Soldatengeschichten Aus aller Welt Sonderband 11
Herbert Eschbach
Rommel und das Unternehmen Prendergast
Moewig – Ve...
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Soldatengeschichten Aus aller Welt Sonderband 11
Herbert Eschbach
Rommel und das Unternehmen Prendergast
Moewig – Verlag – München
Nachstehender Roman beruht auf kriegsgeschichtlicher Wahrheit und stützt sich auf historisches Tatsachenmaterial. Alle vorkommenden Namen und Personen – außer der Geschichte angehörende Persönlichkeiten – sind frei erfunden.
Copyright 1958 by Arthur Moewig Verlag, München, Türkenstraße Redaktion: Alex Buchner Gesamtherstellung: Buchdruckerei Hieronymus Mühlberger, Augsburg Printed In Germany Dieser Band darf nicht in Leihbüchereien und Lesezirkeln geführt und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden.
VORWORT Das war der Krieg in den Wüsten Nordafrikas – hart, aber fair. Die Lebens- und Kampfbedingungen stellten die höchsten Anforderungen an Freund und Feind. Sie litten alle gleich unter den Qualen des Durstes, den Sandstürmen des Ghibli, der erbarmungslos niedersengenden Sonne – die Männer der britischen 8. Armee und des Deutschen Afrikakorps, die sich mit den Waffen in den Händen als Gegner gegenüberstanden. Was sich in jenen Wochen und Monaten der Jahre 1941–1943 dort in Nordafrika abspielte, widersprach eigentlich allen Vorstellungen und Überlieferungen, die man sich von einem Kriege allgemein zu machen pflegte. Es war General Erwin Rommel, der diesem Krieg in der Wüste sein eigenes und besonderes Gepräge gab und ihm mit seiner Persönlichkeit den Stempel aufdrückte, der ihn in den eigenen Reihen zum allseits verehrten, beim Gegner hochgeachteten, ja bewunderten „Wüstenfuchs“ machte. Rommels Name ging um die ganze Welt. Schon lange zählte er zu den bekannten Generalen des 2. Weltkrieges. Er wurde zu einem Symbol, von dem Begriff Nordafrika und den einzelnen dort geführten Feldzügen nicht mehr zu trennen. Und nannte man ihn, so war das ganze Deutsche Afrikakorps gemeint und man dachte an die Schlachten in Libyen, der Cyrenaika, auf ägyptischem
Boden. Auf der Seite des Gegners war es nicht anders. Bei der britischen 8. Armee hatte der deutsche Befehlshaber eine Popularität erlangt, die nahezu ans Mystische streifte und sich an keiner anderen Stelle des kriegerischen Weltheaters wiederholen sollte. Es war kein Geringerer als Feldmarschall Sir Claude Auchinleck, zeitweise Rommels großer Gegenspieler, der später über ihn schrieb: „Nur wenn er über das übliche Maß hinausragt, nur wenn er aus besonderem Holz geschnitzt ist, gewinnt ein Befehlshaber der Gegenseite einen solchen Ruf. Zweifellos war Rommel eine ungewöhnliche Erscheinung. Deutschland hat viele tüchtige Generale hervorgebracht. Rommel aber war von anderem Schlag. Er hob sich über sie hinaus.“ Und: „Wenn das große Drama einen Helden hat, denke ich, muß es Rommel sein“, schrieb in jenen Tagen ein englischer Kriegsberichter an seine Zeitung in London. Die britische 8. Armee war geradezu stolz auf Rommel. Sie bewunderte ihn, weil er sie schlug, und wenn sie ihn schlugen, so wunderten sich die Briten selbst, einen so fähigen General mit einer so harten Truppe geschlagen zu haben. Einmal versuchte die britische Propagandamaschine, Rommel und seine Soldaten in Mißkredit zu bringen. Aber die Männer der 8. Armee ließen sich das nicht gefallen. Sie wußten zu sehr Bescheid. Keiner konnte sie dazu bringen, ihn und die Deutschen zu hassen, denn in der Wüste wurde unter beiderseits gleich schweren Bedingungen ein klarer, anständiger und fairer Krieg geführt – ein Krieg wohl zum letzten Mal nach alten, ritterlichen Gesetzen. Dies ist die Geschichte von Rommel, dem „Wüstenfuchs“ und es ist die Geschichte der britischen Kommandotrup-
pen in Nordafrika, die auszogen, ihn zu fangen und den Kampf tief in den Rücken des Afrikakorps, weit hinter die deutschen Linien zu tragen und sich hierbei unter größten Strapazen durch besondere Verwegenheit und Kühnheit auszuzeichnen.
T R I P O L I TA N I E N \ Karte: Alex Buchner
Oberst Prendergast, Kommandeur der Long Range Desert Group, rieb sich die Hände. „Ich sage Ihnen, Stevens, das ist das tollste Unternehmen des Jahrhunderts. Und wenn Sie es schaffen, dann haben Sie den Krieg gewonnen, nicht aber die Herren Ritchie oder Penthouse.“ Es war eine sternenklare Nacht, von jener schweren Süße und jener weltenfernen Stille erfüllt, wie sie nur die afrikanische Wüste kennt. Die Dunkelheit hatte die unendliche Ebene braunen Sandes und dunkelgrüner Kameldornbüsche weggewischt. Ein sanfter Wind strich um die
Zelte. Er raschelte in den offenen Planen, durch die die kühle Luft erfrischend hereindrang. Oberst Prendergast und sechs seiner jungen Offiziere, große, braungebrannte, sehnige Burschen, hockten im Kreis vor dem Zelt des Kommandeurs, der Stevens Rückkehr von einer Erkundung aus Cirene feiern wollte. Stevens, Oberleutnant der Reserve, war seit 18 Jahren in Kairo ansässig. Er betrieb Exportgeschäfte, die in dem Ruf standen, auch etwas merkwürdige Waren einzuschließen, und beherrschte nahezu alle arabischen Dialekte des Mittleren Ostens. Er war eines Tages von einem
Schiff im Hafen von Alexandria geklettert, hatte drei Tage später in Kairo ein Rendezvous mit der glutäugigen Izra Meghre el Taleep – von dem freilich nur drei Männer in London Kenntnis hatten – und eröffnete eine Woche darauf ein Exportgeschäft. Stevens, der Vollblüter, der kühle Engländerinnen und den Koran liebte, gehörte zu jenen unzeitgemäßen Männern, die weder rauchen noch trinken. Er kannte Äthiopien, den Sudan, Libyen und Tunis ebenso gut wie Somaliland und den Yemen. Er war geflogen, er war geritten und er war auf dem Rücken ungezählter Kamele durch alle
Breiten geschaukelt. Kein Wunder, daß er für die Long Range Desert Groupe ein kaum ersetzbarer Mann geworden war. Seitdem Rommel im März des Jahres 1941 General Wawell völlig überraschend mit einer einzigen, soeben gelandeten und nach Agedabia vorgezogenen Division angegriffen und seinen neuen Gegner geschlagen und bis nach Ägypten zurückgetrieben hatte, war man im englischen Hauptquartier eifrig darauf bedacht, an E. T. Lawrence anzuknüpfen und eine Truppe aufzustellen, die im Rücken des Feindes operieren konnte. In einem Lande, das dem Menschen und dem Krieg, der hier geführt wurde, seine eigenen Gesetze aufzwang, in einem Lande, in dem die Truppe über viele hundert Kilometer mit Verpflegung, mit Wasser, mit Munition und Nachschub versorgt werden mußte, in einem solchen Lande kam es entscheidend auf die Sicherung eben dieser Nachschubwege an. Wo sie unterbrochen, wo sie zerschnitten und zerstört wurden, wo man Brennstofflager vernichtete, Wasserstellen unbrauchbar machte oder Reparaturwerkstätten und Versorgungsdepots in die Luft jagte, da konnte der Krieg für einen eben noch siegreichen Gegner schnell ein anderes Aussehen bekommen. Stevens war in einer Nacht vor zwei Wochen an Bord von U 156 gegangen. Das Boot hatte ihn an der Küste bei Cirene an Land gesetzt. Er hatte Izras Onkel getroffen, einen alten weißbärtigen Kerl, der zumeist vor seinem Häuschen hockte und mit Steinen höchst seltsame Figuren legte, aus denen er dann die Zukunft zu entschleiern trachtete. Der alte Ibn ben Drussuff hatte ihm Unterschlupf gewährt, und Nacht für Nacht hatte Stevens seine Nase über Zäune und Mauern gesteckt, war er wie eine
Katze durch Cirene geschlichen, bis er herausbekommen hatte, was er wissen wollte: auf der Höhe mit einem Blick auf das Meer hinaus lag neben anderen Villen das Haus, das er suchte. Der deutsche General Erwin Rommel hatte hier sein Hauptquartier eingerichtet. Stevens kannte auch den Wagen und den Fahrer des Generals. Er würde nun dafür sorgen müssen, daß endlich dieses ewige Geschwätz von Rommel aufhörte, dessen Name der englische Soldat mehr im Munde führte als ein alter Seebär Flüche. Drei Tage später hielt Oberst Prendergast seinen letzten Appell ab. 120 Jeeps waren aufgefahren, besetzt mit je drei Mann, vollbeladen mit Wasser, Brennstoff, Verpflegung, Waffen, Granatwerfern und Sprengstoff. Sergeant Ward reichte Oberst Prendergast jedesmal eine neue Liste, wenn ein Wagen inspiziert wurde. Denn für jeden war eine andere Ausrüstung vorgesehen. Hier fanden sich nur Handfeuerwaffen, dort wurde Sprengstoff oder Minen und Bomben mitgeführt. Einige Wagen hatten eine vollständige Ausrüstung geladen, um die Tommies in arabische Hirten verwandeln zu können. Jeder zweite Wagen hatte einen Sender und ein Empfangsgerät, jeder vierte eine Sanitätsausrüstung, Tarnnetze, Zelte, Fliegennetze, Wasserfilter – an alles war gedacht worden. Sogar zwei Rutengänger gehörten Prendergasts Kommandotrupp an. Sie hatten schon bei früheren Einsätzen sich als nützlich erwiesen, als nämlich ein Raid nach Beirut an Wassermangel mit einem völligen Fiasko zu enden drohte. Am nächsten Morgen kam General Penthouse zur Besichtigung. Er trug die Generalsmütze als einziges Abzeichen seiner Würde. Aber die Männer der Long Range Desert Groupe kannten ihn ohnehin. Sie wußten, es war
schlecht mit ihm Kirschen essen. Er war ein alter Kolonialoffizier, dem keiner so leicht etwas vormachte. Er prüfte, begleitet von Prendergast, Captain Lovett und Leutnant Franken, die Ausrüstung jedes Wagens bis in alle Einzelheiten. „Etwas gefällt mir nicht, Oberst“, sagte er schließlich. „Sie führen ihr Wasser in Kanistern mit. Ausschließlich in Kanistern. Die Leute werden Durchfall bekommen. Haben Sie sich überlegt, in welchem Zustand das Wasser ist, wenn Sie ein paar Tage unterwegs waren und bei 60 oder 70 Grad tagsüber durch die Wüste marschieren? Die Truppe muß mehr Wassersäcke haben, da bleibt das Zeug frisch und kühl, auch bei der größten Hitze.“ „Ich habe im Depot keine bekommen, Sir.“ „Dann werde ich sie besorgen. Laß die Burschen in Kairo weniger sich um die Mädchen kümmern und mal was für uns tun. Sie werden morgen geliefert werden.“ „Sehr wohl, Sir. Ich würde vorschlagen, vier Säcke pro Fahrzeug.“ „Das mag gehen. Und jetzt möchte ich Stevens Leute noch sprechen. Sie können mit Ihnen zum Befehlswagen kommen, Stevens.“ Im Befehlswagen, einem riesigen gepanzerten Kasten von etwa drei Meter Höhe, einem Wagen, den dank seiner reichen Beute zur gleichen Zeit auch Rommel als Gefechtsstand benutzte, meldete sich Stevens bald darauf mit sechs Soldaten seines Kommandotrupps. Bordon und Righley waren beides Sergeanten, altgediente Leute Anfang 30, die Penthouse schon kannte. Leutnant Rattlefield und die Soldaten Duke, Miller und Haulard waren alle so um die Zwanzig. Jung, groß, schlank, sehnig, mit hellen Augen, wachen, intelligenten Gesichtern.
Sie hatten eine Sonderausbildung von sechs Monaten eben abgeschlossen. Penthouse reichte jedem die Hand und musterte sie wohlgefällig, „Na ja“, sagte er freundlich, „euer Auftrag wird allerlei von euch verlangen! Mehr kann ich im Augenblick nicht sagen. Ich wünsche, daß ihr ihn erfüllt, und zwar gut erfüllt. Bringt mir das Wild lebendig von eurer kleinen Jagdexpedition zurück. Nur wenn es gar nicht anders geht… Ihr wißt, was ihr zu tun habt! Die Long Range Desert Group kann dieses Mal den Feldzug entscheiden und, wer weiß, vielleicht sogar beenden.“ 120 Fahrzeuge, die quer durch die Wüste marschieren, sich zumeist ihren eigenen Weg bahnen und eine neue Piste bilden müssen, wirbeln einen Haufen Staub auf. Sie können dabei den Eindruck erwecken, eine ganze Armee sei auf dem Marsch. General Erwin Rommel, dessen Name sie vom ersten Tage an mit Respekt, nach einem Monat mit Furcht und nach einem Vierteljahr mit Entsetzen erfüllt hatte, wußte das auch. Er hatte es ihnen vorexerziert, als er Ostern 41 mit der ersten Vorausabteilung vor Tobruk aufgetaucht war. Damals hatte Captain Lovett eine Panzeraufklärungsschwadron geführt. Er war aus Bengasi herausgeschmissen worden und mit seinen Kampfwagen wie der Teufel abgehauen, um nicht bei Derna, an der Küstenstraße, abgeschnitten zu werden und in die Wurstmaschine zu geraten wie die indische Division bei Mechilli und die Leute seines Haufens, die geglaubt hatten, in Bengasi noch ihre Liegestühle und ihre Golfschläger mitnehmen zu müssen. Vor Tobruk war er dann eingesetzt worden und sollte aufklären, als plötzlich eine Staubwolke am Horizont erschien.
Lovett war mit seinen sechs Panzerspähwagen losgefahren. Er dachte, sich jetzt ein wenig rächen zu können. Noch immer saß, so war zu vermuten, Donna Arunda in Bengasi und weinte um ihren schmucken Kapitän, seine guten Zigaretten, seinen Gin und seine fröhlichen blauen Augen. Und das schmerzte verdammt. Denn es war eine schöne Zeit gewesen. Aber aus der einen Staubfahne wurde eine Staubwand und Lovett zog sich schleunigst wieder zurück, an Penthouse den Anmarsch überlegener Feindkräfte meldend. Er konnte nicht ahnen, daß Rommel dem armen Oberleutnant Bernwald befohlen hatte, mit nur fünf Volkswagen einen Angriff zu fahren und dabei Staub für eine ganze Armee aufzuwirbeln. Was der denn auch tat. Prendergast kannte diese und ähnliche Tricks. Er konnte sie auf seinem Wüstenraid freilich nicht anwenden. Im Gegenteil. Er mußte sich unsichtbar machen und mit aller Vorsicht handeln, um nicht aufzufallen. Der Oberst hatte daher seinen Haufen in drei Abteilungen unterteilt. Die Vorausabteilung unterstellte er Lovett. Er selbst folgte mit vierzig Jeeps und den Schluß führte Leutnant Franken. Bis zur Oase Siwa, die tief im Süden, inmitten der Wüste, noch auf ägyptischem Boden lag, konnten sie zwar damit rechnen, von den Deutschen unbemerkt zu bleiben und wollten daher auch am Tage marschieren. Dann aber, auf ihrem Weg ins Herz der Cyrenaika, in die Hauptstadt Bengasi vorstoßend, würden sie vorwiegend die Nächte für ihre Märsche ausnützen müssen und auch dann noch gut tun, keine dicken Haufen zu bilden. Blieben erst mal ein paar Wagen im knietiefen Sand stecken, dann mußte es für die anderen Fahrzeuge schwierig sein, sich nicht zu einem Knäuel zu verwirren.
Mit je vierzig Jeeps indessen war man beweglicher und auch für den Feind kein allzu großes Ziel. Am Abend des 30. Juli, als die kurze Dämmerung der Nacht gewichen war und die Luft sich endlich wieder in sanftem Wind bewegte, so daß die Lungen begierig einzuatmen begannen, als die ersten Wüstenfüchse in der Ferne ihr kurzes Bellen hören ließen und sonderbar fremde Vogelschreie sich über die Erde erhoben, wurden im Abstand von jeweils einer halben Stunde dreimal vierzig Motore angeworfen – und die 120 Jeeps Oberst Prendergasts traten an zum Marsch nach Siwa. Rommel zeigte jenes verschmitzte Lächeln, das für ihn so charakteristisch war. Sein breites, sonnengebräuntes Gesicht mit dem energischen Kinn und den hellen Augen verzog sich schließlich zu immer offensichtlicherer Heiterkeit. Oberleutnant von Polenz und Wittle, der junge Fahrer, sowie zwei Landser, die Polenz sich aufgegriffen hatte, waren bemüht, den Wagen wieder flott zu bekommen. Er steckte im Sande fest, und der Sand wollte ihn nicht wieder hergeben. Die Männer schnauften und ächzten, schoben und drückten. Wittle ließ den Gang herein, der Motor heulte auf, aber alle Bemühungen waren umsonst. Rommel beschloß, ein paar Schritte zu laufen. Als alter Gebirgsjäger und Infanterist war ihm dieses ewige Im-Wagen-Sitzen sowieso zuwider. Und nach einem Essen tat es gut, sich Bewegung zu machen. Der Gariboldi, Oberbefehlshaber der italienischen Truppen, war ein freundlicher Mann! Polenz hatte ihn neulich mit einem Zirkusdirektor verglichen. Und in der Tat hatte er damit einige Ähnlichkeit. Er besaß einen weißen,
wohlgepflegten und gezwirbelten Schnurrbart und immer glänzende Lackstiefel. Es fehlte eigentlich nur die lange Peitsche. Er war ein Kavalier alter Schule und er war wie alle diese Italiener offenbar gewohnt, in guten Quartieren auch ein gutes Essen zu genießen und den Krieg auf diese Weise zu humanisieren… Rommel hatte es bei ihm geschmeckt, das mußte er zugeben, aber er runzelte gleichwohl in Gedanken an seinen Besuch die Stirn. Zu glatt waren ihm diese Herren, alle zu gebügelt, zu sehr bereit, mit ihrem immerwährenden Optimismus alle Schwierigkeiten zu bagatellisieren. Und dieses Wohlleben… Lieber Himmel, gerade als den vormarschierenden Truppen jeder Transportraum fehlte, kamen da nicht vor Tobruk Lastwagen mit Porzellan und ganzen Büfetts mit Gläsern und Silberbestecken für ein Kasino an? Die Landser hatten das Zeugs mitten in der Wüste ausgekippt und die Wagen zum Transport von Sprit und Munition benutzt… Na ja, Cirene war wirklich nicht so übel. Er konnte verstehen, daß die Herren lieber da ihr Quartier bezogen als vorne bei ihm, im Zelt, mit dem stickigen Kommandowagen daneben, mit Tee aus Salzwasser, mit dem Heer der Fliegen und mit einem Diner, das zumeist aus Ölsardinen bestand und dessen einzige Abwechslung Büchsenfleisch abgab, das die Intendanturräte eigentlich alleine hätten essen sollen. Es war zäh, strähnig und schmerzte am Zahnfleisch. Aber Cirene – immerhin – das war also einmal, so vor 2000 Jahren, eine große römische Stadt gewesen, umgeben von üppigen Kornfeldern, eingebettet in Olivenhaine und Dattelpalmen. Und nun war nichts übrig geblieben als ein gigantisches Ruinenfeld, über das die Luft, die vom Meere kam, einen leisen Hauch der
Kühle breitete. Diese Italiener, spann Rommel seine Gedanken fort, waren doch irgendwie ein tüchtiges Volk. Im Grunde genügsam, wie der einfache Soldat zeigte. Und begabt, wie man an Cirene und der ganzen Cyrenaika sehen konnte. Wo sie Wasser aus dem Boden hoben, entstanden Gärten und Felder und Siedlungen und Dörfer. Alle Achtung! Rommel hörte den Motor des Wagens anspringen, das Schalten des Ganges und gleich darauf das gleichmäßige zufriedene Brummen des Motors. Er wandte sich um und sah Polenz auf sich zukommen. „Na, Polenz, habt ihr’s geschafft? Dann können wir ja wieder in unser Wigwam zurückfahren. Oder tut es Ihnen leid, daß Sie Ihr schönes Bett und ihren Chianti in Cirene verlassen mußten?“ „Das Bett werde ich nicht vermissen, Herr General. Ich bin zu sehr gewöhnt, draußen zu schlafen, und den Chianti – Major Strozzi hat mir ein paar Flaschen mitgegeben.“ „Wittle, am Kilometer 31 wollen wir nach den Verwundeten sehen, und Sie, Polenz, fragen bei Bork an, ob irgendwelche Meldungen am Gefechtsstand vorliegen. Wir sind bei Anbruch der Dunkelheit wieder zurück. Geben Sie gleich durch, daß ich mir heute Nacht die Stellungen beim MG-Bataillon ansehen will. Dönhoff und Brandt kommen mit.“ In einem tief eingeschnittenen Tal unweit der großen Küstenstraße und des Kilometers 31 vor Tobruk lag der Stab des Deutschen Afrikakorps und der Gefechtsstand seines Kommandierenden Generals. Die Zelte, kleine Einmannzelte und größere Zelte, die als Geschäftszimmer und Unterkunft zugleich dienten, waren mit Kameldorn-
büschen, mit Netzen und dickblättrigen Opuntien getarnt und zumeist ein Stück in die Erde eingegraben, soweit man bei dem steinigen Untergrund überhaupt in den Boden gelangen konnte. Hier, in diesem Wadi, über dem am Tage die Hitze brütete, die Luft flirrte und flimmerte, Tausende von Fliegen ihre Nahrung suchten und in den Nächten sich der weite sternenbesäte Himmel Afrikas spannte, schlug das Herz des Deutschen Afrikakorps. Hundert Fäden liefen hier zusammen. Durch den Äther kamen unaufhörlich Meldungen und Nachrichten, Befehle und Durchsagen. Von hier aus fuhr Tag für Tag der große, in Mechilli erbeutete Kommandowagen des Generals nach vorne, aus dessen Ausstiegsluke Rommel über das Dach hinweg ständig beobachtete. Ein Bild, das jeder Soldat kannte. Aber dieser Gefechtsstand war im Grunde nur der vorgeschobene Kampfstand. Alles, was sonst den vielfältigen und komplizierten Mechanismus einer Kriegsmaschinerie in Gang hält, das hatte sich in Cirene und Bengasi niedergelassen, um von hier aus die Organisation des Nachschubs über eintausendachthundert Kilometer zu lenken und in Gang zu halten. In dem kleinen weißen Häuschen, das am Rande der hübschen Stadt Cirene lag, hatte früher einmal der Leiter der italienischen Archäologen-Kommission gewohnt. Er hatte mit Sorgfalt und Liebe einen Garten angelegt, in dem schäumende Bougainville blühten, Oleander, Palmen, Rizinusbäume und Agaven Schatten spendeten und ein Teppich bunter Blumen nach der Regenzeit ein kurzes, hektisches Dasein erlebte. Heute aber stand der Gefreite Meyer, Sohn des Straßenbahnschaffners Alois Meyer aus Mannheim, hier Posten
vor dem deutschen „OQu“-Quartier. Er trug einen Tropenhelm, das ausgebleichte, einst braungrüne Hemd des Afrikakorps mit aufgekrempelten Ärmeln und kurze Hosen. Seine Maschinenpistole hatte er über die Schulter gehängt. Er langweilte sich. Es war heiß, wie jeden Tag. Die Sonne schien von einem Himmel, der immer nur blau war, jeden Morgen und jeden Abend unverändert blau und genauso eintönig wie das Leben hier in Cirene mit seinem Wachdienst. Im Hause schliefen die deutschen Soldaten Betz, Faber und Nepple auf ihren englischen Gummimatratzen, einer Beute aus Bengasi, den Schlaf der Gerechten und der Erschöpften. Aus den unteren Räumen ertönte das Klappern von Schreibmaschinen, das Klingeln der Feldfernsprecher, das Gemurmel von Stimmen. Hans Meyer hatte sich unter Afrika und Wüstenfeldzug etwas ganz anderes vorgestellt. Und ausgerechnet gestern, als Rommel kam, da hatte er geschlafen. Sein Erscheinen war in der Tat die einzige Abwechslung. Fiel sein Name, waren sie merkwürdig elektrisiert und ein geheimer Stolz erfüllte sie, wenn der General dann und wann, so wie es gestern geschehen war, beim „OQu“ übernachtete. Indessen war der kleine Meyer aus Mannheim keineswegs der einzige Soldat, der sich das Leben anders vorgestellt hatte und nun über die ständige Hitze fluchte. Im arabischen Viertel von Cirene, das sich an den italienischen Stadtteil anschloß und aus einem Gewirr weißgetünchter Lehmbauten inmitten von Dattelgärten und Olivenhainen bestand, jeder durch eine hohe Mauer von der Umwelt sorgsam abgeschlossen, lagen zwei Männer, die sich leise unterhielten. Sie trugen den weiten Burnus, das lange arabische Hemd, und enge Wollhosen. Dann
und wann wischten sie den Schweiß von den nassen Gesichtern, rauchten Zigaretten oder schlürften lauwarmen labbrigen Tee. Wer sie beobachtet hätte, würde sie kaum für Araber gehalten haben. Ihnen fehlte die Würde, die ruhige Unerschütterlichkeit des arabischen Mannes, der unter dem Zipfel seines Burnusses gleichmütig in der Sonne zu hocken pflegt, um die Welt und sich selbst meditierend zu betrachten. Überdies waren die Gesichter dieser Männer jung, glatt und lebhaft, ihre Augen hell und ihr Wuchs zu groß, ihre Körper zu schlank und zu sehnig, als daß sie für Angehörige der Senoussi hätten gelten können. Wie sie da lagen, erinnerten sie mehr an ungeduldige Vollblüter oder in die Fremde verschlagene Wikinger. Sergeant Bordon von der Long Range Desert Group erhob sich, um aus dem Innern des Hauses neuen Tee zu holen. „Verdammt will ich sein, wenn das gut geht“, sagte er, sich reckend, zu Duke, der ihn aus trägen Augen beobachtete. „Kaum sind wir angekommen, muß Miller das passieren. Willst du mir sagen, wie das möglich war? Warum mußte er die Nerven verlieren? Ich hab ihn selbst trainiert und vorher schon in Situationen erlebt, die, weiß der Teufel, weit verzwickter waren. Hätt’ keinen Cent für meiner Mutter Sohn gegeben, als wir damals in Damaskus den Franzosen den Flugplatz hochjagten, auf der Flucht uns verirrten und in eine französische Unterkunft reinplatzten. Wenn Miller nicht französisch gesprochen hätte wie ein Marseiller Hafenarbeiter… aber wie die Fritzies kann er natürlich nicht quatschen.“ „Gut, daß Prendergast das nicht erlebte.“
„Ich möchte nicht in Stevens Haut stecken, mein Lieber. Wenn die Deutschen Lunte gerochen haben und alles in den Eimer geht. Nee – in dem seiner Haut möcht’ ich schon gar nicht stecken.“ „Stevens wird wissen, was er zu tun hat.“ „Er ist auch nicht der liebe Gott!“ Bordon raffte seinen Burnus zusammen und verschwand im Haus. Stevens Unternehmen schien in der Tat unter keinem guten Stern zu stehen. In der vergangenen Nacht war er mit Sergeant Bordon, Miller und Duke von U 156 an der Küste abgesetzt worden. Beglückt, der ölgeschwängerten Luft des Bootes entronnen zu sein, waren die vier Männer auf einen der Felsklüfte mit ihrem Floß zugepaddelt, wo sie den alten Ibn ben Drussuff treffen sollten. Aber durch eine Verquickung widriger Umstände mußten sie den alten Gauner verfehlt haben. Er war nirgends zu finden. So mußte Stevens mit seinen Männern ohne Führung nach Cirene hereinkommen. Sie waren die felsigen Steinhänge herauf geklettert, unhörbar in ihren Gummistiefeln. Sie hatten den Schatten jedes Baumes ausgenutzt und alles schien gutzugehen, als unversehens vor ihnen ein italienischer Soldat auftauchte. Stevens wollte mit einem arabisch gemurmelten Gruß weitergehen, als der Italiener sich besann und Bordon in den Weg trat. Der Italiener hatte offenbar weder Mißtrauen noch böse Absichten, denn er sprach den Sergeanten arabisch an, ohne gleich zu sagen, was er wollte. Bordon hörte aufmerksam zu, gewillt, die Unterhaltung Stevens zu überlassen, als Miller, der im Hintergrund geblieben war, zustieß. Sein Dolch fuhr dem Italiener gegen die Brust, glitt an den Rippen ab, der Italiener schrie in panischem Schrecken auf, faßte nach der Pistole, und da drang
ihm Stevens Dolch in den Leib. Er hatte besser gezielt, doch um zwei Sekunden zu spät, denn der Italiener hatte die Pistole bereits in der Hand und ein Schuß hallte wie ein Kanonenschlag durch die Nacht. Stevens eilte im Laufschritt weiter, huschte im Schatten der Häuserwände die Straße entlang, dicht gefolgt von Bordon, Duke und Miller. Ob Miller sie einen Augenblick aus den Augen verloren hatte, ob er gestolpert oder ihm die Luft ausgegangen war, das konnte sich weder Stevens noch Bordon zusammenreimen. Jedenfalls mußte aus einer der Läden der Sukks, die sie gerade passierten, ein deutscher Soldat getreten sein. Sie hörten nur ein Stöhnen, das keuchende Ringen zweier Männer, und ehe sie begriffen hatten, was geschehen war, einen zweiten Schuß. Miller schrie. Es war ein heller, ganz hoher Schrei wie der eines Kindes, aber ein Schrei, durch den Todesnot klang, daß den drei Soldaten ein Schauer über den Rücken rann. Dann ertönten Rufe, das Laufen vieler Männer, und sie eilten weiter und waren im nächsten Augenblick durch das Tor eines arabischen Gartens verschwunden, das sie offen vor sich liegen sahen. Sie hatten zwei Stunden im Schatten einer riesigen Agave verbracht, geduckt unter den breiten mächtigen Blättern dieses tropischen Gewächses, ehe sie es wagen konnten, ihre Suche nach Ibn ben Drussuff fortzusetzen. Noch im schützenden Dunkel der Nacht hatten sie den Alten und sein Haus gefunden. Der Araber wußte bereits, was geschehen war. Er konnte ihnen berichten, daß Miller tot oder schwerverwundet war, daß deutsche Streifen des „OQu“ und Italiener den Ort und die Küste abgesucht, daß sich aber offensichtlich die erregten Deutschen wieder
beruhigt hätten. Stevens hatte sich am Nachmittag des nächsten Tages, von dem Hausherrn neu eingekleidet und sorgsam geschminkt, in die Stadt begeben, begleitet von zwei Araberjungen, die Eierkörbe mit sich führten. Er wollte sich selbst umhören. Denn wenn Stevens auch nicht zugeben wollte, daß er über Millers Schicksal besorgt war, so wollte er doch Klarheit haben. War Miller wirklich verwundet in die Hand des Gegners gefallen, so bedeutete das, daß er lebte und vernommen werden würde. Stevens war sich nach allen phantastischen Berichten und kursierenden Gerüchten keineswegs darüber klar, ob die Deutschen ihn nicht zu einer Aussage pressen würden. Miller war gewiß ein Mann, dem Ärgeres geschehen mußte, ehe er den Mund aufmachte. Aber es gab Drogen und Spritzen, die schon fast Tote zum Sprechen gebracht hatten. Stevens wußte das. Im Hauptquartier des Nachrichtendienstes in Kairo gab es einen Vernehmungsoffizier, der sich seiner Erfolge nicht ohne Grund rühmte. Als Bordon wieder aus dem Hause trat, eine Blechkanne mit Tee in der Hand, folgte ihm Oberleutnant Stevens. Duke erkannte ihn nicht gleich. Der Gang, die ganze Gestalt dieses Mannes, das dunkle, halb unter dem Burnus verborgene Gesicht erinnerte in nichts an den königlich britischen Offizier, wie er ihn noch vor zwei Tagen im Lager bei El Alamein gesehen hatte. Stevens war so völlig in einen Araber verwandelt worden, daß nicht einmal seine nackten Füße den gepflegten Europäer verraten hätten. „Ich denke, Sie werden Durst haben, Sir.“ Bordon hielt dem Offizier einen Becher hin. „Danke, Bordon, später! Es sind keine guten Nachrichten,
die ich bringe. Miller ist schwer verwundet in Gefangenschaft. Mag sein, daß er nicht am Leben bleibt oder schon tot ist, was wir hoffen müssen, so scheußlich das auch ist. Aber da ich nichts Genaues habe erfahren können, müssen wir handeln. Wir können uns nicht an die vereinbarte Zeit halten und nicht auf die Mahalla des Obersten warten. Ich bezweifle überdies, ob Prendergast auf den Tag pünktlich sein wird. Wenn heute nacht Rattlefield, Haulard und Righley kommen, werden wir angreifen. Rommel ist da! Ich habe seinen Wagen gesehen!“ „Überstürzen wir auch nichts, Sir? Der große Schlag sollte doch werden, daß Rommel verschwindet und gleichzeitig dieses verdammte Bengasi hochgeht?“ „Ich hab’ alles überdacht, Bordon, aber es gibt mir hier zu viel Gerüchte. Auch in den Sukks hörte ich die wildesten Geschichten. Und ob unser alter Hammeldieb hier so unbedingt dichthält, wenn wir noch ein paar Tage seine Gastfreundschaft beanspruchen müssen, ist mir nach der Geschichte von heute Nacht nicht allzu sicher. Was nutzt ihm unser gutes Geld, wenn sie ihn hängen.“ Meyer, von dem Schützen Betz abgelöst, steckte seinen Kopf in ein Leinenbecken lauwarmen Wassers. Er rieb die Seife zwischen seinen Händen. Sie schäumte nicht. „An den süßen Quellen des Nils…“ sang Nepple. „Laß dich nicht ärgern.“ Faber klopfte Meyer auf die nackte Schulter. „Hast du mal was vom Rakoczibrunnen in Kissingen gehört? Nein? Na, siehst du, das schmeckt genauso salzig und widerlich, nur daß noch Schwefel drin ist. Aber die Wirkung ist die gleiche. Und so mußt du dir immer sagen, daß dieses Wasser nicht zum Waschen da ist, sondern zum Trinken.“
„Kostenlos, der Staat berappt“, sagte Kraus. „Was war denn nun eigentlich heute Nacht?“ fragte Meyer, sein nasses Haar mit einem grünen Handtuch abtrocknend. Unteroffizier Faber zuckte mit den Achseln. „Das ist eine merkwürdige Geschichte. Ich hatte den Wachtmeister vom Nachrichtenzug besucht, als ich einen Schuß hörte. Wir traten auf die Straße, und da lief im gleichen Augenblick ein Kerl vorbei. Als er uns sah, wollte er einen Haken schlagen. Dann besann er sich und ich schoß im gleichen Augenblick, in dem er ein Messer zog.“ „Und wer war er?“ „Ein Tommy, Kraus, ein junger langer Tommy. Tat mir leid um ihn. Er wird nicht davonkommen!“ „Wie zum Teufel kommt ein Tommy nach Cirene?“ Meyer sah mißbilligend in die Runde, als trüge einer von ihnen die Schuld. „Der Alte tippt auf Kommandotrupp. Na ja, ihr wißt ja, wie er ist. Er sieht immer gleich Gespenster. Polenz, der die Sache mit ihm besprach und der die Kleidung des Burschen durchsuchte, hat, glaube ich, die Lösung gefunden. Er meinte, der Tommy müsse einer der Versprengten noch aus Mechilli sein oder von der Panzerschlacht im Juli. Wir haben ja schon öfter einen erwischt, sogar mal einen Offizier, der, als Frau verkleidet auf einem Kamel durch die Wüste trabte.“ „Du meinst, er wollte sich also durch die Linien durchschlagen?“ „Sieht so aus.“ „Jedenfalls hat der Alte sich beruhigt. Aber ich fresse einen Besenstiel, wenn nicht neue Sicherungsbefehle
rauskommen.“ „Hier hinten – bei dem Frieden – ist doch ‘ne Sommeridylle!“ Meyer holte sich eine zerknitterte Zigarette aus der Brusttasche. „Sei dir deiner Sache nicht zu sicher, du Sommerfrischler“, lachte Unteroffizier Faber. „In jedem Fall wirst du deine Handgranaten nicht wieder in der Schreibstube liegen lassen, mein Herr Meyer, wenn du dich in die Klappe begibst. Verstanden.“ „Jawoll, Herr Unteroffizier“, schrie Meyer und klappte die Hacken, zusammen. Kraus und Nepple lachten… Die Nächte in Afrika sind anders als die in Europa. Am Nachmittag um vier Uhr wird die Sonne fahl. Eine Stunde später taucht sie den Himmel in rote Glut und prahlt bald darauf mit der Pracht vielfältiger Farben. Sie verblassen schnell in einer kurzen Dämmerung und schon fällt die Nacht über den Tag her, als könnte sie es nicht erwarten, ihn auszulöschen. Das ist dann die Stunde, in der die Soldaten aufatmen und in der sie aufzuleben beginnen. Die sengende Glut weicht kühler Luft. Das im Glast der Hitze flimmernde Land schrumpft zusammen, verliert sich in der Unendlichkeit der Stille. Die erhabene Ruhe wird nur noch durch das Heulen des Schakals, durch den Ruf unbekannter Vögel und durch das Gelächter des Wüstenfuchses gestört.
