Dornseiff und Sackmann 2003 :327) 109
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Jahren auch im Westen in Bewegung gekommen. Es zeichnet sich eine zunehmende Toleranz gegenüber Ganztagsbetreuung auch im Westen ab.110 Hinsichtlich geschlechtsspezifischer kindlicher Sozialisation lässt sich in der pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Literatur eine Zunahme der Kritik an Geschlechterstereotypen in Erziehung und Medien bis hin zur Einforderung der Dekonstruktion von Zweigeschlechtlichkeit finden (Zum Überblick: Bilden und Dausien 2006; Fritzsche et al. 2001). Gleichwohl ist – vor allem hinsichtlich pädagogischer Praxis - eine erhebliche Beharrungstendenz des Begriffes der ‚gesunden Geschlechtsidentität’ zu bemerken. Dies lässt sich auf die dominante Position dieses Konstruktes in der sozialen Realität zurückführen. Besonders in den auf männliche Sozialisation bezogenen Veröffentlichungen spielt die Besorgnis um die Entwicklung einer ‚gesunden Geschlechtsidentität’ eine hervorgehobene Rolle (z. B. in: Rohrmann 2001; Schnack und Neutzling 1995). Ein wesentlicher Aspekt des gesellschaftlichen Umgangs mit dem Kindeswohl in Zeiten der Modernisierung ist darin zu sehen, dass Kinder im gesellschaftlichen Verständnis zunehmend als eigenständige Subjekte wahrgenommen werden, deren Rechte daher im gesellschaftlichen Leben verankert werden.
3.6 Zusammenfassung Fasst man die hier dargestellten Aspekte der Transformations- und Modernisierungsprozesse seit 1989 zusammen, so lässt sich – zunächst v. a. für Ostdeutschland – ein drastischer Wandel der Lebensbedingungen konstatieren. Für das subjektive Erleben sind die Öffnung der Grenzen und die dramatisch ansteigende Erwerbslosigkeit besonders einschneidende Erfahrungen gewesen. Der Anstieg prekärer Arbeitsverhältnisse und die zunehmende Auflösung gesicherter Beschäftigung bedeuten auch für Westdeutsche tief greifende biographische Veränderungen. In der Entwicklung der Familienbilder lassen sich einerseits Erschütterungen der Dominanz der heterosexuellen Zwei-Eltern-Familie erkennen, andererseits zeigen die Normalisierungsstrategien Alleinerziehender, dass diese Lebensform noch keinen durchgängigen Normalitätsstatus besitzt. Väterlichkeit wird zunehmend Gegenstand des Diskurses um Familie. Die Zuschreibungen zu Väterlichkeit wandeln sich. In erheblich langsamerem Tempo 110
Auf den siebten Familienbericht wird hier nicht näher eingegangen, da in erster Linie jene Diskurse Berücksichtigung finden, welche die Lebenssituation der für den empirischen Teil dieser Arbeit befragten Alleinerziehenden beeinflusst haben könnten. Der siebte Familienbericht erschien erst nach der Befragung.
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verändert sich auch gelebte Väterlichkeit, sie findet jedoch ihre Grenzen in der nahezu ungebrochenen männlichen Orientierung auf Vollzeiterwerbstätigkeit. Mütterlichkeit scheint weiterhin als natürlich verstanden zu werden, die Qualität von Mütterlichkeit ist kaum Gegenstand des Diskurses um Familie. Heftige Debatten entstehen in Westdeutschland beim Thema Müttererwerbstätigkeit. Frauen in Ostdeutschland halten gegen den Druck der Verhältnisse im institutionellen Sinne (hohe Erwerbslosigkeit) wie im normativen Sinne (Verbreitung der Mütterleitbilder des Westens) an ihrer Orientierung zur Erwerbstätigkeit fest, wobei bei gleichzeitiger Familienarbeit Teilzeittätigkeiten im Umfang von ca. 30 Stunden pro Woche angestrebt werden. Ein Diskurs, in dem die Rolle der Mutter für das Kindeswohl diskutiert wird, ist die psychoanalytische Theorie. Vorgängige Theorien wie die Bindungstheorien von Bowlby und Spitz werden durch postmoderne Psychoanalytikerinnen wie Benjamin und Goldner in Frage gestellt. Auch die mit psychoanalytischen Diskursen um Mutter- und Vaterrolle untrennbar verbundenen Diskurse um die Notwendigkeit der Entwicklung einer ‚gesunden Geschlechtsidentität’ sind diskutierbar geworden. Postmoderne, dekonstruktive Theorien machen allerdings nur einen Teil des aktuellen Diskurses aus und finden nur vereinzelt Eingang in pädagogische Theorie und Praxis. Als größter Unterschied der jeweiligen Familienleitbilder von DDR und BRD kann die divergierende Haltung zur Müttererwerbstätigkeit gesehen werden. Die seit den 60er Jahren in der DDR an die Mütter erhobene Forderung nach Erwerbstätigkeit wurde im Laufe der Jahre zum subjektiven Bedürfnis. Damit ging eine entindividualisierte Einstellung zu Kindheit einher, nach der es dem Kindeswohl förderlich ist, früh intensiven Kontakt zu Gleichaltrigen zu bekommen. Von Seiten des DDR- Staates wurde vor längeren Erziehungszeiten zu Hause im Namen des Kindeswohls gewarnt. In der BRD wandelte sich zwar das Familienleitbild langsam weg von der allein auf Familientätigkeit konzentrierten Mutter hin zur sich im Lebenslauf ablösenden Kombination von Vollzeiterwerbstätigkeit, temporärem Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit und Teilzeiterwerbstätigkeit. Die pädagogisch/psychologischen Diskurse von der Bedeutung familialer Kindheit verfestigten sich in den 70er und 80er Jahren jedoch teilweise noch. Das Wohlergehen der Kinder wurde von Präsenz und Verhalten der Mütter abhängig gemacht. Mütterlichkeit war und ist im Westen eng mit der Vorstellung von Aufopferung verbunden, während die Vereinbarkeit von Vollzeiterwerbstätigkeit und Kindererziehung für Mütter in der DDR im Laufe der Zeit selbstverständlich wurde. Eine Gemeinsamkeit zwischen den Familienleitbildern von DDR und BRD besteht in der unhinterfragten Vollzeiterwerbstätigkeit der Männer, gekoppelt mit deren weitgehender Enthaltsamkeit bezüglich Hausarbeit und Kinderpflege-
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bzw. -erziehung.111 Erst in den 80er Jahren wächst in Ost und West die Bedeutung von Väterlichkeit. Familienpolitik war bis Mitte der 80er Jahre Frauenpolitik, die Aufgabenteilung zwischen Männern und Frauen wurde als Geschlechterordnung institutionell verankert. In der DDR waren Alleinerziehende sozialstrukturell besser abgesichert als in der BRD. Der kaum vorhandene pädagogische Diskurs über Vor- und Nachteile von familialer und institutioneller Kinderbetreuung führte zu einer weniger manifesten Ausgrenzung Alleinerziehender. In den Diskursen zum Kindeswohl spiegelte sich in Ost wie West die Atmosphäre des kalten Krieges wieder. Die Positionen auf beiden Seiten verhärteten sich in der zugespitzten Abgrenzung von pädagogischen Direktiven im jeweils anderen Teil Deutschlands. Es stellt sich hier die Frage, ob die Tatsache, dass die BRD bis heute in Sachen öffentlicher Kinderbetreuung ein Schlusslicht im europäischen Vergleich darstellt, nicht auch als eine nachhaltige Auswirkung der sich gegeneinander abgrenzenden Positionen von DDR und BRD vor 1989 verstanden werden kann. Die Gewichtungen von Familienpolitik und Sozialpolitik in DDR und BRD spiegeln die unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen, die sich an Familie und damit automatisch auch an das Geschlechterverhältnis richteten. Dabei spielen unterschiedlichste Gesichtspunkte eine Rolle. Ökonomische und demographische Aspekte sind wesentlich für die politischen Versuche, durch institutionelle Maßnahmen Familienleben zu steuern. Diese Maßnahmen erzielen jedoch begrenzte Effekte, wenn in ihre Konzeptionen die Bedürfnisse und Problemlagen der Subjekte nicht eingehen. Doppelte Vergesellschaftung ausschließlich des weiblichen Lebenslaufs sowie Geschlechter- segregierte Bildungssysteme und Arbeitsmärkte führen, gestützt durch Leitbilder, die an der Idealisierung von Mütterlichkeit und dem Ausschluss von Väterlichkeit festhalten, zu Effekten der Geschlechterungleichheit in DDR und BRD. Alleinerziehende waren in der DDR besser sozialpolitisch abgesichert als in der BRD. In beiden Ländern jedoch hielt infolge der Idealisierung der heterosexuellen Kleinfamilie der ideologische Druck auf Ein-Elter-Familien an. Die aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammenden Leitsätze von Ordnung, Sauberkeit und Disziplin scheinen in den Diskursen um Familie immer dann relevant zu werden, wenn es darum geht, Familien zu kontrollieren. Auch in der DDR waren die Frauen die Hauptzuständigen für Erziehungsund Hausarbeit. Während jedoch in der BRD bis in die 80er Jahre hinein das 111
Bis heute hält die Diskussion darüber an, ob Ost- oder Westmänner in den Jahren vor 1989 größere Anteile an Hausarbeit übernahmen.
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Leitbild der Hausfrau offen proklamiert wurde, war die weitgehende Alleinzuständigkeit der Frauen für die Familienarbeit in der DDR ein Fakt, über den nicht viel geredet wurde. In der BRD wurde das diskursive Mittel der Legitimation verwendet, in der DDR die Dethematisierung. In der Zeit der Transformation und Modernisierung lässt sich in BRD wie DDR nur eine vergleichsweise geringfügige Veränderung der Männerrolle bemerken, gleichzeitig sind für Frauen in West- wie Ostdeutschland gravierende Veränderungen festzustellen. Am wenigsten Bewegung lässt sich in Bezug auf die Rolle westdeutscher Männer erkennen: Die Rolle des Haupternährers wurde trotz aktueller Entwicklungen wie Massenarbeitslosigkeit und Prekarisierung von Beschäftigung kaum erschüttet. Seitdem im Osten die Vollerwerbstätigkeit von Frauen Normalität geworden ist, verleiht die Vollerwerbstätigkeit der Männer ihnen nicht mehr den Status des Haupternährers. Frauen in Westdeutschland sind jenseits der Hausfrauenrolle für Sequenzen ihres Lebenslaufs auf Teil- und Vollzeiterwerbstätigkeit orientiert, teilweise werden lange Erwerbsunterbrechungen für die Familienphase gemacht. Die beschriebenen Orientierungen entsprechen den unterschiedlichen Leitbildern: Ein ‚guter Vater’ hat in erster Linie das Geld nach Hause zu bringen, eine ‚gute Mutter’ aus dem Osten verbindet Erwerbs- und Familientätigkeit und zum Idealbild der ‚guten Westmutter’ gehört bis heute eine Familienphase frei von Erwerbstätigkeit. Dabei wurden und werden die Arbeitsleistungen der innerfamilialen Fürsorge in Ost wie West im öffentlichen Diskurs kaum anerkannt. Die Zuständigkeit der Frauen für Familienarbeit bleibt hier wie dort weitgehend bestehen. Während die Mütter weiterhin die Verantwortung für die Kinder übernehmen, besteht die Erneuerung der Vaterrolle in dem Bild des Kumpels für Sport und Spiel. Über die Zeit von DDR und BRD hinweg sowie im Prozess der Transformation und Modernisierung stellen sich Bilder von Mütterlichkeit und Väterlichkeit als eng mit den Diskursen um das Kindeswohl verknüpft heraus. Dieser Zusammenhang legt nahe, dass die derzeit angestrebte Verwirklichung von Ganztagskinderbetreuung auch im Westen Deutschlands mit einem Wandel der Bilder von Mütterlichkeit einhergehen müsste, damit diese Form der Betreuung eine Chance auf Akzeptanz durch die Subjekte hätte. Denn bleiben jene Diskurse dominant, die für das Kindeswohl in den ersten Lebensjahren die familiale Betreuung durch eine aufopfernde, Vollzeit- verfügbare Mutter voraussetzen, so wird sich Ganztagsbetreuung schwer verwirklichen lassen, bzw. von stetigem Misstrauen begleitet werden. In Teilen der pädagogischen und psychologischen Diskurse wird das Kindeswohl jedoch nach wie vor eng an eine über mehrere Jahre vollständig 140
verfügbare Mutter sowie an heterosexuelle Elternschaft und die Vater/Mutter/Kind-Familie gebunden. Diese Diskurse beeinflussen durch ihre Verbreitung in den Ausbildungen von ErzieherInnen, LehrerInnen, SozialpädagogInnen, Therapeuten etc. das Selbstverständnis bzw. Wohlbefinden von Familien. Durch die in diesem Kapitel aufgezeigten, an der Produktion von Geschlechter- und Familienleitbildern beteiligten Diskurselemente wurde verdeutlicht, dass einerseits sozialer Wandel stattfindet, andererseits jedoch traditionelle Bilder weiterhin Wirksamkeit besitzen. Die Prozesse der Veränderung auf Subjekt-, Institutionen- und politisch/rechtlicher Ebene verlaufen nicht parallel und gleichförmig. Vielmehr sind hier Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche, gegenseitige Beeinflussung sowie Blockaden festzustellen. In den heterogenen Lebenslagen der Subjekte sowie in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen haben Einflüsse von institutionellen Strukturen und politischen Entscheidungen differierendes Gewicht. Insbesondere ein Teil der pädagogischen und psychologischen Diskurse hinkt den gelebten Familienrealitäten (Ein-Elter-Familien, Patchworkfamilien und homosexueller Elternschaft) hinterher. Hier ist also eine Art von ’discursive lag’ festzustellen. Dekonstruktive, feministische, psychoanalytische Theorien, welche die pathologisierende Sicht auf Abweichungen von dem, was als normative ‚Geschlechtsidentität’ definiert wird, als Zentrum des Problems - auch auf seelischer Ebene – ausmachen und kritisieren, können als Vorreiter einer gesellschaftlichen Entwicklung angesehen werden, in der sich normative Bilder von Geschlecht und Familie zu Gunsten einer wachsenden Akzeptanz heterogener Lebensformen zunehmend auflösen. Vor dem Hintergrund der hier vorgenommenen chronologischen Spurensuche nach Geschlechter- und Familienleitbildern wird im nun folgenden Kapitel der aktuelle Forschungsstand zur Gruppe der Alleinerziehenden aufgezeigt.
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4 Der Forschungsstand zu Alleinerziehenden
In diesem Kapitel wird der aktuelle Forschungsstand zu sozialen und sozialstrukturellen Aspekten des Alleinerziehens zusammengefasst. Die im empirischen Teil untersuchten Biographien können erst auf der Basis der differenzierten Kenntnis der Lebensumstände der Gesamtgruppe der Alleinerziehenden in den gesellschaftlichen Gesamtkontext eingeordnet werden. Das Wissen um die sozialstrukturellen Faktoren ist elementar, u. a. damit nicht Aspekte der Interviews als Konstruktionsprozesse von Geschlecht und Familie gedeutet werden, welche vielmehr Folgen der dieser Lebensbedingungen sind.112 Die Lebenslagen113 Alleinerziehender sind heterogen. So macht es z. B. einen Unterschied, ob die Situation des Alleinerziehens gewählt wurde oder durch krisenhafte Umstände wie Trennung oder Tod zu Stande kam. Auch das Alter, in dem jemand allein erziehend wird, der Grad der bis dahin erworbenen Bildung, die Anzahl der zu versorgenden Kinder sowie das Alter des jüngsten Kindes stellen bedeutende Differenzen in der zu bewältigenden Lebenssituation dar. Weitere Faktoren, nach denen sich der Alltag in Ein-Elter-Familien unterscheidet, sind die Verfügbarkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen, Art und Umfang von Unterstützungsleistungen des sozialen Umfeldes, Teilzeit- oder Vollzeiterwerbstätigkeit bzw. Abhängigkeit von Ämtern, Wohnsituation und soziale Kontakte. In diesem Kapitel wird der Forschungsstand zu diesen strukturellen, materiellen und sozialen Lebensbedingungen dargestellt, um einen Einblick in die alltäglichen wie biographischen Aufgaben, Schwierigkeiten und Herausforderungen zu geben, welche Alleinerziehende zu bewältigen haben. Dabei werden Quellen wie rein quantitative Erhebungen, z. B. des Bundesministeriums für Familie (Engstler und Menning 2003), Forschungsarbeiten, in denen quantitative und qualitative Verfahren ergänzend angewendet wurden (z. B. Brand und Hammer 2002; Schneider et al. 2001) sowie rein qualitative Arbeiten (z. B. Frisé und Stahlberg 1992; Stiehler 2000) und rein auf dem
112 Der Schwerpunkt der Alleinerziehendenforschung hat sich in den letzten 15 Jahren weg von der reinen Defizitperspektive, hin zu eher Ressourcen- orientierten Ansätzen entwickelt. 113 Mit dem Begriff „Lebenslagen“ wird das „Zusammenwirken unterschiedlicher Faktoren in den konkreten Lebensverhältnissen“ (Enders-Dragässer und Sellach 1999: 56) bezeichnet.
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Forschungsstand basierende Analysen (Krüger und Micus 1999; Schewe 2002) verwendet.114 Mit strukturellen Lebensbedingungen werden institutionelle Hintergründe wie z. B. die Struktur von Kinderbetreuungseinrichtungen oder auch die Bedingungen, die Alleinerziehende auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt vorfinden, bezeichnet. Unter materiellen Lebensbedingungen werden jene Ressourcen verstanden, welche den einzelnen Familien in Finanz- oder Sachform zur Verfügung stehen. Unter sozialen Lebensbedingungen werden alle interaktiven Bezüge gefasst.
4.1 Anzahl Alleinerziehender Statistischen Erhebungen liegen häufig unterschiedliche Definitionen von Alleinerziehen zugrunde, was zwangsläufig zu differierenden Daten führt. Dem Mikrozensus zufolge ist die Zahl der Alleinerziehenden seit 1975 um etwa 50 Prozent gestiegen. Dieser Zuwachs ist jedoch zu einem retrospektiv nicht mehr nachvollziehbar großen Teil durch den Umstand zu erklären, dass eine Zeit lang auch unverheiratet zusammen lebende Eltern der Kategorie ‚allein erziehend’ zugeordnet wurden (siehe kritisch Engstler und Menning 2003).115 In Erhebungen des Bundesamts für Statistik wird heute die Unterscheidung zwischen den Lebensformen ‚allein erziehend’ und ‚unverheiratete Eltern’ vorgenommen. Alleinerziehende werden hier als „Mütter und Väter mit – noch ledigen – Kindern unter 27 Jahren ohne weitere Personen im Haushalt“ (Engstler und Menning 2003: 40) definiert. Nach dieser Eingrenzung gab es in Deutschland „im Jahr 2000 1,77 Mio. Alleinerziehende“ (ebd.). Besonders gut verdeutlichen lässt sich die Verbreitung der Lebensform der Ein-Elter-Familie durch einen Blick auf die Kinder: „…2,7 Millionen ledige Kinder unter 27 Jahren lebten 1999 in einem Haushalt mit einer alleinerziehenden Mutter oder einem alleinerziehenden Vater, das entspricht 116 11,5% aller Kinder in diesem Alter.“ (Schneider et al. 2001: 12)
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An jenen Stellen im folgenden Kapitel, an denen die Beschaffenheit der Quelle nicht aus dem Text hervorgeht, wird diese in einer Fußnote expliziert. 115 Ein Problem bei der Erhebung von Daten zur Familiensituation ‚allein erziehend’ liegt in der unterhaltsrechtlichen Relevanz aller Fragen nach dem anderen Elternteil. Aufgrund dieses Problems ist zu bezweifeln, dass alle Fragen ehrlich beantwortet werden (Brand und Hammer 2002: 13ff.). 116 Für die Untersuchung von Schneider et al. wurde „ein interdisziplinärer theoretischer Ansatz mit soziologischen und psychologischen Akzenten und ein Methodenmix aus mehreren sich ergänzenden Verfahren gewählt“ (Schneider et al. 2001: 15). Basierend auf der systematischen Aufbereitung des
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Im VFA – Report Lebensqualität 2006117 werden unter dem Begriff Familie Lebensgemeinschaften mit Kindern unter 18 Jahren im gleichen Haushalt gefasst. In diesem Bericht wird vom Jahr 1996 bis zum Jahr 2005 ein Anstieg Alleinerziehender von 13,8% auf 17,6% aller Familien festgestellt (Ebbinghaus et al. 2006: 49). Allem sozialen Wandel zum Trotz ruft es kaum Erstaunen hervor, dass die Anzahl allein erziehender Mütter (85,5%) erheblich über der allein erziehender Väter liegt (14,5%) (Engstler und Menning 2003: 40). Die Zahlen Alleinerziehender differieren auch nach Ost/West – Herkunft: 2005 sind in den alten Bundesländern 16,1% aller Familien (mit Kindern unter 18 Jahren) Ein-ElterFamilien, in den neuen Bundesländern sind es dagegen 24% (Ebbinghaus et al. 2006: 49). Für den empirischen Teil dieser Untersuchung wurden überwiegend Alleinerziehende aus Bremen und Ostberlin befragt. Diese Städte bieten sich wegen der in beiden Bundesländern hohen Zahlen Alleinerziehender an. So lag der Anteil Alleinerziehender (mit minderjährigen Kindern) im Verhältnis zu Ehepaaren (ebenfalls mit minderjährigen Kindern) 1993 in Bremen bei 24% und in Berlin/Ost bei 29%. Bremen nimmt hier (zusammen mit Hamburg) eine Sonderstellung gegenüber den übrigen westlichen Bundesländern ein (Bauerreis, Bayer und Bien 1997: 19).118 Der Anteil der Alleinerziehenden an der Gesamtbevölkerung betrug 1999 „durchschnittlich 4 Prozent in den Staaten der EU wie auch in Deutschland“. (Engstler/Menning 2003: 59)
4.2 Entstehung des Alleinerziehens, Kinder Zunächst werden hier die Bedeutungen der unterschiedlichen Entstehungsweisen von Ein-Elter-Familien und daran anschließend Wünsche gegenüber der weiteren Entwicklung der eigenen Familie beschrieben. Abschließend wird aufgezeigt,
Forschungsstandes zu Alleinerziehenden wurden eine Telefonbefragung von Alleinerziehenden, eine ExpertInnenbefragung und qualitative Interviews mit 131 Alleinerziehenden durchgeführt (ebd.: 16). 117 Die Studie wurde finanziell durch den Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) gefördert. Der Report konzentriert sich auf die Erfassung der Lebensbedingungen in Deutschland im Zeitraum 1995 – 2005 mit besonderem Bezug auf die Themengebiete Familie, Arbeit, Einkommen und Gesundheit sowie Integration und Partizipation. Die Ergebnisse werden in den europäischen Kontext gestellt. 118 Einige Interviews wurden auch mit Alleinerziehenden aus dem städtischen Umland, welches bereits zu Niedersachsen bzw. Brandenburg gehört, geführt. 1993 lebten in Niedersachsen 14% Alleinerziehende (im Verhältnis zu Ehepaaren mit minderjährigen Kindern), in Brandenburg waren es 23%.
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welche Effekte das Alter der Alleinerziehenden und das Alter ihrer Kinder, sowie die Anzahl der Kinder auf die Familiensituation haben.
Zustandekommen des Alleinerziehens und gewünschte Lebensformen In der Lebenslaufforschung werden insbesondere Übergänge im Lebensverlauf (z. B. von Bildung zu Beruf) in ihrer mehr oder weniger starken Institutionalisiertheit in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.119 An manchen Übergängen im Lebensverlauf bietet die Gesellschaft Optionen an bzw. übt Druck auf die Subjekte aus, diesen ‚Angeboten’ zu folgen. Wie eine Gesellschaft Übergänge in den Lebensläufen institutionell formt, sagt etwas über den Grad der Individualisierung, sowie über das gesellschaftliche Interesse an dem Verlauf des spezifischen Übergangs aus. Der Übergang zum Alleinerziehen ist in Bezug auf rechtliche Regelungen zu Scheidung, Sorgerechts- und Umgangsregelung als institutionalisiert zu betrachten. Desgleichen können Alleinerziehende bestimmte Vorrechte geltend machen: Bei der Vergabe von Kinderbetreuungsplätzen werden sie bevorzugt und sie erhalten finanzielle Zuschüsse zum Lebensunterhalt, solange die Kinder noch klein sind. Ansonsten sind die Subjekte in dieser neuen Lebenssituation weitgehend auf sich allein gestellt. Es stellt sich die Frage, ob es beim Übergang zum Alleinerziehen Unterschiede zwischen West und Ost, bzw. zwischen Männern und Frauen gibt. Je nach Entstehungssituation des Alleinerziehens und sozialstrukturellen Umständen bringt dieser Übergang unterschiedliche Formen von Statuswechseln mit sich. Zu fragen ist, unter welchen sozialstrukturellen Bedingungen dieser Statuswechsel die von Levy beschriebenen Spannungszustände der Rangspannung, Ungleichgewichtsspannung bzw. Unvollständigkeitsspannung120 mit sich bringt. Die Art und Weise, wie der Übergang zum Alleinerziehen verläuft, hat vielfältige Auswirkungen auf die weitere Familiengeschichte. Es gibt ledige, geschiedene, geschieden- getrennt lebende und verwitwete Alleinerziehende. Ist die Ein-Elter-Familie Resultat einer geplanten Entscheidung für diese Lebensform, so bestehen Möglichkeiten der Vorbereitung (z. B. berufliche 119
Der Begriff ‚Übergang’ wird hier „für einen individuellen Prozess des Zustandswechsels“ (Sackmann und Wingens 2001b: 23) verwendet. Zur Erinnerung: Von Levy werden unter Rangspannungen als ungenügend empfundene Positionen in gesellschaftlichen Hierarchien bezeichnet. Unter Ungleichgewichtsspannungen fasst er Unzufriedenheiten, die aus schwer- oder unvereinbar empfundenen Handlungsfeldern resultieren. Unvollständigkeitsspannungen sind nach Levy Spannungen, die aus gemessen an kulturellen Bildern und Normen unvollständigen Statuskonfigurationen entstehen (Levy 1977). Siehe auch Kap. 2.3.
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Qualifizierung und Organisation von Kinderbetreuung) auf die neue Lebenssituation. Kommt diese Familienform jedoch durch Trennung oder Tod zu Stande, so sind die ersten Jahre in der Regel von Trennungsverarbeitung und Bewältigungsproblemen der abrupt entstandenen neuen Familiensituation bestimmt. Scheidungsprozesse, verbunden mit Auseinandersetzungen um Sorgerechts- und Umgangsregelungen, können sich jahrelang zermürbend hinziehen. Häufig muss von Alleinerziehenden nach einer Trennung oder Scheidung eine neue Wohnung gesucht werden. Dies ist manchmal verbunden mit Veränderungen in den Betreuungsstrukturen der Kinder. Für die Verarbeitung der neuen Situation und die Entwicklung von Handlungsmöglichkeiten macht es einen großen Unterschied, ob der allein erziehende Elternteil selbst die Initiative zur Veränderung ergriffen hat oder aber verlassen worden ist. Bedeuten Trennung oder Scheidung das Ende einer konfliktreichen und spannungsgeladenen ZweiEltern-Familie, so kann der Beginn der Ein-Elter-Familie als Start in ein entspannteres Familienleben empfunden werden. Es ist also zu vermuten, dass Unvollständigkeitsspannungen nach Levy bei Alleinerziehenden eher nach konflikthaften Trennungen als nach einer frei getroffenen Entscheidung für die Lebensform der Ein-Elter-Familie anzutreffen sind. Den weitaus größten Teil der Alleinerziehenden machen die Getrennten bzw. Geschiedenen aus. Ihr Anteil liegt bei 55%, während in 25% der Fälle der Tod des Partners die Ursache für das Alleinerziehen war. Unverheiratet allein erziehend wurden 20% der Gruppe (Bundesamt 2004: 42)121. In den alten Bundesländern liegen die Zahlen der geschiedenen Alleinerziehenden höher als in den neuen Ländern. Auch die Zahl der ledigen allein erziehenden Mütter liegt im Osten (35,7%) über der im Westen (22,2%) (Engstler und Menning 2003: 41)122. Die geringere Institutionalisierung der Ehe sowie die größere Akzeptanz gegenüber der Lebensform der Ein-Elter-Familie in der DDR scheinen in diesen Zahlen bis heute zum Ausdruck zu kommen. Wie bereits unter 2.1 erwähnt, bestand in früheren Jahrhunderten vor allem in bürgerlichen Kreisen gesellschaftlicher Druck auf ledige Mütter, sich zu verheiraten. Wie die qualitative Untersuchung von Nave-Herz und Krüger aufzeigt, führte eine Schwangerschaft im Leben lediger Frauen auch in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts noch „zumeist zu einem ‚Wendepunkt’ in der Beziehung zwischen der ledigen Mutter und ihrem Partner“ (Nave-Herz und Krüger 1992: 59)123, der in den meisten Fällen mit Heirat oder Trennung endete (ebd.). 121
Diese Angaben beziehen sich auf eine statistische Erhebung aus dem Jahr 2002. Die an dieser Stelle verwendeten Daten sind im Jahr 2000 erhoben worden. Die hier zitierte Arbeit von Nave-Herz und Krüger zielt auf die Überprüfung der These zunehmender Pluralität von Lebensformen und basiert auf einem Forschungsdesign, in dem
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Gleichwohl ist ein sozialer Wandel in dem Sinne zu konstatieren, dass allein erziehende Frauen heute erheblich weniger über Diskriminierungs- Erfahrungen aufgrund ihres Familienstandes berichten, während einige Jahrzehnte vorher die Sichtweise auf ledige Mutterschaft als ‚Schande’ noch weit verbreitet war (NaveHerz und Krüger 1992). Bis heute hat jedoch die Entstehungsweise des Alleinerziehens entscheidenden Einfluss auf Ausmaß und Qualität sozialer Hilfeleistungen. Z. B. erhalten Frauen, die sich von ihrem Mann getrennt haben, weniger soziale Unterstützung als jene, bei denen der Mann der Initiator der Trennung war. Dies gilt in besonderem Maße, wenn die Trennung bzw. Scheidung von potentiellen UnterstützerInnen missbilligt wird (Niepel 1994a: 123)124. Verwitwete Alleinerziehende, die offensichtlich ‚schuldlos’ an ihrer Lebenssituation sind, erhalten mehr Unterstützung (ebd.). Die sozialen Interaktionen zeigen sich stark beeinflusst durch gesellschaftliche Bilder. Wie die Ergebnisse der Studie von Brand und Hammer (2002)125 zeigen, „sind es überwiegend die Alleinerziehenden selbst, welche die Initiative zur Trennung/Scheidung ergriffen haben“ (Brand und Hammer 2002: 78). Dem handlungstheoretisch angelegten Teil der empirischen Untersuchung von NaveHerz und Krüger zufolge kann dies in der Regel (die Ausnahme bildet die relativ kleine Gruppe lediger Frauen) aber nicht als Entscheidung für diese Lebensform interpretiert, sondern muss als Entscheidung gegen das Zusammenleben bzw. die Ehe mit dem anderen Elternteil gesehen werden (Nave-Herz und Krüger 1992: 70). Demzufolge kann die Lebensform des Alleinerziehens in der Regel nicht als frei gewählt betrachtet werden, sondern entsteht in der überwiegenden Zahl der Fälle aus zerbrochenen Beziehungen, bzw. ist die Folge von schwerer Krankheit bzw. Tod eines Elternteils. Auffällig ist, dass innerhalb der Gruppe der getrennten Alleinerziehenden erheblich mehr Frauen (62,5%) als Männer (24%) die Initiative zur Trennung ergriffen haben (Brand und Hammer 2002: 78)126. Nave-Herz und Krüger kommen bei der Beantwortung der Frage nach Trennungsgründen geschiedener allein erziehender Väter zu dem Schluss, dass diese sich eher als Opfer der prozessuale Entscheidungsvorgänge von Ein-Elter-Familien durch die biographische Methode in ihrem Verlauf erfasst werden. Es wurde eine Methodenkombination aus leitfadenorientierten Interviews, postalischer Befragung und Retrospektivbefragung gewählt. 124 Zur Forschungsarbeit von Niepel vgl. Fußnote 99. 125 Brand und Hammer erarbeiten ihre Ergebnisse zur Frage nach Veränderungen von Lebenslagen und Lebensformen am Beispiel der Gruppe der Alleinerziehenden auf der Grundlage einer mehrdimensionalen Methodenkombination. Diese umfasst unterschiedliche quantitative und qualitative Erhebungsformen wie z. B. eine postalische Erhebung, biographische und leitfadengestützte Interviews, Gruppendiskussionen und ExpertInneninterviews. 126 Diese von Brand und Hammer vorgelegten Zahlen basieren auf der postalischen Befragung, die ein Sample von 649 auswertbaren Fragebögen lieferte.
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Umstände und weniger als treibende, aktive Kraft sehen als die allein erziehenden Frauen. (Nave-Herz und Krüger 1992: 69). An der Beziehung zur Mutter der Kinder wird selbst dann lange festgehalten, wenn die Beziehungssituation als ausgesprochen unglücklich beschrieben wird (Stiehler 2000: 147)127. Auch bei dem Wunsch nach neuer Partnerschaft gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Bei manchen der ledigen Frauen ist „ein Wandel von Heiratsverweigerung zur Heiratsakzeptanz“ (Nave-Herz und Krüger 1992: 103) festzustellen. Die Mehrzahl der geschiedenen Frauen hingegen schließt für sich die Ehe als zukünftige Lebensform zu Gunsten freierer Beziehungskonzepte aus, sieht die Ein-Elter-Familie jedoch keineswegs als ideale Lebensform. Allein erziehende Väter sind tendenziell stark orientiert auf eine neue Beziehung und wünschen sich oftmals nicht-eheliche Lebensgemeinschaften (ebd.). Ein auffälliger geschlechtsspezifischer Unterschied liegt in der bei allein erziehenden Männern weit verbreiteten Definition des Alleinerziehens als „Übergangsstadium“ (Stiehler 2000: 65). Stiehler konstatiert eine Grundtendenz allein erziehender Väter, die Veränderung äußerer Bedingungen abzulehnen. Dies zeigt sich u. a. darin, dass sie selten bereit sind, Wohn- und Arbeitsort für eine neue Partnerschaft aufzugeben (ebd.: 149), selbst dann nicht, wenn dies durch die Lebensbedingungen der Partnerin notwendig wäre. Niepel sieht einen Geschlechtsunterschied in den Sozialkontakten in der größeren Schwierigkeit allein erziehender Frauen, „soziale Kontakte, welche über Müttergruppen hinausgehen, zu schließen“ (Niepel 1994a: 89). Besonders schwer sei es für sie im Unterschied zu allein erziehenden Männern, eine neue Partnerschaft zu finden (ebd.: 90). Obwohl allein erziehende Väter also weniger Kompromisse für eine Partnerschaft eingehen, ist es für sie im Vergleich zu allein erziehenden Müttern leichter, eine solche zu finden. Zusammenfassend lässt sich hier feststellen, dass sich vor allem Frauen aus dem traditionellen Arrangement der heterosexuellen Partnerschaft lösen und dass dies tendenziell eher ein Resultat der Unzufriedenheit mit dieser Lebensform zu sein scheint als eine Präferenz für die Ein-Elter-Familie. Allein erziehende Mütter, welche die Initiative zur Trennung aus der heterosexuellen Zwei-ElternFamilie ergriffen haben, sind tendenziell sozialen Sanktionen in Form von verweigerten Hilfeleistungen ausgesetzt. Wenngleich sie die Lebensform des Alleinerziehens nicht idealisieren, sehen sie im Unterschied zu den allein erziehenden Vätern das Alleinerziehen weniger als Übergangsstadium an.
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Stiehler bearbeitet die Frage nach Sozialisation und Lebensführung allein erziehender Väter auf der Grundlage des deutschsprachigen Forschungsstandes und 20 qualitativen Interviews.
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Anzahl und Alter der Kinder Der Alltag von Familien ist abhängig vom Alter und der Anzahl der zu versorgenden Kinder. Die Mehrheit der Ein-Elter-Familien in West wie Ost sind EinKind-Familien (Engstler und Menning 2003:41). Allerdings lassen sich Veränderungen über die Zeit hinweg feststellen. „Ein Strukturvergleich der Alleinerziehenden-Haushalte in den Zeitbudgeterhebungen 1991/92 und 2001/02 zeigt deutliche Veränderungen: So hat der Anteil der Haushalte, in denen das jüngste Kind zwischen 6 und 18 Jahren ist, deutlich zugenommen, und zwar von 66% auf 71%. Zugleich hat der Anteil der Haushalte 128 mit mehr als einem Kind von 39% auf 46% zugenommen.“ (Kahle 2004: 190)
Das Alter und die Anzahl der Kinder beeinflussen in hohem Maße die Chancen zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Vor allem im Westen wird, aufgrund der fehlenden Kinderbetreuungseinsrichtungen (siehe Kap. 3.5), bei kleinen Kindern Berufstätigkeit zum Problem. Die Erwerbsquote steigt jedoch mit zunehmendem Alter der Kinder, parallel zum vorhandenen Angebot institutioneller Kinderbetreuung. Niepel stellt fest, dass trotz größerer Schwierigkeiten beim Management der alltäglichen Zeitkoordination erheblich mehr allein erziehende Mütter mit kleinen Kindern erwerbstätig sind als verheiratete Mütter. Mit Eintritt der Kinder in Kindergarten- und Schulalter steigt die Zahl der erwerbstätigen Alleinerziehenden weiter an. Allerdings sinkt die Erwerbsquote Alleinerziehender mit zunehmender Kinderzahl (Niepel 1994a: 69). Allein erziehende Väter leben häufiger mit älteren, bereits schulpflichtigen Kindern zusammen als allein erziehende Mütter, insbesondere die Altersgruppe der 15-18 Jährigen ist hier überdurchschnittlich vertreten (Kahle 2004: 179). In der DDR waren die Mütter bei der Geburt des ersten Kindes im Durchschnitt erheblich jünger als in der BRD (Drauschke und Stolzenburg 1995: 15)129. Jedoch wirkte sich die Unsicherheit über die weitere gesellschaftliche Entwicklung dahingehend aus, dass sich der Zeitpunkt der Geburt des ersten 128
Kahle arbeitet auf der Grundlage des aktuellen deutschen Forschungsstandes zu Alleinerziehenden. Ihre Arbeit basiert insbesondere auf einer Analyse der durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebenen Zeitbudgeterhebung zur alltäglichen Zeitstruktur und Zeitverwendung Alleinerziehender. 129 Drauschke und Stolzenburg untersuchten die Veränderungen der Lebenssituation von MutterFamilien in Ostberlin nach der Wende aus arbeitsmarkt- und sozialpolitischem Blickwinkel. Sie arbeiteten mit einer Methodenkombination aus vorgelagertem Fragebogen, gefolgt von 20 biographischen Interviews. Das Sample der Untersuchung von Drauschke und Stolzenburg bestand aus 356 auswertbaren Fragebögen und 20 Interviews.
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Kindes im Laufe der ersten zehn Jahre nach der Wende um ca. zehn Jahre nach hinten verschob (ebd.: 130).
4.3 Strukturelle Bedingungen und ökonomische Situation In diesem Abschnitt wird auf den Zusammenhang zwischen institutioneller Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit eingegangen. Daran anschließend wird der Forschungsstand zur ökonomischen Situation und zur Wohnsituation Alleinerziehender dargestellt.
Institutionelle Kinderbetreuung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf Wie bereits erwähnt, stellt die Bereitstellung öffentlicher Kinderbetreuungseinrichtungen die Basis für die Erwerbstätigkeit von Alleinerziehenden dar.130 Nach wie vor besteht jedoch - vor allem im Westen - eine große Diskrepanz zwischen Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt und Öffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen. So ist zwar der seit dem 1. Januar 1996 bestehende Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab dem vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt131 zu begrüßen: Immerhin kamen so 1998 im Bundesdurchschnitt „auf 100 Kinder im Alter von drei bis unter 6 Jahren 105 Kindergartenplätze. Der Versorgungsgrad reichte von 76,5 Prozent in Hamburg bis 153 Prozent in Thüringen“ (Engstler/Menning 2003:119).
Möglichkeiten der Ganztagsbetreuung gibt es jedoch nach wie vor viel zu wenig: „Der Anteil der Kindergarten-Ganztagsplätze lag Ende 1998 lediglich bei 29,4 Prozent (18,8 % in Westdeutschland, 97,7 % in Ostdeutschland)“ (ebd.:120). Die hier deutlich werdende Diskrepanz zwischen West- und Ostdeutschland zeigt sich noch gravierender bei der Versorgung der 0-3 Jährigen: Der Versorgungsgrad mit Krippenplätzen lag 1998 für Gesamtdeutschland durchschnittlich bei 10,4 Prozent und „erstreckte sich von 2 Prozent in Baden-Württemberg und Bayern bis 79 Prozent in Brandenburg“ (ebd.). Keinen Zugang zu institutioneller Kinderbetreuung zu haben erhöht für alle diejenigen, die für die familiäre 130
Dies gilt auch für Eltern in Zwei-Eltern-Familien, in denen beide Erwachsenen arbeiten wollen oder müssen. Für Alleinerziehende ist die Abhängigkeit von Kinderbetreuungseinrichtungen im Vergleich jedoch existentieller. 131 Kinder- und Jugendschutzgesetz (§ 24 Abs. 1 SGB VIII).
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Betreuung von Vorschulkindern verantwortlich sind, das Risiko der Dequalifizierung und der Langzeitarbeitslosigkeit. Der fehlende Ausbau von zeitlich flexibler Ganztagskinderbetreuung im Westen führt zu enormen Organisations- und Zeitproblemen für Alleinerziehende. Die Ergebnisse der Studie von Schneider et al. (2001) belegen, dass „die geringe Flexibilität der Betreuungseinrichtungen private Betreuung zur unabdingbaren Ergänzung macht“ (Schneider et al. 2001: 245).132 Die Praxis der Bevorzugung von Alleinerziehenden bei der Vergabe von Kindergartenplätzen entspricht zwar einerseits deren existentiellerem Bedarf, kann sich aber in Bezug auf soziale Kontakte ungünstig auswirken, da durch diese Vergabepraxis Neidgefühle auf Seiten von Zwei-Eltern-Familien geweckt werden. Ein weiteres Problem stellen Betreuungskosten dar: Sie variieren erheblich nach Ländern, Kommunen und Trägern und sind teilweise sehr hoch (DJI 2002: 31)133. Gerade für Kinder aus Familien mit finanziellen Problemen ist jedoch die soziale Integration in Krippe, Kindergarten oder Hort von großer Bedeutung.
Die ökonomische Situation Einem weit verbreiteten Vorurteil zufolge lebt ein großer Teil der Alleinerziehenden von Sozialhilfe (inzwischen: Arbeitslosengeld II)134. Nach einer Untersuchung von Schewe aus dem Jahr 2002 beziehen jedoch nur ungefähr ein Drittel aller Alleinerziehenden laufende Hilfe zum Lebensunterhalt und von diesem Drittel „bleibt in 43,2 Prozent der Fälle die Bezugsdauer unter einem Jahr“ (Schewe 2002: 71)135. Zwei Drittel der allein erziehenden Sozialhilfeempfänger bezogen Schewe zufolge Anfang des zweiten Jahrtausends nur ergänzende Sozialhilfe. Andere Forschungsarbeiten kommen zu ähnlichen Zahlen: „Sozialhilfe ist für 10%, Arbeitslosengeld oder –hilfe nur für 5% der Befragten die Hauptquelle der monatlichen Einkünfte“ (Schneider et al. 2001: 129). Die durchschnittliche Bezugsdauer von Sozialhilfe durch Ein-Elter132 Es ist zu hoffen, dass bei den aktuellen politischen Bemühungen um eine Ausweitung der Ganztagsbetreuung im Westen angesichts leerer Kassen das Kriterium der Qualität nicht in den Hintergrund gedrängt wird. 133 In diesem DJI – Zahlenspiegel wurden Daten zu Tageseinrichtungen für Kinder zusammengetragen. 134 Seit den mit der Einführung von Hartz IV verbundenen Umstellungen im Jahr 2005 erhält ein Großteil ehemaliger Sozialhilfeempfänger das so genannte Arbeitslosengeld II. Diese Umstellung ändert jedoch nichts an den inhaltlichen Aussagen der angeführten Untersuchungen. 135 Auf der Basis unterschiedlichen Datenmaterials analysiert Schewe, mit welchen Bau-steinen der Existenzsicherung Alleinerziehende ihren Lebensunterhalt sichern.
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Familien lag bei 22,1 Monaten und diese knappen zwei Jahre lagen in der Regel in den ersten zwei Jahren der Elternschaft. Damit wurden staatliche Bezüge vor allem in der Elternzeit, früher Erziehungsurlaub, in Anspruch genommen, ein Zeitraum, in dem das Elterngeld die Existenzsicherung nicht leistet136 und institutionelle Kinderbetreuungsmöglichkeiten - im Westen - kaum vorhanden sind (Schewe 2002: 71). Alleinerziehende beziehen Sozialhilfe also maßgeblich in zwei Lebenssituationen: Wenn ihre Kinder noch sehr klein sind oder ergänzend, wenn das Erwerbseinkommen nicht ausreicht die entstehenden Kosten zu decken. Obwohl der größte Teil der Alleinerziehenden arbeitet, sind Ein-ElterFamilien überdurchschnittlich von Armut137 betroffen: „Ein knappes Drittel aller Einelternfamilien (30,1%) war 1998 arm, 13 Prozent aller Paar-Familien; in der Gesamtheit aller Haushalte waren es 9,5 Prozent. In prekärem Wohlstand lebten 69,7 Prozent der Einelternfamilien, 47 Prozent der Paarfamilien und etwa ein Drittel (32,3%) der Gesamtheit aller Haushalte.“ (Schewe 2002: 66)
Für die 10% der Alleinerziehenden, für die staatliche Unterstützung die Hauptquelle ihrer monatlichen Einkünfte ist, sowie für den relativ hohen Anteil berufstätiger Alleinerziehender an der Armutsgrenze ist festzustellen, dass ihre ökonomisch schwierige Situation in besonderem Maße zu sozialer Isolation der Familie führen kann, dass sie also einem erhöhten Deprivationsrisiko ausgesetzt sind (vgl. Napp-Peters 1987)138. Die Beteiligung am kulturellen Leben ist grundsätzlich mit Kosten verbunden. Ist das Geld knapp, so beginnen die Schwierigkeiten oftmals schon mit der Finanzierung öffentlicher Verkehrsmitteln. Nach den zu hohen Kosten für Kinderbetreuung liegt in der überdurchschnittlich hohen Armut Alleinerziehender eine zweite Ursache für die Ausgrenzung aus sozialen Interaktionen. Von allen Haushaltstypen weisen „allein erziehende Frauen mit Abstand die höchste Sozialhilfequote“ auf (Brand/Hammer 2002: 14). Alleinerziehende sind also „eine in besonderem Maße von materiellen Risiken betroffene 136
Genau an diesem Missstand sollte mit der zum 01.01.2007 eingeführten Erneuerung des Elterngeldes angesetzt werden. Nun richtet es sich nach dem Einkommen. Diese Erneuerung bedeutet allerdings für gering Verdienende eine Kürzung. 137 Diese Zahlen beziehen sich auf eine relative Definition von Armut, nach der „arm ist, wer weniger hat als die Hälfte des Durchschnitts-Nettoeinkommens. In prekärem Wohlstand lebt, bzw. ein niedriges Einkommen bezieht, wer weniger als 75 Prozent des Durchschnitts hat“ (Schewe 2002: 65). 138 Napp-Peters untersuchte Selbstkonzepte und Rollenverständnisse Alleinerziehender im Zusammenhang mit Konflikten bei der Vereinbarung von Beruf und Familie und mit der materiellen Situation der Familien. Dabei wurde mit den Methoden der teilstandardisierten Umfrage, dem strukturierten Interview (Samplegröße: 485) und Inhaltsanalysen von Tagebüchern gearbeitet.
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Bevölkerungsgruppe.“ (Schneider et al. 2001: 129) Ein Großteil aller allein erziehenden Frauen erzielt trotz Erwerbstätigkeit ein Einkommen, mit dem sie kaum über die Armutsschwelle gelangen (Niepel 1994a: 68). Der Anteil Alleinerziehender an der Gruppe der ‚Working Poor’, also derer, die in schlecht bezahlten, ungesicherten Arbeitsverhältnissen (zumeist im Dienstleistungsbereich) beschäftigt sind, ist besonders hoch. Dabei geht es den Ein-Elter-Familien im Osten materiell etwas besser, als jenen im Westen: „Bei Ein-Eltern-Haushalten (…) machen die Armutsraten im Westen 42 Prozent, im Osten 36 Prozent aus.“ (Brand/Hammer 2002: 14) Dieser Unterschied wird in erster Linie mit den Möglichkeiten der Kinderganztagsbetreuung in Ostdeutschland zusammenhängen. Aber auch die in Kapitel drei dargestellte größere Selbstverständlichkeit bei der Vereinbarung von Mutterschaft mit Erwerbstätigkeit mag hier eine Rolle spielen. Wie bereits im 3. Kapitel erwähnt wurde, sind allein erziehende Mütter in weitaus stärkerem Maße von ökonomischen Notlagen betroffen als allein erziehende Väter (zus. fass.: Niepel 1994a: 61ff.). Trotzdem sollte mit pauschalisierenden Aussagen, nach denen allein erziehende Väter keine ökonomischen Probleme haben, zurückhaltend umgegangen werden, da es sich bei den vorhandenen Zahlen um Durchschnittswerte handelt. Die Armut Alleinerziehender ist auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen. Für allein erziehende Frauen gilt, dass es für sie zusätzlich zu „den generellen Problemkonstellationen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt“ (Brand und Hammer 2002: 20) „auf Grund der strukturellen Schwäche und Anfälligkeit dieser Lebensform zu kumulativ verstärkten Erschwernissen“ (ebd.: 21) kommt. So kann z. B. ein längerer Arbeitsweg die gesamte Organisation eines Familiengefüges einer Ein-Elter-Familie auf den Kopf stellen. Als starker struktureller Faktor in Hinsicht auf Erwerbstätigkeit und Einkommen lässt sich die schulische und berufliche Qualifizierung ausmachen: „… je geringer das Qualifizierungsniveau, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Alleinerziehenden nicht erwerbstätig sind“ (Schneider et al. 2001:130). Eine besondere Risikogruppe mit erhöhtem Unterstützungsbedarf stellen sehr junge Alleinerziehende ohne Berufsausbildung dar. Alleinerziehende sind Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt, die sich u. a. darin zeigen, dass Bewerbungen aufgrund der Familiensituation abgelehnt oder Alleinerziehende im Arbeitsprozess verstärktem Druck ausgesetzt werden (Drauschke und Stolzenburg 1995: 38). „Krankheit oder ein notwendiger Kuraufenthalt sind im Arbeitsablauf nicht vorgesehen und können den Verlust des Arbeitsplatzes bedeuten.“ (ebd.: 124) Einer der Stressfaktoren, dem erwerbstätige allein erziehende Frauen ausgesetzt sind, ist die Sorge, ihre Arbeit bei Krankheit des Kindes zu verlieren. Dies betrifft in besonderem Maße Alleinerziehende in 154
prekären Beschäftigungsverhältnissen (Fischer 1998: 28).139 Drauschke und Stolzenburgs Arbeit zu allein erziehenden Frauen in Ostberlin ergab, dass fast 50% der Frauen ihres Samples die Befürchtung aussprachen, bei Krankheit ihres Kindes gekündigt zu werden (Drauschke und Stolzenburg 1995: 41). Die Flexibiliätsanforderungen des Arbeitsmarktes stellen für Alleinerziehende ein noch umfangreicheres Problem des Alltagsmanagements dar als für Zwei-Eltern-Familien. Trotz dieser Schwierigkeiten sind allein erziehende Mütter im Vergleich zu verheirateten Müttern zu einem größeren Teil erwerbstätig. Sie arbeiten öfter in Vollzeit (Kahle 2004: 181) und ihre Arbeitszeiten sind häufiger im Schichtdienst, liegen also ungünstiger (Niepel 1994a: 70). Besonders von ostdeutschen Frauen und noch mal verstärkt von den Alleinerziehenden unter ihnen wird der „ungebrochene Wunsch nach Erwerbstätigkeit“ (Drauschke und Stolzenburg 1995: 18) geäußert. „Auch nach 11 Jahren Bundesrepublik wird Sozialhilfebezug bei ostdeutschen allein erziehenden Frauen nicht als Normalität und Rechtsanspruch betrachtet, sondern als Demütigung und Ausdruck ihrer Notlage.“ (Drauschke 2002: 128)
Alleinerziehende “sind bereit, Umschulungen und Fortbildungen zur Verbesserung ihrer Arbeitsmarktchancen zu nutzen, lassen sich dequalifizieren, sind flexibel bis zu einem Grad, dass sie erhöhte Belastungen für sich und ihre Kinder in Kauf nehmen, um Arbeit zu erhalten oder wiederzuerlangen.“ (Drauschke und Stolzenburg 1995: 142)
Dabei ist davon auszugehen, dass eine Arbeit unterhalb der erworbenen Qualifikation Unzufriedenheiten in Form der von Levy beschriebenen Rangspannungen mit sich bringt. Gleichwohl stellen die ökonomisch abgesicherten Ein-Elter-Familien keinesfalls eine Ausnahme dar: Nach Brand/Hammer liegt die Zahl der Alleinerziehenden, welche überdurchschnittliche Einkommen haben, über der Zahl derer, die an der Armutsgrenze leben. Der große Einsatz an Lebenszeit und Energie, den Alleinerziehende erbringen, um die ökonomische Unabhängigkeit ihrer Familie zu sichern, führt – auf die gesamte Gruppe bezogen – jedoch nicht zu entsprechender finanzieller Anerkennung: Das Durchschnittseinkommen Alleinerziehender liegt nicht nur in 139
Das Forschungsprojekt von Fischer behandelt das Thema der Zeiterfahrungen und Zeitkonflikte Alleinerziehender auf der Grundlage von 21 leitfadenorientierten Tiefeninterviews mit 19 allein erziehenden Frauen und 2 allein erziehenden Männern.
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Deutschland erheblich unter dem von Zwei-Eltern-Familien. Dieser Umstand trifft auf alle europäische Staaten zu, erstaunlicherweise auch auf die skandinavischen, welche für ihre qualitativ besonders hochwertigen Sicherungssysteme bekannt sind (Niepel 1994a: 64). Es ist zu vermuten, dass eine kulturelle Deutung der institutionell begründeten Unvereinbarkeit von Familie und Beruf im Sinne dichotom besetzter Mütterlichkeit und Väterlichkeit (siehe Kap.2 und 3) zur Konstruktion bzw. Bestätigung einer Sicht auf Ein-Elter-Familien als ‚natürlicherweise defizitäre’ Lebensform führen kann.
Wohnsituation Aufgrund Vorurteils- behafteter Einstellungen von Vermietern sind Alleinerziehende auf dem deutschen Wohnungsmarkt Diskriminierungen ausgesetzt (Swientek 1984: 50)140 und haben „Schwierigkeiten, eine angemessene und bezahlbare Wohnung zu finden“ (Krüger und Micus 1999: 9)141. Kommt die EinElter Familie durch eine Trennung zu Stande, so müssen die Alleinerziehenden in der Regel eine neue Wohnung suchen, da der Verbleib in der bisherigen Wohnung aufgrund der sich zumeist verschlechternden ökonomischen Situation nicht möglich ist. Unter anderem durch den in dieser Lage häufig großen Zeitdruck bei der Wohnungssuche sowie die Praxis der Mietprogression bei Mietwechsel zahlen Alleinerziehende überdurchschnittlich hohe Mieten. Zugleich sind sie überrepräsentiert im sozialen Wohnungsbau und in sozialen Brennpunkten und verfügen seltener über Wohnungseigentum (Krüger und Micus 1999: 59; zus. fass. Niepel 1994a: 74). Die Wohnungen Alleinerziehender sind häufig so klein, dass nicht jedes Familienmitglied ein eigenes Zimmer hat. „Rund 25 Prozent der Alleinerziehenden steht kein separates Kinderzimmer zur Verfügung.“ (Krüger und Micus 1999: 60) Grundsätzlich gilt, dass die Wohnsituation ein wesentliches Element subjektiver Lebenszufriedenheit darstellt. Für Alleinerziehende trifft dies in besonderem Maße zu. Ein Leben mit kleinen Kindern bringt es mit sich, dass viel Zeit in der Wohnung verbracht wird. Solange die Kinder nicht alleine zu Hause bleiben können, müssen Alleinerziehende in der Regel auch abends zu 140
Swientek beschreibt basierend auf dem Forschungsstand zu Alleinerziehenden deren Lebenssituation und untersucht die Arbeit von Selbsthilfeinitiativen und kirchlichen Gruppen, die sich die Unterstützung Alleinerziehender zum Ziel gemacht haben. 141 Auf der Grundlage einer integrierten Zusammenfassung des quantitativen wie qualitativen neueren Forschungsstandes wurde von Krüger und Micus die Heterogenität der Gruppe der Alleinerziehenden herausgearbeitet.
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Hause bleiben. Gelingt eine Organisation des Wohnens, bei der die Beaufsichtigung der Kinder unter mehreren Erwachsenen in einer Wohnung oder in einem Haus aufgeteilt werden kann, so erweitert sich hierdurch der potentielle Aktionsradius Alleinerziehender erheblich. Hier deutet sich bereits die Bedeutung sozialer Netzwerke an, welche im folgenden Abschnitt genauer beschrieben wird.
4.4
Unterstützende Strukturen
Vor allem Alleinerziehende mit kleinen Kindern sind auf private und institutionelle Unterstützung angewiesen, um Geld verdienen oder auch mal alleine weggehen zu können. Besonders dringend werden Unterstützungsleistungen in besonderen Situationen wie eigener Krankheit, Krankheit des Kindes bzw. der Kinder oder auch bei Umzügen benötigt. In den folgenden Abschnitten wird den Fragen nachgegangen, welche Bedeutung private und institutionelle Unterstützung für Ein-Elter-Familien hat und in welchem Ausmaß sie diese Hilfe erhalten.
Private Unterstützung Der Übergang in die Einelternschaft ist in der Regel durch weitreichende Veränderungen im sozialen Netzwerk gekennzeichnet.142 Alte Freundschaften gehen auseinander und neue Kontakte kommen hinzu. Neben dem menschlichen Grundbedürfnis, in Kontakt zu treten, haben soziale Netzwerke für Alleinerziehende noch andere und besondere Bedeutungen. Sozialer Unterstützung kommt eine Schlüsselstellung für die Bewältigung der Lebenssituation des Alleinerziehens zu. Diese muss allerdings den Bedürfnissen der Ein-ElterFamilie quantitativ und qualitativ entsprechen (Schneider et al. 2001: 261). Der Alltag erwerbstätiger Alleinerziehender ist aufgrund der dreifachen Belastung durch Erwerbs-, Haus- und Erziehungsarbeit durch einen Mangel an persönlicher Zeit gekennzeichnet, der die Gefahr sozialer Isolation143 in sich 142
Unter privaten sozialen Netzwerken werden Kontakte zu Familie und FreundInnen, sowie NachbarInnen, Bekannten und KollegInnen verstanden. Vereinsmitgliedschaften und Ähnliches werden nur insofern mitberücksichtigt, als sie zu privaten Kontakten führen. 143 Soziale Isolation lässt sich nicht rein quantitativ erfassen, sondern ist auch von subjektiven Präferenzen und dem jeweiligen Lebensstil bestimmt. Diewald unterscheidet einerseits soziale Isolation als das Fehlen von Geselligkeit bzw. Kontakten zur gemeinsamen Freizeit-Gestaltung und andererseits emotionale Isolation, worunter Defizite an stabilen Freundschafts- oder Verwandtschaftsbeziehungen, in denen Probleme besprochen werden können, gefasst werden (Diewald 1991).
157
birgt. Erwerbslose Alleinerziehende verfügen zwar über mehr persönliche Zeit, sind aber gleichzeitig auch von dem mit Erwerbsarbeit verbundenen sozialen Leben ausgeschlossen. Die besonderen Funktionen sozialer Netzwerke für Alleinerziehende lassen sich in emotionale, informative und praktische Unterstützung unterteilen. Dabei hilft die emotionale Unterstützung bei der Bewältigung von im Leben mit Kindern zwangsläufig auftauchenden Fragen und Unsicherheiten. Der Austausch von Informationen über Wohnungen, Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen, Weiterbildungsmöglichkeiten sowie die gegenseitige Unterstützung im Umgang mit Sozial- und Arbeitsamt kann gerade an Übergängen im Lebensverlauf entscheidend für die Wahl der einen oder anderen Option sein. Nicht zuletzt bezieht sich praktische Unterstützung auf gegenseitige Kinderbetreuung im Austausch mit anderen Eltern bzw. auf Kinderbetreuung durch Verwandte oder FreundInnen. Auch finanzielle und materielle Unterstützungsleistungen sind bedeutsam (Niepel 1994a: 109ff.). Studien zu Einflüssen sozialer Netzwerke auf das Leben Alleinerziehender haben ergeben, dass - zusätzlich zu ökonomischen Faktoren - soziale Unterstützung einen wesentlichen Aspekt für Herstellung und Beibehaltung subjektiven Wohlbefindens darstellt (vgl. zusammenfassend: Niepel 1994a: 120). Allerdings kann soziale Unterstützung auch zur Belastung werden, wenn die Beziehungen zu den unterstützenden Personen nicht geklärt, bzw. Problembelastet sind (Schneider et al. 2001: 261). In ungleichgewichtigen Unterstützungsverhältnissen werden von Seiten der Unterstützer häufig im Gegenzug Ansprüche auf anderen Ebenen der Interaktion, z. B. auf Einmischung in Erziehungs- oder andere wichtige Fragen der Lebensgestaltung erhoben. Besonders in „dichten, verwandtschaftlichen Netzwerken“ besteht die „Gefährdung der Autonomie der Alleinerziehenden“ durch „Abhängigkeit von Unterstützungsleistungen“ (Niepel 1994a: 126). So können Unterstützungsleistungen „unter bestimmten Voraussetzungen zu einer zusätzlichen Stressquelle für Alleinerziehende“ werden (Schneider et al. 2001: 275). „Alleinerziehende müssen häufig für die erhaltene Unterstützung mit einer Einschränkung ihrer Freiheit, mit einer Fremdkontrolle über ihre Lebensführung, mit einem verminderten Selbstwertgefühl und einer Überlastung durch Unterstützungsleistungen, die sie selbst für andere erbringen müssen, bezahlen.“ (Nestmann und 144 Stiehler 1998: 93)
144
In der Arbeit von Nestmann und Stiehler zu Ressourcendimensionen des Alleinerziehens wird ein Ost / West Vergleich ebenso wie ein Vergleich zwischen Frauen und Männern unternommen. Eine eigens erstellte Studie zu sozialen Netzwerken Alleinerziehender in Form von qualitativen Interviews
158
Die oben erwähnte Ungleichgewichtsspannung, durch welche private Hilfeleistungen erst nötig werden, kann also zu neuen Abhängigkeiten im privaten sozialen Umfeld führen. Daher ist die Balance zwischen den Bedürfnissen der Ein-Elter-Familie und Art und Umfang der erhaltenen Unterstützung ein entscheidender Aspekt für ein dauerhaftes Bestehen sozialer Netzwerke. Alleinerziehende achten sehr auf die Reziprozität von Unterstützungsleistungen (Niepel 1994a: 126). Diese Gegenseitigkeit ist wichtig zur Vermeidung von Abhängigkeitsgefühlen und zur Bewahrung des Selbstbewusstseins, birgt aber gleichzeitig die Gefahr einer erneuten Überlastung der Alleinerziehenden.145 So vielfältig sich die Gruppe Alleinerziehender darstellt, so wenig kann von ‚typischen Netzwerken Alleinerziehender’ gesprochen werden. Vielmehr zeigt sich auch hier ein äußerst heterogenes Bild mit einer breiten Palette von überdurchschnittlich guten Fähigkeiten zum Aufbau von Netzwerken bis zu großen Problemen bei der Initiierung und Aufrechterhaltung sozialer Kontakte. Über ein tendenziell größeres Netzwerk verfügen Alleinerziehende mit kleinen Kindern. Auch ein hoher Bildung- und Berufsstatus lässt die Chancen auf ein intaktes soziales Netzwerk steigen (Niepel 1994a: 155). Alleinerziehende Väter erhalten weniger Unterstützung als allein erziehende Mütter (Nestmann und Stiehler 1998: 229; Schneider et al. 2001: 261). Diese Unterstützung ist auch weniger vielfältig, allein erziehenden Vätern kommt jedoch größere Wertschätzung aus ihrem sozialen Umfeld zu (Brand und Hammer 2002: 139).146. Die geringeren Unterstützungsleistungen für allein erziehende Männer müssen unter Berücksichtigung des durchschnittlich höheren Alters ihrer Kinder (s. o.) und des daher niedrigeren Unterstützungsbedarfs interpretiert werden. Die trotz dieses Faktums größere Wertschätzung weist auf den Fortbestand traditioneller Geschlechtsrollenbilder hin: Allein erziehende Väter werden nach wie vor als Besonderheit angesehen. Die Art und Weise sozialer Kontakte scheint sich zwischen allein erziehenden Männern und Frauen durch eine größere Funktionalität der Beziehungen der Männer (gemeinsame Gestaltung der Freizeit) und tiefere emotionale Bindungen der Frauen zu unterscheiden (Niepel 1994a: 127). Während verwitwete allein erziehende Frauen einerseits mehr soziale Untermit je 20 allein erziehenden Frauen und Männern in Sachsen wird mit bereits bestehenden Forschungsergebnissen zu Alleinerziehenden in Nordrhein-Westfalen verglichen. 145 Niepel bezieht sich hier auf Studien, denen zu Folge „Alleinerziehende z. T. mehr Unterstützung leisten, als sie zurück erhalten. Diese Studien identifizieren diese Asymmetrie als einen wesentlichen Belastungsfaktor in der Lebenssituation der Alleinerziehenden“ (Niepel 1994: 126). 146 Brand/Hammer weisen jedoch auf eine mögliche Verzerrung dieses Untersuchungsergebnisses hin, welcher durch einen geschlechtsspezifischen Bias zu Stande kommen kann, wonach Frauen im Vergleich zu Männern dazu neigen, personale Unterstützung eher über zu bewerten (Brand und Hammer 2002: 154).