Während der deutsche Soldat Nepple, zwei Handgranaten am Koppel und die MPi über der Schulter, zum großen Bären aufblickte und mit den Augen einer Sternschnuppe folgte, deren Schweif schweigend durch den Raum zog und verlosch, war der englische Oberleutnant Steven mit seinen paar Männern und dem Araber Ibn ben Drussuff, eine Ziege hinter sich herzerrend, durch die Sukks geschritten. Am Brunnen, der unterhalb des Ausgrabungsfeldes der altrömischen Stadt Cirenia stand, hatten sie Wasser getrunken, und Stevens hatte der Unterhaltung einiger deutscher Soldaten gelauscht, die über Zitronen sprachen und schließlich ihre Ziege kaufen wollten. Dann waren sie weitergezogen, hatten die Ziege am Rande einer spärlichen Grasnarbe zurückgelassen und waren im Gewirr der Steinblöcke und Säulen verschwunden. Vorsichtig, unhörbar pirschten sie der Steilküste zu, überquerten den Einschnitt eines schmalen Wadis und befanden sich nach einer Stunde am Strand. Die Wellen klatschten träge gegen die Steilfelsen. Sie ließen sich nieder und warteten. Mitternacht war vorbei, als vom Wasser her ein Möwenschrei ertönte. Stevens ließ die Taschenlampe durch seine Finger leuchten und schwenkte sie zweimal im Kreis. Nach genau 70 Sekunden ertönte abermals ein Möwenschrei. Dieses Mal ließ Stevens die Lampe 10 Sekunden an, ohne sie zu bewegen. Der Schlag der Ruder war nicht zu hören. So lautlos näherte sich das Boot, daß Stevens es erst gewahrte, als Leutnant Rattlefields Schatten sich gegen die Wasserfläche voll kringelnden weißen Schaums abzeichnete. Sie zurrten das Boot an einem Felsenriff fest, dann holte Rattlefield Righley und Haulard von Bord.
„Leutnant Goulden wird bis vier Uhr draußen warten, falls Sie noch irgendwelche Wünsche haben, Sir“, flüsterte Rattlefield. „Wir werden eine Menge Wünsche haben, denn wir wollen mit zurückfahren“, murmelte Stevens, und er unterrichtete den Leutnant in kurzen Worten über den Zwischenfall nach ihrer Landung. „Verstehen Sie, Rattlefield, ich habe keine Lust, auch nur irgend etwas noch zu riskieren“, fügte er hinzu, „die Katze ist im Sack und das ist es, worauf es ankommt und was Penthouse will. Wenn wir warten, so wissen wir damit noch lange nicht, ob die Abteilung Prendergast wirklich pünktlich sein kann. Mir ist das Risiko zu groß. Deshalb handeln wir sofort.“ Im deutschen Stabsquartier in Cirene hatte Unteroffizier Faber eben das Licht gelöscht. Nepple hatte sich wohlig ächzend auf das Feldbett gelegt, und Betz hatte die Wache übernommen. Die Nacht war friedlich. Betz legte die Handgranaten neben sich auf die Stufen des Hauses. Sie waren schwer und am Koppel unbequem zu tragen. Betz seufzte und angelte nach seinen Zigaretten. Eigentlich war es verboten, auf Wache zu rauchen. Aber Faber schlief, und heute Nacht würde sich nicht schon wieder ein Tommy nach Cirene verirren und dabei ausgerechnet ihm in den Weg laufen. Er zog den Rauch tief in die Lungen ein. Genießen muß man sie! dachte er. Als er gestern vor Rommel einen Präsentiergriff hingelegt hatte wie ein alter preußischer Gardist, hatte ihn der General einen Moment scharf angesehen, gestutzt und war auf ihn zugegangen.
„Wie heißen Sie?“ „Betz, Herr General!“ „Württemberger, was?“ „Jawohl, Herr General, aus Reutlingen.“ Rommel hatte ihm eine Schachtel Zigaretten geschenkt und gesagt: „Waren Sie nicht bei Mechilli? Irgendwo hab’ ich Sie doch schon gesehen.“ „Das war am Kilometer 31, Herr General. Ich war zuerst Fahrer von Herrn General von Prittwitz.“ Ja, dieser erste Tag vor Tobruk war nicht schön gewesen. Sie waren auf eine Mine gefahren. Der General war tot und Betz, wie durch ein Wunder, mit einer Schramme davongekommen. Betz hatte dann Oberleutnant Bernwald gefahren und seinen Dienst schon am nächsten Tage begonnen, ausgerechnet als Rommel losfuhr, um das Gelände rings um Tobruk zu erkunden. Überall schnüffelte er herum, steckte seine Nase hinein und fuhr hierhin und dorthin, bis der Tommy ihm jedes Mal ein paar Sechspfünder vor seinen Wagen setzte. Dann hatten sie ein Rudel Panzerwagen auf sich zukommen sehen und der General hatte befohlen, sie zu vertreiben. Mit Volkswagen und Gewehren! Da war ihm der Hintern mit Grundeis gegangen, aber Bernwald, dem auch nicht wohl dabei war, ließ die Wägelchen kreuz und quer kurven und sie machten einen Staub, daß sie noch acht Tage an ihm zu schlucken hatten. Immerhin, es hatte geholfen, denn der Tommy gab Fersengeld. Betz warf seine Zigarette in hohem Bogen in das nächste Rizinusgebüsch. Sie glimmte weiter und Betz überlegte gerade, wie lange sie wohl noch brennen würde, als er ein schwaches Geräusch aus dem Busch kommen hörte –
etwa so, als sei ein Apfel heruntergefallen. Aber Rizinusbäume tragen keine Früchte, nicht einmal Datteln, geschweige denn Äpfel. Vielleicht war es ein Chamäleon? Aber die pflegen nicht vom Ast zu fallen. Er näherte sich, neugierig geworden, dem Strauch, konnte aber nichts entdecken. Jetzt wiederholte sich das Geräusch in einiger Entfernung. Er ging leise weiter, roch den betäubenden Duft einer Bougainville, konnte aber noch immer nichts entdecken. So schritt er gemächlich zum Eingang des Hauses zurück. Die Tür stand weit offen! Merkwürdig ist das, dachte Betz. Sollte Faber hier herumschleichen, um zu sehen, was ich mache? Er bückte sich, um seine Handgranaten aufzuheben. In der gleichen Sekunde hörte er aus dem dunklen Hausgang ein schwaches Geräusch. Aber noch ehe er sich aufrichten konnte, erreichte ihn Bordons Hieb. Er traf genau den Hinterkopf. Ein Stöhnen entrang sich Betz’ Lippen. Er sackte nach vorne und stürzte die Stufen der Treppe herab. Haulard und Duke packten den leblosen Körper und warfen ihn in das Rizinusgebüsch. Stevens, Bordon und Righley standen wartend im Hauseingang. Aber nichts war zu hören. Rattlefield lehnte an der Tür. Der Leutnant trat vor das Haus, überzeugte sich, daß Haulard und Duke sich verborgen hatten, denn mit diesen zusammen mußte er den Rückzug decken. Er hörte Stevens etwas flüstern, hörte schleichende Schritte, das Knarren einer Treppe. Dann war wieder Stille. Oberleutnant Stevens hatte drei Eierhandgranaten in der Hand. Righley und Bordon stiegen langsam die Treppe hinauf. Sie hielten die Maschinenpistolen entsichert in der
Rechten. Während Stevens unten bei den Stabsoffizieren aufräumen würde, waren sie dran, oben bei den deutschen Wachmannschaften reinen Tisch zu machen. Zu guter Letzt blieb das Zimmer des „Wüstenfuchses“ Rommel. Den wollten sie sich lebend fangen… Stevens fühlte, daß seine Knie zitterten. Er biß sich auf die Unterlippe, bis er den Schmerz nicht mehr zu ertragen vermeinte, öffnete behutsam, Zentimeter um Zentimeter, die erste Tür und ließ eine Handgranate hineinrollen. Lautlos machte er die Tür wieder zu, ging zur nächsten, wiederholte das gleiche Spiel und blieb endlich vor einer dritten stehen. Beide Sprengkörper würden in genau 180 Sekunden explodieren. Er hatte gezählt – eins, zwei, drei… und war bei 170 angelangt. Er nahm die dritte Eierhandgranate, öffnete die Tür, zählte bis vier, riß ab und warf sie in den Raum, gleichzeitig sich seitwärts in den toten Winkel der Mauer duckend. Stevens schloß vor Erschöpfung die Augen. 178-179… Das Haus schien in der Detonation der Sprengkörper zu beben. Die Tür im gegenüberliegenden Gang, die einzige, die Stevens nicht geöffnet hatte, schwang unter dem Luftdruck auf. Der Engländer, halb betäubt von den Explosionen und dem Krachen und Splittern, stolperte über Holzstücke und Mauerteile und ließ den Kegel seiner Taschenlampe in das Zimmer fallen. Im Bett lag eine Gestalt. Stevens war zu erregt, um sich zu fragen, wieso der Mann, dessen Umrisse er deutlich im Licht seiner Lampe unter der Wolldecke erkennen konnte, unbewegt dalag und offenbar schlief. Er trat noch einen weiteren Schritt in den Raum hinein, als aus dem oberen Stockwerk die peit-
schenden Schüsse von Maschinenpistolen ertönten, unterbrochen von Schreien, vom Explosionsknall einer Handgranate, dem Gepolter stürzender Körper und neuer Geschoßgarben. Stevens war einen Atemzug lang von dem Tumult, dem Lärm der Schüsse und dem stattfindenden Kampf abgelenkt worden, aber diese kurze Sekunde der Unaufmerksamkeit rettete dem Mann im Bett das Leben. Major Wöllmer schoß durch die Bettdecke in rascher Folge sein Pistolenmagazin leer. Stevens spürte einen Schlag in der Schulter, ließ die Lampe fallen, hob die MPi, die ihm aber ebenfalls entglitt. Er fühlte einen Strom warmen Blutes über seine Brust rinnen und durch das Hemd nässen, zugleich hatte er das Empfinden, seine rechte Hand sei nicht mehr vorhanden. Mit einem Ächzen brach er zusammen. Unteroffizier Faber hatte lange nicht einschlafen können. Irgendeine geheime, ihm selbst kaum bewußte Unruhe hielt ihn wach. Er mochte nach vielleicht einer Stunde dann doch in eine Art Halbschlaf gesunken sein, als er wieder aufschreckte. War da ein Geräusch gewesen, das ungewöhnlich und fremd erscheinen mußte? Er lauschte. Vielleicht hatte im Geschäftszimmer das Telefon gesummt? Aber er hörte nichts, auch die Stimme Laschs nicht, der heute Nachtdienst hatte und im Geschäftszimmer schlief. Plötzlich wußte er, mit Betz stimmte etwas nicht! Unteroffizier Faber sprang aus dem Bett und ging zum Fenster. Er sah die Gestalt des Soldaten, die sich langsam am Hause entlang zu einer Buschgruppe bewegte, sich
darüber beugte, sich wieder aufrichtete und tiefer in den Garten zu einem anderen Gebüsch trat. Dann kam Betz zurück. Im schwarzen Schatten der Pflanze sah Faber das feine Glimmen einer Zigarette. Er fluchte in sich hinein. Betz, dieser Lümmel, wußte doch, daß es verboten war, in der Nacht zu rauchen. Faber ging zu seinem Bett zurück und kroch in seinen Schlafsack. Er brachte den Gedanken von Betz nicht los. Zum Teufel mit dem Kerl – was hatte er übrigens im Garten gesucht? Warum hatte er achtlos seine Zigarette fortgeworfen? Der Unteroffizier kletterte erneut aus dem Schlafsack und tappte mit nackten Füßen abermals ans Fenster. Wieder erblickte er Betz, doch dieses Mal ging er eigenartig gebückt an dem Rizinusbusch vorbei. Dann war nichts mehr zu sehen. Betz? Da war doch ein Burnus gewesen! Faber handelte in Sekundenschnelle. Er rüttelte Nepple, Kraus und Meyer wach. „Raus, vorwärts – mit Maschinenpistolen. Irgend was stinkt!“ Sie torkelten hoch. Unteroffizier Faber stand schon an der Tür, hatte das Magazin lautlos in seine MPi geschoben und warf einen ungeduldigen Blick rückwärts. Nepple hatte zwei Handgranaten ergriffen, Meyer eine MPi und Kraus ein Gewehr. „Leise, um Himmels willen. Vorsicht beim Durchladen. Nepple neben mich, Meyer ans Fenster.“ Faber hörte ein leises Knacken. Im nächsten Augenblick erdröhnte das Haus unter mehreren Explosionen. Klirrend zersprangen die Scheiben am Fenster. Die Tür bebte unter
dem Luftdruck. Der Unteroffizier gab eine Folge schneller Schüsse durch das Holz der geschlossenen Türe, riß sie auf und Nepples Handgranate flog zischend in das Treppenhaus. Aus dem Dunkel pfiffen Kugeln um ihre Köpfe. Undeutlich gewahrte Faber einen Schatten, schoß und in den peitschenden Knall seiner MPi dröhnte aus dem Treppenhaus die von Nepple geworfene Handgranate. Er sprang vorwärts, fiel über einen Körper, raffte sich auf, stürmte zur Treppe, die er hinab raste. Rauchschwaden, Pulverdampf und Gestank verbrannten Plunders erfüllten das ganze Haus. Faber hörte Schreie, Stöhnen, hörte abermals Schüsse und lief in den Garten. Er sah ein paar weiße Gestalten, die an den Häusern der Straße entlang huschten, riß die MPi hoch, aber zu spät merkte er, daß das Magazin leer war. Meyer warf sich neben ihn, und schon hallten seine Schüsse durch die nächtliche Straße. Wenn die wenigen überlebenden Deutschen später den Ablauf dieser erregenden Minuten überdachten, so wußten sie selber nicht mehr zu sagen, was sich zugetragen und was sie getan hatten. Sie handelten völlig unbewußt. Unbewußt sprangen sie mitten in den Hexenkessel, in den sich der Frieden des deutschen Stabsquartiers plötzlich verwandelt hatte. Sie ahnten dabei nicht, daß der Handstreich der Long Range Desert Group wohlvorbereitet gewesen war, daß er einer im englischen Hauptquartier durch Tage und Wochen erörterten Planung entsprang, um sich der Person Rommels zu bemächtigen, über den in einem Tagesbefehl der britische Oberbefehlshaber der Mitteloststreitkräfte gesagt hatte: „Es besteht die wirkliche Gefahr, daß unser Freund
Rommel zu einer Art Zauberer oder Kinderschreck für unsere Truppen wird, denn sie sprechen zu viel von ihm. Er ist auf keinen Fall ein Übermensch, wenn er auch sehr energisch und fähig ist… Ich fordere alle Leiter und Chefs der Stäbe auf, mit allen Mitteln den Eindruck zu verwischen, daß Rommel irgend etwas mehr darstellt als ein gewöhnlicher deutscher General.“ Von den fünf deutschen Offizieren und zwei Schreibern, die in den unteren Räumen des Hauses wohnten, war nur Major Wöllmer mit dem Leben davongekommen. Den Schützen Betz fanden sie tot unter dem Rizinusbusch. Kraus war schwer verwundet, Nepple durch einen Herzschuß gefallen. Der englische Kommandotrupp aber, der eigentlich Rommel hätte ausheben sollen, war zerschlagen worden. Stevens kam nach 28 Stunden in einem deutschen Lazarett wieder zu sich und fand Miller im gleichen Zimmer, noch immer am Leben, aber in hoffnungslosem Zustand. Unter den Toten befanden sich zwei weitere englische Soldaten. Am nächsten Morgen entdeckte eine deutsche Streife noch die Leiche eines englischen Offiziers, der in einem der Gärten der Nachbarhäuser zusammengebrochen sein mußte. Wie der englische Trupp nach Cirene gelangt war, blieb der deutschen Führung ein Rätsel. Es ließ sich bei dem Versuch, den genauen Ablauf der Aktion zu rekonstruieren, auch nicht mehr ermitteln, ob in der Tat noch mehr Engländer an dem Unternehmen beteiligt waren, wie Unteroffizier Faber behauptete, der, aus dem Hause stürzend, mehrere Schatten erkannt haben wollte. Haus um Haus der Stadt wurde durchsucht, das Araber-
viertel sorgsam durchgekämmt. Nirgends fand sich auch nur mehr die Spur eines Tommies. Und Oberleutnant Stevens hatte jede Aussage verweigert… General Rommel aber hatten die Tommies nicht erwischt. Er war gar nicht in Cirene gewesen. Oberst Johannes Bork sah wirklich nicht wie ein leibhaftiger Oberst i. G. aus. Ein paar entzündete Augen blinzelten aus einem krebsroten Gesicht. Die Uniform, die aus einem Hemd ohne Abzeichen, engen Khakireithosen und hohen Schnürstiefeln aus Segeltuchschäften bestand, war staubbedeckt und vom vielen Waschen ausgeblichen und unansehnlich geworden. Niemand hätte in diesem Mann den Chef des Stabes vermutet, als er sich jetzt mit einem schmutziggrauen Taschentuch über die Augen rieb. Rommel hatte die Hände flach vor sich auf den Tisch gelegt. Er schien der einzige, den die Hitze nicht störte und dem die dumpfe Luft in dem Kommandowagen nichts anhaben konnte. Oberleutnant von Polenz lehnte erschöpft an dem kleinen Schreibmaschinentisch und Hauptmann Dönhoff hatte ein Notizbuch auf den Knien. Schweiß perlte auf seiner Stirn. „Mich überrascht gar nichts mehr“, sagte Rommel. Seine Stimme verriet Ärger und Bitterkeit. „Wenn wir den Sprit nicht rechtzeitig bekommen, werden wir weder angreifen, noch einer Offensive von der anderen Seite zuvorkommen können. Was sagen Sie, Bork?“ „Ich kann nur wiederholen, Herr General, was ich die letzten Tage in meinen Meldungen schon zusammengestellt habe. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß Penthouse einen Gegenschlag vorbereitet. Man wird sich drüben ja auch darüber im Klaren sein, daß unser ständi-
ger Mangel an Sprit und sonstigem Nachschub uns in der Bewegung mehr oder weniger lähmt.“ „Dönhoff, welche Divisionen sind festgestellt?“ „Die 1. und 2. südafrikanische, die 5. indische, die 1. Panzerdivision und die 2. 4. und 22. Panzerbrigade, Herr General.“ „Ibn ben Drussuffs Leute sind noch nicht zurück. Ich nehme an, daß sie im Laufe der Woche einpassieren und wir dann eine Bestätigung dafür bekommen, ob die feindlichen Versorgungslager wirklich vorgeschoben werden“, meldete Polenz. „Wie wird der Engländer handeln? Was denkt er? Das ist die einzig interessante Frage. Könnte man sie beantworten, dann wüßten wir, was zu erwarten ist.“ Rommel warf einen Blick auf die Karte und richtete sich wieder auf. „Er würde nichts riskieren, wenn er nichts hat! Und er hat jetzt eine ganze Menge! Unser Vorteil ist, daß seine Führung zu schwerfällig ist und die Truppe sich stur an ihre Befehle hält, auch wenn sie nicht der Lage entsprechen. Und da Penthouse nicht vorne führt, sondern hinten, werden wir dann eben ohne genügend Sprit sehen müssen, uns aus der Klemme zu ziehen.“ Rommel griff noch einmal zu den Meldungen und blätterte sie mit ernstem Gesicht durch. Es war ein ganzer Stoß, und alles, was sie enthielten, waren immer neue Nachrichten von der Versenkung von Versorgungsschiffen, unter denen die Tanker obenan standen. „Und was war das in Cirene? Was Genaues bekannt?“ Hauptmann Dönhoff nahm Haltung an. „Es läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob es ein Kommandounternehmen war, Herr General. Die Funküberwachung hat jedenfalls nichts ergeben.“
„Seien Sie sicher, das war ein Streich der Prendergast-Leute. Wir haben sie nicht zum ersten Mal zu fühlen bekommen. Bork, wir wollen noch einmal die Sicherungsbefehle für das rückwärtige Gebiet in Erinnerung bringen. Noch was?“ „Der Funkstelle liegen Meldungen von der Aufklärungsabteilung vor. Die vorgeschobenen Beobachter haben seit drei Tagen festgestellt, daß der auffällige Funkverkehr, der von 413 abgehört wurde, aufhörte.“ „Das Jagdgeschwader Neumann soll sich drum kümmern und Major Reimer sich mit seinem Storch umschauen. Irgend etwas liegt in der Luft. Es ist nicht nur Penthouse. Bork, lassen Sie heute noch entsprechende Weisungen herausgehen.“ Rommel erhob sich. „Dönhoff… Sie und Brandt können mitkommen. Ich will mir noch mal die Stellungen im Küstenabschnitt ansehen. Mir gefällt da einiges nicht. Wittle soll sich um 13 Uhr bereit halten.“ Der General kletterte vom Kommandowagen, überquerte das Wadi und schritt seinem Zelt zu. Es roch nach Ölsardinen, die sich Offiziere und Soldaten brieten, um ein wenig Abwechslung in ihr Menü zu bringen. Mit einiger Phantasie konnte man denken, es seien Mainfische. Dönhoff fuhr sich mit der flachen Hand über den kahlen Schädel. „Daß wir immer in der Hitze losfahren müssen“, klagte er. „Und wenn er erst mal vorne ist, dann wird es Nacht, bis wir wiederkommen.“ „Vergessen Sie nicht die Vesperpause und daß Sie Ölsardinen einpacken lassen, Dönhoff.“ „Ich laß Ihnen welche übrig, Polenz. Aber Sie könnten aus
Cirene wieder mal Gemüse holen lassen.“ „Sehen Sie zu, daß Sie zur Aufklärungsabteilung kommen. Die haben ein halbes englisches Schiff erbeutet und im Bir Hacheim steckt alles voll fetter Beute. Sie mögen doch Whisky…“ Oberst Prendergast hatte die Beschwerlichkeit des Marsches doch unterschätzt. Zwei Tage war seine Abteilung in Siwa geblieben, und, beim Barte des Propheten, wer wollte leugnen, daß sie da ein gesegnetes Fleckchen Erde angetroffen hatten! Schier unendlich dehnten sich die Dattelpalmen aus. Helles klares Wasser sickerte durch die Bewässerungsgräben. Überall leuchtete fettes grünes Gras. Rostrot schimmerte das Getreide, das in Quadraten angebaut wurde. Zwischen den Oasenhainen blitzten Teiche und kleine Seen. Die Luft duftete nach saftigen Pflanzen, nach Blumen und Wasser – süßem Wasser! Die Engländer hatten aufgetankt. Sie hatten die Luftfilter der Motoren gereinigt und ihre Kanister und Säcke mit dem süßen Wasser von Siwa gefüllt. Zehn Wagen hatten sie freilich zurücklassen müssen. Sechs waren ausgefallen, Kupplungsschaden, Federbrüche und anderer Ärger, eine Folge der nächtlichen Märsche in unbekanntem Gelände. Einer der Wagen war von der eigenen Luftwaffe in Brand geschossen worden. Es war der einzige erbeutete deutsche Volkswagen, den sie besaßen. Drei Fahrzeuge waren auf Minen geraten, die kein Mensch unterwegs vermutet hatte. Sie mochten wohl noch aus den Tagen der italienischen Offensive stammen. Es hatte vier Tote und zwei Verwundete gegeben. Und einige Kerls hatten zu viel Wasser oder sonst irgendwas in sich hineingepumpt und es gab Ruhr, dazu ein paar Hitzschläge.
Prendergast hatte jetzt selbst die Führung übernommen. Mit 30 Wagen war er abmarschiert. Lovett und Franken hatten Befehl, nach je 24 Stunden in Abteilungen zu je 40 Wagen zu folgen. Ihre Route war durchgesprochen und genau eingezeichnet worden. Sie wollten getrennt marschieren, um dann vereint zu schlagen. Oberst Prendergast hatte bei der letzten Zigarette und dem letzten Glas Gin noch einmal erläutert, wie jede Gruppe sich verhalten sollte, und dabei alle Möglichkeiten erörtert, mit denen zu rechnen war. Eines aber hatte er ihnen nicht gesagt, daß er nämlich im Geheimen den Ge- danken erwog, Lovett im letzten Augenblick über den Flugplatz el Ghazala nach Derna abdrehen zu lassen. Gelang es Oberleutnant Stevens, den „Wüstenfuchs“ wirklich zu fangen, dann genügten für Bengasi 70 Jeeps, was immerhin 210 Mann bedeutete, die mit ihrer Ausrüstung den Fritzies einen ganz hübschen Feuerzauber hinlegen konnten. Warum also nicht auch den Flugplatz el Ghazala zerstören, einschließlich allem, was nicht nietund nagelfest war, und dann in Derna ein wenig Räuber und Gendarm spielen? Das konnte ein Mordsspaß werden. Aber Prendergast wollte erst einmal abwarten, wie weit und wie gut sie vorankämen und ob er Verbindung zu Stevens bekommen würde, wie ihm General Penthouse zugesagt hatte. Er konnte sich im letzten Moment noch immer entscheiden. Und der General hatte ihm ausdrücklich freie Hand gegeben, als er ihm seinen Vorschlag unterbreitete. Die Nachtmärsche waren eine höllische Sache. Praktisch fuhren sie von Siwa aus quer durch die Sahara, durch eine völlig vegetationslose Wüste, in der eine Piste mit möglichst festem Untergrund erst von ihnen gefunden werden
mußte. Das heißt, wenn es überhaupt eine gab. Nacht für Nacht mußte Oberst Prendergast Rasten einlegen, um abgekommene Fahrzeuge durch Lichtsignale heranzuholen oder sie zu suchen. Nacht für Nacht gab es Pannen, weil sie unvermutet in Wadis gerieten, angefüllt mit riesigen Gesteinsbrocken, die sich jeder Durchfahrt widersetzten. Spähtrupps mußten erst einen Weg suchen, wenn sie im Triebsand feststeckten, in welcher Zeit die Monteure herumfluchten, um gebrochene Federn auszuwechseln, versandete Filter zu reinigen, Ventile zu kontrollieren und was es sonst noch alles an Scherereien gab. Die ersten zehn Tage hatte Prendergast mit Captain Lovett und Leutnant Franken in Funkverbindung gestanden. So bekam er jeden Abend, bevor sie weitermarschierten, einen genauen Überblick und sah, daß die beiden anderen Gruppen unter den gleichen Schwierigkeiten litten. Am dritten Tage hatte Lovett den Ausfall von zwei Wagen gemeldet, am fünften Leutnant Franken drei Tote und einen Wagen. Aus nicht zu erklärender Ursache war eine Tellermine während des Marsches explodiert. Vom Wagen und seinen Insassen war nichts mehr zu finden, da die anderen Minen ebenfalls hochgingen. Nach einer Woche mußten sie das Wasser schärfer rationieren. Sie hatten 250 Liter in jedem Fahrzeug geladen. Das ergab einen Verbrauch von 15 Litern am Tage. Aber die Kontrollen ergaben, daß sich die meisten Besatzungen der Fahrzeuge an die Weisungen nicht gehalten und mehr verbraucht hatten. So wurde die Tagesration auf drei Liter festgesetzt, dann auf zweieinhalb, und endlich auf zwei gekürzt. Das war zu wenig! Die großen kräftigen Männer, aus denen die Soldaten der Long Range Desert Group zumeist bestanden, tranken leicht ihre drei Liter und hät-
ten für die Mahlzeiten, und da sie sich zwischendurch auch mal waschen wollten, gut und gerne sechs gebrauchen können. Es gab Fälle von Hautekzemen, die Pflege und Sauberkeit erforderten! Wie sollte das ohne Wasser gemacht werden? Wie ein Stier fuhr Prendergast dazwischen, wenn er irgendeiner Bummelei auf die Spur kam, einer Vergeudung von Wasser, einem Verstoß gegen die Gesetze der Gemeinschaft, die seine Truppe eisern einzuhalten gelehrt worden war. Er ließ Tuplegat vier Stunden an einen Wagen binden, weil er einem anderen die Feldflasche während einer Rast ausgeleert hatte. Er drohte Bilther mit einem Kriegsgerichtsverfahren, weil er zu müde gewesen war, auch ohne Befehl den Luftfilter zu reinigen. Er ließ zwei Soldaten die Wasserration auf einen halben Liter herabsetzen, als die beiden in einen Streit geraten waren und bei einer Rast mit ihren Messern aufeinander losgingen. Doolittle hatte Befehl, ihm – Oberst Prendergast – die tägliche Wasserration zu verabfolgen, die einen halben Liter weniger betrug, als sonst jedem Mann zustand. Sergeant Ward hatte alle zwei Tage Appelle abzuhalten, um die Männer auf Ausschlag, Ekzeme oder Sandflöhe zu untersuchen, eine Pflicht, die dem ewig schwitzenden Ward den immer neu variierten Rat eintrug, ob er das nicht in Londoner Mädchenpensionaten mit mehr Erfolg unternehmen könnte. Oberst Prendergast war bald dazu übergegangen, nur kurze Nachtmärsche zu machen und auch den Tag zu Hilfe zu nehmen. Sie rasteten morgens und abends und fuhren erst an, wenn die Hitze kaum noch erträglich war und jede Berührung mit den Metallteilen der Wagen auf der Hand Brandblasen verursachte. Aber diese Tages-
märsche hatten ihren guten Grund. Wenn die Luft zu einem einzigen wabernden Brei zusammenschmolz, riesige blaue Seen vor sie hinzaubernd, auf die hereinzufallen die Männer immer wieder versucht waren, zumal die Vorstellung von Wasser und Seen, in denen man baden und sich waschen konnte, sie Stunde um Stunde quälte und mit durstiger Gier erfüllte, wenn also diese Luft jede Sicht und Beobachtungsmöglichkeit nahm, dann waren sie vor Überraschungen am sichersten. Solange die Fronten ruhig blieben, bewegte sich kein Mensch in diesen Stunden, in denen es schon eine Anstrengung bedeutete, nur nachzudenken oder einen Arm auszustrecken. Infolgedessen gab es auch keine Flieger am Himmel. Wurde die Luft aber klar oder kündete die sich umschleiernde Sonne den Abend an, dann standen Prendergasts Fahrzeuge weit auseinandergezogen, getarnt unter Netzen, geschützt mit Sandaufwürfen, und jede Bewegung hatte zu unterbleiben. So schlängelte sich die Kolonne mit äußerster Vorsicht und mit Bedacht durch die Wüste, verlor auf dem Marsch durch Motorenschaden acht Fahrzeuge, so daß Prendergast schließlich mit 22 Jeeps sich dem ersten Marschziel näherte, wo ihm Benzin aus der Luft zugeführt werden und eine Maschine sechs Kranke abholen sollte. Den Funkverkehr zur 8. Armee hatte er am Vortage einstellen müssen. Sie hatten die Cyrenaika erreicht, und jetzt war nur noch eine Verbindung mit Lovett und Franken möglich, die zu täglich wechselnden Zeiten und einmal in 24 Stunden hergestellt werden durfte. Leutnant Franken hatte gemeldet, er werde in der Nacht nach Prendergasts Abmarsch eintreffen, um seinen Spritanteil aufzunehmen. Er hatte drei weitere Fahrzeuge
verloren und hatte fünf Leichtkranke, die bei der Gruppe bleiben könnten, zumal sie ausdrücklich darum gebeten hatten. Franken stand einen Tagemarsch südostwärts von Prendergast. „Stimmung und Disziplin ausgezeichnet“, funkte er. „Wasserfrage wird dringend. Wasser in Kanistern fängt an zu riechen.“ Prendergast machte ein böses Gesicht. Franken hatte nicht aufgepaßt. Seine Leute hatten natürlich erst die Wassersäcke geleert, anstatt sie aufzubewahren. Aber nun sollten sie ruhig das überständige Wasser saufen. Sie waren selbst schuld daran. Im übrigen hatten sie in den Kanistern Wasserfilter und Chlortabletten. Und was sollte er tun? Erwarteten sie vielleicht, daß er ihnen Muttermilch schicken würde? Auch Captain Lovett meldete täglich seinen Standort. Zwei Fahrzeuge waren zu Bruch gegangen, ein drittes blieb vermißt. Der Oberst funkte erregt zurück und ersuchte um Tatbericht. Bearley, Fahrer und zugleich als Sergeant Spieß seiner Gruppe, hatte Lovett vor dem Abmarsch die Gruppe als vollzählig gemeldet. Bei der ersten Rast fehlte ein Wagen. Lovett hatte Lichtsignale gegeben. Er hatte zwei Fahrzeuge den Weg zurückgesandt, die Sergeant Dress führte, ein ebenso besonnener wie umsichtiger Mann. Er war langsam gefahren, hatte in Abständen gehalten, Signale gegeben, auf Motorengeräusche gehorcht. Nichts! Dress war am nächsten Morgen bei Licht abermals auf die Suche gegangen, obwohl die Abteilung dadurch einen vollen Marschtag verlieren mußte. Es waren nicht einmal Spuren des Wagens zu entdecken gewesen, und um Haa-
resbreite wäre auch Dress verlorengegangen, weil um elf Uhr ein Sandsturm losbrach, der bis zum Abend währte. Lovett hatte die Mannschaft aufgeben müssen und konnte nur hoffen, daß man hinten seinen Funkspruch erhalten und die Luftwaffe zur Suche eingesetzt hatte. Am 11. August flog Reimer, Major der Heeres-Aufklärungsflieger, mit seinem Storch nach Agedabia. Auf dem Rückweg nach el Ghazala schlug er die Route quer durch die Cyrenaika ein. Er beschloß, seinen Storch über die Wüste zu lenken und vor allem nach dem Süden einen Schlenker zu machen, nachdem er Befehl hatte, mögliche Feindbewegungen in diesem Raum im Auge zu behalten. Reimer hatte vier Tage eigentlich nichts anderes getan, als zu erkunden. Er war mit der schnellen Me 110 gestartet und hatte halb Libyen durchquert oder vielmehr überquert. „Keine Neuigkeit“, hatte er jeden Abend an Bork durchgegeben. Gestern hatte er Rommel zu einer Besprechung nach Agedabia gebracht. Es hatte von Italienern gewimmelt, es hatte ein Riesenessen, guten Mokka und noch mehr zu trinken und dann endlose Konferenzen gegeben. Reimer hatte den Kopf in einen der Eimer voll frischen Wassers gesteckt, die er sich aus einem Brunnen heraufziehen ließ und war abermals in die Maschine gestiegen. „Keine Neuigkeit.“ Heute wollte er mit dem Storch schön langsam und sorgsam seine Route abpendeln. „Keine Neuigkeit.“ Es ist eigentlich immer dasselbe, dachte der Major. Aber Befehl ist Befehl, und Rommel wird seine Gründe haben! Er flog auf 50 Meter herunter, um sich das Gelände näher
zu betrachten. Und dann grinste er plötzlich fröhlich vor sich hin: Da unten lief eine Piste, um sich am Horizont im Dschebel zu verlieren. Und in dieser Gegend war es gewesen, damals im April 41 – oder war es schon Mai? – daß er mit dem General von Agedabia aufgestiegen war, um die quer durch die Cyrenaika vorstoßenden Einheiten der 9. Leichten Division zu suchen. Und da unten, auf eben dieser Piste, hatten sie im ersten, noch undeutbaren Licht der Morgenfrühe die Kolonne erspäht. „Wir wollen kurz landen“, hatte Rommel gesagt, und als er schon ansetzte, um auf den Boden herabzustoßen, hatte der General ihm auf die Schulter geklopft. „Los, Reimer, weiter!“ hatte er ihm ins Ohr geschrien und dabei nach unten gedeutet. Reimer hatte sich zu der Glasverschalung gebeugt und einen Haufen von weiß leuchtenden Gesichtern gesehen, die alle herauf starrten. Es war eine englische Marschtruppe. Das war noch gerade gut gegangen. Die Tommies unten hatten offenbar nicht begriffen, wer in zwanzig Meter Höhe über sie hinweg flog! Reimer zog jetzt die Piste entlang und bog angesichts der nackten Steinberge des Dschebel el Achdar nach Süden aus. Hinter dem Dschebel hatten sie damals die Fahrzeuge der 9. Leichten gefunden und vom Storch aus hatte Rommel seine Truppen zur Einschließung von Mechilli angesetzt. Reimer flog Stunde um Stunde, aber nichts rührte sich. Einmal sah er im Sonnenglast einige dunkle Punkte, merkwürdig fremde Gebilde, die dann plötzlich nicht mehr zu sehen waren. Er suchte, fand sie erneut und flog über sie weg. Es waren Fahrzeuge! Reimer ging tiefer und nun sah er deutlich die Ansamm-
lung. Er erschrak. Irgendwie erschien ihm das Bild unheimlich. Doch dann fiel ihm ein, daß Rommel seinerzeit beim Vormarsch alte italienische und englische Fahrzeuge, die nur noch Schrottwert hatten, hier zusammenzog, um dem Gegner einen Panzeraufmarsch vorzutäuschen, der seine Flanke bedrohte oder doch starke deutsche Kräfte vermuten lassen sollte. Reimer zog eine neue Schleife. Er drückte die Maschine noch tiefer. Nichts rührte sich dort unten. Keine Bewegung war zu sehen. Ihm schien ein Irrtum ausgeschlossen. Das da unten war Rommels „Bluffarmee“, waren „die starken, überlegenen Panzerkräfte“, von denen der britische Heeresbericht damals gesprochen hatte… „Keine Neuigkeit“, lautete die Meldung, die am Abend bei Oberst Bork im Kommandowagen abgegeben wurde. Bork fuhr sich mit dem Handrücken über die entzündeten Augen. Er hob den Feldfernsprecher ab. „Rosenstock“, meldete sich eine Stimme. „Geben Sie mir Blumenkohl.“ „Was für idiotische Namen sind das…“ dachte Oberst Bork, als er sich als „Rübenstiel“ meldete und den Staffelkapitän Neumann endlich am Apparat hatte. Neumann, aus dessen Jagdverband wenig später der Stern Marseille am Himmel aufgehen sollte, hatte sich bei el Ghazala als „Neumanns bunte Bühne“ niedergelassen. Seine Jäger wußte die Truppe zu schätzen. Bomberverbände in einem Land, das keinen Baum und keinen Strauch, sondern nur das reine Nichts zur Deckung anbot, waren keine angenehme Begleitmusik zu dem Krieg in der Wüste. „Neumann, ich möchte Sie bitten, morgen Vormittag ihre Staffel einzusetzen. Ich möchte das Gebiet noch einmal
durchgekämmt haben, für das ich Ihnen die Planquadrate noch zugehen lasse. Ist das möglich? Ja – ich verstehe – haben Sie Dank.“ Auch die Mitglieder von Neumanns „bunter Bühne“ sichteten die Fahrzeuge, die Reimer am Vortage überflogen hatte. Sie konnten nicht wissen, daß sie jetzt merkwürdigerweise über einem Raum verteilt standen, der 30 Kilometer nördlicher lag. Feldwebel Grasshoff, dessen Maschine den Abschuß von fünf feindlichen Jägern aufgezeichnet trug, war an diesem Tage verärgert. Vergebens hatte er gestern in sechsmaligem Anflug einen Tommy vom Himmel zu holen versucht. Am Abend hatte er sich betrunken, und jetzt war ihm irgendwie nicht sonderlich wohl. Und er, ausgerechnet er, mußte hier herumfliegen, wo sich nichts tat, fern der Front, fern der Heimat und mit einem Bumskater! Er riß plötzlich am Steuerknüppel, die Maschine neigte sich und setzte zu einem Sturz auf einen der verlassenen Wagen an. Jetzt war er im Visier und Grasshoff drückte auf den Abzugsknopf. Eine Perlenschnur von Leuchtgeschossen stob zur Erde. Grasshoff zog die Maschine hoch, lächelte befriedigt, denn seine Schüsse hatten gesessen, und zog die Me 110 leicht in die Kurve. Abermals riß er am Steuerknüppel. Er war so ehrlich verblüfft, daß er es ohne nachzudenken getan hatte. Er konnte sich aber kaum geirrt haben. Ein schwacher Knall und etwas wie ein Blitz war zu ihm heraufgedrungen. Die Maschine beschrieb einen Kreis und nun sah er, was los war. Das Fahrzeug brannte und dann gab es drei, vier Explosionen, zwanzig Meter weiter entzündete sich ein zweiter Wagen mit einer Detonation.
Dann war Stille und nur Flammen und Rauch zu sehen. Tarnfahrzeuge? Grasshoff schaltete den Sprechfunk ein. Neumann mußte sofort Meldung haben. Eine halbe Stunde später war die Luft von dumpfem Brausen erfüllt, ein tiefes zitterndes Vibrieren, das von fernher kam, sich näherte, lauter wurde und dann über der toten Wüstenlandschaft drohend hinweg dröhnte. Zwanzig Ju 88, die langsamen, der zuverlässigen Sturzkampfbomber, näherten sich der englischen Abteilung des Leutnant Franken. Leutnant Franken war nach dem ersten Angriff des Feldwebels Grasshoff sofort aufgebrochen, um sich in irgendeinem Wadi des nahen Dschebel zu bergen. Aber der junge Offizier hatte nicht damit gerechnet, daß er einige Zeit brauchen würde, um einen Zugang zu dem Dschebel und ein Wadi zu finden, in das er auch eindringen konnte. Als er zur Eile antrieb, gerieten sie ausgerechnet in ein Tal, das von Steinen blockiert war. Es gab eine Verstopfung und die 35 Fahrzeuge seiner Gruppe schienen in ein unentwirrbares Knäuel verstrickt. In diesem Augenblick schlug der Tod zu! Die ersten deutschen Stukas senkten sich wie spielerisch über den einen ihrer blinkenden Flügel. Und dann stießen sie herab, plötzlich aufheulend, als wollten sie die Hölle ankündigen, wuchsen an, wurden immer größer. Die Bombenlasten lösten sich und in einer eleganten Aufwärtsbewegung donnerten die Maschinen über den Dschebel hinweg, indessen die nächsten schon niederstürzten und mit ihrem entsetzlichen Heulen die Luft erfüllten. Eisen, Steine, Rauch und Feuer wirbelten auf. Eine
schwarze Rauchwand wallte hoch. Die explodierenden Bomben dröhnten und wummerten in das Heulen der folgenden, wieder zurückgekehrten Stuka-Ketten. Der Tod schlug zu, und er konnte nicht besser treffen. In die Fahrzeuge, die weder nach vorne ausbrechen, noch nach hinten flüchten konnten, fiel Bombenreihe auf Bombenreihe. Von der Abteilung Franken blieb nichts übrig. Smith, selbst schwer verwundet, hatte den sterbenden Offizier neben sich gefunden, der beim Versuch, eine Deckung zu erreichen, getroffen worden war. Mit der Feldflasche flößte Smith ihm ein paar Tropfen Tee ein. Franken trank drei Schlucke, dann trat ihm Blut auf die Lippen, er hob die Hand, bewegte langsam die Finger, als wollte er irgend etwas von sich streifen, blickte Smith noch einmal an, seine Augen wurden glasig und sein Kopf fiel hintenüber. Ein italienisches Sanitätsfahrzeug, das fünf Stunden später zu dem Wadi stieß, fand 24 Tote und sieben Verwundete, von denen drei, darunter Smith, auf dem Transport starben. Fünf Soldaten, von denen keine Spur mehr gesichtet werden konnte, galten als vermißt. Oberst Prendergast wartete an diesem Abend vergeblich auf die Meldung Leutnant Frankens. Doch zeigte sich der Oberst darüber nicht sonderlich beunruhigt. Franken konnte, nachdem er in der Vornacht seinen Brennstoff ergänzt haben mußte, zum Treffpunkt so dicht aufgerückt sein, daß ihm jeder Funkverkehr zu riskant war. In der folgenden Nacht würde er sich sicher mit ihm treffen, indessen ihre beiden Abteilungen in ihren Tarnstellungen abwarteten, Spähtrupps die Vormarschstraßen erkundeten
und erst dann, nach deren Rückkehr, der Angriff angesetzt werden konnte. Dicht vor Bengasi stehend, würde es genug Unterschlupfe geben. Hier dehnten sich Olivenhaine, schmiegten sich Obstplantagen an die Steilhänge des Dschebels und im Tal stand das Getreide übermannshoch. Prendergast, der die Umgebung Bengasis kannte wie seinen Hausgarten in Beverley, wußte: waren sie erst einmal im grünen Gürtel der Cyrenaika angelangt, so hatte es keine Not mehr. Sie würden dann auch Wasser finden, frisches Wasser, das sie lange genug hatten entbehren müssen. „Um vier Uhr wird abmarschiert“, instruierte der Oberst Ward. „Ich möchte möglichst weit heute kommen, damit sich die Leute vor dem Angriff noch verschnaufen können. Sie haben’s verdient nach den teuflischen Tagen, die hinter uns liegen. Um neun Uhr Rast. Bis zwölf!“ „Wir haben wieder einen Ruhrfall, Sir, und einen Mann, bei dem ich Diphtherie vermute.“ „Wir werden die Kranken zurücklassen. Das Wadi, das unser Stützpunkt werden soll, ist gut geeignet, außerdem erwarte ich zwei arabische Führer. Morgen Abend kommen Sie mit mir, Ward. Will selber etwas erkunden, wenn wir Franken getroffen haben. Dress kann so lange für Ordnung sorgen. Und schärfen sie es den Leuten nochmals ein, es darf von jetzt ab nachts nicht mehr geraucht werden!“ „Könnten wir nicht Whisky heute ausgeben, so dicht am Ziel, Sir.“ „Meinetwegen, Ward. Aber rollen Sie sich auch zusammen. Gute Nacht.“
„Ich möchte“, sagte General Rommel zu dieser gleichen Stunde am Fernsprecher des Oberquartiermeisters in Cirene, „ich möchte, daß die Luftwaffe morgen früh noch einmal startet. Sprechen Sie gleich mit dem Fliegerführer, Bork. Sie sehen, ich habe recht gehabt! Und ich weiß, daß der Engländer niemals mit einer Handvoll Fahrzeuge hier hinten herumturnt, wenn er nicht wirklich was vorhat. Also muß mehr da sein. Ich habe für alle Fälle in Cirene die nötigen Maßnahmen treffen lassen, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, daß sie das italienische Oberkommando ausheben wollen. Davon haben sie nichts. Dönhoff hat übrigens alle rückwärtigen Verbindungen benachrichtigt. Morgen werden wir mehr wissen. Und machen Sie sich darauf gefaßt, daß Penthouse möglicherweise den Reigen eröffnet. Ich bin gegen Mitternacht zurück.“ Rommel wandte sich an Major Wöllmer. „Was haben wir heute an Brennstoff bekommen?“ „Es sind drei Dampfer versenkt worden, Herr General, und damit haben wir statt 2400 Tonnen nur 100 löschen können. Wir verfügen noch über vier Versorgungssätze, also etwa über 2400 Tonnen. 8000 Tonnen sind angefordert.“ „Neun Schiffe in einem Monat mit 22 000 Tonnen torpediert, das ist eine tolle Sauerei!“ Wöllmer zuckte die Achseln. „Ich werde notfalls nach Rom fliegen, wenn ich noch weg kann“, sagte Rommel, ohne auf eine Antwort zu warten. Wöllmer begleitete Rommel vor die Tür, wo Hauptmann Dönhoff bereits am Wagen wartete. Meyer stand, zur Bildsäule erstarrt, mit präsentiertem Gewehr. An seinem Tropenhemd leuchtete das saubere Band des Eisernen Kreuzes.
Prendergast pfiff vergnügt vor sich hin. Mit den Spritkanistern, die in der Nacht von englischen Versorgungsmaschinen genau dort pünktlich abgeworfen worden waren, wo es verabredet war, hatten zwei Hubschrauber die Kranken an Bord genommen und ihnen zugleich einen dicken Sack mit Post abgeliefert. Prendergast hatte zwei Briefe erhalten. Die alte Tante Elizabeth Osborne hatte geschrieben. In London, so hatte sie berichtet, erwarte man eine Offensive. Churchill habe eine eindrucksvolle Rede im Unterhaus gehalten. Nahe Petty Lane, wo Tante Elza Hunde züchtete und mit der Gartenschere ihren Rosen so wütend zu Leibe ging, daß sie kaum Zeit fanden, auch zu blühen, war die erste amerikanische Truppe eingetroffen. Es waren schreckliche Burschen. Sie erfüllten die Gegend mit Geschrei, prügelten sich um die Mädchen und hatten wirklich sehr schlechte Manieren. Nun, sie, Tante Elza, gehöre eben noch der alten Zeit an, in der Kinderstube und Manieren die Voraussetzung waren, wollte man überhaupt als Mensch angesehen werden… Der zweite Brief, den sich Prendergast bis zuletzt aufgespart hatte, brachte ihm eine Nachricht, auf die er eigentlich Tag für Tag schon gewartet hatte. Seine zweite Tochter war zur Welt gekommen, achteinhalb Pfund schwer, ein winziges, süßes Ding mit verschrumpeltem Gesichtchen und einer Stimme wie ein Stabsoffizier. Der Oberst lachte. Evelyn hatte es ihm wieder gegeben, dachte er. Wo mochte sie jetzt sein? Vielleicht schon zur Erholung in Petty Lane? „Doolittle, die nächste Tankstelle werden wir in Bengasi aufsuchen. Wenn die Fritzies auch nicht viel haben, ich
denke, für uns reicht’s.“ „Jawohl, Sir. Wir halten uns ja auch nur an dem schadlos, was sie uns damals abgeknöpft haben.“ Es war Nacht geworden. Der Wagen fuhr ein Tal entlang und kam an eine Piste, auf der in Abständen alte Benzinkanister als Markierung standen. Prendergast knurrte zufrieden. „Nach meiner Karte sind wir richtig und jetzt muß rechter Hand Bir Echdar kommen. Alsdann biegen wir in das nächste Wadi rechts ab. Ich bin neugierig, ob Franken uns schon erwartet und unsere beiden Scheichs schon da sind.“ Sie passierten den Haufen hoch aufgeschichteter Steine, die Bir Echdar anzeigten und sicherlich schon in der türkischen Zeit als Merkmal der alten Piste errichtet worden waren, bogen dann von der Piste ab und fanden nach zwei Stunden eifriger Suche das Wadi. Es war mit Kameldornbüschen, riesigen Fetthennengewächsen und spärlichem Gras bewachsen, ein Zeichen, daß es im Untergrund Wasser geben mußte. Nach einem Kilometer hielten sie. Sie warteten schweigend neben dem Wagen. „Ward, jetzt drei Mal.“ Prendergast hatte eine Zigarette aus dem Etui entnommen, sie in den Mund gesteckt, aber dann weggeworfen. Drei Mal ertönte der Schrei des Käuzchens durch die Nacht. Es kam keine Antwort. Kein Geräusch unterbrach die Stille. Kein Motorbrummen kündete aus der Ferne Frankens Ankunft. Die drei Männer berieten, was zu tun sei. Franken konnte den Weg verfehlt haben. Er konnte auf irgendein uner-
wartetes Hindernis gestoßen sein, auf eine deutsche Kolonne, auf herumstreunende Araber, auf nicht passierbare Wegstrecken. Es gab ungezählte Möglichkeiten. „Wenn er nicht kommt, müssen wir die nächste Nacht abwarten“, stellte Prendergast gerade fest, als eine Gestalt neben ihm auftauchte. Der Mann, der den Burnus über den Kopf und das halbe Gesicht gezogen hatte, war so unhörbar in ihren Kreis getreten, als sei er dem Erdboden entwachsen. Sein Erscheinen war so unerwartet gekommen, daß Ward sofort nach der Pistole, Doolittle nach dem Dolch griff. Nur Prendergast war nicht zusammengezuckt, sondern hatte die Hand erhoben, ob zum sofortigen Schlage oder zur Begrüßung, blieb ungewiß. Der Araber zog aus den Falten seines Burnus’ ein Papier, reichte es Prendergast, der es im Schein seiner Taschenlampe aufmerksam durchlas. Der Oberst nickte, und die vier Männer ließen sich im Kreis auf dem Boden nieder. Doolittle goß aus einer Thermosflasche süßen heißen Tee ein. Sie tranken schweigend und rauchten. Nach etwa einer Viertelstunde begann Prendergast die Unterhaltung. Sie wurde auf arabisch geführt, aber offenbar verstand Prendergast den anderen schwer oder umgekehrt, denn beide wiederholten immer wieder die gleichen Worte und Sätze. Ward und Doolittle lauschten dem fremden Klang der Zischlaute und hätten alles darum gegeben, wenn sie einen Ton verstanden hätten. Sie kannten Prendergast zu gut, um nicht zu merken, daß der Oberst in wachsende Erregung geriet, so wenig sie auch seiner Stimme anzumerken war.
Dann, nach etwa anderthalb Stunden, erhob sich der Araber. Prendergast ging mit ihm ein paar Schritte abseits. Sie sprachen weiter, der Araber legte die Handflächen aneinander, nickte wiederholt, und schon hatte die Nacht ihn wieder verschlungen. Der Oberst trat zum Wagen. „Wir fahren“, sagte er kurz. Er schwieg und sank neben den Fahrersitz, legte sein Gesicht in beide Hände, richtete sich wieder auf, entzündete seine Pfeife und starrte vor sich hin, als Doolittle den Gang einschaltete und leise anfuhr. Nach einigen Kilometern hatte sich Prendergast offenbar gefangen. Er hob den Kopf. „Halten“, befahl er. Als der Wagen stand, hörten sie das meckernde Jaulen eines Schakals. Die Nacht war so still und so friedlich, als könnte nur ein schrecklicher Traum sein, was Prendergast jetzt mitzuteilen hatte. „Ein schwerer Schlag“, sagte er. „Ich kann es einfach nicht fassen. Der Araber, einer von Ibn ben Drussuffs Leuten, hat verbürgte Nachricht, daß die Abteilung Franken aufgerieben ist. Leute seines Stammes haben auf irgendeinem Flugplatz Schlachtkamele verkauft und waren Zeugen, wie die Maschinen starteten und zurückkehrten. Es seien Bomber gewesen. Erkundungen hätten ergeben, daß sie eine Fahrzeugkolonne angegriffen hätten. Da der Angriff südlich erfolgte, kann es sich nur um die Gruppe Franken handeln. In Agedabia seien einige Verwundete eingeliefert worden. Da sie unter Bewachung kamen, kann es sich nur um unsere Leute handeln. Gnade Gott dem armen Franken und seinen Leuten! Und nichts – nichts können wir machen! – Aber das ist nicht alles. In
Cirene hat es irgendeine Schießerei gegeben vor ein paar Nächten. Ich hatte den Eindruck, der Kerl wußte mehr, als er sagen wollte. Er versicherte immer wieder, nur unbestimmte Nachrichten bekommen zu haben. Es sei ein Kommandotrupp gewesen und er sei in der gleichen Nacht wieder von einem Schiff aufgenommen worden.“ Prendergast steckte seine erloschene Pfeife in Brand. „Ich kann nur annehmen, daß Stevens eine Dummheit gemacht hat, die ihm eigentlich nicht zuzutrauen ist. Jedenfalls – hätte er den „Wüstenfuchs“ erwischt und ihn auch nur beim Schwanz gepackt, dann wüßte man es bereits bis in die entlegensten Lehmhütten des Fezzan. Also…“ „Was tun wir, Sir?“ Wards Stimme klang gepreßt. „Wir warten auf Lovett. Er muß nächste Nacht ankommen. Und dann schlagen wir los, aber kräftig, Ward. Der Raid nach Derna muß freilich Unterbleiben.“ „Sollten wir nicht erkunden, ob wir von Leutnant Frankens Gruppe nicht jemand finden? Wenn nun ein paar davongekommen sind und versprengt wurden?“ „Wir können wegen zwei, drei Wagen und ein paar Mann nicht das ganze Unternehmen gefährden. Das wissen Sie selbst, Ward. Wenn sie aus der Wüste nicht herausfinden, so ist das gewiß schrecklich. Aber wir können immerhin hoffen, daß sie sich gefangen geben. Und dann werden sie das Kriegsende in Deutschland oder Italien abwarten. Ist noch immer besser…“ Prendergast schwieg. Leutnant Brandt war der Sohn eines ostpreußischen Forstmeisters und hatte drei Semester auf der Forstakademie Eberswalde hinter sich gebracht, als ihn der Krieg mit einer neuen Wirklichkeit konfrontierte. Vor dem
Frankreichfeldzug war sein Regiment in eine Aufklärungsabteilung umgewandelt und er selbst Offizier geworden. Ein Jahr später betrat er afrikanischen Boden. In Bengasi, wohin die Aufklärungsabteilung vorgestoßen war, als Rommel seinen Angriff begann, hatte er zwei englische Jagdgewehre erbeutet, vorzügliche Waffen, die präzise schossen und deren Kolben hübsch ziseliert waren. Karl Brandt hatte mit der kleinkalibrigen Büchse auf 150 Meter eine Trappe geschossen, einen jener großen, schwerfälligen Vögel, die sie in einem Wadi eines Tages aufgescheucht hatten. Vor Tobruk war er dann auf Jagd gefahren, um Gazellen zu schießen. Das war ein hübscher, aufregender Sport. Sein Wagen mußte ihm das Wild zutreiben, während er hinter einem Kameldornbusch darauf wartete, daß der starke Leitbock, der übrigens niemals führte, sondern den Schluß bildete, ihm schußgerecht kam. Viel hatte er nicht geschossen, denn einmal hatte er wenig Gelegenheit, zum anderen war ein sicherer Schuß schwer anzubringen. Die gleissende Luft erlaubte keine sichere Schätzung der Entfernung. Zudem war das Wild nicht dumm. Es reagierte stets anders, als es erwartet werden konnte. Immerhin, ein paar Mal hatten sie den leckeren Braten, mit wildem Thymian kräftig eingerieben, auf einem Holzspieß über dem offenen Feuer gebraten. Das war jedesmal ein Fest gewesen. Brandt ging, das Gewehr lässig über die Schulter gehängt, am Rande des Kessels entlang, der mitten in der Wüstenebene eine Art Mulde bildete, und dessen Ränder mit Fetthennen und exotischen Büschen bewachsen waren. Er setzte sich auf den Rand der steilabfallenden Senke, ließ die Beine baumeln, steckte sich eine Zigarette an und
entnahm seiner Brieftasche das Bild eines Mädchens, das er aufmerksam betrachtete. Es war sehr jung, sehr blond und sehr hübsch. Aus der Wüste hörte er das ferne Brummen seines Volkswagens. Meyer, den er sich beim OQu für diesen Tag „ausgeliehen“ hatte, war voll Eifer dabei, einen Sprung Gazellen hochzumachen und ihn dem Schützen zuzutreiben. Es war heiß, herrlich heiß, jene schöne trockene Hitze, die Brandt an diesem Lande so liebte. Er gähnte, lehnte sich zurück und schloß, zufrieden mit sich und der Welt, die Augen. Aber, zum Teufel, wie sollte er in Ruhe an das „Goldnüßchen“ in Wischkowillen denken oder gar pennen, wenn der verdammte Meyer herumfuhr, als sei sein Volkswagen eine Aufklärungsschwadron. – Eine Goldnuß, zwei Goldnüsse, drei Goldnüsse… Brandt fuhr hoch. Im Traum waren ihm Panzerspähwagen erschienen, die Säcke mit Goldnüssen geladen hatten. Was hatte er nur geträumt? Eine Schwadron und Meyer… Der Motorlärm war lauter geworden. Brandt stutzte, noch immer benommen von Traum und Schlaf und Mittagshitze, drehte sich um und nahm das Glas an die Augen. Im Feldstecher sah er vier Wagen auf sich zukommen. ,Noch eine Safari’, dachte er, entschlossen, sie vorbeizulassen, um sich seinen Pirschgang nicht mit dummen Redensarten verderben zu lassen. Er hob den Kopf über die Mulde. Die Wagen wurden größer, und durch die scharfen Linsen konnte er bereits erkennen, daß je drei Mann in ihnen saßen. Es, waren Jeeps, und Brandt hätte sofort gewußt, was die Stunde geschlagen hatte, wenn nicht auch die deutschen Truppen
mit englischen Beutefahrzeugen herumgefahren wären. Doch dieser offene, geländegängige Kleinwagen war damals auch in der englischen Armee noch selten, und die Deutschen hatten vielleicht nur eine Handvoll von ihnen erwischt. Und da kamen jetzt vier daher – im Abstand von einigen hundert Metern abermals vier. Das war doch nicht möglich! Brandt legte die Büchse vor sich in den Sand. Er unterschied jetzt deutlich die einzelnen Soldaten und erkannte: es waren Tommies! Brandt rutschte in die Mulde, kroch unter einen Busch dickblättriger Fetthenne und schlüpfte in einen Felsenspalt, in dem bequem drei Männer Platz hatten. ,Welch ein Glück’, dachte er, daß ich hier schon öfter war…’ Er hörte die Wagen heran brummen, die in weiten Abständen ausgeschwärmt vorbeifuhren. Dann folgte die nächste Staffel, aber das Motorengeräusch hörte nicht auf. Leutnant Brandt verließ sein Versteck, kletterte den Hang hinauf und konnte nun die Gruppen der Wagen sehen. 22 Fahrzeuge zählte er. Sie fuhren mit jeder möglichen Sicherung, hatten Netze zum Tarnen auf dem Verdeck liegen, Netze, die genau der Farbe der Wüste entsprachen. Aber wo war Meyer? Brandt war voll zitternder Ungeduld. Es war nicht schwer, aus diesem Spuk in der Mittagsglut die richtigen Schlüsse zu ziehen. Der Tommy plante etwas. Und da er von Südosten kam und nach Nordwesten marschierte, so wollte er wohl weit in das rückwärtige deutsche Gebiet, nicht aber zum
nächstgelegenen Punkt der Küstenstraße zwischen Derna und Cirene. Meyer erschien mit strahlendem Gesicht. Und er war genau aus der Richtung gekommen, in die der Tommy vor einer Stunde verschwunden war. „Ich bin ein Stück hinterhergefahren, Herr Leutnant. Beinah hätt’s mich erwischt, denn ich dachte erst, es sind unsere. 22 Fahrzeuge, Herr Leutnant! Da steckt was drin. Und jetzt weiß ich, woher die Tommies waren, die uns neulich Nacht besuchten.“ Am späten Nachmittag brach die Kampfstaffel von Agedabia auf. Eine Gruppe schneller Panzerspähwagen war über Cirene in Marsch gesetzt worden. „Jedes Fahrzeug führt auf dem Kühler die Fahne mit“, hatte im Einsatzbefehl gestanden. Das bedeutete, die Flieger Neumanns würden mit von der Partie sein… Zum zweiten Mal fuhr Prendergast die Kanisterpiste entlang und bog in das Wadi ein, in dem er schon vor 24 Stunden die Hiobsbotschaften des arabischen Agenten erhalten hatte. Abermals wartete er mit Ward und Doolittle, dieses Mal auf Kapitän Lovett und Sergeant Bearly. Und wieder wartete er vergeblich. Um drei Uhr früh trat er den Rückweg an, um seine Abteilung zu erreichen. Er befahl sofortigen Aufbruch und Abmarsch in die Ausgangsstellung für das Kommandounternehmen. Er würde nun ein drittes Mal in das Tal zurückkehren und dann seine Entscheidung zu treffen haben. Nach einer zweistündigen Rast setzte die Abteilung Prendergast um 11 Uhr ihren Marsch fort, der, mit kurzen Unterbrechungen, bis zum Morgen währen sollte. Sie fuhren in Rudeln zu je vier mal vier und je zwei mal
drei Wagen, untereinander weit auseinandergezogen, in großen Abständen. Um 12.23 zischten ihnen aus dem Westen die ersten Zweizentimetergranaten der Kampfstaffel um die Ohren. Um 12.41 erschienen vom Süden her sechs Jäger des Geschwaders Neumann auf dem Kampffeld. Um 13.38 näherte sich vom Osten ein Zug Panzerspähwagen. Aber da war der Kampf schon entschieden. Die Gruppe Prendergast war zerschlagen. Was die deutsche Kampfgruppe nicht hatte fassen können, erledigten die Jäger. Sie zerschossen elf Fahrzeuge, darunter zwei eigene, deren Fahnentuch sich verschoben haben mußte, so daß es nicht zu erkennen war. 41 Mann waren, zum Teil verwundet, in Gefangenschaft gekommen. 27 Tote blieben zurück. Die deutschen Verluste zählten acht Tote und zwölf Verwundete. Captain Lovett war ohne ernste Zwischenfälle durch die Wüste gezogen. Es gab ein paar Pannen, gewiß, den üblichen Ärger über Wagen, die plötzlich streikten, Soldaten, die auf Wache rauchten, einen Skorpionstich, der gefährlich zu werden drohte, bis das hohe Fieber nach drei Tagen wieder herabsank, eine leichte Panik, als eine deutsche Bomberstaffel unfern vorüberzog. Im übrigen vergingen die Tage im Gleichmaß des Marsches, der Rasten, der lähmenden, das Äußerste fordernden Hitze. Die Anstrengungen, der jeder einzelne Soldat unterworfen war, ließ sie bei jedem Halt in todesähnlichen Schlaf sinken. Obwohl sich zwei Mann beim Fahren abwechselten, waren die Strapazen
nicht geringer. Die Wagen rüttelten und schüttelten ohne Unterlaß, wenn sie nicht zufällig einmal über die spiegelglatte Fläche festeren Sandes fuhren. Bei den Nachtfahrten war nicht nur auf den Weg zu achten. Von einer Staubwolke ständig eingeschlossen, starrten sie in die Dunkelheit vor sich, um nicht den Anschluß zu verlieren oder bei einem unerwarteten Halt oder langsamer Fahrt dem Vordermann aufzufahren. Am Morgen des elften Tages spannte sich über Lovett ein gelbschmutziger Himmel. Der Captain streckte im Schlafsack die steifen Glieder. Mißtrauisch blickte er zum Himmel auf, fühlte sich leicht gereizt. Morell konnte jetzt was zum Trinken bringen, einen heißen Tee! Das würde gut tun! Bearley und Dress hockten ein paar Meter entfernt und aßen aus einer Büchse kalte Bohnen. Ein Windstoß fuhr um die Wagen herum, wirbelte Sand in die Höhe und trieb ihn wie eine Wolke vor sich her. Dress hatte die Hand über die offene Büchse gelegt, um sie vor dem Staub zu schützen. „Das dachte ich mir“, sagte er. „Hab’s seit gestern Abend in den Knochen.“ „Ist doch kein Unglück“, antwortete Bearly. „Eine bessere Tarnung gibt es nicht. Wir können wenigstens fahren, ohne dieses verdammte Gefühl, jeden Moment kann der Fritz auftauchen.“ Der Himmel war grau geworden, dann braun, und über die Erde zog ein feines Brausen. Die Luft war trocken, heiß, wie die Luft in einem Backofen. Der Ghibli, der gefürchtete Sandsturm, brach los. Er wehte drei Tage und drei Nächte, ohne nachzulassen.