159
stützung erhalten als auf eigene Initiative getrennte, sind sie doch andererseits wie diese von der Stigmatisierung allein lebender Menschen betroffen (siehe Krüger 1990). Brand und Hammer stellen fest, dass Alleinerziehende in Lebensgemeinschaften mehr soziale Unterstützung erhalten als Alleinerziehende ohne Partnerschaft (Brand und Hammer 2002: 139). Die hier zu Tage tretenden Ausgrenzungstendenzen einer Paar- dominierten Gesellschaft gegenüber Alleinlebenden (Krüger 1990) zeigen sich darin, dass Kontakte zu Paaren nur schwer aufgebaut bzw. aufrecht erhalten werden können (Niepel 1994a: 143). Wer leistet die Unterstützung Alleinerziehender? In der Regel stellt die Herkunftsfamilie die Hauptquelle von Unterstützungsleistungen dar, insbesondere was Hilfeleistungen in Notsituationen betrifft, danach folgen Freunde (Niepel 1994a: 121). Nachbarn, Bekannte und Kollegen spielen keine große Rolle (Nestmann und Stiehler 1998: 258). Einigkeit besteht in der Alleinerziehendenforschung darüber, dass eine „Überrepräsentation von weiblichen Unterstützern im Netzwerk“ zu konstatieren ist (Brand und Hammer 2002; Nestmann und Stiehler 1998: 229; Schneider et al. 2001). Gleichzeitig betonen Nestmann und Stiehler, dass jene Männer, die Unterstützungsleistungen erbringen, dies eher für andere Männer als für Frauen tun, „was (…) die generelle These einer tendenziellen Geschlechterentsprechung in informellen Hilfebezügen unterstützt“ (Nestmann und Stiehler 1998: 229). Der Transformationsprozess in Ostdeutschland brachte für die Menschen dort einschneidende Veränderungen in der Struktur ihrer sozialen Beziehungen mit sich. „Forschungen über soziale Beziehungen alleinerziehender Mütter und Väter in den neuen Bundesländern zeigen, dass sich die persönlichen sozialen Beziehungen ostdeutscher alleinerziehender Mütter und Väter seit der ‚Wende’ verändert haben.“ (Schneider et al. 2001: 269)
Viele Menschen verloren mit der Abwicklung ihrer Arbeitskollektive nicht nur den Arbeitsplatz, sondern auch den bisher wichtigsten sozialen Bezugspunkt. Der Charakter von Arbeit veränderte sich. Ökonomische Aspekte gewannen eine vorrangige Bedeutung vor sozialen Bezügen, was zu größerer Vereinzelung führte (vgl.: auch Drauschke und Stolzenburg 1995: 117). Gleichzeitig scheint ein selbstverständlicher Umgang mit der Lebensform der Ein-Elter-Familie nachhaltig fortzubestehen, denn „westdeutsche Alleinerziehende geben häufiger als ostdeutsche an, mehr Unterstützung zu benötigen“ (Schneider et al. 2001: 270). Hier muss allerdings auch berücksichtigt werden, dass der nach wie vor äußerst unzureichende Ausbau institutioneller Kinderbetreuung in den alten Bundesländern (siehe 4.3) private Unterstützung dringender notwendig macht.
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Private Kontakte können sich auch negativ auswirken: Swientek betont den Einfluss von Erwartungen der sozialen Umwelt auf die Handlungsmöglichkeiten und das Wohlbefinden Alleinerziehender und ihrer Kinder (Swientek 1984: 108). Negative Selbstbilder, die aus dieser interaktiven Dynamik entstehen, können sich beeinträchtigend auswirken.
Institutionelle Unterstützung Sowohl Schneider und seine KollegInnen (Schneider et al. 2001: 247) als auch Brand/Hammer (Brand und Hammer 2002: 150) kommen bei der Frage nach dem Ausmaß institutioneller Unterstützung zu dem Ergebnis, dass ungefähr die Hälfte aller Alleinerziehenden keinerlei Unterstützung durch Institutionen erhält. Die vorhandene bzw. wahrgenommene Unterstützung betrifft nach Brand/Hammer „folgende Dimensionen in dieser Reihenfolge: 1. finanzielle Unterstützung, 2. Information, 3. Kinderbetreuung, 4. Wertschätzung, 5. emotionale Unterstützung“ (Brand und Hammer 2002: 150).
Die von Brand und Hammer gestellte Frage nach den verschiedenen Dimensionen institutioneller Unterstützung in Bezug auf persönliche und soziodemographische Merkmalen ergab, dass Alleinerziehende mit kleinen Kindern die meiste finanzielle Unterstützung und Unterstützung bei der Kinderbetreuung – entsprechend ihrem höheren Bedarf – erhalten. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass auch heute noch „Verwitwete (…) etwas mehr Wertschätzung als der Durchschnitt“ (Brand und Hammer 2002: 152) bekommen. Dies weist darauf hin, dass die vom institutionellen Umfeld angenommene ‚Schuldlosigkeit’ der Alleinerziehenden an ihrer Lebenssituation zu größerer Anerkennung führt, womit ein Hinweis auf den Fortbestand abwertender Haltungen gegenüber der selbst gewählten Lebensform der Ein-Elter-Familie gegeben ist. In Bezug auf die Kategorie Geschlecht ergab die Untersuchung von Brand/Hammer ähnliche Unterschiede wie bei der privaten Unterstützung: „Allein erziehende Väter erhalten im Vergleich zu allein erziehenden Müttern weniger institutionelle Unterstützung in allen Unterstützungsdimensionen“ (Brand und Hammer 2002: 152/153). Offen blieb hier allerdings, ob institutionelle Unterstützung von Männern und Frauen in gleichem Maße nachgefragt wurde. Stiehler zu Folge werden Beratungsangebote von Männern kaum nachgefragt. Die Inanspruchnahme von derartigen Hilfestellungen wird von der Mehrheit der von ihr befragten Väter als Schwäche und Versagen erlebt
161
(Stiehler 2000: 156). Erneut zeigt sich die Nachhaltigkeit des traditionell männlichen Geschlechtsrollenverständnisses, in dem Schwäche- zeigen bzw. die Nachfrage nach Unterstützung zum Problem werden. Von Frauen wird die Inanspruchnahme von Hilfen – ebenfalls Geschlechtsrollen- spezifisch – häufig positiver, als Initiative zur Veränderung der Situation, interpretiert. Der Forschungsstand zeigt eindeutig die differenzierte Zuteilung institutioneller Hilfen nach Erwerbsstatus: Bis auf finanzielle Unterstützung erhalten erwerbstätige Alleinerziehende in allen oben genannten, von Brand und Hammer entwickelten Dimensionen mehr Unterstützung (Brand und Hammer 2002: 153). Nichterwerbstätige erhalten zwar – logischerweise – mehr finanzielle, „aber weniger Wertschätzung und emotionale Unterstützung“ (ebd.). Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass, aufgrund der bereits vorhandenen Statusprobleme aufgrund der Erwerbslosigkeit, gerade bei dieser Personengruppe der Bedarf an Anerkennung für ihre Familientätigkeit hoch ist. Zum Aspekt der Unterstützung lässt sich zusammenfassend feststellen, dass „die privaten Unterstützungsleistungen für die befragten Alleinerziehenden bedeutsamer als die Unterstützung durch Institutionen und Organisationen [sind, B.R.]: Die Unterstützung durch Personen wird von ihnen nicht nur insgesamt häufiger genannt, sondern ist auch vielfältiger (d. h. mehrere verschiedene Unterstützungsdimensionen betreffend).“ (Brand und Hammer 2002: 154)
Außerdem stellen Brand/Hammer eine Korrelation bei privater und institutioneller Unterstützung fest: „Personen, die vielfältig durch Personen unterstützt werden, erhalten auch vielfältigere Unterstützung von Institutionen und Organisationen.“ (Brand und Hammer 2002: 155) Dieser Zusammenhang erklärt sich zumindest teilweise über das Alter der Kinder: Die meiste Unterstützung erhalten die Ein-Elter-Familien, in denen kleine Kinder leben (ebd.), entsprechend ihrem größeren Bedarf.
4.5 Die Ressource Zeit Die Situation des Alleinerziehens ist besonders dann, wenn kleine Kinder zu versorgen sind, mit Mobilitätseinschränkungen verbunden. Mit dem Beginn einer Ein-Elter-Familie verändert sich die Zeitstruktur des Alltags. Die Eltern müssen ihre Bedürfnisse hinter die der Kinder zurückstellen, wenn Zeit Mangelware ist. Vieles, was sich in einem Leben ohne Kinder oder bei geteilter Erziehungsverantwortung relativ einfach ermöglichen lässt, ist im Alltag Alleinerziehender mit einem erheblichen Organisationsaufwand verbunden. Interessanterweise wird Nave-Herz und Krüger zufolge Belastung durch zeitliche Einschränkungen 162
stärker von ledigen als von geschiedenen allein erziehenden Müttern formuliert. Für letztere scheint die Lösung aus einer konfliktreichen ehelichen Beziehung häufig eine derart tief greifende Befreiung zu bedeuten, dass die zeitlichen Belastungen des Alleinerziehens dagegen kaum ins Gewicht fallen (siehe NaveHerz und Krüger 1992: 71ff.). Da bei vielen dieser Frauen ein wesentlicher Trennungsgrund das geringe Engagement der Väter in Erziehung und Haushalt war, ist die Veränderung der Zeitstruktur hier vermutlich eher in positivem Sinne zu veranschlagen, da die Versorgungsansprüche der Männer wegfallen (ebd.). In der Untersuchung von Nave-Herz/Krüger wurde von einigen Männern die Auffassung vertreten, „dass Kindererziehung und Haushalt nur bei nichtschulpflichtigen Kindern besondere individuelle Einschränkung erfordert, während nach dieser Zeitspanne wieder die persönliche Entwicklung Vorrang hat“ (Nave-Herz und Krüger 1992: 76).
Allein erziehende Väter verbringen – einer Analyse der Zeitverwendung Alleinerziehender von Kahle (2004) zu Folge – etwa 1¾ Stunden weniger Zeit täglich mit Haushaltsführung und familiären Aufgaben als allein erziehende Mütter (Kahle 2004: 179). Dieser Umstand erklärt sich einerseits daraus, dass allein erziehende Väter häufiger ältere, bereits schulpflichtige Kinder versorgen (siehe 4.1), andererseits werden hier aber auch ein pragmatischerer Umgang mit Haus- und Familienarbeit, deren Delegierung an Andere und die Erziehung der Kinder zu größerer Selbstständigkeit vermutet. Alleinerziehende Mütter – mit Kindern aller Altersgruppen – verbringen relativ viel Zeit mit ihren Kindern, im Vergleich zu Vätern in Partnerschaften 1,5 Stunden täglich mehr, jedoch eine Dreiviertelstunde weniger als in Paarhaushalten lebende Mütter (Kahle 2004: 186). Diese im Verhältnis zur Kumulation der Aufgaben bei Alleinerziehenden relativ geringe Zeitdifferenz verdeutlicht die Anstrengungen, die allein erziehende Frauen unternehmen, um ihren Kindern die benötigte Zuwendung zu geben.147 Vor dem Hintergrund der in Kapitel drei aufgezeigten Bilder von Mütterlichkeit und Väterlichkeit drängt sich der Eindruck auf, dass allein erziehende Mütter trotz ihrer strukturell schwierigen Situation oftmals versuchen, mit idealisierter Mütterlichkeit verbundenen, zeitintensiven Idealen auf Kosten persönlicher Zeit nachzukommen. Allein erziehende Väter dagegen 147
„Allerdings steht Kindern in Familien mit zwei Eltern mit dem Vater eine zweite Bezugsperson zur Verfügung.“ [Daher muss] „davon ausgegangen werden, dass Kindern in Paarhaushalten unter dem Strich insgesamt ein ‚größeres Kontingent’ an ‚Elternzeit’ zur Verfügung steht.“ (Kahle 2004: 177)
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halten sowohl an ihrer Erwerbsorientierung, als auch an der hohen Präferenz persönlicher Zeit weitgehend fest. Sie versuchen auch als Alleinerziehende nicht, dem mit mütterlicher Erziehungsarbeit verbundenen Ideal der ‚Aufopferung’ zu entsprechen. Bei den oben genannten Zahlen zur täglichen Zeitverwendung muss allerdings beachtet werden, dass es sich um Durchschnittswerte handelt. Welche Zeit die bzw. der einzelne Alleinerziehende und ihre/seine Kinder miteinander verbringen, ist in starkem Maße von Arbeitszeiten und Kinderbetreuungsstrukturen abhängig. So muss Hausarbeit und mit den Kindern verbrachte Zeit bei Erwerbstätigen oftmals parallel laufen, Vollerwerbstätigkeit erfordert die zeitliche Komprimierung von Hausarbeit, hier wird vor allem an der Zeit für die Zubereitung von Mahlzeiten gespart (Kahle 2004: 184). Als Konsequenz der vielfältigen Anforderungen lässt sich ein hektisches Lebensgefühl als zentrales Problem vieler Ein-Elter-Familien ausmachen. Dies kann nicht ohne Folgen für das Wohlbefinden von Eltern und Kindern sein.
4.6 Fazit Die Heterogenität der Gruppe der Alleinerziehenden wurde anhand einer Reihe von Aspekten beschrieben: Sie beginnt mit unterschiedlichen Entstehungssituationen des Alleinerziehens und setzt sich in der differierenden Anzahl der Kinder und deren unterschiedlichem Alter fort. Weiterhin sind die Zugriffsmöglichkeiten auf institutionelle Kinderbetreuung regional different (in Ost besser als in West), die ökonomische Situation weist große Unterschiede auf (bei Männern besser als bei Frauen) und auch in Wohnsituation und privaten Unterstützungsstrukturen lassen sich erhebliche Differenzen ausmachen. Die Besonderheit der Gruppe der Alleinerziehenden besteht in der alleinigen Verantwortung einer Person für die Erziehung eines oder mehrer Kinder und der gleichzeitig allein zu leistenden Aufgabe, die ökonomische Absicherung der Familie zu gewährleisten. Wie aufgezeigt wurde, bringt dies eine hohe zeitliche Belastung mit sich. Alleinerziehende benötigen und entwickeln oftmals Managementkompetenzen zur Bewältigung ihres Alltags. Die Chancen, eine subjektiv zufrieden stellende Familiensituation herzustellen, zeigen sich als in starkem Maße durch differierende Zugriffsmöglichkeiten auf strukturelle, materielle und soziale Ressourcen beeinflusst. Am Forschungsstand zu Alleinerziehenden zeigen sich sowohl sozialer Wandel als auch die Nachhaltigkeit traditioneller Sichtweisen. Sozialer Wandel ist in der Abschwächung negativer Sichtweisen auf Ein-Elter-Familien und an deren institutioneller Berücksichtigung, z. B. bei der Vergabe von 164
Kindergartenplätzen, festzustellen. Das Fortbestehen traditioneller Sichtweisen zeigt sich in der weiterhin noch ungenügenden Institutionalisierung der Lebensform Alleinerziehend als soziale Institution. Diese ungenügende Institutionalisierung wird u. a. an der fortgesetzten strukturellen Benachteiligungen von Alleinerziehenden auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt deutlich. Die Ursachen für die ökonomische Problemlagen liegen in schlechten Arbeitsmarktchancen und ungenügenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten, wie auch in einer Struktur sozialer Sicherungssysteme, welche die speziellen Anforderungen und Bedürfnisse dieser Familienform nicht ausreichend berücksichtigen. Sichtweisen auf Alleinerziehende, wonach diese sich auf staatlichen Hilfen ausruhen, entsprechen nicht dem Stand der Forschung. Gleichzeitig ist festzustellen, dass Vollzeiterwerbstätigkeit, besonders für Alleinerziehende mit kleinen Kindern, eine enorme Belastung des Familienlebens darstellt, während ein Teilzeitgehalt nur selten zur Ernährung der Familie ausreicht. Die häufig anzutreffende Armut Alleinerziehender stellt eine große psychische Belastung dar. Durch ungenügende materielle Absicherung wird soziale Teilhabe für Ein-Elter-Familien erschwert, wenn nicht gar verhindert. Wo ein Mangel an institutioneller Kinderbetreuung besteht, entstehen Vereinbarkeitskonflikte von Familien- und Erwerbsarbeit besonders für Geringverdienende, die sich private Kinderbetreuung nicht leisten können. Es ist zu vermuten, dass diese Vereinbarkeitsprobleme zu Ungleichgewichtsspannungen führen können. Denn trotz erheblicher Anstrengungen Alleinerziehender, für den Lebensunterhalt ihrer Familie selbst aufzukommen, bleiben stigmatisierende gesellschaftliche Bilder von Alleinerziehenden als Sozialschmarotzern bestehen. Dies kann als Hinweis auf die anhaltende Idealisierung der Zwei-Eltern-Familie gedeutet werden. Der überdurchschnittlich große Anteil von vor allem Mutterfamilien an Armut und prekärem Wohlstand führt zu deren weitgehender Ausgrenzung aus sozialem und kulturellem Leben. Es ist anzunehmen, dass Stigmatisierung, Armut und die fehlende Anerkennung ihrer tagtäglichen Lebensleistung die Entstehung von Rangspannung bei Alleinerziehenden148 bewirken, also das Gefühl, keinen zufrieden stellenden Platz in der gesellschaftlichen Hierarchie erringen zu können. Es besteht weiterhin die Vermutung, dass die Vereinbarkeitsproblematik und die damit häufig einhergehende Erwerbstätigkeit unter dem erworbenen Qualifikationsniveau sowie anhaltende finanzielle Probleme sich im subjektiven Empfinden Alleinerziehender als Unvollständigkeitsspannung bemerkbar machen können. Im hier dargestellten Forschungsstand werden negative Reaktionen und das Vorenthalten von Unterstützungsleistungen in erster Linie gegenüber den allein 148
Zu den Begriffen Rangspannung und Unvollständigkeitsspannung siehe Kapitel 2.3.
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erziehenden Frauen festgestellt, die diese Lebensform selbst gewählt, bzw. eine Trennung vollzogen haben, die von ihrem sozialen Umfeld nicht akzeptiert wird. Private soziale Unterstützung richtet sich (u. a.) nach der Akzeptanz der Lebensform durch die UnterstützerInnen. Die Gewährung oder der Mangel an privater Unterstützung kann auch als subjektive Spiegelung der in Kapitel drei dargestellten gesellschaftlichen Diskurse, in denen eine zunehmende Akzeptanz gegenüber der Lebensform des Alleinerziehens bei parallelem Fortbestehen abwertender Sichtweisen festgestellt wurde, interpretiert werden. Festzuhalten ist, dass die Interaktion mit dem sozialen Umfeld einen großen Einfluss auf das subjektive Wohlbefinden von Ein-Elter-Familien hat. Anerkennung und Abwertung werden hier direkt erfahren. Auch die Bereitstellung oder Verweigerung von praktischer Unterstützung durch das soziale Umfeld sind elementare Aspekte für den Alltag Alleinerziehender. Der Forschungsstand verdeutlicht somit sowohl interaktive als auch institutionelle Einflüsse auf das Wohlbefinden Alleinerziehender. Hier sind unterschiedliche Aspekte auszuleuchten: In Kapitel sechs werden die sozialen und sozialstrukturellen Lebensbedingungen der Alleinerziehenden des im empirischen Teil untersuchten Samples dargestellt und die Bedeutungen, welche diese Lebensbedingungen für die Betreffenden haben. So kann aufgezeigt werden, wie die Verhältnisse subjektiv empfunden werden und wie sich unterschiedliche Lebensumstände auf das subjektive Wohlbefinden auswirken. Für das Zustandekommen von subjektivem Wohlbefinden werden also sowohl objektive soziale und sozialstrukturelle Verhältnisse als auch die Interpretation dieser Verhältnisse durch die Subjekte als bedeutungsvoll angenommen. Elternschaft wird von allein erziehenden Vätern und Müttern unterschiedlich gelebt. Differenzen zeigen sich bei der Anzahl (es gibt viel weniger allein erziehende Väter), bei der Zeitverwendung (Mütter verbringen mehr Zeit mit ihren Kindern), beim Alter der Kinder (Väter haben häufiger ältere Kinder), beim beruflichen Status (Väter arbeiten seltener unter ihrer Qualifikation), beim stärkeren Festhalten von Männern an der Lebensform der Ehe und bei der größeren Häufigkeit von Trennungen auf Initiative der Frauen. Ost/West- Unterschiede zeigen sich v. a. hinsichtlich eines bis heute erheblich umfangreicheren Angebots institutioneller Ganztagskinderbetreuung in Ostdeutschland. Der Forschungsstand zur Gruppe der Alleinerziehenden zeigt differenziert die sozialen und sozialstrukturellen Lebensbedingungen der Gruppe auf. Einige wenige Arbeiten, die im Exkurs zu der Frage nach der Normalität des Alleinerziehens (vgl. Kap. 3.5.1) vorgestellt wurden, widmen sich der Frage danach, inwieweit diese Lebensform heute von der Gesellschaft angenommen worden ist. Für die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls 166
Alleinerziehender stellen sich die Reflexion der Lebenssituation in Verbindung mit der Infragestellung gesellschaftlicher Normen als wesentliche Aspekte für die Entwicklung subjektiver Zufriedenheit mit dem Alleinerziehen heraus.
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5 Anlage der Untersuchung
Wie schon in der Einleitung erwähnt, basiert der empirische Teil dieser Arbeit auf 20 qualitativen Interviews mit allein erziehenden Männern und Frauen aus Ost und West. In dem nun folgenden Kapitel werden zunächst die Forschungsfragen zusammengefasst. Daran anknüpfend wird das Forschungsdesign dargestellt. Die anschließenden Kapitel sechs, sieben und acht dienen der Beschreibung, Interpretation und Zusammenfassung der Ergebnisse.
5.1 Entwicklung der Forschungsfragen Die Untersuchung der Leitbilder von Geschlecht und Familie in Ost und West (Kap.3) und des Forschungsstandes zu Alleinerziehenden (Kap.4) bestärken die Hypothese, dass für das subjektive Wohlbefinden Alleinerziehender und für deren subjektive Konstruktionen von Geschlecht und Familie sozialstrukturelle Bedingungen und kulturelle Bilder von Bedeutung sind. Im Folgenden wird der Frage nach der Art und Weise, in der diese unterschiedlichen Aspekte Bedeutung für die Subjekte erlangen, empirisch nachgegangen. Es ist zu untersuchen, ob und wenn ja, welche kulturellen Bilder und sozialstrukturellen Bedingungen für die Subjekte bedeutsam werden, bzw. in welchen Kontexten ihnen Bedeutung zugewiesen wird. Hierzu wird zunächst untersucht, unter welchen sozialen und sozialstrukturellen Bedingungen die allein erziehenden Mütter und Väter des hier untersuchten Samples leben und welche Bedeutung diese Lebensumstände für sie haben. Bevor im weiteren Verlauf dieses Kapitels die Anlage der qualitativen Untersuchung beschrieben wird, wird nun dargestellt, anhand welcher empirisch bearbeitbaren Aspekte sich der Frage nach den ‚Spielräumen in der Konstruktion von Geschlecht und Familie’ bei Alleinerziehenden genähert werden soll. Um die Bedeutung von sozialstrukturellen Bedingungen und kulturellen Aspekten im Leben der Subjekte zu analysieren, müssen zunächst die sozialstrukturellen Bedingungen des Samples differenziert erfasst werden. Die empirische Erhebung muss also zunächst strukturelle Aspekte wie die Entstehung des Alleinerziehens und das Alter von Kindern und Eltern sowie die Anzahl der Kinder erfassen. Weiterhin ist von Bedeutung, welche Formen der 169
Kinderbetreuung den Alleinerziehenden zur Verfügung stehen und ob bzw. in welchem Umfang diese Kinderbetreuung Erwerbstätigkeit ermöglicht. Aus dem Forschungsstand geht hervor, dass (auch) ein großer Teil der erwerbstätigen Alleinerziehenden in ökonomisch problematischen Verhältnissen lebt. Die konfigurative Untersuchung von Kinderbetreuungsstrukturen, Bildungsgrad, Erwerbstätigkeitsstatus (Teilzeit/Vollzeitarbeit, Status des Berufs), ökonomischer Situation und privater Unterstützung soll die Hintergründe der sozialstrukturellen Situationen der Alleinerziehenden des Samples verdeutlichen. Soziale und sozialstrukturelle Aspekte lassen sich relativ unproblematisch erfragen. Erheblich komplizierter verhält es sich mit subjektiven Geschlechterund Familienbildern. Hier sind Bezüge zu Aspekten der Lebenswirklichkeit und des Alltags der Alleinerziehenden herzustellen, welche Auskunft über eben jene Bilder geben können. Dabei machen sich, wie aus Kapitel zwei und drei hervorgeht, Bilder von Geschlecht u. a. am subjektiven Verständnis von Geschlechtsidentität fest. Ein Verständnis von Geschlechtsidentität, welches Männlichkeit und Weiblichkeit mit sich gegenseitig ausschließenden Charaktereigenschaften belegt, fordert ‚geschlechtertypisches’ Verhalten ein und kann als eher traditionell bezeichnet werden. Wie in Kapitel zwei dargestellt, wirken hier Mechanismen der ‚institutionellen Reflexivität’ (Goffman). Geschlechtertypisches Verhalten wird also durch institutionelle Praktiken wie auch Diskurse gestützt. Es ist also davon auszugehen, dass Distanzierungsprozesse der Subjekte zu Institutionen und Diskursen vonnöten sind, um zu einem subjektiven Verständnis von Geschlechtsidentität zu kommen, welches sich aus dichotomen Zuschreibungen herauslöst und zu einem offeneren Verständnis von Geschlecht kommt. In einem solchen Verständnis würden im Sinne der Dekonstruktion jene Eigenschaften und Charakterzüge, die mit Weiblichkeit oder Männlichkeit verbunden werden, als in allen Subjekten potentiell angelegt gesehen werden. Alltagspraxen der Geschlechter sind nun einerseits – der These von der Omnirelevanz der Geschlechterkategorie (siehe Kap. 2.4) folgend – grundsätzlich und stets mit den Vorstellungen von dem, was Frauen und Männer ausmacht verbunden und besetzt. In besonderer Weise ist dies jedoch im Zusammenhang mit den subjektiven Erlebnisweisen der eigenen Weiblichkeit bzw. Männlichkeit gegenüber anzunehmen. Dies kann sich konkret im Verhältnis dem eigenen Körper gegenüber, aber auch in Beziehungen zum anderen bzw. eigenen Geschlecht niederschlagen. In den Befragungen der Alleinerziehenden sollten daher Erzählungen zu diesen Themenbereichen angeregt werden. Ein weiterer Bereich, in dem das subjektive Verständnis von Geschlechtsidentität bei Eltern zum Ausdruck kommt, ist die Wahrnehmung des Geschlechterverhaltens der Kinder. Daran, wie wichtig Erwachsenen ein 170
geschlechtertypisches Verhalten der Kinder ist oder ob kindliches geschlechteroffenes Verhalten toleriert bzw. unterstützt wird, lassen sich subjektive Bilder von Geschlecht ablesen. Wie in Kapitel drei dargestellt wurde, sind Bilder von Familie - und zwar in je nach Zeit und Gesellschaftsform differierender Art und Weise - stets aufs Engste mit Geschlechterbildern verknüpft. Eine zentrale Stellung für die empirische Untersuchung muss das subjektive Verständnis von Mütterlichkeit und Väterlichkeit als Schnittstelle zwischen Geschlechter- und Familienbildern einnehmen. Für die Entwicklung des Interviewleitfadens bedeutet dies, dass die Alleinerziehenden nach ihren Alltagspraxen als Mütter bzw. Väter und nach ihren Vorstellungen darüber, was Mütter und Väter in ihrem Umgang mit den Kindern unterscheidet bzw. unterscheiden sollte, zu fragen sind. Hier soll die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern in den Erzählungen der Alleinerziehenden Raum bekommen, denn gelebte Mütterlichkeit bzw. Väterlichkeit ist letztendlich an diesen konkreten Beziehungen festzumachen. Die Eltern-Kind-Beziehung ist jedoch gleichzeitig bedeutsam für die Untersuchung der grundsätzlichen Einstellung zu unterschiedlichen Familienformen: Eine positiv erlebte Eltern-Kind-Beziehung wird sich vermutlich förderlich auf eine positive Einstellung zur gelebten Familienform der Ein-Elter-Familie auswirken, während eine problematische Eltern-Kind-Beziehung unter Umständen den Wunsch nach einer anderen Lebensform hervorrufen bzw. verstärken könnte. Für die Einstellungen zu unterschiedlichen Lebensformen, speziell zur Einbzw. Zwei-Eltern-Familie sind wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Diskurse, sowie die von den Medien vermittelten Bilder von Familie von besonderer Bedeutung. In den Interviews ist also nach Rezeption und Wirkung dieser Bilder auf die Alleinerziehenden zu fragen. Inwieweit die Lebensform der Ein-Elter-Familie heute einen Normalitätsstatus besitzt, lässt sich auch daran ablesen, ob Alleinerziehende ihre Lebensform als gesellschaftlich anerkannt erleben. Anerkennung oder auch Ausgrenzung vermitteln sich sowohl über Leitbilder und Diskurse als auch über direkte Interaktionen mit der sozialen Umwelt. Die hier konzipierte empirische Untersuchung strebt also an, Interaktionen der Alleinerziehenden sowohl im institutionellen (Kindergärten, Schulen, Ämter, Ärzte etc.) als auch im privaten Umfeld (Verwandte, Freunde, Nachbarn etc.), mit zu erfassen.
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5.2 Forschungsdesign Wie bereits oben ausgeführt, erfordert die Bezugnahme der empirischen Erhebung auf die Hintergründe der Lebensform „Alleinerziehend“ die gleichzeitige Erfassung struktureller Merkmale der befragten Ein-Elter-Familien (wie z. B. Alter der Alleinerziehenden, Alter und Zahl der Kinder und materielle Situation) und subjektiver Konstruktionen von Geschlecht und Familie. Diesen Anforderungen entspricht eine theoriegeleitete Konstruktion des Samples149 und eine Methodenkombination aus vorgelagertem Fragebogen und qualitativem Interview. Dabei wird die Erfassung der sozialstrukturellen Lebensumstände durch den Fragebogen geleistet, die subjektive Deutung dieser Bedingungen in den Interviews. Die integrative Bearbeitung von strukturellen Bedingungen und subjektivem Erleben dient der Vermeidung von Verzerrungen in den Deutungen kultureller Konstruktionen, die sich durch die Vernachlässigung faktischer Verläufe ergeben könnten (vgl.: Born, Krüger und LorenzMeyer 1996: 38/39). Auf der Basis vorliegender repräsentativer Erhebungen zu sozialstrukturellen Lebensumständen Alleinerziehender (Kap.4), wird zunächst eine den spezifischen Bedingungen der Gruppe entsprechende Auswahl des Samples ermöglicht. Im weiteren Verlauf der Untersuchung können die erhobenen Daten dann mit Bezug auf den beschriebenen Forschungsstand interpretiert werden. Die Erfassung von Prozessen der Konstruktion von Geschlecht und Familie ist durch die komplementäre Theorie-Empirie-Verbindung mit der angestrebten „Verschränkung von Subjekt- und Objektperspektive, von Individuum und Gesellschaft, von „innen“ und „außen“, „sex“ und „gender“ usw.“ (Dausien 1999: 236) am ehesten erreichbar. Die Vielfältigkeiten der subjektiven Konstruktionen von Geschlecht und Familie lassen sich durch qualitative Forschung rekonstruieren und deuten. Die Annäherungen an Prozesse alltagsweltlicher Zuschreibungen erfordern eine Methode, welche der inhaltlichen Differenziertheit und Komplexität der Fragestellung gerecht wird:
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Hier wird sich auf folgende Definition des theoretischen Samplings (theoretical sampling) durch Strauss und Corbin bezogen: „Sampling (Auswahl einer Datenquelle, Fall, Stichprobe, Ereignis etc., a. d. Ü.) auf der Basis von Konzepten, die eine bestätigte theoretische Relevanz für die sich entwickelnde Theorie besitzen.“ (Strauss und Corbin 1996 [1990]: 148) Im Unterschied zur TheorieMethodik-Konzeption von Strauss/Corbin wurde die in deren Methode zentrale zirkuläre Samplebildung (das Sample wird im Laufe der Erhebung weiterentwickelt) in der vorliegenden Arbeit jedoch zu Gunsten der größeren Vergleichbarkeit in ein aus theoretischen Vorannahmen bestimmtes, dann aber für den weiteren Forschungsverlauf fest stehendes Sample verändert.
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„Gerade in Zeiten, in denen sich fest gefügte soziale Lebenswelten und –stile auflösen und sich das soziale Leben aus immer mehr und neueren Lebensformen und –weisen zusammensetzt, sind Forschungsstrategien gefragt, die zunächst genaue und dichte Beschreibungen liefern. Und die dabei die Sichtweisen der beteiligten Subjekte, die subjektiven und sozialen Konstruktionen ihrer Welt berücksichtigen.“ (Flick, Kardoff und Steinke 2000: 17)
Ein besonderer Vorteil qualitativer Forschung liegt darin, dass sie für „das Neue im Untersuchten, das Unbekannte im scheinbar Bekannten offen sein kann“ (ebd.). Eine statistische Repräsentativität der erhobenen Daten im Sinne quantitativer empirischer Sozialforschung wird bei einer Fallzahl von 20 selbstverständlich nicht angestrebt. Vielmehr sollen mit Hilfe der qualitativen Interviews bei allein erziehenden Männern und Frauen in Ost- und Westdeutschland Unterschiede und Ähnlichkeiten in Konstruktionsprozessen und Selbsteinordnungen untersucht werden. Es geht darum, zu rekonstruieren, wie sich die Subjekte in einer geschlechterstrukturierten Welt einordnen, wie sie Geschlechterverhältnisse (re)produzieren oder auch modifizieren. „Statt Ursachenfaktoren für männliches und weibliches Verhalten zu extrahieren, die an einer statistischen Durchschnittslogik orientiert sind und im empirischen Einzelfall doch nur mehr oder weniger (im Extremfall nie) zutreffen, wird es (durch qualitative Forschung, B.R.) möglich zu beschreiben, wie Individuen sich in einer geschlechterstrukturierten Welt auf eigensinnige Weise einordnen, ihre unverwechselbare Identität und Individualität entwickeln und zugleich allgemeine soziale Strukturen wie das Geschlechterverhältnis (re)produzieren, aber auch modifizieren.“ (Dausien 1999: 239)
Das in den Interviews sichtbar werdende Alltagswissen der Subjekte soll sowohl auf die theoretischen Vorannahmen hin analysiert werden, als auch der induktiven Theorieentwicklung dienen (Ragin 1994: 45/46). Die Ergebnisse können also, je nach Verlauf der Analyse, zum Entwurf einer neuen Theorie führen, bestehende erweitern oder in Frage stellen. Somit sollen deduktive und induktive Vorgehensweise zu einem abduktiven Arbeitsprozess führen, der zu „Verwerfung oder Verbesserung von Theorien“ (Kelle und Erzberger 2001: 114) dienen soll. Die Forschungsziele bestehen in der Interpretation des kulturell und historisch bedeutsamen Phänomens der Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit in der Alltagswelt der Subjekte, der Weiterentwicklung diesbezüglicher Theorien und der Darstellung der Vielfältigkeit innerhalb einer spezifischen, gesellschaftlich relevanten Gruppe (Ragin 1994: 51). Für die Kombination dieser Forschungsziele ist nach Ragin qualitative Forschung die adäquate Methode, 173
wobei der Darstellung der Vielfältigkeit („exploring diversity“) nachgeordnete Wichtigkeit gegenüber Bedeutungsinterpretation („interpreting significance“), Sichtbarmachung einer gesellschaftlichen Minderheit („giving voice“) und Theoriegenerierung („advancing new theories“) zukommt (Ragin 1994: 51). Angestrebt ist außerdem, einen Beitrag zur konstruktiven Weiterentwicklung politischer, bildungspolitischer und sozialpädagogischer Praxis im Sinne der Gruppe der Alleinerziehenden zu leisten. Somit wird sowohl Theoriegenerierende, als auch Handlungs- orientierte Forschung angestrebt.
5.3 Samplekonstruktion In der Einleitung wurde bereits definiert, was in dieser Arbeit unter ‚Alleinerziehenden’ verstanden wird. Für die empirische Untersuchung wurden folgende Differenzierungen vorgenommen: Im Wesentlichen schließt sich diese Arbeit der operationalen Definition Alleinerziehender von Brand/Hammer (2002) an. Hiernach sind Alleinerziehende „ledige, verheiratet getrennt lebende, geschiedene oder verwitwete Mütter und Väter, die in haushaltsgebundenen Eltern-Kind-Gemeinschaften mit mindestens einem unverheirateten leiblichen, Adoptiv,- Stief,- oder Pflegekind zusammen leben“ (Brand und Hammer 2002: 38). Den individuellen Lebensrealitäten entsprechend werden hier im Unterschied zu anderen Definitionen sowohl die noch verheirateten, aber bereits getrennt lebenden Eltern mit einbezogen,150 als auch blutsverwandtschaftliche Eingrenzungen aufgehoben. Die Eingrenzung der Gruppe über das Alter der Kinder ist für die Durchführbarkeit von quantitativen Untersuchungen notwendig, in einer qualitativen Arbeit wie der vorliegenden kann jedoch eine differenziertere Eingrenzung nach Betreuungsbedürftigkeit der Kinder vorgenommen werden. Altersgrenzen sind z. B. im Falle von geistigen Behinderungen der Kinder wenig relevant. Gleichzeitig kann ein achtzehnjähriges noch im Haushalt lebendes Kind bereits in einem Maße ökonomisch und sozial selbstständig sein, dass man es nicht mehr als erziehungs- bzw. betreuungsbedürftig bezeichnen kann. In Bezug auf die Bedeutung des Sorgerechts wird die Definition von Brand/Hammer von der hier vorgenommenen folgendermaßen differenziert: Brand und Hammer sehen das Sorgerecht als Voraussetzung für die Ein-ElterFamilie. Für eine definitorische Eingrenzung gleichwertig bedeutsam wie die Sorgerechtsregelung wird in dieser Arbeit das gemeinsame Leben einer/s 150
In statistischen Erhebungen wurde lange Zeit weder dem Umstand Rechnung getragen, dass Verheiratete nicht zwangsläufig in einem Haushalt leben müssen, noch dass Unverheiratete gemeinsam Erziehungsverantwortung übernehmen können (vgl. kritisch Engstler/Menning 2003: 39).
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Erwachsenen mit einem oder mehreren Kindern in einem Haushalt in Verbindung mit der alleinigen Erziehungsverantwortung angesehen (vgl. NaveHerz und Krüger 1992: 31), auch wenn diese Erziehungsverantwortung nicht rechtlich gestützt ist. Alleinige Zuständigkeit wird dann als gegeben angesehen, wenn andere Erwachsene sich nicht mehr als einen Tag in der Woche allein verantwortlich um das Kind bzw. um die Kinder kümmern. Die gleiche Eingrenzung wird für den anderen Elternteil vorgenommen: Existiert hier eine Umgangsregelung, in welcher dieser mehr als einen Tag wöchentlich der Betreuungszeiten übernimmt, wird nicht von Alleinerziehung gesprochen.151 Es wurden 20 Interviews152 mit Alleinerziehenden durchgeführt, je zehn in Ost- und in Westdeutschland, mit jeweils fünf Männern und fünf Frauen. Die gleichmäßige Ost/West – Verteilung ermöglicht es, die Beschreibung von Nachhaltigkeiten bzw. Angleichungen der Konstruktionen von Geschlecht und Familie in neuen und alten Bundesländern nachzuvollziehen. Befragt wurden Bewohner zweier Städte mit relativ progressivem Image, Berlin und Bremen, ergänzt durch einzelne Interviews im eher traditionell geprägten brandenburgischen bzw. niedersächsischen stadtnahen Umland. Das relativ fortschrittliche städtische Umfeld ist bedeutsam, da die Wahl eines eher traditionell geprägten kulturellen Umfeldes mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Untersuchungsergebnis führen würde, welches die Dominanz traditioneller Konstruktionen von Geschlecht und Familie bestätigt. Die gewählten Räume der Befragung werden nicht als repräsentativ für Ost- und Westdeutschland verstanden, sondern als Ausschnitte aus diesen Gesellschaftsräumen. Von Nord-Süd Differenzen muss ausgegangen werden, diese sind jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht erfassbar. Trotz des geringen Anteils von Männern an der Gesamtgruppe der Alleinerziehenden (siehe Kap.4.1) wurden genauso viele allein erziehende Väter wie Mütter befragt. Diese Entscheidung ergab sich aus der theoriegeleiteten Fragestellung: Um die Unterschiede der Auswirkungen von gesellschaftlich dominanten Geschlechterstereotypen und Idealvorstellungen von Familien in BRD und DDR (siehe Kap.3.2 und 3.3) auf nach Geschlecht differierende
151 Auch die Qualität der Beziehung zwischen Eltern und Kindern, sowie die Frage, ob sie sich selbst als allein erziehend definieren oder nicht, fließen hier nicht in die Definition ein. Es bestünde sonst die Tendenz, Familien mit geringer innerfamiliärer Interaktion, sowie Eltern mit niedrigem Selbstbewusstsein bezüglich der gelebten Familienform, die sich und ihre Kinder als unvollständige Familie erleben und bezeichnen, aus der Definition auszuschließen. 152 Diese Gesamtzahl ist die Konsequenz der pragmatischen Abwägung einer Anzahl, die sowohl die wissenschaftlichen Erfordernisse abdeckt, als auch im Rahmen einer Dissertation leistbar ist.
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Konstruktionen von Familie und Geschlecht untersuchen zu können, ist eine gleichmäßige Verteilung hier sinnvoll. Desgleichen soll der wissenschaftlichen Vernachlässigung der Gruppe der allein erziehenden Väter entgegengewirkt werden: „Alleinerziehende Väter werden zumeist in Stichproben Alleinerziehender nicht in gleichem Maße berücksichtigt wie allein erziehende Frauen.“ (Nestmann und Stiehler 1998: 282). Die statistisch gerechtfertigte Mütterzentriertheit in der Alleinerziehendenforschung „führt dazu, dass die Vätergruppe vernachlässigt wird“ (ebd.). Aus Theorie und Forschungsstand ergeben sich für die Auswahl des Samples weitere Eingrenzungen bezüglich Alter der Alleinerziehenden, Anzahl der Kinder, bisheriger Dauer des Alleinerziehens und Umfang des Kontaktes der Kinder zum anderen Elternteil: Das Alter der befragten Alleinerziehenden ist aus zwei Gründen bedeutsam: Erstens wurde festgelegt, dass die Befragten zum Zeitpunkt der Untersuchung153 mindestens 32 Jahre alt sein sollen. Dieses Mindestalter kommt durch den Ost/West – Aspekt zu Stande. Bei den Befragten im Osten muss eine genügend lange Lebenszeit mit sozialisatorischer Prägung in der DDR gewährleistet sein, damit die Effekte der DDR-Sozialisation in die Untersuchung eingehen können und Vergleichbarkeit gesichert ist.154 Es ist davon auszugehen, dass der Umbau der Gesellschaft in Ostdeutschland auf die jüngeren Geburtskohorten andere Einflüsse als auf die älteren hat. Diese Unterschiede können im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht untersucht werden. Zweitens sollen keine besonders jungen Alleinerziehenden untersucht werden, da diese aus verschiedenen Gründen, z. B. wegen unabgeschlossenen Ausbildungen, eine besondere Problemgruppe darstellen. Für die Befragung Alleinerziehender soll also eine Gruppe ausgewählt werden, die in ihren sozialstrukturellen Merkmalen keine Gewichtungen in Richtung der ‚extremen’ Untergruppen von Ein-Elter-Familien darstellt. So sollen auch keine Alleinerziehenden mit mehr als drei noch im Haushalt lebenden Kindern befragt werden (Brand und Hammer 2002: 15). Auch die bisherige Dauer des Alleinerziehens ist von Bedeutung für die Samplebildung. Für die vorliegende Fragestellung sollte der Beginn des Alleinerziehens zum Zeitpunkt der Befragung mindestens zwei Jahre zurückliegen. Da sich ein eher kleiner Teil der Alleinerziehenden frei für diese Lebensform entscheidet, während die größere Zahl aus Trennungen hervorgeht, 153
Der empirische Teil dieser Arbeit startete mit der Fragebogenverschickung im Jahr 2003. Die Erhebungsphase wurde im Sommer 2005 abgeschlossen. 154 Die zu Beginn der Untersuchung (2003) 32-jährigen Alleinerziehenden waren 1989, zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der DDR, 18 Jahre alt, haben also ihre gesamte Kindheit und Jugend in der DDR verlebt.
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wurden zwei Jahre nach einem eventuellen Trennungserleben als Mindestzeitraum zwischen Entstehung des Alleinerziehens und Interview festgelegt. In der Trennungsforschung wird zwar zunehmend davon abgegangen, genaue Zeiträume für die Trennungsverarbeitung festzuschreiben, da diese sehr variieren (vgl.: Wallerstein und Blakeslee 1989). Zwei Jahre werden jedoch als der Mindestzeitraum, der zur subjektiven Stabilisierung benötigt wird, angesehen (vgl.: Kahlenberg 1993; Kast 1982). Wie in der Literatur u. a. von Freigang festgestellt wird, ist der Beginn des Alleinerziehens häufig krisenhaft: „Einelternfamilien beginnen häufig mit dem Bruch alter Strukturen, ohne dass ein Ersatz vorhanden ist. Nach Trennung und Scheidung müssen Lebensverhältnisse neu geordnet und zugleich die Alltagsanforderungen bewältigt werden. Scheidungen und Trennungen bringen es mit sich, dass u. U. zugleich Schmerz und Trauer bei Kindern und Elternteilen zu bewältigen sind, andererseits die Doppelbelastung des alleinerziehenden Elternteils schon wirksam wird.“ (Freigang 1997: 17ff.)
Da weder Patchworkfamilien noch getrennte Eltern mit geteilter Erziehungsverantwortung untersucht werden sollen, ergab sich die Notwendigkeit, die Gruppe der Befragten weiterhin auf diejenigen Alleinerziehenden einzugrenzen, deren Kinder maximal einen Tag in der Woche vom anderen Elternteil oder einem Elternfunktionen übernehmenden anderen Erwachsenen betreut werden. Dieser Aspekt der Sampleauswahl bringt es mit sich, dass jene Ein-ElterFamilien, in denen die Funktion eines ‚relevanten Anderen’ von Personen aus dem sozialen Umfeld (Verwandte, Freunde) übernommen werden, tendenziell nicht befragt wurden. Daher zeigen die hier vorliegenden Daten keine exemplarische Repräsentativität bezüglich sozialer Unterstützung für die Gesamtgruppe der Alleinerziehenden. Mit der Festlegung eines Mindestalters der Befragten, der Höchstzahl von Kindern, der minimalen Dauer und der engen Definition des Alleinerziehens werden Aspekte ausgeschlossen, aus denen Verzerrungen der Ergebnisse resultieren könnten. Neben den genannten Eingrenzungsaspekten ist bei einer Reihe weiterer Kategorien auf Vielfältigkeit zu achten. Nach der Sichtung des Forschungsstandes ist davon auszugehen, dass es sich bei Alleinerziehenden um eine äußerst heterogene Gruppe in Bezug auf die konkreten Lebensumstände handelt. Da angesichts der kleinen Stichprobe keine statistische Repräsentativität angestrebt werden kann, wird versucht, eine exemplarische Repräsentativität zu erreichen, d. h. es wird eine möglichst große Variationsbreite folgender Merkmale angestrebt: Art und Weise des Zustandekommens der Alleinerziehendensituation, Beruf und Einkommen der Alleinerziehenden, Alter und Anzahl der
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Kinder (im Rahmen des genannten Höchstmaßes) sowie deren Betreuungsstrukturen. Die breite Streuung dieser Merkmale ermöglicht die Untersuchung der Frage nach eventuellen ähnlichen Deutungsmustern trotz unterschiedlichster Lebensbedingungen durch Vergleich und Kontrastierung (vgl.: Schiedeck und Schiedeck 1993: 54). Die zu befragenden Personen sind zwischen 32 und 48 Jahre alt, haben Kinder im Alter zwischen drei und 25 Jahren und sind seit drei bis 16 Jahren allein erziehend.155 Von den 20 Alleinerziehenden arbeiten neun Alleinerziehende Teilzeit und vier Vollzeit. Die verbleibenden sieben Alleinerziehenden sind erwerbslos. Alleinerziehende mit gravierenden finanziellen Problemen, bzw. ohne Erwerbsarbeit sind relativ gleichmäßig über die vier Gruppen verteilt. In dem hier vorliegenden Sample ist die Gruppe der Erwerbslosen (fünf) und Teilzeiterwerbstätigen (drei) allein erziehenden Väter relativ groß, während der Forschungsstand von einer überwiegenden Vollerwerbstätigkeit allein erziehender Väter (im Sample: nur zwei) ausgeht. Im Prozess der Samplekonstruktion wurden zwar mehr Fragebögen von vollerwerbstätigen allein erziehenden Vätern ausgefüllt, diese waren aber aus Zeitgründen nicht zu einem Interview bereit. Ein anderer Teil der vollerwerbstätigen Männer, die den Fragebogen beantworteten und Bereitschaft für ein Interview zeigten, kam aufgrund des Kriteriums der alleinigen Zuständigkeit nicht für ein Interview in Frage. Bei ihnen übernahmen andere relevante Erwachsene einen großen Teil der Verantwortung für die Familienarbeit.
5.4 Erhebungsinstrumente Auf der Basis von ausformulierten theoretischen Vorannahmen und der Sichtung des Forschungsstandes wurde eine empirische Untersuchung konzipiert, die sich aus einem vorlaufenden standardisierten Fragebogen und aus 20 problemzentrierten Interviews (PZI) (Witzel 1982; Witzel 1995; Witzel 2000) zusammensetzt.156 Der Fragebogen (siehe Anhang) erfüllt in diesem Forschungsdesign drei Funktionen: Er dient erstens zur Auswahl der zu Interviewenden nach den unter 5.3 beschriebenen Kriterien der Stichprobe. Zweitens ermöglicht er die Erfassung struktureller Aspekte, welche für das Verständnis der einzelnen Biographien und für die Einordnung der Interviewten in die Gesamtgruppe der 155
Weitere relevante Aspekte wie Wohnsituation, Herkunftsfamilie, soziale Kontakte etc. sind in dieser Tabelle nicht genannt, werden aber in Kapitel sechs ausführlich behandelt. Das Kriterium der Gegenstandsorientierung des PZI bietet den Vorteil der Flexibilität der Methodenkombination je nach Anforderungen des spezifischen Forschungsprojektes (Witzel 1995: 232).
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Alleinerziehenden bedeutsam sind. Die dritte Funktion des Fragebogens besteht in einem leichteren Einstieg in das Interview und der Möglichkeit thematischer Anschlüsse. (Witzel 2000: 2). Durch die Erfassung struktureller Daten im Fragebogen wird die Interviewsituation von den „Fragen entlastet, die als Frage-Antwort-Schema aufgebaut sind“. Die Fragebogenuntersuchung wurde als postalische Erhebung durchgeführt, bei der auf die intensive Unterstützung durch den VAMV (Verein für allein erziehende Männer und Frauen) in Bremen und durch SHIA (Selbsthilfeinitiative Alleinerziehender) in Ostberlin und Brandenburg zurückgegriffen werden konnte. Ein Großteil der Fragebögen wurde auf diesem Wege an allein erziehende Mütter und Väter weitergeleitet.157 Weitere Fragebögen erreichten ihr Ziel durch „Mund zu Mund Propaganda“ im persönlichen Umfeld der Autorin.158 Durch die im Anschluss an die Fragebogenuntersuchung durchgeführten Interviews sollen subjektive Spielräume in der Konstruktion von Geschlecht und Familie erfasst werden. In der Konzeption des PZI werden die Befragten sowohl als aktive Konstrukteure ihrer Biographien, als auch als von den strukturellen und gesamtgesellschaftlichen Bedingungen und Konstruktionen geprägte Subjekte verstanden. Die Methodik des PZI baut auf der „Grounded Theory“ (Glaser und Strauss 1998 [1967]) auf, in der ein Weg zwischen hypothetischdeduktiven und empiristisch-induktivem Vorgehen gesucht wird. Basis dieses Forschungsverfahrens ist die Ausformulierung des vom Forscher/ der Forscherin wahrgenommenen gesellschaftlichen Problems sowie die „Offenlegung und Systematisierung seines/ihres Wissenshintergrundes“ (Witzel 1995: 230).159 Dabei garantiert das Prinzip der Offenheit gegenüber dem zu gewinnenden Datenmaterial, dass das vorhandene und ausformulierte Vorwissen nicht zu einem Forschungsprozess führt, bei dem ausformulierte Hypothesen nur noch 157
Besonders bei der teilweise nicht ganz einfachen Kontaktaufnahme zu den (doch eher seltenen) allein erziehenden Vätern war diese Hilfe wichtig. An dieser Stelle noch mal herzlichen Dank für die freundliche und engagierte Unterstützung! 158 Ob die Verschickung der Fragebögen über Vereine für Alleinerziehende und persönliche Kontakte selektiven Einfluss auf das Sample hat, wird in der Auswertung zu berücksichtigen sein. Der Fragebogenrücklauf ergab sich folgendermaßen: Von 120 verteilten Fragebögen wurden 51 ausgefüllt zurückgesendet, von diesen wurde in 42 die Zustimmung zu einem Interview gegeben. Aus unterschiedlichen Gründen (z. B. Ost-West Umzüge) kamen 10 der zurückgesendeten Fragebögen nicht für ein Interview in Frage, so dass die InterviewpartnerInnen schließlich unter den verbleibenden 32 Fragebögen nach den oben genannten Kriterien der Samplebildung ausgesucht werden konnten. 159 Die Offenlegung und Systematisierung des Hintergrundwissens umfasst sowohl die „kritische Verarbeitung einschlägiger Theorien und empirischer Untersuchungen zu dem Themenbereich“ (Witzel 1995: 230) (siehe Kap. 2 und 3) als auch die Einbeziehung von „objektiven Rahmenbedingungen (…), von denen die betroffenen Individuen abhängig sind, die sie in ihrem Handeln berücksichtigen und für ihre Absichten interpretieren müssen“ (ebd.) (siehe Kap. 3 und 4).
179
empirisch bewiesen werden müssen. Gleichzeitig wird Abstand von empirisch/theoretischen Sichtweisen genommen, denen zufolge Forschungsfragen und Theorien allein aus den Daten zu generieren sind (zur theoretisch/methodischen Diskussion vgl.: Kelle 1996).160 Das PZI ist die dem Forschungsdesign angemessene Interviewmethode, da es in der Balance zwischen offener Interviewgestaltung und Strukturierung des Interviews durch den aus den theoretischen Vorannahmen gewonnen Leitfaden (siehe Anhang) einen Weg findet, der dem hier angestrebten abduktiven Forschungsprozess entspricht. Diese Balance erstreckt sich auch auf die angewandten Gesprächstechniken: „Den Erfordernissen des Aufbaus einer befragtenzentrierten Kommunikationssituation folgend kann der Interviewer je nach der unterschiedlich ausgeprägten Reflexivität und Eloquenz der Befragten stärker auf Narrationen oder unterstützend auf Nachfragen im Dialogverfahren setzen.“ (Witzel 2000:3)
Frage-Antwort-Spiele werden vermieden, um nicht „die systematische Entwicklung des Problemhorizonts der Befragten“ (Witzel 2000:4) zu behindern. Für das Gelingen der Interviews ist entscheidend, die Balance zwischen der Orientierung am Interviewleitfaden (Problemzentrierung) und an den thematischen Schwerpunktsetzungen der Befragten (Offenheit) zu halten. Der Interviewleitfaden hat dabei die Aufgabe „das Hintergrundwissen des Forschers thematisch zu organisieren, um zu einer kontrollierten und vergleichbaren Herangehensweise an den Forschungsstand zu kommen“ (Witzel 1995: 236). Der für die vorliegende Untersuchung konzipierte Interviewleitfaden (siehe Anhang) umfasst, aufbauend auf der unter 5.1 erfolgten Spezifizierung der Forschungsfragen, folgende fünf Themenfelder: 1. Existenzsicherung/Zeit, 2. Eltern-Kind-Beziehung, 3. Die interaktive Herstellung von Geschlecht, 4. Reaktionen der sozialen Umwelt und 5. Gesellschaftliches Bild von Alleinerziehenden/Rezeption von Diskursen. Mit diesen fünf Themenfeldern werden die in Kapitel zwei dargestellten, zur Erfassung von Konstruktionsprozessen zentralen Ebenen der Interaktionen, der Institutionen und Sozialstruktur sowie von Leitbildern und Diskursen, in den Leitfaden integriert (siehe Abbildung Nr. 4).
160
An dieser Vorgehensweise ist zu kritisieren, dass hier Einstellungen und Vorannahmen der Forschenden nicht explizit gemacht und somit weder relativierbar noch kritisierbar werden.
180
Abbildung 4:
Zuordnung der Themenfelder des Interviewleitfadens zu gesellschaftlichen Ebenen
Gesellschaftliche Ebenen
Themenfelder des Leitfadens
Leitbilder und Diskurse
- Wahrnehmung des gesellschaftlichen Bildes von Familie, speziell von Alleinerziehenden / Rezeption von Diskursen zu Familie / Einfluss dieser Diskurse auf die Familienrealität - Existenzsicherung der Familie / das zeitliche Gefüge des Familienalltags - Eltern-Kind-Beziehung - Geschlechterrollen / Doing Gender - Reaktionen der sozialen Umwelt auf die Ein-Elter-Familie
Institutionen und Sozialstruktur Soziale Interaktionen
Da die Themen Geschlecht und Familie außerordentlich intime Lebensbereiche darstellen, ist für die hier gewählte Fragestellung das Kriterium der Prozessorientierung (Witzel 1995) besonders entscheidend. Mit diesem Kriterium ist die akzeptierende und sensible Orientierung der Interviewerin auf den Prozess der subjektiven Darstellung von Einstellungen und Handlungen durch die Befragten gemeint. In der konkreten Interviewsituation werden so die Herstellung eines Vertrauensverhältnisses und die Gesprächsentwicklung gefördert. „Dieses Vertrauensverhältnis fördert die Erinnerungsfähigkeit und motiviert zur Selbstreflexion.“ (Witzel 2000: 3) Im PZI als einem diskursiv-dialogischen Verfahren werden Erzählungsgenerierende und Verständnis- generierende Kommunikationsstrategien miteinander verbunden. Unter Erzählungs- generierenden Kommunikationsstrategien sind dabei vorformulierte Einleitungsfragen, allgemeine Sondierungen und adhoc-Fragen zu verstehen, die die wesentlichen Themenbereiche aus dem Leitfaden einbringen und damit Vergleichbarkeit absichern sollen. Verständnisgenerierende Kommunikationsstrategien arbeiten mit dem Zurückspiegeln von Erzähltem, mit Verständnisfragen und mit Konfrontationen auf Widersprüche in der Erzählung. Durch diese Gesprächstechniken wird die Gefahr der Fehlinterpretation der Erzählung im Auswertungsprozess minimiert. Die Interviews fanden, je nach Wunsch der Befragten, teilweise bei diesen zu Hause und teilweise in halböffentlichen Räumen (z. B. in einem Büro in der 181
Universität) statt. Es wurde Wert darauf gelegt, dass die Interviewsituation möglichst wenig Störungen von außen ausgesetzt war. Interviewerin und Befragte befanden sich allein im Raum.161 Die Interviews wurden auf Tonträger aufgezeichnet und im Anschluss vollständig transkribiert. Zu Beginn des Interviews wurden die Befragten darauf aufmerksam gemacht, dass ihre Daten vollständig anonymisiert werden würden. Trotzdem hatten Aufnahmegerät und Mikrofon oftmals einen einschüchternden Effekt, der sich jedoch meistens bald legte. Zu Beginn des Interviews wurde eine kurze einleitende aber inhaltlich sehr offen gehaltene Darstellung des Forschungsvorhabens gegeben. Darüber hinaus wurde ein ausführliches Gesprächs über das Forschungsvorhaben im Anschluss an das Interview angeboten. Die persönliche Situation der Forscherin als ebenfalls Alleinerziehende wurde nur auf Nachfragen hin expliziert. Dies geschah nur in zwei von 20 Fällen.162 Direkt im Anschluss an die Interviews wurde als Grundlage für die Auswertung jeweils ein Postscriptum verfasst, in dem der atmosphärische Ablauf des Interviews und erste Eindrücke in Form eines Gedächtnisprotokolls festgehalten wurden.163 5.5 Auswertungsverfahren164 Die Auswertung basiert auf der vollständigen Transkription der Interviews unter Hinzuziehung der Informationen aus dem Fragebogen. Eine Herausforderung an die Auswertungsarbeit bestand darin, sowohl biographische Zusammenhänge sichtbar zu machen und damit den Sinnzusammenhang und die Gestalt des Verlaufs zu wahren (Witzel 1996: 63) als auch Ähnlichkeiten und Unterschiede subjektiver Deutungsmuster im systematischen Fallvergleich zu verdeutlichen.
161
Weder Kinder, noch evtl. PartnerInnen sollten anwesend sein, damit die Aufmerksamkeit der Befragten nicht abgelenkt und die Inhalte ihrer Erzählung nicht beeinflusst wurde. In einigen Fällen ließen sich jedoch kurze Unterbrechungen durch im Haushalt anwesende Kinder nicht vermeiden. 162 Einerseits ist gegenüber einer Interviewerin, deren Status als Alleinerziehende bekannt ist, leichter ein Vertrauensverhältnis im Interview aufzubauen, andererseits werden gegenüber einer Alleinerziehenden mehr Informationen über diese Lebensform als bekannt vorausgesetzt. Letztere Überlegung führte dazu, den Alleinerziehenden – Status der Interviewerin möglichst nicht bekannt zu geben. 163 Bei dem gesamten Prozess der Datenerhebung und –Auswertung wurde auf achtsamen und respektvollen Umgang mit den gewonnenen Informationen geachtet. 164 „In der empirischen Sozialwissenschaft, die in der Tradition des interpretativen Paradigmas steht, gibt es keine ‚Auswertungsmethode der Wahl’, die verallgemeinerbar auf alle Forschungsgegenstände anwendbar wäre. Der Wissenschaftler ist gehalten, die notwendigen Auswertungsschritte dem sozialwissenschaftlichen Gegenstand und der ihm entsprechend gewählten Erhebungsmethode anzupassen.“ (Witzel 1996: 49)
182
Zur Sichtbarmachung biographischer Zusammenhänge wurden zunächst relativ kurz gehaltene Falldarstellungen verfasst, durch welche die einzelnen biographischen Chronologien nachvollziehbar gemacht wurden. Auf das Verfassen der Falldarstellungen folgte die Erstellung ausführlicher Fallanalysen, in denen subjektive Konstruktionen von Geschlecht und Familie systematisch in Bezug zu Interaktionen, sozialstrukturellen Bedingungen und Leitbildern gebracht wurden (theoriegeleitete Vorgehensweise). Dem Prinzip der Offenheit folgend, wurden gleichzeitig „fallspezifische zentrale Themen“ (Witzel 1996: 65) herausgearbeitet. Des Weiteren wurde in den Fallanalysen auf die „Beschaffenheit des vorliegenden Interviewmaterials“, auf „Besonderheiten des Falls“, „interpretative Unsicherheiten“ sowie auf „offengebliebene Fragen“ und „offensichtliche Widersprüche im Material“ eingegangen (Witzel 1996: 64). Auf Falldarstellungen und Fallanalysen wurde im weiteren Auswertungsprozess, der im Vergleich einzelner thematischer Schwerpunkte in den Interviews bestand, immer wieder Bezug genommen. Auf das Verfassen der Fallanalysen folgte die Markierung des Textes nach einem Kategoriensystem, das aus den theoretischen Vorannahmen und neuen Aspekten aus den Interviews gewonnen wurde. Der nächste Schritt war die systematische offene und axiale Kodierung am Einzelfall auf der Basis des bisher erarbeiteten Materials. Mit der hierbei zentralen parallelen Aufmerksamkeit auf Offenheit und Theoriebezug wurde die bereits in der Erhebungsphase angestrebte Integration von induktivem und deduktivem Vorgehen konsequent im Auswertungsprozess weitergeführt. Die „Präzisierung deskriptiver Kategorien ebenso wie die Entwicklung neuer oder differenzierterer Kategorien“ erfolgte „in einem Prozess der schrittweisen Klärung und Auseinandersetzung mit der untersuchten sozialen Realität“ (Hopf 1984:17). Auf der Basis des Kategoriensystems wurde eine Textdatenbank als elektronisches Fundstellenregister (Witzel 2000) mit Hilfe des Computersystems Atlas Ti erstellt. Gedanken, Ideen und Querverbindungen, die während der Arbeit mit dem Datenmaterial entstanden, wurden in Form von kleinen Zwischennotizen, so genannten ‚Memos’ (Glaser und Strauss 1998 [1967]), festgehalten. Diese setzt man später systematisch in Bezug zu den anderen Elementen der Auswertungsarbeit. Der systematisch kontrastierende Fallvergleich ermöglicht die Bildung von Gruppen und Typen - wiederum auf der Basis von theoriegeleiteter Fragestellung und thematischen Schwerpunktsetzungen der Interviewten. Für diesen abschließenden Arbeitsschritt wird auf das von Kluge/Kelle ausführlich dargelegte System der Typenbildung (Kelle und Kluge 1999) zurück gegriffen. Basierend auf dem bereits erstellten Auswertungsmaterial können Hypothesen zu Fall übergreifenden Mustern aufgestellt werden,
183
die daraufhin erneut am Datenmaterial geprüft und schließlich entweder erhärtet oder revidiert werden. „Grundsätzlich ist also jede Typologie das Ergebnis eines Gruppierungsprozesses, bei dem ein Objektbereich anhand eines oder mehrerer Merkmale in Gruppen bzw. Typen eingeteilt wird“ (Kelle und Kluge 1999: 77/78).
Dabei wird darauf geachtet, dass sich „die Elemente innerhalb eines Typus möglichst ähnlich sind (interne Homogenität auf der ‚Ebene des Typus’) und sich die Typen voneinander möglichst stark unterscheiden (externe Heterogenität auf der ‚Ebene der Typologie’)“ (ebd.: 78). „Mit dem Begriff des Typus werden die gebildeten Teil- oder Untergruppen bezeichnet, die gemeinsame Eigenschaften aufweisen und anhand der spezifischen Konstellation dieser Eigenschaften beschrieben und charakterisiert werden können.“ (ebd.)
Im Prozess der Typenbildung werden also Merkmalsräume gebildet, in denen verschiedene Kategorien zusammengefasst werden können. Ziel dieses Ordnungsprozesses ist das Erkennen und Formulieren inhaltlicher Sinnzusammenhänge, welches wiederum zur Theoriegenerierung führt. (Kelle und Kluge 1999: 79ff.) Gruppenbildung entsteht dort, wo nur ein Merkmal in mehreren Interviews übereinstimmt. Die Auswahl der relevanten Merkmale für Gruppenund Typenbildung aus dem reichhaltigen Datenmaterial erfolgt, wiederum den Prinzipien von Offenheit und Theoriegeleitetheit folgend, anhand der durch die theoretische Vorarbeit entstandenen Fragestellungen und der thematischen Schwerpunktsetzungen der Interviewten. Bei der Verschriftlichung der Ergebnisse wurde darauf geachtet, dass, entsprechend der Zielsetzung des ‚giving voice’, den Erzählungen der interviewten Alleinerziehenden genügend Platz eingeräumt wurde. Aus Gründen der Textlänge und der Lesbarkeit wurden jedoch auch Erzählpassagen in eigenen Worten zusammengefasst. Auch der jeweilige biographische Zusammenhang konnte nur – wo sinnvoll - in eigenen Worten wiedergegeben werden.
Methodische Reflexion Die sich ergänzenden Daten aus Fragebögen und transkribierten Interviews ermöglichten die differenzierte Erfassung der konkreten Lebensbedingungen Alleinerziehender sowie ihrer Bedeutung für die Einzelnen. Auf dieser Grundlage konnten die sozialen und sozialstrukturellen Lebensbedingungen mit Bezug auf den Forschungsstand differenziert beschrieben werden (6. Kapitel). Das 184
Forschungsdesign wurde auf die Integration von sozialstruktureller und kultureller Ebene ausgerichtet. Die Methode des problemzentrierten Interviews war die Methode der Wahl für die Erfassung und dichte Beschreibung alltagsweltlicher Konstruktionen in ihrer Vielfältigkeit. Unterschiede wie Gemeinsamkeiten in den Reproduktionen und Modifikationen von Geschlechter- und Familienleitbildern bei Männern und Frauen sowie in Ost und West konnten aufgrund der diese Untergruppen gleichmäßig berücksichtigenden Samplekonstruktion herausgearbeitet werden. Die Interviews dauerten ein bis zwei Stunden. Anfänglich war die Situation häufig durch eine zögerliche bis misstrauische Haltung der Befragten geprägt, welche sich jedoch während des Interviews in der Regel zugunsten einer wachsenden Offenheit wandelte. Dies spiegelte sich auch in den Inhalten der Erzählungen wider. Während zunächst häufig ein eher unproblematisches Bild des eigenen Lebens gezeichnet wurde, kam es im Verlauf des Interviews häufig zu Berichten über problematische Aspekte. Im Goffmenschen Sinne ließen die Befragten also teilweise zu, dass hinter ihre ‚Masken’ der möglichst positiven Darstellung des eigenen Selbst in der Interaktion geschaut wurde. Mehrfach wurde von Interviewten nach Abschluss des Interviews betont, dass sie sich allein durch die Fragen nach ihrer Situation als Alleinerziehende anerkannt fühlten wie sonst selten in ihrem Alltag, und dass sie die durch die Fragen entstandenen Reflexionsmöglichkeiten als persönlichen Gewinn erlebten. Diese Art Rückmeldung wurde von den männlichen Befragten seltener gegeben. Vielmehr entstand in einigen der Interviews mit allein erziehenden Vätern der Eindruck, dass die Gelegenheit zur möglichst lückenlosen positiven Selbstdarstellung eine wesentliche Motivation für die Bereitschaft zum Interview darstellte. Sie ließen weniger häufig hinter ihre ‚Masken’ blicken. Die Situation, als Mann von einer Frau befragt zu werden, wird hier eine Rolle gespielt haben. Auf der Basis der kodierten Interviews wurden zunächst die Bedeutungen sozialer und sozialstruktureller Lebensbedingungen erfasst (6. Kapitel). Zur Darstellung der subjektiven Geschlechter- und Familienbilder wurden auf der Grundlage des aus Interviewleitfaden und erhobenen Daten entstandenen detaillierten Kategoriensystems vier Fall- übergreifende Hauptthemen gebildet: Das Selbstverständnis Körper/Geschlecht (7.1), Einstellungen zum Geschlechterverhalten von Kindern (7.2), Mütterlichkeit und Väterlichkeit (7.3) sowie Einstellungen zu unterschiedlichen Familienformen (7.4). Innerhalb dieser Themen wurden Gruppen in Spektren zwischen eher traditionellen und eher als modern anzusehenden Einstellungen gebildet. Diese Gruppen wurden in weiteren Arbeitsschritten (in den Zusammenfassungen von 7.2 und 7.4) zueinander in Beziehung gesetzt. Die gleichzeitige Zuordnung der Fälle zu zwei Gruppen führte zu Typenbildungen. Die differenzierte Gruppenbildung hatte 185
eine vielfältige Typenbildung zu Folge, durch welche die Heterogenität der Gruppe (auch) in Hinblick auf ihre kulturellen Bilder verdeutlicht werden konnte. Die Darstellung ihrer subjektiven Wirklichkeit unterlag im Moment des Erzählens der interviewten Alleinerziehenden bereits einer Interpretation. Diese Interpretation der jeweiligen subjektiven Wirklichkeit wurde im Prozess der Auswertung und Interpretation der gewonnenen Daten zunächst als solche übernommen, da keine Möglichkeit bestand, deren Bezug zur Wirklichkeit zu überprüfen (es sei denn, es zeigten sich Widersprüche innerhalb der Erzählung). In einem zweiten Schritt wurden die transkribierten Interviews dann wie oben beschrieben zueinander sowie zum Forschungsstand und zu Diskursen in Beziehung gesetzt und einer erneuten Interpretation durch die Autorin unterzogen. Die Interviews durchliefen also einen Prozess der doppelten Interpretation (vgl.: Witzel 2000).
186
6 Lebensbedingungen des Samples
In diesem Kapitel werden die Lebensbedingungen der im Rahmen dieser Arbeit befragten Alleinerziehenden mit Bezug auf den in Kapitel 4 beschriebenen Forschungsstand dargestellt. Die individuellen sozialstrukturellen Bedingungen wie Entstehung des Alleinerziehens und Anzahl sowie Alter der Kinder (6.1), die verschiedenen sozialstrukturellen Aspekte im tabellarischen Überblick (6.2), Quantität und Qualität der Kinderbetreuung (6.3), die Bedeutung von privat finanzierten Kinderbetreuungsmöglichkeiten und privater Unterstützung (6.4) Teilzeit- und Vollzeiterwerbstätigkeit sowie Erwerbslosigkeit (6.5), ökonomischer Situation (6.6) Bildung (6.7), und zuletzt Strategien der Alltagsbewältigung (6.8) werden für die LeserInnen nachvollziehbar gemacht. Wie bereits unter 5.1 ausgeführt wurde, ist die Ausarbeitung dieser Aspekte elementar für das Verständnis der Einstellungen und Bewertungen der befragten Alleinerziehenden zu ihrer Familienform. Nur auf der Basis einer detaillierten Darstellung der sozialen und sozialstrukturellen Hintergründe des hier untersuchten Samples können Aussagen darüber gemacht werden, welche Gewichtungen jeweils strukturellen und kulturellen Aspekten in subjektiven Konstruktionsprozessen von Geschlecht und Familie zukommen und welche Verknüpfungen dieser beiden Ebenen auszumachen sind. Zudem wird durch die Ausarbeitung der sozialen und sozialstrukturellen Lebensbedingungen der befragten Alleinerziehenden die Einordnung der Gruppe in den in Kapitel vier vorgestellten Forschungsstand ermöglicht. In den folgenden Kapiteln wird aus den Interviews zitiert. Selbstverständlich sind diese Interviews vollständig anonymisiert. Alle Namen wurden geändert. Bezeichnungen von Berufen, sozialen Einrichtungen, Stadtvierteln etc., an denen die Befragten evtl. zu erkennen wären, wurden durch allgemeine Bezeichnungen ersetzt, die kursiv und in Klammern gesetzt wurden, z. B. für „Schwachhausen“ - (Stadtteil). Pausen im Interview werden durch Klammern mit Punkt (.) gekennzeichnet, übersprungene Passagen im Interview mit Klammern und drei Punkten (…). Steht vor den Interviewpassagen ein kursiv gedrucktes B.: so folgt hier die Äußerung einer befragten Person. Vor Fragen und Kommentaren der Interviewerin findet sich ein kursiv gedrucktes I.:. Steht weder ein B.: noch ein I.: vor der zitierten Interviewpassage, so wird an dieser Stelle die Erzählsequenz einer interviewten Person wiedergegeben. Nach den 189
einzelnen Zitaten stehen Angaben über die betreffende Person und den Ort, an dem sich die jeweilige Passage in der Transkription der Interviews befindet in Klammer, z. B. (OF,4,35). Für den Leser / die Leserin sind nur die ersten zwei Buchstaben von Bedeutung. Hier wird folgendermaßen abgekürzt: WF = Westen, Frau; OF = Osten, Frau; WM = Westen, Mann; OM = Osten, Mann. Die Zahlen in den Klammern dienen zur Kennzeichnung von Seiten- und Zeilenzahl im transkribierten Interview. Die Interviewerin wählte die Ansprache ‚Sie’ für die Kommunikation mit den Befragten. In einigen Ausnahmefällen wurde auf Wunsch der Befragten die gegenseitige Anrede ‚Du’ gewählt.
6.1 Entstehung des Alleinerziehens, Kinder Zu Beginn der Interviews wurde nach der Entstehung des Alleinerziehens gefragt. Dies stellte sich als hilfreich heraus, da bei den meisten Befragten ein starkes Erzählbedürfnis zu diesem Thema vorlag, gleichzeitig ergab sich mehrfach das Problem, die Beantwortung dieser Frage zeitlich zu begrenzen. Besonders bei den durch Trennung allein erziehend Gewordenen waren diese oftmals viele Jahre zurückliegenden Erlebnisse noch nicht vollständig verarbeitet. Bei traumatischen Erfahrungen wurde die Frage nach dem Trennungsprozess anfangs nur knapp und zögerlich beantwortet. Erst im späteren Verlauf der Interviews wurde dieser Aspekt dann wieder aufgenommen. Einen Überblick über die unterschiedlichen Entstehungshintergründe des Alleinerziehens der Interviewten gibt die folgende Tabelle (Tab.4). Dem selbst gewählten Alleinerziehen werden zunächst nur jene Fälle zugeordnet, in denen die Wahl der Lebensform des Alleinerziehens nicht aus einer Trennung hervorging. Dabei zeigt sich für die Gruppe der allein erziehenden Frauen in West und Ost folgendes Bild: Tabelle 3:
Zustandekommen des Alleinerziehens
AE. selbst gewählt
Trennung /Scheidung
WF2, OF1, OF3, OM5
WF1, WF3, WF4, WF5, OF2, OF4, OF5, WM1, WM2, WM3, WM4, OM1, OM4
AE. = Alleinerziehen; WF = Frauen / West; OF = Frauen / Ost, WM = Männer / West; OM = Männer / Ost
190
Tod des anderen Elternteils WM5, OM2, OM3
Wie im Forschungsstand kommen auch in diesem Sample die meisten Ein-ElterFamilien durch Trennung zu Stande. Nur wenige Alleinerziehende entscheiden sich von vorne herein für diese Familienform. Das Alleinerziehen ist in der Regel nicht biographisch geplant. Das unerwartete, plötzliche Eintreten verunmöglicht die Vorbereitung auf die besonderen Anforderungen dieser Lebenssituation, z. B. durch den Abschluss einer Qualifikation. In Tabelle 5 (s. u.) werden verschiedene Arten der Trennung weiter differenziert. Es wird in Trennungen, die von dem daraufhin allein erziehenden und solchen, die von dem anderen Elternteil ausgingen, unterschieden. Allerdings gingen auch jenen Trennungen, die aus eigener Entscheidung der daraufhin Alleinerziehenden zu Stande kamen, in der Regel Beziehungskrisen voraus. Es handelt sich insofern nicht, wie beim selbst gewählten Alleinerziehen, um eine aus freier Entscheidung zu Stande gekommene Präferenz für diese Lebensform, sondern um die Folge einer nicht mehr funktionierenden Zwei-Eltern-Familie. Weiterhin werden Differenzierungen in Trennungen, die weitgehend in beiderseitigem Einvernehmen stattgefunden haben, und Trennungen aufgrund von ‚schicksalhaften’ Umständen vorgenommen. Mit ‚schicksalhaft’ werden hier Umstände bezeichnet, die den Alleinerziehenden keine Alternative zur Trennung ließen. Hierunter zählen z. B. Alkoholismus und andere psychische Krankheiten des anderen Elternteils. Tabelle 4: eigene Entscheidung WF1, WF4, OF2, WM1
165
Verschiedene Formen der Trennung Entscheidung des anderen Elternteils WF3, WF5, OF2, WM4, OM4
beidseitiges Einvernehmen WM2, WM3
Trennung aufgrund schicksalhafter Umstände OF4, OF5, OM1
Die Interviews bestätigen die im Forschungsstand getroffene Feststellung, dass es vor allem in der Anfangszeit für das subjektive Erleben des Alleinerziehens einen großen Unterschied macht, ob diese Lebensform durch eine eigene Entscheidung, oder z. B. durch den Tod des anderen Elternteils zustande gekommen ist. 165 Ein Fall (OF2) erscheint in der folgenden Tabelle doppelt, da die Kinder der Betreffenden verschiedene Väter haben. OF2 wurde aus unterschiedlichen Trennungsverläufen heraus allein erziehend.
191
Anzahl und Alter der Kinder166 Die Kinder werden in zwei Altersgruppen unterteilt: Bis zum Ende des Grundschulalters und älter als zehn Jahre. Es werden alle und nur die Kinder angeführt, die noch im Haushalt wohnen. Auch das Geschlecht der Kinder wird in den folgenden beiden Tabellen angegeben. Es wird in Mutter- und Vaterfamilien unterschieden: Tabelle 5:
1 – 9 Jahre 10 + Jahre
Kinder in Mutterfamilien WF1
WF2
WF3
m. 5 m. 7
m. 8
m. 3 m. 15
OF1 1 – 9 Jahre 10+ Jahre
m. 15
OF2
OF3
w. 5
m. 3 m. 5
WF4
WF5
w. 12 m. 22 OF4
w. 15 m. 17 OF5
w. 5
m. 9 J.
w. 15
m. = männliches Kind, w. = weibliches Kind
166
Dieser Überblick dient, neben der Darstellung der Heterogenität der Gruppe, dazu, die ‚Familiendaten’ für einen evtl. Rückgriff beim Lesen der weiteren Arbeit zur Verfügung zu haben.
192
Tabelle 6:
Kinder in Vaterfamilien WM1
1 – 9 Jahre 10 + Jahre
WM3
w. 7
OM1 1 – 9 Jahre 10+ Jahre
WM2
m. 10
w. 14
OM2
OM3
w. 11 167
WM4
WM5
m. 9
w. 9
OM4
w. 18 m. 20 OM5
w. 12 m. 17 w. 12 w. 13
m. 5 w. 11 m. 16 m.19
m. 15
m. = männliches Kind, w = weibliches Kind
In diesem Sample bestätigt sich wiederum der Forschungsstand, demzufolge allein erziehende Väter tendenziell ältere Kinder betreuen als allein erziehende Mütter. Für die spätere Beantwortung der Frage nach Konstruktionen von Geschlecht ist von Bedeutung, dass genügend allein erziehende Mütter im Sample vorhanden sind, die Söhne erziehen (acht Fälle) und allein erziehende Väter, die Töchter erziehen (sieben Fälle), denn wie in Kapitel zwei bereits aufgezeigt wurde, spielt in Theorien zur Bildung von Geschlechtsidentität der Aspekt der innerfamilialen geschlechtlichen Identifikation eine große Rolle.
6.2 Überblick über sozialstrukturelle Bedingungen Bevor in den anschließenden Kapiteln differenziert auf die hier aufgeführten einzelnen Aspekte eingegangen wird, erfolgt an dieser Stelle wiederum zunächst ein Überblick. In den folgenden vier Tabellen, die in Frauen West, Frauen Ost, Männer West und Männer Ost aufgeteilt sind, wird dargestellt, wie in diesen vier Untergruppen des vorliegenden Samples Kinderbetreuungsangebote, Bildung, Erwerbstätigkeit und ökonomische Situation verteilt sind. 167 Die elfjährige Tochter von OM1 bleibt aufgrund ihrer geistigen Behinderung auch im Alter von 11 Jahren und drüber hinaus in besonderem Maße betreuungsbedürftig.
193
Vom Alter der Kinder ist der Bedarf an institutioneller Kinderbetreuung bzw. privater Unterstützung abhängig. Kinderbetreuung ist für Alleinerziehende die entscheidende Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Zeit, in der die Kinder im betreuungsbedürftigen Alter sind. Eltern, die wegen der Pflege und Erziehung ihrer Kinder für lange Zeit nicht erwerbstätig waren, sind auch in späteren Jahren dem erhöhten Risiko einer Langzeiterwerbslosigkeit ausgesetzt. Der Umfang der institutionellen Kinderbetreuung wird in den folgenden Tabellen mit den Bezeichnungen ‚vorhanden’, ‚nicht ausreichend’ bzw. ‚zufrieden stellend’ beschrieben. ‚Vorhanden’ bezeichnet, dass die Kinderbetreuung Erwerbstätigkeit möglich macht, wenn auch unter großen Anstrengungen. Unter ‚zufrieden stellend’ werden jene Kinderbetreuungen gezählt, durch welche die Erwerbstätigkeit auf relativ entspannte Weise ermöglicht wird, indem z. B. auch Angebote in den Schulferienzeiten gemacht werden. Als ‚nicht ausreichend’ werden jene Angebote bezeichnet, die sich nur auf wenige Stunden täglich beschränken. Mit privat finanzierter Kinderbetreuung sind ElternInitiativ-Kindergruppen und Einzelbetreuung zu Hause gemeint. Letztere kann z. B. für Überbrückungszeiten zwischen der täglichen Schließung der Betreuungseinrichtung und dem Ende der Arbeitszeit (Randzeiten), aber auch für die Aufrechterhaltung der persönlichen Bewegungsfreiheit (Betreuung am Abend) bedeutsam sein. Über die Alleinerziehenden mit älteren Kindern werden in den folgenden vier Tabellen Informationen zu Kinderbetreuung, Erwerbstätigkeit und ökonomischer Situation im Rückblick auf die Kindergarten- bzw. Grundschulzeit ihrer Kinder gegeben, sofern sie zu dieser Zeit bereits allein erziehend waren. Dieser Rückblick ermöglicht auch bei den Alleinerziehenden mit heute älteren Kindern die Erfassung des Zusammenhangs zwischen vorhandener Kinderbetreuung, Erwerbstätigkeit und Einkommen. Interessant ist, dass sich mit einer Ausnahme168 in keinem der hier vorliegenden Fälle die Situation durch das Größerwerden der Kinder wesentlich geändert hat. Diejenigen, die bereits erwerbslos waren, als die Kinder klein waren, sind es noch heute, und die heute Erwerbstätigen waren bereits erwerbstätig, als ihre Kinder noch kleiner waren. Zunächst der Überblick über die sozialstrukturellen Bedingungen der allein erziehenden Mütter des Samples mit Westherkunft:
168
Die Ausnahme ist Om1, der in der Zeit zwischen dem Ausfüllen des Fragebogens und dem Interview eine Arbeit gefunden hat. Der Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme hängt allerdings nicht mit dem Alter seiner Tochter zusammen, die aufgrund ihrer geistigen Behinderung auch mit elf Jahren noch betreuungsbedürftig ist.
194
Tabelle 7:
Sozialstrukturelle Bedingungen Westfrauen WF1
WF2
WF3
WF4
WF5
Institutionelle Kinderbetreuung privat finanzierte Kinderbetreuung private Unterstützu ng Bildung
zufrieden stellend vorhanden
nicht ausreichend vorhanden
nicht ausreichend vorhanden
nicht ausreichend vorhanden
nicht finanzierbar
nicht finanzierbar
nicht finanzierbar
nicht finanzierbar
nicht ausreichend
nicht ausreichend
nicht in Anspruch genommen zufrieden stellend finanzierbar keine
nicht ausreichend
nicht ausreichend
abgeschlossenes Hochschulstudium
Abitur, Ausbildung in Dienstleistungsberuf
Ausbildung im pflegerischen Bereich
abgebrochenes Hochschulstudium
Erwerbstätigkeit
Teilzeit (10 Std.)
Teilzeit (30 Std.)
Abgeschlossenes Hochschulstudium mit Zusatzausbildung Teilzeit (20 Std.)
Teilzeit (30 Std.)
erwerbslos
ökonomisch e Situation
am Existenzminimum
am Existenzminimum
zufrieden stellend
schwierig
am Existenzminimum
Von den fünf Frauen im Westen kann nur WF1 auf zufrieden stellende Kinderbetreuung zurückgreifen. Trotzdem arbeitet sie nur zehn Stunden wöchentlich in Teilzeit. Wie im Interview deutlich wird, liegt die Hauptursache hierfür in ihrer beruflichen Orientierungslosigkeit. Das abgeschlossene Hochschulstudium kann nicht nutzbringend eingesetzt werden. WF3 kann sich aufgrund ihres hohen beruflichen Status und dem damit verbundenen hohen Verdienst private Kinderbetreuung leisten, die sie für qualitativ hochwertiger als institutionelle Kinderbetreuung hält. Sie ist die einzige in der Gruppe der Westfrauen, die in einer zufrieden stellenden ökonomischen Situation lebt. WF4 ermöglicht sich Erwerbstätigkeit in ihrem pflegerischen Beruf durch komplizierte Arrangements institutioneller und privater Kinderbetreuung. Diese erfordern einen hohen Energieaufwand, da sie teilweise in gegenseitigen Unterstützungsleistungen im „Austausch“ mit anderen Eltern bestehen. Die großen Anstrengungen, die WF4
195
zur Aufrechterhaltung ihrer Erwerbstätigkeit vollbringt, führen zu einer einigermaßen ausreichenden ökonomischen Situation. Der berufliche Status in einem prekären Dienstleistungsverhältnis verhindert bei WF2 trotz ähnlicher Leistungen eine ökonomisch abgesicherte Existenz ihrer Familie. Im Falle von WF5 sind ein kurz vor dem Abschluss abgebrochenes Hochschulstudium und eine lange Zeit des Ausstiegs aus dem Arbeitsmarkt als Ursache ihrer schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu sehen. Bis auf WF3 kann sich keine der ‚Westfrauen’ private Kinderbetreuung leisten. Wie stellt sich die Lage für die Männer im Westen dar? Sind Unterschiede zu den Frauen im Westen erkennbar? Tabelle 8:
institutionelle Kinderbetreuung privat finanzierte Kinderbetreuung private Unterstützung Bildung
Erwerbstätigkeit Ökonomische Situation
196
Sozialstrukturelle Bedingungen Westmänner WM1
WM2
WM3
WM4
WM5
vorhanden
zufrieden stellend vorhanden
nicht in Anspruch genommen
vorhanden
nicht in Anspruch genommen
nicht finanzierbar
nicht benötigt
bot kaum zeitliche Entlastung
nicht finanzierbar
nicht benötigt
nicht ausreichend
keine
keine
keine
ausreichend
Ausbildung im pflegerischen Bereich, z. Zt. Hochschulstudium erwerbslos
abgeschlossenes Hochschulstudium
Abgebrochenes Hochschulstudium
kein Schulabschluss
Handwerks -Meister
Teilzeit (30 Std.)
erwerbslos
erwerbslos
Teilzeit (30 Std.)
am Existenzminimum
zufrieden stellend
am Existenzminimum
am Existenzminimum
zufrieden stellend
Nur einer von den Westmännern (WM2) greift auf zufrieden stellende institutionelle Kinderbetreuung zurück. WM5 nimmt keine institutionelle Kinderbetreuung in Anspruch. Er erhält Unterstützung von seiner Verwandtschaft und organisiert wechselseitige Arrangements in der Nachbarschaft. WM2 und WM5 sind hoch qualifiziert und arbeiten in ihrem erlernten Beruf. Sie erreichen eine zufrieden stellende ökonomische Situation. WM1 und WM4 können zwar auf institutionelle Kinderbetreuung zurückgreifen, deren Öffnungszeiten decken jedoch nicht die Arbeitszeiten ihrer Berufe ab. Beide sind erwerbslos und leben, wie auch WM3, in äußerst eingeschränkten ökonomischen Verhältnissen. Im Falle von WM3 ist ein aufgrund der Unvereinbarkeit mit der Familienarbeit abgebrochenes Hochschulstudium ein wesentlicher Grund für die Erwerbslosigkeit. Aus Qualitätsgründen zieht er privat organisierte Kinderbetreuung institutioneller Kinderbetreuung vor, selbst wenn diese kaum zeitliche Entlastung bringt. Im Unterschied zum Forschungsstand zeigt sich bei den Westmännern dieses Samples die bessere berufliche und ökonomische Situation allein erziehender Männer im Unterschied zu allein erziehenden Frauen nicht in relevantem Ausmaß. In den Ergebnissen der vorlaufenden Fragebögen war die bessere materielle Lage der Väter im Vergleich zu den Müttern noch festzustellen. Andere als die aufgeführten vollerwerbstätigen Väter waren dann jedoch nicht zu einem Interview bereit. Drei der Befragten (WM3, WM4 und WM1) sind erwerbslos. WM4 fehlt eine abgeschlossene Berufsausbildung, WM1 möchte in seinem erlernten Beruf nicht mehr arbeiten und WM3 war zum Zeitpunkt des Interviews auf der Suche nach einer Teilzeittätigkeit. Auch hinsichtlich der bei allein erziehenden Vätern im Forschungsstand festgestellten umfangreichen privaten Unterstützung zeigen die fünf hier befragten Väter nicht das typische Bild: Drei von ihnen (WM2, WM3 und WM4) geben an, weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit private Unterstützung erhalten zu haben. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass von den insgesamt zehn Alleinerziehenden im Westen nur zwei (WF1, WM2) auf zufrieden stellende institutionelle Kinderbetreuung zurückgreifen. Von diesen beiden führt dies jedoch nur bei WM2, der seine hohe Qualifikation beruflich umsetzen kann, zu einer ökonomisch zufrieden stellenden Situation. Drei Alleinerziehende (WF3, WM3, WM5) nehmen institutionelle Kinderbetreuung aus Qualitätsgründen nicht in Anspruch und organisieren diese privat. Bei WF3 und WM5 führt dies – wiederum in Kombination mit amortisierten Qualifikationen, zu Erwerbstätigkeit und zufrieden stellender ökonomischer Situation. Interessant ist nun im Vergleich, wie sich die sozialstrukturelle Lage für die Alleinerziehenden im Osten darstellt. Es wird wieder mit den Müttern begonnen:
197
Tabelle 9:
Sozialstrukturelle Bedingungen Ostfrauen OF1
OF2
OF3
OF4
OF5
Institutionelle Kinderbetreuung privat finanzierte Kinderbetreuung private Unterstützung Bildung
nicht in Anspruch genommen
zufrieden stellend vorhanden
zufrieden stellend vorhanden
zufrieden stellend vorhanden
nicht finanzierbar
nicht finanzierbar
nicht finanzierbar
nicht finanzierbar
zufrieden stellend vorhanden nicht finanzierbar
ausreichend
keine
ausreichend
keine
Zwei abgeschlossene Ausbildungen
Realschulabschluss und zwei Facharbeiter – Ausbildungen
Realschulabschluss und zwei abgebrochene Berufsausbildungen
Abgebrochenes Hochschulstudium
Erwerbstätigkeit
Teilzeit (10-20 Std.) plus Ausbildung schwierig
Teilzeit (20 Std.)
Teilzeit (20-30 Std.)
erwerbslos
am Existenzminimum
schwierig
am Existenzminimum
Ökonomische Situation
nicht ausreichend Abschluss der polytechnischen Oberschule und pädagogische Ausbildung Teilzeit (10-20 Std.) schwierig
Auf die im Forschungsstand beschriebene, bis heute weitgehend gesicherte Kinderbetreuung im Osten greifen vier von fünf Müttern in diesem Sample zurück. OF1 nimmt dieses Angebot nicht in Anspruch, da ihr Kind sich in der Kindertagesstätte nicht wohl fühlt. Ihr gelingt es jedoch, mit Hilfe privater Arrangements der Kinderbetreuung eine weitere Ausbildung zu machen. Drei der Mütter, die Ganztagsangebote in Anspruch nehmen, sind erwerbstätig (OF2, OF3, OF5), eine ist in der Ausbildung (OF1) und eine (OF4) ist erwerbslos. Die berufliche Perspektive von OF4 stellt sich als relativ hoffnungslos dar. Da sie keine Möglichkeit sieht, das abgebrochene Hochschulstudium zu beenden, und eine Umschulung vom Arbeitsamt aufgrund ihres Alters (über 40) nicht 198
finanziert wird, sieht sie keine Chance, zu qualifizierter Erwerbsarbeit zu kommen. Vom Arbeitsamt wird ihre Situation als Alleinerziehende ignoriert. So wurden ihr Arbeitsangebote im Schichtdienst und in anderen Städten unterbreitet. Der Hinweis von OF4 an das Arbeitsamt, dass solche Angebote sich nicht mit ihrer Lebenssituation als Alleinerziehende vereinbaren lassen, führte zum völligen Ausbleiben von Angeboten. Die beiden Alleinerziehenden dieser Gruppe, die keinerlei private Unterstützung erhalten, sind gleichzeitig diejenigen, bei denen die problematischsten ökonomischen Verhältnisse vorzufinden sind. Die ökonomische Situation ist in allen hier untersuchten Mütterfamilien im Osten schwierig bis dramatisch, ähnlich wie bei den Mütterfamilien im Westen (mit Ausnahme von WF3). Die strukturellen Bedingungen der Väter im Osten stellen sich folgendermaßen dar:
199
Tabelle 10:
Institutionelle Kinderbetreuung privat finanzierte Kinderbetreuung private Unterstützung Bildung
Erwerbstätigkeit ökonomische Situation
Sozialstrukturelle Bedingungen Ostmänner OM1
OM2
OM3
OM4
OM5
nicht ausreichend vorhanden nicht finanzierbar
zufrieden stellend vorhanden
zufrieden stellend vorhanden
zufrieden stellend vorhanden
zufrieden stellend vorhanden
nicht benötigt
nicht finanzierbar
nicht finanzierbar
nicht benötigt
keine
ausreichend
keine
keine
ausreichend
zwei handwerk -liche Ausbildungen abgeschlossen Vollzeit
abgeschlossenes Hochschulstudium
Handwerks -Meister
drei abgeschlossene Berufsausbildungen
abgeschlossene pädagogische Ausbildung
Vollzeit
erwerbslos
erwerbslos
schwierig
zufrieden stellend
am Existenzminimum
am Existenzminimum
Teilzeit (10-20 Std.) zufrieden stellend
Auch die Väter im Osten erfahren die institutionelle Kinderbetreuung als quantitativ zufrieden stellend. OM1, der mit seiner geistig behinderten Tochter zusammen lebt und als Schulbusfahrer arbeitet, kann seine Arbeitszeiten, die am frühen Morgen und bis in den Abend hinein liegen, allerdings kaum mit einer verantwortungsvollen Betreuung seiner Tochter vereinbaren. Er fühlt sich jedoch nach vorhergehender Sozialhilfeabhängigkeit vom Arbeitsamt zu dieser Tätigkeit genötigt. OM1 und OM2 sind die einzigen Alleinerziehenden in diesem Sample, die Vollzeit erwerbstätig sind. Trotzdem deckt der Lohn von OM1 aus einem prekären Dienstleistungsverhältnis nur knapp die existentiellen Bedürfnisse der Familie ab. OM2 erreicht die Vereinbarung von Familienarbeit mit Vollzeit-
200
erwerbstätigkeit, indem er viel zu Hause arbeitet. Dies bedeutet häufige Abendund Nachtarbeit. Seine Tätigkeit lässt aber keine kürzeren Arbeitszeiten zu. Im Falle von OM2 wird die Vollzeiterwerbstätigkeit durch die Kombination von ausreichender institutioneller Kinderbetreuung mit einem hohen Ausmaß an privater Unterstützung ermöglicht. OM5 ist in der besonderen Situation, trotz Teilzeitarbeit in finanziell zufrieden stellenden Verhältnissen zu leben. Dies wird durch die Gelder, die er für seine zwei Pflegekinder bekommt, ermöglicht. Auffallend ist, dass nur die beiden Väter dieser Gruppe, die viel private Unterstützung erhalten (OM2 und OM5), eine finanziell zufrieden stellende Situation erreichen. OM3 und OM4 finden trotz ihrer abgeschlossenen Ausbildungen keine Erwerbsarbeit. Wie auch OM1 geben sie an, auf keinerlei private Unterstützung zurückgreifen zu können. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich in der sozialstrukturellen Situation Alleinerziehender nur ein klar auszumachender Unterschied in Bezug auf die Gruppen Alleinerziehender in Ost und West zeigt: Fast alle Alleinerziehende dieses Samples, die im Osten leben, können im Unterschied zu denen im Westen auf quantitativ zufrieden stellende Ganztagskinderbetreuung zurückgreifen (Ausnahme: OM1). Gleichzeitig ist die Inanspruchnahme dieser Betreuungsmöglichkeiten für die meisten Befragten mit Ostherkunft eine Selbstverständlichkeit. Von einigen Alleinerziehenden im Westen werden dagegen Befürchtungen formuliert, dass das Wohlbefinden der Kinder unter institutioneller Betreuung in den ersten drei Jahren bzw. unter Ganztagsbetreuung leiden könnte. Aus diesem Grund werden Energie- und Kosten- aufwändige privat organisierte Arrangements gesucht (WM3, WM5, WF3). Andere Alleinerziehende mit Westherkunft sprechen jedoch den klaren Wunsch nach zeitlich ausgeweiteten institutionellen Kinderbetreuungsangeboten aus (WF2, WF4, WF5). Gesicherte Ganztagskinderbetreuung bedeutet nicht automatisch gesicherte Erwerbstätigkeit. Die Familienunfreundlichkeit des Arbeitsmarktes, die Forderungen nach Flexibilität und überdurchschnittlicher Belastbarkeit sowie fehlende Arbeitsplätze führen zu Erwerbslosigkeit oder Teilzeittätigkeiten mit geringerer Stundenzahl als gewünscht. Hier spielt allerdings auch die Qualifikation eine große Rolle. Nur drei der sieben erwerbslosen Alleinerziehenden in diesem Sample verfügen über eine abgeschlossene Berufsausbildung (WM1, OM3 und OM4). Die Alleinerziehenden dieses Samples können nur in geringem Maße auf private Unterstützung zurückgreifen: Nur fünf Alleinerziehende geben an, private Unterstützung in für sie persönlich ausreichendem Umfang zu erhalten (OF1, OF3, WM5, OM2 und OM5). Hier lässt sich ein Zusammenhang zum Erreichen einer ökonomisch zufrieden stellenden Situation herstellen, denn von diesen fünf Alleinerziehenden leben drei in ökonomisch zufrieden stellenden 201
Verhältnissen (WM5, OM2 und OM5). Die verbleibenden zwei Alleinerziehenden, die ohne private Unterstützung eine ökonomisch zufrieden stellende Situation erreichen (WF3 und WM2), können im einen Fall auf zufrieden stellende institutionelle und im anderen Fall auf privat finanzierte Kinderbetreuung zurückgreifen. Es lässt sich also folgern, dass entweder institutionelle Kinderbetreuung oder private Unterstützung und in einigen Fällen deren Kombination notwendig ist, um als Alleinerziehende in einem Maße erwerbstätig sein zu können, welche das Erreichen einer zufrieden stellenden ökonomischen Situation ermöglicht. Aber auch die Qualifikation ist ein nicht zu unterschätzender Faktor: Alle fünf Alleinerziehenden (WF3, WM2, WM5, OM2 und OM5), die durch ihre Erwerbstätigkeit eine zufrieden stellende ökonomische Situation erreichen (vier von ihnen sogar durch Teilzeitarbeit), verfügen über eine abgeschlossene Ausbildung, drei von ihnen über ein Hochschulstudium. In den folgenden Abschnitten werden die Aspekte der obigen Übersichtstabellen anhand von Interviewpassagen reflektiert. Es wird dargestellt, welche Bedeutung die aufgezeigten Figurationen für das subjektive Wohlbefinden der befragten Alleinerziehenden haben.
6.3 Quantität und Qualität der Kinderbetreuung Der Aspekt der institutionellen Kinderbetreuung wird in Tab. 12 für sich genommen betrachtet. Der Zugriff auf institutionelle Kinderbetreuung wird unter drei Kategorien erfasst: ‚Nicht in Anspruch genommene Betreuung’, ‚quantitativ bzw. qualitativ nicht ausreichende Kinderbetreuung’ und ‚zufrieden stellende (und in Anspruch genommener) Betreuung’. Tabelle 11:
Inanspruchnahme institutioneller Kinderbetreuung
nicht in Anspruch genommen WF3, WM3, WM5, OF1
quantitativ bzw. qualitativ nicht ausreichend WF2, WF4, WF5, OM1
zufrieden stellend
WF1, WM1, WM2, WM4, OF2, OF3, OF4, OF5, OM2, OM3, OM4, OM5
Hier zeigt sich erneut der oben bereits erwähnte Ost-West Unterschied: Doppelt so viele Alleinerziehende aus dem Osten im Vergleich zum Westen greifen auf eine zufrieden stellende Kinderbetreuung zurück, während ein hoher Anteil der 202
Befragten aus dem Westen institutionelle Kinderbetreuung entweder nicht in Anspruch nimmt oder mit der quantitativen bzw. qualitativen Ausstattung dieser Einrichtungen nicht zufrieden ist. Wie in Kapitel 3.5 bereits dargestellt, stehen im Westen institutionelle Kinderbetreuungseinrichtungen in erheblich geringerem Maße zur Verfügung. Über die Qualität der Betreuung wird (mit Ausnahme von WF2) größtenteils Zufriedenheit geäußert. Bei den Alleinerziehenden im Osten ist eine grundsätzliche Zufriedenheit nicht nur mit Quantität und Qualität der institutionellen Kinderbetreuung zu konstatieren. Stellvertretend für die acht Alleinerziehenden mit Ostherkunft, die im betreuungsbedürftigen Alter ihrer Kinder Ganztagsbetreuung in Anspruch genommen haben, kommt hier OF3 zu Wort: „Nö, so sind die schon taff da. Kann ich mich nicht beschweren. Also die Kinder gehen gerne, von Anfang an. Ich denke, ich hätte wahrscheinlich eine andere Einstellung, wenn ich irgendwie merken würde, dass es den Kindern nicht so ganz gut geht. Aber die gehen da ohne Mucken, ohne Murren hin. Ganz im Gegenteil. Wenn ich sie abhole, Mama, wir wollen noch nicht gehen. Dann sind sie aber schon die letzten.“ (OF3,3,47)
Das Thema der verschiedenen Erziehungsstile wird in den östlichen Bundesländern nicht ganz so ‚hoch gehängt’ wie im Westen, auch die Finanzierbarkeit spielt eine Rolle: „Ja, also ich bin da jetzt auch nicht, dass ich irgendwie irgendwelche Ansprüche stelle oder auf eine Montessori Kita oder Ähnliches, zumal das ja auch immer mit zusätzlichen Kosten verbunden ist, weil die staatlichen kriegt man ja vom Kostensatz her ja noch finanziell geregelt. Aber die anderen wollen ja gleich immer so 100, 150€ im Monat dazu haben.“ (OF3,3,43)
Zwei Alleinerziehende im Osten äußern Unzufriedenheit mit der institutionellen Kinderbetreuung. Die besonders schwierige Situation von OM1, dessen Tochter geistig behindert ist, wird durch die ihm zur Verfügung stehenden Betreuungsangebote nicht aufgefangen. Er muss für seine Erwerbsarbeit die Wohnung morgens eine Stunde früher als seine Tochter verlassen und bekommt für diese Stunde keine Betreuung. Die zuständigen Ämter scheinen hier nicht flexibel und unterstützend auf die außergewöhnliche Situation eines Alleinerziehenden geringem Verdienst und geistig behindertem Kind zu reagieren. Der Mangel an Ganztagskinderbetreuung im Westen stellt für die meisten der Alleinerziehenden in diesem Sample ein großes Problem für die Verein-
203
barung von Beruf und Familie dar. Insbesondere Randzeiten werden selten abgedeckt. Dazu eine Sequenz aus dem Interview mit WF4: „Es gibt andere Leute auch noch, die um sechs oder um sieben anfangen müssen, ist nun der normale Arbeitsanfang um acht Uhr, und was nützt mir das, wenn um acht der Kindergarten aufmacht? Oder Viertel vor acht und ich muss aber hier Viertel vor acht, was weiß ich, hier in der (Straßenname) sein, meine Tochter wegbringen, und um acht muss ich aber in (anderes Viertel) sein bei der Arbeit, das schaffe ich im Leben nicht. Und das finde ich schrecklich.“ (WF4,4,40)
Die befragten allein erziehenden Männer und Frauen im Westen sind in der Regel unzufrieden mit der Quantität, aber zufrieden mit der Qualität der Kinderbetreuung. Eine Ausnahme bildet hier WF2, bei der das geringe Gehalt aus dem prekären Dienstleistungsverhältnis keine andere Wohnsituation als die in einem sozial benachteiligten Stadtteil ermöglicht. Sie erzählt, dass in der Betreuungseinrichtung, die ihr Sohn besucht, viele erziehungsschwierige Kinder sind, für die zu wenig Personal vorhanden ist. Obwohl ihr Sohn sich dort nicht wohl fühlt, bleibt WF2 keine andere Wahl, als ihn in dieser Einrichtung unterzubringen, um weiter erwerbstätig sein zu können. Vier Alleinerziehende dieses Samples, drei Mütter aus dem Westen und eine aus dem Osten, nehmen keine institutionelle Kinderbetreuung in Anspruch. WF3 kann sich aufgrund ihres guten Einkommens qualitativ hochwertige private Kinderbetreuung leisten. WM3 organisiert mit FreundInnen selbst eine morgendliche Kinderbetreuung, die ihm jedoch nicht genug zeitliche Entlastung für eine evtl. Erwerbstätigkeit bietet. WM5 und OF1 greifen zur Betreuung ihrer Kinder auf private Netzwerke zurück. Das Ausweichen auf privat organisierte bzw. finanzierte Kinderbetreuung wird u. a. mit der nicht ausreichenden Qualität der institutionellen Kinderbetreuung begründet (WF3). Von manchen Alleinerziehenden wird das Wohl des Kindes über das eigene Bedürfnis nach persönlicher Zeit gestellt, indem privat organisierte Kinderbetreuung bevorzugt wird, die dem Elternteil kaum zeitliche Entlastung bringt (WM3).
6.4 Privat organisierte und private Unterstützung Private Unterstützung bezieht sich auf die Hilfe von FreundInnen, Verwandten und NachbarInnen. Diese Unterstützung besteht im Wesentlichen in Kinderbetreuung zur Sicherung von Erwerbsarbeit, zur Ermöglichung gelegentlicher persönlicher Freiräume und zur Pflege sozialer Kontakte. Private Unterstützung kann des Weiteren in finanziellen und materiellen Hilfen (z. B. Kauf von Kinderkleidung, Spielzeug, Schulsachen etc.) bestehen. 204
Privat organisierte Kinderbetreuung bezeichnet z.B. in Elterninitiative gegründete und organisierte Kindergruppen, sowie privat finanzierte Betreuung im eigenen Haushalt. Selbstorganisierte Kinderbetreuung wird in der Regel dort angestrebt, wo die existierenden institutionellen Möglichkeiten als ungenügend erlebt und beurteilt werden. Der Bedarf an privater Kinderbetreuung besteht vor Allem für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren und für Randzeiten. Tabelle 12:
Inanspruchnahme privater Kinderbetreuung
nicht finanzierbar
nicht benötigt
WF1, WF2, WF4, WF5, WM1, WM4, OF1, OF2, OF3, OF4, OF5, OM1, OM3, OM4
WM2, WM5, OM2, OM5
bot kaum zeitliche Entlastung WM3
zufrieden stellend WF3
Nur zwei Alleinerziehende des Samples (WM3 und WF3) griffen auf privat finanzierte Kinderbetreuung in Form von Kindergruppen zurück. Beide sahen diese Form der Kinderbetreuung als qualitativ höherwertig und dem Wohl des Kindes zuträglicher im Vergleich zu institutioneller Kinderbetreuung an. WM3 leistete einen Teil der Betreuung der in Elterninitiative organisierten und durchgeführten Kindergruppe selbst und nahm so in Kauf, dass er kaum zeitliche Entlastung erhielt. Der Kontakt zu anderen Eltern und die Geborgenheit seiner Tochter waren die Motivationen zu dieser Entscheidung. Bei WF3 lag der Fall insofern anders, als sie mit ihrem guten Verdienst nur geringe Chancen auf einen Betreuungsplatz in einer staatlichen Institution hatte.169 WM2 benötigt keine privat organisierte Kinderbetreuung, da seine Bedürfnisse an Betreuung durch Kindergarten, Schule und Hort abgedeckt sind. Die drei anderen Alleinerziehenden, die angeben, keine privat organisierte Betreuung zu brauchen, verfügen über private Unterstützung durch Verwandte und FreundInnen, durch die an Nachmittagen und Abenden Kinderbetreuung im gewünschten bzw. benötigten Umfang gewährleistet ist. Die restlichen 14 Allein-
169
Im Westen sieht die Vergabepraxis für institutionelle Kinderbetreuung die Bevorzugung gering Verdienender vor, da die Plätze für Kinder unter drei Jahren rar sind.
205
erziehenden dieses Samples sehen sich nicht in der Lage, privat organisierte Kinderbetreuung zu finanzieren, auch wenn teilweise dringender Bedarf besteht. Die folgende Tabelle zeigt, in welchem Ausmaß die interviewten Alleinerziehenden auf private Unterstützung zurückgreifen können.170 Tabelle 13:
Umfang privater Unterstützung
Ausmaß privater Unterstützung
keine
nicht ausreichend
ausreichend
WF3, OF2, OF4, WM2, WM3, WM4, OM1, OM3, OM4
WF1, WF2, WF4, WF5, OF5, WM1
OF1, OF3, WM5, OM2, OM5
Die Interviews verdeutlichen in Übereinstimmung mit dem Forschungsstand, dass es einen Unterschied macht, ob private Unterstützung durch Verwandtschaft oder FreundInnen bzw. Nachbarschaft erfolgt. Durch die hier vorliegende Untersuchung wird bestätigt, dass verwandtschaftliche Unterstützungsleistungen oftmals belastende Abhängigkeitsverhältnisse mit sich bringen, während Alleinerziehende bei Hilfen von FreundInnen und Nachbarschaft sehr auf die Gegenseitigkeit unterstützender Strukturen achten, um die Entstehung eben solcher Abhängigkeitsverhältnisse zu vermeiden. Dies wiederum beinhaltet einen hohen Energieaufwand. Es wird im Folgenden dargestellt, von wem die Alleinerziehenden dieses Samples private Unterstützung erhalten.171
170
Die Unterteilung in ‚keine’, nicht ausreichende’ und ‚ausreichende’ private Unterstützung bezieht sich auf die subjektiven Einschätzungen der Befragten. Es können keine feststehenden wöchentlichen Unterstützungszeiten zum Maßstab genommen werden, da je nach Kinderzahl und Alter der Kinder, Struktur der Erwerbstätigkeit sowie differierenden Bedürfnissen nach Teilhabe am sozialen Leben unterschiedliche Lebenslagen mit unterschiedlichem Bedarf an privater Unterstützung vorliegen. 171 Fett gedruckt werden wiederum diejenigen Fälle dargestellt, die in beide Gruppen gehören.
206
Tabelle 14:
Private UnterstützungsleisterInnen
Unterstützung durch Verwandte WM1, WM5, OM2, OM5, WF4, OF3, OF1, WF1
Unterstützung durch FreundInnen und Nachbarschaft WF4, OF5, WF2, WF5
WM1, WM5, OM2 und OM5 erhalten kontinuierliche und verlässliche Unterstützung bei der Betreuung ihrer Kinder durch ihre eigenen Mütter bzw. Schwiegermütter. Die Kinder werden regelmäßig von ihren Omas betreut, auch in Notfällen wie Krankheiten kann auf die weibliche Verwandtschaft zurückgegriffen werden. Dieser sehr entlastende Umstand wird von den Vätern allerdings kaum als solcher hervorgehoben. Die Unterstützung scheint eher als Selbstverständlichkeit wahrgenommen zu werden. Das soziale Netzwerk der allein erziehenden Frauen ist heterogener als das der allein erziehenden Männer. Sie erhalten Unterstützung aus Nachbarschaft und Freundeskreis (OF5, WF2, WF5, WF4) oder ebenfalls – in sehr differierendem Ausmaß - von der Verwandtschaft (OF3, OF1, WF1, WF4). Neun von den zwanzig Alleinerziehenden erhalten überhaupt keine private Unterstützung. Einige können nicht an sozialen oder kulturellen Ereignissen teilnehmen, weil es ihnen nicht möglich ist, abends das Haus zu verlassen: „Also ich habe da nichts zu erzählen, ich komme nicht raus, ich habe da nur ein Kind zu windeln usw., gehe nicht arbeiten, habe überhaupt keine Eindrücke, die ich mitteilen kann außer die in den vier Wänden, ja, ( ), aber eigentlich auch so andere Leute, die haben dann auch andere Sachen zu tun, als dass die da abends kommen und sagen wir leisten dir jetzt mal Gesellschaft, du langweilst dich vielleicht. Das war aber nicht so. Das war für mich, das war eine richtig blöde Zeit.“ (OF4,6,4)
Das Zu-Hause-Festsitzen der Alleinerziehenden hat Kontaktarmut und vermindertes Selbstbewusstsein zur Folge. Die sozial isolierten Alleinerziehenden erleben ihr Familienleben als uninteressant und empfinden sich selbst als langweilig. Private Unterstützung bei der Kinderbetreuung ist folglich für Alleinerziehende mit Kindern, die noch nicht alt genug sind, um alleine zu Hause bleiben zu können, ein wesentlicher Aspekt für die Entwicklung subjektiven Wohlbefindens. Aber auch materielle Unterstützung aus dem privaten Umfeld ist ein Faktor, der erheblich zu einem zufriedenen Lebensgefühl beiträgt. Materielle Unterstützung kann auf zwei Ebenen wirken: Erstens macht es für die Familie einen 207
großen Unterschied, ob eine Ergänzung des oft niedrigen ökonomischen Lebensniveaus, z. B. durch Geschenke, erfolgt. Zweitens zeigt das materiell unterstützende Verhalten von Verwandten und FreundInnen an, dass die bzw. der Alleinerziehende nicht mit ihrer/seiner Situation allein gelassen wird. Aus den obigen Ausführungen folgt, dass sich jene Alleinerziehenden in einer besonders problematischen Lage befinden, die weder auf privat finanzierte, noch auf von privaten Netzwerken gegebene Hilfeleistung zurückgreifen können (WM4, OF2, OF4, OM1, OM3 und OM4). Diese Alleinerziehenden sind, abgesehen vom Zugriff auf institutionelle Kinderbetreuungseinrichtungen, vollständig auf sich allein gestellt. Es lässt sich die soziale Härte erahnen, die dieser Umstand, besonders wenn die Kinder noch klein sind, für die Betroffenen bedeutet.
6.5 Erwerbsstatus Im Anschluss an eine Überblickstabelle, in der Auskunft darüber gegeben wird, welche Alleinerziehenden Teilzeit- bzw. Vollzeit arbeiten und welche erwerbslos sind, wird in diesem Abschnitt unter verschiedenen Aspekten auf die Bedeutung des Erwerbsstatus eingegangen. Tabelle 15:
Überblick Erwerbsstatus
Erwerbslosigkeit
Teilzeitarbeit
Vollzeitarbeit
WF5, WM1, WM3, WM4, OF4, OM3, OM4
WF1, WF2, WF3, WF4, WM2, WM5, OF1, OF2, OF3, OF5, OM5
OM1, OM2
Der überwiegende Teil der befragten Alleinerziehenden arbeitet Teilzeit, mit Wochenarbeitszeiten zwischen 10 und 30 Stunden. Auch wenn Kinderbetreuung qualitativ und quantitativ gesichert ist, bevorzugen sie Teilzeitarbeit bis zu 30 Stunden wöchentlich, solange Kinder im betreuungsbedürftigen Alter im Haushalt wohnen. In den folgenden Abschnitten wird auf die unterschiedlichen Anforderungen, Belastungen und Lebensmöglichkeiten eingegangen, die mit Teilzeit- und Vollzeiterwerbstätigkeit sowie mit Erwerbslosigkeit einhergehen.
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Teilzeiterwerbstätigkeit Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, in der sie nicht erschöpft von der Arbeit auf einer Vollzeitstelle sind, ist für viele Alleinerziehende die Basis familialer Lebensqualität. Dafür werden finanzielle Abstriche in Kauf genommen. Für einige ist Teilzeitarbeit ein grundsätzlicher Aspekt ihres Lebenskonzeptes. Sie empfinden ihr Leben mit Kind und Beruf als ausgefüllt. Das Leben mit Kindern führt bei manchen Alleinerziehenden zu einer Relativierung beruflicher Aufstiegsmöglichkeiten. Gleichzeitig wird Erwerbsarbeit bei gesicherter Vereinbarkeit von Beruf und Familie als ein wesentliches Element subjektiver Zufriedenheit erlebt. OF3 ist in der glücklichen Lage, eine relativ sichere Arbeitsstelle bei einem Arbeitgeber zu haben, der für ihre Situation als Alleinerziehende Verständnis hat. Die von ihr flexibel steuerbaren Arbeitszeiten erleichtern die subjektive Balance zwischen Erwerbstätigkeit und Familienleben enorm. WF2 dagegen ist aufgrund eines prekären Beschäftigungsverhältnisses im Dienstleistungssektor in einer problematischen Situation. Z. B. kann sie es sich nicht erlauben, bei Krankheit des Kindes zu Hause zu bleiben. Gefühle von Überforderung bei der Vereinbarung von Beruf und Familie werden auch von Alleinerziehenden, die über eine zufrieden stellende Kinderbetreuung und einen sicheren, gut bezahlten Arbeitsplatz verfügen, beschrieben. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass erwerbstätigen Alleinerziehenden „Atempausen“ im Alltag fehlen. Sie berichten über ihre Erschöpfung nach der Erwerbsarbeit und über die Schwierigkeit, sich dann übergangslos und mit einer den eigenen Ansprüchen und den Bedürfnissen der Kinder genügenden Aufmerksamkeit dem Familienleben zu widmen. Bereits bei Teilzeitarbeit ist Zeit im Alltag Alleinerziehender eine knappe und sehr wertvolle Ressource. Diese Situation verschärft sich bei der Annahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit:
Vollzeiterwerbstätigkeit Bei Vollzeiterwerbstätigkeit wächst die Zeitknappheit auch für diejenigen, die auf zufrieden stellende Kinderbetreuung und ein hohes Ausmaß an privater Unterstützung zurückgreifen können, wie es z. B. bei OM2 der Fall ist: „Naja, also bisher muss ich sagen, hat man irgendwie das versucht, also ich habe selber ein schlechtes Gewissen immer gehabt, weil es doch manchmal alles sehr chaotisch war, also (vor allem) wenn man sie gemerkt hat, die Defizite, ob es jetzt der Haushalt war, der irgendwie hinten runter gefallen ist, wo ich schon nicht solche
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super Ansprüche habe, aber irgendwie ständig hat man doch das Gefühl, dass es, also wenn jemand kommt, muss man vorher erstmal noch einen Einsatz machen und so. Und vom Job auch, dass man bestimmte Sachen halt nur halb fertig oder, also für meinen Anspruch, nach meinen Ansprüchen ein bisschen tricky dann auch macht, also so richtig, man kann sich das dann nicht leisten, richtig so hundertprozentig genau zu sein. In allen Dingen nicht. Also das geht dann nicht.“ (OM2,4,49)
Auch bei starker Neigung zur Erwerbstätigkeit wird Vollzeiterwerbstätigkeit von einigen Alleinerziehenden als Wahloption ausgeschlossen, so lange die Kinder im Haushalt wohnen. Andere Alleinerziehende ziehen Teilzeitarbeit nur so lange vor, bis ihre Kinder im Schulalter sind. Für einen Alltag ohne kontinuierliche Überlastung werden finanzielle Einbußen und reduzierte bis ausbleibende berufliche Aufstiegschancen in Kauf genommen.
Erwerbslosigkeit Bedeutet also die Vereinbarung von Familie und Beruf für erwerbstätige Alleinerziehende oftmals eine erhebliche Anstrengung, so scheint doch die größte psychische Belastung in der Regel von der Situation der Erwerbslosigkeit auszugehen. OF2, die heute Teilzeit arbeitet, berichtet im Rückblick über ihre Zeit der Erwerbslosigkeit: „Und da hatte ich dann ein Vierteljahr gar keine Arbeit und wusste nicht, wie es weiter geht. Das war eigentlich das schwerste Vierteljahr überhaupt. Naja, das war damals schon schwer als (Berufsbezeichnung) mit Kind, mit Kleinkind, vier Jahre alt, Arbeit zu finden, das einzige war eben, also (Arbeitsfeld), das konnte man nicht machen wegen Schichtzeit.“ (OF2,3,10)
Der überwiegende Teil der erwerbslosen Alleinerziehenden des vorliegenden Samples berichtet über materielle Not und Existenzängste. Einige haben die Hoffnung auf eine sinnvolle Beschäftigung aufgegeben. Sie erleben, dass sie aufgrund ihres Alters keinen Zugang mehr zum Arbeitsmarkt finden. Zu der hieraus entstehenden, bedrückenden Hoffnungslosigkeit kommen für einige der befragten Erwerbslosen Interaktionen auf Ämtern, welche das subjektive Empfinden der eigenen Wertlosigkeit noch verstärken: „Also ich fühle mich vom Arbeitsamt, vom Sozialamt immer total erniedrigend behandelt, hängt sehr von den einzelnen Sachbearbeitern ab, aber das mache ich nicht daran fest, dass ich allein erziehend bin, sondern daran, dass ich irgendwie bedürftig bin, um also staatliche Leistungen zu bekommen. Und dass die scheinbar
210
so die Order haben, ja, möglichst abschreckend zu sein, oder dass es einem nicht leicht gemacht wird, ähm, diese Gelder auch zu bekommen.“ (WF5,21,9)
Erwerbslosigkeit, Teilzeit- und Vollzeitarbeit bringen unterschiedliche Vor- und Nachteile für Alleinerziehende in der Gewichtung von alltäglichen Zeitstrukturen und beruflichen Perspektiven. Teilzeitarbeit erscheint in der hier vorliegenden stichprobenartigen Untersuchung als die Form der Erwerbstätigkeit, die mit der Ein-Elter-Familie am besten zu vereinbaren ist und im übrigen auch von den meisten der interviewten Alleinerziehenden favorisiert wird. Vollzeit- und Teilzeitarbeit sowie Erwerbslosigkeit bringen differierende ökonomische Situationen hervor. Die Bedeutung dieser ökonomischen Unterschiede für die einzelnen Alleinerziehenden wird im nächsten Unterkapitel dargelegt.