Für die meisten Männer Lovetts, die den Staubsturm noch nicht kannten, bedeutete er, um eine Erfahrung reicher zu werden. Doch hätten sie gerne darauf verzichtet. Die Götter der Wüste trieben ein höllisches Spiel. Mehr als zwei bis drei Meter ließ sich nicht mehr sehen. In den Tüchern, welche die Männer um Mund und Nase banden, meinten sie, ersticken zu müssen. Rissen sie sie herunter, brannten die rissigen Lippen und wehte ihnen der hauchfeine Sand in Nase und Mund, peitschte ihre ausgelaugte Haut, und sie hatten nur noch den einen Wunsch, zu trinken, zu trinken, zu trinken… Lovett wartete bis zum ersten Abend, weil er meinte, der Ghibli werde, wie üblich, abklingen. Dann brachen sie auf. Sie fuhren im Schneckentempo. Alle paar Kilometer machten sie Rast, um zu sehen, ob alle noch beisammen wären. Die Luftfilter versandeten und überzogen sich, während sie noch gereinigt wurden, erneut mit einer feinen Schicht des wehenden Staubes. Jeder Versuch, weiter zu kommen, endete mit dem gleichen Ergebnis. Sie mußten warten, mußten Verlorene suchen, mußten Fahrzeuge instand setzen und hatten nach aller Mühe und Plage schließlich nur ein paar Kilometer geschafft. Und dabei bohrte in den Köpfen nur der einzige Gedanke, immer und immer wieder: trinken! Am zweiten Tag gerieten sie auf eine weite Fläche mit festerem Untergrund. Sie kamen etwas besser vorwärts, aber dann steckten sie in Triebsandwellen, mußten die Wagen herausziehen, mußten Brücken legen und waren endlich doch gezwungen, umzukehren und dem Treibsandgebiet auszuweichen. Ach, wenn sie doch endlich trinken könnten, trinken, trinken, sich satt und voll trinken…
In dem Sturm, der auf ihre Nerven trommelte wie ein unaufhörlicher Wirbel, in die Hitze, die, sie ausdörrend, alle zermürbte, war jeder Soldat nur darauf bedacht, sich zum Haufen zu halten, sich des Staubes zu erwehren und diesem Inferno der Natur so schnell und so gut es eben ging, zu entrinnen. Weder Bearly noch Dress konnten ständig um die 35 Wagen herumkreisen, um nach dem Rechten zu sehen. So kam es, daß einige Besatzungen plötzlich ihre Kanister fast bis auf die Neige geleert und nur noch einen oder nicht mal mehr einen Reservebehälter voll Wasser besaßen. „Wir sollten sehen, Sir, so schnell wie möglich zu einer der Wasserstellen zu kommen, wenn dieser Zauber hier vorbei ist“, riet Bearly. „Ich habe auch schon dran gedacht. Können wir erst weiter, wird Dress erkunden können, wo wir eine Wasserstelle finden. Denn nicht jeder Brunnen auf meiner Karte führt auch Wasser.“ „Mir ist das scheußlich“, ließ sich jetzt Dress vernehmen, „daß ich nicht richtig aufgepaßt habe. Aber bei dem Ghibli, Sir, kann ich es den Leuten nicht verdenken, wenn sie ins Saufen kommen. Auch meiner Zunge ist wie einem Walfisch in ‘nem Goldfischbecken zumute.“ „Ich mache niemandem einen Vorwurf“, sagte Lovett, „und alles wäre halb so wild, wenn wir nicht durch diese Sandmauer von Prendergast getrennt worden wären. Wir waren sowieso zwei Tagesmärsche hinter ihm, und jetzt ist es noch mehr geworden. Das bedeutet, daß wir kaum damit rechnen können, unseren Sprit aufzufüllen, und daß wir, unter Umständen den Oberst gar nicht mehr finden.“ „Das soll wohl heißen, wir sitzen mitten in der Pfanne, Sir?“
„Kann, Bearley, kann – muß es aber nicht heißen. Ist es so, wie ich vermute, dann wäre es am Besten, wir machen uns selbständig auf den Kriegspfad. Länger als 24 Stunden soll keine Abteilung auf die andere warten.“ „Und wenn wir funken?“ „Damit uns Rommel auf den Hals kommt. Nein, Dress, Finger von der Taste. Das ist nicht drin.“ Am dritten Morgen fiel ein Schuß. Der Soldat Stuart kam auf Lovett zugelaufen. Seine Augen funkelten hinter der schmutzigen Schutzbrille. „Sir“, stammelte er, „Barker hat sich erschossen.“ Der Soldat Barker lag tot auf dem Rücken. Seine vordere Gesichtshälfte fehlte. Barker hatte am Abend einen Wutkoller bekommen, war über einen Kameraden hergefallen und mit Mühe und Not gebändigt worden, ehe Lovett noch etwas hatte spitz kriegen können. Betreten standen die Soldaten um den Toten. Lovett ließ im Sandtreiben ein Grab schaufeln. Sie legten den Toten hinein. Der Captain sprach ein kurzes Gebet und befahl, aufzusitzen. Bei der nächsten Rast wurde Forell von einer Sandviper gebissen. Das tödliche Gift konnte nicht in die Blutbahn geraten sein, denn die Schlange hatte Forells Schienbein erwischt und die Zähne durch das Wadenleder geschlagen. Aber Forell verlor die Nerven, wälzte sich auf der Erde und heulte, bis Bearley ihm einen Fausthieb ins Gesicht versetzte. Sie zogen seinen Stiefel ab, gewahrten eine kleine rote Stelle. Drei Mann hielten Forell fest, während Lovett mit der glühend gemachten Klinge seines Messers die Wunde ausbrannte.
Forell stöhnte und wurde bewußtlos. Sie brachten ihn durch Schläge mit der flachen Hand wieder zu sich und zwangen ihn, eine Flasche Gin herunterzuwürgen. Dann packten sie den halb besinnungslosen Mann und banden ihn im hinteren Teil des Jeeps fest. Forell hatte sich am nächsten Tage so weit erholt, daß er sein Fahrzeug wieder selber fahren wollte, was Dress aber ablehnte. Am Abend des dritten Tages wechselte der Wind seine Richtung. Die Temperatur sank mit einem Schlage, so daß sie das Gefühl hatten, ein eisiger Wind wehte jetzt direkt vom Nordpol heran. Nach zwei Stunden erschienen die ersten Sterne und gegen Mitternacht war der Himmel wieder ein kristallklares Gefunkel. Sie hatten ihre Gesichtstücher abgestreift, rieben sich den verkrusteten Schmutz aus den Augenwinkeln und vom Gesicht und konnten zum ersten Mal wieder tief und befreit atmen. Lovett hielt Kriegsrat. Er hatte Bearley, Dress und Franchard gerufen, einen Mann französischer Abkunft, der in Kairo sich freiwillig zur Long Range Desert Group gemeldet hatte. Er kannte zwar nicht Libyen, aber er kannte die Wüste und er sprach fließend arabisch. „Wir besitzen noch 33 Fahrzeuge“, sagte Lovett, „und insgesamt 111 Mann, die mit allem ausgerüstet sind, was wir nur brauchen. Soweit ich unsere Position feststellen konnte, besteht noch Aussicht, die Abteilung Prendergast zu erreichen. Dress, Sie werden sich sofort mit zwei Fahrzeugen fertigmachen und versuchen, das Wadi zu finden, in dem der Oberst uns erwarten wollte. Rückkehr spätestens morgen Abend um 21 Uhr. Franchard, Sie werden mit Forell fahren, dem ich eine Chance geben will. Wir müssen eine Wasserstelle finden. Sie nehmen beide alles mit, um sich, ist es nötig, als Araber unauffällig
bewegen zu können. Sie müssen versuchen, irgendwo einen dieser Hammeldiebe aufzugreifen. Vielleicht begegnen sie auch einer Herde. Dann ist in jedem Falle Wasser in der Nähe. Ich überlasse es Ihnen; wie sie handeln. Könnte mir denken, wenn sie als einer von Rommels Helden auftreten, daß sie damit besser fahren.“ Lovett zog eine Büchse mit Bonbons aus der Tasche und ließ sie kreisen. „Bearley, für Sie hab’ ich einen Sonderauftrag. Ich möchte, daß Sie in der Dämmerung losfahren, also ehe es wirklich hell wird. Erkunden Sie das Gelände, wo Pisten laufen, wo sie hinführen, wo wir den Dschebel erreichen müssen und hinüberkommen. Halten sie sich nach Nordosten. Im Süden sind der Oberst und die Abteilung Franken. Finden wir unsere Haufen nicht, dann stoße ich zur Küstenstraße vor und kann dann Bengasi von der anderen Seite in die Zange nehmen.“ „Ab morgen Abend werden wir uns in drei Gruppen teilen. Dress zehn Wagen als Voraustrupp, Kean mit zehn bildet den Schluß. Wir marschieren jetzt, soweit das Gelände es zuläßt, rechts und links gestaffelt. Ich werde mit 13 Fahrzeugen in der Mitte bleiben.“ „Sir…“ Bearley sah den Captain unruhig an. „Ist noch was, Sergeant?“ „Ich meine nur, Sir, wäre es nicht besser, Gruppen zu je elf Fahrzeugen zu bilden?“ „Nein. Ich habe zuerst überlegt, wenn ich etwas befehle.“ Lovetts Stimme hatte einen unüberhörbar scharfen Unterton. „Zwei, drei Wagen brauche ich als Spähtrupps.“ Dress lachte. „Bearley hatte an etwas anderes gedacht, Sir. Er meinte, 13 sei keine hübsche Zahl.“ Überrascht sah Lovett auf. Er fühlte leichtes Unbehagen.
„In der Long Range Desert Group ist kein Platz für Gespenster. Und jetzt kümmern Sie sich noch um die Tarnung der Wagen und dann melden Sie sich ab bei mir.“ Captain Lovett stand auf und ging in das Dunkel der Nacht, wo irgendwo die Fahrzeuge seiner Abteilung standen. Miller war am Tage, da die Abteilung Franken zerschlagen und vernichtet wurde, gestorben. Oberleutnant Stevens bekam zwei Tage später den Besuch eines deutschen Offiziers, der ihm englische Zigaretten und eine Flasche Wermuth auf den kleinen Tisch neben das Bett stellte. Es war Hauptmann Kulp, der Vernehmungsoffizier. „Es tut mir leid, daß ich Sie stören muss“, sagte er in fehlerlosem Englisch. „Ich denke, Sie werden mich schon erwartet haben. Geht es Ihnen besser und hat man gut für Sie gesorgt?“ „Ich kann mich nicht beklagen.“ Stevens lächelte matt. „Ich habe immerhin Aussicht, meinen Arm wieder gebrauchen zu können und das andere war ein glatter Durchschuß.“ „Zu welcher Einheit gehörten Sie?“ „Ich war versprengt. Mit ein paar Leuten. Von der Tobrukfront, Wir versteckten uns in einem LKW, aber der fuhr, wie wir zu spät merkten, in der falschen Richtung.“ „Es ist mir neu“, sagte Hauptmann Kulp und strahlte über das ganze Gesicht, „daß Ihre Truppen in Tobruk jetzt Gummistiefel tragen und arabische Kleidung vorziehen.“ „Das ist wirklich merkwürdig“, grinste Stevens zurück. „Mir ist das nie so aufgefallen.“ „Übrigens“, fuhr Kulp nach einer kurzen Pause fort,
„haben wir in der Gegend von Msus eine Kolonne Ihrer Leute abgefangen. Wissen Sie was von denen?“ Stevens schüttelte den Kopf und riß erstaunt die Augen auf. „Kann ich mir nicht vorstellen. Wo sollten sie herkommen?“ „Das wollte ich Sie gerade fragen, denn da ist ein merkwürdiger Zufall. Denken Sie nur, jene Leute trugen die gleichen Stiefel wie Sie. Irgend jemand flüsterte uns was, das gehöre zur Ausrüstung der englischen Kommandotrupps.“ „Das erscheint mir sehr interessant, aber es ist mir neu. Ich nehme an, es handelt sich um Etappengeschwätz.“ Stevens verstummte. Sein Lächeln verzog sich zu einer Grimasse. Sie hatten also Prendergast oder eine von seinen Abteilungen erwischt. Lieber Gott, wenn es doch nur eine von den dreien wäre, wenn doch zwei noch kämen und ihnen der Raid gelänge. „Tja – scheint mir, Sie haben wenig Lust, mir was zu sagen. Könnt’ es mir denken. Wenn Sie Wünsche haben, lassen Sie’s mich wissen. Ich komme bald wieder, die Long Range Desert Group interessiert mich…“ Es war genau 13.52 Uhr, als Hauptmann Kulp wieder in seinen Kübelwagen stieg. Er war ganz zufrieden. Jetzt wußten sie doch, was es mit dem Überfall von Cirene auf sich hatte. Haha… Hatten wohl gedacht, Rommel fangen zu können, die Esel! Aber Hauptmann Kulp wäre noch zufriedener gewesen, hätte er gewußt, daß in der gleichen Zeit von Cirene nachgezogene Panzerspähwagen einen Wüstenstreifen kreuz und quer abfuhren, um zu sehen, ob nicht noch
jemand von Prendergasts Leuten sich aus dem Staube gemacht hatte. „Ich finde es höchst seltsam“, bemerkte Oberst Bork, einen Teller Nudeln mit Kamelgoulasch auf dem Schoß, „daß weder unter den Toten noch unter den Gefangenen ein Offizier herauszufinden war.“ „Er wird keine Abzeichen tragen, Herr Oberst.“ „Was sind Sie für ein kluger Junge, Polenz! Auf den Gedanken wäre ich nie gekommen. Aber meinen Sie nicht, wenn wir eine Aussage haben, ein Oberst habe den Haufen geführt, daß man diesen Mann doch wohl herausfinden müßte. Er kann schließlich kein Jüngling sein und Slang sprechen.“ „Ich möchte vorschlagen“, sagte Dönhoff, „Leutnant Brandt eine Anerkennung auszusprechen. Er hat uns schließlich eine Menge Unannehmlichkeiten erspart.“ „Wir werden ihn zum Reichsjägermeister von Libyen ernennen“, schlug Bork vor. „Das ist doch schon Neumann.“ „Macht nichts – und das nächste englische Jagdgewehr soll er mit Widmung bekommen.“ Rommel war zu den vorgeschobenen Stellungen, auf ägyptischem Boden gefahren. Es waren Rundumfestungen, die jede für sich allein bestimmt war, den Feind abzuwehren. Er war mit der Anlage im Ganzen zufrieden, verlangte nur, daß die Stellungen ausnahmslos so tief in den Boden hineingetrieben werden, daß keine Bodenerhebung zu sehen war, die ein gutes Ziel hätte bieten können. „Sie müssen damit rechnen“, sagte er zu dem Kommandeur des Abschnitts, „daß sich bald was rührt. Wir haben
da im Hinterland etwas Wirbel gehabt. Zwei Kolonnen der Long Range Desert Group. Ich vermute, sie hatten es darauf abgesehen, unsere rückwärtigen Verbindungen zu durchschneiden und unsere Lager in Bengasi wegzunehmen. Das hätte für General Penthouse einen guten Auftakt gegeben, wenn wir ohne Benzin dagesessen wären und ohne Verpflegung. Wahrscheinlich hatte er sich ausgedacht, daß seine Kommandotruppen die Ouvertüre zum Angriff spielen sollten.“ In Bengasi waren in der Nacht drei Tanker eingetroffen. Sie hatten 4500 Tonnen Sprit geladen. Rommels Stimmung hatte sich sichtlich belebt. Er stieg in den Kübel, und Wittle fuhr den Halfapaß zur Küste hinunter. Auf die Serpentinen fielen brummelnd ein paar Einschläge und detonierten mit lautem Krach. Das Meer spiegelte sich im Silberglanz der Sonne. Auf der Steilhöhe, die bereits libysches Gebiet war, sah man die alten Kasernen von Sollum, in denen vor ein paar Monaten noch englische Truppen gelegen hatten. Oberleutnant Bernwald beugte sich zu dem General vor und bot ihm eine Zitrone an. Rommel nahm sie und biß herzhaft hinein. Um 20.30 Uhr des folgenden Abends passierte Sergeant Dress mit zwei Jeeps bei seiner Abteilung wieder ein. Sie hatten keine Verbindung zur Gruppe bekommen können. Im Wadi selbst hatten sie Spuren von Fahrzeugen gesichtet, so daß anzunehmen war, Prendergast und Franken seien bereits abmarschiert. „Es könnten auch deutsche Fahrzeuge gewesen sein“, warf Lovett mißtrauisch ein. „Nein, Sir, es waren Zigarettenreste da.“
„Ach, Sie meinen, die Deutschen rauchen unsere Zigaretten nicht?“ „Jawohl, Sir, aber ich fand eine ungerauchte und es war die Marke von Oberst Prendergast.“ „Das ist schon besser, obwohl es schlecht genug ist, daß wir sie verpaßt haben. Es würde, schätze ich, drei Tage dauern, um sie einzuholen. Was meinen Sie, Dress?“ „Mindestens, Sir, wenn wir es überhaupt schaffen in der Zeit. Das Gelände ist nicht einfach. Vielfach zerschnitten, Geröll, Wadis die Menge, und wir werden sehr viel vorsichtiger marschieren müssen.“ Um 23 Uhr meldete sich Franchard mit Forell zurück. Sie hatten beide arabische Kleidung angelegt, und ihr Anblick, wie sie da im Dunkel herankamen, hatte irgendwie etwas Erregendes für Lovetts Leute. Sie fühlten, es wurde ernst. „Wie ist es gegangen?“ „War schwierig, Sir. Wir blieben erst in einem Wadi stecken und verloren einen Haufen Zeit. Dann überflog uns eine Bomberstaffel, die ostwärts zog, ein einzelner Fieseler Storch und drei unserer eigenen Jäger, vor denen wir am meisten Angst hatten. Wir kamen zum Bir Mchuch. Es hatte kein Wasser. Leere Felsenhöhle, in dem wir einen Kanister deutschen Treibstoff fanden. Gegen 17 Uhr stießen wir auf vier Araber, die Kamele vor sich hertrieben. Es erklärte sich einer bereit, uns zum nächsten Brunnen zu bringen. Hielt uns für Deutsche, die von drüben kamen. Er bettelte um Zigaretten und…“ „Sie gaben ihm welche?“ „Jawohl, Sir.“ „Dann wird er Sie kaum noch für Deutsche halten, Franchard. Das war ein Fehler.“
„Ich erzählte ihm, wir hätten Beute gemacht, Sir, dachte selber dran. Für die Abteilung dürften es zwei Tagemärsche zur Wasserstelle sein. Ein, zwei Wagen würden es in einem Tag schaffen. Der Araber wird warten. Wir müßten aber bis zum Morgen eintreffen.“ „Ist mir zu riskant, Franchard. Ich denke, wir behelfen uns noch. Es sei denn, daß Bearley mit schlechten Nachrichten kommt.“ Aber Bearley kam nicht. Er kam nicht in dieser Nacht und er kam nicht am nächsten Morgen. Lovett hatte daraufhin unter Führung von Franchard, wenn auch nach langem Zögern, zwei Wagen mit leeren Wasserkanistern und Säcken in Marsch gesetzt. Bis sie zurück waren, würde vielleicht auch Bearley eintreffen. An diesem Tage betrug die Wasserration einen dreiviertel Liter pro Mann. Sie lagen zumeist schweigend in dem spärlichen Schatten, den ihre Wagen warfen. Sie sprachen nicht viel, denn sprechen war anstrengend und ihre Gaumen und die Zunge waren geschwollen vom Durst. Kather, der Rutengänger der Abteilung, hatte ohne Erfolg Wasser gesucht. Völlig erschöpft hatte er seine Versuche schließlich aufgegeben. Um 21 Uhr kamen die Wasserfahrzeuge. Sie brachten brackiges Wasser. Es roch faulig. Captain Lovett befahl, es zu filtern und zu chloren, dann auf die einzelnen Mannschaften aufzuteilen. Es wurde ein Liter zum sofortigen Gebrauch freigegeben. Und dann tauchte gegen Morgen Bearley auf. Die Deutschen hatten ihn gejagt. Er war an eine Piste gestoßen, auf der er nach einiger Zeit englische Benzinkanister entdeckt hatte. Sie tauchten in regelmäßigen Abständen auf. Er war die Piste entlanggefahren, hatte bei Sonnenaufgang sich in
einem Wadi verborgen, um einen besseren Überblick zu bekommen. Da in der weiten Wüste ringsum keine Bewegung zu sehen war, fuhr er weiter, traf auf ein Schild, das die Deutschen aufgestellt haben mußten, um die Piste nach Derna zu kennzeichnen. Und da waren plötzlich drei deutsche Wagen auf ihn zugekommen. Er war ausgerissen, die Deutschen eine Weile hinter ihm her. Er hatte sich verirrt, war in der Nacht endlich wieder auf die Piste gestoßen und hatte seine eigenen Spuren wiedererkannt. Lovett faßte den einzig richtigen Entschluß, der in dieser Situation möglich war. Er beschloß, Derna anzugreifen. War Prendergasts Handstreich geglückt, dann würde Rommel keinen neuen Überfall erwarten. Hatte der Oberst sich ebenfalls verspätet, so schlugen sie vielleicht in der gleichen Stunde los und erhöhten die allgemeine Verwirrung. Und war Oberleutnant Stevens auf dem Posten, dann würde das Durcheinander drüben erst recht eine wahre Pracht werden. Er entfaltete die Karte von Derna. „Bearley, Sie kennen doch das Drecknest?“ „Bin zwei Mal dagewesen, Sir. Ich nehme an, wir kommen über die Piste schnell hin. Dann sollten wir übermorgen am frühen Abend am Rand des Hochplateaus stehen. Zur Stadt führt eine steile Serpentine herunter.“ „Mit anderen Worten, wir beherrschen von der Höhe die Küstenstraße.“ „Sir, die Küstenstraße ist die Serpentine. Sie führt dann am Rande des Höhenzuges nach el Ghazala weiter und bis Bardia, das heißt, nach Ghazala geht es wieder runter in die flache Küstenebene.“ „Noch besser. Wir können also mit den schweren Waffen die Küstenstraße von Bardia sperren und zugleich die Serpentine unter uns. Wir müssen auf der Höhe die
Fahrzeuge stehenlassen, einen Stoßtrupp nach Derna herunterschicken, ihn wieder aufnehmen und könnten über el Ghazala dann nach dem Süden ausweichen. Der Flugplatz da, der lockt mich schon lange.“ „Hoffentlich wird die Zeit nicht zu knapp, Sir.“ „Das wird sich zeigen. Tut mir leid, Bearley, Sie müssen sofort wieder weiter. Sie nehmen Franchard mit und einen Fahrer, der ausgeruht ist, verstanden! Sehen Sie hier auf der Karte, da sind mehrere Wadis. Sie laufen parallel zur Piste, wenn sie hier geht, was ich vermute. Schön, in dieses Wadi werden wir uns vorziehen. Wir werden am Tage das nicht tun können. Also sind wir frühestens morgen Nacht da. Sie haben also 36 Stunden Zeit, im äußersten Falle 46. Denken Sie daran, daß wir Gefahr laufen, wenn wir einen weiteren Tag warten müßten… Das ist klar, nicht wahr? Gut. Sie lassen Ihr Fahrzeug oberhalb Derna stehen und zwar so nahe, wie Sie es ohne Gefahr zurücklassen können – war in der Schule in Derna zu unserer Zeit ein Lazarett?“ „Jawohl Sir, gleich eines der ersten Häuser auf der linken Seite.“ „Gut, dann kennen Sie das Haus! Gehen Sie an ihm vorbei, biegen Sie links in die erste Gasse des Araberviertels. Das dritte Tor ist es. Da finden Sie einen Mann, dem Sie Grüße von Ibn ben Drussuff bestellen. Sie müssen sehen, in den ersten Nachtstunden da zu sein, damit Sie nicht angehalten werden. Gesichter dunkel schminken. Nehmen Sie beide zwei verschmutzte Burnusse. Das ist besser.“ Bearley wiederholte Wort für Wort den Auftrag. „Und nun die Hauptsache“, fuhr Lovett fort. „Ich will wissen, was im Hafen liegt, wo die Depots sind, besonders der Brennstoff, welche Stäbe und wo sie untergebracht
sind. Ist dies nicht bekannt, soll Franchard mit dem Araber gehen, um nachzusehen. Sie bleiben mir von der Straße weg. Ich will in diese Karte der Stadt alles sorgsam vermerkt haben. Bearley – Sie wissen, was von Ihrem Auftrag abhängt?“ „Sehr wohl, Sir, ich werde die nächste Nacht mit allem zurück sein! Vielleicht schaff’ ich es schon bis zum Abend.“ „Aber vorsichtig, Bearley. Eine Stunde Warten kann Erfolg, aber ebenso gut auch Mißerfolg bedeuten.“ Lovett bezog in der folgenden Nacht seine Ausgangsstellung. Er war vom Glück begünstigt. Die Abteilung war sogleich nach Bearley aufgebrochen, hatte in den letzten Nachtstunden beim Licht eines milden Mondes erheblich Raum gewonnen und zog tagsüber weiter, wobei der Captain von Wadi zu Wadi fahren ließ. Sie brachen in der nächsten Nacht wieder auf, bogen in die Piste ein, rollten sie entlang, schlugen sich seitwärts in die Büsche und fanden, eben als der Tag graute, ein tiefeingeschnittenes Wadi, in dem sie vor fremden Augen sicher waren. Vierundzwanzig Stunden später, am nächsten Morgen, traf Bearley ein. Dreimal ertönte ein Möwenschrei über das Wadi. Bearley war allein und zu Fuß. Er hatte den Wagen in ein anderes Wadi abgestellt und Franchard in Derna zurückgelassen. „Das gefällt mir nicht“, sagte Lovett zu ihm. „Sie hätten ein solches Risiko nicht eingehen dürfen.“ „Ich hab’s mir lange überlegt, Sir. Aber der Araber, zu dem wir übrigens gleich fanden, riet mir selbst dazu. Er meinte, Franchard könnte sich im Ort noch genauer orientieren, wenn da irgend etwas übersehen worden wä-
re. Und dann ist es auch gut, wenn wir unten gleich einen Mann haben, der Bescheid weiß und führen kann.“ „Sie mögen recht haben“, gab Lovett zu. „Das mag in der Tat ein Vorteil sein.“ Captain Lovett hatte einen ganzen Tag Zeit, sein Unternehmen vorzubereiten. Er verfügte nun über 109 Mann und bildete zehn Trupps zu je sechs Soldaten aus ihnen, so daß ihm 49 Mann übrigblieben. Davon ließ er 15 Mann bei den Fahrzeugen. Ihnen wurden Handfeuerwaffen und zwei Maschinengewehre zugeteilt. Die restlichen 34 Mann teilte er als Abwehrgruppe ein. Sie sollten auf der Höhe Stellung beziehen und die Straße von el Ghazala sperren, dem Stoßtrupp Feuerschutz geben und ihnen die Serpentine, die vom Ort heraufführte, offenhalten. Vier Minenwerfer und vier Maschinengewehre wurden auf sie aufgeteilt. Handgranaten, Haftminen und Handfeuerwaffen wurden für alle Stoßtrupps verteilt. Doch mußte Lovett am späten Nachmittag erneut umgruppieren. 23 Mann waren an ruhrartigem Durchfall erkrankt, wohl eine Folge des brackigen Wassers, das sie getrunken hatten. So sah sich der Captain genötigt, die Kranken als Bedeckung für die Fahrzeuge einzuteilen. Die Stoßtrupps wurden auf acht reduziert und ihnen je ein Lageplan für ihre Einzelaktionen übergeben, den sie sich einzuprägen und dann zu vernichten hatten. Jeder Soldat hatte über seiner Ausrüstung einen Burnus anzulegen. Diese Vorsichtsmaßnahme Lovetts, die es seinen Stoßtrupps ermöglichen sollte, solange wie möglich unerkannt zu bleiben und ihr Angriffsziel ungestört zu erreichen, erwies sich jedoch als verhängnisvoll, wobei freilich dahingestellt bleibt, ob ihr Unternehmen einen anderen Ausgang genommen hätte, wenn Lovett weniger
umsichtig gewesen wäre. Als nämlich die Stoßtrupps kurz vor Mitternacht die Serpentinen-Straße herunterzogen, und in Abständen von je vier Minuten je sechs Männer, in ihre weiten Burnusse gehüllt, auf ihren Gummisohlen unhörbar hintereinander her schritten, wurden die ersten drei Trupps von zwei Motorrädern überholt, die ohne Licht die Serpentine herunterfuhren. Die Stoßtrupps hatten Befehl, sich beim Nahen eines Wagens sofort zu Boden zu werfen oder doch in Deckung zu gehen, keineswegs aber ein Fahrzeug anzuhalten. Bevor sie nicht ihre Aktion begonnen hatten, sollte alles vermieden werden, was einen Alarm in Derna hätte auslösen können. Der deutsche Oberleutnant Bernwald, der im Beiwagen des einen Krades saß und auf dem Weg zur Kurierstelle in Derna war, sah als flüchtige Schatten ein paar Gestalten. Es waren Araber. Sie trieben sich freilich überall herum und pflegten immer dort aufzutauchen, wo man sie nicht vermutete. Es waren allgemein freundliche, friedliche Leute, die aus ihrer Verehrung für General Rommel kein Hehl machten. Doch Bernwald, in dem sich ein unbestimmtes Mißtrauen bereits geregt hatte, sah in der nächsten Steilkurve den Körper eines Mannes liegen, der sich mühsam, wie ein Schwerkranker, mit einer Hand aufzurichten versuchte. In der Tat hatten weder Lovett noch seine Männer geahnt, daß der Dschebel in einer glatten Steinwand zur Küstenebene herabstürzte und daß die Italiener erst in diesen Steilhang eine Straße hinein gesprengt hatten, deren Ränder mit dem Felsen abschlossen oder über ihn so hinausragten, daß darunter die nächste Serpentine zum
Vorschein kam. Forell, zum ersten Stoßtrupp eingeteilt, hatte sich neben die Straße werfen wollen. Er verfing sich dabei im Burnus, stolperte, verlor den Boden unter den Füßen, stürzte den Felsen herab und prallte mit der ganzen Wucht seines Körpers auf die zwei Etagen tiefer entlangführende nächste Serpentine. Oberleutnant Bernwald sprang aus dem Beiwagen und beugte sich über die Gestalt, über der der Burnus lag, als sei er sorgsam ausgebreitet worden, um einen Toten zu verdecken. Er hob das Tuch und blickte in das Gesicht eines sterbenden englischen Soldaten. Eine Hand hielt noch die Maschinenpistole umklammert. Der gebrochene Arm war nach rückwärts geknickt, die andere Hand zuckte wie suchend über den Boden. Eine Blutlache verbreitete sich unter dem Kopf und sickerte auf der anderen Seite der Schulter durch. Die Khakihose war zerfetzt und das bloße, wunde Fleisch sah hervor. Bernwald war im nächsten Moment bei seinem Krad, schwang sich auf den Rücksitz und das Krad schoß davon. Der Alarm, den er auslöste, kam um Minuten zu spät. Denn während noch die Schreiber und Melder der Kommandantur in ihre Uniformen schlüpften, ihre Waffen zusammensuchten und während Bernwald ungeduldig in das Feldtelefon schrie, um alle Dienststellen in Derna aus dem Schlafe zu schrecken, detonierten bereits die ersten englischen Handgranaten und gingen mit dumpfem Wummern Minen hoch. Doch gleichzeitig setzte auch schon die Abwehr ein. In Derna war der Teufel los… Flammen loderten im Hafen auf, wo zwei Fregatten lagen, die Brennstoff von Bengasi gebracht und noch nicht gelöscht hatten. Das
Depot der Luftwaffe flog in die Luft. Um die Kommandantur hatte sich ein wilder Kampf entwickelt, nachdem Oberleutnant Bernwald durch Kopfschuß über dem Telefon zusammengebrochen war. Vier Unterkünfte mit Soldaten der Nachschubeinheiten waren, sofort nach dem Alarm, zum Gegenstoß angetreten. In der allgemeinen Verwirrung wußte zunächst niemand, wo Freund und Feind zu finden war. Ein Depot mit Kraftwagen wurde unter dem Donnern von zwei Haftminen begraben und begann zu brennen. Überall ertönten Schreie, Befehle, Schüsse, das helle Knattern von Maschinengewehren und Maschinenpistolen, das Krachen der Handgranaten und das Bersten der Minen. Englische Soldaten, im weißen Burnus der Araber, tauchten an allen Ecken und Enden der kleinen Stadt auf. Sie kämpften mit Pistole und Dolch, drangen in die Unterkünfte der Italiener, wo sich ein blutiges Ringen abspielte. Captain Lovett hatte sich das Luftwaffen-Feldlazarett bis zuletzt aufgespart. Gefolgt von Franchard und zwei anderen Soldaten drang er in das Haus ein. Er schritt, umflattert von angsterfüllten Schwestern, von Raum zu Raum, und seine laute Stimme hallte durch die Gänge. Aber er wurde enttäuscht. Er fand keine englischen Gefangenen, die er hätte befreien und mitnehmen können. Er ließ Franchard vor dem Lazarett als Wache zurück, drang erneut in die Stadt vor, wo sich um die Lager am Hafen eine heftige Schießerei entwickelt hatte. Italiener, deutsche Matrosen, Infanteristen, Kraftfahrer, Schreiber hatten sich hier festgebissen. Lovett mußte einsehen, daß er nicht weiter kam. Er hatte eine Stunde für das Unternehmen festgelegt, denn zwei Stunden mußte es dauern, ehe die Deutschen Verstärkungen nach Derna herange-
zogen haben konnten. Der Captain zog seine Pfeife aus der Hemdtasche und gellend ertönte sein Zeichen, wurde von anderen Trupps aufgegriffen, weitergegeben, pflanzte sich fort und mischte sich in die Detonationen und das Prasseln der Flammen. Die Stoßtrupps zogen sich langsam zurück. Es klappte wie auf dem Übungsplatz. Die am weitesten vorgestoßenen Trupps wurden von den nächsten aufgenommen. Dann erst setzten diese sich ab, um von rückwärtigen anderen Trupps Feuerschutz zu erhalten. Der Weg, die Serpentinenstraße hinauf, war mühsam. In der Anspannung dieser einen Stunde hatten sich die englischen Stoßtrupps erschöpft. Nun hasteten sie mit langen Schritten über die Straße aufwärts. Lovett schoß eine Leuchtkugel ab, die sprühend am Himmel zersprang. Im gleichen Augenblick begannen die Werfer und Maschinengewehre auf der Höhe ihren Feuerzauber. Sie legten einen Riegel vor den Ausgang der Stadt. Aber in ihr gab es sowieso mehr als genug zu tun, als daß jemand an eine Verfolgung hätte denken können. Von den 48 Mann erreichten 27 die Höhe. Das Schicksal der übrigen war unbekannt. Unter den Vermißten befanden sich auch Sergeant Dress, Franchard und Morell. Captain Lovett verzichtete auf den Überfall, den er noch auf den Flugplatz el Ghazala geplant hatte. Es erschien ihm zu gewagt, mit nur noch 60 Mann den Angriff zu unternehmen, nachdem er gleichzeitig noch für das Leben von 23 Kranken die Verantwortung trug. Im Laufe des nächsten Tages erkrankten weitere acht Mann. Fünf starben. Captain Lovett schlug sich über-Bir Hacheim, dann über
Bardia, Sollum und den Halfapaß weitausholend durch, überfiel und plünderte noch ein deutsches Brennstoffdepot, kam zweimal mit deutschen Spähtrupps in Gefechtsberührung und meldete sich mit 1 Sergeanten, 49 Mann und 22 Wagen wieder in den englischen Linien von seinem Raid zurück. General Penthouse empfing Lovett in seinem Befehlswagen. Nachdem Sergeant Bordon und der Soldat Duke als einzige Überlebende der Gruppe Stevens zurückgekehrt waren, hatte er durch abgefangene Funksprüche der Deutschen von der Vernichtung der Abteilungen Prendergast und Franken erfahren, aus ihnen aber auch entnehmen können, daß der Oberst offenbar weder unter den Gefangenen noch unter den Gefallenen war. Daß in Derna Kämpfe stattgefunden hatten, berichtete der deutsche amtliche Heeresbericht am nächsten Tag. Er sprach von einer feindlichen Gruppe, die durch die deutschen Linien gesickert sei und versucht habe, Derna anzugreifen, dabei aber vernichtet worden sei. „Prendergast muß leben“, sagte der General zu Lovett, dem er vom Untergang der beiden Abteilungen erzählt hatte. „Ich hoffe, wir werden über Ibn ben Drussuff bald Näheres hören. Stevens liegt im Lazarett in Cirene. Sobald ich übersehen kann, wie sich die nächsten Tage entwickeln, werde ich entscheiden, ob Sie einen neuen Auftrag zu übernehmen haben. Stevens ist, das wissen Sie, für uns so gut wie unersetzbar. Möglich, daß Sie ihn herausholen müssen.“ Captain Lovett, mit Sergeant Bearley und Kean auf dem Wege nach Kairo, wo sie ein paar Tage Urlaub verbringen sollten, überlegte sich, ob der Erfolg seines Unternehmens den Einsatz der Long Range Desert Group und den Ver-
lust von 189 Mann und 98 Fahrzeugen aufwog. Er hätte Penthouse diese Frage gern gestellt, aber er war nicht mehr dazu gekommen. Der General war kurz angebunden gewesen. Er hatte Wichtigeres zu tun. Daß die Krallen des „Wüstenfuchses“ nicht gestutzt worden waren und daß Rommel durch das Netz geschlüpft war, bereitete Penthouse mehr als eine schlaflose Nacht. Zu guter Letzt kostete es ihm sogar sein Kommando… General Rommel hatte geplant, die Festung Tobruk, in der der Gegner nun seit bald neun Monaten eingeschlossen saß, zu nehmen, bevor eine englische Gegenoffensive einsetzen würde. Aber der ständige Mangel an Nachschub, die immerwährende Brennstoffknappheit, die seine Truppen sogar einige Wochen nahezu bewegungsunfähig gemacht hatte, das Fehlen ausreichender Artillerie und das Ausbleiben einer dritten, stets neu zugesagten Panzerdivision, die übrigens niemals eintreffen sollte – alle diese Widrigkeiten hatten die Absicht des „Wüstenfuchses“ vereitelt. Rommel hatte in dieser Zeit keinen leichten Stand gehabt. Es hatte nicht an Kritikern gefehlt. Sie hielten es überhaupt für einen Fehler, daß Rommel im Frühjahr zum Angriff übergegangen war. Er sei kein Husar, so sagten sie. Es fehle ihm an bedächtiger Überlegung! Er handele gegen alle Spielregeln! Er hätte sich mit dem Aufbau einer starken Abwehrfront begnügen sollen. Doch Bork, Dönhoff, Wöllmer, die Generale, Kommandeure und Offiziere des Deutschen Afrikakorps hatten
schnell begriffen, daß in Afrika andere Spielregeln galten und andere Gesetze den Krieg diktierten als im fernen Europa. Verteidigung hieß hier Angriff. Den Feind zu schwächen und ihn nicht zu Atem kommen zu lassen, das war die beste Abwehr. Hieß es, Rommel sei vorne, weil der General auf einer seiner üblichen Erkundungsvorstöße war oder örtliche Unternehmen selbst leiten und beobachten wollte, dann rang man im fernen Rom die Hände über den stets Unerreichbaren. Denn „wo Rommel war, da war vorne“. Das war ein geflügeltes Wort bei der Truppe geworden. Aber in Rom, beim Oberkommando, konnte man die Meinung hören, ein OB gehöre dorthin, wo die Fäden und Nervenstränge des dramatischen Spiels zusammenliefen – weit hinten – nicht aber an die Front zur kämpfenden Truppe. Wo aber liefen denn die Fäden eigentlich zusammen? Die Lebensstränge? Die reibungslos laufenden Nachrichtenlinien, welche eine Gesamtführung erlaubt hätten? In Afrika gab es sie gar nicht. Die Führung, die aus der Situation des Augenblicks blitzschnell zu handeln, jeden vorgefaßten Plan wenn nötig bedenkenlos über Bord zu werfen und neue Entschlüsse zu fassen vermochte, ehe der Gegner überhaupt zur Besinnung kam, diese Führung mußte allein durch eine überlegene Persönlichkeit gekennzeichnet sein. Und wahrhaftig, Rommel war eine solche Persönlichkeit. In der Tat bewegte Rommel selbst inmitten seiner Truppen die Einheiten wie Schiffe einer Schlachtflotte hin und her, und wie eine Schlachtflotte furchten die Divisionen, die Stoßtrupps und Kampfverbände durch das Meer der Wüste, auf den Gegner zu, an ihm vorbei, ihn unter die Breitseiten der Salven ihrer Geschütze nehmend, ihn
umkreisend, wieder davonjagend und bald den Feind erneut verfolgend. Ein Admiral, der vom Hafen aus seine Schiffe dem Feind entgegenführen wollte, der mußte erst noch geboren oder erfunden werden! Einhunderttausend Mann vorderster Linie hatte der englische Oberbefehlshaber bereitgestellt, der – einschließlich Marine, Luftwaffe und rückwärtiger Dienste – insgesamt über eine Streitmacht von 700 000 Mann gebot. Den Truppen der ersten Linie mochte auch Rommels Aufgebot entsprechen, wenn die zum Teil unbeweglichen und schlecht ausgerüsteten Italiener hinzugerechnet wurden, die sich indessen über die ganze Cyrenaika verteilten. General Penthouse konnte also seinen Oberbefehlshaber nach der letzten Besprechung vor dem Angriff in dem Gefühl verlassen, den Sieg so gut wie sicher in der Tasche zu tragen. Der englische General stand in seinem Befehlswagen, trank schweren schwarzen Kaffee und hatte eine Uhr vor sich liegen, auf die er von Zeit zu Zeit einen Blick warf, als ihm Captain Lovett einfiel. Er hatte ihm 14 Tage Urlaub nach Kairo gegeben und seine Leute in ein Ruhequartier am Meer eingewiesen. Im Gedanken an den bevorstehenden Angriff überkam ihn das unangenehme Gefühl, Lovett könnte ihm möglicherweise während der nächsten Tage fehlen. Von der Long Range Desert Group standen zwar noch zwei Kompanien zur Verfügung, aber es waren alles frisch ausgebildete Leute, ohne jede Kampferfahrung. Penthouse beschloß vorzufahren. Um drei Uhr morgens hatte die englische Offensive begonnen. Panzerdivisionen brachen tief im Süden der Wüste über die libysche Grenze, schwenkten im Halbkreis
auf Tobruk ein und ließen damit die Rundumfestungen an der ägyptischen Front einfach liegen. Briten, Neuseeländer, Inder, Australier und Südafrikaner strömten nach und wiederholten damit fast aufs Haar den großen Angriff Wawells vom Sommer. Die Panzerverbände hatten am Abend ohne Feindberührung ihre ersten Ziele erreicht. Der zweite Tag der Schlacht begann. Wieder fiel kein Schuß. Von Rommel war nichts zu sehen und zu hören. Wollte er sich nicht stellen? Gab er auf, ohne sich zu wehren? Erst am dritten Tag schlug der deutsche General zu. Penthouses Panzergruppe geriet in das konzentrierte Abwehrfeuer der deutschen 8,8-Flak. Sie wurde zusammengeschlagen. Und nun schien es, als sei Rommel endlich erwacht, ein Fuchs, der aus dem Bau hervorschoß, ein Löwe, der seine Pranken ausstreckte. In beweglicher Kampfführung tauchte er blitzschnell mitten im Gegner auf, schlug zu und verschwand, ehe die Engländer ihre Gegenmaßnahmen hätten treffen können. Zweimal führte Rommel seine eigene Kampfstaffel, der auch Leutnant Brandt angehörte, selbst zu einem Gegenstoß vor. Die Schlacht konzentrierte sich schließlich in einem Raum, der gewissermaßen zwischen den Fronten lag, und zwar zwischen den deutsch-italienischen Abschnitten auf ägyptischem Boden und vor Tobruk. Und immer wieder stieß Rommel in die englischen Verbände, jetzt in der Absicht, überlegene Kräfte vorzutäuschen, den Gegner zu verwirren und ihn kein klares Bild der Lage gewinnen zu lassen. So kam der 24. November 1941, an dem Penthouse beschloß, seine Truppen zurückzuziehen, um dann, 24
Stunden später, abgelöst zu werden. Panzerverbände jagten quer durch die Wüste, um bei Sollum ans Meer vorzustoßen. Ihr Unternehmen galt mehr der Aufklärung als einem Angriff. Rommel wünschte, im Rücken der Engländer Unruhe und Unsicherheit zu schaffen. Es war in der Tat eine jener Stunden, die atemberaubend in ihrer Dramatik waren, weil das Schicksal einer großen Schlacht durch einen einzigen Soldaten hätte entschieden werden können, der so gut ein Feldmarschall wie ein Unteroffizier sein konnte. Der Verband, an dessen Spitze Leutnant Brandt in seinem Spähwagen fuhr, sichtete in der Flanke eine englische Panzeransammlung. Brandt meldete seine Beobachtung sofort dem Kommandeur und schwenkte auf den Gegner in der Meinung ein, er würde angegriffen werden. Aber der Befehl Rommels lautete, die Küste zu erreichen und sich nicht mit dem Gegner einzulassen, auf jeden Fall einen ernsten Kampf zu vermeiden. So erhielt der Leutnant Karl Brandt einen Rüffel, drehte wieder ab und setzte seinen Weg nach Norden fort. Damit hatte ein Zufall entschieden. Er hatte die 8. Armee gerettet. Es handelte sich nämlich bei der Panzeransammlung um Atrappen. Sie waren einige Kilometer vor dem englischen Hauptversorgungslager aufgebaut worden und bildeten den einzigen Schutz für Penthouses Nachschub, seinen Brennstoff, seine Munition, sein Wasser, seine Verpflegung. Die Wegnahme dieses Lagers hätte vermutlich innerhalb Stunden das Schicksal der gesamten 8. englischen Armee besiegelt. Doch hatten die Götter der Wüste es anders beschlossen. Nur Penthouse wußte es nicht. Er glaubte, als er die Meldung vom Auftauchen deutscher Panzerkolonnen im
Rücken seiner Front empfing, Rommel stoße direkt in seine Nachschubbasis hinein, um ihm den Lebensnerv abzuschneiden. Er sah seine Panzerdivisionen bereits bewegungsunfähig mitten auf dem Schlachtfeld stehen, eine leichte Beute der deutschen 8,8-Flak, sah seine Infanteriebrigaden ohne Verpflegung und ohne Wasser neben ihren stillgelegten Transportwagen vor Rommels Scharen die Hände heben und kapitulieren. Er erhielt Meldungen, daß im Hinterland der Front eine wilde Panik ausgebrochen sei, daß Nachschubkolonnen im Durcheinander einer unaufhaltbaren Flucht bereits auf dem Wege nach Alexandria seien. Alles schien verloren. Das Chaos drohte und die Nacht brach herein mit ihrem drohenden Schweigen. Was würde Rommel am nächsten Morgen wieder unternehmen? General Penthouse gab Befehl zum Rückzug. Zwei Tage später schrieb Alan Moorhead, britischer Kriegskorrespondent, in seiner Unterkunft zu Kairo in sein Kriegstagebuch, was er in den Stunden der Panik erlebt hatte. „Wir lagen auf einem weiten, leicht vertieften Platz unter dornigem Gestrüpp“ – tippte er auf seiner kleinen Maschine – „um uns herum fünfzig oder sechzig Fahrzeuge und ein paar Panzerwagen. Plötzlich kamen in einem Staubwirbel etwa hundert britische Lastwagen. Wir blickten erstaunt auf. Vielleicht war es eine Kolonne mit wichtigen Vorräten auf einem Eilmarsch? Dann kamen aus anderen Richtungen einige hundert Fahrzeuge mehr. Sie rasten in wildem Durcheinander durch die Wüste, eilten an unseren Kraftwagen vorbei, ohne zu halten und bedeckten uns mit riesigen Wogen feinen Sandes. Das ist keine geplante und organisierte Fahrt, dachten wir!