6.6 Ökonomische Situation Zunächst wird die ökonomische Lage der Alleinerziehenden dieses Samples wiederum in einer Überblickstabelle festgehalten. Angaben über das Einkommen, bei dem alle jeweiligen finanziellen Quellen wie Einkommen aus Erwerbsarbeit, Kindergeld, Unterhalt, Halbwaisenrente und andere Zuwendungen zusammen gerechnet wurden, stammen aus dem vorlaufenden Fragebogen. Diese Informationen wurden durch die Interviews ergänzt. Als ‚am Existenzminimum’ liegend werden hier diejenigen Einkommen bezeichnet, die sich auf dem Niveau der Sozialhilfe - bzw. heute Hartz IV – Sätze befinden. Unter ‚schwierigen’ Einkommensverhältnissen zählen jene, die deutlich über dem Existenzminimum liegen, den Betroffenen jedoch nach eigener Aussage kaum Spielräume in ihrer Ausgabenplanung ermöglichen. Als ‚zufrieden stellende’ Finanzverhältnisse werden diejenigen betitelt, die ein Leben, das weitgehend frei von materiellen Sorgen ist, ermöglichen. Tabelle 16:
Ökonomische Situation
am Existenzminimum
schwierig
zufrieden stellend
WF1, WF2, WF5, WM1, WM3, WM4, OF2, OF4, OM3, OM4
WF4, OF1, OF3, OF5, OM1
WF3, WM2, WM5, OM2, OM5
Von den zwanzig Alleinerziehenden dieses Samples erreichen nur fünf eine ökonomische Situation, mit der sie nach eigener Aussage zufrieden sind. Unter 211
diesen fünf Alleinerziehenden sind vier Männer und eine Frau. Der Forschungsstand, der eine bessere materielle Lage allein erziehender Väter gegenüber allein erziehenden Müttern konstatiert, wird hier wiederum tendenziell bestätigt. Zehn Alleinerziehende leben am Existenzminimum, hier ergibt sich eine gleiche Anzahl von Männern und Frauen. Die ökonomischen Lagen lassen keine Ost/ West - Unterschiede erkennen. Die Hälfte der Befragten muss mit einem Einkommen am Existenzminimum auskommen. Dazu gehören die sieben erwerbslosen Alleinerziehenden, aber auch drei der Teilzeit Arbeitenden (WF1, WF2 und OF2). Das Leben am Existenzminimum bedeutet für die Betroffenen häufig extreme Einschränkungen an Ausgaben für persönliche Interessen, wenn sie ihren Kindern die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben zumindest teilweise ermöglichen wollen. Es wird von Ängsten berichtet, die anfallenden Kosten in Zukunft nicht mehr bewältigen zu können. Extrem eingeschränkte ökonomische Situationen bleiben in der Regel nicht ohne Folge für soziale Kontakte: „Man merkt natürlich, wenn man dann, ähm, ja, so ein kleines soziales Gefälle merkt man dann natürlich schon. Vorher hatte man Geld und jetzt hat man keins mehr. Die anderen haben natürlich schönere Spielsachen, teuere Klamotten, besuchen natürlich auch eine andere Schule usw. usf. Also das merkt man schon.“ (WM4,3,30)
In der folgenden Tabelle wird der Zusammenhang zwischen dem Status der Erwerbstätigkeit und der ökonomischen Situation der Alleinerziehenden dieses Samples zusammengefasst:
212
Tabelle 17:
Ökonomische Situation und Erwerbsstatus am Existenzminimum
Erwerbslosigkeit Teilzeitarbeit Vollzeitarbeit
WF5, WM1, WM3, WM4, OF4, OM3, OM4 WF1, WF2, OF2,
schwierig
zufrieden stellend
WF4, OF1, OF3, OF5 OM1
WF3, WM2, WM5, OM5 OM2
Für die alltägliche Zufriedenheit von Alleinerziehenden ist die ökonomische Situation ein zentraler Faktor. Die alleinige Verantwortung für eines oder mehrere Kinder lässt problematische materielle Lagen, die z. B. die Ausbildungsmöglichkeiten der Kinder gefährden, besonders bedrohlich werden. Es besteht eine große Bereitschaft, materielle Engpässe für die Kinder abzufedern, indem an der Befriedigung eigener Bedürfnisse gespart wird.
6.7
Bildung und Erwerbsstatus
Die Bildungslagen der Alleinerziehenden dieses Samples lassen sich auf einen Blick in Tabelle 18 erfassen: Tabelle 18: ohne Ausbildung / Realschulabschluss WM4, OF3
Bildungslagen abgebrochenes Hochschulstudium
abgeschlossene Berufsausbildung
abgeschlossenes Hochschulstudium
WF5, WM3, OF4
WF2, WF4, OF1, OF2, OF5, WM1 WM5, OM1, OM3, OM4, OM5
WF1, WF3, WM2, OM2
213
Es zeigt sich, dass die Mehrzahl der hier untersuchten Alleinerziehenden über eine abgeschlossene Ausbildung verfügt, vier von ihnen sogar über ein beendetetes Hochschulstudium. Diese unterschiedlichen Bildungsabschlüsse stehen folgendermaßen in Zusammenhang mit dem Status der Erwerbstätigkeit:
Tabelle 19:
Erwerbs losigkeit Teilzeitarbeit
Erwerbsstatus und Bildungslagen ohne Ausbildung / Realschulabschluss WM4 (ohne Ausbildung) OF3 (Realschulabschluss)
abgebrochenes Hochschulstudium WF5, WM3, OF4
Vollzeitarbeit
abgeschlossene Berufsausbildung WM1, OM3, OM4
abgeschlossenes Hochschulstudium
WF2, WF4, OF1, OF2, OF5, WM5, OM5 OM1
WF1, WF3, WM2 OM2
Die Alleinerziehenden ohne abgeschlossene Berufsausbildung einschließlich abgebrochener Hochschulstudien sind mit nur einer Ausnahme (OF3) sämtlich erwerbslos, von den 15 Alleinerziehenden mit abgeschlossenen Berufsausbildungen verfügen nur drei (WM1, OM3 und OM4) nicht über Erwerbsarbeit. In den folgenden Abschnitten wird der Frage nachgegangen, welche Zusammenhänge in den einzelnen Lebensgeschichten zwischen erworbener Qualifikation und dem Status der Erwerbstätigkeit bestehen. Wo lässt sich z. B. mangelnde Qualifikation als Ursache für Erwerbslosigkeit ausmachen? Und welche Rolle spielt die Lebenssituation des Alleinerziehens für den Status der Erwerbstätigkeit?
Ohne Ausbildung und erwerbslos WM4 übte vor der Übernahme der alleinigen Verantwortung für seinen Sohn eine handwerkliche Hilfstätigkeit aus, deren Arbeitszeiten mit seinen Aufgaben als Alleinerziehender nicht vereinbar waren. Dass er nicht ständig verfügbar und flexibel ist, sieht er als eine Ursache für seine Erfolglosigkeit bei der Arbeitssuche an. Er berichtet von zahlreichen zurückgewiesenen Bewerbungen. WM4 214
sieht seine Erwerbslosigkeit als direkte Folge seiner Situation als allein erziehender Vater. Er berichtet von Ratschlägen eines Sachbearbeiters des Arbeitsamtes, sein Kind weg zu geben, um dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen: B.: „Wenn Sie arbeiten wollen, geben Sie das Kind weg, wenn es sein muss ins Heim. Das war also die lapidare Antwort von denen.“ I.: „Vom Arbeitsamt?“ B.: „Hmhm. Und selbst, ganz von Anfang an, ich wusste ja überhaupt nicht, was ich machen sollte, Sozi, und dann hatte ich beantragt für den Kleinen Unterhaltszahlungen, und jedes Mal, ja, geben Sie ihn doch zur Mutter oder stecken Sie ihn ins Heim. Dann habe ich gesagt, dann gehe ich lieber nicht arbeiten, habe lieber kein Geld, Hauptsache der Kleine ist da, wo er will. Er wollte also auch bei mir bleiben.“ (WM4,5,42)
Der Ratschlag, das Kind zu Pflegeeltern oder in ein Heim abzuschieben, um erwerbstätig sein zu können, wird im Rahmen dieser Befragung ausschließlich gegenüber erwerbslosen Männern erteilt – ihre Familienarbeit wird als vollständig zweitrangig gegenüber der Erwerbsarbeit wahrgenommen. Drei von den fünf erwerbslosen Männern in diesem Sample berichten über derartige, absurd anmutende Vorschläge.
Realschulabschluss und Teilzeitarbeit OF3 legt größten Wert auf ihre Erwerbstätigkeit, die sie nach der Geburt ihrer Kinder nur für wenige Wochen unterbrochen hat: „Und Sozialamt war ich noch nicht, Gott sei Dank, Arbeitsamt war auch nicht. Bin ja seit zehn Jahren in der Firma, das ist alles, also da, denke ich mal, das ist so ein Stück weit, was mir auch ein bisschen Selbstvertrauen in die Zukunft und für mich selber gibt, wenn man einen festen Job hat. Ich glaube, wenn ich zu Hause wäre, wäre ich ganz anders drauf. Das ist schon ganz wichtig, die sozialen Kontakte und die Arbeit, dass ich meinen Lebensunterhalt selber finanzieren kann, das stärkt einen schon, so. Man steht wirklich ganz anders im Leben. Wenn ich zu Hause sitzen würde, weiß ich nicht, wie ich dann drauf wäre. Kann ich gar nicht sagen. Und wenn ich zu irgendwelchen Ämtern als Bittsteller gehen müsste, kann ich gar nicht sagen.“ (OF3,17,4)
OF3, die nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, hat sich durch ihre langjährige Arbeit von ihrem Arbeitgeber geschätzte Kompetenzen erworben. 215
Abgebrochenes Hochschulstudium und erwerbslos Drei Alleinerziehende des vorliegenden Samples (WF5, WM3 und OF4) haben ein Hochschulstudium abgebrochen und sind zum Zeitpunkt des Interviews erwerbslos. Im Falle von WF5 lag dieser Abbruch kurz vor dem Abschluss. Ein erneuter Anlauf, das Studium zu beenden, scheiterte: „Und jetzt habe ich vor zwei Jahren noch mal versucht, das Studium aufzunehmen, war auch bei den entsprechenden Professoren gewesen, habe noch mal einen Studienplatz gekriegt und wollte, die haben mich ins siebte Semester eingestuft, mir fehlen irgendwie noch zwei Scheine und dann eben die Arbeit. Und dann hat mich das Arbeitsamt das Geld gestrichen und dann musste ich mich wieder exmatrikulieren. Das ist, ich hätte jetzt fertig sein können.“ (WF5,3,29)
WF5 ist zu diesem Zeitpunkt bereits seit etlichen Jahren erwerbslos, mit kurzen Unterbrechungen in Form von ABM - Maßnahmen auf dem „zweiten“ Arbeitsmarkt. Weder WF5, WM3 noch OF4 berichten über Hilfestellungen bei Qualifizierung und Arbeitssuche durch das Arbeitsamt. Von den hier genannten drei Fällen Erwerbsloser mit abgebrochenem Hochschulstudium steht nur in einem Fall (WM3) der Abbruch des Studiums in direkter Verbindung mit dem Alleinerziehen. Die Unmöglichkeit jedoch, das begonnene Studium zu einem späteren Zeitpunkt zu beenden bzw. eine andere Qualifikation zu erwerben, steht aus der Sicht dieser drei Befragten in direktem Zusammenhang mit ihrer Situation als Alleinerziehende. Ihrer Ansicht nach wird ihnen vom Arbeitsamt Langzeitarbeitslosigkeit, nicht aber die Beendigung der Qualifizierung finanziert. Für eine Anschlussuntersuchung wäre es von Bedeutung, auch die Perspektive des Arbeitsamtes einzubeziehen, um untersuchen zu können, ob die Funktion des Arbeitsamtes als gate-keeper tatsächlich – wie es sich aus der Perspektive dieser Alleinerziehenden darstellt – als gate-keeper auf dem gesellschaftlichen Abstellgleis der Erwerbslosigkeit zusehen ist.
Abgeschlossene Berufsausbildung und erwerbslos Drei Alleinerziehende dieses Samples sind trotz abgeschlossener Ausbildung erwerbslos (WM1, OM3 und OM4). WM1 berichtet über die wiederholte Erfahrung, dass die Erwähnung seiner Lebenssituation als allein erziehender Vater in Vorstellungsgesprächen Irritationen auslöst. Mehrfach wurde er wegen der alleinigen Verantwortung für seine Tochter nicht eingestellt.
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Wie WM4 wird auch WM1, in diesem Fall durch den früheren Arbeitgeber, nahe gelegt, seine Tochter zu Pflegeeltern zu geben, um für den Job zur Verfügung zu stehen. Ein Vorschlag, der ihn sehr wütend macht: „Wurde mir ja oft genug vorgeschlagen, die Kleine doch mal irgendwie zu Pflegeeltern zu geben. Das ist pervers und da würde ich also, teilweise muss ich aufpassen, dass ich dann nicht so sauer werde, dass ich dann nicht irgendwelche Dummheiten, ich meine, ich mache keine Dummheiten, das ist keine Frage, aber ich muss mich da also schon deutlich kontrollieren, wenn die Leute mir mit so was kommen.“ (WM1,11,3)
Auch OM3 hat keine guten Erfahrungen damit gemacht, gegenüber potentiellen Arbeitgebern offen mit seiner Familiensituation umzugehen. OM4 berichtet von Reaktionen, die auf ihn als Mann zielten: B.: „Und vor allen Dingen als Mann und mit Kindern, da gucken die Leute eh schon ein bisschen blöd ( ).“ I.: „Wer guckt denn blöd?“ B.: „Die Leute, ( ), wie jetzt, (arbeitslos) mit Kind? ( ) Bei ner Frau verstehn sies ja, aber beim Mann.“ (OM4,4,27)
Heute, wo seine Kinder größer sind, würde OM4 gerne wieder Vollzeit arbeiten, findet jedoch keine Stelle. Die drei in diesem Abschnitt genannten Väter berichten über diskriminierende Erfahrungen als Alleinerziehende auf dem Arbeitsmarkt. Ihre Lebenssituation verhindert die Verwertung ihrer Qualifikation. WM1 und OM4 erleben sich darüber hinaus als allein erziehende Väter im Vergleich zu allein erziehenden Müttern als Benachteiligte.
Abgeschlossene Berufsausbildung und Teilzeit- bzw. Vollzeitarbeit Von den sieben Teilzeit- erwerbstätigen Alleinerziehenden mit abgeschlossener Berufsausbildung (WF2, WF4, OF1, OF2, OF5, WM5 und OM5) leben zwei Frauen (WF2 und OF2) am Existenzminimum. Das Arbeitsverhältnis von WF2 ist nicht tariflich abgesichert. Sie ist ständig von Entlassung bedroht. WF2 hat zwei Berufe erlernt und arbeitet heute unterhalb ihrer Qualifikation, da sie in ihren Berufen, u. a. wegen der mit dem Familienleben nicht zu vereinbarenden Arbeitszeiten, keine Anstellung gefunden hat. WF2 beklagt sich aber nicht über diesen Umstand, sondern ist froh, überhaupt eine Arbeit gefunden zu haben, die sie von staatlichen Hilfen unabhängig macht.
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Drei der Teilzeit arbeitenden Alleinerziehenden mit Berufsausbildung (WF4, OF1 und OF5) verfügen über ein Einkommen, das ihre Existenz sichert, mit dem sich aber manche Bedürfnisse, wie z. B. ein Urlaub, nicht befriedigen lassen. Alle drei arbeiten ihrer Qualifikation entsprechend, OF1 allerdings auf dem „zweiten“ Arbeitsmarkt. Es gibt in diesem Sample zwei Befragte, die als Teilzeit- arbeitende Alleinerziehende mit abgeschlossener Berufsausbildung über ein zufrieden stellendes Einkommen verfügen (WM5 und OM5). Das Einkommen von WM5 ist tariflich gesichert. Auf Aufstiegschancen muss er allerdings wegen der Teilzeittätigkeit verzichten: „Nö nö, also aber, nö, man kriegt keine Führungsjobchance. Also ich hätte früher auch gerne noch eine Meisterstelle gehabt, aber das geht eben nicht. (…) Nö, nicht für so Führungsstellen, wenn ich um zwölf weggehe, das macht keiner.“ (WM5,3,11)
Zusätzlich zu dem Einkommen aus seiner Erwerbstätigkeit erhält WM5 Witwernrente, durch die sich das Gesamteinkommen der Familie spürbar erhöht. Auch bei OM5 führen mehrere Faktoren zu dem zufrieden stellenden Einkommen. Er arbeitet seiner Qualifikation gemäß Teilzeit und erhält zusätzlich ein nicht unerhebliches Pflegegeld für seine beiden Pflegekinder. OM1 arbeitet trotz zwei abgeschlossenen Berufsausbildungen unterhalb seiner Qualifikation in einem prekären Dienstleistungsverhältnis Vollzeit. Das Einkommen aus dieser Beschäftigung ist nur knapp Existenz sichernd. OM1 konnte jedoch keine Anstellung seiner Qualifikation entsprechend finden. „Na, die meisten Firmen, wenn sie hören gleich, allein stehend mit Kind, sagen sie gleich, nee.“ (OM1,1,18)
OM1 ist mit seinem Verdienst und den Arbeitszeiten unzufrieden. Er sieht allerdings keine andere Chance, als auf seiner momentanen Stelle zu bleiben.
Abgeschlossenes Hochschulstudium und Teilzeit- bzw. Vollzeitarbeit Alle Alleinerziehende dieses Samples, die ein Hochschulstudium abgechlossenen haben, arbeiten Teilzeit (WF1, WF3 und WM2) oder Vollzeit (OM2). Die Einzige von diesen Vieren, die über kein zufrieden stellendes Einkommen verfügt, sondern mit ihren Einkünften am Existenzminimum liegt, ist WF1. Sie ist weit unterhalb ihrer Qualifikation beschäftigt. WF3, WM2 und OM2 sind sich darüber bewusst, dass sie sich im Vergleich zu vielen anderen Alleinerziehenden in einer privilegierten Situation befinden. 218
„Und ich bin tatsächlich der einzige, der über weite Zeiträume keine Überstunden macht, sondern ich gehe nachmittags um 15 Uhr pünktlich aus dem Büro, und zwar hocherhobenen Hauptes. Und der weiß genau, ich gehe jetzt zu meinem Sohn, und ich weiß genau, ich gehe jetzt zu meinem Sohn, und wir wissen beide genau, was wir aneinander haben, die Grenzen sind klar, fertig. Diese Teilzeitgeschichte, reich wird man nicht, es reicht aber, wir kommen gut über die Runden. Es ist irrsinnig wichtig für, naja, ich sage mal stabile Verhältnisse, für Zufriedenheit zu Hause.“ (WM2,7,6)
WM2 und WF3 sind hoch qualifiziert und haben adäquate Beschäftigung. Ihr entsprechend hohes Einkommen sichert die Existenz der Familie auch bei Teilzeittätigkeit. OM2 erreicht mit seiner Vollzeiterwerbstätigkeit ein zufrieden stellendes Einkommen. Die Befragung bestätigt den wenig erstaunlichen Umstand, dass der Faktor Bildung bei den befragten Alleinerziehenden hochgradige Relevanz in Bezug auf ihren Status der Erwerbstätigkeit besitzt. Je höher der Bildungsgrad, desto besser die Chancen, auch mit einer Teilzeittätigkeit ein zufrieden stellendes Einkommen zu erreichen. Gleichzeitig scheint der hohe berufliche Status vor in der sozialen Interaktion vermittelten negativen Bildern von Alleinerziehenden zu schützen. Die hoch Qualifizierten berichten nicht über negative Reaktionen auf sie als Alleinerziehende. Eine abgeschlossene Berufsausbildung scheint einen solchen Schutz noch nicht gewährleisten zu können. Zugespitzt stellt sich die Situation für die erwerbslosen Alleinerziehenden dar. Sie berichten über Erfahrungen von Stigmatisierungen bei ihrer Arbeitssuche. Ob durch Teilzeitarbeit die Existenz gesichert werden kann, hängt von der Art der Qualifikation ab, sowie davon, ob die jeweilige Arbeitsstelle der Qualifikation entspricht oder unterqualifiziert bzw. vollständig qualifikationsfern gearbeitet wird.
6.8 Alltagsbewältigung Vor der Zusammenfassung der in diesem Kapitel vorgestellten Ergebnisse soll noch kurz auf zwei Aspekte eingegangen werden: Erstens auf die Vereinbarkeitsproblematik von Beruf und Familie und zweitens auf Problemlösungsstrategien Alleinerziehender. In den Abschnitten zu Teilzeit- und Vollzeiterwerbstätigkeit zeigten die Aussagen der befragten Alleinerziehenden bereits, dass Alleinerziehende von der Vereinbarkeitsproblematik in besonderem Maße betroffen sind. Nun soll anhand exemplarischer Interviewpassagen ausgeführt werden, wie sich diese Problematik auf das Lebensgefühl Alleinerziehender auswirkt und welche Problemlösungsstrategien sie entwickeln.
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Die Vereinbarkeitsproblematik Wiederholt formulieren Alleinerziehende, unter permanentem Zeitdruck zu stehen. Zwangsläufig entwickeln sie Management – Fähigkeiten. Besonders die erwerbstätigen Alleinerziehenden befinden sich in einem Zustand ständigen zeitlichen Jonglierens. Während bei den allein erziehenden Müttern mit Westherkunft das Ausmaß der Erwerbsorientierung unterschiedlich ist, ist der selbstverständliche Umgang mit der Vereinbarung von Beruf und Familie typisch für die interviewten erwerbstätigen Frauen mit Ostherkunft. Aber auch sie berichten über Gefühle von Überforderung angesichts der Fülle der zu bewältigenden Aufgaben: „Also, ich glaube wirklich, dass ich ein sehr strukturierter Mensch bin und wirklich viel gut im Griff habe, aber immer klappt es nicht. Es gibt immer so Situationen, wo ich denke, Himmel hilf, kann denn, kann es einfach mal an mir vorbeigehen? Ich darf jetzt hier mich in die Ecke hocken, die Hände über'm Kopf zusammenschlagen, gar nichts tun und irgendjemand anderes regelt das für mich.“ (OF5,16,11)
Die meisten befragten erwerbstätigen Alleinerziehenden stehen in den Schulferien immer wieder vor schwer lösbaren Vereinbarkeitsproblemen, weil die ihnen zustehenden Urlaubstage bei weitem nicht an die Schulferienzeiten heranreichen. Neben den Schulferienzeiten sind auch Krankheiten der Kinder typische Situationen, die das fein ausbalancierte Timing im Alltagsmanagement Alleinerziehender zum Wanken bringen. Manche Alleinerziehende haben nach mehreren Versuchen, Familie und Beruf miteinander zu verbinden, resigniert. OF4 z. B., die heute arbeitslos ist, brachte ihr Kind im Alter von einem Jahr in eine Kindertagesstätte. Die Pflegetätigkeit, die sie vor der Geburt ihrer Tochter ausübte, ließ sich mit den Anforderungen der Familienarbeit nicht vereinbaren. Sie nahm daher eine Tätigkeit als Putzfrau an. Aber auch diese stellte sich, u. a. wegen der ihr zugeteilten weit entfernten Einsatzorte, als unvereinbar mit den Kinderbetreuungszeiten ihrer Tochter heraus. Der Versuch von OF4, Familie und Beruf zu vereinbaren, scheiterte ihrer Erzählung zufolge letztendlich an dem mangelnden Verständnis ihrer Arbeitgeber für ihre Situation als allein erziehende Mutter. Alleinerziehende, die Familien- und Erwerbsarbeit miteinander vereinbaren, stehen unter hohem Zeitdruck. Daraus resultieren Gefühle von Überforderung
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und schlechtem Gewissen.172 Die Vereinbarung von Familienarbeit und Erwerbstätigkeit stellt hohe Anforderungen an Organisations- und Koordinationsfähigkeiten. Schulferien und Krankheiten der Kinder sind wiederkehrende Situationen, die Alleinerziehende vor schwer lösbare Organisationsprobleme stellen. Die Diskrepanz zwischen Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen und Arbeitszeiten kann zur Unvereinbarkeit von Familie und Beruf und damit in die Erwerbslosigkeit führen.
Problemlösungsstrategien Ebenso vielfältig wie die Lebenssituationen Alleinerziehender und die damit einhergehenden unterschiedlichen Problematiken sind die Problemlösungsstrategien, die hier nur bruchstückhaft dargestellt werden können. Jene Alleinerziehenden dieses Samples, deren Einkommen am Existenzminimum oder nur geringfügig darüber liegt, übernehmen z. B. Kleidung von FreundInnen und kaufen second- hand. Manche Alleinerziehende erledigen auch anfallende handwerkliche Arbeiten selbst, um Geld zu sparen. Ein zeitlich umfassendes Aufgabengebiet der Familienarbeit ist der Haushalt. Hier wird von verschiedenen Umgangsweisen berichtet. Eine Möglichkeit, Zeit zu sparen, liegt in der effektiven Planung von Hausarbeit. OM2 fordert, wie etliche andere Alleinerziehende auch, von seinen Kindern Mithilfe im Haushalt, während OF5 vom Anspruch eines „perfekten“ Haushaltes absieht, um sich nicht zu sehr unter Druck zu setzen. Für WM4, der erwerbslos ist, hat Hausarbeit einen ganz anderen, die Erwerbslosigkeit sublimierenden Stellenwert. Er berichtet, dass er jeden Tag drei bis vier Stunden mit Hausarbeit zubringt. Es scheint so, dass WM4 versucht, sich durch einen gepflegten Eindruck und durch Hilfsbereitschaft gegenüber den Nachbarn vor abwertenden Sichtweisen auf seine Familie zu schützen: „Man sieht ja, was ich nebenbei alles machen tue. Ich tue hier bei den Nachbarn viel, ich habe einen großes Garten, der ist immer sauber und gepflegt, ich habe einen Vorgarten, der Junge rennt anständig rum und Schule wird besser, also muss das ja irgendwo gehen.“ (WM4,20,33)
172
Dies gilt nicht nur für Alleinerziehende, für diese Gruppe jedoch in zugespitztem Maße im Vergleich zu Zwei-Eltern-Familien. In Zwei-Eltern-Familien besteht die Möglichkeit, sich gegenseitig in der Familienarbeit zu entlasten.
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Auch die Fähigkeit, sich Unterstützung und Hilfe zu holen, ist wichtig für die Bewältigung von schwierigen Lebenssituationen. OM1 z. B. bemüht sich um Unterstützung für seine Familie durch die Familienfürsorge. Eine wesentliche Bewältigungsstrategie ist die grundsätzliche Lebenshaltung. Mehrere Alleinerziehende betonen, dass ihre optimistische Einstellung ihnen erleichtert, schwierige Situationen durchzustehen. Selbstmitleid wird für sich und andere abgelehnt. Auch das bewusste Bemühen um die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte erweist sich als förderlich für das subjektive Wohlbefinden. Die interviewten Alleinerziehenden bewältigen durch geschicktes Haushalten, Einbeziehung der Kinder in die Hausarbeit, optimalen Einsatz ihrer Kräfte und Forderungen nach Unterstützung ihren Alltag. Je nach Lebenssituation kann es von Bedeutung sein, mit Hausarbeit energiesparend umzugehen (bei Erwerbstätigkeit) oder einen „perfekten“ Haushalt als Schutz gegen Stigmatisierungen vorzuzeigen. Eine positive Einstellung zur eigenen Lebenssituation bildet die Basis der Handlungsfähigkeit eines Großteils der befragten Alleinerziehenden.
6.9 Zusammenfassung Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass sich die beschriebenen sozialstrukturellen Aspekte innerhalb der einzelnen Biographien in Abhängigkeit zueinander verhalten. So ebnet Bildung den Weg zu Erwerbstätigkeit, eine zufrieden stellende materielle Situation erleichtert die Aufrechterhaltung von sozialen Kontakten und private Unterstützung hilft sowohl materielle als auch soziale Defizite auszugleichen. Wenn diese Zusammenhänge auch allgemein Gültigkeit haben, so sind die Bedeutungen der einzelnen Aspekte in den sozialen und sozialstrukturellen Konfigurationen im Leben Alleinerziehender existentiell zugespitzt. Aus der speziellen Situation des Alleinerziehens heraus können aus den dargestellten Gründen Qualifizierungen nicht nachgeholt, (vor Allem Voll-) Erwerbstätigkeit schwieriger realisiert und eine materiell zufrieden stellende Situation selten erreicht werden. Die Alleinverantwortlichkeit für eines oder mehrere Kinder erzeugt eine erhöhte Abhängigkeit von Quantität und Qualität institutioneller Kinderbetreuung, privater Unterstützung und sozialen Kontakten. Die bereits im Forschungsstand hervorgehobene Heterogenität der Gruppe der Alleinerziehenden zeigt sich auch in diesem Sample - angefangen bei der Entstehungsgeschichte des Alleinerziehens über Bildungsunterschiede bis hin zu verschiedensten Problemlösungsstrategien.
222
Ein klar erkennbarer sozialstruktureller Ost-West-Unterschied besteht in der im Osten flächendeckend bereit gestellten Ganztagskinderbetreuung, die von den meisten Alleinerziehenden mit Ostherkunft in Anspruch genommen wird. Alleinerziehende mit Westherkunft können kaum auf ein solches Angebot zurückgreifen, der Großteil von ihnen wünscht sich den Ausbau von Ganztagsbetreuung, manche formulieren aber auch Vorbehalte gegenüber einer solchen Betreuungsform. Die prekäre Arbeitsmarktlage und die fehlende Familienfreundlichkeit des Arbeitsmarktes führen dazu, dass trotz vorhandener Ganztagsbetreuung keine höhere Erwerbstätigkeit bei den Alleinerziehenden aus dem Osten festzustellen ist, als bei denen aus dem Westen Deutschlands. Teilzeitarbeit ist die von der Hälfte der hier untersuchten zwanzig Alleinerziehenden gelebte und die von den erwerbslosen Alleinerziehenden überwiegend gewünschte Form der Erwerbstätigkeit. Die alltägliche Zeit, die für den Aufbau beruflicher Perspektiven und materieller Sicherheiten eingesetzt wird, steht im Leben erwerbstätiger Alleinerziehender im alltäglichen Konkurrenzverhältnis zu der Zeit, die für Familienarbeit und persönliche Regeneration aufgewendet werden kann und muss. Wie sich Vereinbarkeit individuell ausbalancieren lässt, ist nicht zuletzt von der Familienfreundlichkeit der jeweiligen Arbeitgeber abhängig. Erwerbslose Alleinerziehende dagegen verfügen eher über zu viel unstrukturierte Zeit und leiden unter sozialer Isolation. Das unter der Erwerbslosigkeit ohnehin schwindende Selbstwertgefühl wird durch erniedrigende Interaktionen auf Ämtern etc. teilweise zusätzlich beschädigt. Besonders allein erziehende Väter berichten über herabwürdigende Reaktionen, die in Ratschlägen gipfeln, die Kinder zu Pflegefamilien oder ins Heim zu geben. Hier wird Erwerbstätigkeit über die Verantwortung als Vater gestellt.173 Erwerbstätigkeit sichert nicht unbedingt ein Einkommen, das über dem Existenzminimum liegt. Die Hälfte der Alleinerziehenden dieses Samples muss mit einem Einkommen am Existenzminimum auskommen. Die befragten Alleinerziehenden entwickeln Bewältigungsstrategien zur Einsparung von Kosten, in erster Linie, um ihren Kindern die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Sie können jedoch trotzdem nicht verhindern, dass der materielle Status den sozialen Status beeinflusst. Mit sinkendem materiellem Status wird die Aufrechterhaltung sozialer Kontakte für Eltern wie Kinder zunehmend problematisch. Die Hauptrisikogruppe für Langzeiterwerbslosigkeit sind Alleinerziehende ohne Ausbildungsabschluss bzw. mit Qualifikationen, deren
173
Auf diesen Aspekt wird unter 7.3 erneut Bezug genommen.
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Erwerbstätigkeitsformen mit den Anforderungen der Familienarbeit in der EinElter-Familie nicht vereinbar sind (Flexibilität, Schichtdienst etc.). Fasst man die genannten sozialstrukturellen Aspekte zu subjektiven Tendenzen von Zufriedenheit und Unzufriedenheit zusammen, so führen vor Allem zwei Aspekte zu subjektivem Wohlbefinden: Eine abgesicherte materielle Situation174 und private Unterstützung Dabei wurde die Entscheidung darüber, ob ein Interview den Eindruck subjektiven Wohlbefindens vermittelte, aus dem Gesamteindruck der ausführlichen Fallanalysen gezogen. So ließ sich recht klar eine tendenziell deprimierte, pessimistische Grundhaltung von einer optimistisch gestimmten unterscheiden. Die folgende Tabelle zeigt die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit mit der sozialstrukturellen Situation des Alleinerziehens in direkter Beziehung zu den Faktoren der materiellen Absicherung und der privaten Unterstützung. 175 Tabelle 20:
Zufriedenheit und Unzufriedenheit mit sozialstruktureller Situation Zufriedenheit
materiell abgesichert durch Erwerbstätigkeit private Unterstützung ausreichend vorhanden weder materiell abgesichert noch ausreichend privat unterstützt
Unzufriedenheit
WF3, WM2, WM5, OM2, OM5 WF4, WM5, OF1, OF3, OF5, OM2, OM5 WF1, WF2, WF5, WM1, WM3, WM4, OF2, OF4, OM1, OM3, OM4
Es zeigt sich hier sowohl ein Ost/West als auch ein Geschlechter – Unterschied. Auffällig ist, dass es ausschließlich Männer sind, die sowohl auf materielle 174
Unter einer materiell abgesicherten Situation wird hier eine Erwerbstätigkeit verstanden, welche den Lebensunterhalt abdeckt und bei der relative Sicherheit besteht, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse werden hier nicht dazu gerechnet, da sie zwar evtl. den momentanen Lebensunterhalt der Familie bestreiten, jedoch keine Sicherheit für die Zukunft bieten. 175 Jene Alleinerziehenden, die sowohl über materielle Absicherung durch Erwerbstätigkeit als auch über ausreichende private Unterstützung verfügen, werden doppelt aufgeführt und durch kursiven Druck kenntlich gemacht.
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Absicherung durch eigene Erwerbstätigkeit als auch auf ausreichende private Unterstützung zurückgreifen können. Gleichzeitig ist in der Gruppe der durch eigene Erwerbstätigkeit materiell Abgesicherten nur eine Frau. Obwohl in dem hier vorliegenden Sample verhältnismäßig weniger erwerbstätige Väter vertreten sind als in der Gesamtgruppe der Alleinerziehenden, zeigt sich auch hier, dass allein erziehende Väter im Vergleich zu allein erziehenden Müttern weniger von materiellen Notlagen betroffen sind.176 Entgegen den Ergebnissen des Forschungsstandes erhalten in diesem Sample fast genauso viele Väter wie Mütter ausreichend private Unterstützung. Hier deutet sich allerdings ein Ost/West – Unterschied an: Es sind fünf Alleinerziehende mit Ostherkunft und nur zwei aus dem Westen, die ausreichend private Unterstützung erhalten. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass sich solidarische soziale Strukturen, die den Erzählungen der Alleinerziehenden zufolge in der DDR in größerem Maße vorhanden waren als in der BRD, in heutigen Interaktionen weiterhin niederschlagen. Eventuell besteht in Ostdeutschland gleichzeitig – basierend auf der stärkeren Verbreitung der Lebensform des Alleinerziehens - eine größere soziale Akzeptanz dieser Lebensform und ein breiteres Bewusstsein für die Notwendigkeit von Unterstützung. Bis auf die erwähnten Aspekte (unterdurchschnittlich viele vollerwerbstätige Väter, unterdurchschnittlich mit privater Unterstützung ausgestattete Väter) konnte aufgezeigt werden, dass das hier gewählte Sample der im Forschungsstand dargestellten Zusammensetzung der Gesamtgruppe der Alleinerziehenden entspricht.177 Basierend auf den dargestellten Aspekten lässt sich die Frage nach dem Einfluss sozialstruktureller Bedingungen auf Wohlbefinden und Selbstbilder Alleinerziehender beantworten. Dabei lassen sich zur Analyse des subjektiven Wohlbefindens die von Levy178 beschriebenen subjektiven Spannungszustände der Rangspannung und der Ungleichgewichtsspannung heranziehen. Rangspannung, die nach Levy aus einer als ungenügend empfundenen Position in der 176
Siehe Kap. 4. Insofern hat die Kontaktaufnahme zu einem Großteil der Befragten über die Vereine für Alleinerziehende in Ost und West keine erkennbare Verzerrung mit sich gebracht. Ob es gelungen wäre, in einem auf andere Art und Weise gewonnen Sample mehr erwerbstätige Väter für ein Interview zu gewinnen, darüber lässt sich nur spekulieren. Es könnte angenommen werden, dass beim Aspekt der privaten Unterstützung eine Verzerrung der Ergebnisse durch die Kontaktaufnahme über die Vereine für Alleinerziehende besteht. Da aber nur eine der Befragten aktiv in einem solchen Verein tätig ist [(OF5) und dies eher als Unterstützerin von anderen Alleinerziehenden, scheint dieser Aspekt hier kaum relevant. Die meisten Befragten hatten zu Beginn des Alleinerziehens oder in spezifischen Lebenssituationen in den Vereinen Rat gesucht. Sie waren zum Zeitpunkt des Interviews dort nicht mehr aktiv, lediglich ihre Adressen standen noch zur Verfügung. 178 Siehe Kap. 2.3. 177
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gesellschaftlichen Hierarchie entsteht und die das subjektive Wohlbefinden negativ beeinflusst, ist bei erwerbslosen Alleinerziehenden und jenen, deren Erwerbstätigkeit kein Existenz sicherndes Einkommen garantiert, gegeben. Das Fehlen von sozialer Einbindung durch Erwerbslosigkeit sowie die Einschränkung gesellschaftlicher Partizipation als Konsequenz materieller Defizite erzeugen bei den Subjekten beschädigte Selbstwertgefühle und Bilder subjektiven Ungenügens. Diese Defizite können, wie wir oben gesehen haben, durch die Unterstützung eines privaten Netzwerkes abgemildert oder ausgeglichen werden. Ungleichgewichtsspannungen, die aus divergierenden Positionen in verschiedenen Handlungsfeldern resultieren, werden durch die zugespitzte Vereinbarkeitsproblematik bei erwerbstätigen Alleinerziehenden hervorgerufen. Sie jonglieren mit höchstem Energieeinsatz zwischen Familien- und Erwerbsarbeit, oftmals ohne die Chance auf ein Gleichgewicht. Die höchste Zufriedenheit erreichen hier wiederum diejenigen, deren Balanceakt durch private Unterstützung erleichtert wird. Neben individueller Qualifikation ist ein wichtiger Aspekt für Existenz sichernde Erwerbstätigkeit eine qualitativ hochwertige institutionelle Ganztagskinderbetreuung, bzw. die Gewährleistung von Kinderbetreuung durch private Strukturen. Erwerbslose Alleinerziehende befinden sich also in einer Statuskonfiguration, die Rangspannungen mit sich bringt und erwerbstätige Alleinerziehende sind Ungleichgewichtsspannungen ausgesetzt. Solange also Erwerbslosigkeit gesellschaftliche Abwertung bedeutet, die Familienarbeit Erwerbsloser nicht finanziell anerkannt wird und der Arbeitsmarkt strukturell familienfeindlich bleibt, sind Alleinerziehende, die diese gesellschaftlichen Defizite nicht durch die Unterstützung privater Netzwerke ausgleichen können, entweder Rangspannung oder Ungleichgewichtsspannung ausgesetzt. Beide Spannungszustände können das Gefühl hervorbringen, als Alleinerziehende den gesellschaftlichen Anforderungen nicht zu genügen, wodurch eine Sicht auf die Familienform der Ein-Elter-Familie als defizitär begünstigt wird. Setzt man mit den jeweiligen Lebensbedingungen kompatible gesellschaftliche Bedingungen als Voraussetzung für die freie Wahl von Lebensformen, so können die subjektiven Konstruktionsspielräume für die Familienform des Alleinerziehens als durch die genannten drei Aspekte (Abwertung von Erwerbslosigkeit, Nichtanerkennung von Familienarbeit, Familienfeindlichkeit des Arbeitsmarktes) als sozialstrukturell begrenzt bezeichnet werden. Die sozialstrukturell schwierigen Bedingungen des Alleinerziehens bieten sicherlich auch eine Erklärung dafür, dass diese Lebensform selten aus freier Wahl entsteht, sondern in der Regel die Folge aus Trennungen und anderen schicksalhaften Konstellationen ist. 226
Abschließend lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass sozialstrukturelle Bedingungen einen sehr hohen Einfluss auf Wohlbefinden und Selbstbilder Alleinerziehender haben. Das Erreichen von subjektiver Zufriedenheit mit den materiellen Aspekten und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie stellt sich als privilegiertes Gut für Alleinerziehende mit hohen Bildungsabschlüssen und/oder intakten sozialen Netzwerken dar.
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7 Bilder von Geschlecht und Familie
Nachdem die Effekte sozialer und sozialstruktureller Lebensbedingungen auf das Wohlbefinden Alleinerziehender im vorangehenden Kapitel aufgezeigt wurden, soll die Aufmerksamkeit nun auf subjektive Bilder von Geschlecht und Familie gerichtet werden. Wie zu erwarten war, ist die Dichotomie von Geschlechterbildern für die befragten Alleinerziehenden kein Thema, welches als solches, abstrakt gefasst und aus der Theorie entlehnt, Bedeutung in ihren Erzählungen erlangt. In der Konzeption des Interviewleitfadens (mit den Themenschwerpunkten Existenzsicherung/Zeit, Eltern-Kind-Beziehung, Reaktionen der sozialen Umwelt, gesellschaftliche Bilder/Rezeption von Diskursen, Geschlechterrollen/Doing Gender) wurde davon ausgegangen, dass Bilder von Geschlecht in den Erzählungen zu den gewählten Schwerpunkten aufscheinen würden. Wo es sich anbot, wurde in den unterschiedlichen Themenfeldern zur Dichotomie von Geschlechterbildern mit Bezug auf die Alltagswirklichkeit der Subjekte nachgefragt. Im Auswertungsprozess ergaben sich dann schließlich vier übergeordnete thematische Gruppen, innerhalb derer eine detaillierte Beschreibung der subjektiven Bilder von Geschlecht und Familie möglich wird (vgl. auch Abbildung Nr. 5). Der Begriff der ‚Geschlechtsidentität’ stellt, wie insbesondere im Exkurs zu ‚Psychoanalyse und Geschlecht’ (siehe Kap. 3.5.2) verdeutlicht wurde, das zentrale Element von Geschlechterkonstruktionen dar. Subjektiv macht sich Geschlechtsidentität in starkem Maße am Verhältnis zum eigenen Körper und an den hiermit verbundenen Vorstellungen zu Weiblichkeit und Männlichkeit fest. Dieser Aspekt aus den Interviews erfährt daher besondere Aufmerksamkeit im Auswertungsprozess und wird im Folgenden mit dem Oberbegriff ‚Selbstverständnis Körper/Geschlecht’ bezeichnet. Die Kategorie ‚Selbstverständnis Körper/Geschlecht’ wird auch daraufhin untersucht, ob und wenn auf welche Art und Weise das Verhältnis zum eigenen Körper in Zusammenhang mit dem Familienstatus gebracht wird (Kap. 7.1). Aber auch die Erwartungen an ein geschlechtshomogenes bzw. geschlechteroffenes Verhalten der Kinder können für eventuelle Zusammenhänge zwischen Geschlechter- und Familienkonstruktionen bedeutungsvoll sein. Die Vorstellungen der Alleinerziehenden von der Wichtigkeit geschlechtertypischen Verhaltens, bzw. ihre Toleranz gegenüber geschlechteroffenem 231
Verhalten ihrer Kinder zeigt einen elementaren Aspekt subjektiver Geschlechterbilder im Alltagsleben der Subjekte. Wiederum interessiert hier für die Untersuchung der Verbindungen zwischen Geschlechter- und Familienkonstruktionen, ob geschlechtertypisches bzw. geschlechteroffenes Verhalten der Kinder von den Befragten in Zusammenhang mit deren Aufwachsen in Ein-ElterFamilien gebracht wird (Kap. 7.2). Konstruktionen von Mütterlichkeit und Väterlichkeit können – wie in Kapitel drei hergeleitet wurde - als zentrale Elemente der Verknüpfungslogiken von gesellschaftlichen wie subjektiven Geschlechter- und Familienbildern gesehen werden. Die in Kapitel drei rezipierten Diskurse um Mütterlichkeit und Väterlichkeit zeigten sich außerdem als eng mit den Konstruktionen um das Kindeswohl verknüpft. (Kap. 7.3). Interessant für die Annäherung an die Beantwortung der Fragen nach subjektiven Konstruktionsspielräumen von Geschlecht und Familie ist schließlich weiterhin, welche Einstellungen zur Ein-Elter-Familie bei Alleinerziehenden anzutreffen sind. Zu klären ist hier die Frage, ob die Interviewten mit dem Wunschbild der Zwei-Eltern-Familie leben oder ob sie vielmehr mit ihrer Lebensform, dem Alleinerziehen, zufrieden sind (Kap. 7.4). Die folgende Abbildung verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Fragestellung und Themenfeldern.
232
Abbildung 5:
Aspekte im Zusammenhang mit subjektiven Konstruktionen von Geschlecht und Familie
Subjektives Verständnis von Geschlecht
? Verhältnis dem eigenen Körper gegenüber – soziale Beziehungen zum eigenen und zum anderen Geschlecht (7.1)
?
? Einstellungen gegenüber dem Geschlechterverhalten der Kinder (7.2)
Subjektives Verständnis von Familie
? Einstellungen zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit im Verhältnis zur gelebten Mutterschaft / Vaterschaft (7.3)
? Einstellungen zu unterschiedlichen Familien- und Lebensformen (7.4)
Einstellungen ebenso wie die in den Erzählungen erwähnten Handlungen, die Einstellungen zum Ausdruck bringen, werden in dieser Arbeit als Konstruktionen verstanden. Dies basiert auf der in Einleitung und Kapitel zwei vorgestellten sozialkonstruktivistischen Sichtweise auf soziale Wirklichkeit, die deren Realitätsgehalt in keiner Weise antastet, jedoch grundsätzlich von einer kulturellen Entstehungsgeschichte sozialer Realität – hier alle subjektiven Bilder von Geschlecht und Familie betreffend – ausgeht. In den folgenden vier Unterkapiteln werden kategoriale Einordnungen nach traditionellen Orientierungen bzw. modernen Einstellungen vorgenommen. Die durch wechselseitige Orientierung an aus theoretischem Wissen und erhobenem Datenmaterial gebildeten Kategorien (Strauss und Corbin 1996 [1990]) führen zwangsläufig stellenweise zu Vereinfachungen im Umgang mit dem Datenmaterial, welche jedoch durch die ausführliche Darstellung von
233
Interviewpassagen weitgehend wieder ausgeglichen werden. So kommt die Vielfältigkeit der subjektiven Bilder von Geschlecht und Familie zum Ausdruck.
7.1 Selbstverständnis Körper/Geschlecht Der Interviewleitfaden dieser Untersuchung beinhaltet Fragen nach dem subjektiven Verhältnis zu Geschlechtlichkeit. Hier ging es darum, herauszufinden, inwieweit dichotome Geschlechterbilder verinnerlicht worden sind, welche Bedeutung diese für die Individuen haben und in welcher Verbindung sie zu der Lebenssituation des Alleinerziehens stehen. Entsprechend der Forschungsfragen gilt es festzustellen, ob die Lebenssituation des Alleinerziehens Einfluss auf das Erleben von Geschlechtlichkeit hat und wenn ja, in welcher Art und Weise. Die Erzählsequenzen zu diesem Themenbereich werden im Folgenden in vier Kategorien zusammengefasst beispielhaft dargestellt, wobei ein besonderes Augenmerk auf der Frage liegt, welchen Einfluss das ‚Selbstverständnis Körper/Geschlecht’ auf das subjektive Wohlbefinden hat. Folgende Kategorien, die an dieser Stelle kurz erläutert werden sollen, wurden entwickelt: 1. ‚Positives Verhältnis zu Geschlechtlichkeit’: Diese Kategorie beinhaltet Interviews, in denen über ein positives Verhältnis zum eigenen Körper bzw. zu Weiblichkeit und Männlichkeit berichtet wurde. 2. ‚Probleme mit Geschlechtlichkeit’: Etliche Alleinerziehende berichteten über Probleme mit Geschlechtlichkeit, das heißt z. B. über Probleme mit der eigenen Körperlichkeit bzw. mit Begegnungen mit dem anderen Geschlecht.179 3. ‚Distanz zur Geschlechterrolle’: In einigen Interviews war das Verhältnis zu Geschlechtlichkeit durch einen reflektierten Abstand und die Distanz zu dem, was subjektiv als ‚typisch weibliches’ bzw. ‚typisch männliches’ Verhalten erlebt wurde g ekennzeichnet. 4. ‚Keine Erzählung’: In einer vierten Kategorie wurden ergänzend jene Interviews aufgeführt, in denen keine expliziten Aussagen zum Thema des eigenen Verhältnisses zu Geschlechtlichkeit gemacht wurden. Als erster Eindruck aus den Interviews lässt sich berichten, dass die Fragen nach dem Verhältnis zum eigenen und zum anderen Geschlecht für die Befragten oftmals schwierig zu beantworten waren. Wie in der folgenden Darstellung deutlich werden wird, beruhten diese Schwierigkeiten häufig auf der Vorgeschichte des Alleinerziehens. Problematische Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht hatten oftmals die Vermeidung von Begegnungen mit diesem sowie eine Unzufriedenheit im Verhältnis zum eigenen Geschlecht zur Folge. 179
Diese ersten beiden Themen Körper/Geschlecht’ beschrieben.
234
werden
gemeinsam
unter
7.1.1:
'Selbstverständnis
Gleichzeitig wurde das Thema Geschlechtlichkeit, die Frage danach, welches subjektive Verhältnis zu Weiblichkeit und Männlichkeit besteht, offensichtlich häufig als selbstverständlich, als nicht zu hinterfragender Aspekt verstanden. Daher lösten Fragen in diesem Themenbereich immer wieder Irritationen aus. Die Erzählungen fielen im Verhältnis zu anderen Aspekten relativ kurz aus.180
7.1.1 Verhältnis zu Geschlechtlichkeit In diesem Teilkapitel werden zunächst eher positive und im Anschluss daran tendenziell problematische Erzählungen zum ‚Selbstverständnis Körper/ Geschlecht’ dargestellt.
Positives Verhältnis zu Geschlechtlichkeit Über ein ausdrücklich positives Gefühl zur eigenen Weiblichkeit wird von zwei allein erziehenden Frauen (WF5 und OF1) berichtet. OF1 gibt Auskunft über das Ansteigen ihres Selbstbewusstseins als Frau durch die Erfahrung von Schwangerschaft und Mutterschaft: „Also was ich vielleicht so im Nachhinein gespürt habe und was mir bei anderen Frauen aufgefallen ist, man hat eine Beziehung, dann wird man schwanger, dann bekommt die Frau dieses Kind, und ich weiß nicht, ob es mit Hormonverschiebung zusammen hängt, die Frau wird selbstbewusster durch das Kind, habe ich so das Gefühl.“ (OF1,21,23)
Ähnliches erzählt WF5. Sowohl OF1 als auch WF5 beantworten die Frage nach ihrem Verhältnis zur eigenen Weiblichkeit mit direktem und ausschließlichem Bezug zu ihrer Mutterschaft. Die Fähigkeit, Kinder zu gebären, wird als Aufwertung der eigenen Person, als Stärkung des Selbstbewusstseins erlebt.
180
Ein weiterer Grund hierfür könnte in der Schamhaftigkeit liegen, die durch das Thema Geschlechtlichkeit hervorgerufen werden kann. Dieses Problem wurde bereits bei der Konzeption der Untersuchung reflektiert. Direkte Fragen nach dem Selbstverständnis Körper/Geschlecht wurden daher z. B. eher gegen Ende des Interviews, als sich in der Regel bereits eine vertrauensvolle Atmosphäre entwickelt hatte, gestellt.
235
Probleme mit Geschlechtlichkeit Mit zehn Alleinerziehenden ist die Zahl derjenigen, die über Probleme mit ihrem ‚Selbstverständnis Körper/Geschlecht’ berichten, recht hoch. Die Hintergründe für diese Schwierigkeiten liegen in Erfahrungen in den Herkunftsfamilien und in den Entstehungsgeschichten des Alleinerziehens. Festzustellen ist teilweise eine grundsätzlich negative Einstellung zum anderen Geschlecht. Zwei Alleinerziehende (OF3 und WF2) berichten z. B. über Erfahrungen in ihrer Herkunftsfamilie und bringen diese mit ihren heutigen Beziehungsschwierigkeiten in Verbindung. OF3 wünscht sich zwar eine Beziehung zu einem Mann, zweifelt aber aufgrund ihrer Erfahrungen mit Männern daran, dass sie einem Mann vertrauen kann: „Aber ich glaube, unterschwellig denke ich schon manchmal, Männer sind Schweine. Einfach weil mein Vater fremdgegangen ist. Und mein Opa fremdgegangen ist. Weil ich es auch so oft erlebe, dass in anderen Beziehungen die Männer dann fremdgehen. Und dann hoffe ich immer, dass ich einen von denen kennen lerne, die nicht so sind.“ (OF3,21,7)
OF3 spricht hier zwar von „Männern“ als homogener Gruppe, hofft aber auf die Begegnung mit einer Ausnahme von der Regel. Wie OF3 vermeidet auch WF2 eine direkte Erzählung über das Thema Weiblichkeit. Sie berichtet über fehlgeschlagene Versuche, Partnerschaften zu leben und führt diese Schwierigkeiten, ähnlich wie OF3, auf ihre Herkunftsfamilie zurück. Für OF2, OF4, WM4 und OM4 haben die Beziehungen zu und die Trennungen von den Vätern bzw. Müttern ihrer Kinder, die bei OF2 fünfzehn, bei OF4 vier, bei WM4 ebenfalls vier und bei OM4 neun Jahre zurück liegen, bis heute zu einem negativen Gefühl zum eigenen Körper und zur eigenen Weiblichkeit bzw. Männlichkeit geführt. OF2 erzählt, dass sie sich weniger als früher um ihren Körper kümmert, sondern diesen eher versteckt. Gegen Ende des Interviews berichtet sie von Gewalterfahrungen durch einen der Kindsväter. Es wird deutlich, dass sie sehr an den aus ihrer Geschichte entstandenen Kontaktschwierigkeiten leidet: „Ich war ja früher mal ganz anders, ich war ja ganz locker und hab einfach auch anders geredet und habe dann auch Männer, naja, als normale Menschen angesehen. Aber seitdem dieser Vater von der Antje so ekelig war, habe ich dann einfach Männer nicht mehr angucken können, nicht mal von weitem, nicht mal auf der Straße, bis heute nicht. Jetzt habe ich es geschafft, okay, mit Kollegen wenigstens Gespräche zu führen, das schaffe ich jetzt schon wieder. Aber jetzt, alles andere ist für mich tabu. Und vor allen Dingen richtig doll schlimm, eigentlich.“ (OF2,28,45)
236
Von einer ähnlichen, wenn auch nicht ganz so zugespitzten Entwicklung erzählt OF4. WM4 fühlt sich als Mann entwertet, weil er verlassen worden ist: I.: „Und hat sich Ihr Gefühl zu sich als Mann irgendwie geändert, dadurch dass Sie alleinerziehend wurden?“ B.: „Joa. Man ist verlassen worden, man ist nicht mehr soviel, oder man ist nichts wert.“ (WM4,15,8)
In den Erzählungen von WF1 und WF4 scheinen abwertende Bilder vom anderen Geschlecht auf. WF1 wünscht sich zwar einen Partner, hat aber ebenfalls keine hohe Meinung von Männern und zweifelt daher daran, dass sie einen gleichberechtigten Partner neben sich akzeptieren könnte. „Wie akzeptiere ich überhaupt einen Mann um mich rum. ... Kann der überhaupt mehr als nichts (lacht) sein, ich weiß nicht. Schon bestimmt nicht einfach.“ (WF1,19,17)
WF4 hat (ähnlich wie WF3) die Erfahrung gemacht, dass das Zusammenleben mit Männern bedeutete, diese versorgen zu müssen. Dies führt bei ihr zu dem Entschluss, keine Beziehung, die mit einem gemeinsamen Haushalt verbunden ist, mehr einzugehen, obwohl dieser Entschluss ihren Wünschen nach einer Partnerschaft zuwiderläuft. OF5 grenzte sich zu Anfang ihres Alleinerziehens aus der Enttäuschung über die Trennung heraus stark von Männern ab, dieses Bedürfnis nach Abgrenzung ließ bei ihr im Laufe der Zeit aber nach. Das Thema Geschlechtlichkeit wird von den meisten Befragten in engen Zusammenhang mit dem Thema Partnerschaft gebracht. In mehreren Erzählungen wird davon berichtet, dass sich die durch die Lebenssituation gegebenen Mobilitätseinschränkungen als hinderlich bei der Partnersuche erweisen. Zusätzlich zu dieser praktischen Schwierigkeit berichten allein erziehende Frauen darüber, dass sie von ihrer sozialen Umwelt in erster Linie als Mütter wahrgenommen werden und nicht als potentielle Partnerinnen. Auch WM5 hat Probleme, eine Partnerin zu finden. Er berichtet von einer Partnerschaft, die an Konflikten über den Umgang mit den Kindern auseinander ging. Es zeigt sich, dass die Lebensform des Alleinerziehens nicht ohne Einfluss auf das Verhältnis zu Geschlechtlichkeit bleibt. Geschlechtlichkeit wird über das Verhältnis zum anderen Geschlecht und über mögliche Partnerschaften definiert. Wie durch die zum vorangegangenen Themenbereich ausgewählten Interviewabschnitte deutlich wurde, wird von den befragten Alleinerziehenden das Thema Geschlechtlichkeit grundsätzlich in Bezug auf das Verhältnis zum anderen Geschlecht hin verstanden. Auch jene Erzählpassagen, die sich auf das 237
Verhältnis zum eigenen Körper beziehen, zielen letztendlich auf die Wirkung dieses Körpers in der Interaktion mit dem anderen Geschlecht ab. Die in der Theorie des Doing Gender beschriebene Herstellung von Geschlecht in der Interaktion bestätigt sich hier, wenngleich diese Interaktion teilweise weitgehend in der Phantasie stattfindet. Gleichzeitig werden Alltag und Status als Alleinerziehende von der sozialen Umwelt und zum Teil auch von den Alleinerziehenden selbst als schwer vereinbar mit einer neuen Partnerschaft gesehen. Dies beruht zum einen Teil auf praktischen Gegebenheiten wie mangelnder Mobilität, und zum anderen Teil auf Erfahrungen in der Vorgeschichte des Alleinerziehens. Unaufgearbeitete, problematische Erfahrungen führen zu Abwertungen sowohl des eigenen als auch des anderen Geschlechtes, welches in der Regel als Einheit, als Gruppe, deren Mitglieder untereinander ähnliche Eigenschaften besitzen, gesehen wird. In dieser Konstruktion genuiner Geschlechtergruppen werden zwei Geschlechter in Bezug auf- und in Abgrenzung voneinander immer wieder diskursiv hergestellt. Gleiches gilt für die eingangs angeführten Interviewabschnitte, welche ein positives ‚Selbstverständnis Körper/Geschlecht’ wiedergeben, nur wurde hier ein weitaus direkterer Bezug zu biologischen Aspekten vorgenommen. Das aus den dargelegten unterschiedlichen Gründen als beschädigt empfundene Verhältnis zur eigenen Geschlechtlichkeit wie zu der des anderen Geschlechts, hängt teilweise eng mit der Entstehung bzw. den Lebensbedingungen des Alleinerziehens zusammen und wirkt sich negativ auf das subjektive Wohlbefinden aus.
7.1.2 Distanz zur Geschlechterrolle OM5 berichtet über seine Distanz zur typisch männlichen Rolle. Diese Distanz ist von ihm jedoch nicht bewusst angestrebt. Vielmehr erlebt er sie so, dass sie ihm aufgrund seiner Situation als allein erziehender Vater quasi zustößt: „Vom Gefühl vielleicht, vielleicht wird man sozialer oder vielleicht auch so ein bisschen weicher, ist vielleicht der falsche Begriff. Aber so, man muss nicht dieses männlich Herbe raushängen lassen oder so. (…) Offener, ja. Ich sag mal, kann auch vom Typ abhängen, ja? Vielleicht kann man sich auch besser auf Frauenthemen einlassen, also so, weil man halt die Berührung mit hat, weil, über's Kind halt. Wenn man sagt, so, ist eigentlich nicht so sonst mein Fall, aber durch das Kind ist man halt gezwungen, in diesem Bereich Erfahrungen zu sammeln (…). Also ich würde mich so allgemein, dass man halt also nicht mehr so dieses klassische Männlichkeitssymbol vielleicht ist denn so, der sportlich durchtrainierte Typ mit großem Auto
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oder so. Man steigert sich ganz schnell, wie ein Familienvater vielleicht auch denn, dass man eben die Familienkutsche anschafft.“ (OM5,16,15)
Das Erleben der eigenen Männlichkeit zeigt sich bei OM5 als stark beeinflusst durch seine Vaterschaft. Nachdem er die Veränderung, die er an sich feststellt, zunächst positiv formuliert („sozialer“, „nicht dieses männlich Herbe“), kommt in dem zweiten Teil dieser Erzählpassage zum Ausdruck, dass er seinen Vorstellungen typischer Männlichkeit („großes Auto“, „sportlich durchtrainierter Typ“) gleichzeitig ein wenig nachtrauert. Durch seine Vaterschaft (die wohlgemerkt einzige selbst gewählte Alleinerziehendensituation unter den Männern dieses Samples), ist er gezwungen, Erfahrungen in einem weiblichen Territorium181 zu sammeln. Bei OM5 sind also ambivalente Gefühle festzu-stellen. OM4 erzählt zunächst von heftigen seelischen Krisen nach den Trennungen von den Müttern seiner Kinder. Dann kommt er zu extrem abwertenden Äußerungen über Frauen. Ein Zusammenleben mit einer Frau kommt für ihn nicht mehr in Frage. Er wertet Frauen und Mütter als Gruppen ab: „Ich seh’ nur doofe Weiber mit ihren Kindern.“ (OM4,7,12) „Aber ich habe festgestellt, ich lebe glücklicher, zufriedener ohne Frau. Die Kinder genauso (...). Keen Zank, keen Streit, keine Hektik mehr, wunderbar.“ (OM4,7,41)
Gleichzeitig berichtet OM4 über das Gefühl von Eifersucht auf die Gebärfähigkeit der Frauen. Er hat die Erfahrung gemacht, dass Frauen diese Fähigkeit als Machtmittel gegen die Kindsväter missbrauchen können. „Dass darf nicht missbraucht werden, dass die Frau sagt, ist mein Kind, ich hab es geboren. Na und? Du hast es geboren, na und? Wenn ich’s könnte würde ich’s machen. Ich kann’s aber nicht. Meine erste Frau, als die entbunden hat war ich mit dabei und ich war total eifersüchtig auf sie. Ich war total eifersüchtig auf sie, aber war schön das zu sehen.“ (OM4,15,1)
OM4 sieht die Veränderung seiner Männlichkeit durch die Lebenssituation des Alleinerziehens in erster Linie im veränderten Status. Die zentralen Aspekte seines Leben, die für ihn am wichtigsten waren, bevor er zum allein erziehenden Vater wurde, Erwerbsarbeit und Geld, haben für ihn heute in starkem Maße an Bedeutung verloren. Die Distanz zu Erwerbsarbeit und materiellen Werten, die sich durch seine Familiensituation entwickelt hat, bedeutet für OM4 den Gewinn an Freiheit und 181
Zum Begriff der Territorien als Bindeglied zwischen Sozialisation und Sozialstruktur vgl. (Krüger 2002).
239
neuen Möglichkeiten des Selbsterlebens. In verschiedenen Erzählpassagen erscheinen einerseits Distanzierungen von der klassischen männlichen Rolle und andererseits Zuordnungen von Frauen und Männern in weitgehend homogene Gruppen sowie Abwertungen des anderen Geschlechtes. Diese Aspekte scheinen sich in seinem subjektiven Selbstverständnis nicht zu widersprechen. WM1 erzählt, dass er schon als Jugendlicher nicht in das typische Männerbild gepasst habe. Heute komme er besser mit Frauen als mit Männern klar. Auch er berichtet von dem Wunsch, bzw. der Phantasie, gebären zu können und beneidet Frauen um die Erfahrung der Schwangerschaft. „Also ich würde gern mal für ein Jahr Frau sein, auch gern mal schwanger sein, aber geht leider nicht.“ (WM1,19,33)
OM2 hatte während seines Alleinerziehens mehrere Partnerschaften, lebte aber auch über lange Zeiten als Single: „Also Männlichkeit. Also Männlichkeit definiert sich ja natürlich auch im Gegenstück zu Frau, Partnerin, die da irgendwo ist. Also das ist ja das Thema. Und da ist über weite Strecken gar nichts. Und dann ist eben mal irgendwie wieder was. Und so ist das.“ (OM2,16,36)
Wiederum werden Weiblichkeit und Männlichkeit ausschließlich in der Interaktion mit dem anderen Geschlecht als erfahrbar und bedeutsam wahrgenommen. OM2 entwickelt jedoch trotz des fehlenden gegengeschlechtlichen Gegenübers eine Zufriedenheit mit der eigenen Geschlechtlichkeit. Dies geschieht in bewusster Abgrenzung zu typischen Männlichkeitsmustern: „Und Männer, naja Männer, vielleicht müsste man eher Männer sagen, inwieweit man sich überhaupt mit Männern identifiziert. Das ist eine ganz andere interessante Frage. Also für jeden Mann sowieso jetzt und, pff. Also ich für mich bin da, denke ich mal, relativ unmännlich. Und da muss man auch erstmal zu stehen. Also dass man jetzt bestimmte typisch männliche Sachen, auf dem Dorf, wenn man sich da nicht für Fußball interessiert oder so, dann ist man stockeschwul. (…) Also ich denke, ich bin männlich genug, aber, äh, aber ich habe jetzt kein Interesse an irgendwelchen typischen Männerrunden oder sowas. Das ist nicht mein Ding jetzt und so.“ (OM2,15,35)
OM2 berichtet über Stigmatisierungen gegenüber Männern, die sich Männlichkeitsritualen (er nennt das Beispiel Fußball) verweigern. Es gelingt ihm jedoch, sich diesem sozialen Druck zu entziehen und eine Zufriedenheit mit seiner Geschlechtlichkeit zu entwickeln, die er als ‚relativ unmännlich’ beschreibt.
240
WF3 sieht sich selbst als starke Frau und ist mit sich zufrieden. Sie beschreibt Männlichkeit und Weiblichkeit als in unterschiedlicher Gewichtung in jedem Subjekt vorhanden. Durch das Alleinerziehen, eine Lebenssituation, welche ständige Bereitschaft zur Durchsetzungsfähigkeit von ihr fordert, verliere sie jedoch die Möglichkeit, den weicheren Teil ihrer Persönlichkeit, den sie persönlich mit Weiblichkeit verbindet, zu leben. Ähnlich wie OM5 beschreibt sie diesen Vorgang als einen Prozess, den sie nicht bewusst anstrebt, sondern der ihr widerfährt: „So ein Stück Weichheit, also Weiblichkeit im herkömmlichen Sinne, fällt da herunter. Obwohl ich einen Partner habe. Also, meine in Anführungszeichen männliche Seite, die lebenspraktische Seite, die zum Durchsetzen, Entscheiden, für die Existenz sorgen, die tritt ganz klar in den Vordergrund. Das erlebe ich bei allen anderen, also die berufstätig sind, genauso, bei den Frauen. Also das ist einfach was, also gleichzeitig hat man natürlich Bedürfnisse und die muss man beschränken, die darf man nicht so hochkommen lassen, denke ich, das ist nicht zu realisieren dann.“ (WF3,19,29)
WF3 lebt derzeit eine Partnerschaft mit einem Mann, jedoch in getrennten Haushalten. Sie erzählt, dass sie nicht mehr bereit ist, zusätzlich zu ihren Kindern einen Mann zu versorgen. Hier grenzt sie sich bewusst von der traditionell typisch weiblichen Rolle ab. WF3 beschreibt den Verlust von Weiblichkeit aufgrund der Rollenkumulation beim Alleinerziehen. Die Rückkehr in das Muster traditioneller Arbeitsteilung, das sie in ihrer Ehe gelebt hat, ist für sie jedoch nicht denkbar. Sie erlebt ihre gewonnene Unabhängigkeit als wertvoll. Für WM2 hat die Vaterschaft keinen Einfluss auf sein subjektives Erleben von Männlichkeit. Seinem Erleben nach unterscheiden sich Frauen und Männer nicht so sehr dadurch, dass sie unterschiedliche Dinge tun, sondern eher in der Art, wie sie Tätigkeiten verrichten. Er versucht, sich seiner Wahrnehmung von Weiblichkeit und Männlichkeit reflektierend zu nähern und bringt ein positives Gefühl zur eigenen Männlichkeit zum Ausdruck, ohne diese zu idealisieren: „Die Art und Weise, wie ich Dinge bewältige und transportiere hat selber soviel von dem man sich gar nicht bewusst ist. Die Art und Weise weiß ich nicht wie ich den Haushalt erledige, meine Dinge tue, wie ich versuche Ordnung herzustellen, um weiß ich nicht, unsere Sachen zu schaffen. Die sind schon deutlich geprägt von sag ich mal in Anführungsstrichen einer männlichen Herangehensweise.“ (WM2,13,31)
WM2 beschreibt im Interview Frauen als Mysterium und bringt Männlichkeit mit einer bestimmten Form von Struktur und Ordnung in Verbindung.
241
WM3, der sich ebenfalls dem Thema Geschlechtlichkeit reflektierend nähert, ist bewusst bemüht um eine Distanz zur omnipräsenten Bedeutung der Kategorie Geschlecht: „Ich bemühe mich irgendwie Mensch zu sein und mich ein Stück weit davon zu entfernen von diesen Erwartungen. Bewusst zu sagen und das schon seit langem, ich will das anders leben.“ (WM3,15,25)
Allerdings bleibt WM3 in seinen Aussagen weitgehend abstrakt. Konkret benennt er sein Streben nach Distanzierung von der typisch männlichen Lebensweise, in der Erwerbsarbeit den Lebensmittelpunkt bildet. Gleichzeitig beschreibt er die Begrenztheit von Veränderungsmöglichkeiten aufgrund sozialisatorischer Prägungen: „Also auch ich werde mich sicher nicht in allen Bereichen davon lösen können, irgendwie irgendwann mal, aus dem, wie ich erzogen worden bin und sozialisiert worden bin.“ (WM3,17,21)
Aus den unter ‚Distanz zur Geschlechterrolle’ aufgeführten Interviewpassagen geht hervor, dass die Bemühung um eine solche Distanz – hier von sechs Männern und einer Frau formuliert – teilweise ihre Grenzen in der in Kapitel zwei bereits erwähnten Omnipräsenz der Geschlechterstereotype, bzw. der nachhaltigen Wirkung ihrer Habitualisierung und Institutionalisierung, findet. In den in diesem Unterkapitel zitierten Interviewpassagen werden bewusste Abgrenzungen zu Verhaltensweisen beschrieben, die von den Interviewten als typisch männlich bzw. typisch weiblich verstanden werden. Diese subjektiven Neudefinitionen stehen in direktem Zusammenhang mit der Lebenssituation des Alleinerziehens. Die Übernahme der alleinigen Verantwortung für eines oder mehrere Kinder führt dazu, dass Männer sich als weicher und weniger typisch männlich erleben. Sie entwickeln eine Distanz zur klassischen männlichen Rolle, die subjektive Bedeutung von Erwerbstätigkeit relativiert sich im Verhältnis zur Familienarbeit, sie verliert ihre Vorreiterstellung. Gleichzeitig werden die Grenzen möglicher Distanz zur Geschlechterrolle benannt: WM1 und OM4 formulieren Wunschphantasien über Gebären und Schwangerschaft und stoßen hier auf biologische Grenzen. WF3, die einzige Frau, die der Kategorie Rollendistanz zugeordnet wurde, erlebt ihre bewusste Abwendung von typisch weiblichem Verhalten ambivalent: Einerseits als Gewinn von Unabhängigkeit, andererseits aber auch als Verlust eben jener Weichheit, welche von den Männern als Gewinn beschrieben wird. Auch hier ist ein Effekt der durch die Lebenssituation des Alleinerziehens bedingten Rollenkumulation auf ein verändertes Erleben von Geschlechtlichkeit erkennbar. 242
Es zeigt sich, dass die in den Interviews zutage tretende Distanz zur Geschlechterrolle nicht gleichzusetzen ist mit der von Hirschauer in die Debatte um das Doing Gender- Konzept eingebrachte Kategorie des Undoing Gender: Auch die sich von klassisch weiblich/männlich konnotierten Aktivitätsfeldern und Charakterzuschreibungen distanzierenden Subjekte bewegen sich in ihrem Denken innerhalb des Systems bipolarer Zweigeschlechtlichkeit. Zwei Männer (OM1 und OM3) berichteten zum Thema Selbstverständnis Körper/Geschlecht nichts bzw. kaum etwas. Beide leben in einer Partnerschaft mit einer Frau. Eine Form der subjektiven Distanzierung vom zweigeschlechtlichen Ordnungssystem mit seinen Zuordnungen zu Weiblichkeit und Männlichkeit könnte in der Aufnahme von sexuellen bzw. Liebesbeziehungen zum eigenen Geschlecht liegen.182 Die interviewten Alleinerziehenden berichteten jedoch nichts über homosexuelle Beziehungen. Es wäre dennoch voreilig, daraus zu schließen, dass keinerlei homosexuelle Bindungen existieren. Möglicherweise wurden aufgrund der Befürchtung von Stigmatisierungen Aussparungen in den Erzählungen vorgenommen.
7.1.3 Zwischenfazit Zunächst ein tabellarischer Überblick über die Zuordnungen Interviewpassagen zu den hier entwickelten vier Gruppen183:
der
182
Hier ist nicht gemeint, dass Homosexualität automatisch die Distanzierung vom zweigeschlechtlichen Ordnungssystem mit sich bringt. Vielmehr ist anzunehmen, dass homosexuelle Beziehungen als deviante Lebensform ein besonderes Potential in dieser Richtung besitzen. 183 OM4 wurde sowohl in dem Abschnitt ‚Probleme mit Geschlechtlichkeit’ als auch in ‚Rollendistanz’ zitiert. In der zusammenfassenden Tabelle wird er jedoch nur letzterer Gruppe zugeordnet, da dieser Aspekt im Gesamt der Erzählung der dominantere Anteil ist.
243
Tabelle 21: Positiv geprägtes Selbstverständnis Körper / Geschlecht WF5, OF1
Selbstverständnis Körper/Geschlecht Probleme im Selbstverständnis Körper / Geschlecht WF1, WF2, WF4, OF2, OF3, OF4, OF5, WM4, WM5
Distanz zur Geschlechterrolle
Keine Erzählung
WF3, WM1, WM2, WM3, OM2, OM4, OM5
OM1, OM3
Wie sich hier zeigt, besteht eine weitgehend gleichmäßige Verteilung den Ost/ West – Aspekt betreffend innerhalb der einzelnen Gruppen. Weder quantitativ, noch qualitativ kann bezüglich des subjektiven Verhältnisses zu Geschlechtlichkeit ein Ost/West – Unterschied festgestellt werden. Ein Geschlechterunterschied dagegen ist insofern erkennbar, als die allein erziehenden Väter dieses Samples eher Distanz zur Geschlechterrolle entwickeln und die allein erziehenden Mütter häufiger über Probleme mit Geschlechtlichkeit berichten. Der Eintritt in das ‚weibliche Territorium’ der Familienarbeit verändert das Selbstverständnis Körper/Geschlecht der Männer eher erweiternd, für sie kommt etwas Neues hinzu und dies wird in der Regel als positiv beschrieben. Die Frauen hingegen erleben sich durch das Alleinerziehen eher als auf ihr ‚traditionelles Territorium’ festgelegt. In nur zwei Fällen dieses Samples wird ein ungebrochen positives Verhältnis zu Geschlechtlichkeit explizit hervorgehoben. Von beiden hier aufgeführten Frauen wird der unmittelbare Bezug von Gebärfähigkeit und Mutterschaft auf ihr positives Erleben der eigenen Weiblichkeit hergestellt. Neun Alleinerziehende, davon sieben Frauen, berichten dagegen über Probleme im Verhältnis zu ihrer Geschlechtlichkeit. Hier zeigen die in Abschnitt 6.1 dargestellten problematischen Entstehungsgeschichten des Alleinerziehens negative Langzeiteffekte für das subjektive Erleben des eigenen wie des anderen Geschlechts. Begegnungen mit dem anderen Geschlecht werden teilweise vermieden, bei gleichzeitiger Äußerung des Unwohlseins über diesen Umstand. Da das Verhältnis zum eigenen Körper über das Verhältnis zum anderen Geschlecht definiert wird, wirken sich auch Situationen von Immobilität184 negativ auf das Verhältnis zu Geschlechtlichkeit aus. Es wird beschrieben, dass die fehlenden Interaktionen mit dem anderen Geschlecht zu negativen Effekten 184
Der Aspekt der durch soziale und sozialstrukturelle Bedingungen hervorgerufenen teilweise extremen Immobilität Alleinerziehender wird in Kapitel sechs ausführlich erläutert.
244
auf das Erleben des eigenen Körpers führen. Die Interaktion mit dem anderen Geschlecht, die gegenseitige Spiegelung, wird also als notwendige Voraussetzung der Entwicklung eines positiven Gefühls zur eigenen Geschlechtlichkeit erlebt und geschildert. Dies trifft in geringerem Maße auch auf einige derjenigen Alleinerziehenden zu, die der Gruppe ‚Distanz zur Geschlechterrolle’ zugeordnet wurden. Hier wird der direkte Einfluss der Rollenkumulation bzw. des Alleinerziehens auf das Verhältnis zu Geschlechtlichkeit hervorgehoben. Da die Übernahme von Familienarbeit in erster Linie für Väter eine Neudefinition ihrer Rolle, einen Territorienwechsel bedeutet und hier vor allem mit der reflektierten Distanzierung von der Bedeutungsdominanz der Erwerbsarbeit einhergeht, erstaunt es nicht, dass in dieser Kategorie sechs von sieben Fällen Männer sind.185 Jene Männer, die sich schon in der Zeit vor dem Alleinerziehen nicht als ‚typische Männer’ verstanden, formulieren die positivsten Gefühle in ihrem Verhältnis zur eigenen Männlichkeit. Wer sich bereits vor der Vaterschaft von der Konzentration auf Erwerbsarbeit und anderen Männlichkeitsnormen- bzw. ritualen distanzieren konnte, entwickelt leichter ein positives Männlichkeitsgefühl in der Rolle als allein erziehender Vater.186 Sowohl die Alleinerziehenden, die über ein positives Gefühl zur eigenen Körperlichkeit bzw. über Probleme im Verhältnis zu Geschlechtlichkeit sprechen als auch jene, die sich der Kategorie ‚Distanz zur Geschlechterrolle’ zuordnen lassen, reproduzieren in der Grundtendenz ihrer Erzählung die Konstruktion von dichotomer Zweigeschlechtlichkeit, indem sie von zwei homogenen, gegensätzlich konstituierten Geschlechtergruppen ausgehen. Als typisch männlich bzw. typisch weibliche Attribute wurden in den diesem Themenfeld zuzuordnenden Erzählsequenzen folgende Aspekte genannt, die in erstaunlicher Übereinstimmung zu den von Hausen für das 19. Jahrhundert beschriebenen Geschlechterattributen stehen (Hausen 1976) und daher hier kurz zusammengefasst aufgeführt werden sollen:
185
Der verhältnismäßig große Anteil von Männern in der Kategorie Distanz zur Geschlechterrolle ist ein Aspekt, der zumindest teilweise durch die spezielle Samplezusammensetzung zu Stande kommt (siehe Kap.5.3). 186 Inwieweit der von einigen Männern gerade bei diesem Thema gewählte abstrakte Gesprächsstil sich in einer Mann zu Mann – Interviewsituation anders dargestellt hätte, lässt sich nur spekulieren. Zu konstatieren ist allerdings, dass einige Männer dem Thema ganz ausweichen und andere von der subjektiven auf die normative Gesprächsebene wechseln, was sowohl als Ausweichen vor der Frage nach den konkreten Gefühlen zur eigenen Männlichkeit verstanden werden als auch im Sinne eines großen Reflexionsbedarfs aufgrund ihrer gesellschaftlich untypischen Rolle als allein erziehende Väter gedeutet werden kann.
245
Weiblichkeit: Fähigkeit zu Schwangerschaft und Geburt, geheimnisvoll, fremd, sensibel, sich um den eigenen Körper im Sinne von frisieren, schminken und kleiden kümmern, weich (2x), sozial, Versorgung von Männern (2x). Männlichkeit: Struktur und Ordnung, sich um den eigenen Körper im Sinne von Fitness kümmern, große Autos, unselbstständiges Denken, sich von Frauen umsorgen lassen, herb, durchsetzungsfähig, entscheidungsfreudig, lebenspraktisch, Erwerbsarbeit (3x), Fußball. Die der Kategorie ‚Distanz zur Geschlechterrolle’ zugeordneten Erzählsequenzen verbleiben zwar wie gesagt größtenteils ebenfalls im zweigeschlechtlichen Ordnungssystem, sie lösen sich jedoch an der einen oder anderen Stelle aus diesen klassischen Zuordnungen heraus. Dies zeigt sich z. B. im offen geäußerten Wunsch der Väter nach dem Erlebnis von Schwangerschaft und Geburt oder im reflektierten Abstand zu stereotypen Bildern des typisch Weiblichen (z. B. Fürsorglichkeit) bzw. typisch Männlichen (z. B. Vollerwerbstätigkeit). Die Versuche der Reflexion über die Bedeutung von Geschlechtlichkeit für die einzelnen Subjekte in den Interviews zeigen, wie schwierig es ist, diesen Aspekt sprachlich zu fassen. In fast allen Erzählungen wird deutlich, dass Geschlechtlichkeit nicht für sich genommen, als subjektives Verhältnis zum eigenen Körper erlebt wird, sondern dass sich das Verhältnis zum eigenen Körper über institutionalisierte Interaktionen wie heterosexuelle Partnerschaften und Familienstatus herstellt. So haben der Eltern- bzw. Alleinerziehendenstatus und die Existenz oder Nichtexistenz einer Partnerschaft großen Einfluss sowohl auf positiv wie negativ erlebte Geschlechtlichkeit als auch auf die Entwicklung von Distanz zur Geschlechterrolle. In den zum Thema Distanz zur Geschlechterrolle zitierten Passagen zeigt sich, dass die Reflexion über stereotype Bilder von Geschlechtlichkeit und das Erreichen eines inneren Abstandes zu typisch weiblichen bzw. männlichen Rollen einen Weg aus einem defizitären Erleben bieten und somit die Zufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation fördern. Bewertet man folglich Distanzen zur Geschlechterrolle als durch die gewonnenen subjektiven Freiheiten für die Individuen in ihrer Wirkung eher positiv, so halten sich positive und negative Effekte des Alleinerziehens bezüglich des ‚Selbstverständnisses Körper/Geschlecht’ in dem hier untersuchten Sample annähernd die Waage. Gleichzeitig sind in vielen Interviewpassagen sowohl Geschlechterdichotomien als auch Ambivalenzen und Ansätze zu Gegenkonstruktionen enthalten. Die subjektiven Lebenswirklichkeiten zeigen sich als in hohem Maße ambivalent. Innerhalb der einzelnen Erzählungen sind Hin- und Herbewegungen zwischen Naturalisierungen geschlechtsspezifischen Verhaltens und 246
Distanzierungen von eben diesen, als Rollenvorgaben erlebten, Mustern typischer Weiblich- bzw. Männlichkeit, festzustellen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass durch die Untersuchung des Selbstverständnisses von Körper und Geschlecht bei Alleinerziehenden Hinweise darauf gegeben werden, dass eben dieses Selbstverständnis und die Familiensituation als Alleinerziehende in einem Verweisungsverhältnis zueinander stehen und dass dieses Verweisungsverhältnis Effekte auf das subjektive Wohlbefinden der hier untersuchten Alleinerziehenden hat. In der folgenden Tabelle wird das Selbstverständnis Körper/Geschlecht mit den Ergebnissen aus Kapitel sechs zu den sozialen/sozialstrukturellen Aspekten materieller Absicherung und privater Unterstützung in Beziehung gesetzt. So soll ein Überblick darüber gegeben werden, welche Korrelationen zwischen sozialstrukturellen und kulturellen Aspekten in der Querschnitts – Sicht auf das hier untersuchte Sample auszumachen sind. Über diese Korrelationen ließe sich hier z. B. die These aufstellen, dass sich sozial/sozialstrukturell günstige Bedingungen positiv auf Spielräume im subjektiven Selbstverständnis Körper/Geschlecht auswirken. Gleichzeitig zeigt die vorangegangene Analyse der Interviews, dass nicht ausreichende private Unterstützung wenn sie (v. a. bei kleinen Kindern) zu Immobilität und damit zu sozialer Isolation führt, ein Aspekt sein kann, der in der Entwicklung von Problemen mit Geschlechtlichkeit eine Rolle spielt.
247
Tabelle 22:
Selbstverständnis Körper/Geschlecht und sozialstrukturelle Situation Positiv geprägtes Selbstverständnis Körper / Geschlecht
Probleme im Selbstverständnis Körper / Geschlecht
Materiell abgesichert durch Erwerbstätigkeit Private Unterstützung ausreichend vorhanden Materiell abgesichert und private Unterstützung ausreichend vorhanden Weder materiell abgesichert noch ausreichend privat unterstützt
Distanz zur Geschlechterrolle
Keine Erzählung
WF3, WM2
OF1
WF5
WF4, OF3, OF5
WM5
OM2, OM5
WF1, WF2, WM4, OF2, OF4,
WM1, WM3, OM4
OM1, OM3
Die erste oben aufgestellte These zu positiven Effekten günstiger sozialstruktureller Bedingungen auf Entwicklungen von Spielräumen im Selbstverständnis Körper/Geschlecht, welche sich am ehesten in einer Distanz zur Geschlechterrolle ausdrücken würden, erscheint im Überblick über dieses Sample als nur dann zutreffend, wenn materielle Absicherung durch eigene Erwerbstätigkeit gegeben ist. Nur einer der materiell Abgesicherten (WM5) ist nicht dieser Kategorie zuzuordnen. Für das hier vorliegende Sample ist zusammenfassend festzustellen, dass materielle Absicherung durch eigene Erwerbstätigkeit tendenziell wenn auch nicht durchgehend mit Spielräumen in der subjektiven Konstruktion von Geschlecht (Distanz zur Geschlechterrolle) korreliert. 248
Mit Blick auf die Sinnzusammenhänge in den Interviews lässt sich konstatieren, dass sich Spielräume für subjektive Konstruktionen von Geschlecht bei Alleinerziehenden häufig als durch sozialstrukturelle Bedingungen und ökonomische Situationen begrenzt erweisen. Dies gilt in besonderem Maße für die befragten Frauen.
7.2 Geschlechterverhalten der Kinder Die Frage nach subjektiven Konstruktionen von Geschlecht wird hier über die Wahrnehmungen und Einstellungen der Alleinerziehenden gegenüber dem Verhalten ihrer Kinder untersucht. Berger/Luckmann zu Folge verfestigen sich Stereotype bei der Weitergabe an die nächste Generation. Demnach müssten Geschlechterstereotype auch oder sogar in besonderem Maße in der Erwartung der Erwachsenen an kindliches Verhalten auszumachen sein. Primäre und sekundäre Sozialisation spielen eine entscheidende Rolle für die Ausprägung und Bedeutung dessen, was dann im weiteren Lebensverlauf subjektiv als ‚Geschlechtsidentität’ erlebt wird. Folgt man den unter 3.5.2 beschriebenen klassischen psychoanalytischen Ansätzen, so sind aufgrund fehlender gleich- bzw. gegengeschlechtlicher Identifikationsmöglichkeiten in Ein-Elter-Familien problematische Entwicklungen der Geschlechtsidentität bei Kindern Alleinerziehender zu erwarten, da ihnen entweder der mütterliche oder der väterliche Part fehlt. Je nach Geschlechterkonstellation (Mutter – Junge / Mädchen; Vater – Mädchen / Junge) ergeben sich hier unterschiedliche Erwartungen an die geschlechtliche Entwicklung der Kinder: Die Erwartung von zu wenig körperlichen Identifikationsmöglichkeiten bei fehlendem gleichgeschlechtlichem Elternteil bzw. die Erwartung von zu wenig Abgrenzungsmöglichkeiten bei fehlendem gegengeschlechtlichem Elternteil. Machen sich Alleinerziehende diese Theorien zu eigen, bzw. werden diese Theorien durch das soziale Umfeld (Freunde, Bekannte, Bildungsinstitutionen, Beratungsstellen etc.) bzw. pädagogische und psychologische Diskurse an sie heran getragen, so besteht die Möglichkeit, dass die Alleinerziehenden ein problematisches Geschlechterverhalten ihrer Kinder erwarten, wodurch Prozesse von self-fulfilling-prophecy in Gang gesetzt werden können. Gehen Alleinerziehende jedoch von einem dekonstruktiven Blickwinkel aus und betrachteten Geschlechtsidentität als Konstrukt, das mit gesellschaftlichen Zwängen und der Abspaltung des jeweils ‚anderen’ Anteils verbunden ist (siehe Goldner, Kap. 3.5.2) so können sie die Entwicklung des Geschlechterverhaltens ihrer Kinder ohne bestimmte Erwartungen beobachten. Von Bedeutung ist hier auch, welche Sicht auf den Einfluss anderer relevanter Erwachsener im sozialen 249
Umfeld der Kinder besteht. Kaum ein Kind wächst in einem durchgehend geschlechtshomogenen Umfeld auf – Identifikationsmöglichkeiten in Bezug auf die eigene Geschlechtlichkeit sind hier in der Regel gegeben. Es stellt sich die Frage, ob diese von den Alleinerziehenden wahrgenommen und akzeptiert werden. In dem nun folgenden Unterkapitel wird untersucht, ob Alleinerziehende das Verhalten ihrer Kinder eher als geschlechteroffen oder geschlechtertypisch beschreiben und interpretieren. Bei der Festlegung dessen, was als geschlechtertypisches Verhalten, also als Mädchen- bzw. Jungen - spezifisch bezeichnet wird, zählt hier allein die Sichtweise der Alleinerziehenden selbst. Unter geschlechteroffenem Verhalten der Kinder werden Aktivitäten und Interaktionen gefasst, die sich nach Wahrnehmung der Eltern aus geschlechtertypischen Mustern heraus bewegen (dürfen). Geschlechteroffene Einstellungen der Eltern zum kindlichen Verhalten liegen dann vor, wenn die Eltern in der Interaktion mit ihren Kindern nach eigener Beschreibung geschlechteroffenes Verhalten akzeptieren oder fördern. Zur Klärung der Frage, inwieweit geschlechtertypisches bzw. geschlechteroffenes Verhalten der Kinder von den Alleinerziehenden mit dem Aufwachsen in einer Ein-Elter-Familie in Zusammenhang gebracht wird, wurden folgende Untergruppen entwickelt: Unter 7.2.1 werden jene Fälle beschrieben, in denen die Eltern und die soziale Umwelt geschlechtertypisches Verhalten der Kinder erwarten. Auch dem Einfluss der Peer Group187 kommt hier Bedeutung zu.188 Außerdem werden hier jene Erzählungen, in denen geschlechteroffenes Verhalten der Kinder als problematisch gesehen wird, aufgeführt.189 Homophobe Reaktionen durch die soziale Umwelt sowie Sorgen um die Entwicklung der Geschlechtsidentität der Kinder spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von elterlichen Erwartungshaltungen geschlechtertypischen kindlichen Verhaltens. Unterkapitel 7.2.2 dagegen zeigt jene Erzählungen auf, in denen die Eltern Probleme mit dem geschlechtertypischen Verhalten ihrer Kinder haben. Die elterlichen Ambivalenzen gegenüber geschlechtertypischem und geschlechteroffenem Verhalten der Kinder werden unter 7.2.3 dargestellt. Den Abschluss 187
Unter Peer Group wird die Gruppe der Gleichaltrigen verstanden. So schreibt Sabine Jösting in ihrem Buch über Jungenfreundschaften: Der „soziale Zwang zur Unterscheidung lässt Jungen- und Mädchenkulturen entstehen, die für ihre Mitglieder jeweils unterschiedliche sozialisatorische Entwicklungsräume sowie unterschiedliche Konstruktionsmittel und Konstruktionsorte von Jugend und Geschlecht bereitstellen. Einer dieser wichtigen Räume zur Konstruktion von Weiblichkeit und Männlichkeit ist die Freundinnen- bzw. Freundesgruppe.“ (Jösting 2005: 313) 189 Diese beiden Aspekte werden in Tabelle 23 zunächst gesondert und in Tabelle 25 und 26 dann integriert aufgeführt. 188
250
bilden Erzählpassagen aus jenen Interviews, in denen Eltern mit geschlechteroffenen Einstellungen das Verhalten ihrer Kinder beschreiben (7.2.4). Unter 7.2.5 wird eine zusammenfassende Interpretation vorgenommen.
7.2.1 Geschlechtertypisches Verhalten als Erwartung Die Erzählungen der Alleinerziehenden über das tendenziell geschlechtertypische oder geschlechteroffene Verhalten ihrer Kinder unterscheiden sich sowohl was die Differenzen im kindlichen Verhalten als auch was die Einstellungen der Eltern zu diesem Verhalten betrifft. Es werden zunächst jene Fälle vorgestellt, die geschlechtertypisches Verhalten für völlig selbstverständlich halten. WM5190 unterscheidet in seiner Erzählung Jungen und Mädchen mit großer Selbstverständlichkeit nach differierenden Interessengebieten, Tätigkeiten und Verhaltensweisen. Ähnliche Äußerungen erscheinen in dem Interview mit OF3191. Sie empfindet ihre beiden Söhne als ‚richtige Straßenjungs’. Das von ihr als typisch jungenhaft empfundene Verhalten findet ihre Zustimmung. „Ich bin ganz froh, dass ich zwei Jungs habe. Ich glaube, ich wäre nicht so die super Mädchen-Mama. Weiß ich nicht. Also ich würde mich wahrscheinlich mit den Zicken, was ich so im Umkreis erlebe, würde ich mich mit Mädchen schwerer tun, glaube ich, weil das würde mich mehr nerven. Doch, das ist so eine Schiene, das ist so eine Seite, die mich dann schon schneller hoch bringt. Wenn du dann wirklich so eine Zicke hast, die dann da rumzetert und rumheult, da sind meine eben so, die heulen eben nicht.“ (OF3,19,47)
Dieses Zitat zeigt die geschlechterdifferent aufgeladene Erwartungshaltung, die OF3 an Kinder hat. Sie geht von einem geschlechtertypischen Verhalten auch bei ‚fiktiven’ Kindern (den Mädchen, die sie nicht hat) aus. Gleichzeitig wird hier eine Hierarchie zwischen Jungen- und Mädchen- typischem Verhalten deutlich, bei dem Jungen- typischem Verhalten, das mit der Zurückhaltung von Emotionen verbunden wird, eine höhere Wertigkeit zugemessen wird. Diese Einstellung wird im weiteren Verlauf der Erzählung nicht weiter reflektiert. Wie wichtig OF3 die Einhaltung geschlechtertypischer Verhaltensmuster bei ihren Söhnen ist, kommt auch in folgendem Zitat zum Ausdruck: 190
Da diese Faktoren zum Verständnis der Einstellungen der Eltern bedeutsam sind, werden Anzahl, Geschlecht und Alter der Kinder in diesem Kapitel nochmals in den Fußnoten angeführt (ein Überblick über diese Fakrtoren wurde bereits in Kapitel sechs gegeben). Hier: WM5, drei Kinder, m. 20 J., w. 18 J., w. 13 J. 191 OF3, zwei Kinder, m. 5 J., m. 3 J.
251
„Ich sage auch ab und an so wirklich zu den Vätern, die sollen halt gewisse Sachen einfach mit den Kindern machen, so. Weil ich denke, das ist schon der männliche Part. Aber den kriegen sie bei mir genauso, das ist jetzt nicht so, dass ich – die gehen halt mit denen auch Fußball spielen und solche Sachen, die ich nicht so super gerne mache, wo Männer dann schon mehr Spaß haben, da halt über den Fußballplatz zu toben. Oder der Große geht dann Beach-Volleyball spielen.“ (OF3,15,38)
Hier wird von der Mutter dafür gesorgt, dass die Kindsväter geschlechtertypische Tätigkeiten mit ihren Söhnen ausüben. Die Konstruktion von Männlichkeit wird von OF3 auf diese Weise aktiv vorangetrieben. Auch OM5192 beschreibt das Verhalten seines älteren Sohnes als jungentypisch: „Gut, gibt so'ne Jungs und so'ne, also so es gibt diese rauen Typen und er ist halt einer, der nach außen rau ist und innen ein weicher Kern, ja? Also er ist schon, wenn seine Kumpels da sind, dann darf ich ihn nicht drücken oder so, das ist schon nicht cool, ja? Aber ansonsten, ich meine, er spielt Fußball, er spielt, also er ist schon richtig. Er war nie so ein Draufgänger, also nie so ein Anführertyp, ja? Sowas nicht, aber er zeigt schon, er ist eher auch ein Mitläufer, möchte gern auch in der vorderen Riege mit sein, was nicht immer so einfach ist. Ich denke, er ist schon ein richtiger Junge.“ (OM5,17,30)
Es wird deutlich, wie wichtig es für OM5 ist, dass sein Sohn sich geschlechtertypisch verhält. Dies kommt besonders durch den Nebensatz „er spielt Fußball, er ist schon richtig“ zum Ausdruck. Hier zeigt sich die große Bedeutung, der Sport und insbesondere Fußball für die Stabilisierung der männlichen Identität gegeben wird. In den Einstellungen von WM5, OF3 und OM5 werden geschlechterspezifische Unterschiede als selbstverständlich bzw. natürlich angenommen und stellen für die Eltern kein Problem dar. Auch WM2193 geht von einem dichotomen Geschlechterbild aus. Er bewertet jedoch beide Geschlechter gleich positiv. Die Differenz ist hier nicht an eine Hierarchie gekoppelt. WM2 sieht das Verhalten seines Sohnes als ausgesprochen jungentypisch an. Seine Tochter erlebt er als weniger stark auf geschlechtertypisches Verhalten festgelegt. Er ist nach der Beobachtung des Verhaltens seiner Kinder davon überzeugt, dass es angeborene Wesensunterschiede zwischen Mädchen und Jungen gibt, die z. B. zur geschlechterspezifischen Auswahl von Spielzeug führen. Damit benennt er eine
192 193
OM5, zwei Kinder, m. 15 Jahre, m. 6 Jahre. WM2, zwei Kinder, m. 10 J. lebt bei ihm, w. 6 J. lebt bei Kindsmutter.
252
Einstellung, die in mehreren anderen Interviews eher im Hintergrund durchklingt: „Die sind unterschiedlich, vom Temperament, vom Wesen her sowieso, aber ... das ist überhaupt keine Frage. … Bei Fritz als dem Erstgeborenen da waren denn auch so Überlegungen, inwieweit prägt man denn so gewisse Entwicklungsschritte in der Geschlechtsidentifikation. Zum Beispiel durch die Auswahl von Spielzeug, und sollte man nicht Autos, Puppen und lass ihn doch frei wählen. Da haben wir ziemlich viel experimentiert und versucht, sehr aufmerksam zu sein. Mal ganz krass gesagt: Der nimmt sich die Autos und sie nimmt sich die Puppen und das kommt irgendwo her. Das kommt nicht daher, dass sie nicht die Wahlmöglichkeit haben, sondern die sehen schon sehr unterschiedlich. Sie ist ein Mädchen, sie ist ein Junge, äh, er ist ein Mädchen (lachen), sie ist ein Mädchen, er ist ein Junge. So, sie sind in vielen, in vielerlei Hinsicht unterschiedlich und die tragen von sich aus eine ganze Menge Geschlechtsspezifisches in sich. Und die fordern auch geschlechtsspezifisch, nicht nur was, weil sie Wesens- bezogen unterschiedlich sind, sondern weil sie unterschiedlichen Geschlechts sind. Unterschiedliche Dinge ( ). Und darauf reagiert man als Eltern, ganz klar, ja, da sind Unterschiede.“ (WM2,26,24)
Die Spielzeugwahl seiner Kinder wird von WM2 als Zeichen für die Natürlichkeit geschlechtertypischen Verhaltens interpretiert. Da er bei seinen Kindern geschlechtertypisches Verhalten beobachtet, das er nicht auf die familiale Erziehung zurückführen kann, sieht er die Eltern als Reagierende auf das kindliche geschlechtertypische Verhalten. Es scheint kein Zufall zu sein, dass der Sohn von WM2 seit der Trennung bei ihm lebt und die Tochter bei der Kindsmutter. Obiges Zitat, nach dem Kinder „geschlechtsspezifisch einfordern“ spricht dafür, dass WM2 die Erziehung eines Mädchens durch einen allein erziehenden Vater als problematisch ansieht. Ähnlich liegt der Fall bei OF4194. Sie nimmt bei ihrer Tochter keine Probleme wahr, die daraus resultieren könnten, dass sie in einer Ein-ElterFamilie aufwächst und ihren Vater kaum sieht: „Yvonne hat für mich auch keine Probleme dadurch dass sie allein ist, dass wir allein erziehend sind.“ (OF4,21,51)
Die Situation würde sich allerdings völlig anders für sie darstellen, wenn sie Mutter eines Jungen wäre: „Mit einem Jungen hätte ich vielleicht Schwierigkeiten, weil ich auch weiß, dass ein Junge ab dem sechsten, siebenten Lebensjahr unbedingt eine männliche Bezugs194
OF4, ein Kind, w., 9 Jahre.
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person braucht, und wenn das da so wäre wie jetzt würde ich dem Kind immer was nehmen. Und jetzt empfinde ich das eher nicht so.“ (OF4,17,51)
Für den fiktiven Fall, allein erziehende Mutter eines Jungen zu sein, erwartet OF4 Probleme. Ursprünglich hatte sie sich einen Jungen gewünscht, ist aber heute froh, ein Mädchen zu haben. Mutter eines Mädchens zu sein bietet ihr die Möglichkeit, wieder ein positiveres Gefühl zu ihrer eigenen Weiblichkeit zu bekommen. Damit verknüpft ist die Erwartung an ihr Kind, bestimmte Weiblichkeits-Attribute anzunehmen: „Und ich bin so froh, dass ich jetzt ein Mädchen habe. Erstens weil meine Tochter, die ähnelt mir auch sehr, als ich noch so klein war, ( ) und ich freue mich auch darauf, dass man jetzt so als Mutter, ich denke ja, man kann sich dann schminken, sozusagen die Fingernägel lackieren, also so das finde ich schön.“ (OF4,17,47)
Von OF4 wird das derzeitige Verhalten ihrer Tochter allerdings als eher geschlechteroffen beschrieben. Die Tochter spielt ausschließlich mit Jungen, aber nicht nur jungentypische Spiele. „Sie ist das einzige Mädchen in ihrer Altersgruppe und spielt nur mit Jungs und das ist zu merken. Sie muss sich natürlich auch durchsetzen, also wenn, sie ist sowieso das älteste Mädchen und die anderen Mädchen sind alle kleiner, und die sind für sie dann immer auch irgendwo uninteressant und sie ist aber auch, naja, auf Jungs fixiert. (…) Sie ist sehr ehrgeizig, sie spielt nicht Fußball, sie bastelt sehr gern und spielt Karten, sehr viel solche Sachen. (…) Also solche Spiele, die man nicht unbedingt einem Geschlecht zuordnen kann.“ (OF4,18,24)
In der Beschreibung des geschlechteroffenen Verhaltens der Tochter wird deutlich, dass die erwarteten geschlechtertypischen Verhaltensweisen von der Mutter und nicht von dem Kind ausgehen. Die Aussage „sie spielt nicht Fußball“ bringt die Erleichterung darüber zum Ausdruck, dass die Tochter sich nicht zusätzlich zu ihrem bereits vorhandenen geschlechteroffenen Verhalten einer männlich besetzten Tätigkeit zuwendet. Zu den Erzählungen von WM2 und OF4 lässt sich zusammenfassend sagen, dass hier von Problemen in der kindlichen Sozialisation ausgegangen wird, wenn Kind und allein erziehender Elternteil nicht gleichgeschlechtlich sind.
254
Einfluss der Peer Group: Während geschlechtertypisches Verhalten in den bis hierhin dargestellten Interviews als sowohl von Geburt an im Wesen der Kinder liegend als auch durch familiale Sozialisation beeinflusst verstanden wird, so wird in anderen Erzählungen der Einfluss der Gruppe der Gleichaltrigen thematisiert: WF2195 erlebt das Verhalten ihres Sohnes als extrem geschlechtertypisch. Sie führt dies auf den Einfluss der Gruppe der Gleichaltrigen in dem sozial benachteiligten Stadtteil, in dem sie leben,196 zurück. Auf die Frage nach geschlechtertypischem bzw. geschlechteroffenem Verhalten antwortet sie: „Ja, furchtbar (lachen). Ja, ganz jungstypisch. Also, der Geschlechterkampf brennt hier, seitdem er in (Stadtteil) wohnt voll auf, seitdem er hier in den Kindergarten ging. Ich hab ihn ja die ersten zwei Jahre noch in (Stadtteil) gelassen, weil der einfach länger auf hatte und der Kindergarten auch gut war, im Gegensatz zu dem Kindergarten hier, und, em, hier ist das so, die Jungs reden nicht mit den Mädchen und umgekehrt.“ (WF2,32,49)
Die Art und Weise des Umgangs der Peer Group mit der Kategorie Geschlecht zeigt sich in dieser Erzählung als möglicherweise schichtspezifisch. Nach dem Umzug in einen Stadtteil mit einem höheren Anteil sozial benachteiligter Familien erlebte der Sohn von WF2 stärkeren sozialen Druck durch die Peer Group, sich geschlechtertypisch zu verhalten. Geschlechtertypisches Verhalten ist hier u. a. gleichzusetzen mit dem Abbruch der Kommunikation zwischen Jungen und Mädchen. Dies wird von WF2 bedauert. Über den Fußballverein ihres Sohnes gibt es Begegnungen mit Gleichaltrigen, die sie positiver sieht. Gleichzeitig ist hier ein männlicher Trainer, den sie als Identifikationsfigur geeignet ansieht. „Es macht ihm Spaß, er ist da erfolgreich, er kriegt darüber Anerkennung, die er hier zu Hause manchmal nicht hat. Oder, wo er auch sehr viel kompensiert, Trainer, Vater, die Anerkennung, die er meinte nicht zu haben kompensiert er darüber und es ist wie gesagt ein Mannschaftssport, fördert Sozialverhalten und er hat da irgendwie sein soziales Umfeld.“ (WF2,22,34)
Fußball zeigt sich in mehreren Interviews als starker ‚Geschlechtszuweiser’. Mädchen, die Fußball spielen, kommen in den Verdacht keine ‚richtigen Mädchen’ zu sein. Ein Junge, der ein richtiger Junge und von seiner Peer Group 195
WF2, ein Kind, m. 8 Jahre. Dieser Umzug in eine Wohnung mit weniger Miete wurde durch den geringen Verdienst aus dem prekären Dienstleistungsverhältnis, in dem Frau Mura (WF2) arbeitet, erforderlich.
196
255
als solcher akzeptiert sein will, kommt nur schwer am Thema Sport vorbei. Auch WF5197 berichtet über die Schwierigkeiten ihres Sohnes, von seiner Peer Group akzeptiert zu werden, da er sich nicht für Sport interessiert. Während im ersten Zitat von WF2 der Einfluss der männlichen Peer Group negativ bewertet wird („furchtbar jungstypisch“), wird sowohl in dem folgenden Zitat von WF2 als auch in der Erzählung von WF5 der Anschluss an die geschlechtshomogene Peer Group als bedeutsam für die (hier: männliche) kindliche Entwicklung erlebt. Die Peer Group kann also sowohl Druck auf die Einhaltung geschlechtertypischen kindlichen Verhaltens ausüben als auch zur sozialen Anerkennung beitragen198. Umso erstaunlicher scheint, dass dieser Aspekt nur in den beiden hier genannten Interviews hervorgehoben wird.
Reaktionen des sozialen Umfeldes WF2, die sich kritisch über den Geschlechter- typisierenden Einfluss der Peer Group äußert, sorgt sich gleichzeitig um die Entwicklung der Geschlechtsidentität ihres Sohnes. Diese Sorge wird durch Interaktionen mit ihrem sozialen Umfeld massiv verstärkt. Von Freunden und Bekannten wird der fehlende Vater thematisiert, wenn WF2 über Erziehungsprobleme berichtet: „ … wenn die Situation auf den Tisch kommt: Oh, Mensch, mit Max ist es gerade sehr schwierig oder gab’s ja immer wieder so Zeiten, es ist ja nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen. Da läuft ja auch nicht immer alles glatt. (…) Das wird von außen so gesehen, dass also ein Junge, speziell auch Jungen, irgendwie, dass dem der Vater fehlt. Wobei ich allerdings sagen muss, ich finde, wie gesagt, dass das zum Teil berechtigt ist.“ (WF2,26,34)
Die Tatsache, dass der Vater fehlt, wird von der sozialen Umwelt als Erklärung für das phasenweise problematische Verhalten des Kindes herangezogen. Mag dieser Erklärungsansatz zumindest teilweise zutreffen, so beinhaltet er doch keinerlei Erziehungshilfe für die allein verantwortliche Mutter. Im Gegenteil, diese wird darin bestärkt, die Probleme als schicksalhaft gegeben, da verbunden mit der gelebten Familienform, zu sehen. Eine soziale Umwelt, welche EinElter-Familien als normale Lebensform ansieht, könnte sie in der Entwicklung einer selbstbewussteren Haltung bestärken.
197 198
WF5, zwei Kinder, m. 17 Jahre, w. 14 Jahre. Zur sozialisatorischen Rolle der Gleichaltrigengruppe siehe auch: (Hurrelmann 2002: 239ff.).
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Der zusammenfassende Blick auf die Interviewpassagen zu geschlechtertypischem Verhalten der Kinder als Erwartung der Eltern und der sozialen Umwelt zeigt, dass hier von der Natürlichkeit geschlechtertypischen Verhaltens ausgegangen wird. Dabei wird geschlechtertypisches Verhalten an der Wahl von Freizeitbeschäftigungen und Spielzeug, aber auch an Charaktereigenschaften festgemacht, wobei Männlichkeit mit Wildheit, Sport und Gefahr und Weiblichkeit mit Sanftheit, Tieren, weniger großer Durchsetzungsfähigkeit und Zickigkeit gleichgesetzt wird. Wie stark die Erwartungshaltung der Eltern an die Kinder ist, sich entsprechend dieser Bilder zu verhalten, wird immer dann besonders deutlich, wenn über fiktive Situationen geredet wird, z. B. über das Mädchen, das größer wird und sich dann (selbstverständlich und zusammen mit der Mutter) schminken wird (oder auch soll); oder über den fiktiven Jungen, der bei einer allein erziehenden Mutter Probleme bei der Entwicklung seiner Geschlechtsidentität hätte. Interaktionen in der Peer Group der Kinder und der sozialen Umgebung der Alleinerziehenden üben zusätzlichen Druck auf die Einhaltung geschlechtertypischen Verhaltens aus, wobei der Eindruck entsteht, dass sich dieses in einem undefinierten ‚Mittelraum’ bewegen soll: nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig.199 Die Haltungen der Erwachsenen, welche geschlechtertypisches Verhalten von ihren Kindern erwarten, zeigen Parallelen zum traditionellen Diskurs um Geschlechtsidentität. Hier wie dort wird Geschlechtsidentität, verstanden als stabile, durchgängige Zuordnung zu geschlechtertypisierten Mustern und Verhaltensweisen, mit seelischer Gesundheit gleichgesetzt. Abweichungen von diesem geschlechtsidentischen Verhalten werden auf die Familienform zurückgeführt. Nach den bisher vorgestellten Interviews, in denen geschlechtertypisches Verhalten der Kinder von Eltern und sozialer Umwelt erwartet wird, werden nun Erzählsequenzen aufgezeigt, in denen die geschlechteroffenen Verhaltensweisen der Kinder von den Alleinerziehenden als Problem erlebt werden:
Die Problematisierung geschlechteroffenen kindlichen Verhaltens OF2200 zeigt sich besorgt darüber, dass ihre ältere Tochter sich, ihrer Wahrnehmung nach, nicht geschlechtertypisch verhält. Sie beschreibt ihre ältere Tochter als sportlich aktiv und sportlich gekleidet. Sie reflektiert evtl. Erziehungsfehler ihrerseits, die zu dem von ihr als männlich empfundenen Verhalten 199
Inwieweit die Erwartungshaltung an Kinder sich geschlechtertypisch zu verhalten bei Alleinerziehenden stärker ausgeprägt ist als bei Eltern in Zwei-Eltern-Familien kann hier – ohne die Möglichkeit einer Vergleichsgruppe – nicht festgestellt werden. 200 OF2, zwei Kinder, w. 15 Jahre, w. 5 Jahre.
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ihrer Tochter geführt haben könnten. Bei ihrer jüngeren Tochter versucht sie bewusst, das Kind mehr als Mädchen zu erziehen, empfindet sich dabei aber nicht als sonderlich erfolgreich. Bei ihrer älteren Tochter beobachtet OF2 ein Misstrauen gegenüber Männern, das sie sich mit der fehlenden männlichen Bezugsperson und den schlechten Erfahrungen mit den Kindsvätern erklärt. „Aber schwer ist eben wirklich, dass die keinen, naja, männlichen Umgang haben. (…) Und als die Trennung war, das war für sie sehr, sehr schwer. Das hat sie bis heute nicht verkraftet und sie ist eben auch der Meinung, dass sie, naja, sie sagt halt, Männer sind alle doof und da kann ich nur sagen, alle sind nicht doof und du kennst doch von meiner Freundin den Freund und da gibt es halt noch welche. Sie hat da wenig Hoffnung, dass es da Männer gibt, die wirklich okay sind.“ (OF2,9,20)
OF2 ist der einzige Fall in diesem Sample, in dem für die Herausbildung einer positiv erlebten Geschlechtsidentität eines Kindes der gegengeschlechtliche Elternteil als bedeutsam hervorgehoben wird. Sonst wird ausschließlich der gleichgeschlechtliche Elternteil als wichtig für die Entwicklung der kindlichen Geschlechtsidentität angenommen. OM1201 empfindet ebenfalls das geschlechteroffene Verhalten seiner Tochter als problematisch. Das von ihm als jungenhaft empfundene Verhalten der Tochter wird auf das Aufwachsen in einer Ein-Elter-Familie zurückgeführt. Aus dem Verlauf des Interviews geht hervor, dass hier der fehlende gleichgeschlechtliche Elternteil als wesentliches Defizit betrachtet wird. OF2 und OM1 führen das geschlechteroffene Verhalten ihrer Kinder auf Defizite in der familialen Sozialisation zurück. Dies impliziert, dass geschlechtertypisches Verhalten in erster Linie über die familiale Sozialisation hergestellt wird. Beide bemühen sich, ihre Töchter zu geschlechtertypischem Verhalten zu bewegen.
Homophobe Reaktionen auf geschlechteroffenes, kindliches Verhalten In den folgenden beiden Interviewpassagen zeigen sich homophobe Reaktionen auf geschlechteroffenes, kindliches Verhalten. WF5202 berichtet über abwertende Reaktionen der Verwandtschaft auf das geschlechteroffene Verhalten ihres Sohnes:
201 202
OM1, ein Kind, w . 11 Jahre. WF5, zwei Kinder, w. 15 Jahre., m. 17 Jahre.
258
„Ich habe mich bemüht, möglichst wenig Unterschiede zu machen, nicht so nach Junge und Mädchen, sondern nach Neigungen der Kinder zu gucken. Also Frederic hat so mit drei, vier Jahren ständig rosa Latzhosen mit lila T-Shirt angehabt, nicht weil ich ihm das gegeben hätte, sondern wir sind immer zu C&A im Sommer- und Winterschlussverkauf, dann habe ich ihm die entsprechenden Hosen und T-Shirts in den Größen hingelegt und gesagt, such dir aus. Und das waren solche Sachen, da kamen so Reaktionen von meiner einen Schwester und von Nachbarn, du machst ja aus deinem Sohn ein Mädchen. Und ja, er hat also auch eher einen Puppenwagen gehabt als seine Schwester. Ich habe seine Schwester im Buggy geschoben und er hat seine Puppe im Buggy geschoben. Und ich fand das also völlig normal.“ (WF5,18,48)
WF5 selbst zeigt kein homophobes Verhalten, sondern unterstützt ihren Sohn in der geschlechteroffenen Auswahl von Spielzeug und Kleidung. Auch OF1 203 setzt sich gegen homophobe Reaktionen ihrer sozialen Umgebung zur Wehr: „Der hat Kleider geliebt, also die waren nicht eng, also keinen Schlüpfer drunter, nichts, bloß so ein Hängekleid, hat er angezogen, hat er überhaupt kein Problem mit gehabt. Also mir war es auch egal. Ich hatte gesagt, wie er sich wohl fühlt. Also bei Rüschen habe ich dann gesagt, naja vielleicht nicht unbedingt, also es gibt ja, da kann man ja etwas Einfaches oder so. Also Freunde haben dann gesagt, das kannst du nicht machen, das Kind wird schwul. Ich meine, ihr habt einen Knall, wieso sollte der schwul werden, bloß weil der als 2- 3Jähriger ein Kleid trägt mal. Also da habe ich ihm auch den freien Willen gelassen.“ (OF1,4,47)
OF1 verteidigt die Bedürfnisse ihres Kindes gegen die Reaktionen ihrer Freunde. Sie gehört zu den Alleinerziehenden dieses Samples, die über viele verlässliche Kontakte berichten. 204 Schaut man sich die Erzählungen zu geschlechteroffenem Verhalten der Kinder im Überblick an, so zeigt sich, dass in allen vier Erzählsequenzen geschlechteroffenes Verhalten der Kinder von (unterschiedlichen) Erwachsenen als Problem erlebt wird. Schränken die Eltern das Verhalten der Kinder nicht in Richtung geschlechtertypischer Erwartungen ein, so ist mit homophoben Reaktionen der sozialen Umwelt zu rechnen. Die Erzählungen über den sozialen Druck, der bei Nichteinhaltung geschlechtertypischer Verhaltensweisen ausgeübt wird, verdeutlichen den normativen Gehalt, den Geschlechtertypisierungen bis heute haben. Es besteht eben nicht die ‚freie Wahl’. 203
OF1, ein Kind, m. 15 Jahre. Eine an diese Arbeit anschließende weitere interessante Untersuchung, die den hier gegebenen Rahmen leider sprengt, könnte sich mit der Fragestellung auseinandersetzen, inwieweit homophobe Reaktionen auf Ein- und Zwei-Eltern-Familien differieren und welche Begründungsmuster hier jeweils angeführt werden. Auch Milieuunterschiede wären zu beachten. 204
259
7.2.2 Geschlechtertypisches Verhalten als Problem In diesem Unterkapitel werden drei allein erziehende Mütter beschrieben, die Probleme mit dem als extrem männlich empfundenen Verhalten ihrer Söhne haben. WF1205 z. B. erlebt aggressives Verhalten als männliches Verhalten: „Also diese beiden Jungs verhalten sich ABSOLUT jungstypisch. Sehr konsequent, sehr durchgehend. (…) Und zeitweise war der auch sehr aggressiv und – oah, ich hatte immer das Gefühl, mein Gott, ich komm mit diesem Kerl nicht zurecht, richtig Macho, das ist für mich richtig, der hat echt alles ausgespielt.“ (WF1,16,1)
WF1 erlebt das aggressive Verhalten ihres Sohnes als Abgrenzung gegen sich als allein erziehende Mutter. Die Aggressionen des Sohnes führt sie auf die fehlende männliche Bezugsperson in der Familie zurück: „Jaja, aber ich hab schon das Gefühl, dass da, irgendwas ist da. So, mein Gefühl ist auch diese enge Bindung, die Lukas und ich hatten von Anfang an, da wäre es einfach richtig gut gewesen, da wäre … wäre da ein Mann gewesen, so, der sich eingebracht hätte. Und ich glaub, das ist, auch eben weil das nicht ist, so, muss er sich sehr, sehr, sehr viel stärker mir gegenüber abgrenzen, gegen diese Weiblichkeit, gegen diese Weiblichkeit.“ (WF1,17,6)
Auch WF4206 formuliert Probleme mit dem als extrem männlich erlebten Verhalten ihres Sohnes. Dieser möchte heute, da er erwachsen ist, die Rolle des männlichen Bestimmers in der Familie spielen. Sie fühlt sich nicht mehr von ihrem Sohn respektiert und drängt ihn daher zum Auszug aus dem Haushalt. Das respektlos/aggressive Verhalten ihres Sohnes wird auch von WF4 in Verbindung mit seinem Aufwachsen in einer Mutterfamilie gebracht: Der Sohn versuche, den ‚Mann im Haus’ zu ersetzen. WF5207 berichtet ebenfalls über eine Zeit, in der sie Probleme mit ihrem Sohn hatte, da dieser ein sehr aggressives Verhalten zeigte. Auch sie führt dieses aggressive Verhalten auf die fehlende männliche Bezugsperson in der Familie zurück. Interessant ist in diesem Fall, dass WF5 im Interview länger und detaillierter über das aggressive Verhalten ihrer Tochter als über das ihres Sohnes erzählt. Im Unterschied zu den Aggressionen ihres Sohnes bringt WF5 das aggressive Verhalten ihrer Tochter nicht in Verbindung mit der Familiensituation, bzw. mit der fehlenden männlichen Bezugsperson. Da sie davon ausgeht, dass ihrer Tochter nichts Wesentliches fehlt (weil sie ja eine weibliche 205
WF1, zwei Kinder, m. 7 Jahre, m. 5 Jahre. WF4, zwei Kinder, m. 22 Jahre, w. 12 Jahre. 207 WF5, zwei Kinder, m. 17 Jahre, w. 15 Jahre. 206
260
Bezugsperson hat), kann sie gelassener mit den Aggressionen ihrer Tochter umgehen. Sie sieht ihre Familienform nur mit Blick auf den Sohn als defizitär an. Diese Haltung ist keinesfalls ungewöhnlich. Spannend ist jedoch, dass sich zeigt, wie sich die Wahrnehmung von Interaktionen im Alltagsleben an Diskursen, hier dem traditionellen Diskurs zu Geschlechtsidentität, orientiert. Alle drei in diesem Unterkapitel beschriebenen Mütter empfinden das Verhalten ihrer Söhne als in extremer Art und Weise männlich. Erklärt wird dieses Verhalten mit der fehlenden männlichen Bezugsperson. Während WF4 sich gegen das von ihr als unangemessen und abwertend erlebte Verhalten ihres inzwischen erwachsenen Sohnes abgrenzt, scheinen WF1 und WF5 die Aggressionen ihrer Söhne eher schicksalhaft hinzunehmen. Das hier anschließende Unterkapitel befasst sich mit elterlichen Einstellungen, die von Ambivalenzen zwischen geschlechteroffenen Einstellungen und der Erwartung geschlechtertypischen kindlichen Verhaltens geprägt sind:
7.2.3 Ambivalenzen WF3208 erzählt, dass sie vor ihrer Mutterschaft der Meinung war, Kinder könnten sich - bei geschlechteroffener Erziehung - in Distanz zur Geschlechterrolle entwickeln. Durch die Beobachtung des geschlechtertypischen Verhaltens ihrer Söhne fühlt sie sich korrigiert. Die geschlechteroffene Erziehung hat ihrem Eindruck nach eher die Hinwendung zu männlichem Spielzeug und Verhalten geweckt. Gleichzeitig beschreibt sie ihre Söhne nicht als besonders jungstypisch in Verhalten und Tätigkeitswahl. Die 22 und 15 Jährigen pflegen den eigenen Körper und kochen gerne, befassen sich also genussvoll mit zwei eher weiblich besetzten Tätigkeitsgebieten. Sie zeigen in dieser Hinsicht geschlechteroffenes Verhalten. Dies führt WF3 jedoch nicht auf ihre Erziehung zurück. Die Hinwendung zu weiblich besetzten Tätigkeiten wie Körperpflege und Kochen wird nicht als Effekt der geschlechteroffenen Erziehung gewertet. WF3 schwankt hinsichtlich der Bewertung der Männlichkeit ihrer Söhne, sie findet sie gleichzeitig zu passiv und sehr attraktiv in ihrer ruhigen Männlichkeit. Auch WF4 hat ihre Kinder bewusst nicht durch ein geschlechterspezifisch selektives Spielzeugangebot zu geschlechtertypischem Spielverhalten angeregt. Sie berichtet darüber, dass die Auswahl des Spielzeugs durch die Kinder nicht durchgehend aber tendenziell geschlechterspezifisch verlief. Ihrer Beobachtung nach orientierte der Junge sich stärker an der eigenen Geschlechterrolle als das
208
WF3, drei Kinder, m. 22 Jahre., m. 15 Jahre., m. 3 Jahre.
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Mädchen, er war viel draußen und eher wild. Den Hang zu Wildheit und Gefahr schildert WF4 jedoch auch bei ihrer Tochter: „Ja, die war, ja, auf dem Spielplatz immer mit den Jungs zusammen, die hat nur Hosen angehabt, als sie klein war. Gut, am Wochenende mal habe ich sie in ein Kleidchen gesteckt oder so, weil ich es einfach so niedlich fand. Ähm, aber sonst auch Hosen, bei Wind und Wetter draußen, durch die Pfützen, in den Bäumen geklettert, im Klettergerüst und gerutscht und ja.“ (WF4,29,13)
Entgegen dem Anspruch der geschlechteroffenen Erziehung wird die Tochter am Wochenende mädchenspezifisch gekleidet. Hierdurch erreicht die Mutter eine positive Besetzung von Weiblichkeit für sich selbst. Es macht den Anschein, als müsse sie ihrer ursprünglichen Abneigung gegen eine Tochter entgegenwirken: „Ich war ganz, als ich damals wusste, ich kriege ein Mädchen, da hab ich gesagt, nein, um Gottes Willen, das hatte ich überhaupt gar nicht so in Erwägung gezogen, dass es ja auch ein Mädchen werden kann. Und ich hab nur, manchmal bin ich auch ein bisschen burschikos, ich hab dann gesagt, nee, keine Weibse. Sone Itzepocke will ich nicht haben, die wird sofort, das wird sofort in der Regentonne ersoffen, keine Weibse. Da habe ich gesagt, und ich mit meinem losen Mundwerk, und dann irgendwie so ein tetetete Mädchen da, so ein richtiges Mädchen, wie soll ich denn damit umgehen? Das kann ich nicht. Das kann ich nicht. Ja, kann aber doch. Und äh, eigentlich ist das, gut, ich mache ihr auch (die Haare), und jetzt freue ich mich, dass ich ein Mädchen habe, kann man viele andere Sachen mit machen, mit Röckchen und Kleidchen und hier ein bisschen schick machen und Haarspängchen und so. Ist einfach, ist einfach schön.“ (WF4,26,45)
Der ursprünglich starken Ablehnung des weiblichen Geschlechts wird durch geschlechtertypische Tätigkeiten entgegen gewirkt. Dabei erscheint die Tochter als Objekt der mütterlichen Experimentierfreude („kann man viele andere Sachen mit machen“). Von OM3209 wird die Sportlichkeit seiner Tochter, insbesondere ihr Interesse für Fußball, als jungenhaft interpretiert: „Ein halber Junge ist das. Vater hat nicht Fußball gespielt und sie spielt Fußball. Also das ist das ganze Gegenteil, meine Tochter.“ (OM3,17,37)
OM3 hat kein Problem mit dem geschlechteroffenen Verhalten seiner Tochter. Er geht davon aus, dass er keine Geschlechterunterschiede in der Erziehung seiner Kinder macht. In seinem Bericht über die Verteilung der Hausarbeit zwischen den Kindern drängt sich jedoch der Eindruck auf, dass hier Anspruch 209
OM3, zwei Kinder, m. 17 Jahre, w. 12 Jahre.
262
und Wirklichkeit auseinander gehen, denn es steht schon fest, dass die fünf Jahre jüngere Tochter später die Wäsche übernehmen soll, was für den 17-jährigen Sohn nicht zur Diskussion steht. Hier lässt sich ein Widerspruch zwischen der geäußerten geschlechteroffenen Einstellung und dem tatsächlichen Verhalten erkennen. Die Erwartung geschlechtertypischen Verhaltens ist für OM3 so selbstverständlich, dass er sie nicht wahrnehmen kann. OM4210 findet es positiv für seine Tochter, dass sie sich als kleine Schwester von zwei großen Brüdern mehr an Jungen als an Mädchen orientiert. Er berichtet, dass er keine Unterschiede in der Erziehung zwischen seinen Söhnen und seiner Tochter macht. Seine Söhne verhielten sich aber sehr wie typische Jungen. Auf eine Nachfrage hin wird deutlich, dass jedes andere Verhalten auch homophobe Ängste und Abwehr bei OM4 ausgelöst hätte: I.: „Und jetzt noch mal mit dem, wie die sich als Jungs und Mädchen verhalten, war das auch so, als sie kleiner waren, war das schon immer so, oder haben die auch mal so rumexperimentiert, ich meine, manchmal machen Jungs das ja auch, dass sie auch mal einen Rock anziehen oder so ein bisschen testen?“ B.: „Gar nicht. Gar nicht. Hätte ich auch verboten.“ I.: „Warum?“ B.: „Damit sie nicht schwul werden. Das hätte ich von vorne herein unterbunden.“ I.: „Hätten Sie da Angst gehabt, dass sie schwul werden, wenn die sowas ausprobieren?“ B.: „Ja, absolut. Dass man da die Linie zieht. Das ist Jungs und das ist Mädchen usw. Also Barbiepuppen, da haben sie auch nie ein Interesse gehabt. Bei Mädchen habe ich keine Probleme, wenn die mit Autos spielen, also Barbiepuppen und Rock anziehen das ist nicht.“ (OM4,16,19)
Der Anspruch, Jungen und Mädchen gleich zu erziehen, wird auch hier in der Wirklichkeit nicht eingelöst. OM4 zeigt gegenüber seiner Tochter ein geschlechteroffeneres Verhalten, während er seinen Söhnen gegenüber auf der Einhaltung der männlichen Rolle besteht. WM1211 beschreibt seine Tochter als sehr lieb, hilfsbereit und eher brav. Er erzählt, dass er viele positive Reaktionen auf deren Verhalten bekommt. Er wünscht sich, dass seine Tochter eine Kampfsportart lernen kann, eine derartige Förderung ist für ihn jedoch derzeit nicht finanzierbar. Während WM1 einerseits stolz auf die technischen Fähigkeiten seiner Tochter ist, macht er sich andererseits Sorgen, dass sie Schwierigkeiten haben könnte, sich als Mädchen zu fühlen, weil ihr der weibliche Part in der Familie fehle. WM1 verbindet mit Weiblichkeit Tätigkeiten wie Schminken und das Spielen mit Puppen. Er ist der 210 211
OM4, drei Kinder, m. 19 Jahre., m. 16 Jahre., w. 11 Jahre. WM1, ein Kind, w. 7 Jahre.