Ich rannte zurück zu unserem Wagen. Wir schleuderten unsere Feldbetten, Kochtöpfe und Kleidungsstücke in die LKW. Jeder packte in größter Eile. Die großen Panzerwagen vom Nachrichten- und Befehlsstab wurden fahrbereit gemacht. Einer der Offiziere, Rasierseife im Gesicht, sah uns packen und fragte in völliger Harmlosigkeit: ,Warum dieser schnelle Aufbruch? Uns wird schon befohlen werden, wenn wir wegmüssen.’ Wieder jagte ein Schwarm von Fahrzeugen durch unser Lager. Jetzt flogen die ersten Granaten dazwischen. Es war ein heller Morgen mit frühem Sonnenaufgang. Aber die aufgewirbelten Staubwolken verdunkelten die Sonne und man konnte kaum zweihundert Meter weit sehen. In diesem Wirrwarr und Halbdunkel fuhren Tausende von Fahrzeugen wild durcheinander. Die meisten Fahrer waren ohne Marschbefehl und rasten einfach hinter jedem her, der losfuhr. Sie nahmen an, irgend jemand würde schon die Führung übernommen haben. Mein kleiner Trupp hielt sich an den Nachrichtenwagen. Wir wußten nicht, daß sich der Offizier die Hand an der Tür gequetscht hatte und halb bewußtlos war. Sein Fahrer fuhr einfach, so schnell er konnte, fort aus der Richtung des Feuers, und wir folgten ihm blind. Wir machten zweimal Halt, und während wir dabei von einem Wagen zum andern liefen, um nach Befehlen zu fragen und festzustellen, was eigentlich nicht in Ordnung sei, flogen weitere Granaten heran. Wir wurden verfolgt. So begann der rasende Eilmarsch von neuem. Zuweilen stießen Kraftwagen um uns herum auf Minen oder wurden von Granaten getroffen oder von ihren verwirrten Fahrern, die glaubten, der Feind sei da, in Brand gesteckt. Als wir auf einer Höhe eine Pause machten, flog eine Staffel bri-
tischer Maschinen niedrig auf uns zu und die wilde Flucht begann von neuem. Den ganzen Tag fuhren wir. Neun Stunden. Es war wie eine Epidemie der Angst, Unkenntnis und Verwirrung. Bei jedem Halt kamen neue Gerüchte. Niemand hatte einen Befehl. Jeder hatte sich irgendeine Theorie erdacht. Wir waren nichts als die entfernten Ausläufer der Schlacht und damit am leichtesten einer Panik ausgesetzt gewesen. Ich verstand zum ersten Mal, was Panik bedeutet. Vor dem Unbekannten rannten wir davon, vor dem Unbekannten in uns selbst und beim Gegner. Wir wußten nicht, wer uns verfolgte, wie viele es waren, ob sie es aushalten würden und uns schließlich erwischen könnten. Hätte uns ein Befehl erreicht, ein klarer, energischer Befehl, unsere Furcht wäre zur Hälfte verschwunden. Eine entmutigte, gedemütigte kleine Schar war es schließlich, die den Drahtzaun an der Grenze überschritt…“ Rommel hatte tatsächlich die erste Runde gewonnen. Der Raid in den Rücken der englischen 8. Armee war ein voller Erfolg geworden. Panzerrudel und einzelne Spähwagen brachen überall durch die rückwärtigen Verbindungslinien, trieben Nachschubkolonnen auseinander, schossen in LKW-Ansammlungen hinein und verbreiteten mehr als nur Verwirrung. Sie riefen Panik hervor. Überall suchten Versprengte ihr Heil in der Flucht oder trachteten Anschluß an ihre Einheiten zu bekommen und gerieten abermals in deutsche Panzer oder in das Feuer der Deutschen. Fernab von der Front und der großen Schlacht, wo englische Soldaten rasteten, um in aller Gemütsruhe sich ihren Tee zu bereiten, zischten plötzlich Panzergranaten zwischen ihre Kochtöpfe. Es wurden jene zu Gefangenen
gemacht, die eben noch Gefangene bewacht hatten. Zwischen zerschossenen Wagen standen Tommies und hoben die Hände hoch. Die Deutschen winkten ihnen von ihren Fahrzeugen aus freundlich zu. Sie konnten jetzt keine Gefangenen brauchen. Das gleiche spielte sich auch mit umgekehrten Vorzeichen ab. Niemand wußte, wer Herr der Lage war, wußte, ob die deutschen Verwundeten Gefangene der Briten oder die englischen Verwundeten Gefangene der Deutschen waren. Deutsche Fahrzeuge fuhren in englischen Kolonnen und britische schlossen sich Rommels Leuten an. Denn da auf beiden Seiten sowohl deutsche wie britische Fahrzeuge benutzt wurden, da viele deutsche Soldaten die kurzen Hosen der Tommys trugen, andere englische Hemden bevorzugten, so wußte in dem Durcheinander dieses weiten, nicht übersehbaren Raumes kein Mensch, was eigentlich geschah, vor allem wußte kein englischer Soldat des Nachschubs, wo zum Teufel der Fritzie plötzlich herkam. Als in Penthouses Gefechtsstand die Meldungen einliefen und seine Offiziere versuchten, die Bewegungen Rommels auf der Karte einzutragen, um einen klaren Überblick zu bekommen, warfen sie ihre Rotstifte schließlich in die Ecke. Hier gab es keine Übersicht, keinen erkennbaren Plan, keine Lagebeurteilung mehr. Das war ein Chaos, und in. diesem Chaos mußte auch das große Versorgungslager der Armee unrettbar untergehen. Rückzug aus Libyen? Noch einmal von vorne anfangen? War diese Lage überhaupt noch zu übersehen, geschweige denn zu meistern? Penthouse wurde am nächsten Tag abberufen. Doch war die Schlacht noch nicht beendet, die 8. Armee nicht geschlagen. Es galt nur die Nerven zu behalten, und
Auchinleck, der Oberbefehlshaber, beschloß, gleiches mit gleichem zu vergelten. Er alarmierte Captain Lovett, und am nächsten Tage zog der mit einem Haufen kleiner Gruppen los, um nun seinerseits einen Kleinkrieg zu beginnen. Rund zwanzig Gruppen brachen in den Rücken der Deutschen, um hier Sabotage zu üben, dort einen Überfall zu machen, hier Leitungen zu durchtrennen, dort Kolonnen zu beschießen. Freilich kam diese Aktion um einige Tage zu spät. Auch Rommel selber war hinter den englischen Linien gewesen. Er hatte am Morgen des Vortages mit seiner Kampfstaffel, die Hauptmann Dönhoff anführte, seine Verbände auf dem Schlachtfeld aufgesucht, war dreimal feindlichen Panzern vor der Nase weggewischt, hatte sich mit den Neuseeländern herum geschossen und dann Dönhoff befohlen, einen indischen Verband zu vertreiben, der ihm zu nahe zu kommen drohte. Er fuhr mit seinen beiden Begleitoffizieren im gepanzerten Mannschaftswagen, Wittle am Steuer, weiter. Er hatte keine Zeit zu verlieren. Sie passierten die Via Balbia ostwärts Bardia und gewahrten in einiger Entfernung ein Zeltlager, über dem das Rote Kreuz leuchtete. „Polenz, Sie können uns was zu trinken besorgen!“ Rommel klopfte Wittle auf die Schulter und wies auf die Zelte. Der Wagen schwenkte über die Küstenstraße und nahm Richtung auf den Hauptverbandsplatz. Rommel sprang, gefolgt von Polenz und dem Ordonnanzoffizier, Leutnant Neumeyer, vom Wagen. Am Zelteingang entstand Bewegung. Zwei Männer in weißen Kitteln traten heraus und blickten Rommel entgegen. Der General stutzte, winkte Neumeyer heran und
schmunzelte. „Wir sind an die falsche Adresse geraten, Neumeyer. Spielen Sie den Dolmetscher und sagen Sie, ich will nach den Verwundeten sehen. Sorgen Sie dafür, daß Wittle am Wagen bleibt und aufpaßt.“ Die beiden englischen Ärzte verneigten sich leicht, als Rommel die Hand an die staubige Mütze legte. „Der Herr General wünscht Ihren Hauptverbandsplatz zu besichtigen“, sagte Neumeyer. „Wenn Sie irgendwelche Wünsche haben“, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu, nachdem die Engländer keine Anstalten machten, zu antworten, „wird der Herr General Ihnen heute Abend zustellen, was Sie brauchen.“ In der Tat war es nicht das erste Mal, daß Deutsche und Engländer zusammentrafen, ohne zu wissen, wer eigentlich Herr der Situation sei. So mochte es auch den Ärzten und ihren Soldaten gehen, die sich zwar im Schutze der englischen Linien wähnten, die aber auch wußten, daß sich von Stunde zu Stunde die Lage ändern konnte. Sie wurden um einige Grade verbindlicher, baten, ihnen zu folgen, und Rommel durchschritt im Gefolge der Tommies in aller Ruhe die einzelnen Zelte, in denen Leicht- und Schwerverwundete untergebracht waren. „Ich hoffe“, ließ er durch Neumeyer sagen, „Sie haben keine Schwierigkeiten mit dem Abtransport.“ Und damit wandte er sich an einzelne Soldaten, um festzustellen, wo sie verwundet worden waren. Im vorletzten Zelt traf er Verwundete des Afrikakorps und einen deutschen Arzt, der in Gefangenschaft geraten war. Es war der Oberstabsarzt Hoffmann, der im Frieden in Landau in der Bayerischen Pfalz eine Klinik führte und lange Zeit in Bardia als Chirurg tätig gewesen war. Die Soldaten richteten sich auf und blickten General
Rommel entgegen, als sei er direkt vom Himmel gefallen. „Ich werde euch kaum hier herausholen können“, antwortete er, als sie mit Fragen über ihn herfielen. „Wenn die Aufklärungsabteilung es schafft, will ich es ihr sagen.“ Er nahm Hoffmann beiseite. „Doktor, sehen Sie zu, daß Sie den Tommies klarmachen, daß wir hier jetzt die Herren sind. Versuchen Sie, jeden Abtransport zu verhindern. Und nun besorgen Sie uns was zu trinken.“ Aber Polenz hatte den Engländern offenbar schon ihre Wünsche mitgeteilt, denn im Ärztezelt erwartete sie eine Tasse heißen Tees, zu dem es dicke Sahne aus Südafrika gab. Zehn Minuten später gab Wittle Vollgas, und Polenz, die Tasche voll englischer Zigaretten, atmete hörbar auf. Am gleichen Nachmittag erhielt Unteroffizier Faber einen Anpfiff. Major Wöllmer stand in der offenen Tür seines Geschäftszimmers in Cirene. „Was ist das für ein Krach hier, Unteroffizier Faber. Man versteht ja sein eigenes Wort nicht über Ihrem Herumgeschrei.“ „Herr Major, dieser Hammeldieb hier“ – und dabei zeigte er auf einen Araber, der sich vor Wöllmer sofort verneigte – „ist heute schon das dritte Mal hier, und ich hatte Meyer befohlen, den Kerl nicht mehr hereinzulassen.“ „Was will er?“ „Wenn ich das wüßte, Herr Major. Er redet und redet und kein Wort ist zu verstehen. Nur eines ist mir klar geworden, er will Tee haben.“ „Tee?“ Wöllmer war ehrlich verblüfft. „Was soll das heißen? Wir haben doch keinen Tee zu verkaufen!“ Der Araber, ein älterer Mann mit einem gepflegten weißen Vollbart, dunklen Augen, die ausdruckslos aus dem braunen Gesicht auf Wöllmer ruhten, verneigte sich er-
neut. „Bringen Sie ihn zu Hauptmann Kulp, stellen Sie fest, was er will. Mir ist das nicht geheuer.“ Zwanzig Minuten später schrillte der Fernsprecher bei Major Wöllmer. „Radieschen“, meldete sich eine Stimme. „Ich verbinde mit Herrn Hauptmann Kulp.“ Der Major sprang elektrisiert in die Höhe. „Einer Ihrer Leute hat mir da einen Araber gebracht“, hörte er Kulp berichten. „Er scheint mir ein etwas merkwürdiger Bursche. Aber seiner Geschichte müßte wohl nachgegangen werden. Behauptet, gestern Abend seien drei Tommies hier eingetroffen, darunter ein Oberst. Sie säßen im Araberviertel oder seien jedenfalls irgendwo versteckt. Er ist bereit, gegen einen Sack Tee nähere Angaben zu machen. Was soll ich tun?“ „Kulp, Mann der himmlischen Heerscharen“, Wöllmer hieb vor Vergnügen mit der Faust auf den Tisch, „das kann doch nur mit dem Unternehmen der Long Range Desert Group zusammenhängen. Selbstverständlich bekommt der alte Scheich seinen Tee. Aber erst soll er uns die Vögel ausliefern. Verstehen Sie? Sagen Sie ihm das und halten Sie ihn fest. Ich komme sofort mit ein paar Leuten rüber. Bringe den Tee gleich mit.“ Wöllmer warf den Hörer auf die Gabel und war schon auf dem Wege zum Wagen. Mit einem Sack englischen Tees, einer Beute aus dem englischen Verpflegungslager bei Bir el Gobi, und acht Mann von der Alarmkompanie des OQu fuhr er bei Kulp vor. Der Hauptmann empfing ihn mit Schmunzeln. „Unser Alter hier ist, wenigstens behauptet er das, Ibn ben Drussuff. Er hat sichere Kunde, daß ein englischer Oberst
und zwei Mann gestern Nacht im Araberviertel waren und, da sie dort abgewiesen wurden, sich in einer Felsenhöhle an der Steilküste niederließen. Er wird uns führen und ist einverstanden, daß er seinen Tee erst bekommt, wenn wir die Tommies eingefangen haben.“ „Allahs Segen über den Braven. Ich habe alles vorbereitet, um den Bau auszuheben. Kulp, Sie kommen am besten mit. Ich denke, es wird keine Schwierigkeiten geben, wenn wir die Burschen höflichst einladen, unsere Gastfreundschaft anzunehmen!“ Oberst Prendergast war es in der Tat mit Ward und Doolittle zusammen gelungen, im letzten Augenblick zu entkommen. Sie hatten nach ein paar Stunden wilder Jagd noch zwei ihrer Fahrzeuge aufgelesen und sich zunächst im unzugänglichen Hochland von Barce verborgen, das abseits aller Trecks und Nachschubstraßen lag. Als sie die erste Bestandsaufnahme vornahmen, ergab sich, daß sie noch einen guten Vorrat an Benzin, aber wenig Wasser und kaum noch Lebensmittel besaßen. Ward wurde daraufhin mit drei Mann ausgesandt. Er kam mit allem zurück, was sie nur brauchten. Er hatte ausgesprochenes Glück gehabt. Denn bei seinem Vorstoß zur Küstenstraße hatte er eine italienische Transportkolonne entdeckt, die nahe St. Giovanni, einem italienischen Kolonistendorf, rastete. Die meisten Fahrer und die Begleitungsmannschaft waren in das Dorf gegangen, um mit ihren Landsleuten einen fröhlichen Abend zu verbringen. Ward, von Doolittle und zwei anderen Soldaten trefflich unterstützt, hatte sich aus dem LKW herausgeholt, was immer sie brauchen konnten. Doolittle war es dann gewesen, der einen genialen Gedanken hatte. Er schlug vor, einen LKW mitzunehmen, da sie in ihren Jeeps nicht
allzuviel würden laden können. Ward war auf die Piste vorgefahren, die sie gekommen waren, und hatte dort gewartet, um Doolittle nötigenfalls Feuerschutz zu geben. Aber der kleine Walliser steuerte unbehelligt das ausgewählte Fahrzeug aus der Kolonne, hielt, gab ein paarmal Vollgas, als wolle er den Motor ausprobieren, und fuhr dann langsam und gemächlich davon. Prendergast hatte mit seinen Leuten eine Siegesfeier veranstaltet. Die Kiste mit Rotwein, offenbar für einen höheren Stab bestimmt, war nicht von schlechten Eltern. Mit ihren Vorräten konnten sie ein paar Wochen durchhalten, und bis dahin würde vielleicht General Penthouse mit seinen Panzern sie auflesen. Doch war Prendergast nicht der Mann, ein paar Tage untätig herumzusitzen, und so beschloß er, mit Ward und Doolittle nach Cirene vorzustoßen, um über Ibn ben Drussuff Verbindungen anzuknüpfen und sich umzuhören, ob Oberleutnant Stevens schon zur Aktion geschritten und was aus ihr geworden war. Wer weiß, vielleicht traf er ihn noch an oder bekam doch eine Verbindung, so daß er mit seinen Leuten hätte abgeholt werden können. Ibn ben Drussuff hatte schon manche Nachricht sicher durch die Linien gebracht. Aber der Araber zeigte wenig Neigung, Prendergast und seine beiden Begleiter bei sich aufzunehmen, als sie eines Nachts an sein Tor pochten. Ihm war der Ausgang des Abenteuers nicht mehr geheuer, seitdem Stevens und ein zweiter englischer Soldat verwundet in deutsche Hände geraten waren. Wenn sie den Schlupfwinkel verrieten, in dem sie sich verborgen gehalten hatten, war ihm der Galgen sicher. Und seine Steine, die er Abend für Abend in den Sand warf, einmal runde Figuren, dann wieder
Quadrate mit ihnen bildend, hatten ihm Ärger vorausgesagt. So führte er den Oberst mit seinen Kameraden noch in der gleichen Nacht zu einem entfernten Schlupfwinkel. Es war eine geräumige Felsenhöhle am Steilhang unmittelbar über dem Ufer des Meeres. Dann war er zu den Deutschen gegangen. Der Verrat fiel ihm nicht leicht, aber er schien ihm gerechtfertigt, weil er jeden möglichen Verdacht von sich selbst fernhalten mußte. Oberst Prendergast, im Begriff, einen Hammelrücken mit dem Dolch zu tranchieren, während Sergeant Ward über einer Flamme Trockenspiritus Tee bereitete, hörte plötzlich einen Käuzchenschrei. Er ließ Dolch und Hammelbraten fahren, erhob sich und ging zum Ausgang der Felsenhöhle. Wieder ertönte der Käuzchenschrei. Ward und Doolittle lauschten erwartungsvoll. Nach 60 Sekunden kam ein Möwenschrei! „Ward – unsere Leute. Antworten Sie – schnell!“ Ward ahmte zweimal den Möwenschrei, einmal den Ruf des Käuzchens nach. Dann hörten sie eine Stimme. Es waren Engländer! Prendergast, gefolgt von Ward und Doolittle, klomm, eng an die Felsen gepreßt, den Trampelpfad empor. Bald gewahrte er über sich eine Gestalt, die winkte. Doch war es zu dunkel, um mehr erkennen zu können. Er schritt schneller aus, zog sich dann an einer Felsspalte hoch, und dann tönte dem völlig Überraschten der Ruf „Hands up“ entgegen. Prendergast sah sich, ehe er an Gegenwehr denken konnte, umringt und entwaffnet. Als er inmitten eines Pulks Soldaten in Cirene aus dem deutschen LKW kletterte, fun-
kelten seine Augen. Er sah Doolittle. Ward war nicht dabei! Rommel hatte, spät in der Nacht von der Front auf seinen Gefechtsstand zurückgekehrt, die Meldung von der Festnahme des Obersten Prendergast erhalten. „Den Mann sehen wir uns morgen an!“ sagte er zu Oberleutnant von Polenz. Oberst Bork hatte die Befehle für die Absetzbewegungen vorbereitet. Rommel wußte, in Kairo und in London rechnete man noch immer mit seiner Vernichtung. Churchill hatte an diesem Tag im englischen Unterhaus erklärt, Sinn der britischen Offensive sei es, die gesamten Streitkräfte der Deutschen und Italiener in der Cyrenaika zu vernichten. Wenn die Offensive bisher auch nicht den Kurs genommen habe, der hätte erwartet werden müssen, so sei es doch sehr wahrscheinlich, daß diese Vernichtung gelingen werde. Und er hatte, um den Mißerfolg der 8. Armee zu verdecken, etwas rätselhaft hinzugefügt: „Unsere Befehlshaber glaubten, die gesamten deutschen Panzerstreitkräfte würden in einer einzigen Masse unseren Panzerstreitkräften am Anfang gegenüberstehen. Doch wurde eine solche Kraftprobe durch den Erfolg unseres Vormarsches verhindert…“ Der deutsche General hatte grimmig gelacht. Er wußte, es ging jetzt nicht mehr um den Besitz der Cyrenaika oder der ostwärts gelegenen Marmarica, nicht also um irgendwelche Räume oder um mehr oder weniger große Gebiete der Wüste. Diese Schlacht wollte der Gegner durch Rommels Vernichtung entscheiden. Ein Geländegewinn oder die Eroberung der Cyrenaika war noch kein Sieg. Im Gegenteil, sie konnte zu einer schweren Belas-
tung für den Angreifer werden, und Rommel war gewillt, dafür zu sorgen, daß sie es werden würde. Je weiter sich die britische 8. Armee nämlich von ihrer Basis entfernte, je länger ihre Nachschublinien wurden, umso größerer Anstrengungen würde es bedürfen, diesen Nachteil auszugleichen und zu überwinden. Diese langen Nachschubwege waren ja bisher Rommels große Sorgen gewesen. Jetzt sollten es diejenigen der 8. Armee werden, umso mehr, als sie nicht die Küstenstraße benutzen konnte, die durch die Festung Bardia und die deutschen Verbände auf ägyptischem Boden noch gesperrt war. Rommel sah voraus, daß er bis nach Agedabia werde zurückgehen müssen, seiner ersten Ausgangsstellung auf afrikanischem Boden. Das war schmerzlich, aber nicht zu ändern. Von hier aus würde das Tauziehen dann abermals beginnen. Ob die 8. Armee in der Lage war, kräftig mitzuziehen und standzuhalten, schien ihm zweifelhaft. So hatte Rommel durch seine Entschlüsse die zweite Runde der großen Schlacht in ihrem Charakter bestimmt. Der Tommy glaubte, als der erste Abschnitt des deutschen Rückzuges in die Gazalinie erfolgte, zum zweiten Mal dicht vor dem Sieg zu stehen. Wieder wurde die Trommel zu früh gerührt. „Die Reste des Deutschen Afrikakorps und der italienischen Armee fluten längs der Syrte auf der nach Tripolis führenden Straße zurück“, triumphierte der britische Heeresbericht aus Kairo. „Das Hauptziel, nämlich die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte in der westlichen Wüste, ist jetzt erreicht worden. Die deutschen Panzerstreitkräfte sind sozusagen vernichtet. Es gibt nur noch eine Handvoll Panzer, die versuchen, nach Tripolis zu entkommen.“
Oberst Bork riß seine entzündeten Augen auf, als er diese Meldung las. „Die zurückflutenden Panzer“ standen zunächst noch, in Erwartung des Feindes, bei Gazala. Und sie würden, von Rommels klarem Willen gelenkt und nach einem wohldurchdachten Plan in Marsch gesetzt, ihre Lebenskraft sehr bald wieder beweisen. Niemand dachte in der Tat an Flucht, wenn Rommel auch nicht die Absicht hatte, zu tun, was der Gegner sich wünschte. Er würde sich nicht stellen, um sich von einem noch immer überlegenen Feinde zusammenschlagen zu lassen. Er würde ihm vielmehr seine Panzer in überraschenden Angriffen entgegenwerfen, aber nur um den Feind aufzuhalten und ihm in einzelnen schnellen Schlägen Verluste zuzufügen, die auf die Dauer fühlbar werden und ohne Zweifel den Schwung des englischen Vorstoßes lähmen mußten. Rommel hatte den Entschluß, sich vom Gegner zu lösen und von der Gazalastellung aus dann Zug um Zug zurückzugehen, sehr plötzlich fassen müssen. Er wußte, es kam hier, wie bei allen Eingriffen und Maßnahmen, auf den richtigen Zeitpunkt an. Es ließ sich nicht vorherbestimmen, nicht von langer Haha vorher planen. Der richtige Zeitpunkt ergab sich vielmehr nur aus der gegebenen, also einer ganz bestimmten augenblicklichen Situation. Kein Wunder also, daß man in Rom und beim italienischen Oberkommando in Libyen überrascht war und offenbar das Gefühl gewonnen hatte, überspielt, wenn nicht gar übergangen worden zu sein. Auf dem Gefechtsstand bei el Gazala erschien überraschend General Bastico, den die deutschen Landser „Bombastico“ getauft hatten. Er brannte vor Zorn. Es kam zu einer erregten Szene, denn offenbar glaubte der
Italiener, der Verlust der Cyrenaika würde einen entscheidenden Prestigeverlust bedeuten. Er habe Sorge, sagte er, die englische 8. Armee könnte das alte Spiel wiederholen und quer durch die Wüste ziehen, um bei Agedabia die Küste zu erreichen und die Achsentruppen abzuschneiden. „Es ist notwendig“, erklärte er mit erhobener Stimme, „sofort eine meiner Divisionen aus der Gazalastellung zur Sicherung nach Agedabia zu verlegen.“ „Ich kann nicht zulassen, daß in irgendeiner Weise in meine Befehle hineingeredet wird.“ Rommels Stimme hatte jene Schärfe angenommen, die seine Umgebung nur zu gut kannte. „Die Last der zermürbenden Kämpfe dieser Wochen hat fast allein meine Truppe getragen.“ „Ich muß auf der Verlegung der Division bestehen.“ Bastico hatte einen roten Kopf bekommen. „Herr General, das würde zur Folge haben, daß ich den Rückzug durch die Cyrenaika mit den deutschen Verbänden allein durchführen würde. Die italienischen Divisionen würden dann ihre Befehle allein vom italienischen Oberkommando erhalten müssen.“ Bastico blickte erschrocken auf sein Gegenüber. „Wenn Sie dafür bürgen, General…“ Er hatte verstanden, daß Rommel nicht gesonnen war, nachzugeben. Wie Bastico freilich mit guten Gründen den Eindruck eines solchen Rückzuges in seiner Heimat fürchten mußte und mit Bitterkeit jetzt daran dachte, daß man ihn für den Verlust der Cyrenaika werde verantwortlich machen, so dachte Rommel mit Bitterkeit an zahlreiche frühere Besprechungen, in denen er, gemeinsam mit Bork, immer wieder um die Sicherung seines Nachschubs und der Mittel beschwörend gebeten hatte, um vor
einer englischen Offensive noch die belagerte Festung Tobruk, die wie ein Pfahl im Fleisch der Achsentruppe steckte, zu Fall zu bringen. Indessen fuhr Bastico noch einmal schweres Geschütz auf. „Der Verlust der Cyrenaika kann unabsehbare politische Folgen für den Duce haben. Ich schlage daher vor, die Rückzugsbefehle insgesamt aufzuhalten und die Lage in einigen Tagen neu zu überprüfen.“ „Wenn ich das tue, wollen Sie mir dann sagen, wie Sie sich die weitere Führung des Kampfes denken?“ „Ich bin nicht verpflichtet, meine Ansicht hier darzulegen.“ „Dann denke ich, die Befehle werden mit Ihrer Zustimmung aufrechterhalten.“ Rommel lächelte, aber es war kein gutes Lächeln, das er Oberst Bork zeigte, als die Italiener sich verabschiedet hatten. „Es ist immer das gleiche Theater. Haben wir Erfolg, Bork, dann sind es die andern. Wendet sich das Blatt und es gibt kritische Lagen, dann sind wir es. Aber jetzt werden wir etwas Besseres tun. Polenz, sehen Sie, ob Neumeyer schon mit seinem Häuptling eingetroffen ist.“ Oberst Prendergast war mit einem Volkswagen in die Felsenschlucht bei Gazala gebracht worden. Jetzt stand er Rommel gegenüber. „Es ist mein Wunsch, Sie kennenzulernen, um Ihnen und Ihrer Truppe meine Anerkennung auszusprechen“, sagte er, dem englischen Obersten die Hand reichend. „Sie hätten mir einige Unannehmlichkeiten bereiten können, wenn Sie mehr Glück gehabt und wir weniger wachsam gewesen wären.“ „Wir hatten die Hoffnung, beides würde zusammentref-
fen, Sir. Nun, es hat nicht sollen sein. Aber der Krieg ist noch nicht vorbei.“ „Für mich gewiß nicht, aber ich vermute, für Sie, Oberst.“ Rommel lächelte und lud mit einer Handbewegung zu einem Whisky ein, den Polenz gluckernd aus einer Flasche rinnen ließ. „Nun, vorerst wollen wir uns an die Annehmlichkeiten des Daseins halten“, fuhr der deutsche General fort, „für die Ihr Weltreich so freigiebig sorgt…“ Der Oberst machte ein säuerliches Gesicht und Rommel fuhr fort: „Es wäre mir interessant, etwas über Ihre Erfahrungen zu hören, wenn nicht die Zeit zu einer eingehenden Unterhaltung fehlte. Ich kenne nicht nur Ihre Long Range Desert Group, ich bin auch ganz gut über Ihre Pläne und Aufgaben im Bilde. Es scheint mir aber zweifelhaft, ob Sie nicht in Ihrem Hauptquartier die Schwierigkeiten unterschätzen, die den Aktionsradius einer solchen Truppe in der Wüste einschränken müssen.“ „Das wird die Zukunft erweisen, Sir. Wir haben trainierte Leute und auch eine Tradition.“ „Ich habe Weisung gegeben, daß Sie morgen nach Italien überflogen werden. Sie dürfen damit rechnen, in drei Tagen in Deutschland zu sein. Das ist, glaube ich, für uns beide sicherer.“ Um des Generals Augen erschien ein listiger Ausdruck. „Übrigens finde ich es nicht gerade schmeichelhaft, mich mit einem Major zu verwechseln, wie das Ihr Oberleutnant Stevens tat. Ich wäre da sehr viel sorgsamer vorgegangen…“ Prendergast, ein Mann mit energischen offenen Gesichtszügen, leerte mit unbehaglichem Gefühl seinen
Whisky. Rommel sah dem Engländer zu, und wieder, wie so häufig beim Anblick seiner Gegner, spürte er den Widersinn eines Krieges gegen ein Volk, das ihm viel eher der gegebene Bundesgenosse seines eigenen zu sein dünkte. „Ich habe noch nie einen von den Kerls gesehen, der seine Haltung verloren hätte“, sagte er zu Bork, als Prendergast ihn wieder verlassen hatte. „Übrigens soll Polenz alles veranlassen, ich wünsche, daß der Oberst morgen hinübergeflogen wird. Ich möchte nicht, daß er uns entwischt, und ich weiß, er wird es versuchen.“ Doch die Maschine, die am nächsten Morgen startbereit auf dem Flugplatz Bengasi auf Prendergast wartete, brauchte nicht mehr zu starten. Sergeant Ward gab sich nicht so leicht geschlagen. Da hatten sie, bei allen Höllenfürsten, den Obersten und den kleinen Doolittle direkt vor seiner Nase weggeschnappt. Er war dicht hinter dem Walliser gewesen, aber doch nicht zu dicht, so daß er im gleichen Augenblick, da sich die Falle öffnete, noch entschlüpfen konnte. Er hatte sich einfach fallen lassen, war schneller und schneller am Felshang herabgerutscht, um im letzten Augenblick eine Kante zu erwischen, die sein Gewicht aushielt. Die gummibesohlten Stiefel der Kommandotrupps bewährten sich aufs neue. Er schlug um die kleine Stadt Cirene einen Haken und überquerte dann die Ruinen von Cirenia. Zwei Stunden später war er mit seinem italienischen Lastwagen nach Barce unterwegs, und im Morgengrauen traf er bei seinen Leuten ein. Ward sandte im Stillen ein Stoßgebet zum Himmel. „Doolittle“, dachte er, „Doolittle, guter, guter Junge.