263
Überzeugung, dass seiner Tochter eine weibliche Bezugsperson fehlt und empfindet dahingehende Kommentare aus seiner sozialen Umwelt nicht als stigmatisierend. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Gleichzeitigkeit von geschlechteroffenen Einstellungen und der Erwartung an die Kinder, zumindest teilweise geschlechtertypisches Verhalten zu zeigen, die fünf hier aufgeführten Interviews bestimmt.212 Diese Erwartungen setzen sich quasi ‚hinter dem Rücken’ der Subjekte durch, in der Regel ohne von ihnen selbst wahrgenommen bzw. reflektiert zu werden. Das geschlechtertypische Verhalten der Kinder (wo vorhanden) wird in der Regel als aus sich selbst heraus entstehend wahrgenommen, auch wenn die Einflussnahme der Eltern auf die Kinder in den Erzählungen immer wieder aufscheint. Die Normativität geschlechtertypischen kindlichen Verhaltens wird hier erneut deutlich. Die aufgeführten Erzählpassagen zeigen die Spannung, die durch die Ambivalenzen ausgelöst werden: Die Kinder sollen nicht eingeengt werden, sie sollen aber trotzdem ‚normal’ und nicht sozial auffällig sein. Verschiedentlich wird der Druck spürbar, unter dem die Subjekte aufgrund dieser oftmals widersprüchlichen subjektiven und gesellschaftlichen Erwartungen stehen.
7.2.4 Geschlechteroffene Einstellungen Der Sohn von OF1213 entwickelt Flexibilität im Umgang mit Geschlechterrollen. Einige Jahre hatte er lange Haare und war auf den ersten Blick nicht als Junge zu erkennen. OF1 äußert sich in keiner Weise abwertend darüber. Er hat ihre volle Unterstützung. OF5214 beschreibt das Verhalten ihres Sohnes als sehr emotional und kommunikativ. Sie erlebt sein Verhalten als geschlechteroffen. Geschlechtertypisches Verhalten sieht sie als weitgehend durch Erziehung beeinflusst an. Letztendlich werde man den Kindern nur gerecht, wenn man ihre Einzigartigkeit beachte: „Jedes Kind unterscheidet sich. Also so, und von daher denke ich, ist es schwer zu sagen, man würde alle gleich, weil man kann nicht jedes Kind gleich erziehen.“ (OF5,22,8)
212
Eine Ausnahme bildet hier OM4, jedoch nur gegenüber seiner Tochter, nicht gegenüber seinen Söhnen. OF1 ein Kind, m. 15 Jahre. 214 OF5, ein Kind, m. 9 Jahre. 213
264
OF5 kritisiert die geschlechtertypischen Erwartungen von Erwachsenen an Kinder, die sie in ihrer Umwelt beobachtet. Sie selbst legt ihren Sohn nicht auf bestimmte Tätigkeiten fest. Der Sohn von OF5 experimentiert mit weiblichen Assecoires, mit der Verkleidung als Mädchen. Sie akzeptiert das vollständig. Gleichzeitig warnt sie ihren Sohn davor, mit einem Rock oder geschminkt die Wohnung zu verlassen, da sie ihm negative Reaktionen ersparen will, die bereits aus der Verwandtschaft kamen. OF5 versucht, ihrem Sohn größtmögliche Handlungsspielräume zu ermöglichen und ihn gleichzeitig vor aggressiv homophoben Reaktionen zu schützen. OM2215 erlebt seine Töchter als typische Mädchen, allerdings nicht in einem zugespitzten Maße. Er möchte nicht, dass seine Töchter sich emotional zu sehr gehen lassen und hat den Anspruch an sich, sie so zu erziehen, wie er Jungen auch erziehen würde. Die Tochter von WM3216 ist in der Wahl ihrer Tätigkeiten geschlechteroffen und wird darin von ihm unterstützt. Er berichtet über keinerlei negative Reaktionen in Bezug auf das Aufwachsen eines Mädchens bei einem allein erziehenden Vater. Von den vier Alleinerziehenden, die geschlechteroffenem Verhalten ihrer Kinder positiv gegenüber stehen, wird geschlechtertypisches Verhalten nicht als naturgegeben angesehen, sondern als durch Sozialisation hervorgerufen und beeinflusst. Es wird deutlich, dass diese Einstellung eine gewisse Stabilität erlangen muss, um gegen Kritik aus dem sozialen Umfeld bestehen zu können. Weiterhin zeigt sich, dass geschlechteroffene Einstellungen auf individueller Reflexionsfähigkeit basieren.
7.2.5 Zwischenfazit Es zeigten sich erhebliche Differenzen in den Einstellungen der Eltern gegenüber dem als geschlechtertypisch oder geschlechteroffen wahrgenommenen Verhalten ihrer Kinder. Wo geschlechtertypisches Verhalten als natürlich angesehen wurde, fand eine Negierung außerfamilialer Sozialisationseinflüsse statt. Welch große Rolle diese spielen, wird jedoch in jenen Erzählungen deutlich, die über den Einfluss der Peer Group und über homophobe Reaktionen der sozialen Umwelt berichten. Es wird nun wiederum zunächst ein Überblick über die Zuordnung der einzelnen Fälle in die sechs Gruppen gegeben217: 215
OM2, zwei Kinder, w. 14 Jahre., w. 12 Jahre. WM3, zwei Kinder, w. 14 J. lebt bei ihm, m., 10 J. lebt bei Kindsmutter. Wiederum sind jene Fälle, die zwei Gruppen zugeordnet wurden, mit kursivem Druck kenntlich gemacht. Die doppelten Nennungen einiger Fälle kommen durch die Differenzierung in
216 217
265
Tabelle 23:
Einstellungen zum Geschlechterverhalten der Kinder
Geschlechter -typisches Verhalten der Kinder als Erwartung der Eltern bzw. der sozialen Umwelt
Geschlechteroffenes Verhalten der Kinder als Problem der Eltern bzw. der sozialen Umgebung
Geschlechter -typisches Verhalten der Kinder als Problem für Alleinerziehende
Ambivalenzen gegenüber geschlechtertypischem und geschlechteroffenem Verhalten der Kinder
Geschlechter -offene Einstellungen der Eltern
Keine Erzäh-lung
WF2 218 , WF5 219 , WM2, WM5, OF3, OF4, OM5
WF5 220 , OF1 221 , OF2, OM1
WF1, WF4 222 , WF5
WF2, WF3, WF4, WM1, OM3, OM4
OF1, OF5, WM3, OM2
WM4
Wie schon in Kapitel 7.1 zeigen sich auch hier keine Ost/West-Unterschiede. Die Geschlechter sind ebenfalls relativ gleichmäßig über die Gruppen verteilt. Auffällig ist, dass der Gruppe, in der das geschlechtertypische Verhalten der Kinder zu Problemen der Eltern führt, ausschließlich Mütter mit Westherkunft zuzuordnen waren. Diese drei Fälle sind Mütter mit Söhnen, die das als extrem männlich empfundene Verhalten ihrer Kinder durch die Ein-Elter-Familie hervorgerufen (WF1 und WF5) oder zumindest begünstigt (WF4) interpretieren. Es zeigt sich, dass von den Subjekten unter einer ‚gesunden Geschlechtsidentität’ eine Art Mittelwert verstanden wird: Nicht zu wenig, aber eben auch nicht zu viel Männlich- bzw. Weiblichkeit. Eine Verunsicherung darüber, ob ihre Kinder der Norm entsprechen, ist bei einem Großteil der interviewten Alleinerziehenden festzustellen. Teilweise setzt sich diese Verunsicherung in einen Druck auf die
Einstellungen der Eltern und soziale Interaktionen zustande. Letztere werden durch die folgenden Fußnoten spezifiziert. 218 Dieses Zitat betrifft den Einfluss der Peer Group. 219 Dieses Zitat betrifft ebenfalls den Einfluss der Peer Group. 220 In dieser Erzählsequenz wird über homophobe Reaktionen aus der sozialen Umwelt berichtet. 221 Auch in dieser Passage des Interviews wird über homophobe Reaktionen der sozialen Umwelt berichtet. 222 WF4 wird in dieser Tabelle in Gruppe zwei und in Gruppe vier genannt, da sie unterschiedliche Haltungen zu ihren beiden Kindern entwickelt. Ihre Haltung ihrem Sohn gegenüber ist davon bestimmt, sein geschlechtertypisches Verhalten als Problem zu sehen, die Haltung der Tochter dagegen ist von Ambivalenzen bestimmt.
266
Kinder zur Einhaltung des oben erwähnten ‚Mittelwertes geschlechtertypischen Verhaltens’ um. Mädchen werden tendenziell eher als empfindliche und Jungen als draufgängerische Wesen gesehen. Die größte Gruppe bildet diejenige, in der geschlechtertypisches Verhalten der Kinder von den Eltern bzw. der sozialen Umwelt erwartet wird. Die Gruppe, in der das geschlechteroffene Verhalten der Kinder als problematisch empfunden wird, kann dieser ersten Gruppe zugerechnet werden, da es sich in beiden Fällen um die Erwartung geschlechtertypischen Verhaltens handelt.223 Das als problematisch empfundene geschlechteroffene Verhalten der Kinder wird in Zusammenhang mit ihrem Aufwachsen in einer Ein-Elter-Familie gebracht. Ambivalenzen bestehen vor Allem darin, dass eine geschlechteroffene Einstellung zum Ausdruck gebracht, jedoch nicht durchgängig gelebt wird. Vielmehr setzen sich Erwartungen an geschlechtertypisches Verhalten quasi ‚hinter dem Rücken’ der Subjekte wieder durch. Geschlechteroffene Einstellungen der Eltern erfordern Fähigkeiten der Reflexion und ein großes Selbstbewusstsein, da homophoben und anderen abwertenden Reaktionen entgegen getreten werden muss. Zu konstatieren ist, dass von verschiedenen Seiten (Eltern, FreundInnen und Verwandtschaft, Peer Group) gesellschaftlicher Druck auf Kinder und in besonderem Maße auf Jungen ausgeübt wird, sich geschlechtertypisch zu verhalten. In den Interviews wird deutlich, dass die Befragten eine besondere Erwartung ihres sozialen Umfeldes ihnen als Alleinerziehenden gegenüber empfinden, für ein ‚angemessen geschlechtertypisches Verhalten’224 ihrer Kinder zu sorgen. Alleinerziehende erleben also einen besonderen Druck der Normerfüllung, der sich nachteilig auf ihr subjektives Wohlbefinden auswirken kann. Das in Kapitel sechs beschriebene durch sozialstrukturelle Bedingungen hervorgerufene Gefühl ‚mit dem Rücken zur Wand zu stehen’ verschärft sich in den gesellschaftlichen Erwartungen an die Einhaltung von als männlich bzw. weiblich definierten Geschlechterbildern.225 Diejenigen Alleinerziehenden, deren geschlechteroffene Einstellung in den Interviews eindeutig zum Ausdruck kam, haben Gegenentwürfe zu den gesellschaftlich dominanten Bildern entwickelt. Da sie mit dieser Haltung in Rechtfertigungszwänge geraten, kann auch ihr subjektives Wohlbefinden durch die 223
Da es sich bei der Problematisierung geschlechteroffenen Verhaltens jedoch um eine Zuspitzung handelt, wird dieses in Tabelle 23 und in dieser Zusammenfassung zunächst in einer gesonderten Gruppe aufgeführt. 224 Mit ‚angemessen geschlechtertypischem Verhalten’ wird der oben erwähnte schwer einzugrenzende Mittelwert gemeint, nach dem Kinder sich nicht zu schwach und nicht zu stark geschlechtertypisch verhalten sollen. 225 Über einen Fall (WM4) kann hier mangels ausreichenden Datenmaterials zu diesem Themenbereich keine Aussage gemacht werden.
267
gesellschaftliche Erwartung geschlechtertypischen kindlichen Verhaltens beeinträchtigt werden. Von einigen Alleinerziehenden wird die Erwartung von Problemen im Geschlechterverhalten der Kinder mit dem fehlenden gleichgeschlechtlichen Elternteil in Zusammenhang gebracht. Von den 15 Alleinerziehenden mit gegengeschlechtlichen Kindern sind acht der Ansicht, ein fehlender gleichgeschlechtlicher Elternteil führe zu Problemen in der kindlichen Entwicklung. Tabelle 24:
Erwartete Probleme für die kindliche Entwicklung bei gleichgeschlechtlichem Elternteil I
Alleinerziehende mit gegengeschlechtlichen Kindern
WF1, WF2, WF3, WF4, WF5, OF1, OF3, OF5 WM1, WM3, WM5, OM1, OM2, OM3, OM4
Alleinerziehende mit gegengeschlechtlichen Kindern, die aus diesem Grund Probleme für die kindliche Entwicklung erwarten. WF1, WF2, WF4, WF5 OF4, WM1, WM2, OM1
Die unter 3.5.2 beschriebenen Diskurse zur Geschlechtsidentität, in denen insbesondere für Jungen von Entwicklungsproblemen ausgegangen wird, wenn sie ohne väterlichen Einfluss aufwachsen, scheinen in den Erzählungen der Alleinerziehenden wieder auf. Nur eine der befragten Alleinerziehenden (OF2) formulierte die Einstellung, dass ein fehlender gegengeschlechtlicher Elternteil sich negativ auf die kindliche Entwicklung – speziell der Geschlechtsidentität – auswirken könne. Zur ansatzweisen Beantwortung der Frage nach subjektiven Konstruktionen von Geschlecht und deren Einfluss auf das subjektive Wohlbefinden von Alleinerziehenden kann hier zusammenfassend festgestellt werden, dass Verknüpfungslogiken zwischen dem traditionellen Geschlechtsidentitäts– Diskurs und Sichtweisen auf die Ein-Elter-Familie als defizitäre Familienform das Alltagsleben der Alleinerziehenden und ihrer Kinder beeinflussen. Gleichzeitig eröffnen sich Spielräume in der Konstruktion von Geschlecht und Familie, wenn sich die Alleinerziehenden dekonstruktiven Sichtweisen nähern, indem sie tolerierende bis zustimmende Haltungen zu geschlechteroffenem Verhalten ihrer Kinder zeigen. In Tabelle Nr.25 wird nun ein Überblick über evtl. Korrelationen zwischen den Einstellungen zu Geschlechter- bezogenem kindlichem Verhalten und den 268
sozialstrukturellen Aspekten der materiellen Absicherung durch eigene Erwerbstätigkeit sowie privater Unterstützung gegeben. Wie bereits unter 7.1.4 stellt sich auch hier die Frage, ob sich sozialstrukturell günstige Bedingungen positiv auf die Entwicklung von Spielräumen in der subjektiven Konstruktion von Geschlecht auswirken.
269
Tabelle 25:
Einstellungen zum Geschlechterverhalten der Kinder und sozialstrukturelle Situation
Geschlechter -typisches Verhalten der Kinder als Erwartung der Eltern Materiell abgesichert durch Erwerbstätig keit Private Unterstützung ausreichend vorhanden Materiell abgesichert und private Unterstützung ausreichend vorhanden Weder materiell abgesichert noch ausreichend privat unterstützt
Geschlechter -typisches Verhalten der Kinder als Problem für Alleinerziehe nde
WM2
OF3
Ambivalenzen gegenüber geschlechtertypischem und geschlechteroffenem Verhalten der Kinder
Geschlechter -offene Einstellungen der Eltern
Keine Erzählung zu diesem Themenbereich
WF3
WF4226
WF4
OF1, OF5
OM2 WM5, OM5
OF2, OF4, OM1,
WF5, WF1,
WF2, WM1, OM4, OM3
WM3
WM4
Anders als unter 7.1.4 zeigt sich hier materielle Absicherung durch eigene Erwerbstätigkeit nicht als in besonderem Maße förderlich für die Entwicklung geschlechteroffener Einstellungen gegenüber den eigenen Kindern. Es ist vielmehr festzustellen, dass die Einstellungen von Alleinerziehenden gegenüber dem Geschlechterverhalten ihrer Kinder eher von Interaktionen in unterschiedlichen 226
WF4 ist hier erneut doppelt genannt, da sie ihren beiden Kindern gegenüber differente Einstellungen äußert.
270
sozialen Räumen als von sozialstrukturellen Aspekten beeinflusst zu sein scheinen. Die folgende Kreuztabelle gibt einen Überblick über die Zuordnung von Fällen in Kapitel 7.1 und Kapitel 7.2.227
Tabelle 26:
Einstellungen zum Geschlechterverhalten der Kinder und das Selbstverständnis Körper/Geschlecht Geschlechtertypisches Verhalten der Kinder als Erwartung der Eltern
Positives Selbstverständnis Körper / Geschlecht Probleme im Selbstverständnis Körper / Geschlecht Distanz zur Geschlechterrolle Keine Erzählung
Geschlechtertypisches Verhalten der Kinder als Problem für Alleinerziehende
Ambivalenzen gegenüber geschlechtertypischem und geschlechter- offenen Verhalten der Kinder
WF5
Keine Erzählung zu diesem Themenbereich
OF1
WF2, WF4, OM4
OF5
WM2, OM5
WF3, WM1, OM4
WM3, OM2
OM1
OM3
WM5, OF3, OF4, OF2
WF1, WF4
Geschlech ter- offene Einstellung der Eltern
WM4
Es soll nun nicht jedes Feld, jeder aus dieser Kreuztabelle entstehende Typus einzeln interpretiert werden. Stattdessen wird der Versuch gemacht, Grundten227 Die in Kapitel 7.2 eingefügten auf Interaktionen basierenden doppelten Nennungen in der Tabelle, werden zu Gunsten besserer Übersichtlichkeit in Tabelle Nr.27 weggelassen. Zusätzlich wird die zweite Gruppe aus 7.2 (Geschlechteroffenes Verhalten der Kinder als Problem der Eltern) nun in die erste Gruppe (Geschlechtertypisches Verhalten der Kinder als Erwartung der Eltern) integriert.
271
denzen herauszufiltern, die sich aus den hier aufgezeigten Überschneidungen ergeben. So ist festzuhalten, dass Distanz zu klassischen Geschlechterbildern im Erwachsenenleben nicht unbedingt mit einer geschlechteroffenen Einstellung den Kindern gegenüber einhergeht. Nur in zwei der sieben von den ‚Distanz zur Geschlechterrolle’ zugerechneten Fällen besteht diese Übereinstimmung. Es überwiegen Ambivalenzen gegenüber dem kindlichen Verhalten. Jene Alleinerziehenden, die Probleme mit dem eigenen Selbstverständnis Körper/Geschlecht haben, erwarten größtenteils geschlechtertypisches Verhalten von ihren Kindern (WM5, OF3, OF4, OF2) oder haben mit diesem ebenfalls Schwierigkeiten (WF1, WF4). Aber auch diese Übereinstimmung zeigt sich nicht durchgängig. Immerhin drei Interviewte, die über Probleme mit erwachsener Geschlechtlichkeit sprachen, stehen dem geschlechtertypischen bzw. –offenen Verhalten ihrer Kinder ambivalent gegenüber (WF2, WF4, OM4). Das Gesamtbild der Kreuztabelle zeigt auf dem Hintergrund der dargestellten Sequenzen aus den Interviews die Ambivalenzen in den subjektiven Einstellungen zu Geschlechtlichkeit. So kann eine Distanz zur Geschlechterrolle im eigenen Selbstverständnis durchaus mit der Erwartung an die Kinder einhergehen, sich geschlechtertypisch zu verhalten (WM2, OM5). Gleichzeitig kann auch jemand, der Probleme in seinem subjektiven Selbstverständnis Körper/ Geschlecht formuliert, zu einer geschlechteroffenen Einstellung gegenüber dem kindlichen Verhalten kommen (OF5). Diese Ergebnisse lassen sich dahingehend interpretieren, dass sozialer Wandel auf der einen und die Beharrungskraft dichotomer Geschlechterbilder auf der anderen Seite sich in einer fragmentierten Lebenswirklichkeit der Subjekte niederschlagen. Das Selbstverständnis Körper/Geschlecht und die Einstellungen gegenüber dem Geschlechterverhalten der eigenen Kinder sind nicht durchgängig von entweder traditionellen oder modernen Einstellungen bestimmt. Fasst man die Ergebnisse der Unterkapitel 7.1. und 7.2 bezüglich des Zusammenhangs zwischen Geschlechter-/Familienbildern und subjektivem Wohlbefinden Alleinerziehender zusammen, so ist festzustellen, dass Geschlechterbilder wie Wohlbefinden keinesfalls ausschließlich, jedoch in starkem Maße von der Lebenssituation als Alleinerziehende bestimmt sind. Dies trifft in besonderem Maße auf jene Alleinerziehenden zu, welche die Ein-Elter-Familie als defizitäre Lebensform für sich und für ihre Kinder sehen. Werden bestimmte negative Empfindungen bzw. negativ erlebte Verhaltensweisen als schicksalhaft an diese Lebensform gekoppelt verstanden, so bringt dies eine Einschränkung der subjektiven Handlungsspielräume mit sich. Negative Effekte der Geschlechterbilder auf das subjektive Wohlbefinden der Befragten zeigten sich in beiden Themenfeldern bei ca. der Hälfte der Gruppe. 272
7.3 Vorstellungen von Mütterlichkeit/Väterlichkeit In diesem Unterkapitel wird untersucht, wie Mütterlichkeit und Väterlichkeit von den Alleinerziehenden des Samples beschrieben und gelebt werden. Es wird der Frage nachgegangen, wie sich allein erziehende Mütter und Väter in ihren erzieherischen und fürsorgerischen Fähigkeiten sehen und ob sie sich – differierend nach Geschlecht – unterschiedliche Kompetenzen in der Erziehung ihrer Kinder zuschreiben. Weiterhin soll die Aufmerksamkeit darauf gerichtet werden, welchen Einfluss Bilder von Mütterlichkeit und Väterlichkeit auf das subjektive Wohlbefinden Alleinerziehender haben. Wie in Kapitel drei aufgezeigt, wurden Erziehungs- und Betreuungsaufgaben in West wie Ost in den Jahrzehnten nach 1949 in erster Linie den Müttern zugewiesen. Väter fungierten ergänzend und kontrollierend. In der DDR kam dem Staat als Erziehungsinstanz eine elementare Rolle zu. Der gesellschaftliche Diskurs besetzte – vor allem im Westen – Mütterlichkeit mit Fürsorglichkeit und Aufopferung. Der Diskurs zu Väterlichkeit blieb bis in die neunziger Jahre im Verhältnis blass und fragmentarisch. Dann jedoch war ein diskursiver Aufschwung zum Thema Väter zu verzeichnen. Es fand eine Auseinandersetzung mit dem Vater in seiner traditionellen Rolle als Autoritätsperson statt. Ein neues empathisches Vaterbild wurde beschrieben und breit diskutiert. Durch die Kindschaftsrechtsreform im Jahre 1998 wurden die Rechte von Vätern gestärkt, gemeinsame Sorge auch unverheirateter Eltern wurde ermöglicht (Gerlach 2004: 270). Eine Neubestimmung von Mütterlichkeit in Richtung Reflexion der traditionell aufopfernden und fürsorglichen Rolle blieb und bleibt dagegen weitgehend aus. Der Diskurs um Mütterlichkeit beschränkt sich weitgehend auf die Diskussion über die Gewichtung von familialer und institutioneller Kinderbetreuung. Die Kategorien Mütterlichkeit und Väterlichkeit bilden eine wesentliche Schnittstelle zwischen Geschlechterbildern und Familienbildern. In den Interviews wurden sowohl Fragen nach Assoziationen zu den Begriffen Mütterlichkeit und Väterlichkeit als auch nach dem konkret gelebten Eltern-KindVerhältnis gestellt. Von besonderem Interesse ist die Beziehung zwischen assoziativen Erzählsequenzen und konkreten Beschreibungen der gelebten Mutterschaft und Vaterschaft. Interaktionen mit dem sozialen Umfeld fließen in die Darstellung ein. Aus dem Auswertungsprozess ergaben sich hinsichtlich der subjektiven Bedeutung von Mütterlichkeit und Väterlichkeit für Alleinerziehende folgende drei Gruppen: Unter 7.3.1 werden Erzählsequenzen dargestellt, in denen zum Ausdruck gebracht wird, dass unter Mütterlichkeit und Väterlichkeit zwei unterschiedliche bis gegensätzliche Aspekte verstanden werden, die beide für das 273
gesunde Aufwachsen von Kindern notwendig sind. Dabei wird Mütterlichkeit an den Frauenkörper und Väterlichkeit an den Männerkörper gebunden. Für Alleinerziehende, die ihren Kindern jeweils nur eine Seite bieten können, folgt hieraus zwangsläufig eine Sicht auf die eigene Familienform als defizitäre. In den Interviews, die im Unterkapitel 7.3.3 vorgestellt werden, kommt eine grundsätzlich andere Sichtweise auf Mütterlichkeit und Väterlichkeit zum Ausdruck. Hier werden Mütterlichkeit und Väterlichkeit als von einer Person lebbar verstanden, sozusagen als menschliches Potential, das von den einzelnen Subjekten in unterschiedlichen Gewichtungen ausgeformt werden kann. Die in der Lebensform des Alleinerziehens angelegte Rollenkumulation wird bejaht und ausgefüllt. Das biologische Geschlecht spielt hier keine relevante Rolle für die Ausprägung von Erziehungskompetenz. Unter 7.3.2 werden jene Interviewpassagen vorgestellt, in denen starke Ambivalenzen zwischen den in 7.3.1 und 7.3.3 vorgestellten Polen zum Ausdruck kommen.
7.3.1 Dichotome Bilder von Mütterlichkeit/Väterlichkeit In den in diesem Unterkapitel angeführten Interviewpassagen werden Bilder von Mütterlichkeit und Väterlichkeit aufgezeigt, die sich gegenseitig ausschließen. Mütterlichkeit und Väterlichkeit sind hier mit unterschiedlichen Eigenschaften besetzt, die von den interviewten Alleinerziehenden assoziativ bzw. argumentativ mit dem Geschlecht verbunden werden. Dies bedeutet für Alleinerziehende ein Defizit der jeweils als ‚anders’ gesehenen Seite. Diese dichotomen Bilder von Mütterlichkeit und Väterlichkeit werden im Verhältnis zur gelebten Mutterschaft und Vaterschaft untersucht. WF1 z. B. betrachtet es als ein gravierendes Problem, dass ihre fünf- und siebenjährigen Söhne kein starkes Vaterbild zur Orientierung haben. Den Kindsvater, zu dem regelmäßiger Kontakt besteht, sieht sie selbst als nicht männlich genug für eine positive Identifikation an. Sie stellt sich unter Väterlichkeit männliche Stärke vor. Im anschließenden Zitat wird deutlich, dass ein Vater klare Grenzen ziehen und Regeln durchsetzen sollte. Der Vater ihrer Kinder entspricht diesen Vorstellungen nicht: „Meine Söhne haben echt das Problem, dass sie einen Vater haben, der, für den gibt es keine Regeln, für den gibt es keine ins-Bett-geh-Zeiten, der geht eher schlafen, die Kinder gehen irgendwann, kippen die ins Bett.“ (WF1, 14,25)
Sie selbst versucht, den Kindern Regeln im Alltag zu vermitteln und wird zur Durchsetzung dieser Regeln auch schon mal lauter. Das wiederum macht ihr ein
274
schlechtes Gewissen, denn sie erwartet von sich, sanft mit den Kindern umzugehen. WF1 beobachtet in ihrer sozialen Umgebung, dass Eltern je nach Geschlecht Erziehungsaufgaben unterschiedlich ausfüllen: „Noja, ich glaube, dass Frauen sehr viel weniger ihren Kindern, ihre Kinder irgendwie, mit ihren Kindern spielen, ihre Kinder bespielen, ihre Kinder beschäftigen, ihre Kinder, weiß ich nicht. Also die Frauen machen diesen Background wie kochen, versorgen, gucken, dass der Tag läuft, holen ihre Kinder ab und lassen die spielen. Also da bin ich ziemlich sicher, dass Männer ihre Kinder abholen, UM mit ihnen zu spielen. Dass das ganz viel häufiger vorkommt. Das sehe ich.“ (WF1,27,13)
An dieser Stelle der Erzählung von WF1 scheint das aus dem modernen Diskurs zu Väterlichkeit bekannte Bild des Vaters als Kumpel und Spielpartner auf (siehe Kap. 3.5.2). Die zitierten Passagen verdeutlichen, dass Mütterlichkeit und Väterlichkeit unterschiedlich besetzt werden. Die Erfahrungen, die WF1 mit Väterlichkeit gemacht hat, befinden sich im Widerspruch zu ihren Vorstellungen davon, was Väterlichkeit sein sollte. Sie erfährt Väterlichkeit als laissez faire – Erziehungsstil und am Spiel orientiert. Gleichwohl hält sie an dem Ideal des starken, Grenzen setzenden Vaters fest. Ihre konkreten Erfahrungen relativieren ihre normativen Vorstellungen nicht. Auch in den Interviews mit WF3228 und WM2 wird deutlich, dass normative Bilder von dem, was Mütterlichkeit und Väterlichkeit sein sollten, die eigene Erfahrung dominieren. Der Vater der Kinder von WF3 war in der Zeit der gemeinsamen Ehe zu Hause wenig präsent und erfüllte auch dann, wenn er anwesend war, kaum erzieherische Aufgaben. Sie beschreibt sich selbst als väterlicher im Vergleich zu ihrem Exmann und zu Ihrem derzeitigen Freund: Trotzdem bleibt für sie h das Fordernde mit Männlichkeit und das Fürsorgliche mit Weiblichkeit verbunden. WF3 begegnet dem Gefühl der Überforderung durch die erzieherische Rollenkumulation beim Alleinerziehen nach eigener Aussage durch eine ‚Mut-zur-Lücke’ – Strategie. Es wird allerdings nicht wirklich deutlich, worin diese Lücke im Unterschied zu der Familiensituation vor dem Alleinerziehen besteht, da der Kindsvater auch in dieser Zeit nur selten in der Familie anwesend war und seinen erzieherischen Aufgaben kaum nachkam. Damals wie heute meistert sie die Familiensituation allein. Es scheint hier, (wie bei WF1) eher der symbolische Vater, zu sein, der als fehlend angesehen wird. WF3 sieht die Rollenkumulation bei Alleinerziehenden letztendlich als nicht befriedigend lebbar an. Obwohl sie sich selbst mehr Väterlichkeit zuschreibt als den Vätern, mit denen sie hier konkrete Erfahrungen schildert, geht sie von 228
WF3, drei Kinder, m. 22 Jahre (lebt nicht mehr in ihrem Haushalt), m. 15 Jahre, m. 3 Jahre.
275
einem Defizit an Väterlichkeit in ihrer Familie aus. Normative Bilder dominieren auch hier die eigene Erfahrung. Neben der symbolisch besetzten Väterlichkeit ist für sie ein zweiter in der Familie präsenter Erwachsener ein notwendiges Element zu einer ‚vollständigen’ Familie. So wie die in den vorangegangenen Passagen beschriebenen Mütter sich als väterlich schildern, beschreibt Herr Köhler (WM2)229 sich als mütterlich im Sinne von fürsorglich: „Wenn ich da so zurückdenke, Heike ist relativ zeitig abgestillt worden, mit sechs Wochen, und hat von da ab das erste Lebensjahr die Nächte mit mir verbracht. Ich habe damals schon auf dem Sofa genächtigt, das war so eine Wohnlandschaft. In der Ecke habe ich ihr so ein Nest eingerichtet. Die war bei mir, auch als Säugling schon. Und ich habe einfach, vielleicht auch vor dem Hintergrund meiner eigenen Geschichte, ich habe einfach das Bedürfnis, den Kindern da sein zu dürfen.“ (WM2,1,48)
WM2, der als Kind von seiner Mutter verlassen wurde, versucht seinen Kindern möglichst viel Fürsorglichkeit zu geben. Nach seiner Wahrnehmung engagierte sich die Kindsmutter von Anfang an weniger in Erziehung und Betreuung der Kinder als er, da sie sich überfordert fühlte. Die Rollenverteilung zwischen WM2 und der Kindsmutter bezieht sich eher auf die Quantität der Betreuung, nicht auf die Qualität: „Es gibt nichts, was speziell ihr Part war und irgendwas, was speziell mein Part war. Es gibt nicht irgendwie etwas, was sie nicht geben konnte, was aber ich geben konnte oder andersrum. Sondern, ich (…). Ich konnte es einfach mehr geben, ich habe einfach mehr Kraft.“ (WM2,6,36)
WM2 sieht sich als sehr zuverlässigen Vater, formuliert jedoch gleichzeitig die Sorge, manchmal überfürsorglich zu sein. Während er bezüglich der gelebten Familienrealität beschreibt, dass er und die Kindsmutter sich in ihren Tätigkeiten mit den Kindern nicht unterscheiden, kommt bei der Frage nach Assoziationen zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit eine andere Seite zum Vorschein: I.: „Ja. Wenn Sie jetzt einfach Assoziationen sagen zu den Begriffen Mütterlichkeit, Väterlichkeit, was fällt Ihnen ein?“ B.: „Ich bin jetzt mal ganz ehrlich, mag chauvinistisch klingen. Ich glaube nicht, dass Männer dafür geschaffen sind, Kinder aufzuziehen. Natürlich können sie es. Aber ich habe das Gefühl, tendenziell sind Kinder bei Frauen besser aufgehoben. ... 229
WM2, zwei Kinder, m. 10 Jahre (lebt bei ihm), w. 6 Jahre (hat ihren Lebensschwerpunkt bei der Mutter, besucht ihren Vater jedoch regelmäßig).
276
Ich finde, ich habe häufig das Gefühl, weil man ist ja, ich bin häufig von Selbstzweifeln geplagt und denke mir die Situation wie sie jetzt ist, ist eigentlich eher das kleinere Übel. Aber (...) es ist mein Gefühl, meine Überzeugung, Frauen bringen irgendetwas mit, was, auf natürliche Art und Weise etwas mit. Es kommt aus ihnen selbst heraus, was für Kinder gut ist. In gewisser Weise einen behüteten, beschützten fürsorglichen Rahmen bietet, was Männer zwar auch anbieten können, aber was bei ihnen auf eine andere Art und Weise und zum Teil glaube ich auch mit großer Mühe nur zustande kommt. Vielleicht schließe ich da zu vorschnell von mir auf andere ... (…). Ich sag mal im weitesten Sinne so biologische Aspekte von Mütterlichkeit und Väterlichkeit, ohne dass wir das je bisher klar beschrieben hätten mit ich sage mal aktuellen sozialen kulturellen Erfordernissen. .... Wir sind so in der Nähe der Frage, die vorhin schon mal aufgetaucht ist: Was ... fehlt, könnte ihm denn fehlen und da habe ich das, die Frage war eine andere, aber ich habe gesagt, das war die Mutter. Und ... ich kann das nicht erklären, das ist jetzt meine persönliche Intuition ... eine behütende, fürsorgliche warme Mutter zu haben ist wichtig. Das brauchen Kinder, das brauchen Menschen. Und ich kann nicht mal genau beschreiben, was es ist.“ (WM2,20,13)
Entgegen seiner biographischen Erfahrungen mit der eigenen Mutter230 und der Mutter seiner Kinder, die sich beide nicht sehr fürsorglich um ihre Kinder gekümmert haben, vertritt WM2 die Einstellung, dass Mütter natürlicherweise eine qualitativ höherwertige Art der Fürsorglichkeit leben können als Väter. Er bindet hier Mütterlichkeit an biologische Voraussetzungen und beschreibt sie als notwendig für das Kindeswohl. Diese Erzählpassage weist auf sein Gefühl hin, seinem Sohn fehle diese Mütterlichkeit, obwohl er sich als sehr fürsorglichen Vater schildert. Einerseits lebt er also fürsorgliche Väterlichkeit für seine Kinder, andererseits prägen normative, biologistische Bilder von Mütterlichkeit und Väterlichkeit sein Denken, wodurch ein Bild der eigenen Familie als defizitär entsteht. Dieses Bild führt dazu, dass er die eigene Fürsorglichkeit als nicht ausreichend empfindet, Rollenkumulation also letztendlich als nicht leistbar ansieht. Auch WF2231 verbindet mit Mütterlichkeit Fürsorglichkeit. Die Rolle des Vaters sieht sie als die des Kumpels. Wie schon WF1 geht auch WF2 davon aus, dass ihr Sohn durch das Aufwachsen bei einer allein erziehenden Mutter Nachteile in seiner Entwicklung hat. Sie empfindet die fehlende Vaterfigur als Defizit für ihren Sohn. Die alleinige Erziehungsverantwortung als Kumulation von Vater- und Mutterrolle erlebt sie als nicht gut leistbar. Sie sieht Grenzensetzen
230 Der Frage, inwieweit diese Erfahrung des kindlichen Verlassenwerdens von der Mutter in der Herkunftsfamilie gerade zu der Verfestigung der Einstellung von der Wichtigkeit der Mutter führt, kann an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden. 231 WF2, ein Kind, m. 8 Jahre.
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als Aufgabe der Mutter, die mit der gleichzeitigen (väterlichen) Rolle des Kumpels jedoch nicht gut vereinbar sei. WF2 sieht Väterlichkeit und Mütterlichkeit als wesenhaft verschieden und die Rollenkumulation im Erziehungsalltag als Alleinerziehende als nicht leistbar an. In den Assoziationen von WF5232 zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit spiegelt sich teilweise der im Westen bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts gesellschaftlich dominante Diskurs: I.: „Was fällt Ihnen denn zu dem Begriff Mütterlichkeit ein?“ B.: „Mütterlichkeit.“ I.: „Hmhm.“ B.: „Wärme, nähren, behüten, beschützen, Zärtlichkeit, füttern und sich wie eine Löwin vor das Kind werfen“. I.: „Und was fällt Ihnen zu Väterlichkeit ein?“ B.: „Wenig. Ähm, Unzuverlässigkeit, sollte eigentlich das Kind in Richtung Beruf, Realität, Stärke führen, ähm, ja, auch ein Vorbild sein, auch die Kinder beschützen und auch die Mutter in der Erziehung der Kinder unterstützen. Ich merke gerade, dass das sehr dünn ist bei mir, da kommt mir nicht soviel, nur so an negativen Sachen oder es sollte aber ist nicht. Und mir fällt aus meiner eigenen Kindheit noch eine Wahnsinns- Strenge von meinem Vater aus ein und auch ein gewisser Sadismus.“ (WF5,16,27)
Wie einige andere Interviewte empfindet auch sie ihre Assoziationen zu Väterlichkeit als nebulös, Erinnerungen aus der Herkunftsfamilie drängen sich in den Vordergrund. Auch sie sieht für ihren Sohn, der sporadischen Kontakt zu seinem Vater hat, nicht genügend Möglichkeiten der männlichen Identifikation. WF5 lebte mit ihren Kindern lange Jahre mit einer Zwei-Eltern-Familie in einer Hausgemeinschaft. Der Vater der anderen Familie fungierte in dieser Zeit für ihren Sohn als Bezugsperson. Auf die Bedeutung dieses ‚Ersatzvaters’ für ihre Tochter geht sie nicht ein. Dieses Unterkapitel zusammenfassend lässt sich sagen, dass in drei von vier der dieser Gruppe zugeordneten Interviews die Rollenkumulation des Alleinerziehens als nicht befriedigend zu bewältigen angesehen wird (WF1, WF2, WF3). Mit Rollenkumulation ist hier gemeint, dass die mit Väterlichkeit und Mütterlichkeit assoziierten Aspekte von Kinderbetreuung und Erziehung von einer Person zu leisten sind. Die drei Mütter sehen die nicht präsente Vaterfigur als prägendes Defizit für ihre Kinder an. Der einzige hier zugeordnete Vater (WM2) sieht in der Rollenkumulation kein Problem. Für ihn fehlt etwas
232
WF5 zwei Kinder, m. 17 Jahre, w. 15 Jahre.
278
urtümlich instinktiv Mütterliches in der Vaterfamilie, unabhängig von der väterlichen Fürsorglichkeit. Bemerkenswert ist, dass sich alle Interviewten dieser Gruppe der dem anderen Geschlecht zugeschriebenen Eigenschaften für fähig erachten und zwar in einem weitaus höheren Ausmaß, als sie dies über die realen, nicht präsenten anderen Elternteile berichten. Die Mütter beschreiben sich als in der Lage, Grenzen zu ziehen, der Vater sieht sich als sehr fürsorglich. Trotzdem wird von den Müttern Väterlichkeit und von den Vätern Mütterlichkeit als Defizit für die Kinder angenommen. Hier zeigen sich die Widersprüche zwischen normativen Bildern, zwischen dem, was subjektiv als das ‚wie es eigentlich sein müsste’ erlebt wird und der konkreten Erfahrung, bzw. Handlung der Subjekte. Die normativen Bilder dominieren die erfahrene und gelebte Realität. Dieser Widerspruch wirkt sich auf das subjektive Wohlbefinden negativ aus, da die Alleinerziehenden ihre eigene Erziehungsleistung nicht als ausreichend, bzw. befriedigend erleben können. Die Anwesenheit des gegengeschlechtlichen Elternteils wird unabhängig von der Qualität der eigenen Erziehungsleistung als Voraussetzung für ein gesundes Aufwachsen der Kinder gesehen. Die Bedeutung von sozialen Interaktionen der Kinder mit Bezugspersonen wie Lehrern und Fußballtrainern wird von den Alleinerziehenden dieser Gruppe, mit Ausnahme von WF5, weitgehend negiert.
7.3.2 Ambivalenzen In den der Gruppe Ambivalenzen zugeordneten Interviewpassagen werden die mit Mütterlichkeit und Väterlichkeit verbundenen Anforderungen durch eine Person ausgefüllt, wobei das soziale Umfeld ergänzend in Anspruch genommen wird. Trotzdem bleiben Vorstellungen von Defiziten gegenüber der Familienform der Ein-Elter-Familie, verbunden mit dichotomen Geschlechterbildern, teilweise bestehen. Die Assoziationen von WM5233 zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit entsprechen – wie bei den Befragten des vorangegangenen Unterkapitels - nicht der Rollenaufteilung in Erziehungsaufgaben zwischen ihm und seiner Frau: I.: „Was fällt Ihnen zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit ein?“ B.: „Ja, so ich denke mal, die Mutter ist eigentlich so der ausgleichende Pol, und der Vater ist ja eigentlich sonst immer so der Strengere.“ I.: „War das denn bei Ihnen so, als Sie zu zweit hier noch waren, als Ihre Frau noch
233
WM5, drei Kinder: w. (9), w. (18) und m. (20) zusammen.
279
da war? Waren Sie da schon eher der, der gesagt hat, so jetzt aber hier lang?“ B.: „Ja, eigentlich beide so auch.“ (WM5,10,41)
WM5 beschreibt sich als Vater, der sich bemüht, nicht streng zu sein: B.: „Ich habe die eigentlich versucht, so ein bisschen lockerer, so selbstbewusst zu erziehen und selbstständig, weil, finde ich auch wichtig.“ I.: „Aha, da viel Rückhalt zu geben?“ B.: „Mhm. Nur dadurch ist es schwieriger, als mit diesem autoritären, ist natürlich einfacher, gibt es nicht so viel Konflikt.“ (WM5,11,21)
Er lehnt einen autoritären Erziehungsstil ab, auch wenn die Erziehung dadurch seiner Ansicht nach schwieriger wird. WM5 sah sich, auch aufgrund von Vereinbarungsschwierigkeiten, in der Schulzeit seiner jüngsten Tochter nicht in der Lage, sie so zu fördern, wie sie es nach seiner Wahrnehmung gebraucht hätte. Durch die Entstehungsgeschichte des Alleinerziehens (lange Krankheit und Tod der Kindsmutter) und dadurch hervorgerufene zeitweilige Vereinbarungsschwierigkeiten entstanden bei seiner jüngsten Tochter Lerndefizite. Er sah und sieht sich als Vater nicht in der Lage, seine Tochter so zu unterstützen, wie die Mutter es getan hätte. Ansonsten beschreibt sich WM5 jedoch als ausgleichenden Pol, eine Position, die von ihm eher in Verbindung mit Mütterlichkeit gebracht wird. Im Interview bringt WM5 zum Ausdruck, dass er für seine Kinder nicht eine (evtl. ersetzbare) Mutterfigur wichtig findet, sondern dass der konkrete Mensch, die verstorbene Kindsmutter, ihm und den Kindern fehlen. Bis auf die oben genannte Schwierigkeit bei der Lernförderung seiner Tochter formuliert er keine Bedenken darüber, dass er seine Kinder gut allein erziehen kann. Hierbei nimmt er auch umfangreiche soziale Unterstützung von NachbarInnen und Verwandten in Anspruch. OF3 234 ist der Überzeugung, dass besonders Jungen ihre Väter brauchen. Zu dieser Ansicht gelangt sie durch die Beobachtung ihrer Söhne, die sich stark an den Männern in ihrer sozialen Umgebung orientieren. OF3 beschreibt einerseits, dass sie über handwerkliche Fähigkeiten verfügt, assoziiert jedoch andererseits handwerkliche Tätigkeiten sowie wilde Körperlichkeit mit Väterlichkeit. In der folgenden Gesprächspassage kommt ihre Unsicherheit über die Frage zum Ausdruck, ob Kinder nur eine zweite Bezugsperson brauchen, bei der das Geschlecht gleichgültig ist oder ob ein männlicher Ansprechpartner präsent sein sollte: „Männer gehen mit den Kindern anders um, denke ich so. (…) Dass einfach eine andere Einstellung reinkommt und (jemand) andere Werte hat. Ich weiß nicht, ob es 234
OF3 zwei Kinder, m. 3 Jahre, m. 5 Jahre.
280
unbedingt den Vater behaftet. Aber Männer gehen, ich glaube, die gehen mit den Kindern auch nochmal ein bisschen anders um. (…) Oder dass es auch kein Partner ist, sondern einfach auch ein Freund, der regelmäßig kommt irgendwie, dass die einfach mal sehen, dass gewisse Verbote von mir nicht einfach aus der Luft geholt sind, sondern schon irgendwo fundiert sind, dass andere Erwachsene da genauso drüber denken. Nee, ich denke, eine zweite Ansprechperson ist für die Kinder wichtig, die sind mir immer irgendwo ein Stück weit ausgeliefert. Die haben halt nicht die Möglichkeit, irgendwie mal woanders nachzufragen.“ (OF3,21,19)
In der Erzählung von OF3 spiegeln sich die Diskurse um die sich verändernde Väterlichkeit insofern, dass Väter als Spielpartner und Kumpel für die Kinder wichtig werden. Die Praxis von Väterlichkeit bleibt jedoch dahingehend traditionell, dass die Verantwortlichkeit für den Haushalt bei den Frauen bzw. Müttern verbleibt: „Mm naja, sie (die Männer, B.R.) lassen sich schon irgendwo mehr auf die Kinder ein, weil, weil ich glaube, wenn sie dann Zeit haben auch, die haben ja schon irgendwo mehr den Rücken frei. Der Haushalt, der ist meistens bei der Frau. Und dass sie sich dann wirklich die Kinder schnappen und mit denen mal eine Radtour machen oder so, wo ich dann sage, ach nein, ich muss jetzt erst noch die Fenster putzen.“ (OF3,21,28)
Wie die Mütter im vorangegangen Unterkapitel beschreibt sich auch OF3 als eher väterlich denn mütterlich: „Und ich bin halt nicht so eine Gluckenmami, weiß ich nicht. Ich glaube nicht, ich vermittel schon ganz gut so auch die etwas herberen Werte, wenn man das so ausdrücken will. Kann halt auch mit meinen Kindern Fußball spielen und klettere auch mal mit meinen Kindern auf einen Baum.“ (OF3,20,42)
OF3 ist der Überzeugung, dass sich aufgrund sozialen Wandels die innerfamilialen Rollen so gewandelt haben, dass heute sowohl Mütter, als auch Väter alle in der Familie anstehenden Aufgaben übernehmen können. Im Interview überschneiden sich Mütterlichkeit und Väterlichkeit in fürsorglichen Tätigkeiten. Differenzen sind in der Konzentration der Mütter auf den Haushalt und der Väter auf das Spiel mit den Kindern auszumachen. Der Fall von OM1, der mit seiner elfjährigen, geistig behinderten Tochter zusammen lebt, ist in vieler Hinsicht problematisch. Die Mutter des Kindes vernachlässigte dieses derart, dass das Kind in seinen ersten Lebensmonaten mehrmals mit der Diagnose Unterernährung ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Daraufhin wurde OM1 das Sorgerecht zugesprochen. Seine Erfahrung mit Mütterlichkeit ist in dieser Hinsicht eine der extremen Vernachlässigung. Trotz281
dem ist er der Überzeugung, dass die leibliche Mutter sehr wichtig für die Tochter ist und versucht noch lange nach der Trennung einen Mutter-TochterKontakt herzustellen. OM1 möchte seiner Tochter die Enttäuschung, die er selbst durch mangelnden Kontakt zu einem Elternteil erfahren hat, ersparen. Er hat eine sehr enge Bindung zu seinem Kind, schildert jedoch gleichzeitig die Beobachtung, dass seine Tochter den Kontakt zu Frauen sucht. Sie signalisiert intensiv, dass sie sich eine Zwei-Eltern-Familie wünscht. „Das Lieblingsspiel war ja auch immer Mutter-Vater-Kind. Und das war ja auch da im (Betreuungseinsrichtung). Da war Mutter-Vater-Kind.“ (OM1,11,27)
OM1 ist nicht gut informiert über die Art der Behinderung seiner Tochter und den optimalen Umgang mit ihren Besonderheiten und Schwierigkeiten. Er schildert sein Bedürfnis nach einer besseren Unterstützung durch staatliche Stellen. Gleichzeitig fühlt er sich als allein erziehender Vater in besonderem Maße kontrolliert. Dies ging bereits so weit, dass er Angst hatte, seine Tochter würde ihm weggenommen und in eine Pflegefamilie gegeben. OM1 berichtet über seinen Eindruck, eine allein erziehende Mutter wäre nicht so leicht mit der Erziehungsalternative Pflegefamilie konfrontiert worden. Er erzählt, wie wichtig ihm sein Kind ist. In der Beziehung zu seiner Tochter ist auch Zärtlichkeit ein zentrales Element. In der Anfangszeit des Alleinerziehens fühlte OM1 sich oftmals überfordert, heute ist er weitgehend zufrieden mit seiner Vaterschaft. Seine Tochter signalisiert ihm den Wunsch nach einer Vater-Mutter-Kind – Konstellation. Er teilt diesen Wunsch, ordnet jedoch Erziehungskompetenzen nicht Müttern und Vätern zu. Allerdings sieht er – trotz der Erfahrung mit der Mutter seines Kindes - Frauen als sensibler an als Männer. Daher ist seine Erzählung der Kategorie ‚Ambivalenz’ zuzuordnen. OM2235 bezieht sich in seinen Assoziationen zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit auf seine Herkunftsfamilie. Er hat ein Übermaß an Mutterliebe erfahren und muss sich noch heute gegenüber seiner im Nachbarhaus wohnenden Mutter abgrenzen. Mutterliebe wird von OM2 positiv mit Versorgung und Kümmern und negativ mit Aufopferung und Überbehütung in Verbindung gebracht. Er sieht Mütterlichkeit nur in der Säuglingszeit der Kinder als etwas, das Väter nicht leisten können. Für diese Zeit spricht er Müttern instinktive Fähigkeiten in der Kommunikation mit ihren Kindern zu, über die Väter nicht verfügen. Väterlichkeit verbindet er mit einem distanzierten Eltern-Kind-Verhältnis. OM2 grenzt sich in der Beschreibung seiner eigenen Väterlichkeit von der erfahrenen Väterlichkeit in der Herkunftsfamilie ab. Er erzählt, dass er seinen eigenen Vater 235
OM2 zwei Kinder, w. 13 Jahre und w. 12 Jahre.
282
durch dessen Anspruch auf die Rolle der Autoritätsperson im Laufe der Zeit nicht mehr ernst nehmen konnte. Für sich selbst sieht er im Verhältnis zu seinen Töchtern eher die Gefahr (ähnlich wie die eigene Mutter) zu fürsorglich zu sein: „Ja, aber ich gucke auch schon so hinterher und hast du das mit und hast du jenes mit. Also ich versuch mich da immer nicht in der, wie meine Mutter zu sehen, als Wiedergeburt hier. Aber ich kann durchaus so, ich ertappe mich dabei, doch, schon so.“ (OM2,8,38)
Die Beziehung zu seinen Töchtern erlebt OM2 als sehr intensiv. Er strebt eine Balance zwischen einem kumpelhaften Erziehungsstil und klaren Regeln an: „Man kann es nicht, also irgendwie muss man aufpassen, dass es jetzt nicht zu kumpelig wird, weil man natürlich noch eine Autoritätsperson sein muss und sein sollte, denke ich. Deswegen darf das nicht zuviel sein.“ (OM2,8,1)
OM2 verbindet ohne größere Schwierigkeiten Fürsorglichkeit und klare Grenzen in der Erziehung seiner Kinder. Die Ein-Elter-Familie erlebt er nicht als defizitäre Lebensform. Nur in der Säuglingszeit sieht er (entgegen seiner eigenen Erfahrung) Mütter als förderlicher für die Kinder an. Grundsätzlich spricht er Müttern mehr instinktive Fähigkeiten zu als Vätern. Für OM3236 ist die klassische Aufteilung zwischen Erwerbs- und Familienarbeit, bei der sich die Mutter um die Kinder und den Haushalt kümmert und der Vater der Erwerbsarbeit nachgeht, eine Selbstverständlichkeit für zusammenlebende Elternpaare. Auch in Zeiten der Erwerbslosigkeit, in denen OM3 vier Tage in der Woche zu Hause war, sah er die Erziehung der Kinder in erster Linie als Aufgabe der Mutter an. Nach dem Tod seiner Frau nimmt sich OM3 dann sehr viel Zeit für seine Kinder. Auch den Haushalt nimmt er nun sehr wichtig. Bei Problemen seiner Tochter, bei denen er das Gefühl hat, ihr nicht gut weiterhelfen zu können, wie z. B. im Falle der beginnenden Pubertät, sucht sich OM3 Unterstützung aus seinem sozialen Umfeld. „Meine Tochter, die ist ja langsam in dem Alter, wo die Pubertät anfängt, wo die Brust anfängt, habe ich gesagt, frag Charlotte, die ist 17, traue ich mir nicht. Dann habe ich gesagt, Charlotte, kannst du mal kommen, meine Tochter hat wieder ein Problemchen, kannst du ihr mal helfen, ( ) usw. och, sagt sie, das war doch bei mir genauso.“ (OM3,13,10)
236
OM3 zwei Kinder, m. 17 Jahre, w. 12 Jahre.
283
OM3 sieht sich als geduldigen Vater, der seine Affekte gegenüber den Kindern vollständig unter Kontrolle hat: Er legt gleichzeitig größten Wert darauf, dass seine Kinder die für sie festgesetzten Aufgaben im Haushalt erledigen: „Ich habe halt harte Prinzipien. Ich bin, ich sag mal, ich bin so ein Vater, mit mir kann man Pferde stehlen gehen. Wenn die Aufgaben erfüllt sind, sind wir allerbeste Freunde, wird nichts, passiert nichts zu Hause, dann gibt es Krieg. Und meine Kinder lassen es gar nicht erst drauf ankommen. Habe ich vorhin zu Anfang gesagt, wenn meine Stimme leiser wird, dann wird es gefährlich. ( ), die brauchen nur zu Hause nichts machen, dann wissen meine Kinder ganz genau, oh, oh, Papa wird sowieso gleich wieder abhauen, der hat gesehen, dass nichts passiert ist, dann kommt er vor heute Abend nicht wieder, so, und dann ist aber die ganze Wohnung sauber. Ich brauche nichts sagen ( ). Das sind einfach nur meine Regeln, die ich habe und da bleibe ich auch bei.“ (OM3,22,10)
Hier wird eine autoritäre Haltung des Vaters gegenüber den Kindern beschrieben, die Worte „Krieg“ und „gefährlich“ verdeutlichen dies. OM3 ist zufrieden mit sich, zufrieden darüber, dass er durch diese autoritäre Haltung seine Kinder gut ‚im Griff’ hat. Er lässt bemüht sich, zu vermitteln, dass er als Alleinerziehender allen Anforderungen in Erziehung und Haushalt gewachsen ist. Für interaktive Aspekte, die seiner Ansicht nach von Frauen übernommen werden sollten, sorgt er im sozialen Umfeld der Familie. Für OF2237 steht außer Frage, dass sie für ihre Töchter Mutter und Vater sein muss und auch kann. Hier liegt eine bejahende Einstellung zur Rollenkumulation vor. „Also Mütterlichkeit, sagt man eigentlich, also Mütterlichkeit ist ja diese, ja, bemuttern und hier das Kind warm halten und trösten und, ja, sage ich jetzt erstmal. Das ist gar nicht so mein Ding, weil ich denke, ich bin ja Mutter und Vater, das ist ja auch so meine Aufgabe eigentlich. Und Väterlichkeit ist eigentlich diese, naja, Geld verdienen, da zu sein, mit dem Kind spielen, weiß ich nicht. Das ist, (…) was ein Vater, oder was mein Wunsch vielleicht als Kind war, was ich nicht hatte.“ (OF2,19,41)
Es ist ihr wichtig, ihren Töchtern in allen Aspekten des Lebens zur Seite zu stehen. „Also sie weiß, dass die Mutter halt immer ansprechbar ist. Und wenn sie nicht alles weiß, sie weiß, die Mutter, die wird ihr helfen.“ (OF2,19,17)
237
OF2 , zwei Kinder, w. 5 Jahre, w. 15 Jahre.
284
Wenn OF2 ihren Töchtern nicht selbst helfen kann, nimmt auch sie das soziale Umfeld in Anspruch. Sie entwickelt ihre unterstützenden Fähigkeiten ohne entsprechende biographische Erfahrung in ihrer Herkunftsfamilie. OF2 hätte sich eine gleichberechtigte Aufgabenteilung mit den Vätern ihrer Kinder gewünscht. Die Hauptzuständigen für die Erziehung sind ihrer Meinung nach jedoch die Mütter: „Ich weiß es nicht, wie das wäre, wenn man halt gleich, wenn die Kinder Babys sind und dann einen Partner hat. Ich denke mal schon, dann wäre es schon wichtig, dass der Vater, also einfach auch mit entscheidet, z. B. welche Schule besucht mein Kind, wie schätze ich die Freunde ein, was soll mein Kind in der Freizeit tun, hat es irgendwelche Interessen. Das denke ich mal, würde ich mit einem Vater absprechen wollen, das würde beides sein. Aber ansonsten würde ich schon sagen, Erziehung ist in erster Linie Mamas Sache. Kuscheln beide Seiten, das finde ich sehr wichtig, dass Papa und Mama kuscheln, das finde ich so eine Sache, die – also Mütterlichkeit z. B. dass Mama jetzt laufend tröstet und so, das nicht, also das würde ich für beide Seiten gleichgestellt sehen. Und haushaltsmäßig eigentlich auch, also das der Haushalt von beiden Seiten, also dass auch das Kind lernt, dass Papa und Mama gemeinsam was tun. Und Papa und Mama beide gemeinsam Freizeit haben können und beide gemeinsam auch arbeiten gehen können, dass beide auch auf eigenen Füßen stehen können. Also dieses Selbstbewusstsein der Frau würde ich unterstreichen. Also das würde ich, was meine Mutter nicht hatte, was ich meinen Kindern insgesamt also Mutter auch vermitteln würde, also dass ich als Mutter genauso stark und stabil bin, wie mein Partner. Der sollte mir jetzt nicht laufend was erzählen, was ich zu tun habe, sondern beide als gleichwertige Menschen also darstellen wollen meinen Kindern, dass die das sehen, dass beide genauso viel Wert sind.“ (OF2,20,16)
OF2 zeigt sich selbstbewusst bezüglich ihrer erzieherischen Fähigkeiten, einen Vater sähe sie manchmal als hilfreich an, um ihre Tendenz zu strenger Erziehung abzufedern. Sie ist der Überzeugung, dass alle erzieherischen Aufgaben durch die Mutter bewältigt werden können. Trotzdem fände sie einen Vater als eine zweite Bezugsperson für ihre Töchter wichtig. OM4238 assoziiert mit Väterlichkeit Patriarchat und Unterdrückung und mit Mütterlichkeit übermäßige Fürsorge. Er beschreibt sich selbst als fürsorglichen Vater. Seine Erzählung ist von Aggressionen gegen Mütter durchsetzt: „Manchmal denke ich, also so mit anderen Frauen die dann hier ankommen mit ihren Kindern und mir was erzählen wollen, ohhh, da könnte ich, denke ich dann auch immer…, die blöden Weiber (…) Ich seh nur doofe Weiber mit ihren Kindern.“ (OM4,7,2) 238
OM4, drei Kinder, w. 11 Jahre, m. 19 Jahre, (leben bei ihm) m. 16 Jahre (kommt regelmäßig am Wochenende zu Besuch).
285
Es macht ihn wütend, dass ihm als Mann die Erziehung seiner Kinder nicht zugetraut wird. Er selbst wertet insbesondere allein erziehende Mütter ab: B.: „Ich kenne allein erziehende Frauen, die wirklich ihre Kinder ( ) die haben alle eine Klatsche, ( ) So auf dem Spielplatz ( ).“ I.: „Was haben Sie denn für ein Gefühl, was die falsch machen mit ihren Kindern?“ B.: „Die ( ) mit ihren Emotionen voll, belasten die Kinder mit ihren Schuldkomplexen, was sie haben, Frauen, ( ) weiß ich nicht, ( ) die Kinder sind alle irgendwie gestört.“ (OM4,7,25)
Obwohl OM4 ein offensichtlich gestörtes Verhältnis zu Frauen hat, sieht er Bezugspersonen beiderlei Geschlechtes als notwendig für ein gesundes Aufwachsen von Kindern an: „Weil das Kind (Liebe) braucht einfach. Um sich zu entwickeln. Um selber Beziehungen eingehen zu können und dafür brauchen sie die Mutter, Vater und ( ), sie müssen Vater sehen und Mutter sehen, so dass sie die Möglichkeit haben beide zu kopieren und sich dadurch zu entwickeln.“ (OM4,13,21)
In der Erzählung von OM4 werden Mütterlichkeit und Väterlichkeit kaum inhaltlich gefüllt. Er betont jedoch, dass beide Geschlechter als kontinuierliche Bezugspersonen für die Kinder präsent sein sollten. Hier macht er keine Unterschiede nach Geschlecht von Eltern und Kindern. Es geht ihm nicht um gleichgeschlechtliche Identifikation, sondern um den Kontakt zu beiden Geschlechtern. Der Überblick über das Unterkapitel ‚Ambivalenzen’ zeigt folgendes Bild: Obwohl die hier zugeordneten zwei Frauen und fünf Männer den Alltag mit ihren Kindern im Großen und Ganzen den eigenen Ansprüchen gemäß zufrieden stellend meistern, gehen sie doch davon aus, dass ihren Kindern ein Defizit durch die fehlende Präsenz des gegengeschlechtlichen Elternteils entsteht. OF3 und OM1 berichten, dass sie zu dieser Ansicht durch die Beobachtung des Verhaltens ihrer Kinder gelangt sind, die eindeutig den Wunsch nach dem gegengeschlechtlichen Elternteil signalisierten. In den Erzählungen wird kindliches Verhalten mit Natur gleichgesetzt. Die vielfältigen sozialisatorischen Prägungen von Kindern, z. B. durch andere relevanten Erwachsenen, der Peer Group und der Medien, werden nicht reflektiert. Gleichzeitig wird bezüglich des anderen Elternteiles nicht die konkrete Person allein als fehlend gesehen, sondern vielmehr die gegengeschlechtliche Komponente in der Erziehung. Für die der Gruppe ‚Ambivalenz’ zugeordneten Väter entsteht die Sicht auf ihre Familienform als defizitär in entscheidendem Maße aus der Vorstellung unverzichtbarer Mütterlichkeit. Die Effekte der in Kapitel drei beschriebenen
286
Diskurse um Mütterlichkeit in den traditionellen Bindungstheorien finden hier ihren Niederschlag in den subjektiven Familienbildern Alleinerziehender. Wie bereits in der unter 7.3.1 beschriebenen Gruppe beeinflussen also auch in den der Gruppe ‚Ambivalenzen’ zugeordneten Interviews normative Familienbilder die gelebte Familienrealität, wenn auch in einem weniger starken Ausmaß. Dichotome Bilder von Mütterlichkeit und Väterlichkeit befinden sich hier in einem Veränderungsprozess, sie bestimmen die Sichtweise auf die eigenen Handlungskompetenzen nur noch teilweise. Das subjektive Wohlbefinden ist auch bei den dieser Gruppe zugeordneten Interviewten durch die fortbestehende Sicht auf die eigene Familie als defizitär in Mitleidenschaft gezogen. Es ist jedoch in geringerem Maße beeinträchtigt als bei den eindeutig dichotomen Bildern zugeordneten Fällen.
7.3.3 Vielfalt statt Dichotomie Bei der in diesem Abschnitt beschriebenen Gruppe ist eine eindeutige Bejahung der durch die Lebenssituation des Alleinerziehens bedingten Rollenkumulation festzustellen. Einstellung und Verhalten stimmen darin überein, dass Mutter- und Vaterrolle von einer Person mit Ergänzungen aus dem sozialen Umfeld ausgeführt werden können. Neue Modelle sozialer Interaktion werden gesucht. Die Kategorie Geschlecht spielt keine relevante Rolle für die Zuordnung von Erziehungskompetenzen. Mütterlichkeit und Väterlichkeit werden als allgemein menschliches Potential betrachtet. WF4239 erzählt im Interview umfangreicher über die Beziehung zu ihrer Tochter als über das Verhältnis zu ihrem Sohn. Während sie von Mütterlichkeit klare Vorstellungen hat, macht sie (wie etliche andere Befragte) die Frage nach Assoziationen zu Väterlichkeit zunächst sprachlos: I.: „Was fällt Ihnen so spontan zu den Begriffen Mütterlichkeit und Väterlichkeit ein?“ B.: „Ach Mütterlichkeit. Mütterlichkeit ist 24 Stunden da sein und wenn nicht in Person, dann in Gedanken, äh, organisieren, ja, trösten, besorgen, kümmern; Väterlichkeit stolz auf ein geschaffenes Kind, ähm, ... fällt mir so wenig ein, so WENIG. Es fällt mir zu Väterlichkeit so wenig ein, ja.“ (WF4,18,28)
Väterlichkeit erschöpft sich in der Wahrnehmung von WF4 oftmals im Stolz auf ein Kind. Hier spielt die Erfahrung mit den Vätern ihrer Kinder eine maßgebliche Rolle. Ihre Beziehung zu dem Vater ihres älteren Sohnes scheiterte an der 239
WF4, zwei Kinder, w. 12 Jahre, m. 22 Jahre (lebt nur noch teilweise im Haushalt).
287
verstärkten Orientierung zur Erwerbstätigkeit des Kindsvaters nach der Geburt des Kindes. Sie beschreibt ein divergierendes Verständnis von Väterlichkeit bei ihr und dem Kindsvater, von dem sie mehr Präsenz in der Familie erwartet hätte. Gleichzeitig sieht sie keinerlei Probleme darin, dass ihre Tochter ohne Vater aufwächst. Als Mutter in der Erziehung Grenzen zu ziehen, ist selbstverständlich für sie. WF4 fühlt sich mit der Situation des Alleinerziehens heute – im Unterschied zum Beginn - nicht überfordert. Sie ordnet Erziehungsaufgaben nicht Müttern und Vätern zu. WF4 hat eine selbstbewusste Haltung, obwohl sie negative Reaktionen der eigenen Mutter beschreibt, die ihre Erziehungsfähigkeit zeitweise in Frage stellt. Für die Entwicklung ihres Selbstbewusstseins zeigte sich das soziale Umfeld als außerordentlich hilfreich. Von OF1240 wird Mütterlichkeit zunächst mit übertriebener Fürsorglichkeit assoziiert. Die Frage nach Väterlichkeit löst auch bei ihr zunächst Sprachlosigkeit aus. Dann erzählt sie, dass der Vater ihres Sohnes extrem negativ auf seine Vaterschaft reagierte. Ihr eigener Vater starb, als sie elf Jahre alt war. OF1 war einige Jahre mit einem Mann zusammen, der Vaterfunktionen für ihren Sohn erfüllte. „Aber für den kleinen Dirk, der hatte damals eben gefragt, weil wir ihm genau erzählt haben, dass er nicht der Vater ist, also nicht der Erzeuger ist, hat er halt gefragt, darf ich dich Halbpapi nennen oder so. Und da hat er halt gesagt, ja klar. Weil das halt damals wichtig war im Kindergarten, Schule, die haben alle von Vatis erzählt, von Papis erzählt und Dirk wollte da natürlich auch einen haben. Also das ist Kindern schon sehr wichtig.“ (OF1,2,30)
Hier wird die Funktion einer Vaterfigur für den Sohn von OF1 deutlich: Es geht auch sehr stark darum, so zu sein, wie die meisten anderen Kinder, sich nicht von der Norm abzuheben und das Gleiche zu haben wie sie. Für OF1 gehört Verwöhnen zu einer Eltern-Kind-Beziehung. Gleichzeitig erzieht sie ihren Sohn zu Verantwortung, lässt ihm viele Freiräume und greift wenig in seine Handlungsfelder ein. Sie beschreibt die Elter-Kind-Beziehung als überwiegend harmonisch, hat jedoch manchmal Schwierigkeiten, sich bei ihrem Sohn durchzusetzen. Sie ist nicht der Meinung, dass ein Vater sich besser durchsetzen könnte und nennt auch keine anderen erzieherischen Aspekte, die ihrer Ansicht nach ausschließlich oder besser durch einen Vater ausgefüllt werden können. Auch der von dem Sohn phasenweise thematisierte Wunsch nach einer Vaterfigur führt bei ihr nicht zu einer Sicht auf die Ein-Elter-Familie als defizitär.
240
OF1, ein Kind, m. 15 Jahre.
288
Mütterlichkeit ist in den Assoziationen von OF4241 positiv besetzt und etwas völlig Selbstverständliches. Dies weist darauf hin, dass sie Mütterlichkeit als etwas Natürliches versteht, das nicht weiter definiert werden muss. Die Mütterlichkeit, die sie in ihrer Herkunftsfamilie erfahren hat, beschreibt sie dagegen als einengend. Sie hat das Bedürfnis, sich von den Erfahrungen mit der eigenen Mutter durch ihr Erziehungsverhalten abzugrenzen. Die in der Herkunftsfamilie erfahrene Väterlichkeit wird positiv erinnert und mit ‚Sicherheit’ und ‚Ausstrahlung’ assoziiert. OF4 betont, dass sie ihre Tochter nicht übermäßig behütet. Sie redet aus einer Verteidigungshaltung, da von ihrem sozialen Umfeld die Beziehung zu ihrer Tochter als zu eng beurteilet wurde: „Sie kriegt genug Zärtlichkeiten, ihr Küsschen, wird gedrückt, und sie kommt auch selber und ich streichele sie und mache und tue und so. Wie Yvonne kleiner war, hat man mir vorgeworfen, sie wächst ja mit sehr viel Liebe auf, also so von wegen, das ist ja ein bisschen viel.“ (OF4,13,6)
In der Erzählung von OF4 scheint an mehreren Stellen eine defensive Haltung, ein Zwang zur Rechtfertigung der von ihr gelebten Mütterlichkeit auf: „Mit diesem fixiert, immer irgendwie so. Wissen Sie, andere Leute sehen das vielleicht anders, aber ich finde, ich finde unsere Beziehung normal und ich finde sie nett so wie sie ist.“ (OF4,10,43)
OF4 vermittelt im Gespräch den Eindruck, mit dem Rücken zur Wand zu stehen und sich gegen die Vorwürfe von zuviel Zärtlichkeit und zu wenig Durchsetzungskraft wehren zu müssen. Gleichzeitig bejaht sie die Rollenkumulation und ist der Überzeugung, dass sie als Mutter die Erziehungsaufgaben gut alleine abdecken kann. Väterlichkeit wird von ihr nicht als fehlender Aspekt in der Erziehung ihres Kindes beschrieben. Auch OF5242 assoziiert zu Mütterlichkeit Fürsorglichkeit. Väterlichkeit, wie OF5 sie als Kind erlebt hat, ist für sie Geborgenheit und Schutz. Im Zusammenleben mit ihrem Kind vermisst sie des Öfteren einen zweiten erwachsenen Ansprechpartner und auch eine Person, die bestimmte Aufgaben erledigt, die ihr nicht liegen. Sie sieht Väterlichkeit aber nicht als Gegenpol zur Mütterlichkeit in dem Sinne, dass ihrem Kind eine männliche Orientierung fehle. OF5 zeigt eine selbstbewusste Haltung bezüglich der Erziehung ihres Sohnes. Sie reflektiert ihr elterliches Verhalten und pflegt einen autoritativen Erziehungsstil, bei dem es klare Regeln, aber auch Verhandlungsspielraum gibt. Väterlichkeit und 241 242
OF4 ein Kind, w. 5 Jahre. OF5, ein Kind, m. 9 Jahre.
289
Mütterlichkeit sieht sie nicht als grundsätzlich unterschiedlich an. Vielmehr überwiegt in ihrer Erzählung die Schilderung von verschiedenen Erziehungsfeldern wie Fürsorglichkeit und Strenge als Kompetenzen unabhängig vom Geschlecht. OF5 entwirft somit Gegenkonstruktionen zum traditionellen Verständnis von Mütterlichkeit und Väterlichkeit. WM1243 antwortet auf die Frage nach Assoziationen zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit zunächst eher abstrakt: I.: „Was fällt Ihnen zu den Begriffen Mütterlichkeit und Väterlichkeit ein?“ B.: „Oh Gott, schwierig. Bin ich jetzt durch mein Studium versaut. Doch eigentlich sehr zugeschriebene Werte, muss man ganz klar sagen. Von daher, das ist ja das, das hat man ja früher sehr deutlich gesagt, dass das Kind zur Mutter gehört und dass der Vater halt dann andere Aufgaben hat. Und das ist daneben, ich habe es nun deutlich bewiesen. Das sind grundsätzlich wirklich zugeschriebene Eigenschaften, die absolut unabhängig vom Geschlecht sind.“ (WM1,20,36)
Er sieht sich als Gegenbeispiel zur traditionellen Aufgabenteilung zwischen Müttern und Vätern. Diese Aufgabenteilung beschreibt er als künstlich erzeugt, bzw. konstruiert. Mit seiner Rolle als allein erziehender Vater und der damit einhergehenden alltäglichen Rollenkumulation hat er keine Probleme. WM1 beschreibt, dass er Schwierigkeiten mit der Haushaltsführung hat und führt diese auf seine typisch männliche Sozialisation zurück. Im Großen und Ganzen schildert er seine Familiensituation jedoch sehr selbstbewusst. Die Beziehung zu seiner Tochter beschreibt er als eng. Aber auch ihm ist wichtig zu betonen, dass er seine Tochter nicht übermäßig behütet: „Auf keinen Fall ist sie überbehütet, da lege ich schon ganz viel Wert drauf, auch wenn wir also eine wahnsinnig enge Bindung meiner Ansicht nach haben, und ich hoffe, dass, auch wenn sie später aus dem Haus geht, sozusagen, dass sich da das dann noch soweit erhält, aber ansonsten, ja, nein, ist sie nicht überbehütet.“ (WM1,9,31)
Wie bereits WM1 äußert sich auch WM3244 in abstraktem Erzählstil über Mütterlichkeit und Väterlichkeit: „Ja, also ich geh davon aus, dass wir ganz viel von dem, was wir als Mann oder Frau ähm, tun, also auch diese Mutter- und Vaterrolle ganz klar dadurch geprägt sind, dass wir in patriarchalen, dass wir in dieser patriarchalen Gesellschaft leben und ähm, dass das von Klein auf alles Mögliche beeinflusst und dass es irgendwie ganz 243 244
WM1, ein Kind. W. 7 Jahre. WM3, zwei Kinder, w. 14 Jahre (lebt bei ihm), m. 10 Jahre (kommt regelmäßig zu Besuch).
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schwer zu sagen ist, wie mensch einfach ist, was ähm, weil einfach so viele Einflüsse, ( ) der Mensch gar nicht offen leben kann. (…) Sodass ich einfach davon ausgehe, dass man das nicht sagen, dass mensch das nicht sagen kann irgendwie, so ist Frau, so ist Mann, sondern das ist einfach ein gesellschaftliches Produkt.“ (WM3,14,3)
WM3 strebt danach, sich von gesellschaftlich dominanten Bildern, wie Frauen und Männer zu sein haben, weitgehend zu distanzieren, da diese für ihn mit Machtverhältnissen verbunden sind, die er ablehnt. Gleichzeitig erfährt er spezifische Erwartungen an ihn als Mann und Vater: I.: „Die Erwartungen sind?“ B.: „Ja, Erwerbsarbeit.“ I.: „Vor allem Erwerbsarbeit an erster Stelle?“ B.: „Das ist die erste Stelle, die von einem Mann erwartet wird.“ I.: „Und dann als Vater noch, jetzt in der Beziehung zu den Kindern? Was würdest du da sagen, was wird erwartet?“ B.: „Was wird erwartet vom Vater? Einmal über Erwerbsarbeit das Geld ranschaffen, das ist das Wichtigste irgendwie und dann gibt es viele verschiedene Variationsbreiten, ( ) wie nah ein Mensch das an sich ranlässt als Vater.“ I.: „Ja, welche fallen dir ein? Welche könnten das sein? Also wie ist die Erwartung an Väter, wie sie sich ihren Kindern gegenüber verhalten sollen?“ B.: „Ich glaube nicht, dass es wirklich so eine ganz feste, starre Erwartung daran gibt, sondern dass es eine große Bandbreite gibt zwischen Erwartungen, also.“ I.: „Unterscheidet die sich von den Erwartungen an die Mütter? Oder würdest du sagen, das ist das gleiche?“ B.: „Das Erwartungsmodell ist ein ganz anderes. Auf jeden Fall.“ I.: „Wie denn, das interessiert mich.“ B.: „Die emotionale Ebene ist bei Frauen wesentlich mehr, mehr, enger erwartet so, ähm, tendenziell ist so dieses technische Tun sowas eher, also Männerrolle.“ (WM3,14,31)
Nach den Erfahrungen von WM3 wird Vätern in erster Linie die Rolle der Erwerbsarbeit zugeschrieben. Er erzählt im Interview, dass er als allein erziehender Vater von der Verwandtschaft nicht anerkannt wird, da er erwerbslos ist. In der Beziehung zu seiner Tochter ist ihm sehr wichtig, Zeit und Geduld zu haben. Ein fürsorglicher Vater zu sein, ist kein Problem für WM3, Fürsorglichkeit ist ihm sehr wichtig. Mütterlichkeit verbindet WM4245 mit Zärtlichkeit und Väterlichkeit mit Handwerklichem und Fußball. Als erstes fallen ihm zu Mütterlichkeit er selbst und sein Großvater ein. Er ordnet Mütterlichkeit also unterschiedslos Männern 245
WM4, zwei Kinder, m. 9 Jahre (lebt bei ihm), der jüngere Sohn lebt bei der Mutter.
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wie Frauen zu. An der Situation des Alleinerziehens findet er positiv, dass eine Person die Richtung in der Erziehung vorgibt und dadurch mehr Klarheit entsteht: WM4 versucht, sowohl die mit Väterlichkeit als auch die mit Mütterlichkeit assoziierten Seiten der Erziehung auszufüllen. Er bemüht sich, konsequent mit dem manchmal extrem aggressiven Verhalten seines Sohnes umzugehen. Es ist ihm wichtig, seinem Sohn Zärtlichkeit zu geben. Obwohl sich WM4 seit mehreren Jahren allein verantwortlich um seinen Sohn kümmert, verfügt er noch nicht über das alleinige Sorgerecht. Der Sohn sucht zeitweise sehr viel Nähe zum Vater. Durch den Weggang seiner Mutter leidet er an Verlustängsten. Obwohl WM4 sich sehr bemüht, die Bedürfnisse seines Kindes zu erfüllen, hat er ein chronisch schlechtes Gewissen: I.: „Jaja, na klar. Gibt es Momente, wo Sie ein schlechtes Gewissen haben?“ B.: „Jeden Abend.“ I.: „Wirklich?“ B.: „Ja.“ I.: „Warum?“ B.: „Kleinigkeiten, die man vielleicht mal falsch gemacht, ein falsches Wort gesagt oder … I.: „Man nicht so geduldig war …?“ B.: „Ja, man nicht so geduldig war oder einen schlechten Tag mal hatte oder irgendwas und dann statt erst ausdiskutieren vielleicht gleich die Tür zugemacht hat oder so. Also das schlechte Gewissen habe ich also am laufenden Band.“ (WM4,12,31)
Es entsteht der Eindruck, dass WM4, der zum Interviewzeitpunkt nicht erwerbstätig ist und unter diesem Umstand leidet, diese Frustrationen durch besonders intensive Beschäftigung mit dem Haushalt kompensiert: „Ja, viele bezeichnen das als Macken, weil wenn man bei mir reinkommt, ich habe einen Raum, da stehen nur Reinigungsmittel drin. Also ich brauche jeden Tag mindestens drei, vier Stunden, um das Haus sauber zu machen.“ (WM4,9,39)
WM4 lebt die Rollenkumulation ohne Defiziterwartungen. Mit der Übernahme von Mütterlichkeit scheint er sich auch das diskursiv mit Mütterlichkeit verbundene schlechte Gewissen angeeignet zu haben. Auch für OM5246, der ebenfalls Mütterlichkeit und Väterlichkeit unterschiedlich definiert, ist selbstverständlich, dass er als Alleinerziehender beide ‚Aufgabenfelder’ abdecken muss und kann. OM5 sieht die Rollenkumulation 246
OM5, zwei Kinder, m. 6 Jahre, m. 15 Jahre.
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beim Alleinerziehen einerseits als doppelte Belastung, andererseits aber auch als Erleichterung an, da die in Paarbeziehungen notwendige Kommunikation mit der Partnerin wegfalle. In der Beziehung zu seinem älteren Sohn hat er Schwierigkeiten mit dem konsequenten Grenzensetzen, er bringt dieses Problem jedoch nicht mit Geschlechtlichkeit in Verbindung. OM5 genießt es, mit seinen Kindern einen lockeren Lebensstil zu leben. Bestimmte Rituale, wie das gemeinsame Frühstück, beschreibt er als wichtig für die ganze Familie. Angespannte Stimmungen nach den manchmal heftigen Konflikten zwischen ihm und seinem älteren Sohn sind in der Regel nicht von Dauer. Der zärtliche Umgang mit seinen Kindern ist ihm wichtig. Für OM5, den einzigen Vater in diesem Sample, der sich frei fürs Alleinerziehen entschieden hat, ist Rollenkumulation anstrengend aber leistbar. Schaut man sich diese Interviews, die zum Ausdruckbringen, dass Mütterlichkeit und Väterlichkeit als allgemein menschliches Potential verstanden werden, zusammenfassend an, so zeigt sich, dass in der Regel die Möglichkeit einer zweiten erwachsenen Bezugsperson als positiv für die Kinder und als eventuelle Entlastung der Alleinerziehenden gesehen wird. Eine fiktive Mutter, bzw. Vaterfigur wird jedoch nicht als potentielle Lösung von Erziehungsproblemen betrachtet (WM1, WM4, OF1, OF4). Von den Kindern formulierte Wünsche nach einer gegengeschlechtlichen Elternfigur werden als solche ernst genommen, aber nicht ins Zentrum der Sicht auf die gelebte Familienform gerückt. Es werden Reflexionen darüber vorgenommen, ob das andere Geschlecht bei einer zweiten erwachsenen Bezugsperson der entscheidende Aspekt ist, oder nicht vielmehr das Vorhandensein mehrerer verlässlicher Erwachsener für Kinder elementar von Bedeutung ist (OF5). Die Kategorie Geschlecht spielt in den hier beschriebenen subjektiven Familienbildern entweder eine untergeordnete Rolle oder sie wird bedeutsam für die Formulierung derjenigen traditionellen Aspekte in der Sicht auf Familie, die von den jeweiligen Befragten abgelehnt werden. Einer dieser traditionellen Aspekte ist die Festlegung der Vaterrolle auf Erwerbstätigkeit. Diese beschreibt WF4 als Grund für ihre Trennung vom Kindsvater. WM3 berichtet über eine entsprechende Erwartungshaltung seiner sozialen Umwelt. OM5 schließlich betrachtet Alleinerziehen nicht als Abweichung von der ‚Normalfamilie’, sondern als eigene Familienform mit positiven und negativen Seiten. Diese Sichtweise auf Familie lässt die Kategorie Geschlecht an Bedeutung verlieren. Die Reflexionen von OM5 über seine Stärken und Schwächen als Erziehender bewegen sich unabhängig von Zuordnungen zur Geschlechterkategorie. Väterlichkeit und Mütterlichkeit werden subjektiv als weitgehend vom biologischen Geschlecht abgelöste Aspekte verstanden. Die Lebensform des Alleinerziehens wird auch hier als anstrengend empfunden, es besteht jedoch trotzdem keine 293
Sicht auf Ein-Elter-Familien als defizitär. Für die Bewältigung der familialen Aufgaben wird von einem Teil der Gruppe soziale Unterstützung in Anspruch genommen. Sozialen Interaktionen außerhalb der Familie werden große Bedeutungen zugesprochen. Aufgrund der genannten Aspekte können die hier gezeigten Interviewpassagen als Gegenkonstruktionen zu den unter 7.3.1 beschriebenen Einstelllungen, in denen eine dichotome, an das biologische Geschlecht gebundene Sicht auf Mütterlichkeit und Väterlichkeit bestimmend ist, verstanden werden.
7.3.4 Zwischenfazit In der Zusammenfassung dieses Unterkapitels muss zunächst festgehalten werden, dass die Übergänge zwischen den hier definierten Gruppen fließend sind: Insbesondere die Bilder von Mütterlichkeit und Väterlichkeit von den 7.3.1 und 7.3.2 zugeordneten Interviewpassagen gehen ineinander über, da für beide Gruppen der Fortbestand von Sichtweisen auf die Lebensform des Alleinerziehens als defizitär, jedoch in differierendem Grad, gilt. Die Entscheidung über die letztendliche Zuordnung wurde mit Blick auf den biographischen Gesamtzusammenhang getroffen. In allen Interviews kommen Ambivalenzen zum Tragen. Die Subjekte erscheinen in ihren An- und Einsichten sowie Lebenswirklichkeiten als fragmentiert und uneindeutig. Es ist – vor Allem in der Gruppe mit überwiegend dichotomen Bildern von Väterlichkeit und Mütterlichkeit (7.3.1), aber auch bei den ‚Ambivalenten’ (7.3.2) - festzustellen, dass die Veränderung der Sichtweisen auf Geschlecht und Familie hinter der Veränderung der tatsächlichen Lebensverhältnisse zurückbleibt. So ist in den Interviews immer wieder die Tendenz auszumachen, dass beschriebene Fähigkeiten wie z. B. die Fürsorglichkeit der Väter und handwerkliche bzw. sportliche Kompetenzen der Mütter hinter den Ansichten darüber, wofür Väter und Mütter ‚naturgemäß’ zuständig seien, quasi verschwinden. Hierdurch entsteht gleichzeitig eine Sicht auf die Familienform des Alleinerziehens als defizitär. Es ist davon auszugehen, dass Diskurse um Mütterlichkeit und Väterlichkeit eine erhebliche Rolle bei der Ausprägung von derartig normativen, auf dichotomen Geschlechterbildern basierenden Familienbildern spielen, auch wenn der direkte Nachweis dieser diskursiven Effekte hier nicht erbracht werden kann. Gleichzeitig zeigt sich sozialer Wandel in den Einstellungen Alleinerziehender: Fast die Hälfte der Befragten (7.3.3) sehen Erziehungskompetenzen nicht in Verbindung mit dem biologischen Geschlecht. Diese Einstellung gibt den Subjekten eine größere Freiheit in der Sicht auf die gelebte Familienform 294
und in der Gestaltung der eigenen Lebenssituation. Hier sind Spielräume in den Konstruktionen von Geschlecht und Familie auszumachen. Es wird deutlich, dass dieser Aspekt der subjektiven Konstruktionsspielräume positive Wirkungen auf das Selbstbewusstsein und damit auf das subjektive Wohlbefinden der Alleinerziehenden hat. Dagegen zeigt sich die Sicht auf die Ein-Elter-Familie als quasi zwangsläufig defizitäre Lebensform unabhängig von der jeweiligen Erziehungskompetenz und dem elterlichem Engagement, wie sie unter 7.3.1 beschrieben wird und teilweise auch in 7.3.2 mit einfließt, als dem subjektiven Wohlbefinden abträglich. Die Zuordnungen der Interviews in die benannten drei Gruppen ergibt in der Übersicht folgendes Bild: Tabelle 27:
Mütterlichkeit und Väterlichkeit
Mütterlichkeit und Väterlichkeit dichotom gedacht / an biologisches Geschlecht gebunden WF1, WF2, WF3, WF5, WM2
Ambivalenzen
OF2, OF3, WM5, OM1, OM2, OM3, OM4
Mütterlichkeit und Väterlichkeit als menschliche Potentiale unabhängig vom biologischen Geschlecht WF4, OF1, OF4, OF5, WM1, WM3, WM4, OM5
Diese Tabelle zeigt, dass traditionelle, an Geschlecht gebundene Sichtweisen auf Väterlichkeit und Mütterlichkeit in diesem Sample stärker bei den Befragten mit Westherkunft auszumachen sind als bei jenen mit Ostherkunft. Von den drei der ersten Gruppe zugeordneten Frauen mit Westherkunft wird der fehlende Vater als wesentliches Defizit im Leben ihrer Kinder angesehen. Alle drei sind Mütter mit Söhnen. Dass hier ausschließlich Westfrauen vertreten sind, lässt sich evtl. darauf zurückführen, dass der psychologische Diskurs der Geschlechtsidentität, sowie die Diskurse um Mütterlichkeit und Väterlichkeit in der DDR geringere Bedeutung hatten als in der BRD und die Normalisierung mütterlicher Erwerbstätigkeit in der DDR erheblich weiter voran geschritten war (siehe Kap.3.2 und 3.3). Ost/West Unterschiede zeigen sich auch in den Äußerungen der Frauen zu Mütterlichkeit. Während die meisten Ostmütter sich von einer idealisierenden Sicht auf Mütterlichkeit abgrenzen und die Vereinbarung von Familie und Beruf für Frauen als wünschenswert erachten, wird von den Westmüttern verschiedentlich formuliert, sich durch die vielfachen Anforderungen der Rollenkumulation 295
weniger weiblich zu fühlen. Väterlichkeit zeichnet sich in den Interviews häufig dadurch aus, sprachlich kaum fassbar zu sein. Dies trifft auch auf Erzählungen zu, in denen die Anwesenheit eines Vaters in der Familie als Grundvoraussetzung für das Wohlbefinden der Kinder gesehen wird. Immer wieder erscheint Väterlichkeit als etwas Diffuses, stark durch die Herkunftsfamilie Geprägtes, an dem man sich entweder per Nachahmung orientiert oder von dem man sich mit differierendem Erziehungsverhalten abgrenzt. Andererseits ist Väterlichkeit stark von Wünschen besetzt, die den Befragten selbst teilweise als kaum erfüllbar erscheinen. Die Rolle des Vaters schwankt in den Erzählungen zwischen dem Kumpel und Spielpartner der Kinder und demjenigen, der die Erziehung im Blick haben soll. Diffuse und wechselhafte Bilder von Väterlichkeit tauchen gleichermaßen in den Erzählungen von Frauen und Männern auf. Diese Ergebnisse lassen sich als Bestätigung der Thesen, Theorien und Studien lesen, die beschreiben, dass sich die Vaterrolle nicht nur in Bezug auf Quantität sondern auch bezüglich ihrer Qualität derzeit in einem Stadium der gesellschaftlichen Um- und Neudefinition befindet (siehe Kap.3.5.2). Mit acht Fällen ist Gruppe III (7.3.3) größer als die Gruppe I mit fünf Fällen (7.3.1). Auch wenn in dieser Arbeit kein Anspruch auf statistische Repräsentativität erhoben wird, so scheinen doch Zeichen sozialen Wandels auf: Es lässt sich aufgrund der vorliegenden Ergebnisse die Vermutung formulieren, dass Alleinerziehende in diesem Wandel eine Vorreiterrolle spielen, da ihre Situation die Verbindung von ökonomischer mit erzieherischer Sorge sowie die Vereinbarung von mit Mütterlichkeit und Väterlichkeit assoziierten Aspekten der Erziehungsarbeit erforderlich macht. Über besondere Spielräume in der Konstruktion von Geschlecht und Familie scheinen allein erziehende Väter zu verfügen, da sie durch das Eintreten in das sonst weiblich besetzte Territorium allein verantwortlicher Familienarbeit die Möglichkeit haben, ihre eigene Rolle neu zu definieren. Mütterlichkeit dagegen unterliegt kaum definitorischen Veränderungen, auch wenn die traditionell mit Väterlichkeit assoziierten Handlungen längst in die Handlungsspielräume der allein erziehenden Mütter übergegangen sind. Einstellungen und Handlungen stimmen hier nicht überein. In den Erzählsequenzen zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit zeigt sich die Heterogenität der Familienbilder Alleinerziehender. Traditionalität und Neudefinitionen der innerfamilialen Rollen von Frauen und Männern existieren gleichzeitig und nebeneinander, eine starke Tendenz zu einer differenzierten Reflexion und Neubestimmung von Familie ist auszumachen. Wie bereits unter 7.3.2 bezüglich des Geschlechterverhaltens der Kinder, so wird auch in den Erzählungen zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit dem Verhältnis zwischen der Geschlechtszugehörigkeit der Kinder und dem 296
Geschlecht des allein erziehenden Elternteils besondere Bedeutung zugeschrieben. Insbesondere werden Probleme für die Kinder erwartet, wenn kein gleichgeschlechtliches Elternteil vorhanden ist. Tabelle 30 zeigt, welche Alleinerziehende mit gegengeschlechtlichen Kindern zusammen leben und wer von ihnen aus dieser Tatsache Probleme für die Kinder in Form von fehlender Mütterlichkeit bzw. Väterlichkeit ableitet. Tabelle 28:
Erwartete Probleme für die kindliche Entwicklung bei gleichgeschlechtlichem Elternteil II
Alleinerziehende mit gegengeschlechtlichen Kindern
WF1, WF2, WF3, WF4, WF5 OF1, OF3, OF5 WM1, WM3, WM5 OM1, OM2, OM3, OM4
Alleinerziehende mit gegengeschlechtlichen Kindern, die das fehlende gleichgeschlechtliche Elternteil als wesentliches familiales Defizit betrachten WF1, WF2, WF5 OF3 WM2 OM2, OM4
Die Mütter (WF1, WF2, WF5 und OF3) betonen, dass ihre Söhne einen Mann in der Familie bräuchten. Die Väter treffen eher grundsätzliche Aussagen darüber, dass ihren Kindern eine Mutter fehlt (OM4, WM2), bzw. sehen das Defizit von Mütterlichkeit als auf die Säuglingszeit beschränkt an (OM2). Nur von einem der Väter (WM1) wird die Wichtigkeit einer gleichgeschlechtlichen Bezugsperson hervorgehoben. Wie bereits in den vorangegangenen Unterkapiteln wird nun erneut ein tabellarischer Überblick über evtl. Zusammenhänge zwischen sozialstrukturellen Aspekten und den Geschlechter- bzw. Familienbildern der Alleinerziehenden gegeben:
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Tabelle 29:
Materiell abgesichert durch Erwerbstätigkeit Private Unterstützung ausreichend vorhanden Materiell abgesichert und private Unterstützung ausreichend vorhanden Weder materiell abgesichert noch ausreichend privat unterstützt
Mütterlichkeit/Väterlichkeit und sozialstrukturelle Situation Mütterlichkeit und Väterlichkeit dichotom gedacht / an biologisches Geschlecht gebunden WF3, WM2
WF1, WF2, WF5
Ambivalenzen
Mütterlichkeit und Väterlichkeit als menschliches Potential unabhängig vom biologischen Geschlecht
OF3
OF1, WF4, OF5
WM5, OM2
OM5
OF2, OM4, OM1, OM3
WM4, OF4, WM1, WM3
Zunächst sind jene vier Fälle auffällig (WM4, OF4, WM1, WM3), die weder über materielle Absicherung noch ausreichende private Unterstützung verfügen und gleichzeitig in ihren Erzählungen Bilder von Mütterlichkeit und Väterlichkeit zum Ausdruck bringen, welche diese als menschliches Potential unabhängig vom biologischen Geschlecht ansehen. Zählt man noch jene weiteren vier Fälle hinzu, die ebenfalls weder materiell noch privat über ausreichende 298
Ressourcen verfügen und in deren Äußerungen Ambivalenzen zum Ausdruck kommen (OF2, OM4, OM1, OM3), so entwickeln acht Fälle dieses Samples Spielräume in ihren subjektiven Konstruktionen von Geschlecht und Familie trotz sozialstrukturell problematischer Bedingungen. Eine Interpretationsmöglichkeit dieses Ergebnisses ist, dass eventuell gerade die sozialstrukturell problematische Situation den Entwurf von Gegenbildern erforderlich macht, welche auf der gedanklichen Ebene eine gesellschaftliche Akzeptanz der eigenen Lebensform potentiell ermöglichen. Für diese Interpretation der Ergebnisse sprechen auch die beiden Fälle, bei denen eine materielle Absicherung mit dichotomen Bildern von Mütterlichkeit und Väterlichkeit einhergeht (WF3, WM2). Die in Tabelle 30 gezeigten Zusammenhänge geben Hinweise darauf, dass private Unterstützung eine positive Rolle für die Entwicklung von Spielräumen in der subjektiven Konstruktion von Mütterlichkeit und Väterlichkeit darstellt: In keinem der Fälle, in denen über ausreichend private Unterstützung berichtet wird (OF3, OF1, WF4, OF5, WM5, OM2, OM5), werden dichotome Bilder von Mütterlichkeit und Väterlichkeit beschrieben.
7.4 Einstellungen zu unterschiedlichen Familienformen Im Folgenden werden die Einstellungen Alleinerziehender zu Ein- und ZweiEltern-Familien dargestellt. Es wird untersucht, wie Alleinerziehende die gesellschaftliche Haltung gegenüber Ein-Elter-Familien wahrnehmen und welche Haltung sie selbst einnehmen. Die Einstellungen Alleinerziehender zu unterschiedlichen Familienformen – das haben die vorangegangen Kapitel bereits verdeutlicht – sind durch diverse Aspekte geprägt: Diese reichen von Erfahrungen in der eigenen Herkunftsfamilie über die Entstehungsgeschichte des Alleinerziehens, sozialen und sozialstrukturellen Bedingungen bis zu Bildern von und Diskursen über Geschlecht und Familie. Entsprechend dem unter 2.4 beschriebenen, dieser Arbeit zugrunde liegenden Verständnis von Sozialisation bestimmt jedoch immer ein subjektiver Anteil der Deutung und Umgangsweise mit diesen Aspekten die eigene Einstellung mit. Es ist zu prüfen, ob sich eher Normalisierungen, Ambivalenzen oder Abwertungen in den Einstellungen der befragten Alleinerziehenden spiegeln und wie diese begründet werden. Ähnlich wie in den vorangegangenen Unterkapiteln wird wieder in drei Gruppen unterschieden. Unter 7.4.1 werden jene Eltern zu Wort kommen, die für sich persönlich eine Zwei-Eltern-Familie bevorzugen würden, bzw. die der Meinung sind, dass Zwei-Eltern-Familien eine bessere Ausgangslage für Kinder bieten als Ein-Elter-Familien. Erzählsequenzen Alleinerziehender, die in erster 299
Linie Positives in der Ein-Elter-Familie sehen, finden Platz unter 7.4.3. Diejenigen, bei denen die Ambivalenzen zwischen diesen beiden Standpunkten die Erzählung bestimmen, kommen unter 7.4.2 zu Wort.
7.4.1 Präferenzen für die Zwei-Eltern-Familie WF1 hat vier Kinder. Sie ist bereits zum zweiten Mal allein erziehend. Ihre beiden älteren Kinder haben den Haushalt schon verlassen. Nun lebt sie mit einem drei- und einem fünfjährigen Kind zusammen. Dies ist jedoch in keiner Weise Ausdruck davon, dass sie diese Lebensform favorisiert: I.: „Jetzt bist du wieder seit vier Jahren allein erziehend. Hat sich dein Gefühl zu dieser Lebensform eigentlich verändert? War das mal negativer oder positiver?“ B.: „Nee. (seufzt) Ich akzeptier das so, ich will es nicht. Also es ist eher so, dass es mein Traum ist einfach richtig, nee. Das ist eine Familie.“ (WF1,24,41)
Zurzeit plant WF1 eine Hausgemeinschaft mit ihrem neuen Freund und dessen Tochter. Sie erlebt Alleinerziehen als sehr anstrengend. B.: „Aber ich empfinde dieses Alleinerziehen richtig als Arbeit. Richtig Arbeit.“ I.: „Und hast du das Gefühl, diese Arbeit, die du leistest, das, was du schaffst, dass es da eine gesellschaftliche Anerkennung für gibt?“ B.: „Nee. (lacht) Das Gefühl hab ich nicht. Dieses Interview gibt mir so viel Anerkennung, wie ich noch nie erfahren hab.“ (WF1,22,27)
Der Mangel an gesellschaftlicher Anerkennung für Alleinerziehende wird von WF1 im Verhältnis zur erbrachten Leistung als ungerecht erlebt. Dass sie sich manchmal überfordert fühlt, liegt auch an der Kinderfeindlichkeit dieser Gesellschaft: „Also es ist eher immer so mein Gefühl. Dass ich das Gefühl hab, das ist alles zu viel. (…) Also ich hab den Eindruck, wenn ich z. B. öffentliche Verkehrsmittel benutze und irgendwie einen Haufen Kinder dabei hab und es funktioniert nicht so richtig glatt, und ich krieg dann die Blicke und die Reaktionen der mitfahrenden Gäste oder Leute da oder des Schaffners oder so, da hab ich schon das Gefühl, na, die hat ihre Kinder nicht im Griff, die kriegt das wohl nicht gebacken, und ich denk, mein Gott, muss ich mich denn immer mit so was rumplagen. Hat natürlich nicht so was mit allein erziehend zu tun, weil, das können die ja nicht wissen.“ (WF1,24,17)
WF1 fühlt sich als Mutter unter Druck. Ähnliches beschreibt WF5. Besonders zugespitzt ist ihre Überforderung in Zeiten von Kinderkrankheiten: 300
„Das ist wirklich die Hölle. Auch an Isolation, also, oah, wenn ich an Masern denke oder an Windpocken, also, natürlich kriegen die das nicht zusammen, das haben die nacheinander, dann ist also die völlige Isoliertheit da, allein das macht schon aggressiv, nicht raus zu können, organisieren zu müssen, dass mir irgendwer einkauft oder auf die Kinder guckt, während ich einkaufen gehe. Das fand ich, also das war mit das Schlimmste.“ (WF5,24,10)
WF5 nimmt gesellschaftliche Reaktionen auf Alleinerziehende je nach deren Geschlecht als abwertend oder anerkennend wahr: „Was mich immer nur geärgert hat, ist, wenn ich mitgekriegt habe, wie die Umwelt verschieden auf allein erziehende Väter oder Mütter eingeht. Bei der Frau ist alles selbstverständlich, die ist wahrscheinlich auch noch Schuld, dass sie in der Situation ist, weil hätte sie irgendwie, ja, sie hätte sich ja viel besser auf den Mann einlassen sollen, dann wäre er ja schon nicht weggegangen. Und bei einem Mann wird dann auch leicht gesagt, Mensch, ich bewundere Sie, wie Sie das alles schaffen, die Arbeit und die Wäsche und die Kinder, bei Frauen ist das normal.“ (WF5,20,16)
OF2 äußert ausdrücklich den Wunsch nach einer intakten Zwei-Eltern-Familie. Nach den von ihr erlittenen Gewalterfahrungen durch den Vater ihrer ersten Tochter ist leicht nachvollziehbar, dass OF2 die Bedeutung von Harmonie in einer Familie betont. Obwohl sie sich eine Zwei-Eltern-Familie wünscht, würde sie diese Lebensform nicht mehr um jeden Preis eingehen. Sich einem Mann unterzuordnen kommt für sie nicht mehr in Frage. Nach ihrer Wahrnehmung von der Darstellung Alleinerziehender in den Medien befragt, erzählt OF2, wie sie die mangelnde Berücksichtigung von Alleinerziehenden in den Elternbriefen247 erlebt: „Das taucht selten auf, also das ist eigentlich die, die Elternbriefe, die für die Erziehung der Kinder oder Entwicklung der Kinder bestimmt sind, da sind eigentlich, muss ich ja mal so sagen, Alleinerziehende selten vermerkt. Also es kommt schon mal vor aber, gut, sehe ich auch nicht so als Handikap, weil ich denke mal mein Kind sich genauso gut entwickelt wie andere, aber das war wenig angesprochen. (…)... Naja manchmal ist es schon so, gerade bei der Kleinen, wo man denkt, jetzt ist der Vater weg und wenn dann da steht, naja, der Vater könnte mit dem Kind jetzt diese Spiele machen und die Mutter könnte entlastet werden, wenn sie dann mal müde ist, weil das Kind ja die ganz Nacht geschrieen hat, dann denke ich mal, schönes Ding. Da muss ich alleine durch.“ (OF2,33,3) 247 Die Elternbriefe werden vom ‚Arbeitskreis Neue Erziehung e.V.’ herausgegeben und begleiten die familiale Erziehung mit Hinweisen zur Entwicklung der Kinder und Ratschlägen für elterliches Verhalten in den ersten acht Lebensjahren. In Berlin und ca. 200 anderen Städten und Gemeinden werden die Elternbriefe kostenlos verschickt.
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Die Nichtberücksichtigung von Alleinerziehenden in Erziehungsratgebern kann sich negativ auf deren Selbstwertgefühl auswirken: „Aber ich denke, das ist halt so, da bin ich dann auch vielleicht so, wo ich denke, naja, stimmt ja auch, ich bin ja nun eine kleine Randgruppe oder wir sind nicht so viele, und dann denke ich immer, naja, soviel wert ist es nicht, das (zu schreiben), keine Ahnung. Da bin ich auch nicht die Person, die jetzt sagt, naja, wir müssen was ändern. Weil ich mich damit zufrieden gebe und mir was da raussuche und den Schmerz da runterschlucke und denke, okay, weiter gehts.“ (OF2,33,28)
Die Erfahrung des Übergangenwerdens führt bei OF2 zu dem Gefühl, der öffentlichen Beachtung nicht wert zu sein. Auf die mediale Darstellung von Familien angesprochen, berichtet auch OF4 über die Dominanz der Zwei-Eltern-Familie. I.: „Wie empfinden Sie denn die Bilder von Familie, beim Fernsehgucken oder in Zeitschriften? Wie geht es Ihnen als Alleinerziehende damit, was Sie da so sehen?“ B.: „Weiß ich nicht, also ich kann da nichts zu sagen, ich finde das ( ), wenn ich das so sehe heile Familie irgendwie so, das macht mich traurig, weil das bei mir nicht so ist. ( ) Das sind Sachen, die, das ist illusorisch für mich irgendwo. Das wollte ich auch mal haben, hat nicht geklappt.“ (OF4,22,50)
Sie beschreibt im Anschluss die Erfahrung, dass sie als Alleinerziehende von Paaren als Bedrohung empfunden wird. Probleme für die Kinder Alleinerziehender sieht OF4 vor allem bei finanziellen Schwierigkeiten. Im Vergleich zur DDR sieht sie Alleinerziehende in der BRD als erheblich stärker benachteiligt an: „Ich sage ja, bei dem allein erziehend, ich meine, was einem da übergeholfen wird in diesem System, ich finde das wirklich sehr im Verhältnis zum Osten ist es hier absolut unfreundlich. Wir hatten Arbeitszeitverlagerung, wir hatten Haushaltstage, ich hatte meinen Arbeitsplatz und diese Sachen, die sind schon nicht schlecht gewesen. Und das hat gar nichts mit Emanzipation zu tun, das ist einfach eine normale Sache, ich bin hier aufgewachsen, ich fühle mich hier völlig degeneriert, ich finde das System völlig bekloppt. Damit habe ich Schwierigkeiten. Und weil ich die offen verlautbaren lasse, kriege ich Schwierigkeiten. Wenn ich das nicht machen würde, dann hätte ich auch keine Sorgen ( ).“ (OF4,21,15)
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Ihre gesellschaftskritische Haltung führt nach der Wahrnehmung von OF4 nicht zu einer Verbesserung ihrer Situation, sondern zu Benachteiligungen.248 Die gesellschaftliche Anerkennung von Alleinerziehenden vermisst auch WM2: I.: „Ja. Haben Sie denn das Gefühl, als Alleinerziehender auf gesellschaftlicher Ebene anerkannt zu sein?“ B.: „Es bringt einem manchmal Schmeichelei ein. Auf gesellschaftlicher Ebene richtig Anerkennung? Nee, auf gesellschaftlicher Ebene, nee.“ (WM2,24,44)
Beruflich ist WM2 mit pädagogischen und psychologischen Diskursen zu unterschiedlichen Familienformen konfrontiert: „Die Darstellung von Einelternfamilien in der psychologischen Literatur begegnet mir bei meinem eigenen Arbeitsfeld. (…) Tendenziell, statistisch gesehen ist die Einelternfamilie ein Risikofaktor für ungünstige Entwicklung, so. Da muss man denn differenzieren, bei wem, und welche Eltern und was für Kinder für welches Alter in Bezug auf was für Störungen, Abweichungen, wie auch immer man das nennen möchte.“ (WM2,25,30)
WM2 benennt die tendenzielle Stigmatisierung von Ein-Elter-Familien in psychologischer Literatur. Von politischer Seite erwartet er, Familien intensiver finanziell und moralisch zu unterstützen. Er fühlt sich als allein erziehender Vater nicht überfordert, wünscht sich jedoch eine Zwei-Eltern-Familie. WM4, der die Situation des Alleinerziehens als sehr belastend beschreibt, formuliert ebenfalls den Wunsch nach Verbesserungen der gesellschaftlichen Situation Alleinerziehender. Für sich persönlich hofft er auf eine neue Partnerschaft und die Beendigung seiner Erwerbslosigkeit. Bei OM1 geht der Wunsch nach einer Zwei-Eltern-Familie in deren Idealisierung über: „Also mein Traum ist ja eben eine richtige Frau, dann zwei Kinder. Also ich wollte zwei leibliche Kinder haben.“ (OM1,8,23)
OM1 bezeichnet zwar auch seine Tochter als seine Familie, unter einer ‚richtigen Familie’ versteht er jedoch Mann, Frau und zwei Kinder. Er beschreibt weiter, dass er unter der Kinderfeindlichkeit dieser Gesellschaft leidet. Im Vergleich zur DDR findet auch OM1 die Entwicklungschancen für Kinder heute schlechter. Wie die anderen dieser Gruppe zugeordneten Interviewten sieht auch er die 248
Sie bezieht sich hier auf Situationen mit SachbearbeiterInnen in Sozial- und Arbeitsamt. Näheres zu diesem Aspekt findet sich in Kapitel sechs.
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größte Aussicht auf eine Verbesserung seiner Situation in einer neuen Partnerschaft, die Partnerin solle zumindest teilweise Elternfunktionen übernehmen. Inwieweit die Zwei-Eltern-Familie idealisiert oder eher als persönliche Lösung einer schwierigen Situation angesehen wird, ist in den unter 7.4.1 aufgezeigten Interviewpassagen höchst unterschiedlich. Übereinstimmung herrscht darin, dass der Zwei-Eltern-Familie im Vergleich zum Alleinerziehen der Vorrang gegeben wird. Es wird die Wahrnehmung beschrieben, dass Alleinerziehende in den Medien übergangen werden. Dies führt jedoch weniger zur Entwicklung einer selbstbewusst kritischen Haltung gegenüber der Gesellschaft als zu einem Unwohlsein mit der eigenen Situation. Gleichwohl wird von den Befragten der Bezug von der eigenen als problematisch empfundenen Lage zur Situation von materiell belasteten Zwei-Eltern-Familien und zur alle Familien betreffenden Kinder- und Familienfeindlichkeit dieser Gesellschaft hergestellt.
7.4.2 Ambivalenzen WF3 wägt positive und negative Aspekte des Alleinerziehens ab. Einerseits erlebt sie Alleinerziehen als sehr anstrengend, andererseits schätzt sie die Unabhängigkeit. Für ihre Kinder wünscht sie sich eine Zwei-Eltern-Familie, ihre eigenen Optionen auf künftige Lebens- und Familienformen sind von Zweifeln bestimmt. WF3 distanziert sich von Idealisierungen sowohl der Ein- als auch der Zwei-Eltern-Familie in den Medien: „Ja, es gibt da immer wieder die Familie in Jacobs Krönung, also irgendwelche Familien, die keine Mangelerscheinungen haben, und also, das finde ich empörend.“ (WF3,25,38)
Die gesellschaftliche Haltung gegenüber Ein-Elter-Familien beschreibt sie folgendermaßen: B.: „Also vom sozialen her, ne gewisse Stigmatisierung denke ich schon. Eine Geschlechterstigmatisierung find ich im Arbeitsmarktbereich. Ja, dass auch schnell unterstellt wird und zum Teil auch zu Recht, Alleinerziehende sind überfordert und können auch nicht das Gleiche bringen wie Leute in einer normalen Familie und fallen eventuell schneller aus.“ I.: „Ja, ja.“ B.: „Und das finde ich fatal. Weil sich damit auch schnell die Katze in den Schwanz beißt. Und das finde ich auch etwas zutiefst Unsoziales an unserer Gesellschaft, also etwas ganz Unmütterliches auch. Ja.“ (WF3,25,22)
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WF3 ist Ansicht, manche Alleinerziehende könnten auf dem Arbeitsmarkt nicht das Gleiche leisten wie andere ArbeitnehmerInnen. Sie wünscht sich jedoch eine Gesellschaft, für die dies keinen Grund zur Ausgrenzung darstellt. Die Anerkennung der besonderen Lebensumstände des Alleinerziehens sollte ihrer Ansicht nach zu mehr Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft führen. WM5 kritisiert das Familienbild in den Medien als realitätsfern und beschönigend: „Ja. So die meisten Filme, denn wird das doch irgendwie, gut, die haben halt so wahnsinnig viel Geld. Die Leute, die können sich denn so Personal noch nehmen, denn geht das natürlich super. (…) Naja, denn kann man natürlich dann gut das Leben genießen.“ (WM5,16,17)
OM2 sieht positive und negative Seiten am Alleinerziehen. Auch er kritisiert die nachhaltige Idealisierung der Zwei-Eltern-Familie in den Medien, nimmt jedoch gleichzeitig eine zunehmende Normalisierung des Alleinerziehens wahr: „Na, über die Medien kommt eigentlich immer noch so die Sparkassenwerbung, ist natürlich die glückliche Familie, die noch absolut strahlt und so, also, kann man so nicht sagen. Aber ich denke, allein erziehend wird immer mehr akzeptiert. Also hier im Osten denke ich sowieso und im Westen denke ich auch immer mehr. Also ist nicht mehr so ein Ding. Also weder ist eine Frau dadurch jetzt irgendwie weniger wert oder so was. Also diese klassischen Dinger, ich weiß nicht, ich weiß, wie es früher war und kann es noch nachempfinden, aber ich denke, da hat sich eine Menge geändert.“ (OM2,14,28)
OM4 ist einerseits der Meinung, dass Kinder in Ein-Elter-Familien genauso gut aufwachsen können wie in Zwei-Eltern-Familien. Er ist grundsätzlich offen für unterschiedliche Lebens- und Familienformen ist. Andererseits formuliert er im Interview mehrfach, dass er die Anwesenheit beider Elternteile als wichtig für eine gesunde Entwicklung von Kindern ansieht. Die vier der Gruppe der Ambivalenzen zugeordneten Alleinerziehenden wehren sich gegen Idealisierungen der Zwei-Eltern-Familie, gleichzeitig bleiben subjektive Wünsche diese Lebensform selbst (noch mal) zu realisieren teilweise bestehen. Trotz eines vorhandenen Selbstbewusstseins als Alleinerziehende kommen stellenweise Unsicherheiten darüber zum Ausdruck, inwiefern der andere Elternteil wichtig für die kindliche Entwicklung wäre. Das Selbstbewusstsein als Alleinerziehende drückt sich auch in der Formulierung von Wünschen bzw. Forderungen nach einer größeren gesellschaftlichen Anerkennung dieser Lebensform aus.
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7.4.3 Präferenzen für die Ein-Elter-Familie WF2 sieht Alleinerziehende als gesellschaftlich stigmatisierte Gruppe an. Trotz der zunehmenden Anzahl von Ein-Elter-Familien wird dieser Lebensform ihrer Meinung nach keine gesellschaftliche Anerkennung zuteil: „Und em, find’ ich natürlich ziemlich absurd. Weil es auch eigentlich der Realität nicht mehr gerecht wird. Weil die klassische Familienkonstellation irgendwie, die ist ja rückläufig. Die Scheidungsraten sind hoch. Immer mehr Kinder wachsen bei einem Elternteil auf, überwiegend bei den Müttern. Und es ist ja nun wirklich nicht so, dass die Mütter alle irgendwie beim Sozialamt sitzen und sich die Wohnung bezahlen lassen, wie das immer noch so schön stigmatisiert wird. Das ist ja nun nicht der Fall. Also in meinem Bekanntenkreis kenn ich ehrlicherweise mittlerweile überhaupt keine Frau mehr, die Kinder hat und nicht arbeitet. Müsst ich jetzt mal eben scharf überlegen.“ (WF2,27,46)
Nach der Wahrnehmung von WF2 herrscht ein abwertendes Bild von Alleinerziehenden als Sozialschmarotzer. Ob Kinder besser in Ein- oder in ZweiEltern-Familien aufwachsen, ist für sie eine Frage der konkreten Familienverhältnisse: „Und auch diese anderen Sachen, dass Kinder aus Alleinerziehenden – Familien irgendwie verhaltensauffällig sind, das seh’ ich auch nicht so. Also ich kenne so viele Zwei-Eltern-Familien, wo derartig der Haussegen schief hängt und da sind die Kinder so was von gestört, weil die in einer, so eine schlechte Familienkonstellation rein geraten sind, wo für sie so wenig Aufmerksamkeit da ist, das würd’ ich sagen, das würd’ ich schlichtweg ablehnen da irgendwas wissenschaftlich untermauern zu wollen, find’ ich sehr schwierig, weil das find’ ich ist sehr individuell. Das hat was damit zu tun, ich denke, wie Kinder aufwachsen hat was damit zu tun, inwieweit die Eltern überfordert sind oder nicht.“ (WF2,28,18)
WF2 sieht Alleinerziehende in dem Zwiespalt, als Erwerbstätige dem Vorwurf der Vernachlässigung ihrer Kinder und als Erwerbslose dem Stigma der Inanpruchnahme staatlicher Unterstützungsleistungen ausgesetzt zu sein. Sozialen Wandel erwartet sie in dieser Hinsicht nicht: „Nee, ich denke, das Bild ist da so, irgendwie da, ziemlich schief. Also es schwankt so zwischen die Kinder sind immer stressig, em, und oder die Mütter sind irgendwie immer Schmarotzer, so (lacht). Also, es ist ein ganz komisches Bild, was da herrscht und das, em, das wird sich auch glaub ich so schnell nicht ändern.“ (WF2,29,3)
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Auch wenn sie im Gesamtzusammenhang des Interviews die Situation des Alleinerziehens nicht idealisiert, sondern mehrfach detailliert problematische Situationen anspricht, kommt eine grundsätzlich positive Haltung ihrer Familiensituation gegenüber zum Ausdruck. Ihre bejahende Einstellung zum Alleinerziehen und ihre reflektorischen Möglichkeiten, Stigmatisierungen gegenüber dieser Lebensform zu benennen und zu kritisieren, geben WF2 Kraft zur Bewältigung ihres Alltags. Auch WF4 hat im Laufe des Alleinerziehens ein starkes Selbstbewusstsein gegenüber ihren Erziehungskompetenzen entwickelt: „Ja, bin ich mit zufrieden, nimmt mir keiner das Ruder aus der Hand, labert keiner dazwischen, nee. Auch die Kinder können nicht ausspielen oder so. Wobei ich nicht weiß, ob meine das machen würden, aber sehe ich im Bekanntenkreis eben halt auch, dann wenn ich es bei Mama nicht kriege, gehe ich mal zu Papa oder umgekehrt. Oder auch wenn die getrennt sind aber Kontakt haben, ja, aber Papa hat gesagt, du solltest doch oder wie – nö, so, müssen sie, ich, setzen wir uns ganz direkt auseinander und die Entscheidung fällt…“ (WF4,8,30)
WF4 kritisiert ebenfalls die sozialstrukturell schlechten Lebensbedingungen für Eltern in Deutschland. Die schwierigen Lebensbedingungen Alleinerziehender sollten nicht dazu führen, als Alleinerziehende eine Opfer-Haltung einzunehmen: „Und ich finde, dass manche sich von, ja, von selber schon in so eine Ecke, nicht stellen lassen, sondern selber stellen irgendwie so, arm, hilflos, überfordert. Und das kann meines Erachtens auch anders sein, man muss halt sehen, wie man, was man machen kann.“ (WF4,32,5)
Ähnlich wie WF2 profitiert auch WF4 von ihrer positiven Lebenshaltung und ihrer Kritikfähigkeit gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen. In der Erzählung von OF1 kommt ein weit gefasster Familienbegriff zum Ausdruck, in dem neben Verwandten und Freunden auch mehrere Haustiere Platz finden. Sie erlebt ihr Alleinerziehen heute (der Sohn ist 15 Jahre alt) als Unabhängigkeit, die sie nicht missen möchte. Auch OF1 verfügt über eine positive Lebenshaltung. Wie bereits in den vorangegangenen beiden Fällen trifft bei ihr eine bejahende Grundeinstellung mit einer gesellschaftskritischen Haltung zusammen. Sie entwickelt konkrete Vorstellungen, wie eine familienfreundlichere Gesellschaft zu gestalten wäre: „Also, ich für meine Person denke, es wäre besser, die Arbeitszeit allgemein zu reduzieren für alle, manche wissen nicht, was sie mit ihrer Freizeit halt anfangen sollen, aber viele wissen es und könnten es halt besser mit ihren Kindern und ausgeglichener nutzen. Und ich denke, da wäre es günstig, auch hier so was, wenn
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man ein Kind hat, das als eine Art Arbeitszeit anzurechnen, und das zu vergüten. Also so in diese Richtung da was zu machen. Dass man sagt eben, ein Kind, ob es der Vater oder die Mutter ist, soundso viel Stunden gibt es dafür frei für das Kind. Ab einem bestimmten Alter kann man es ja auch wieder reduzieren die Zeit, weil wie gesagt, mit fünfzehn ist dann nicht mehr so, aber ein Kind wie manche halt schon mit ein oder zwei Jahren von frühmorgens um sechs, sieben bis nachmittags vier, fünf, sechs in die Kita, also ich finde das nicht gut.“ (OF1,25,7)
OF1 äußert hier eine kritische Haltung zur Ganztagskinderbetreuung für Kleinkinder. Diese Haltung stellt unter den Befragten mit Ostherkunft eine Ausnahme dar. Gleichzeitig fordert sie die materielle Anerkennung von Erziehungsarbeit und reduzierte Erwerbsarbeitszeiten für Eltern. Auch in der Erzählung von OF3 kommt eine bejahende Grundeinstellung zur Lebenssituation des Alleinerziehens zum Ausdruck. Sie verfügt über ein vielfältiges soziales Netz und erlebt in ihren sozialen Interaktionen das Alleinerziehen als anerkannte Lebensform: „Nee. Nee, ist schon so, dass die alle sagen, boa, also, Hut ab, würde ich mir nicht zutrauen. Ich sage, ihr würdet euch das genauso zutrauen, wenn ihr vor dieser Situation steht. Dann würdet ihr merken, dass das geht. So, nee, ist schon negativ behaftet, das Alleinerziehen heutzutage, glaube ich, nicht mehr, denke ich nicht.“ (OF3,16,44)
Ihre positive Sicht auf die Ein-Elter-Familie führt OF3 auf ihr sozial und sozialstrukturell gut funktionierendes Leben zurück. OF5 bringt die Zufriedenheit mit ihrer Situation als Alleinerziehende folgendermaßen zum Ausdruck: „Und ich glaube, wenn man zufrieden ist mit seiner Situation, so wie sie ist, also das hat immer Entwicklungschancen, natürlich, alles ist, kann verbessert werden. Aber prinzipiell bin ich halt zufrieden mit meiner Situation und vermittle das glaube ich auch in meiner Person auch meinem Kind. (…) Und denn denke ich, denn ist das auch für das Kind sozusagen, ist es okay, so wie es ist. Wir entbehren nichts, sondern wir leben halt so, wir leben so und andere leben so. Und das ist was Normales.“ (OF5,18,48)
OF5 kritisiert abwertende gesellschaftliche Bilder von Alleinerziehenden: „Und ich würde mir wünschen, dass es halt einfach, (…) dass es einfach mehr Anerkennung gibt für unterschiedliche Familienformen (...). Also dass es eher mehr selbstverständlicher ist. (…) Und also ich, ich finds halt einfach nur ganz wichtig, anderen Leuten zu vermitteln, es ist nicht schrecklich, allein erziehend zu sein. Es kommt einfach darauf an, wie man, wie man damit umgeht und ich glaube, dass es
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auch wichtig ist, eine Zufriedenheit und Gelassenheit mit der Situation zu entwickeln. Das ist natürlich umso schwieriger, je negativer das gesellschaftliche Bild ist. Deswegen finde ich es wichtig, dass das gesellschaftliche Bild positiver ist, einfach, um es den Menschen nicht noch zusätzlich schwerer zu machen. (…) Und ich glaube, dass wenn das irgendwie normaler ist oder einfach auch ja positiver gesehen wird und anerkannt wird, die Arbeit, die man leistet in einer Familie, speziell dann auch noch mal in einer Einelternfamilie, dass es dann sozusagen nicht mehr dieses ganz Schreckliche ist, allein erziehend zu sein. Oder generell nicht zu sagen, um Gottes Willen, das ist eine Alleinerziehende (...). Was kann denn die sein, was kann aus der werden, was kann aus den Kindern werden?“ (OF5,35,16)
Im Vergleich zur BRD heute sieht OF5 die Situation für Alleinerziehende in den späteren Jahren der DDR als positiver an: „Also es ist schon so, dass es normaler war in der DDR und dass selbstverständlicher damit umgegangen wurde auch und aber man trotzdem sozusagen integriert war. Weil man ja gearbeitet hat, und also Kinderversorgen war einfach sichergestellt, wenn man das wollte. Und damit, man hatte einfach Anschluss an so soziale Kontakte. Und ich glaube, das ist sehr wichtig, dass man soziale Kontakte hat. So, und über eine Arbeit, wo man sich selber finanziert und daraus zieht man ganz viel Selbstbewusstsein. Und ich glaube das war, das war positiver. Also jedenfalls so dann in den Achtzigern, die ich mitbekommen habe. Früher kann ich das nicht einschätzen. Also ich glaube, da war's denn auch schon am Anfang, war's denn auch eher noch mehr mit negativen Sachen belastet, glaube ich. Ich weiß, kann ich jetzt auch nicht so, aber ich würde sagen, so in den Achtzigern, die Zeit, die ich so mitbekommen habe, war das, ja, die ist halt allein mit ihren Kindern.“ (OF5,34,10)
WM1 fühlt sich zwar aufgrund schwieriger sozialstruktureller Bedingungen überfordert (siehe Kap. 6), äußert jedoch trotzdem eine grundsätzlich positive Einstellung zur Ein-Elter-Familie. Nach seiner Wahrnehmung werden weder allein erziehende Mütter noch Väter anerkannt. Er geht davon aus, dass er als Mann mehr Anerkennung erfahren würde, wenn er erwerbstätig wäre und keine Erziehungsarbeit leisten würde. Über den historischen Rückblick baut er eine subjektive Distanz zur Zwei-Eltern-Familie auf: „Die (die Politiker, B.R.) wollen halt Familie noch hochhalten. Aber Familie ist auch nur ein Produkt, das eben konstruiert wurde, um Arbeitskräfte auszunutzen. Also ist es dumm, da jetzt noch mit zu argumentieren. Auch die Kirche hat ja, also das eigentliche Familienmodell, also wenn ich jetzt auf die Ehe direkt eingehe, ja auch erst im Mittelalter entwickelt. D. h. das ist alles ja im Prinzip nur gemacht.“ (WM1,25,15)
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Der reflektorische Abstand und die Sicht auf Familie als kulturelles Konstrukt helfen WM1, die nicht erfahrene Anerkennung als Alleinerziehender weniger auf sich als Person zu beziehen. Für WM3 persönlich ist die Ein-Elter-Familie eine Übergangssituation zu einer anderen, kollektiven Lebensform. Eine Rückkehr zur Zwei-Eltern-Familie kann er sich nicht vorstellen. Alleinerziehende sieht er sowohl sozialstrukturell als auch kulturell als benachteiligt an. WM3 erlebt Familienarbeit als gesellschaftlich nicht anerkannt. Über die Benachteiligung Alleinerziehender hinaus kritisiert er die Kinderfeindlichkeit dieser Gesellschaft: „Also dass ich finde, dass diese Gesellschaft relativ kinderfeindlich ist, und dass Kinder viel zu wenig Räume haben, sich in der Stadt zu bewegen, sie viel zu wenig, also durch den Autoverkehr z. B., dass einfach viel zu viel Einschränkungen da sind und viel zu viele Kinder, die in Autos durch die Gegend transportiert und sie nicht in die Lage versetzt werden, selbst sich irgendwie zu bewegen und selbstständig zu werden.“ (WM3,20,14)
Auch OM3 kritisiert den heutigen Mangel staatlicher Unterstützung von Kindern und Ein-Elter-Familien. „Ganz einfach dann die sozialen Hilfen, die waren zu DDR-Zeiten anders. Kindergartenplätze waren vorhanden, da konnten Alleinerziehende arbeiten gehen. Die Krankenkassen waren, alle konnten zum Arzt gehen (…). Dann war da gewesen, dass die in die Schule gegangen sind, Feldspiele gemacht worden sind, waren Kinderferienlager da, und da gab es in der Schule Mittagessen. Da gab es auch Milchgetränke usw.“ (OM3,28,22)
Als negativen Aspekt der DDR-Gesellschaft berichtet OM3 über die Verquickung von Politik und Kindererziehung. Es wurde auf andere Art und Weise Druck auf Familien ausgeübt: „Wie die alle heißen, ( ), die alle nach dem Westen abgehauen sind, weil sie mit dem Staat nicht einverstanden sind, da wurden dann die ( ) Eltern, die Kinder hatten, wurde da schon ein bisschen gegen angekämpft. Da wurden die Kinder entweder weggenommen und ins Heim gesteckt damit sie eine bessere Erziehung haben. Das wurde einfach dann so hingedrückt.“ (OM3,27,9)
OM5 sieht die Entwicklungschancen von Kindern in Ein-Elter-Familien und Zwei-Familien-Familien als gleich gut an. Dies gilt auch für Pflegekinder, die in der Regel besonders viel Aufmerksamkeit benötigen:
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„Ich sag mal, wenn die Eltern fit genug sind für diese Kinder (hier: Pflegekinder, B.R.), dann können sie das auch managen. Vielleicht sogar so ein Stückchen besser, weil sie halt angewiesen sind auf einen optimaleren (…) Einsatz so der eigenen Person, ja? Also wenn zum Beispiel zwei Eltern, man verlässt sich auf den anderen, also mach du mal die Bewerbung oder mach du mal dies. Und der andere, naja. Und wenn man alleine ist, dann muss man's alleine machen, und man macht's denn auch.“ (OM5,14,17)
Die Alleinverantwortlichkeit kann nach Ansicht von OM5 auch eine besondere Klarheit in der Interaktion zwischen Eltern und Kindern mit sich bringen. OM5 beobachtet, dass die Kinder in der heutigen BRD – Gesellschaft wenig sozialen Halt finden und teilweiser Vereinzelung ausgesetzt sind. „Und ich denke, dass unsere Kinder heutzutage immer weniger mit klar kommen. Und dass halt also dieses normale Familienumfeld weg bricht, ja? Sie also keinen Halt mehr finden, und deshalb auch die Gewalt enorm zunimmt, ja? (…) Es fehlen auch, selbst wenn jetzt, ich sag mal, das Kind in den Brunnen gefallen, selbst dann fehlen immer noch Auffangmöglichkeiten. Im Jugendamt wird gesagt, es gibt keine oder weniger Notwendigkeiten für Hilfe von außen.“ (OM5,22,47)
Die beschriebenen Probleme von Kindern sieht er in erster Linie als schichtbezogen und weniger von der Familienform abhängig an. OM5 berichtet, dass das Engagement für Kinder und Familie in der DDR von Seiten des Staates kam, aber auch in sozialen Interaktionen in Nachbarschaft und Verwandtschaft mit größerer Selbstverständlichkeit stattfand: „Und ich denke, dass in der DDR halt doch schon mehr familiärer Zusammenhalt war. Also mehr Kollektiv auch. Also Familie im weiteren Sinne, also nicht bloß Vater, Mutter, Kinder, Oma und so weiter noch, sondern wirklich die Tanten, Onkels spielten eine größere Rolle, aus meiner Sicht. Und dass man als Kind nie, wie soll ich sagen, nie so alleine war wie heute.“ (OM5,21,17)
Zusammenfassend zeigt sich, dass in den hier aufgeführten Interviews die eigene Lebenssituation – auch unter schwierigen Umständen – unter einem bejahenden Blickwinkel gesehen wird. Alleinerziehende, die sich bemitleiden, werden kritisiert, positive Aspekte der kindlichen Sozialisation in Ein-Elter-Familien benannt. Der Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse ist von einer deutlichen Kritik an der Idealisierung der Zwei-Eltern-Familie und an der nicht vorhandenen Anerkennung des Alleinerziehens geprägt. Die Stigmatisierung von Alleinerziehenden wird differenziert kritisiert, materielle Umverteilungen werden als Ausdruck der Anerkennung von Ein-Elter-Familien eingefordert. Gleichzeitig findet nicht nur die Situation von Alleinerziehenden Beachtung, 311
sondern die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen für alle Eltern und Kinder werden problematisiert.