Wenn ich dich nicht gehabt hätte, dich und deinen italienischen Lastwagen, den du klautest, als hättest du in Cardiff das jeden Tag gemacht…“ Ohne den Walliser hätte Ward in der Tat kaum an seinen Plan denken können, Prendergast und seinen Mitgefangenen herauszuhauen. Denn daß er das tun mußte, daß es seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit war, darüber konnte es für ihn gar keinen Zweifel geben. Die Long Range Desert Group wäre nicht jener stolze Haufen gewesen, der er war, hätte nicht jeder Angehörige der Kommandotruppen seine besonderen Meriten gehabt. Es kam bei der Auswahl der Soldaten nicht nur auf körperliche Verfassung und das Training an. Auch die geistige Beweglichkeit und die Vorbildung des einzelnen waren wichtig. So kam es, daß fast jeder zweite Mann eine Fremdsprache beherrschte und daß Sergeant Ward unter dem Häuflein der Versprengten wenigstens einen Mann antraf, der italienisch sprach und einen zweiten, der es radebrechte. Und das war für seinen Plan wichtig. Denn er wollte in Cirene Prendergast und Doolittle herausholen. Wie, das war ihm noch unklar. Daß er es versuchen würde, stand jedoch fest. Aber wie der Zufall es wollte, als sich Ward mit den restlichen fünf Soldaten der zerschlagenen Abteilung Prendergast, eingekleidet in italienische Uniformen, unterwegs auf dem Wege nach Cirene befand, tauchte hinter ihnen ein Volkswagen auf, in dem drei Männer saßen. Er hielt gehörigen Abstand, um nicht in die breite Staubfahne zu geraten, den Wards italienischer LKW aufwirbelte und hinter sich herzog. Aber dann kamen sie auf die asphaltierte Küstenstraße und Perry Blain riß plötzlich das Verdeck hinter dem Führersitz hoch, um Ward, der neben
dem Fahrer Gentrie saß, in höchster Aufregung auf den Rücken zu klopfen. „Sergeant“, schrie er, „kommen Sie sofort nach hinten – da ist er.“ Er zerrte an Wards Schulter. „Zum Teufel, Blain…“ „Der Oberst ist hinter uns, Sergeant. Direkt hinter uns.“ Ward kroch aus dem Führersitz in den KLW und fand Blain, Singer, Forgarty und Granger in hellster Aufregung. Forgarty und Singer waren schon dabei, eines ihrer MGs schußfertig zu machen. Im Abstand von 30 Metern fuhr ein deutscher Volkswagen. Neben dem Fahrer saß ein Soldat mit einer Maschinenpistole. Im hinteren Teil des Wagens erkannte Ward Oberst Prendergast mit einem deutschen Offizier. „Das MG weg, ihr Idioten. Und daß mir keiner schießt, Ihr habt doch wohl gelernt, wie ihr ohne Schießprügel kämpfen müßt.“ Ward war mit einem Sprung bei Gentrie. „Vollgas, dreh auf, was du kannst! Und wenn ich es dir sage, haust du auf die Bremsen und stellst den Wagen quer über die Fahrbahn!“ So kam es, daß der deutsche Schütze Meyer plötzlich den vor ihm fahrenden LKW davonbrausen sah. Er blickte ihm verwundert nach, gewahrte, wie er plötzlich auf der Straße hin und herschleuderte und mit einem Ruck, die Bahn blockierend, stehen blieb. „Der hat ‘nen Platten“, sagte Meyer zu Unteroffizier Faber. Vom LKW sprangen ein paar italienische Soldaten und begaben sich auf die andere Seite des Wagens. Die Kühlerhaube wurde hochgeklappt und es schien sich eine
lebhafte Unterhaltung anzubahnen. Meyer trat auf die Bremse. Der Volkswagen stand. „Faber, sehen Sie zu, daß die Itas die Straße freimachen“, sagte Leutnant Neumeyer. Faber ging zu dem Lastwagen. Er rief den Italienern etwas zu, was von einem Soldaten beantwortet wurde, während die anderen sich nicht um ihn kümmerten. Der Unteroffizier ging um den LKW herum und trat zu ihnen. Aber er war nun nicht mehr zu sehen, da er auf der anderen Seite des LKW hinter Seitenteil und Verdeck stand. „Hupen Sie, Meyer. Ich weiß nicht, warum Faber nicht wiederkommt und das so lange dauert.“ Auf das Signal blickte nur einer der Italiener zu Leutnant Neumeyer herüber, rief etwas Unverständliches, hob den Arm und winkte. „Das ist doch…“ Neumeyer sprang aus dem Volkswagen. Daß es doch immer Scherereien mit den Itas geben mußte. Er ging auf den LKW zu und sah, daß zwei Mann sich unter dem Wagen zu schaffen machten, drei andere interessiert zu ihnen hinabschauten. Das war das letzte, an das er sich erinnerte, und es war auch das einzige, was er genau wußte, als er nach einer Stunde wieder zu sich kam. Er lag neben Unteroffizier Faber, der aus einer Kopfwunde blutete. Seitwärts der Straße gewahrte er eine dritte Gestalt. Es mußte Meyer sein. Dann schloß der deutsche Offizier wieder die Augen. Er fühlte einen wahnsinnigen Schmerz im Hinterkopf und hatte das Gefühl, in seinem Schädel dröhnten eine ganze Anzahl Glocken. Undeutlich und verschwommen nahm er das Geräusch von Motoren wahr, das sich in das Läuten der Glocken mischte. Dann fühlte er sich hochgehoben,
schlug die Augen auf, blickte in das erschrockene Gesicht eines jungen deutschen Soldaten und verlor erneut die Besinnung. Zehn Tage später, am 22. Dezember, als die Truppen Rommels, immer wieder angreifend, aus dem Hinterhalt vorbrechend und wütend um sich schlagend, den Rückzug auf die Agedabiastellung angetreten hatten, zwei Tage bevor Bengasi, die Hauptstadt der Cyrenaika, dem Gegner überlassen wurde, stieß in der Nacht ein tollkühner englischer Kommandotrupp nach der Stadt vor, überfiel den Flugplatz und steckte 14 italienische Maschinen in Brand, ehe die Sicherungskompanie und die Jägerbesatzungen alarmiert werden konnten. Unter dem Krachen der Handgranaten und Haftladungen explodierten die Maschinen, und über den nächtlichen Himmel zuckten bis zum Morgen die lodernden Flammen. Es war das erste wirklich gelungene Unternehmen, das die Long Range Desert Group ohne eigene Verluste durchführte. Einen Verlust mußten sie indessen doch buchen. Eine Woche zuvor war das Lazarett in Cirene geräumt worden. Sowohl Oberleutnant Stevens wie der deutsche Unteroffizier Faber und der Schütze Meyer waren nach Bengasi transportiert worden, von wo aus Stevens direkt in ein deutsches Gefangenenlager überflogen werden sollte. Während Leutnant Neumeyer nach drei Tagen, ohne noch einmal zur Besinnung zu kommen, seinen schweren Verletzungen erlegen war, hatten Faber und Meyer mehr Glück gehabt. Vor allem stellte sich heraus, daß der Unteroffizier lediglich Platzwunden und eine Gehirnerschütterung davongetragen hatte, so daß er sich bald erholen würde. Stevens indessen, der den Schwer-
kranken mit Erfolg zu spielen verstand, um seinen Abtransport zu verhindern, hatte eine unangenehme Enttäuschung erlebt, die ihn freilich nicht entmutigen konnte. Durch einen Araberjungen, der regelmäßig frische Eier in das Lazarett zu bringen pflegte, hatte er eine Botschaft an Ibn ben Drussuff gerichtet. Nach vier Tagen lag im Garten des Lazaretts, wohlverborgen unter einem Eukalyptusbusch, alles bereit, um Stevens in Sekundenschnelle aus einem schwerverwundeten britischen Offizier in einen munteren Araber zu verwandeln. Doch wollte es der Zufall, daß am Abend vorher der Befehl zur Verlegung nach Bengasi kam. So ging Stevens nicht in der Nacht durch die Seitentür des Lazaretts in die Freiheit, sondern wurde auf einer Tragbahre herausgetragen und in einem Sanitätswagen abtransportiert. Aber schließlich war Ibn ben Drussuff nicht von gestern, und in Bengasi gab es mehr Araber als in Cirene und unter ihnen genügend Agenten des Alten, die sehr bald mit Stevens eine Verbindung herstellten. So kam es, daß ausgerechnet in der Nacht des 22. Dezembers Stevens die Stunde der Freiheit geschlagen hätte, wenn nicht die Long Range Desert Group ihren Überfall gemacht hätte. In Bengasi wurde Alarm gegeben und Unteroffizier Faber, neugierig, was der Feuerschein zu bedeuten habe, stand im Garten des Lazaretts gegen den Stamm einer Palme gelehnt, als er hinter sich ein Geräusch vernahm. Und da gewahrte er den englischen Offizier, den er seit jener Nacht in Cirene kannte und dann im Lazarett wiedergetroffen hatte, wie er aus einem Busch arabische Kleidung hervorzog und in einen Burnus zu schlüpfen im Begriffe war. Das war Stevens Pech. Am nächsten Tag saß er in einer Ju
88 und befand sich auf dem Weg nach Catania auf Sizilien, während Faber, Ende Januar zu seiner Einheit beim Oberquartiermeister zurückgekehrt, seine Beförderung zum Feldwebel erhielt. Die Front verlief jetzt westlich Agedabia. Hier waren die deutschen und italienischen Truppen in vorbereitete Stellungen eingerückt und warteten seit dem Monatsanfang auf die Fortsetzung der britischen Offensive. Die Cyrenaika befand sich in der Hand des englischen Gegners. Aber der dachte, wider alle Befürchtungen in Rom und Berlin, nicht daran, seine Angriffe weiterzuführen oder wieder aufzunehmen. Die Truppen der 8. Armee waren ausgepumpt. Sie waren erschöpft, und sie hielten inne, um zuerst einmal den Nachschub heranzubringen, der den weiten Weg von Ägypten her zurückzulegen hatte. Der „Wüstenfuchs“ Rommel aber ging daran, seine Krallen zu schärfen. Die Atempause, die der Gegner ihm gewährte, war ihm nur recht. Er hatte mit ihr gerechnet. Er hatte gewußt, daß der neue britische Oberbefehlshaber Auchinleck jetzt den Nachteil der langen Linien hatte. Nun war es an Rommel, das Spiel zu eröffnen und die nächste Runde zu beginnen.
Die britische 8. Armee war keineswegs von der Gewißheit eines großen und glanzvollen Sieges erfüllt. Die Stimmung war so düster wie der libysche Winterhimmel, von dem der Regen in Strömen herabfloß. Zwar hatte soeben, um das neue Jahr 42 gewissermaßen einzuleiten, Bardia, die abgeschnittene Festung, kapituliert, und bald darauf folgte der Halfayapaß, auf dem die deutschen Truppen seit Wochen ohne ausreichende Verpflegung waren und unter quälendem Wassermangel litten. Aber auch diese beiden Erfolge, die dem Tommy den direkten Küstenweg von Alexandria her öffneten, änderten nichts daran, daß die britischen Truppen abgekämpft und müde waren. Rommels verdammte, ungezählte Male als vernichtet gemeldeten Panzer waren während all dieser Tage und Wochen wie die Stehaufmännchen immer wieder erschienen, hatten dem Gegner Verlust um Verlust zugefügt, und dann hatte Rommel einen Mantel über seine Stellungen am Rande der großen Syrte ausgebreitet. Die Front verstummte. Der „Wüstenfuchs“ gab sich indessen nicht geschlagen, und er war auch nicht gesonnen, sich oder gar den Engländern Ruhe zu gönnen, um sich die Wunden zu lecken. Kleine Vorstöße erschienen als das übliche Tagesgeplänkel. Hauptmann Dönhoff, der mit Panzerspähwagen vorgefahren war, um herumzuschnüffeln und sich beim ersten Widerstand wieder zurückzuziehen, hatte seinen Auftrag prompt erfüllt. Er hatte Gefangene eingebracht, unter ihnen die Angehörigen der Long Range Desert Group Blain und Singer. Er ahnte nicht, daß es eigentlich alte Bekannte des Deutschen Afrikakorps waren. Oberst Prendergast hatte nach seiner Befreiung den Schlupfwinkel auf den Höhen bei Barce wieder aufge-
sucht. Langsam und mit größter Vorsicht hatte er sich mit seinen Leuten ostwärts vorgepirscht, war durch die Luken der zurückgehenden Deutschen geschlüpft, auf die vorgehenden Panzer der 8. Armee gestoßen und, frisch ausgerüstet und verproviantiert, sofort zu einem Überfall auf den Flugplatz Bengasi wieder aufgebrochen. Eine Gruppe seiner Leute war nach dem Ende der großen Schlacht bei Murzuch geblieben, um sofort bereit zu sein, wenn eine neue Erkundung oder ein neuer Einsatz im Rücken der Deutschen befohlen werden sollte. Und dabei hatte Dönhoff Blain und Singer erwischt, die ausgezogen waren, sich einen frischen Braten unter den Gazellen zu erjagen. Rommel war zufrieden. Kulp hatte einen eingehenden Bericht über das Ergebnis der Vernehmungen gemacht. Allgemein wurde über die mangelhafte Verpflegung geklagt. Die Pfirsiche aus Südafrika, der Tee aus Indien, die weißen Bohnen aus England, die Kekse aus Australien waren offensichtlich nicht nachgekommen. Die Truppe war übermüdet. Es fehlte an Brennstoff, den der Tommy nun über jene 800 Kilometer nachziehen mußte, die vorher Rommels Alptraum gewesen war. Unter den Beutepapieren, die Kulp durchsah, hatte er einen höchst aufschlußreichen Brief an Mrs. Dora Lovett in Edinburg gefunden. Absender war Captain Lovett, der offenbar in Bengasi gewesen war. „Liebe Mama“, schrieb der Captain. „Es regnet noch immer und die Leute hier behaupten, so viel Regen hätte es seit 30 Jahren nicht gegeben. Sie schauen uns dabei vorwurfsvoll an, als trügen wir die Schuld an diesen Wassermassen, unter denen wir selber am meisten leiden, Tag für Tag hängen tiefe graue Wolken über dem grünen Land, es hagelt, und aus Agedabia kam einer meiner
Männer, der Sergeant Bearley, und behauptete, es habe sogar geschneit. Das Schlimmste ist, daß wir unseren Nachschub nicht nachbekommen. Ich habe neulich ein paar Stunden, eingekeilt in Hunderte von Wagen, warten müssen. Die Straßen sind knietiefer Schlamm, und wenn wir auch überall an der Arbeit sind, um die Sprengungen zu beseitigen, die Rommel hinterlassen hat, die Fahrt von Kairo nach hier beansprucht zwei Wochen, wenn man nicht ein paar weitere Tage steckenbleibt und einem das Benzin ausgeht. Immer wieder klebt man im Schlamm und muß seinen Wagen herausziehen. Unsere Leute laufen herum, als gingen sie auf eine Polarexpedition. Dick vermummt! Die Kälte ist so scheußlich hier, daß niemand mehr weiß, warum dieses Land eigentlich in Afrika liegen soll. In Barce und Benina, wo ich neulich war, sind die Flugzeuge, die nach der Schlacht zurückblieben, fast im Schlamm verschwunden. Und alles, was wir haben, ist Zwieback, Tee und Büchsenfleisch, ein scheußliches Zeugs, das von Rommel stammen muß, zäh und strähnig. Unsere Truppen suchen das Land nach verborgenen Depots ab, aber es gibt nichts, denn auch die italienischen Kolonisten sind geflohen, und in den Dörfern findet man nur leere Häuser, freilich Holz, so daß man sich dann und wann ein Feuer machen kann. Besonders bedrückt mich, daß von meinen Leuten ein paar Gruppen offenbar vom Regen überrascht wurden, irgendwo in der Wüste stecken und nicht vorwärts und nicht zurück können. Ich fürchte, sie haben nicht einmal was zu essen… Ich muß daran denken, wie General Penthouse uns immer predigte, das Wichtigste sei, zuerst an die Versorgung der Truppe zu denken und darauf zu achten, daß die Nachschublinien im rechten Winkel zu den eigenen Frontstel-
lungen laufen. Das gewähre eine schnelle Zuführung und biete, nur das geringste Ziel für Angriffe. Aber wir sind nun so weit weg von unseren Lagern, daß alle diese Lehren nicht mehr gelten oder vergessen sind. Und Prendergast, mit dem ich vor ein paar Tage in Cirene aß – du kennst seine Frau, glaube ich – schien mir nicht eben zuversichtlich. Er kam vor ein paar Tagen aus Bengasi zurück, wo er den Schauplatz eines nächtlichen Überfalls besucht hatte, bei dem er den italienischen Flugplatz hatte hochgehen lassen. Aber was nutzt das jetzt alles. Ein Tag vergeht wie der andere und unsere Front ist viel zu dünn, die Soldaten ungewaschen, verschmutzt und übermüdet. Alles, was wir jetzt tun, ist ein unaufhörlicher Kampf gegen den widrigen Winter in Afrika, gegen das Ausbleiben der Versorgung und gegen unsere Stimmung, die sich dem Sauwetter völlig angepaßt hat. Aber ich denke, Rommel wird es nicht besser gehen. Und das ist ein Trost.“ Hauptmann Kulp las die Übersetzung noch einmal durch und rief Dönhoff an. „Ich habe eine kleine Freude für euch. Schick gleich einen Brief herüber. Geben Sie ihn dem OB – als Nachtisch.“ „Wie sieht es denn drüben aus? Haben Sie Genaues feststellen können?“ „Ich habe für Bork einen Bericht gemacht. Aus den Vernehmungen geht klar hervor, was los ist. Ich will es Ihnen sagen. Beim Tommy klappt der Nachschub nicht. Bengasi konnte bisher weder als Flugplatz noch als Hafen wieder benutzt werden. Dann ist offenbar die Verbindung zwischen den einzelnen Armeegruppen miserabel und zur Zeit unmöglich. Viertens jammern sie überall, daß kein
Mensch ihre kaputten Fahrzeuge repariert, daß das Wetter ein Saustall ist und daß wir noch immer leben. Zufrieden?“ „Es kommt also darauf an, wer sich zuerst wieder aufrappelt und fit ist.“ Am 13. Januar 1942 rückten die Verbände des DAK in die Bereitschaftsräume. Endlich war der deutsche Nachschub zügig herangekommen, wenn auch von einer Auffüllung der Divisionen keine Rede sein konnte. Aber Rommel wußte, wenn er sich weiter auf eine Verteidigung beschränkte, wenn er versuchte, eine starre Front zu errichten – dann war die nächste Niederlage unausweichlich. Denn der Tommy würde sich, wenn auch langsam, so doch wieder erholen und seine Lungen voll Luft pumpen. Am Morgen des 21. Januar brach ein Sandsturm los. Das Land glich einem brodelnden Kessel. Es wehte und stürmte, und praktisch war jedes Unternehmen ein Wahnsinn, da man nicht einmal die Hand vor Augen sehen konnte. Aber für den „Wüstenfuchs“ Rommel war das gerade das Richtige. Er setzte sich an die Spitze einer Kampfgruppe und schleuste sie durch die eigenen Minenfelder, während eine andere südlich der Küstenstraße antrat. Am Abend waren Agedabia und Antelat wieder in deutscher Hand. Zwei Tage später war die Front weiter vorgerückt und der Flugplatz von Agedabia diente schon den deutschen Stukas und Jägern als Absprungbasis. Aber nicht nur der Tommy, nicht nur General Ritchie, der mittlerweile die britische 8. Armee führte, war überrascht. Auch in Berlin war man es und in Rom ebenso. Rommel wußte, warum er geschwiegen und schnell ge-
handelt hatte. Der mehr als harmlose Funkverkehr zwischen manchen italienischen Kommandostellen hatte dem Engländer oft genug manch nützlichen Wink eingebracht. Im Grunde war es auf der anderen Seite nicht anders. Die Abhörstellen im Gefechtsstand Rommels hatten mehr unverschlüsselte Befehle und Gespräche zwischen Kommandeuren verschiedener Einheiten aufgefangen, als man drüben offenbar ahnte. Das hatte oft erstaunliche Ergebnisse eingetragen. Rommel schwieg also und erst am Tage des Angriffs wurde vom Oberquartiermeister der Befehl für den Angriff in Tripolitanien bekanntgegeben. Das war wie eine Bombe! Der italienische General Bastico saß weitab in Homs und fuhr in die Höhe, als habe ihn ein elektrischer Schlag getroffen. Aus Rom kam General Cavallero, entsetzt über den neuen Husarenstreich dieses unbequemen, ewig unruhigen und mit immer neuen Überraschungen seine Umwelt in Atem haltenden deutschen Generals. Cavallero rang die Hände. Er hatte von Mussolini selbst den eindeutigen Befehl, jedes weitere Vorgehen zu verhindern. Rommel, weit davon entfernt, zu sagen, was er wirklich vorhatte, erklärte, mit der 8. Armee abrechnen zu wollen, nachdem der Gegner angeschlagen und drüben eine Art Verzweiflungsstimmung ausgebrochen war. In einem großen Kreis stieß er am 24. Januar erneut vor, überrannte, was sich ihm in den Weg stellte und brachte ein paar tausend Gefangene ein. Msus, Hauptversorgungsplatz Ritchies, ging in Flammen auf. Rommel fielen 600 Kraftfahrzeuge in die Hände und seine Truppe erntete und lebte wieder von den Früchten des Empire, die sie
nicht bestellt hatten. Die letzte Arbeit der Tommies in Msus war, sieben Millionen Zigaretten, eine große Menge Postsäcke und Vorräte anzuzünden, die erst am Vortag angekommen waren. Drei Wagenladungen Rum, die während des Angriffs eintrafen, konnten gerettet werden, weil die LKW auf der Hinterhand kehrt machten. Und dann kapitulierte Bengasi, und eine unübersehbare Beute fiel den Deutschen abermals zu. Treibstoff, Waffen, Geräte aller Art, Lebensmittel, Fahrzeuge, die noch gerade vor 24 Stunden im Hafen ausgeladen worden waren. Jetzt rang man in London die Hände. Liddell Hart stöhnte verzweifelt im „Daily Mail“, wie oft denn schon berichtet worden sei, Rommels Panzerstreitkräfte stünden am Rande der Erschöpfung, Und nun schienen sie „unerschöpflich wie das Ölkrüglein der Witwe in der Bibel.“ „Jawohl“, bestätigte ein Sprecher das Weißen Hauses in Washington, „der Schlingel unter den modernen Generalen hat ein neues Kaninchen aus seinem Hut gezaubert.“ Und Churchill, der eben noch eine Meldung der „Times“ bekräftigt hatte, Rommel sei „zu guter Letzt endgültig entscheidend geschlagen“ worden, mußte plötzlich gestehen, „einen sehr kühnen und geschickten Gegner vor sich zu haben und, ich darf wohl sagen, einen großen General…“ Mitte Februar war die Cyrenaika zurückerobert und gesichert. Ausgepumpt standen sich beide Gegner gegenüber. In Alexandria und Kairo atmete man auf. Nun würden endlich die Deutschen auch nicht mehr weiter können. Glaubt man. Es war wieder Hochsommer in der Wüste. Das Land kochte. Keine Wolke war mehr am Himmel zu sehen, von dem die Sonne Tag für Tag aus einem leuchtenden,
gleichbleibenden Blau unbarmherzig herab strahlte. Leutnant Brandt war ein paarmal auf Jagd gewesen, um frisches Fleisch zu besorgen. Aber es gab keine Gazellen mehr. Das Land war zu unruhig geworden. Die Wüste bedeckten Tausende von Schneckenhäuschen. Sie knirschten unter seinen Schritten. Die Luft war so dick und stickig, daß dem Leutnant der Kopf dröhnte. Er drückte auf den Anlasser und fuhr zur Küstenstraße zurück. Von der Hochebene hatte er plötzlich unter sich das Meer und darüber die asphaltierte Via Balbia. Er sah Kolonnen, die zur Front vorfuhren, Kolonnen, soweit das Auge reichte. Zwei Tage später schlug Rommel erneut los. Im Dunst dies ersten Frühnebels stieg der Staub der angreifenden Kolonnen über die Wüste. Es war der 26. Mai. Die neue Runde konnte beginnen… Ein englischer Panzeroffizier sah als erster dieses untrügliche Anzeichen für einen Angriff. Er erkannte durch sein Fernglas unterhalb der Staubwolke kleine schwarze Punkte. „Es sieht so aus, als wenn eine Panzerbrigade angreift“, meldete er über den Sprechfunk nach hinten, hob nochmals den Feldstecher und fügte schnell hinzu: „Es ist mehr als eine Brigade, es ist das ganze verdammte Deutsche Afrikakorps…“ Rommel zertrümmerte die englischen Stellungen, umging die Minenfelder mit der Masse seiner Truppen – und hatte doch insgesamt nur 332 Panzerkampfwagen – und erreichte nach schweren, hin- und herwogenden Kämpfen das Herz der englischen Abwehrstellungen, die sämtlich als Einzelfestungen angelegt und zur Abwehr vorzüglich ausgestattet waren.
Es war der Nachteil, daß Rommel jede einzelne Festung aufbrechen mußte, aber zugleich sein Vorteil, daß sich der Gegner hier mit der Masse seiner Truppen unbeweglich festgelegt hatte und er in beweglichem Kampf sich zuerst auf die britischen Panzer stürzen konnte. Tausende von Rädern und Raupenketten hatten in den letzten Monaten diesen Teil der Wüste zerfurcht und die dünne Schicht Sand, die auf der Wüste lag, durchstoßen. Der feingemahlene Staub der so entstehenden Pisten wurde immer tiefer und tiefer. Und da jede Kolonne in Afrika bestrebt war, diese tiefen Sandpisten zu vermeiden, so waren sie ausgewichen, und dabei waren immer neue Pisten entstanden. Das halbe Schlachtfeld deckte bereits eine Mehlschicht zu, als Rommel erschien. Nun blies plötzlich aus dem Süden der Ghibli. Die Sehweite betrug knapp noch 40 Meter. Dann wurde der Staub der Piste vom Sturm erfaßt und zehn Minuten später war überhaupt keine Sicht mehr möglich. Zwischen den Gegnern ging jede Fühlung verloren. Es kam zu gelegentlichen heftigen Kämpfen, aber man schoß ins Dunkel und hörte bald wieder auf, obwohl der Feind vielleicht nur hundert Meter weiter seine Panzer hatte auffahren lassen. In diesem Sturm war auch nicht zu hören, wenn feindliche Kolonnen dicht nebeneinander her marschierten, und es war auch nichts zu sehen, wenn jemand zum MG greifen wollte, weil plötzlich aus dem dicken Dunst ein feindliches Fahrzeug aufgetaucht war. Jeder der Soldaten auf beiden Seiten glich mehr einem Marsmenschen als einem deutschen Panzerfahrer oder einem Kanonier der britischen Fünfundzwanzigpfünder. Mit blutunterlaufenen Augen, vor denen dicke Brillen
klebten, ohne den feinen Staub doch fernhalten zu können, ein Tuch um Kopf, Mund und Nase, den Mantelkragen hochgeschlagen, so hockten sie in ihren Fahrzeugen oder hinter ihren Geschützen. Der Schweiß lief über die Stirn und die Backen und bildete mit dem Wüstenstaub eine dicke Kruste. Im Schneckentempo schlichen englische und deutsche Panzer durch diesen Brei, um sich zu finden und einander niederzuschlagen. Captain Lovett, der auf seinem Wüstenritt vor ein paar Monaten erfahren hatte, welche Folgen der Ghibli haben konnte, fand nur durch Zufall zu dem Gefechtsstand zurück, den er am Vortag im Sturm verloren hatte. Ein Soldat, vermummt wie ein Verschwörer, tauchte auf und wies den Weg durch eine Minengasse. Ein halbes Dutzend Offiziere saß in seiner Felsenhöhle und studierte die Karten, auf denen alle paar Augenblicke der Staub fortgewischt werden mußte. „Wie steht’s?“ fragte Lovett, ohne Hoffnung, sich über die Lage orientieren zu können. „Wir schießen zwar, aber ob wir treffen und was wir treffen, das können wir natürlich nicht wissen!“ Irgendwo ertönte Geschützdonner. Er klang wie das lange Rollen eines Gewitters, das nicht wieder verstummen wollte. Lovett hob die Feldflasche mit Tee an den Mund. Der Staub knirschte zwischen seinen Zähnen und das Getränk war lauwarm und labbrig. Er spukte es aus. „Nein, Verpflegung auszugeben hat gar keinen Sinn“, hörte er einen Major in den Feldfernsprecher schreien. „Begreifen Sie doch, es hat keinen Sinn… keinen Sinn…
sage ich. Wie sollen wir Sie denn finden.“ Er warf den Hörer zornig auf die Gabel. „Möcht mal wissen, wer jetzt ans Essen denken kann.“ Er zuckte die Achseln. „Als wenn wir was hätten…“ „Was haben sich die Zeiten nur geändert“, sagte ein junger Leutnant mit entzündeten Augen. „Wenn ich dran denke, damals im Februar vorigen Jahres. Ich fuhr mit drei Panzerspähwagen über el Agheila heraus und da kamen mir drei andere entgegen. Wir fuhren aneinander vorbei und da schrie einer plötzlich los, es seien Fritzies gewesen. Wir drehten um und der Teufel wollte es, daß meine beiden anderen Wagen, die ich von der Straße weggeschickt hatte, im Sand stecken blieben. Und da sah ich, die Deutschen hatten es genauso gemacht und saßen nun auch fest. Wir schossen uns herum, wir fuhren dicht aneinander vorbei und waren wohl alle entschlossen, am Leben zu bleiben.“ „Das waren die ersten Deutschen?“ „Das waren die ersten, die wir zu Gesicht bekamen.“ Gegen Abend konnte Lovett sehen, wie die Sonne gleich einem rachitischen Mond unterging. Der Sturm legte sich und die Wüste wurde langsam wieder erkennbar. Aus dem Dunst lösten sich die Umrisse von Fahrzeugen, von Kolonnen, von zerstörten, ausgebrannten oder zerbombten Panzern. Es war freilich nicht zu unterscheiden, wo Freund und wo Feind stand. Lovett ging zu seinem Fahrzeug. Er mußte die Panzer suchen, denen er zugeteilt worden war und von deren Abbleiben man beim Stab wahrscheinlich weniger wußte als der Gegenspieler Rommel. Am Horizont grollte wieder der Artilleriekampf auf und fahle Blitze zuckten als Abschüsse über den Himmel.