7.4.4 Zwischenfazit Im Überblick entsteht folgende Verteilung von Interviews in die drei Gruppen dieses Unterkapitels: Tabelle 30:
Einstellungen zu unterschiedlichen Familienformen
Bevorzugung der ZweiEltern-Familie WF1, WF5, OF2, OF4, WM2, WM4, OM1
Ambivalenzen WF3, WM5, OM2, OM4
Positive Haltung zur Ein-Elter-Familie WF2, WF4, OF1, OF3, OF5, WM1, WM3, OM3, OM5
Hier werden keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen sichtbar. Auch die Verteilung zwischen Alleinerziehenden mit Ost- und Westherkunft ist weitgehend gleichmäßig. In der zusammenfassenden Beschreibung der drei oben aufgeführten Gruppen zeigt sich für die erste Gruppe eine eher resignative Grundhaltung zum Alleinerziehen, die mit der Bevorzugung von Zwei-Eltern-Familien einhergeht. Die hier nur vereinzelt zum Ausdruck kommende Kritik an den schwierigen Lebensbedingungen Alleinerziehender scheint tendenziell zusammen mit der Ablehnung der derzeit gelebten Lebensform zu einer Beeinträchtigung des subjektiven Wohlbefindens zu führen. Gleichwohl lässt sich bei der dritten Gruppe, in der eine bejahende Einstellung zur Ein-Elter-Familie zum Ausdruck kommt, keine Idealisierung dieser Lebensform feststellen. Stattdessen wird hier detaillierte Kritik an dem Mangel gesellschaftlicher Anerkennung für Alleinerziehende zum Ausdruck gebracht. Die kritische Distanz zu dem nach wie vor gesellschaftlich dominanten Bild der ‚heilen Zwei-Eltern-Familie’ scheint einen positiven Effekt auf das Selbstwertgefühl der Befragten zu haben. Gleichzeitig stellt sich die Haltung ‚das Beste aus der Situation machen zu wollen’ als überaus hilfreich für das subjektive Wohlbefinden der Alleinerziehenden heraus. Es lässt sich also feststellen, dass die Einstellungen Alleinerziehender zu den Familienformen der Ein- und Zwei-Eltern-Familie mit ihrer Kritikfähigkeit
312
an den gesellschaftlichen Verhältnissen und mit einer Grundhaltung dem eigenen Leben gegenüber zusammenhängen.249 Mitbedacht werden muss an dieser Stelle, dass für den Wunsch nach einer Zwei-Eltern-Familie teilweise das Bedürfnis nach einem zweiten für die Familie verantwortlichen Erwachsenen bestimmend sein kann. In den Interviews wird allerdings weniger der Bedarf nach einem/r Ansprechpartner/in als das Bedürfnis nach konkreter Entlastung im Familienalltag ausgesprochen. Dominiert der Wunsch nach der Zwei-Eltern-Familie nicht die subjektive Vorstellungswelt, so können private Kontakte als Ergänzung der Ein-Elter-Familie die Bedürfnisse nach Unterstützung weitgehend erfüllen. Damit wird gleichzeitig dem Bedürfnis nach Unabhängigkeit, welches verschiedentlich formuliert wird, entsprochen. Wie bereits in der Zusammenfassung der Einstellungen zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit (7.3.3), zeigt sich auch hinsichtlich der Einstellungen zu unterschiedlichen Familienformen, dass manche Alleinerziehende insofern als Vorreiter sozialen Wandels gesehen werden können, als sie neue und eigensinnige Definitionen von Familie und Zusammenleben für sich vornehmen. In der folgenden Kreuztabelle werden die Zusammenhänge zwischen den wichtigsten sozialen und sozialstrukturellen Bedingungen der Alleinerziehenden dieses Samples und ihren Familienbildern aufgezeigt:
249
Für alle in der Beziehung zwischen unterschiedlichen Kategorien festgestellten Zusammenhänge gilt, dass sie nicht als kausale Zusammenhänge zu verstehen sind, die nur auf eine bestimmte Art und Weise herzustellen und zu begründen sind.
313
Tabelle 31:
Materiell abgesichert durch Erwerbstätigkeit Private Unterstützung ausreichend vorhanden Materiell abgesichert und private Unterstützung ausreichend vorhanden Weder materiell abgesichert noch ausreichend privat unterstützt
Einstellungen zu unterschiedlichen Familienformen und sozialstrukturelle Situation Bevorzugung der ZweiEltern-Familie
Ambivalenzen
WM2
WF3
Positive Haltung zur Ein-ElterFamilie
OF1, WF4, OF3, OF5
WF5, WF1, WM4, OF2, OF4, OM1
WM5, OM2
OM5
OM4
WF2, WM1, WM3, OM3
Für die Alleinerziehenden des Samples gilt, dass ausreichend vorhandene private Unterstützung eine günstige Bedingung für eine positive Haltung zur Ein-ElterFamilie darstellt (OF1, WF4, OF3, OF5, OM5). Dieser Aspekt, der sich ja bereits in der Analyse der Interviewpassagen zeigte, wird durch den tabellarischen Überblick bestätigt. In sechs Fällen korreliert eine sozialstrukturell problematische Situation mit dem Wunsch nach einer Zwei-Eltern-Familie (WF5, WF1, WM4, OF2, OF4, OM1). Hier ist nahe liegend, dass die Zwei-Eltern-Familie auch als mögliche Lösung der sozialstrukturellen Bedingungen angesehen wird. Über eine positive Haltung zur Ein-Elter-Familie bei sozialstrukturell problematischen Bedingungen wird von vier Alleinerziehenden berichtet (WF2, WM1, WM3, OM3). Bei der Entwicklung dieser positiven Haltung trotz großer alltäglicher Probleme spielen sowohl die Entstehungsgeschichten des Alleinerziehens eine Rolle (z. B. die Entscheidung für das Alleinerziehen von Anfang an bei WF2) als auch die 314
Entwicklung eines kritischen Bewusstseins gegenüber gesellschaftlichen Verhältnissen, die das Leben mit Kindern erschweren und Ein-Elter-Familien Anerkennung auf materieller wie ideeller Ebene versagen (WM1, WM3, OM3). Die Bilder zu Geschlecht (7.1 und 7.2) wurden unter 7.2.6 zusammenfassend dargestellt und diskutiert. Selbiges folgt an dieser Stelle für die Bilder von Familie (7.3. und 7.4), zunächst wiederum anhand einer Übersichtstabelle:
Tabelle 32:
Einstellungen zu unterschiedlichen Familienformen und Mütterlichkeit/Väterlichkeit Mütterlichkeit und Väterlichkeit dichotom gedacht / an biologisches Geschlecht gebunden
Ambivalenzen
Bevorzugung der ZweiEltern-Familie Ambivalenzen
WF1, WM2, WF5
OF2, OM1
WF3
Positive Haltung zur Ein-ElterFamilie
WF2
WM5, OM2, OM4 OF3, OM3
Mütterlichkeit und Väterlichkeit als menschliche Potentiale unabhängig vom biologischen Geschlecht OF4, WM4
WF4, OF1, OF5, WM1, WM3, OM5
Ähnlich wie in der Zusammenfassung der Geschlechterbilder unter 7.2.6 zeigt sich auch hier, dass zwar Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Sichtweisen auf Familie hergestellt werden können, aber keine Kausalitäten in dem Sinne, dass die eine Einstellung (z. B. zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit) in einer überwiegenden Zahl der Fälle mit einer anderen (zu Familienformen) korreliert. Bemerkenswert ist, dass immerhin acht der zwanzig befragten Alleinerziehenden Mütterlichkeit und Väterlichkeit als menschliche Potentiale unabhängig vom biologischen Geschlecht betrachten und dass dies bei sechs von ihnen in Verbindung mit einer positiven Haltung gegenüber der Ein-ElterFamilie steht. Die in der Analyse der Interviewpassagen herausgearbeitete 315
Verbindung zwischen der Sicht auf Mütterlichkeit und Väterlichkeit und den Einstellungen zu unterschiedlichen Familienformen lässt sich also – wenngleich nicht durchgängig - auch in der Übersicht erkennen. Die Familienbilder Alleinerziehender zeigen sich als durch die Diskurse zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit beeinflusst. Sichtweisen auf Mütterlichkeit und Väterlichkeit, welche diese als an das biologische Geschlecht gebundene, dichotom besetzte Eigenschaften bzw. Fähigkeiten verstehen, korrespondieren eher mit Bevorzugungen der Zwei-Eltern-Familie. Werden Mütterlichkeit und Väterlichkeit dagegen losgelöst vom biologischen Geschlecht als menschliche Potentiale verstanden, die sich prinzipiell jede und jeder aneignen kann, so korrespondiert diese Haltung eher mit einer positiven Haltung zur Ein-ElterFamilie bzw. ermöglicht eine solche. Gleichzeitig geben jene Interviewpassagen, in denen in Bezug auf Mütterlichkeit und Väterlichkeit bzw. hinsichtlich Familienformen Ambivalenzen zum Ausdruck gebracht werden, einen Hinweis darauf, dass sich die parallel normalisierenden und abwertenden diskursiven Stränge zu Ein-Elter-Familien wie sie unter 3.4 dargestellt wurden, in den Einstellungen Alleinerziehender spiegeln. In dem hier anschließenden Unterkapitel werden nun die zuvor dargestellten Geschlechter- und Familienbilder Alleinerziehender systematisch zueinander in Beziehung gesetzt. Dies führt zur integrativen Beantwortung der Frage nach den Spielräumen Alleinerziehender in der Konstruktion von Geschlecht und Familie aus den bisher dargelegten Teilaspekten.
7.5 Zusammenführung der Ergebnisse Das Verhältnis zwischen subjektiven Bildern von Geschlecht und Familie in den Erzählungen Alleinerziehender ist in starkem Maße von Ambivalenzen geprägt. Rollendistanz zu traditionellen Geschlechterbildern geht z. B. in der Mehrzahl der Fälle nicht mit einer Sicht einher, welche mütterliche und väterliche Eigenschaften in ihren Entwicklungspotentialen als unabhängig vom biologischen Geschlecht betrachtet. Genauso wenig stimmen subjektive Distanzierungen von traditionellen Geschlechterbildern zwangsläufig mit einer positiven Haltung gegenüber der Ein-Elter-Familie überein. Es lässt sich folglich erkennen, dass bei der überwiegenden Zahl der Befragten dieses Samples Rollendistanz zu traditionellen Geschlechterbildern mit subjektiven Distanzierungsmöglichkeiten zum Ideal der heterosexuellen Zwei-Eltern-Familie zusammenhängen. Daraus ergibt sich jedoch nicht zwangsläufig eine positive Haltung zur Ein-Elter-Familie.
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Durch die differenzierte Darstellung der Erzählsequenzen zu subjektiven Geschlechterbildern konnte verdeutlicht werden, wie differenziert und widersprüchlich sich die Palette von der Reproduktion traditioneller, dichotomer Geschlechterbilder bis zu subjektiven Distanzierungen von diesen Bildern darstellt. Dabei zeigten sich Ambivalenzen nicht nur innerhalb der Einstellungen der Subjekte, sondern auch zwischen Einstellungen und Handeln. Während sich individuelle Handlungen häufig aus Rollenvorgaben und Mustern dichotom geordneter Zuschreibungen gelöst haben, verbleiben die Einstellungen oftmals trotzdem in diesen Denkmustern. Zum Beispiel wurden von einem Teil der allein erziehenden Mütter alle mit Väterlichkeit assoziierten Tätigkeiten ausgeübt - und dies sogar in einem höheren Maße, als die mit Mütterlichkeit assoziierten Tätigkeiten. Trotzdem waren sie der Ansicht, dass ihren Kindern Väterlichkeit (nicht Mütterlichkeit) fehlt. Das Handeln ist hier also bereits von dichotomen Geschlechterbildern losgelöst (Gegenkonstruktion), die Einstellungen jedoch verharren in der Reproduktion von Familienbildern, die auf eben solchen Geschlechterbildern basieren. In welchem inneren Zusammenhang solche Ambivalenzen bei den einzelnen Subjekten stehen, könnte in einer weiteren qualitativen Untersuchung mit einem kleineren Sample und mehreren aufeinander folgenden und aufeinander aufbauenden Interviews untersucht werden. Hier bleibt festzustellen, dass Ambivalenz in keiner Weise Zusammenhangslosigkeit meint. Individuen, die durch ihre Lebensweise von der Norm abweichen, können z. B. der Norm entsprechende Einstellungen gerade deshalb beibehalten, um nicht in eine zu starke Konfrontation mit den dominanten Gruppen der Gesellschaft zu geraten. Insofern sind Ambivalenzen als Ausdruck subjektiver Entwicklung und Auseinandersetzung aber auch als Zeichen für Verunsicherung zu verstehen. In welch starkem Maße diese Ambivalenzen durch die einzelnen Subjekte hindurch gehen, konnte nur durch eine entsprechend differenzierte Datenerhebung und darstellung deutlich werden. Es wurde also einer Forderung feministischer Wissenschaft – nämlich der nach der Erfassung der Komplexität subjektiver Lebenszusammenhänge – Folge geleistet.250 Alleinerziehende sind auf mehreren Ebenen mit dem Aushandeln und Aushalten von widersprüchlichen Realitäten konfrontiert: Wie in Kapitel sechs ausführlich dargestellt wurde, führen die extrem schwierigen Bedingungen zur
250
So stellt Becker-Schmidt kritisch fest: „Nicht nur im Alltagsbewusstsein, sondern auch beim wissenschaftlichen Arbeiten gibt es offensichtlich das psychische Bedürfnis, Widersprüche aus dem Bewusstsein, aus der Wahrnehmung zu eliminieren, um sich von den Spannungen zu befreien, die die Konfrontation mit gesellschaftlichen Ungereimtheiten auslöst.“ (Becker-Schmidt 1990: 114) In dieser Arbeit wurden Widersprüche bewusst nicht geglättet, sondern offen gelegt.
317
Vereinbarung von Familie und Beruf vieler Alleinerziehender oftmals zu einer erheblichen Beeinträchtigung des subjektiven Wohlbefindens. Die Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten der subjektiven Geschlechter- und Familienbilder bringen zusätzliche Belastungen mit sich, die aus der im Verhältnis zu kulturellen Bildern und Normen abweichenden Lebensform des Alleinerziehens resultieren. Für diejenigen, die keine eindeutigen subjektiven Distanzierungen zu den traditionellen Familienbildern entwerfen können - und somit für die Mehrzahl der untersuchten Fälle – entstehen Unvollständigkeitsspannungen251 im Verhältnis zur gesellschaftlich weiterhin idealisierten Lebensform der heterosexuellen Zwei-Eltern-Familie. Die Interviews bringen zum Ausdruck, dass Unvollständigkeitsspannungen teilweise auf dichotomen Geschlechterbildern, auf dem permanent durch Diskurse in Medien und in Interaktionen reproduzierten dominanten Familienideal und zum anderen Teil auf der geringen gesellschaftlichen Anerkennung von Familienarbeit basieren. Die verschiedenen von Levy benannten Spannungszustände (Levy 1977) kumulieren häufig im Leben Alleinerziehender. Sozialstrukturell extrem schwierige Bedingungen und Geschlechter- und Familienbilder, die zu Unvollständigkeitsspannungen führen, bilden eine schwer zu bewältigende Mischung, welche eine Unterstützung der Subjekte durch Gesellschaft und private Kontakte in besonderem Maße erforderlich macht. Selbst wenn einzelne Subjekte in Teilbereichen Distanzierungen zu Geschlechter- und Familienbildern entwickeln oder wenn es ihnen gelingt, ihre sozialstrukturelle Situation zu stabilisieren, bleibt in vielen Fällen – dies wurde durch die in Kapitel sechs und sieben aufgezeigten Interviewpassagen deutlich – das Gefühl, mit dem Rücken zur Wand zu stehen, der Gesellschaft in einer ständigen Verteidigungshaltung gegenübertreten zu müssen. Diese Abseitsstellung im Verhältnis zu der nach wie vor idealisierten ZweiEltern-Familie macht einen Großteil der Alleinerziehenden zu „devianten Subjekten“ und damit Subjekten „deren Identität niemals abgeschlossen ist, (…) deviante Subjekte sind nicht über Zeit und Raum identisch und ihr Ausgangspunkt ist die Differenz innerhalb von Identität.“ (Hark 1996: 174/175)252 Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen in den Geschlechter- und Familienbildern der Subjekte können also auch als Folge ihrer gesellschaftlichen Position als „deviante Gruppe“, die unter ständigem Druck der Neudefinition steht, verstanden werden. Während die Erzählungen eines Großteils der Interviewten von Ambivalenzen und Widersprüchen bestimmt scheinen, so trifft dies bei der relativ 251 252
Siehe Kap. 2.3. Hark bezieht diese Aussagen auf Lesben und Schwule.
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kleinen Gruppe derjenigen, die subjektive Distanz zu geschlechterspezifisch festgelegtem kindlichem Verhalten entwickeln können, nicht oder in weitaus geringerem Maße zu. Hier zeigen sich deutliche Verbindungen von Geschlechter- zu Familienbildern. Subjektive Distanzierungen zu traditionellen Geschlechterbildern das kindliche Verhalten betreffend gehen also in starkem Maße mit Distanzierungen zu traditionellen Familienbildern einher.
Konstruktionen und Sozialstruktur Die Distanzierung von traditionellen bzw. gesellschaftlich dominanten Geschlechterbildern zeigt sich in erster Linie begünstigt von ausreichender materieller Absicherung durch eigene Erwerbstätigkeit. Erst im Zusammenhang mit materieller Absicherung scheint private Unterstützung ihre positiven Effekte entfalten zu können. Die Kombination von privater Unterstützung und eigener Erwerbstätigkeit stellt sich als günstigste Ausgangsbedingung für die Entwicklung von Spielräumen in subjektiven Konstruktionen von Geschlecht dar. Das Fehlen beider Faktoren korrelliert im untersuchten Sample am häufigsten mit Problemen im Selbstverständnis Körper/Geschlecht. Spielräume in der Konstruktion von Geschlecht erweisen sich folglich tendenziell wenn auch nicht durchgängig als sozial und sozialstrukturell begrenzt, was das Selbstverständnis Körper/Geschlecht angeht. Dagegen sind kaum Zusammenhänge zwischen sozialen und sozialstrukturellen Aspekten und den Einstellungen gegenüber dem Geschlechterverhalten der eigenen Kinder zu entdecken – die Erzählungen der Alleinerziehenden zu diesem Themenfeld beschreiben vielmehr einen großen Einfluss von Interaktionen mit dem sozialen Umfeld. Die Entwicklung von Spielräumen in den Bildern von Mütterlichkeit und Väterlichkeit zeigen sich als begünstigt durch private Unterstützung, jedoch nicht als durch ökonomisch problematische Situationen begrenzt. Aus den Interviewpassagen zu diesem Thema entsteht der Eindruck, dass die in Gegenkonstruktionen zu traditionellen Bildern zum Ausdruck kommenden selbstbewussten Haltungen mit einem Protest gegenüber den sozialstrukturell problematischen Bedingungen zusammen kommen. Die subjektiven Gegenkonstruktionen zu Mütterlichkeit und Väterlichkeit zeigen sich besonders deutlich in den Erzählungen über die elterlichen Handlungen im familialen Alltag. Dargestellt wird die Fähigkeit, ehemals jeweils Müttern oder Vätern zugeschriebene erzieherische Kompetenzen in sich zu vereinigen. Beim hier untersuchten Sample ist private Unterstützung bedeutsamer für die Entwicklung einer positiven Haltung zur Ein-Elter-Familie als materielle 319
Absicherung durch eigene Erwerbstätigkeit. Ebenso erweisen sich Interaktionen mit dem sozialen Umfeld erneut als in besonderem Maße einflussreich. Der Mangel an gesellschaftlicher Anerkennung gegenüber der Lebensform des Alleinerziehens ist ein Aspekt, der das Wohlbefinden in dieser Lebensform beeinträchtigt.
Unterschiede zwischen Männern und Frauen Die Männer dieses Samples kommen in der Regel durch die Familiensituation des Alleinerziehens zu einem veränderten Selbstverständnis Körper/Geschlecht und damit zu einer Neudefinition von Geschlechterbildern. Dies wird überwiegend als persönliche Bereicherung beschrieben. Männer vollziehen meistens einen Territoriumswechsel, wenn sie allein erziehende Väter werden. Von manchen wird jedoch über eine bereits vorher vorhandene Distanz zur Geschlechterrolle berichtet: Sie formulieren, sie seien nie ‚typische Männer’ gewesen. Die alltäglichen Erfahrungen im ‚weiblichen Territorium’ der Familienarbeit führen zu einer veränderten Haltung gegenüber der gesellschaftlichen Norm männlicher Vollerwerbstätigkeit. Einschränkend ist zu erwähnen, dass das männliche Privileg der ‚Distanz zur Geschlechterrolle’ weniger durch die freie Wahl der Lebenssituation als durch schicksalhafte Umstände entstanden ist. Die befragten allein erziehenden Frauen berichten schwerpunktmäßig über Probleme mit ihrem Selbstverständnis Körper/Geschlecht. Sie definieren sich in viel stärkerem Maße als die Männer in Bezug auf gegengeschlechtliche Interaktionen. Das Verhältnis zu ihrem Körper scheint sich angesichts der Situation, ‚ohne Mann’ zu leben, teilweise annähernd aufzulösen. Die Unabhängigkeit von einer/m PartnerIn wird dagegen von Männern eher positiv als Erweiterung ihrer Handlungsspielräume beschrieben. Obwohl die Einstellungen von Frauen und Männern zum Geschlechterverhalten ihrer Kinder sich im Großen und Ganzen nicht unterscheiden, bleibt festzustellen, dass insbesondere Westmütter Probleme mit dem Geschlechterverhalten ihrer Söhne zum Ausdruck bringen. Es entsteht der Eindruck, dass die in Kapitel 3.5.2 beschriebenen Diskurse zu Geschlechtsidentität auf diese Gruppe besondere Wirkungen ausüben. Dieser Eindruck wird durch die Erzählungen zum Themenfeld Mütterlichkeit/Väterlichkeit bestärkt: Die im Forschungsstand (Kap.4) für die Gesamtgruppe der Alleinerziehenden beschriebene geringere Nachfrage von Unterstützung durch allein erziehende Männer im Vergleich zu allein erziehenden Frauen (Stiehler 2000)
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konnte durch diese Untersuchung nicht bestätigt werden. Viele der allein erziehenden Väter des hier untersuchten Samples suchten aktiv nach Hilfen. Dass allein erziehende Väter leichter als allein erziehende Mütter ein Selbstbewusstsein gegenüber ihrer neuen Rolle entwickeln können, kann u. a. damit erklärt werden, dass die innerfamiliale Rolle des Vaters erheblich weniger normativ aufgeladen zu sein scheint als die der Mutter – Männer verfügen hier über größere subjektive Spielräume bei der konkreten Ausgestaltung ihres Umgangs mit den Kindern. Insgesamt gesehen füllen sie die elterlichen Aufgaben mit größerer Leichtigkeit aus als die Mütter. Gleichzeitig fordern sie ihre Kinder aber auch mehr, indem sie sie z. B. intensiver in die Hausarbeit einbeziehen. Frauen dagegen richten sich häufiger nach dem der traditionellen Ideologie entsprechenden Bild einer Mutter, die sich für die Kinder aufopfert und ihre eigene Bedürfnisse zurückstellt. Sie empfinden öfter ein schlechtes Gewissen, zweifeln an ihren erzieherischen Fähigkeiten und fürchten, den Anforderungen von Beruf und Familie nicht gerecht werden zu können.
Ost/West – Unterschiede Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist der Themenbereich, in dem die Unterschiede in den Konstruktionen von Geschlecht und Familie zwischen den befragten Alleinerziehenden aus West- und Ostdeutschland am deutlichsten werden. Für die große Mehrheit der Mütter mit Ostherkunft ist die Vereinbarung von Erwerbstätigkeit und Familienarbeit eine weitgehende Selbstverständlichkeit, welche an den Voraussetzungen des Arbeitsmarktes scheitern kann, jedoch kaum an der Bereitschaft, institutionelle Kinderbetreuung in Anspruch zu nehmen. Der Rückblick auf die Situation der Familien in der ehemaligen DDR fällt in der Regel positiv aus. Der Zugang zu Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung sowie eine Alltagsatmosphäre, die als durch mehr Kommunikation und weniger Isolation geprägt beschrieben wird, werden im Vergleich zu der heutigen Situation in der BRD eindeutig positiver bewertet. Dies gilt in erster Linie für jene Alleinerziehende mit Ostherkunft, die heute über keine materielle Absicherung durch eigene Erwerbstätigkeit verfügen und für die sich die doppelte Transformation (siehe Kap.3.3) negativ ausgewirkt hat. Bei den Alleinerziehenden mit Westherkunft kommt Skepsis gegenüber institutioneller Kinderbetreuung von unter Dreijährigen sowie Ganztagskinderbetreuung auch von älteren Kindern zum Ausdruck. Für sie stellt sich die Vereinbarung von Beruf und Familie erheblich komplizierter dar als für die Mütter mit Ostherkunft. 321
8 Resümee
Alleinerziehende entwickeln Spielräume in der Konstruktion von Geschlecht und Familie. Deren Ausmaß und Beschaffenheit erweist sich – entsprechend den heterogenen Lebenssituationen – als vielfältig und in starkem Maße ambivalent. Im Verhältnis der Konstruktionen von Geschlecht und Familie zueinander ergibt sich der Eindruck von subjektiven Bewegungen, bei denen zwei Schritte in Richtung Dekonstruktion in einem Bereich oftmals einen Schritt pro Tradition in einem anderen Bereich bedingen. So können z. B. auch Eltern, deren Verständnis von Mütterlichkeit bzw. Väterlichkeit sich von dichotomen Geschlechterbildern gelöst hat, von ihren Kindern geschlechtertypisches Verhalten erwarten bzw. deren geschlechteroffenes Verhalten als Problem erleben. Die Subjekte bewegen sich somit im Spannungsfeld zwischen Reproduktion und Modifikation des dichotom gedachten Geschlechterverhältnisses und traditioneller Familienstrukturen. Diese Vor- und Zurück- Bewegungen zwischen postmodernen und traditionellen Einstellungen und Handlungen spiegeln die derzeitige institutionelle und diskursive gesellschaftliche Situation wider.
Die Bedeutung sozialstruktureller Rahmenbedingungen Von zentraler Bedeutung für die soziale und sozialstrukturelle Situation von Alleinerziehenden wie auch für die Konstruktionen von Geschlecht und Familie ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben. Hier zeigt sich die bundesdeutsche Gesellschaft in ihren Äußerungen über und Anforderungen an die Subjekte nach wie vor widersprüchlich. Während einerseits SozialschmarotzerDiskurse über diejenigen existieren, die staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen, um ihre Familienarbeit leisten zu können, sind doch andererseits die institutionellen Voraussetzungen für die Vereinbarung von Familie und Beruf weiterhin ungenügend. Die ‚doppelte Vergesellschaftung’ (s. Kap.2) bedeutet bis heute in Deutschland eine Zerreißprobe für alle Frauen und Männer mit Familienaufgaben und in besonderem Maße für Alleinerziehende. Der Alltag erwerbstätiger Alleinerziehender ist teilweise extrem von Zeitnot gekennzeichnet.
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In der Regel stellen weder Arbeitsmarktstrukturen noch Kinderbetreuungsinstitutionen die Bedingungen bereit, unter denen die Vereinbarung von Familie und Beruf weitgehend konfliktfrei möglich wäre. Somit werden traditionelle Familienmodelle mit Arbeitsaufteilungen zwischen einem Haupternährer und einer Familienzuständigen weiterhin impliziert. Hier sind allerdings nach wie vor Ost/West – Unterschiede festzustellen. Bis heute sind in Ostdeutschland die institutionellen Kinderbetreuungsstrukturen erheblich umfangreicher ausgebaut als im Westen. Die Interviews zeigten deutlich, dass die Schwierigkeit bis Unmöglichkeit, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren, negative Folgen für das subjektive Wohlbefinden der Mehrzahl der Alleinerziehenden hatte. Mangelndes subjektives Wohlbefinden lässt sich mit Levy als Resultat unterschiedlicher Spannungszustände erklären: So führen divergierende Statuspositionen in unterschiedlichen Handlungsfeldern zu Ungleichgewichtsspannungen. Rangspannungen sind als Folge von gesellschaftlichen Positionen, die subjektiv als ungenügend empfunden werden, zu erwarten. Wie die Untersuchung der sozialen und sozialstrukturellen Lebensumstände gezeigt hat, lässt sich für die Alleinerziehenden des hier untersuchten Samples sagen, dass erwerbslose Alleinerziehende sich in der Regel in einer Statuskonfiguration befinden, welche Rangspannungen zur Folge hat. Sie empfinden die fehlende gesellschaftliche Anerkennung von Familienarbeit besonders deutlich und berichten über mangelnde soziale Einbindung sowie die Einschränkung gesellschaftlicher Partizipation. Die Vereinbarungsprobleme erwerbstätiger Alleinerziehender dagegen bringen Ungleichgewichtsspannungen mit sich. Deren Alltag ist ein ständiger Balanceakt zwischen Erwerbs- und Familienarbeit. Gleichzeitig schlagen sich erworbene Qualifikationen oftmals nicht in einem angemessenen Einkommen nieder. Ein hoher beruflicher Status kann allerdings einen Schutz vor offenen Abwertungen aufgrund der abweichenden Familienform bedeuten. Unvollständigkeitsspannungen, basierend auf der an der kulturellen Norm gemessen abweichenden Lebensform des Alleinerziehens, können durch andere Statuselemente, z. B. funktionierende private Netzwerke, abgemildert werden. Gesellschaftliche Figurationen, welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschweren bis verunmöglichen, stützen im Sinne der Goffmanschen Interaktionsordnung (vgl. Kap.2) traditionelle Konstruktionen von Geschlecht und Familie, in denen Männlichkeit bzw. Väterlichkeit mit Vollerwerbstätigkeit gleichgesetzt wird und Weiblichkeit bzw. Mütterlichkeit mit Sorgearbeit und Konzentration auf die Familie einhergeht. Gleichzeitig lassen sich keine deterministischen Verbindungen zwischen sozialen bzw. sozialstrukturellen Bedingungen und Konstruktionen von Geschlecht und Familie feststellen. Im Sinne der von Goffman beschriebenen 324
‚losen Koppelung’ zwischen Sozialstruktur und kulturellen Darstellungsformen werden soziale Strukturen vielmehr als ein vielschichtiger Rahmen wirksam, innerhalb dessen kulturelle Bilder durch die Subjekte reproduziert bzw. modifiziert werden. Weder lässt sich aus einem bestimmten sozialstrukturellen Aspekt, z. B. dem Einkommen, auf die Ausprägung bestimmter Konstruktionen von Geschlecht und Familie schließen, noch lässt sich sagen, dass zwischen ökonomischer Situation und kulturellen Bildern keine Beziehung besteht. Vielmehr wird durch die Erzählungen der Alleinerziehenden verdeutlicht, dass die alltäglichen Interaktionen auf heterogene Art und Weise durch den sozialen Status mit bestimmt werden. Aus der Sicht der Alleinerziehenden sind vor dem Hintergrund dieser sozialstrukturellen Bedingungen moderne Familienbilder nicht grundsätzlich als positiv und traditionelle Vorstellungen nicht grundsätzlich als negativ zu bewerten. Ein eher traditioneller Aspekt, der von den Alleinerziehenden als bedeutsam für ihr subjektives Wohlbefinden klar herausgestellt wird, ist die Bedeutung von Zeit für die und in der Familie. Die in dieser Arbeit sowohl in Bezug auf die Gesamtgruppe der Alleinerziehenden wie auch auf das spezifische Sample aufgezeigte Zeitknappheit im Alltag erwerbstätiger Eltern muss als ein Aspekt postmoderner Gesellschaften gesehen werden, der die Subjekte erheblich belastet. Es zeigt sich, dass Familienleben nicht in eine abendliche Stunde ‚quality – time’ wegrationalisiert werden kann. Wie von den Alleinerziehenden dieses Samples detailliert formuliert wurde, wirkt sich ständiger Zeitdruck negativ auf familiale Interaktionen aus. Für Alleinerziehende ist soziale Unterstützung von Verwandten und Freunden auf unterschiedliche Art und Weise von Bedeutung: Im Sinne verlässlicher Interaktionspartner für Eltern wie Kinder und als praktische Entlastung durch Unterstützung im Alltag. In diesem Sample waren verlässliche Unterstützungsbeziehungen jedoch nur fragmentarisch vorhanden. Dies lässt sich als negative Konsequenz des Zerfalls sozialer Bindungen in der postmodernen Gesellschaft deuten.
Die Bedeutung kultureller Rahmenbedingungen Spielräume in der Konstruktion von Familie zeigen sich also als insbesondere durch Arbeitsmarktbedingungen und Kinderbetreuungsstrukturen sozialstrukturell begrenzt. Wenn aufgrund der gegebenen Bedingungen keine Zufriedenheit mit der Lebensform erreicht werden kann, so kann dies kaum ohne Konsequenzen für die Einstellung zu eben dieser bleiben. Parallel dazu lassen sich auch
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kulturelle Begrenzungen der subjektiven Spielräume von Geschlecht und Familie ausmachen: Das Selbstverständnis Körper/Geschlecht der befragten Alleinerziehenden stellt sich in hohem Maße über institutionalisierte Interaktionen mit dem anderen Geschlecht her. Weiblichkeit und Männlichkeit werden im Verhältnis zum anderen Geschlecht erlebt und mit dichotomen Stereotypen belegt. Das Erleben der eigenen Körperlichkeit in der heterosexuellen Interaktionsordnung zeigt die subjektiven Spielräume in der Konstruktion von Geschlecht als weitgehend auf dichotome Geschlechterbilder begrenzt. Ergebnisse der Geschlechterforschung, denen zufolge Geschlecht als soziale Konstruktion zu betrachten ist, sind nur sehr begrenzt ins Alltagsbewusstsein der in dieser Untersuchung befragten Subjekte vorgedrungen. Vielmehr zeigte die im dominanten gesellschaftlichen Diskurs mit Beständigkeit reproduzierte binäre Zuordnung in ein zweigeschlechtliches Ordnungssystem Wirkung. Dabei wirken die dichotomen Geschlechterbilder auf Frauen und Männer in unterschiedlicher Art und Weise: Frauen erleben sich ohne gegengeschlechtliche Partnerschaft eher als unvollständig, während Männer die Vorteile der Unabhängigkeit von einer Partnerschaft betonen. Für Frauen wie Männer des in dieser Arbeit untersuchten Samples gilt gleichermaßen die Tendenz, an das Verhalten ihrer Kinder Erwartungen zu knüpfen, welche traditionellen Geschlechterbildern entsprechen. Es bestätigt sich hier die Theorie von Berger/Luckmann, wonach sich Konstruktionen im Prozess der Weitergabe an die nächste Generation stabilisieren: „Die Objektivität der institutionalen Welt ‚verdichtet’ und ‚verhärtet’ sich, nicht nur für die Kinder, sondern – mittels eines Spiegeleffektes – auch für die Eltern. Aus dem ‚da wären wir wieder einmal’ wird ein ‚So macht man das“. Eine Welt, so gesehen, gewinnt an Festigkeit im Bewusstsein. Sie wird auf massivere Weise wirklich und kann nicht mehr so einfach verändert werden.“ (Berger und Luckmann 1999 [1969]: 63)
Elternschaft scheint somit grundsätzlich eine Tendenz zur Traditionalisierung innezuwohnen. Besonders in der Weitergabe an die nächste Generation erfolgen Sanktionierungen uneindeutiger Geschlechtsidentitäten, auch durch die soziale Umwelt. Die im Konzept des Doing Gender herausgearbeitete Unvermeidbarkeit der interaktiven Herstellung von Geschlecht kommt in den Einstellungen zum kindlichen Verhalten besonders deutlich zum Ausdruck: Auch jene Eltern, die sich als geschlechteroffen begreifen, zeigten stellenweise diese sanktionierenden Verhaltensmuster. Die Beobachtung, dass ihre Kinder, obwohl sie zum Spiel mit geschlechtsspezifischem Spielzeug des jeweils anderen Geschlechts angeregt wurden, fortgesetzt geschlechtsspezifisches Verhalten zeigten, wurde von den 326
Eltern als Beweis für die Natürlichkeit binären Geschlechterverhaltens interpretiert. Hier lässt sich eine subjektive Unterschätzung kultureller Einflüsse konstatieren, welche über traditionelle Diskurse zu Geschlechtsidentität konstruiert werden. Die kritische Formulierung von Hagemann-White scheint immer noch zu gelten: „Unabhängig von der Art, wie konkrete Eltern und Erziehungspersonen die eigene Haltung zur Geschlechterordnung definieren, erzwingt unsere Kultur eine Selbstzuordnung als Mädchen oder Junge im Unterschied zum jeweils anderen Geschlecht als Bedingung der Möglichkeit von Identität.“ (Hagemann-White 1988: 234)
Es findet sich Goffmans Theorie bestätigt, der zufolge regelkonforme Interaktionen nicht unbedingt mit der Zustimmung zu gesellschaftlichen Normen einhergehen, sondern eher der ‚Macht der Gewohnheit’ sowie der Angst vor Ausgrenzung entspringen. Im Exkurs zu Psychoanalyse und Geschlecht (Kap.3.3.2) wurde aufgezeigt, dass die Entwicklung einer ‚gesunden Geschlechtsidentität’ auch in kritischen feministischen psychoanalytischen Ansätzen (Olivier, Chodorov) an das kindliche Aufwachsen in der heterosexuellen Zwei-Eltern-Familie geknüpft wird. Dabei ist die Identifikationsmöglichkeit mit einem gleichgeschlechtlichen Elternteil in der Familie ein wesentliches Moment des Diskurses. Dieses Diskurselement spiegelt sich in einem großen Teil der Erzählungen von Alleinerziehenden, die mit Kindern des anderen Geschlechts zusammen leben. Unabhängig vom kindlichen Verhalten wird von einem Defizit gleichgeschlechtlicher Identifikation ausgegangen. Dagegen betrachten dekonstruktive psychoanalytische Ansätze die lebenslang festgelegte, dichotom aufgeteilte Geschlechtsidentität als psychische Spaltung und somit seelisch ungesunde kulturelle Konstruktion (Benjamin, Goldner). Letztgenannte Ansätze sehen für eine gesunde kindliche Persönlichkeitsentwicklung ein Spektrum unterschiedlicher Bezugspersonen für Kinder als förderlich an. Dieses Modell ist nicht mehr an die heterosexuelle Zwei-ElternFamilie gekoppelt und bietet auch Alleinerziehenden mit gegengeschlechtlichen Kindern eine diskursive ‚Distanzierungsmöglichkeit’ von der Sicht auf ihre Familienform als defizitär. Im Verhältnis zum traditionellen Diskurs um Geschlechtsidentität finden diese ‚Gegendiskurse’ jedoch noch relativ wenig Verbreitung. Die Spielräume in den Konstruktionen von Geschlecht und Familie zeigen sich, zusätzlich zur bereits festgestellten sozialstrukturellen Begrenzung, folglich auch als kulturell begrenzt. Besondere Bedeutung erlangen hier die dominanten
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Vorstellungen vom Erwerb einer ‚gesunden Geschlechtsidentität’, gekoppelt an bestimmte Beziehungs- und Familienkonstellationen. Hinsichtlich der Bilder von Mütterlichkeit und Väterlichkeit sind sowohl Parallelen als auch gegenläufige Tendenzen zwischen Diskursen und empirisch erfasster subjektiver Alltagsrealität zu erkennen: In den Diskursen zu Väterlichkeit zeigen sich Bewegungen und Veränderungen. Vätern werden wortwörtlich mehr Spielräume in der Eltern-Kind Beziehung zugestanden. Diese Spielräume werden von den in dieser Untersuchung befragten Vätern auch genutzt und gelebt. Die befragten allein erziehenden Väter unterscheiden sich von der Gesamtgruppe allein erziehender Väter, da sie sich weitgehend vom gesellschaftlichen Diktum der männlichen Vollerwerbstätigkeit lösen. Diese wird in der subjektiven Wertigkeit nicht über das Familienleben gestellt. Die meisten der hier befragten Männer entsprechen nach dem Kategoriensystem von Matzner dem familienzentrierten Vater, der die Interaktion mit den Kindern für seine eigene Persönlichkeitsentwicklung als wichtig erachtet (Matzner 2004). Diese Einstellung ist jedoch massiven Korrekturversuchen aus dem sozialen Umfeld der Väter ausgesetzt. Die Väter werden dazu gedrängt, der Vollerwerbstätigkeit eine höhere Priorität als dem Familienleben einzuräumen. Der Diskurs um Mütterlichkeit zeigt im Unterschied zum Väterlichkeitsdiskurs kaum neue Qualitäten, Mütter bleiben die Sorgenden und Nährenden. Der Diskurs handelt – eher quantitativ orientiert - fast ausschließlich davon, ob von dieser sorgenden Mutter bei gleichzeitiger Erwerbstätigkeit genug für die innerfamiliale Interaktion übrig bleibt. In der Alltagsrealität der befragten Mütter zeigt sich ein Auseinanderklaffen von Einstellungen und Handlungen – die Handlungen lösen sich oftmals von traditionellen Bildern, die Einstellungen verbleiben in traditionellen Mustern. Insgesamt gesehen weisen die subjektiven Konstruktionen von Geschlecht und Familie weniger regionale (Ost/West) Unterschiede, als Differenzen nach Geschlecht auf. In heutigen Diskursen um Familie scheinen sowohl Tendenzen abnehmender Stigmatisierungen Alleinerziehender als auch ein enormes Beharrungsvermögen von Idealisierungen der heterosexuellen Zwei-Eltern-Familie auf. Beide Aspekte lassen sich auch in den Erzählungen Alleinerziehender ausmachen. Dabei zeigt sich, dass sich Normalisierungsprozesse des Alleinerziehens im Sinne der Anerkennung der gelebten Lebensform durch die Alleinerziehenden selbst und ihrer sozialen Umgebung positiv auf das individuelle Wohlbefinden auswirken. Die Entwicklung einer bejahenden Haltung zum Alleinerziehen, von Bewältigungsstrategien für auftauchende Probleme und von Kritikfähigkeit gegenüber einer als weitgehend familienfeindlich erlebten Gesellschaft zeigen sich als wesentliche Elemente bei der Entwicklung von 328
subjektiven Spielräumen in der Konstruktion von Familie. Etliche der befragten Alleinerziehenden thematisieren den Mangel an Anerkennung von Familien und Kindern in der heutigen bundesdeutschen Gesellschaft. Der Überblick über die verschiedenen Aspekte im Leben Alleinerziehender, in denen Konstruktionen von Geschlecht und Familie bedeutsam sind, zeigt, dass ein defizitäres Selbstverständnis der eigenen Familienform sich tendenziell negativ auf das subjektive Wohlbefinden der Betroffenen auswirkt. Hier geht es andersherum nicht um Idealisierungen – weder der Ein-Elter-Familie noch der Familienarbeit als solcher. Diese würden, wie sich theoriegeschichtlich u. a. an dem Konzept des ‚weiblichen Arbeitsvermögens’ sehen lässt (vgl. Kap.2), zu neuen Festlegungen und Eingrenzungen führen. Die bereits eingangs erwähnte stark ausgeprägte Ambivalenz in einerseits Verinnerlichung traditioneller und andererseits Rezeption und Konstruktion moderner bis postmoderner Bilder von Geschlecht und Familie ist ein wesentliches Ergebnis dieser Arbeit. Die Subjekte lassen sich nicht an diesem oder jenen Punkt auf einer abstrakten Skala des sozialen Wandels einordnen. Der soziale Wandel geht vielmehr – und dies auf höchst unterschiedliche Art und Weise – quer durch die Subjekte hindurch und zwingt sie zum Aushalten von Uneindeutigkeiten in ihren Einstellungen sowie von Ambivalenzen zwischen Einstellungen und Handlungen. Erstarktes Selbstbewusstsein gegenüber der Lebensform der Ein-Elter-Familie geht innerhalb der einzelnen Erzählungen Hand in Hand mit Sichtweisen auf diese Familienform als defizitär. Trotzdem lassen sich oftmals eigensinnige, im Sinne von selbstbewusst devianten, Haltungen der Subjekte in den Erzählungen der Alleinerziehenden ausmachen. Inwieweit Alleinerziehende in der Entwicklung solch eigensinniger Haltungen als Vorreiter sozialen Wandels gesehen werden können, ließe sich nur in einer weiteren Untersuchung mit anderen Familienformen als Vergleichsgruppen herausfinden. Zwar sind unter den gegenwärtigen sozialen und sozialstrukturellen Bedingungen materielle Absicherung durch eigene Erwerbstätigkeit und ausreichende private Unterstützung diejenigen Faktoren, die, zusammengehend, mit weitgehendem subjektivem Wohlbefinden korrespondieren. Andererseits ließen sich zwar Tendenzen, aber keine durchgehenden Zusammenhänge zwischen sozialen und sozialstrukturellen Lebensbedingungen und Konstruktionen von Geschlecht und Familie ausmachen. Unter günstigen sozialen und sozialstrukturellen Bedingungen werden sowohl moderne als auch traditionelle Geschlechterund Familienbilder reproduziert und konstruiert. Dies lässt auf den großen Einfluss der heutigen – wie oben dargestellt ambivalenten - gesellschaftlichen Diskurse zu Geschlecht und Familie schließen. Es ist also weder auf subjektiver noch auf institutioneller oder diskursiver Ebene ein gerader, eindeutiger Weg in 329
Richtung eines sozialen Wandels, welcher größere Spielräume in der Konstruktion von Geschlecht und Familie erlauben würde, auszumachen.
Weiterführende Forschungsfragen Aus den beschriebenen Ergebnissen ergeben sich folgende weiterführende Forschungsfragen: Z. B. wäre es interessant, Geschlechter- und Familienbilder im Vergleich zwischen Ein-Elter-Familien und Zwei-Eltern-Familien zu untersuchen. Insbesondere ließe sich danach fragen, ob sich Erwartungshaltungen an das Geschlechterverhalten der Kinder in den verschiedenen Familienformen unterschiedlich stark ausgeprägt zeigen, bzw. mit differierenden Argumentationsmustern begründet werden. Eine solche Fragestellung schlösse das Augenmerk auf homophobe Einstellungen mit ein. Untersuchungen, die Reaktionen der sozialen Umwelt gegenüber devianten Familienformen, z. B. homosexuellen Eltern, stärker in den Mittelpunkt rücken als dies im Rahmen dieser Arbeit möglich war, könnten weiteren Aufschluss über Ausmaß und Qualität sozialen Wandels geben. Hier wäre das Augenmerk darauf zur richten, wie sich Geschlechter- und Familienbilder in der pädagogischen und psychologischen Praxis niederschlagen, unter besonderer Berücksichtigung des Diskurses um ‚gesunde Geschlechtsidentität’. Aber auch soziale Interaktionen auf Arbeitsämtern etc. wären einen genaueren Blick hinsichtlich der transportierten Bilder von Geschlecht und Familie wert. Für weitere wissenschaftliche Forschungen stellt sich z. B. die Frage, ob die in dieser Untersuchung von einigen Alleinerziehenden beschriebene amtliche Beratungspraxis, in der die familiale Lebenssituation weitgehend ignoriert wird, dem Regelfall entspricht oder eher die Ausnahme darstellt.
Schlussfolgerungen Die Reflexion der Diskurse um Väterlichkeit und Mütterlichkeit in Verbindung mit den Familienrealitäten Alleinerziehender zeigt, dass für die Entwicklung größerer subjektiver Spielräume in den Konstruktionen von Geschlecht und Familie eine kritische Diskussion vonnöten ist. Bereits den Begriffen der Mütterund Väterlichkeit wohnt ja die Verbindung mit dem Geschlecht inne. Somit transportieren diese Begriffe nahezu zwangsläufig stereotype Bilder. Es ist also zu bedenken, ob nicht neue Begrifflichkeiten, wie z. B. der Terminus der ‚Elterlichkeit’, gesucht und verbreitet werden sollten, wenn es darum geht, innerfamiliale Aufgaben von dichotomen Geschlechterbildern zu lösen. 330
Folgende politische Schlussfolgerungen lassen sich aus den gewonnenen Ergebnissen ziehen: Es bedarf einer besseren Abstimmung von Arbeitsmarkt- und Familienpolitik, um Alleinerziehenden eine ihrem hohen Einsatz an Zeit und Energie entsprechende Lebensqualität mit ihren Kindern zu ermöglichen. Erfreulicherweise sind in den letzten Jahren Tendenzen zur Umorientierung, z. B. in Form des Ausbaus institutioneller Kinderbetreuung und der Auditierung familienfreundlicher Betriebe, festzustellen. Die besondere Lebenssituation Alleinerziehender sollte in diesen Prozessen berücksichtigt werden. Die oben aufgezeigten Erzählungen der Alleinerziehenden zeigen, dass manchmal schon ein verständnisvoller Arbeitgeber von unschätzbarem Wert für die/den Einzelne/n sein kann. Für erwerbstätige Alleinerziehende, deren Einkommen am Existenzminimum liegt, wären ergänzende Hilfen wichtig, um auf einen materiellen Status zu kommen, der ihnen und ihren Kindern die Partizipation am sozialen und kulturellen Leben ermöglicht. Solche Zuschüsse gibt es derzeit nicht. Auf eine andere als die von den Befragten beschriebene sozialstaatliche Unterstützung wären auch die Alleinerziehenden ohne Berufsausbildung bzw. mit abgebrochenem Hochschulstudium angewiesen, um in eine dauerhafte Erwerbstätigkeit zurückfinden zu können. In den Erzählungen der betroffenen Alleinerziehenden kommt eine starke Motivation zur Erwerbsarbeit zum Ausdruck. Sozial- und Arbeitsmarkt- politisch würde es mehr Sinn machen, z. B. eine zweibis drei- jährige Ausbildung zu finanzieren, als eine Langzeitarbeitslosigkeit für die verbleibenden 20 bis 30 Lebensjahre mit evtl. kurzen Unterbrechungen durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie z. B. Ein-Euro-Jobs. Auch amtliche Beratungspraxen, in denen Alleinerziehenden Arbeitsplätze mit Schichtdienst oder in anderen Städten angeboten werden, bzw. Erziehungsberatungen, in denen von Erwerbstätigkeit vollständig abgeraten wird, gehen an der Lebensrealität der Betroffenen und an der Vereinbarungsnotwendigkeit von Beruf und Familie vollständig vorbei. Von Seiten der Familien- und Sozialpolitik sowie des Arbeitsmarktes wäre es sinnvoll, ein Gleichgewicht zwischen Familien- und Erwerbssphäre anzustreben, welches in Zeit- und Anforderungsprofilen beiden Bereichen gerecht wird. Für die Entwicklung eines solchen Gleichgewichts wären sowohl die stärkere gesellschaftliche Anerkennung von Familienarbeit als auch eine bessere Kooperation von Familien- und Arbeitsmarktpolitik zwingende Voraussetzungen. Festzuhalten bleibt, dass institutionelle Bedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie wesentliche Elemente für die Eröffnung bzw. Begrenzung von Spielräumen in der Konstruktion von Geschlecht und Familie darstellen. 331
Für eine weitere Öffnung der subjektiven Spielräume von Geschlecht und Familie scheint der Eingang dekonstruktiver Theorien in pädagogische und psychologische Diskurse, Ausbildungen und Praxen, sowie in die Familienbildung bedeutsam zu sein. Dabei geht es nicht darum, die Bedeutung mehrerer ‚relevanter Erwachsener’ für Kinder zu negieren. Eine Diskursöffnung könnte vielmehr die differenzierte Betrachtung der heterogenen Alltags- und Lebensrealitäten von Familien ermöglichen. Einerseits müssen die konkreten Lebenswirklichkeiten der Subjekte berücksichtigt, andererseits muss die Notwendigkeit der Stabilisierung von Geschlechtsidentität in Frage gestellt werden, um neue Handlungsräume zu eröffnen. Eine derartige Praxis erfordert die Bewusstmachung und das Aushalten von Uneindeutigkeiten und Ambivalenzen (vgl. Baumann 1995), denen die Subjekte in der postmodernen Gesellschaft – wie durch diese Arbeit empirisch belegt wurde – in hohem Maße ausgesetzt sind. Aus den obigen Feststellungen folgt, dass es sich bei Alleinerziehenden um eine zweidimensional benachteiligte Gruppierung handelt, für die sowohl materielle bzw. institutionelle Hilfe als auch gesellschaftliche Anerkennung wichtig ist: „Zweidimensional benachteiligte Gruppierungen erleiden sowohl ökonomische Benachteiligungen als auch mangelnde Anerkennung und dies in einer Form, in der keine der beiden Arten von Ungerechtigkeit eine indirekte Wirkung der anderen darstellt, in der vielmehr beide primär und gleichursprünglich sind. Mithin wird in diesem Falle weder eine Politik der Umverteilung noch eine solche der Anerkennung allein ausreichen. Zweidimensional niedriggestellte Gruppierungen brauchen beides. (Fraser in: Fraser und Honneth 2003: 32)
Alleinerziehende formulieren den Mangel an Anerkennung ihrer Lebenssituation als einen wesentlichen belastenden Aspekt. Diesen Mangel erleben sie in ihren alltäglichen Interaktionen, in Medien und in Diskursen. Die unzureichende Anerkennung von Familienarbeit wirkt sich in dem Moment, wo diese durch eine einzige Person ausgeführt wird, besonders negativ aus. Die Eigensinnigkeit und damit auch ansatzweise Widerständigkeit vieler der befragten Alleinerziehenden drückt sich darin aus, dass sie an Wünschen und Phantasien für eine andere, Kinder- und Familien- freundliche Gesellschaft festhalten, die sie auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten umzusetzen bestrebt sind. Diese Wünsche und Phantasien können als Triebfeder für die Entwicklung subjektiver Spielräume von Geschlecht und Familie gesehen werden. Interessant für die Diskussion gesellschaftlicher Anerkennung von Familienarbeit ist Frasers Vision eines postindustriellen Wohlfahrtsstaates (Fraser 2001). Ihr Bestreben ist, die andauernde kontroverse Diskussion um Anerkennung von Familienarbeit durch Förderung von Frauenerwerbstätigkeit 332
und Bezahlung von Familienarbeit aufzulösen. Für Fraser sind beide Aspekte durch die gesamtgesellschaftliche Umverteilung von Sorgearbeit vereinbar. Ihr Modell ist als eine Weiterentwicklung des Konzeptes der ‚doppelten Vergesellschaftung’ zu sehen (vgl. Kap.2). Es geht ihr darum, „… die Männer dazu zu bringen, in einem stärkeren Maße so zu werden, wie die Frauen heute sind, nämlich Menschen, die elementare Betreuungsarbeit leisten.“ (Fraser 2001: 100)
Ganz in Übereinstimmung mit den Ergebnissen dieser Arbeit hält Fraser die Verbindung von Betreuungs- und Erwerbsarbeit nur durch eine Senkung der wöchentlichen Arbeitszeit für realisierbar, wenn nicht menschliche Grundbedürfnisse, z. B. nach zwischenmenschlichen Begegnungen und persönlicher Zeit, zu kurz kommen sollen. Erwerbsarbeit ließe sich so mit Betreuungsarbeit verbinden, ohne letztere nahezu vollständig an Institutionen abgeben zu müssen. In Frasers Modell der ‚universellen Betreuungsarbeit’ verlöre Gender seine Struktur- gebende Funktion, der Arbeitsmarkt würde geschlechtergerecht umgestaltet. „Ein Wohlfahrtsstaat nach dem Modell der universellen Betreuungsarbeit würde die Geschlechtergleichheit fördern, indem er den geschlechtlich strukturierten Gegensatz zwischen unterhaltssichernder Erwerbsarbeit und Betreuungsarbeit wirksam auflöst.“ (Fraser 2001: 101/102)
Insbesondere einige der allein erziehenden Väter, die in dieser Untersuchung zu Wort kamen, können mit ihrer Distanzierung von der männlichen Erwerbsarbeitszentrierung und ihrer Weigerung, die Familienarbeit zu vernachlässigen, als Vorreiter für dieses Modell gesehen werden. Die praktische Übernahme eines weiblich konnotierten Territoriums veränderte ihren Blick auf Frauen und Männer sowie auf die Zuschreibungen des zweigeschlechtlichen Ordnungssystems und bewirkte subjektive Modifikationen dieses Systems. Die Gesellschaftsveränderung nach Fraser richtet sich nicht nur auf eine Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit unter allen Mitgliedern der Gesellschaft, diese gerechte Verteilung müsste sich auch als monetäre Anerkennung aller Arbeitsbereiche ausdrücken. So utopisch das Frasersche Modell klingen mag, es zeigt doch eine mögliche Richtung an, in die es zu denken gilt, nimmt man die Schilderungen der Lebenswirklichkeiten der Alleinerziehenden, die in dieser Arbeit zu Wort kamen, ernst. In der Reformierung des Wohlfahrtsstaates müssen die speziellen Lebensbedingungen der einzelnen Subjekte und Gruppen, wie hier die der Gruppe der Alleinerziehenden, mitberücksichtigt werden. Geschieht dieses nicht, so entsteht 333
eine ungenügende Institutionalisierung dieser Gruppen und damit eine sozialstrukturell angelegte nachhaltige Benachteiligung. Umverteilung im Sinne von sozialpolitischer Steuerung materieller Ressourcen wie Einkommen, Wohnraum, Arbeit und öffentliche Kinderbetreuung im Sinne sozialer Gerechtigkeit ist für die Gruppe der Alleinerziehenden einzufordern, wenn nicht ein großer Teil dieser Gruppe auf dem gesellschaftlichen Abstellgleis stehen bleiben soll. Dabei ist die Sichtbarmachung der besonderen Lebensbedingungen sowie auch die Anerkennung der Lebensleistungen dieser Gruppe in wissenschaftlichen Diskursen und Medien eine Voraussetzung für deren sozialpolitisch adäquate Berücksichtigung.
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