Lastwagenkolonnen rasten an Lovett vorbei. Die Erde bebte vom Einschlag schwerer Bomben, und das Motorengeräusch der Bomberstaffel klang wie Sphärenrauschen im Brummen des eigenen Motors. Lovett hörte plötzlich ein Knirschen und Brechen unter den Rädern. Der Fahrer trat auf die Bremse, daß das Fahrzeug bockte. Minen? Sie sahen sich an und wagten nicht zu atmen. Der Captain stieg vorsichtig aus, nachdem nichts erfolgte und stellte fest, daß er mit dem Wagen in einen Friedhof geraten war, der, vom Sandsturm halb verborgen, sich ringsum ausbreitete. Die zerbrochenen Holzkreuze, die unter den Rädern herausragten, trugen die Namen deutscher und englischer Soldaten. Sie waren bei Tobruk gefallen, damals, als Rommel die Festung vergebens zu nehmen versuchte. Um Mitternacht wurde deutlich, daß die Deutschen schon wieder angriffen. Der Donner der 8,8-Flakgranaten grollte über die Erde und kam immer näher. Rotglühende Panzer und brennende LKW tauchten gespenstisch im Dunkel auf und erhellten ihre Umgebung. Raupenketten rasselten über die Pisten und der Nachtwind trug ihr Klirren zu Lovett herüber. Er fand unerwartet die Wagenansammlung seiner Panzerbrigade. Aber sie waren zerstört, die meisten ausgebrannt und von den Besatzungen, außer ein paar Toten, nichts zu sehen. Es war die Nacht vom 15. auf den 16. Juni 1942, und Lovett stieß endlich auf einen Verbindungsstab, der gerade aufzubrechen im Begriff war. Es war kein Zweifel mehr möglich! Rommel hatte wieder das Unmögliche vollbracht. Der
englische Rückzug war bereits befohlen worden. Würde es aber noch gelingen, die Massen der Truppen, die vor Tobruk lagen, herauszulösen, nachdem die Deutschen bereits so tief in ihrem Rücken standen? „Was nicht mehr wegkommt, geht in den Schutz von Tobruk“, sagte der Major zu Lovett und warf seinen Schlafsack auf einen Lastwagen. „Ich kann Ihnen nichts Näheres sagen. Das beste wird sein, Sie schließen sich uns an.“ Am Morgen erreichte General Rommel die alte, schicksalsschwere Stelle am Kilometer 31 vor Tobruk. Der Friedhof am Weißen Haus war wieder gewachsen. Englische Gräber schlossen sich jetzt an die Reihen toter deutscher Soldaten an und auch ihnen war, zum ehrenden Gedenken, ein Stein gesetzt worden. Aber die Offiziere und die alten Sturmsoldaten vom Ras Medauuar konnten nur einen flüchtigen Blick auf den Friedhof werfen. Jetzt kam es auf jede Stunde an. Schon damals, im April 1941, als die ersten Truppen das Weichbild von Tobruk erreichten, hatte Rommel die Absicht erkennen lassen, direkt auf Alexandrien vorzustoßen. Er wußte nicht, was Tobruk war, daß es nicht nur ein befestigter Platz, sondern eine so gut und trefflich ausgebaute Festung war, daß er gezwungen sein würde, sich hier festzubeißen und seinen Vormarsch einzustellen. War jetzt Alexandrien endlich als Ziel in greifbare Nähe gerückt? Würde Rommel Tobruk nun einfach liegen lassen und angesichts seiner unermeßlichen Beute an Brennstoff und Nachschubgütern rücksichtslos weiter vorstoßen? Es sah so aus, wie in diesen Tagen in der Tat nichts unmöglich erschien. Wieder jagte Rommel an der Spitze seiner Panzer, oder
was von ihnen noch übriggeblieben war. Überall waren Kolonnen und Verbände unterwegs, überall dröhnten die Abschüsse der Panzerkanonen und der Artillerie. Wieder konnte niemand mit Sicherheit vorhersagen, wer sich unter den Staubfahnen verbarg, ob da Freund oder Feind herankam. Im Tiefangriff englischer Jäger war Wittle, am Steuer seines Fahrzeuges neben dem General, durch Kopfschuß gefallen. Potenz hatte das Fahrzeug übernommen, bis beim ersten Halt Feldwebel Faber aus der Kampfstaffel herauskommandiert worden war. In der Nacht waren die Verbände erneut unterwegs, umgingen Tobruk und schienen die Festung zum zweiten Mal einschließen zu wollen. Auchinleck, der vom Nahen der Kolonne überrascht wurde, mußte in fliegender Eile seinen Gefechtsstand räumen und die Truppen für viele Stunden sich selbst überlassen. Immer weiter und weiter ging die Jagd. In Gambut wurden englische Flieger beim Frühstück überrascht und ihnen die Maschinen abgenommen, bald darauf ein umfangreiches Brennstofflager gefunden. Und dann lag Bardia vor den Augen Oberleutnant Brandts. Wie eine Märchenstadt aus Tausendundeiner Nacht leuchteten die weißen Häuser, die Mauern und die Moschee vor ihm auf, tief unter dem Ort das blaue blitzende Meer und das Hafenbecken. Noch am 2. Juni hatte das britische Hauptquartier in Kairo verkündet, „noch nie zuvor sei eine deutsche Offensive so im Keime erstickt worden, wie diejenige Rommels auf Tobruk.“ 19 Tage später verkündete Radio New York, Rommel möge sich mit den Resten seiner Armee irgendwo in der Wüste bei Tobruk aufhalten, von der
Möglichkeit einer Einnahme dieser gewaltigen Festung zu sprechen, sei indessen geradezu lächerlich… War es so, und was würde Rommel wirklich tun? Schien er Tobruk liegenzulassen und weiter nach Ägypten vorzustoßen? So mußte Auchinleck aus den deutschen Bewegungen schließen. Der Wüstenraid ging weiter. Und Tobruk würde abermals der Pfahl im Fleische Rommels bleiben. Aber in der Nacht schwenkten die Verbände plötzlich um, und statt nach Osten war ihr Ziel nun nach dem Westen gerichtet. Die Engländer ahnten nichts davon. Um 5.20 Uhr am Morgen des 20. Juni vibrierte die Luft über dem Schlachtfeld der vergangenen Tage. Im kobaltkalten Licht der ersten Frühe glitzerten die Leiber der Bomber. Sie zogen langsam und stetig ihre Bahn nach Osten. Aber dann kippten sie plötzlich über den Flügeln ab und rasten heulend ihren Zielen zu. Während die ersten Bomben in der Feste Tobruk detonierten, begann auch schon die zusammengefaßte Artillerie Rommels ihr höllisches Feuer. Eine Gasse wurde durch die Minenfelder gebrochen. Die Panzergräben wurden mit Rollbrücken überwunden, und um 7.45 Uhr hatte Rommel einen Brückenkopf von zwei Kilometern Tiefe im Festungsraum sicher in der Hand. Unaufhaltsam wie die Fluten eines anschwellenden Baches ergossen sich die Sturmtruppen durch die Minengassen und über die Panzergrabenbrücken. Italienische Verbände schwenkten gegen die Außenwerke ein, die deutschen auf den Hafen und auf die Stadt zu. In 14 Stunden fiel die Festung. Zerschossene Lastwagen, brennende Panzer, zerborstene und verlassene Geschütze, Tote und Verwundete be-
deckten das Schlachtfeld. Es war eine Stunde wilden, einzigartigen Triumphes für die alten Afrikaner. Monatelang hatten sie diese Festung berannt, hatten sie Meter um Meter Boden dem Feind abzuringen versucht, waren sie vorgedrungen und wieder zurückgeworfen worden. In einem Kampf von beispielloser Härte waren auf beiden Seiten Ströme besten Blutes geflossen. Im verzehrend heißen Atem des Ghibli hatten sie angegriffen, in den dunklen Nächten die tief in die Erde hineingesprengten Werke und Bastionen gestürmt. In glühenden Sonnentagen hatten sie sich hier in die Erde festgebissen. Immer wieder versuchten sie, diese Festung zu nehmen, und immer wieder waren sie zurückgeschlagen worden. Sie hatten gesiegt und sie waren besiegt worden. Tote lagen in der felsigen Erde begraben, über die sie tagtäglich hinweggeschritten waren. Panzer aus vergangenen Monaten standen ausgekohlt überall herum. In den sternenfunkelnden Nächten hatten sie den lautlos vorbrechenden Gegner abgewehrt, und in Hunderten von Spähtruppunternehmen hatten sie sich über den Karst der Hochebene vorgearbeitet. Und als es damals soweit war, als sie wußten, daß Rommel den letzten entscheidenden Schlag plante, als sie auf den Tag brannten, um dieses verdammte Felsennest auszuräuchern, da war ihnen der Gegner zuvorgekommen und hatte sie geschlagen. Sie mußten zurück und die Stellungen, mit Strömen von Blut erobert, mit Strömen von Schweiß ausgebaut, blieben verlassen zurück. Der große Friedhof am Kilometerstein 31 fiel in die Hand des Engländers. Alles war umsonst gewesen.
Als die Männer des Deutschen Afrikakorps an Agedabias heißen Süßwasserquellen ihre Wunden gewaschen und verbunden hatten, erschien ihnen dieses Tobruk wie ein wüster Traum, ja, dieses ganze Leben damals während vieler langer Monate, da sie in den Werken und Stellungen lagen, war eine schemenhafte, undeutliche Erinnerung geworden, aus der nur Grauen und Schrecken sie angrinsten. Und doch war in ihnen etwas geblieben, etwas nicht Deutbares, ein Geheimes, Nichtzugestandenes, das in ihnen vergraben blieb und keine Ruhe gab. Immer wieder fiel der Name „Tobruk“, als kämen sie nicht los von diesem Wort, als bleibe da eine Abrechnung offen, die zu halten man ihnen verwehrt, eine Erfüllung, die es nicht gegeben hatte und die doch irgendwie als eine Zuversicht in ihnen weiterlebte. „Wenn wir erst in Tobruk sind…“ Oberleutnant von Polenz hatte nur gelacht. „Bartling, hören Sie auf mit ihren Phantasien! Das liegt zurück, Jahre zurück, und mehr als 800 Kilometer.“ „Aber eines Tages werden wir doch hinkommen, Herr Hauptmann“, hatte Faber eingewandt. „Wollen wir eine Wette machen?“ Brandt war bereit, sie gegen Polenz zu halten. Er hielt dagegen, obwohl er es wider seine Überzeugung tat. Denn jetzt erinnerte er sich plötzlich jenes alten Arabers, den sie inmitten der Zelte vor Kilometer 31 getroffen hatten. Er hockte auf dem Boden und legte runde Steine vor sich hin, wahllos offenbar, aber doch irgendwie ein System verratend… Der Dolmetscher wechselte ein paar Worte und lachte. „Er sagt, Sie sollen eine Frage stellen, die er Ihnen beantworten will.“
„Wann sind wir in Tobruk“, hatte Brandt sofort gerufen. Die Deutschen bildeten einen Halbkreis um den Alten und blickten voll geheimer Spannung auf seine knöchernen, ausgemergelten Hände, die immer neue Steine aus dem Burnus hervorholten und sie in den Sand verstreuten. Dann hob er den Blick und sagte zwei Sätze: „Es wird lange dauern. Aber eines Tages wird es sein“. Und nun, wahrhaftig, dieser Tag war gekommen. Sie standen auf dem Boden Tobruks, dem Kampffeld des Gegners. Rommel selbst hatte mit den ersten Truppen den Panzergraben überschritten, um den großartigen Schwung dieses Angriffs weiter zu führen und lebendig zu erhalten. Den dicken Wollschal um den Hals, die Staubbrille vor den Augen, dirigierte er mit den Armen die folgende Kampfgruppe bald hierhin, bald dorthin, so daß sie fächerförmig hinter seinem Fahrzeug dicht aufgeschlossen folgte. Ihn wie alle seine Soldaten trieb nur der Gedanke „Vorwärts, vorwärts“, um im ersten Schwung dieses Angriffs bis in den Hafen vorzustoßen und die Festung damit im Kern aufzuspalten. Artillerie und die unermüdliche 8,8-Flak, die treuen Begleiter bei jedem Panzerangriff, eröffneten am Mittag direktes Feuer auf den Hafen. General Rommel war, in Begleitung von Polenz und Brandt, mit ein paar Fahrzeugen seiner Kampfstaffel bis zum Abstieg der unten in einer Bucht liegenden Stadt vorgefahren und beobachtete die Wirkung. Einige kleine Schiffe versuchten auszulaufen. Überall war Bewegung zu erkennen. Zum ersten Male lag die Stadt nun vor ihm, deren Name in der ganzen Welt einen besonderen Klang hatte. Was von ihr übriggeblieben war, schienen nur geborstene Mauern,
Schutt, Steine, zusammengestürzte Häuser zu sein. Unaufhörlich erhoben sich die Explosionswolken der Granaten über der Trümmerstätte, den Atem der Vernichtung weithin ausbreitend. Aus den noch stehenden Depots züngelten Flammen. Die Gerippe ausgebrannter Lastwagen glühten. Schiffe brannten. Die schwarzen Wolken zerstörter Brennstofflager stiegen in den Himmel. Als Rommel weiterfahren wollte, erhielt sein Wagen Feuer aus einem der noch besetzten Stützpunkte. Da ging Feldwebel Faber mit dem Gefreiten Huber und einer Handvoll Soldaten den Stützpunkt mit Handgranaten an. Unter den Augen ihres Oberbefehlshabers arbeiteten sie sich vor, näherten sich in kurzen schnellen Sprüngen dem Werk, und dann warfen sie, weitausholend, die Handgranaten, den Feindstützpunkt in Rauch, zischende Splitter und Trümmer verwandelnd. Keiner der Tommies hatte kapituliert, im Gegenteil, eine Aufforderung zur Kapitulation mit nur noch heftigerem Feuer beantwortet. Am Abend um 21.55 Uhr waren Hafen und Ort von den Truppen des DAK besetzt, am nächsten Morgen schon der Angriff nach Osten weiter fortgesetzt. Was das britische Oberkommando in Monaten an Nachschub und Versorgungsgütern herangeschafft und in Tobruk gestapelt hatte, geriet, zum großen Teil unversehrt, in deutsche Hand. Mit den Fahrzeugen, dem Benzin, den Geschützen, den Panzern und endlich mit den Lebensmitteln vermochte Rommels Panzerarmee sofort wieder anzutreten und die ägyptische Grenze zu überschreiten. Es waren Millionenwerte, die auf dem weiten und stets gefährdeten Weg über Neapel heranzuschaffen man sich nunmehr ersparen konnte. Das Nachschubproblem, das übrigens auch wieder
während der Schlacht bedrohlich geworden war, wurde durch die Einnahme Tobruks mit einem Schlage gelöst. 45000 Gefangene, darunter fünf Generale, waren eingebracht und rund 1 000 Kampfwagen und gepanzerte Fahrzeuge sowie 400 Geschütze erbeutet oder vernichtet worden. 30 fahrbereite Panzer der britischen Heerespanzerabteilung wurden unbeschädigt kassiert. Die Schlacht in der Marmarica war beendet. Doch dem Gegner durfte keine Zeit gelassen werden, seine Front neu aufzubauen. „Jetzt gilt es“, rief Rommel in einem Tagesbefehl den Soldaten der Panzerarmee zu, „den Gegner vollends zu vernichten. In den nächsten Tagen fordere ich nochmals große Leistungen von euch, damit wir unser Ziel erreichen.“ Am Morgen des 22. Juni befand sich Rommel bereits in Bardia und gab hier seine neuen Angriffsbefehle. Am Rande des östlichen Horizontes standen die Rauchsäulen gesprengter englischer Lager. Es war offensichtlich, und die Befehle eines gefangenen Offiziers bestätigten es, daß die Sollumfront nur von Ritchies Nachhut gedeckt wurde. DAK und mot. Korps folgten, die Grenze überschreitend, immer wieder zur Eile angetrieben. Obersollum und Niedersollum wurden erreicht, der Halfayapaß, Sidi Omar und nun das alte Vorfeld in Besitz genommen, in dem bis Mitte Januar das Bataillon Bach ausgehalten hatte. Sidi Barani, völlig zerstört, enthielt ein großes Treibstofflager, das unversehrt den Truppen zufiel. Das Tempo, das Rommel anschlug, war atemraubend. Seit einem Monat im Kampfe stehend, hatten die Truppen noch keinen Tag Ruhe gehabt. Vor allem seit dem Beginn des zweiten Schlachtabschnittes waren sie Tag und Nacht am Feinde gewesen, marschierend, kämpfend, sichernd, in
tollen Spiralen bald vorwärts, bald kehrtmachend, immer durch die Wüste ziehend. Die meisten dieser Kampftage hatten zudem im Zeichen schwerer Sandstürme gestanden. Und wo die Sonne nackt und erbarmungslos vom glühenden Firmament die Erde kochen machte, selbst da war die Truppe begleitet und ständig eingehüllt von den Schwaden widerlich fetten Staubes. Die Wasserrationen waren knapp bemessen, und manchmal blieben sie ganz aus, wenn die Kolonnen die kämpfende Truppe nicht fanden oder von den Engländern auseinandergejagt worden waren. Der Vormarsch nach Ägypten hinein brachte zwar eine Erleichterung, und es machte auch Spaß, zu erleben, wie immer wieder versprengte englische Trupps aus der Wüste auftauchten und auf die englischen Beutepanzer zuhielten, um dann peinlich überrascht der deutschen Besatzung gegenüberzustehen. Seit Sidi Barani aber griff die britische Luftwaffe mit steigender Heftigkeit die marschierenden Verbände an. Auf ihre alten, wohleingerichteten und jetzt frontnahen Flugplätze zurückgekehrt, hatten Bomber und Jäger nur wenige Flugminuten zur Front. Die deutsche Luftwaffe, geschwächt durch die letzten Kämpfe, lag dagegen noch weit rückwärts und mußte Material und technischen Apparat erst wieder vorschaffen. Als in der Nacht zum 25. Juni die Küstenstraße 45 Kilometer westlich Marsa Matruch erreicht wurde, ging beim Stab der Armee ein Funkspruch Mussolinis ein, der, etwas verspätet, auf die Notwendigkeit eines Aufmarsches der deutsch-italienischen Armee an der Front Sollum – Halfayapaß hinwies. Mussolini stellte sich aber sehr schnell um, denn drei Tage später, dieses Mal freilich verfrüht,
übermittelte er eine neue Weisung. Sie enthielt die folgenden Richtlinien und war an Rommel, den jüngsten Feldmarschall dieses Krieges, gerichtet: „Ziel ist der Kanal von Suez, sobald als möglich auch Port Said! Voraussetzung ist, daß die Besetzung von Kairo sichergestellt ist! Eine Bedrohung von Alexandria her muß verhindert, in dieser Richtung eine Sicherung vorgesehen werden! Der Rücken muß gegen Landungsversuche vom Meer her gedeckt bleiben und daher stets eine genügende bewegliche Truppenmasse zur Verfügung gehalten werden!“ Feldwebel Faber hatte eine Bemerkung Major Wöllmers aufgeschnappt, der Duce habe zum Einzug in Kairo schon einen Schimmel ausgewählt und werde, umgürtet mit dem „Schwert des Islam“, sich an die Spitze der Truppen setzen. Der Feldwebel schüttelte den Kopf. „Junge, Junge“, sagte er zu dem Gefreiten Meyer, „wenn det man jut jeht.“ Am 27. Juni wurde Marsa Matruch erreicht. Die 90. Leichte Division schwenkte zum Meer ab, um die Küstenstraße zu sperren. Da tauchte am Ghebelrand die 7. englische Panzerdivision auf, die zum Ersatz herbeigeeilt war. Bis zum Abend wurden 18 Panzer abgeschossen und der Feind zum Abdrehen gezwungen. In Matruch selbst lagen Neuseeländer, die alten Tobrukkämpfer, eine trutzige, entschlossene Truppe. Sie versuchte, in der Nacht durchzubrechen und verursachte ein wildes Durcheinander. Deutsche Truppen schossen aufeinander, englische Flieger bombten die eigenen Verbände. Niemand wußte, was geschah. Am Morgen standen Flammen über Matruch, das Zeichen,
daß es zu Ende ging. Die Zahl der Gefangenen wuchs, doch zwischen den immer noch hinterherhinkenden Italienern und den vorausmarschierenden Deutschen konnten zahlreiche Fahrzeuge durchbrechen, bis eine Aufklärungsabteilung sie endlich abstoppte und den Raum abriegelte. Am 29. Juni wurden Panzergraben und Hauptbefestigungslinie überwunden und um zehn Uhr war die Stadt besetzt. Unzerstörte Flugzeuge, Treibstofflager und Pionierarsenale, Wasser vor allem und Gerät wurden vorgefunden. Rund 2 000 Neuseeländer und Inder traten den Marsch in die Gefangenschaft an. Die Stadt selbst war ein Trümmerhaufen und im Festungsgelände prasselten die Flammen und detonierten Munitionsstapel. Um elf Uhr ging der Vormarsch weiter. Es kam jetzt auf jede Minute an, denn Ritchie sollte keine Zeit gelassen werden, sich zu sammeln und zu ordnen. In der Nacht wurde der Raum von el Duda durchschritten, über dem riesige Explosionswolken standen und zehn Kilometer weit die Luft erschütterten. Am 1. Juli stellten sich die Truppen zum Angriff auf El Alamein bereit. Sie hatten seit dem Fall von Tobruk, seit dem 21. Juni, 600 Kilometer zurückgelegt, eine noch nicht dagewesene, fast unglaubhafte Leistung. In der Tat konnte Rommels Triumph wie ein Wunder anmuten. Mit zwei deutschen Divisionen hatte er vor einem Jahr seine Operationen eröffnet, und zu keiner Zeit verfügte er über mehr als vier dieser Verbände. Sie waren das Rückgrat der deutsch-italienischen Armee. Er war ihr Kopf, aber er war zugleich mehr, auf eine höchst bemerkenswerte Weise mehr als ihr Haupt. Seine Dynamik erfüllte das deutsche Expeditionskorps bis hinunter zum jüngsten Soldaten. Seine Energien durchdrangen es, seine
Impulse, sein Wille, seine Phantasie beflügelten es. Er war wahrhaftig als ein Fremdling in dieses Land gekommen. Er hatte keinerlei Erfahrungen mitgebracht, keine konkreten Vorstellungen über die Gesetze der Wüste, die Eigenarten und die Bedingungen des Krieges in ihren Räumen besessen. Aber sofort hatte er erfaßt, worauf es ankam und an welche Regeln er sich zu halten hatte. Er glich sich an und wurde über Nacht gewissermaßen zum Herrn des Wüstenkrieges. Rommels Stärke und Glück beruhten denn auch auf der Fähigkeit, sich taktisch zu jeder Stunde völlig umstellen und mit schlafwandlerischer Sicherheit voraussetzen zu können, was der Gegner unternehmen und wie er sich verhalten werde. Gewiß war er verwegen bis zur Tollkühnheit, doch in der Zwangsläufigkeit seiner Operationen, die eine Lösung der Aufgabe nie und nimmer in der Defensive sah, verließ ihn niemals die nüchterne Überlegung. Er entbehrte des Unbesonnenen, des Abenteuerlichen. Er war kein Spieler, kein Hasardeur. Er war viel mehr ein Rechner, ein Berechner, kühl, überlegt, überlegen, handfest und solide. Nicht ohne Grund war er Taktiklehrer gewesen, Kommandeur endlich einer Kriegsschule. Er hatte als junger Infanterieoffizier im ersten Weltkrieg seine Erfahrungen gemacht und sie gesammelt. Er hatte aus den Fehlern der eigenen Truppe und Führung und aus den Fehlern des Feindes nach jedem Gefecht und nach jeder Schlacht seine Folgerungen gezogen. Diese Erkenntnisse waren nicht vergessen, sondern verarbeitet und zu Grundsätzen für den gesunden Verstand erhoben worden. Sie bestätigten sich immer wieder bei jener unheimlich genauen Beurteilung des Gegners und seines Verhaltens.
Falsch wäre es, in Rommel nur den Mann des Angriffs zu sehen und den General der Bewegungsschlachten zu rühmen. In den Zeiten der Belagerung Tobruks hatte es sich bereits gezeigt – und in den kommenden Monaten sollte es sich erneut bestätigen – , daß dieser Soldat auch die Technik des Stellungskrieges vollendet beherrschte. Das war kein Panzergeneral, kein Draufgänger oder Bluffer, der hier wirkte, sondern ein nüchterner Infanterieoffizier, der durch die Schule eines Krieges und eines Kompanieführers gegangen war. „Zum Zerschlagen einer Stellung mit tiefem Hauptkampffeld gehört eine ungeheure Artillerieeinwirkung“, hatte er auf Grund seiner Erfahr- rungen nach dem Jahre 17 geschrieben. In Tobruk hatte er nun eine völlig neue Art der Werke und Befestigungen vorgefunden, welche freilich seinen Vorstellungen von der Anlage eines Hauptkampffeldes nur zu gut entsprach. Sofort glich er sich diesem andersartigen System an. Er ging daran, es auf seine Weise anzulegen und auszuarbeiten, sparsam mit Menschen besetzte, aber stark bewaffnete Einzelstände, tief gestaffelt, wie mutwillig verstreut über das Kampffeld. Er verteilte die schweren Waffen. Er überprüfte selber das Schußfeld. Wenn sich in unerträglicher Dichte das Feuer des Gegners konzentrierte, ließ er zur Ablenkung Scheinstellungen anlegen. Wo die Besatzungen klagten, am Tage nicht einmal den Kopf aus der Deckung am Ras Medauuar nehmen zu können, riet er, Papier und Stoffetzen im Gelände aufzuhängen und in verwirrendem Durcheinander wehen und flattern zu lassen, um die Soldaten von der anderen Seite zu beschäftigen. Er erdachte die beweglichen Blenden. Er befahl, Panzerattrappen und Trupps sichtbar im Hintergelände zusammenzuziehen,
deren einzige Aufgabe darin bestand, im Rücken der Front herumzugeistern und Staub aufzuwirbeln. Bei sorgsam bedachter Schonung der eigenen Kampfkraft sollte der Gegner in ständiger Anspannung gehalten werden – richtiger Nervenkrieg also. So wurde Rommel der Lehrmeister aller, schöpfend aus den Erfahrungen eines langen Soldatenlebens, erfindungsgreich, stets zu Listen bereit. Tadel und Lob, Kritik und Ermutigung, immer traf er den richtigen Ton. Er war nicht leutselig, wie man es von berühmten Generälen so gerne zu berichten pflegt. Er war kurz angebunden, sehr bestimmt, seiner Meinung mit württembergischer Deutlichkeit Ausdruck gebend – temperamentvoll nach unten wie nach oben – , wobei zu erinnern bleibt, daß der Infanterieoffizier des ersten Weltkrieges jede Regung und Überlegung des Soldaten in seinem Kampfstand einst selbst gefühlt und gekannt hatte. Eine der frappierendsten Eigenarten war der Orientierungssinn des Generals. Mit unfehlbarem Spürsinn pirschte er sich in den dunklen Nächten von Kampfstand zu Kampfstand, verblüffend unbeirrbar sei- nen eigenen Standort beurteilend und sein Ziel in einem Gelände findend, das weder Baum noch Strauch, weder Weg noch Steg, weder Geländemarkierungen noch Merkpunkte besaß. Während die Begleiter zweifelnd umherblickten, an die Minenfelder, die Streuminen, die Stolperdrähte und die ineinander verzahnte und sich verschlingende Front dachten, die jeden falschen Schritt zur Gefahr machten, ging Rommel ohne Zögern durch die Nacht. Nicht anders war es im Ghibli. Ungezählte Male hatten selbst die erfahrensten „Wüstenfüchse“ das Ziel zu finden aufgegeben, die Marschrichtung bezweifelt und zu einer Erkun-
dung geraten. Rommel blieb unbeirrt, ließ bald im Zickzack, bald geradeaus fahren, bis unversehens aus dem Staubsturm ein Soldat vor dem Fahrzeug auftauchte, der Einweiser durch die schmale Minengasse, der Verbindungsmann zur Befehlsstelle, der Nachrichtenunteroffizier eines Bataillons. Und immer enthüllte sich ein rätselhafter Instinkt, ein sechster Sinn, eine absonderliche Hellsichtigkeit, die ihn jede Gefahr ahnen ließ. Schon während des Frankreichfeldzuges war davon berichtet worden. Seine Truppen zur höchsten Eile anspornend, hatte sich Rommel nach einem Durchbruch an die Spitze seiner Division gesetzt. Nach einem Nachtmarsch von 200 Kilometern ließ er ohne ersichtlichen Grund halten, Pioniere nach vorne rufen und die Straße voraus absuchen. Wenige hundert Meter vor der Spitze stießen sie auf eine Minensperre, die, untereinander verbunden, beiderseits der Straße verlief. Auch in Afrika erwies sich dieses seltsame Ahnungsvermögen. Im offenen Mannschaftstransportwagen vorfahrend, befahl Rommel plötzlich zu halten. Er hob den Kopf und schien zu lauschen. Im gleichen Augenblick rauschte es heran und dicht vor dem Wagen lagen die Einschläge englischer Granaten. Noch inmitten des Berstens, des Jaulens und Winselns der Splitter rief er dem Fahrer sein „Marsch“ zu, und beim Anfahren verstummte das Feuer… Tiefflieger schossen auf den „Mammut“, den erbeuteten Befehlspanzer von Mechilli, auf dem Rommel während der Fahrt und in der Schlacht zu stehen und zu beobachten pflegte und aus dem er soeben noch herausgeschaut hatte. Bomben schlugen rings um den Geländewagen, den er kurz zuvor verlassen hatte. Englische Panzerrudel tauchten auf und kreisten das Fahrzeug des Oberbefehlshabers
ein. Er fuhr ihnen an den Nasen vorbei oder bahnte sich durch den Scheinangriff weniger, ihn begleitender Volkswagen einen Weg. Ungezählte Male war es so. Die Gelassenheit seines Wesens, die ihn niemals verließ, konnte fast den Anschein erwecken, als habe dieser Mann ein besonderes Verhältnis, einen Vertrag oder ein Abkommen mit dem Tode getroffen oder als kenne er dessen so unberechenbare Wege, die Schliche und dunklen Hinterhältigkeiten und wisse sie daher zu berechnen. Was war natürlicher, als daß dieser General auch um sich die Atmosphäre der Sicherheit verbreitete, ein Gefühl der Ruhe ausstrahlte und daß er als kugelfest und gefeit galt? Rommel forderte das Äußerste von seiner Truppe und ihren Kommandeuren. Er war kein bequemer General. Das Wort „unmöglich“ kannte er nicht. Er war bereit, jederzeit das Beispiel zu geben und mutete sich selbst das Äußerste zu. Für seine Person ohne jeden Anspruch, wurde diese seine Genügsamkeit oft genug zum Mißvergnügen seiner Begleiter. Er rauchte nicht, er enthielt sich des Alkohols und er pflegte nicht einmal damit zu rechnen, zu einer Ölsardine oder einer Bohnensuppe aus Beutebeständen eingeladen zu werden. Aber auch er hatte seine kleinen Liebhabereien. Er war passionierter Jäger und traf im flackernden Mittagslicht auf 200 Meter den stärksten Bock aus dem Rudel Gazellen. Er war leidenschaftlicher Photograph und konnte sich im Augenblick eines englischen Panzerangriffs ganz auf die Belichtungszeit für seinen Farbfilm konzentrieren. Einst hatte er es geliebt, im Garten zu arbeiten, zu pflanzen, zu jäten und zu hacken, jetzt grub er am Strande, abseits seines Zeltes, nach Tonkrügen aus römischer Zeit und fand deren etliche. Er hatte Zeit seines Lebens dem Sport Interesse ent-
gegengebracht und seinen Körper in sorgsamem Training gehalten. Er hatte ihn zäh, widerstandsfähig, unempfindlich gegen Strapazen gemacht. Immer war er hart gegen sich selbst gewesen. Er war weder stur noch verholzt. Der Krieg war ein Übel, aber Soldatsein war ihm kein Handwerk, sondern eine Wissenschaft. Auch in den Bergen, die er liebte, kam er von ihr nicht los. Seine stillen Liebhabereien und Eigenheiten blieben deshalb auch am Rande, kaum spürbar für seine Umgebung und den Soldaten, der ihn zu jeder möglichen, noch sicherer zu jeder unmöglichen Zeit auftauchen sah. Auch jetzt, in diesen letzten Junitagen, war Rommel vorne gewesen, die Truppen, erschöpft von den pausenlosen Kämpfen, der auszehrenden Hitze, den endlosen Märschen, immer wieder vorwärts reißend. Jenseits El Alamein winkte der Sieg, lag die Entscheidung. Prendergast, dessen Long Range Desert Group durch die Monate währenden verlustreichen Kämpfe nicht weniger in Mitleidenschaft gezogen worden war als alle anderen Einheiten der 8. englischen Armee, hatte im Juli noch begonnen, seinen Verband neu aufzufüllen und umzugruppieren. Jetzt trat noch zu der Kommandotruppe eine Sondereinheit der Luftwaffe, die „Special Air Service Raiding Unit“ des Majors Stirling. Als dieser junge Mann 1941 in Kairo aufgetaucht war, geschah das unter etwas absonderlichen Umständen. Am 17. Juli 44 wurde Rommel durch einen Tieffliegerangriff in der Normandie verwundet. Die Schwere seiner Verletzungen war auf den Umstand zurückzuführen, daß der Fahrer neben ihm, tödlich verwundet, die Gewalt über den Wagen verlor, und der Feldmarschall, im Begriffe
abzuspringen, herausgeschleudert wurde. Eines Tages erschien nämlich ein Leutnant, um sich im Hauptquartier der Armee zu melden. Aber er hatte seinen Ausweis offenbar vergessen, denn der Posten wies ihn ab. Stirling steckte seine Pfeife in Brand und studierte den Stacheldrahtzaun, der das Lager des Stabsquartiers umgab. Im nächsten Augenblick war er verschwunden, und der Posten am Tor entdeckte ihn erst wieder, als er seelenruhig mitten im Lager dahinschritt. Ein paar Mann der Wache wurden alarmiert. Ehe sie aber noch den Offizier hatten erreichen konnten, war er in einer der Baracken verschwunden. Der Major, der an seinem Schreibtisch saß und fleißig Akten studierte, blickte überrascht auf, als ein junger Leutnant plötzlich zur Tür hereintrat. „Zum Teufel, was denken Sie sich eigentlich, einfach hier hereinzukommen.“ Der Leutnant nahm Haltung an, meldete sich als David Stirling, schottischer Gardeoffizier, zur 8. Armee versetzt, und erklärte, er wünsche zu einem Einsatz hinter den feindlichen Linien verwandt zu werden. Mit einer handvoll ausgesuchter Männer könnte er die gesamte Luftwaffe des Feindes in Afrika in den Boden stampfen. Der Major lief rot an. „Kennen Sie mich eigentlich nicht, Stirling?“ „Nein, Sir!“ „Aber vielleicht fällt Ihnen ein, w a r u m Sie mich nicht kennen und warum ich mich nur zu gut an Sie erinnere?“ „Nein, Sir!“ „Nun, 1939 war ich in Pirbright Taktiklehrer. Ich stellte Ihnen eine Frage, Stirling, aber Sie schliefen. Und warum
schliefen Sie? Weil, wie man mir berichtete, Sie die Gewohnheit hatten, jeden Abend in London herumzubummeln und erst um sechs Uhr früh nach Hause zu kommen. Ich sah in Ihnen damals den letzten, den ich hätte zum Offizier machen wollen. Und nun haben Sie die Unverfrorenheit, ausgerechnet zu mir zu kommen, um mir einen Privatkrieg vorzuschlagen? Ich habe in meinem ganzen Leben so was noch nicht gehört… Die Antwort, Leutnant Stirling, ist nein, ein klares unmißverständliches Nein. Guten Tag.“ Stirling erwies seine Ehrenbezeugung und öffnete gerade die Tür, als das Telefon läutete. „Was ist an der Wache passiert?“ hörte er den Major fragen. „Ohne Genehmigung ins Lager? Schicken Sie die Leute in mein Zimmer, aber gleich.“ Stirling überlegte, wie er sich aus der Affäre ziehen könnte und gelangte schließlich an eine Tür mit der Aufschrift „D.C.G.S.“ Er ahnte zwar nicht, was diese Buchstaben bedeuteten, aber irgendeinen Hafen mußte er finden, ehe der Sturm ihn erreichte. Also klopfte er, was nach seinen jüngsten Erfahrungen entschieden klüger war, höflich an, öffnete die Tür und sah sich einem Mann gegenüber, dessen Bilder er aus den Zeitungen kannte. General Ritchie, Chef des Stabes der Mittel-Ost-Streitkräfte. Ritchie blickte nicht weniger überrascht auf den jungen Mann als zuvor der Major. Aber Stirling entschuldigte sich sofort für sein Eindringen und erklärte, eine wichtige Angelegenheit dem General unterbreiten zu müssen, und damit zog er ein mit Bleistift geschriebenes Memorandum aus der Tasche. Das Unwahrscheinliche wurde Ereignis. Während Stirling in einem Sessel Platz nahm und eine
Zigarette rauchte, las Ritchie die Papiere durch, blickte plötzlich auf und sagte mit brüsker Stimme: „Es kann sein, daß wir das gerade brauchen. Ich werde mit dem Oberbefehlshaber sprechen. Sie bekommen in den nächsten Tagen Nachricht.“ Bis zu diesem Zeitpunkt gab es in Nordafrika auf englischer Seite noch keinen einzigen Fallschirmjäger. Durch ein Mißverständnis waren indessen eines Tages 50 Mann in Kairo abgesetzt worden, die für Indien als Ersatz bestimmt waren. Oberleutnant Stevens hatte sie dort zufällig getroffen, hatte sie auf den Flugplatz bei Marsa Matruch gebracht und mit ihnen hier eine Art Ausbildung betrieben. Stirling, der Stevens aus Kairo kannte, hatte sich eines Tages eingefunden, entschlossen, sich ausbilden zu lassen. Aber sein erster Absprung endete im Lazarett in Alexandria, wo er mit verstauchten Knöcheln lag. Ein Jahr später kommandierte David Stirling die erste Einheit des Kommandotrupps der Luftwaffe. Und wieder hatte er Pech. Das erste Unternehmen endete mit einem vollen Mißerfolg. Der Kommandotrupp wurde zusammengeschossen. Und dann, mitten während der großen britischen Gegenoffensive, stand Stirling abermals vor Ritchie, der inzwischen Oberbefehlshaber der 8. Armee geworden war. Die große Stunde David Stirlings sollte aber erst jetzt, in der Stunde der höchsten Not, schlagen, in der Churchill soeben nach Kairo jene Botschaft gerichtet hatte, jeder Mann müsse jetzt so kämpfen, als sei Kent oder Sussex bedroht. „Keine Räumung, kein Gedanke mehr an Sicherheit! Ägypten muß gehalten werden, was es auch kosten mag.“ Major Stirlings Truppe zählte rund 300 Mann, auf das
beste für ihre Aufgabe vorbereitet und ausgebildet. Innerhalb 24 Stunden organisierte er sich 20 Dreitonner und 15 Jeeps, die soeben aus den Vereinigten Staaten in Alexandrien ausgeladen worden waren. Jeder Wagen wurde mit Maschinengewehren ausgerüstet, wie sie sonst nur die Luftwaffe in ihren Maschinen besaß, und da die Armee sich außerstande zeigte, ihm die Waffen zu montieren, so ersann er sich selbst eine Vorrichtung, mit der er je zwei Zwillings-MG in jedem Wagen anbringen konnte. Stirlings Plan war, mit einem Maximum an Ausrüstung und Verpflegung sich auszurüsten, um mehrere Wochen operieren zu können, wie Prendergast es mit der Long Range Desert Group bereits getan hatte. In der Nacht vom 7. zum 8. Juli 1942 brach er zu seinem ersten Unternehmen auf. Er stieß entlang der Katarrasenke vor, die als unpassierbar galt, erreichte hinter den deutschen, sich noch gruppierenden Linien von Alamein die Küstenstraße und legte sich hier auf die Lauer, während ein anderer Trupp von drei Mann sich bis zum nächsten Flugplatz vorwagte. Auf der Straße herrschte wider allen bei der 8. Armee vorliegenden Meldungen Ruhe. Aber auf dem zwei Kilometer entfernt liegenden Flugplatz konnten sie die Detonationen ihrer Bomben hören und gleich darauf die Brände in Flammen geratener Maschinen. Doch Mayne, der Führer des Trupps, kam keineswegs siegestrunken wieder. „Rund 40 Maschinen liegen auf dem Platz, genug, um uns noch die ganze Nacht zu beschäftigen. Die Bomben haben nicht alle gezündet, Herr Major.“ Stirling handelte sofort. „Mit acht MG, die wir bei uns haben, können wir genug
ausrichten.“ Er setzte sich an die Spitze der Fahrzeuge. Überraschenderweise fanden sie den Flugplatz in tiefster Stille. Offenbar erwartete niemand einen zweiten Angriff. Er beanspruchte nicht mehr als fünf Minuten. Die Waffen eröffneten mit einem Schlag das Feuer. Die erste Maschine ging in Flammen auf und Stirling konnte das Feld der kommenden Taten damit genau übersehen. Die feldmäßig eingerichteten Hangars, etwa fünf oder sechs an der Zahl, lagen dicht beisammen. In jedem standen zwei bis drei Maschinen, auf die sie sofort ihr zusammengefaßtes Feuer richteten. Stirling hatte seinen ersten Erfolg zu verzeichnen. Er wurde Anlaß zu einem, Massenangriff von Jeeps auf den Flugplatz von Sidi Hanesh. Indessen begründete nicht dieses kurze Gefecht allein den Ruhm Stirlings, mehr noch seine Rückkehr nach Kairo. An einem der nächsten Vormittage von italienischen Jägern gestellt, hatte sein Trupp Verluste. Er mußte daher aufgefüllt werden, und zudem waren Munition und Wasser knapp geworden. So beschloß Stirling, zu den englischen Linien zurückzukehren, aber nur einen Teil seiner Leute mitzunehmen, während der andere, tief im Innern der Wüste wohlgetarnt verborgen, auf seine Rückkehr warten sollte. Doch welchen Weg konnte er nehmen? Die deutsche Front hatte sich mittlerweile bei El Alamein stabilisiert, und bis tief in das Innere des Küstengebietes reichte der Arm der deutschen und italienischen Divisionen. So beschloß er, quer durch die Katarrasenke zu marschieren. Irgendwie würde er schon durchkommen. Arn Abend langten die Tommies am Fuß der Senke an. Sie wußten, daß sie sich rund 150 Meilen tief und 75 Meilen
breit wie ein Sperriegel zwischen Küste und dem Innern des Landes seitwärts an den Fronten hinzog. Alle Karten trugen die Eintragung „unpassierbar“. Den Grund der tief unter dem Meeresspiegel liegenden Senke bildete ein ausgedehnter Salzsumpf. Die ausgedörrte Oberfläche war zwar hart genug, um das Gewicht eines Mannes zu trägen. Jeder Wagen mußte indessen sofort einsinken und hoffnungslos steckenbleiben. Immerhin liefen einige schmale Spuren quer durch dieses teuflische Gebiet, deren eine, die sogenannte Kaneitra-Piste, vor Jahren einmal als Karawanenpfad gedient haben mochte. Diese Pisten waren natürlich bekannt. Aber sie hatten in der Armee stets als gefährlich und unbenutzbar gegolten. Prendergasts Long Range Desert Group hatte sie ausprobiert, war aber mit ihren Lastwagen sehr schnell wieder umgekehrt. Indessen gab es noch einen südlicher gelegenen Pfad, auf den man notfalls überwechseln konnte. Das ärgste Kopfzerbrechen verursachte Stirling jedoch, daß er am Tage marschieren mußte und, wenn ihn die deutsche Luftwaffe entdeckte, in der Senke nur noch auf die Gnade der Wüstengötter würde hoffen dürfen. Die Strecke über die Salzfläche mußte also in der Mittagszeit bewältigt werden, in der die Hitze das Land fast in Flammen setzte und jede genaue Beobachtungsmöglichkeit genommen war. Hatte er erst das Gebiet des Treibsandes erreicht, würde sich schon Tarnung und Deckung finden. Im Licht des Morgens erschien die Landschaft wie ein Höllentraum. Vor ihnen erstreckten sich meilenweit die Flächen glitzernden, von der Hitze zersprengten Salzes, über dem ein blauer, erbarmungsloser Himmel loderte. Der Küste zu säumte den Horizont das Massiv der Steile Klippen, die einige hundert Meter hoch die Senke um-
säumten. Es war Kalkstein, in Jahrhunderten durch Sonne, Wind und Sturm zu bizarren Formen gebildet, geisterhafte Riesen mit Fratzen und Masken, die höhnisch über das tote Land zu blicken schienen. Die Soldaten mußten warten, und nach wenigen Stunden schon wünschten sie ausnahmslos die Nacht herbei. Die Sonne brannte vom Himmel und die Luft wurde greifbar dick in der Sonnenglut, so daß jede Unterhaltung zu einer Anstrengung wurde. Die Piste, zerfurcht und voller Risse und Sprünge, erschien ihnen wie eine Drohung. Ihre Fahrzeuge würden nicht mehr als ein paar Kilometer in der Stunde schaffen können. Um vier Uhr am Nachmittag hatten sie das Ärgste hinter sich! Die Salzstrecke war überwunden. Der Boden wechselte langsam in eine weite Fläche harten steinigen Sandes über. So gelangten sie nach Kairo. Acht Tage später erblickten die Angehörigen des Kommandotrupps, die Stirling in der Wüste zurückgelassen hatte, schwarze Schatten am Horizont. Es war Major Stirling. Er kam mit 20 funkelnagelneuen Jeeps, sämtlich mit je zwei Zwillings-MG ausgerüstet, und einigen Dreitonnern, bis an den Rand bepackt mit Ausrüstung, Sprengstoff, Munition, Verpflegung und türkischem Tabak. Kaum waren seine Wagen unter den dichten Tarnnetzen verborgen, war Tee und Verpflegung ausgegeben, versammelte er seine Leute um sich, breitete eine Karte im Wüstensand aus und erklärte ihnen, was sein nächster Plan war. Es war ein faszinierender Gedanke, den er jetzt entwickelte. Einer der Zwischenlandeplätze vom Wege zur und von
der Front lag bei Sidi Hanesh. Die Luftaufklärung hatte ergeben, daß der Platz fast immer belegt war, vor allem von Ju 52, den zuverlässigen deutschen Transportmaschinen, die für den Nachschub der Panzerarmee mehr als wichtig waren. Stirling wollte bei Vollmond einen Massenangriff mit seinen Jeeps unternehmen, um sämtliche Maschinen zusammenzuschlagen. Niemand würde bei hellem Mondschein auf einen Angriff gefaßt sein. Der Kommandotrupp konnte also mit dem wichtigsten Vorteil rechnen, den es überhaupt gab – der völligen Überraschung. 18 Jeeps würden teilnehmen. Sobald sie die Gefahrenzone erreichten, sollten die Fahrzeuge sich zur Linie formieren und auf entsprechenden Befehl gleichzeitig mit Leuchtspurmunition das Feuer eröffnen, so daß der Eindruck entstehen mußte, es erfolgte ein Angriff mit weit überlegenen Kräften. Auf Stirlings grünes Leuchtzeichen sollten die Wagen dann einschwenken und jeweils zu zweit auf die Maschinen losfahren, um nach allen Seiten feuern zu können. Sie würden eine Feuerkraft von 68 MG besitzen, in der Minute also 68 000 Schuß abgeben können und damit eine alles vernichtende Wirkung erzielen. Angegriffen, fuhr Stirling fort, werde in der nächstfolgenden Nacht. Eine Generalprobe freilich könnte nichts schaden, eine kleine Routineübung, um das Gedächtnis aufzufrischen. Und so begann um Mitternacht ein befremdlich-sonderbares Unternehmen, ein Tanz ohne Musik, mit dem Stirling freilich nur noch einmal jedem Mann beibringen wollte, daß es auf ihn ankam, auf ihn und seine Konzentration, um nicht etwa in das Feuer des Nachbarfahrzeuges hineinzugeraten.
Um drei Uhr morgens war die Übung beendet. Um vier Uhr waren die Wagen unter ihren Tarnhüllen und nach kurzem Schlaf geriet das Lager alsbald wieder in Bewegung. Waffen wurden gereinigt, die Sandfilter gesäubert, die Motoren überprüft, Reifen gewechselt. Lord Jellicoe, verantwortlich für Munitionsausstattung und Verpflegung, zerbrach sich den Kopf, wieviel Munitionssätze er ausgeben sollte. Stirling stand am Funkgerät, um sich mit dem britischen HQu zu verständigen. Aufbruch war bei Sonnenuntergang vorgesehen. Sie hatten einen Nachtmarsch von rund 60 Kilometern vor sich, und der Angriff sollte etwa um ein Uhr am Morgen erfolgen. Glückte alles nach dem vorgesehenen Plan, blieben immerhin noch drei bis vier Stunden, um im Schutz der Dunkelheit wieder zu verschwinden. Alles hing freilich davon ab, genau auf das Ziel, auf Bir Hanesh zuzumarschieren. Was es heißt, mitten in der Nacht in einem Land ohne jede Geländemarkierung 18 Fahrzeuge geschlossen zum Ziel zu bringen, das wußte Stirling nur zu gut. „Ein Wagen nach dem anderen setzte sich in Bewegung“, schrieb Leutnant Hastings später an seine Frau in Dorset. „Wir bildeten keine feste Marschordnung, denn das Licht war zunächst gut. Jeder Fahrer – am Steuer saß jeweils ein Offizier – bahnte sich seinen eigenen Weg. Dann und wann stießen wir auf schmale Bodeneinschnitte und Täler, die zu passieren wir uns zusammendrängen mußten. Es wurde erst schwieriger, als die Nacht hereinbrach. Am Himmel standen Wolken, und hin und wieder kam der Mond hervor und über die Erde huschten phantastische Schatten. Der sanfte Wind, der sich erhoben hatte, trug uns an einer Stelle die Gerüche einer Schlacht zu, die vor
nicht langer Zeit hier stattgefunden haben mußte. Bald passierten wir ausgebrannte Panzer und Lastwagen, und im fahlen Mondlicht sahen wir die Umrisse Gefallener, die um die zerschossenen Fahrzeuge lagen.“ Der Boden wurde besser, ebener, ein Zeichen, daß sie in die Küstennähe gelangt waren. Leutnant Sadler, ein alter erfahrener Fährtensucher aus Rhodesien, der die Führung hatte, gab unerwartet ein Zeichen. „Der Flugplatz kann höchstens zwei oder drei Kilometer entfernt sein.“ Stirling schien das zunächst kaum möglich. Er gab Befehl zum Halten. Nirgends war ein Zeichen von Leben. Stille und Verlassenheit ringsum. Er befahl, in Reihe zu fahren, mit fünf Metern Abstand. Alle 18 Fahrzeuge lagen jetzt im hellen Mondlicht. Dann ereignete sich etwas, was niemand erwartet hatte. Nicht weit vor ihnen flammten plötzlich Lichter auf. Sie waren so überrascht, daß die meisten Männer nicht begriffen, was da vor sich ging. Vor ihnen lag der hellerleuchtete Flugplatz. Waren sie entdeckt worden? Hatte man sie erwartet? Würden sie im nächsten Augenblick von einem Hagel von Geschossen überschüttet werden? Doch schon hörten sie, lauter als das Brummen ihrer Motoren, das Dröhnen einer schweren Maschine. Ein italienischer Bomber schwenkte zur Landung ein. Stirling hob den Arm zum Angriff und fuhr an. Als der Bomber auf den Boden aufsetzte, war er auf hundert Meter herangekommen und eröffnete das Feuer. Der Bomber barst in einer einzigen Feuersäule und im gleichen Augenblick zerriß die Luft das peitschende Rasseln der 34 Zwillings-MG, während 18 Jeeps in breiter Front über den
Platz rollten. Die Landelichter erloschen. Stirling schoß eine grüne Leuchtpatrone ab. Die Wagen formierten sich neu. An der Spitze vorfahrend, erblickte der Major eine Ansammlung von Ju 52, aber auch Jäger, Aufklärungsmaschinen, Bomber und Kampfflugzeuge. Dreißig Sekunden nach dem Beginn des Angriffs flammte ein neues Licht auf, ein gewaltiger Feuerschein, dem eine dumpfe Detonation folgte. Die Brennstofflager waren getroffen worden und schienen den ganzen Flugplatz zugleich in Flammen zu setzen. „Es war ein böser Augenblick“, schrieb Hastings in seinem Brief über diese Stunde weiter. „Plötzlich pfiff es durch die Luft und eine dumpfe Detonation irgendwo zwischen uns verriet mir, daß Minenwerfer in Aktion getreten waren. Ein schweres MG eröffnete ebenfalls das Feuer, und im gleichen Moment spürte ich irgend etwas heißes unter meinem Sitz. Dann gab es einen metallischen Ton und über mein und das Gesicht meines MG-Schützen ergoß sich ein Ölstrom. Wir waren blind. Der Wagen schlingerte, stieß irgendwo an und dann hatte ich ihn wunderbarerweise wieder in der Hand. Wir wischten uns die Augen aus. Auch Stirlings Wagen hatte was abbekommen. Niemand war verwundet, aber der Motor streikte und irgendwie kam unser Angriff ins Stocken. Unsere MG schossen in die Richtung, aus der wir die Leuchtspurmunition des deutschen SMG kommen sahen. Stirling wechselte mit seinen Leuten in ein anderes Fahrzeug über und befahl dann, die Motoren abzustellen. Und plötzlich herrschte Stille. Wir hörten nur noch das Prasseln der Flammen und das merkwürdige Knistern
zusammensinkender Flugzeuge. Stirling änderte jetzt die Angriffsrichtung. Wir sahen Zelte vor uns liegen und ein paar Baracken, schossen aus allen Rohren und wandten uns dann einem anderen Teil des Flugplatzes zu, auf dem eine Unzahl Transportmaschinen gesondert abgestellt waren.“ Fünf Minuten später hatten die Jeeps wieder die offene Wüste erreicht. Stirling befahl, zu halten. Er rief die Offiziere zu sich. „Wir werden uns aufteilen und jede Gruppe wird gesondert zum Sammelplatz zurückkehren. Wir müssen in den etwa zweieinhalb Stunden, die uns noch bis zum Sonnenaufgang bleiben, soweit wie möglich kommen und dann, sorgsam getarnt, alles weitere abwarten. Drei Fahrzeuge haben wir verloren. Ein Mann ist gefallen. Sechs Jeeps haben Treffer, laufen aber noch. Meiner Gruppe schließt sich Jellicoe, Hastings und Scatchle an, vier Jeeps mit 14 Mann.“ Es war eine wilde Jagd um Raum und Zeit, um bis zum Tagesanbruch noch irgendeinen Schlupfwinkel in der Wüste zu finden. Der Major Stirling folgende zweite Jeep verlor unterwegs an Geschwindigkeit, und der Motor begann zu streiken. Es war keine Zeit, Nachschau zu halten. Brennstoff und Waffen wurden übernommen, ein Bündel Handgranaten unter dem Fahrzeug angebracht. 14 Mann fuhren in drei Wagen weiter… Dann stießen sie plötzlich auf ein Tal, zu dem steile Hänge herabfielen. Offenbar hatte sich hier eine Senke von einigen hundert Metern Länge gebildet, an deren Rändern grünlich-braune Büsche wucherten. Sie lenkten ihre Jeeps in das Tal. Sie holten die Tarnnetze hervor, bestreuten sie mit den Büschen, und dann konnten
sie endlich an sich selber denken. Eine dicke Schicht Staub lag über ihren Gesichtern, den Haaren, den Uniformen. Jellicoe kratzte sich mit Sand durchsetzte Blutspritzer von der Uniform. Unter einen der Büsche hatte er den Toten gebettet, der neben ihm gefallen war. Eine schmutzige Decke bedeckte den regungslosen Körper. Aus rotumränderten Augen sahen die Soldaten, wie am östlichen Horizont langsam der Feuerball des neuen Tages heraufwuchs. Es war 5.30 Uhr morgens. Während Stirling befahl, Tee zu bereiten, gingen zwei Soldaten daran, ein Grab auszuheben. „Soldbuch?“ „Ist sichergestellt.“ Sie standen schweigend und sahen sich an. „Ich denke, wir können zum Grab gehen“, sagte Stirling. Offiziere und Soldaten erhoben sich. Sie standen im Halbkreis um den Toten, stumm, jeder in seine eigenen Gedanken versunken, ein paar schmutzige, totmüde, erschöpfte Männer… Major Stirling war zum Held des Tages geworden. Ermutigt durch den Ausgang seines Unternehmens brach er am 1. September zu einem neuen Unternehmen auf, an dem auch die Long Range Desert Group wieder teilnahm. Dieses Mal sollte ein entscheidender Schlag durchgeführt und Rommels Panzerarmee an der empfindlichsten Stelle getroffen werden, nämlich in seinen Versorgungslagern. Es waren jetzt 500 Jeeps geworden, jedes Fahrzeug wiederum mit zwei Zwillingsmaschinengewehren und einer umfangreichen Spezialausrüstung versehen. Mit 250 Fahrzeugen wollte Stirling selbst nach Bengasi
vorstoßen, um den für den deutschen Nachschub wichtigsten Hafen anzugreifen, seine Anlagen zu zerstören und alles an Schiffen zu versenken und an Nachschublagern in die Luft zu jagen, was sich in Bengasi vorfinden würde. Die Hafenstadt sollte in kühnem Handstreich überrumpelt werden. Sie hatte, wie der britische Nachrichtendienst wußte, nur eine kleine Besatzung, zumeist Nachschubdienste, die weder kampf- gewohnt, noch, wie man vermuten konnte, kampfbereit waren. Eine zweite Kolonne, an deren Spitze Oberst Hazaldine stand, war für einen Angriff auf Tobruk vorgesehen. Die Hafenstadt, in der noch immer große Mengen Beutegutes lagerten und in die ständig Munition und Brennstoff für die deutsche Front nachgeführt worden war, sollte überrumpelt werden. Eine dritte Gruppe wurde auf Barce angesetzt, eine vierte auf den wichtigen Flugplatz Benina. Praktisch wollte die britische Führung also mit einer Handvoll Männer die ganze Cyrenaika zu Fall bringen, sollten die rückwärtigen Verbindungen der deutschen Panzerarmee durchschnitten und sollte ein Chaos angerichtet werden, dessen Folgen sich der Armeestab in Kairo unschwer vorstellen konnte. Angesichts der schon seit Wochen bestehenden Nachschubschwierigkeiten, vor allem angesichts des ständigen Brennstoffmangels, der die deutschen Truppen zeitweise nahezu lahmlegte, mußte Rommel – glückte der Handstreich – in eine ausweglose Lage geraten. Sie würde ihn aller Voraussicht nach dazu zwingen, Ägypten zu räumen und den Rückzug anzutreten. Damit wäre jede Bedrohung Alexandrias oder Kairos gegenstandslos geworden. Oberst Prendergast, der Stirlings Plan aufgegriffen, taktisch ausgearbeitet und seinem Oberbefehlshaber Au-
chinleck unterbreitet hatte, blieb im Stabsquartier zu Alexandria zurück. Hazaldine und Stirling übernahmen die Leitung des Unternehmens, das wiederum zeitlich aufeinander abgestimmt worden war. Diesmal mußten die Marschgruppen noch tiefer durch die Sahara vorstoßen, die Front weit im Süden umgehen, die sich bis zur Katarrasenke erstreckte und an sie anlehnte, und zwar in so großer Entfernung, daß sie nicht Gefahr laufen konnten, vorzeitig von Beobachtungsflugzeugen entdeckt zu werden. Doch Stirlings Unternehmen sollte scheitern. Es ergab sich abermals, daß Kommando-Truppen nicht zum Angriff auf feste Plätze geeignet waren, ja daß sie überhaupt nicht zu Großunternehmungen vorgesehen werden konnten. Ihr Wert lag nicht in der Stoßkraft, an die Stirling geglaubt hatte, sondern in der Tiefenwirkung, was der Major ein halbes Jahr später im tunesischen Raum unter Beweis stellen sollte. Die Marschgruppen wurden unterwegs aufgerieben und zerschlagen, soweit sie nicht schon durch die langen Märsche quer durch die Wüste lahmgelegt worden waren. Oberst Hazaldine fiel. Die alten Angehörigen vom Jahre 41, Bearley und Kean, die zu seiner Gruppe gehörten, blieben verschollen. Duke wurde schwer verwundet und starb, da er nicht versorgt werden konnte. Gentry und Forgarty erlagen, abgesprengt und ohne Benzin bewegungsunfähig, einem qualvollen Dursttod. Sergeant Bordon wurde durch eine Mine zerrissen. Nur Captain Lovett, Ward und Oranger kehrten nach einigen Wochen zurück. Doolittle geriet mit einem Transport englischer Gefangener in einen Luftangriff in Treuchtlingen und wurde getötet. Oberleutnant Stevens brach aus einem Offiziers-
lager aus. Er erreichte im Spätherbst 1944 die englischen Linien westlich von Paris. Die Long Range Desert Group und Stirlings Luftwaffen-Kommandotrupp konnten noch manchen Ruhm erringen. Entscheidend einzugreifen gelang ihnen nicht. Aber Stirling, mittlerweile zum Obersten befördert, sollte ein wichtiges Instrument für die britische Führung bleiben. Im November 42, als die deutsche Panzerarmee vor El Alamein durch Montgomerys Überlegenheit an Material zerschlagen und zum Rückzug gezwungen worden war, machte sich von der Oase Kufra Leutnant Timpson mit 20 Mann, zwei Jeeps und fünf LKW zu einem Marsch über eine Entfernung von 1200 Kilometern auf. Mit zehn Mann, einem Jeep und zwei LKW erreichte er seinen befohlenen Einsatzraum. Hier, in der Nähe der Küstenstraße, über der der gesamte Nachschub für Rommel verlief und über die jeder Soldat zur Front oder von der Front her fahren mußte, lag er in einem wohlvorbereiteten Beobachtungsstand. Jedes passierende Fahrzeug, jeder Panzer und jedes Geschütz wurden gemeldet. Montgomerys Nachrichtendienst konnte sich auf diese Weise ein einwandfreies Bild der deutschen Stärke und der Verstärkungen machen, die zur Front vorgezogen wurden, Timpson konnte eines Tages melden, daß 2 000 Fahrzeuge nach dem Westen zögen. Montgomery wußte, daß Rommel El Agheila räumte. Stirling versuchte in diesen Tagen, mit zwei Unternehmen in die rückläufige Bewegung Rommels hineinzustoßen und durch nächtliche Überraschungsangriffe entlang der Küstenstraße in die deutschen Reihen Verwirrung und Panik hineinzutragen. Doch wurde das Unternehmen
wieder abgestoppt, nachdem die eine Gruppe in eine Falle geraten und vernichtet worden war. Erst im Januar 43 rüstete Oberst Stirling zu einem neuen Raid, der sein letzter werden sollte. Der Kommandotrupp wollte jetzt nach Tunesien vordringen, ein Teil genaue Erkundungen über die Marethlinie anstellen, in die sich Rommels Panzerarmee zurückzuziehen im Begriffe war, der andere unter Stirlings persönlicher Führung nach Nordtunesien aufklären und Verbindung zur soeben in Algerien gelandeten ersten britischen Armee aufnehmen. Stirling wählte wieder Leutnant Sadler als Fährtensucher, den unersetzlichen Sergeanten Oranger und einen Iren, MacDermot, zu seinem persönlichen Stab. Als Basis für alle Operationen wurde ein Tal bei Bir Sultane bestimmt, in Nordtunesien, 50 Kilometer von der Marethlinie entfernt. Mit 20 Mann und acht Jeeps brach er auf. Der britische Oberst hatte Glück. Unangefochten erreichte er den Sammelplatz, nachdem er den großen Erg mit Mühe passiert hatte, einen ausgetrockneten See, durchzogen von Sanddünen, die wie Wellen eines Meeres aufeinander folgten. Das fruchtbare Tunesien mit seinen Feldern, Tälern und Bergen erschien ihm und seinen Soldaten wie ein Paradies nach diesen Jahren und Monaten in der nackten Wüste. Hier konnte es nicht schwer sein, sich durchzuschlagen und sich verborgen zu halten. Kaum war in Bir Sultane die zweite Gruppe Jordan eingetroffen, die ihre Aufklärung auf die Marethfront durchgeführt hatte, packte den Briten auch schon die Ungeduld. Verbindung zur 1. Armee mußte gesucht und dabei zugleich festgestellt werden, was sich in Tunesien selbst tat. Sie brachen auf und marschierten abermals getrennt.
Jordan unterstanden neun Fahrzeuge. Sie fuhren die ganze Nacht, erreichten aber nur eine Durchschnittsgeschwindigkeit von zehn Kilometern, da sie in tiefen Sand gerieten. Gegen drei Uhr am Morgen durchquerten sie eine schmale Piste, die von Sanddünen begrenzt war. Im gleichen Augenblick blendeten die Scheinwerfer eines Wagens auf. Jordan schaltete sofort seine Wagenlichter ein, aber sie brannten nicht. Eine deutsche Panzerkolonne kam ihnen entgegen, an der Spitze ein offener Geländewagen. Ein deutscher Offizier beugte sich heraus, um zu sehen, was es gäbe. Er starrte auf Jordan, der seitwärts ausbog. Die Räder fanden wider Erwarten im Sand Halt. Jordan wandte sich zurück und sah seine anderen Fahrzeuge folgen. Aber fast zur gleichen Zeit eröffnete ein deutsches MG das Feuer. Drei Jeeps wurden außer Gefecht gesetzt. Der Rest suchte im Dunkel das Weite. Zwei Stunden später kam es zu einem Scharmützel mit deutschen Lastwagenbesatzungen. Es waren jetzt nur noch vier Jeeps. Dann streikte sein eigener Wagen. Jordan mußte umsteigen und mit drei Jeeps den Marsch fortsetzen. In der folgenden Nacht gelang es ihnen, an der Straße zwischen Gabes und Sfax Minen zu legen. Unangefochten erreichten sie ein Wadi, in dem sie sich verstecken konnten, um den Tag hier zuzubringen. In der dritten Nacht stießen sie erneut zur Straße nach Gabes vor, um abermals ihre Minen auszulegen, als sie in der Dunkelheit auf deutsche Truppen stießen. Sie entkamen unerkannt, aber alle drei Wagen wurden versprengt und fanden nicht mehr zusammen. Jordan beschloß, sich jetzt zu den englischen Linien in Nordtunesien durchzu-
schlagen. Zwei Tage später durchfuhr er ein Wadi und stieß auf eine Schafherde. Der Araber, den er ansprach, um sich nach der Nähe gegnerischer Truppen zu erkundigen, antwortete nicht, sondern hob nur den Blick zu den Steilhängen empor. Jordan saß in der Falle. Eine italienische Kompanie hatte ihre Maschinengewehre in Stellung gebracht. Die Mündungen waren auf seinen Jeep und die drei Engländer gerichtet. Sie hoben die Hände hoch. Am Abend des gleichen Tages erblickten Stirlings Leute – 14 Mann mit fünf Fahrzeugen – , die bisher ohne jede Feindberührung ihren Weg zurückgelegt hatten, zwei deutsche Aufklärungsmaschinen. Sie hielten auf die Engländer zu, die in ihren Fahrzeugen unter den Tarnnetzen zur Bewegungslosigkeit erstarrten. Waren sie entdeckt worden? Die Flieger kreisten ein paar Mal über ihrem Wadi und verschwanden endlich. Oberst Stirling entschied sich für sofortigen Aufbruch. Wenn es ihm gelang, bis zum Morgen durch die Gabessenke zu kommen und ungestört die Straße Gabes – Sfax zu überschreiten, war die Gefahr gering, am nächsten Tage etwa noch gefunden zu werden. Als der Tag anbrach, hatten sie jedoch erst die Straße nach Gabes erreicht, auf der lebhafter Fahrzeugverkehr herrschte. Sie warteten voller Ungeduld, um durch eine Lücke unbemerkt hindurchschlüpfen zu können. Drei Stunden später erreichten sie ein Wadi, in dem es Höhlen und Einbuchtungen gab und in dem mancherlei Sträucher ihnen hinreichende Deckungsmöglichkeiten
boten. Es war ein klarer, kühler Tag. Sadler und Cranger, die sich am Zugang zu ihrem Tal hinter Büschen niedergelegt hatten und sofort eingeschlafen waren, erwachten am Nachmittag von einem Knirschen. Sie erblickten zwei deutsche Soldaten, die ihnen zu ihrem Erstaunen befahlen, liegenzubleiben und Ruhe zu halten. Dann setzten jene auch schon ihren Weg fort und schritten tiefer in das Wadi hinein. Die beiden Engländer streiften ihre Schlafsäcke ab und rasten mit keuchenden Lungen davon, bis sie eine verlassene Höhle fanden. Oberst Stirling und MacDermot schliefen Seite an Seite in einer Bodenmulde. Sie fuhren hoch. Deutsche Kommandorufe schallten durch das Tal. Sie sahen sich einem deutschen Offizier gegenüber, der ihnen zu folgen gebot. Der Zugang zum Wadi war durch Truppen besetzt und auch auf der Höhe entdeckten sie jetzt überall deutsche Soldaten. „Zum Teufel“, erzählte Stirling später, „das war nicht schön! Aber das Widerlichste an der ganzen Geschichte war, daß der Offizier, der mich gefangennahm, zu einer Zahnstation gehörte und Zahnarzt war. Das ganze war im übrigen einer jener scheußlichen Zufälle. Man wußte nichts von uns. Die Deutschen, die gerade erst nach Tunis gekommen waren, machten eine Geländeübung.“ Während die Gefangenen zu einem Sammelpunkt geleitet wurden und dort unter Bewachung der kommenden Dinge harrten, kämmte die Truppe das Wadi durch und holte die Fahrzeuge heraus. Die Nacht verbrachten die Gefangenen in einer Garage. Zehn Posten blieben im Raum. Es gab keine Möglichkeit
zur Flucht, zu der Stirling entschlossen war. Denn irgendeine Gelegenheit mußte sich bieten. MacDermot war entschlossen, seinem Obersten zu folgen. In der folgenden Nacht verlangte Stirling, nach draußen zu gehen. Drei Soldaten begleiteten ihn, und während der Gefangene sich den Anschein gab, ein unerläßliches Geschäft erfüllen zu müssen, zog einer der Deutschen eine Zigarette aus der Tasche, indessen der andere sein Gewehr in die Linke nahm und in den Taschen nach Streichhölzern wühlte. Im gleichen Augenblick stieß Stirling einen Schrei aus, der den Deutschen das Blut gerinnen ließ, und schon war er in der Dunkelheit verschwunden. Schüsse jagten hinter ihm her. Sie trafen nicht, aber sie alarmierten die anderen Posten, die aus der Garage herausstürzten, gefolgt von MacDermot. Stirling unternahm einen Nachtmarsch von 24 Kilometern. Er wollte Bir Sultane erreichen, das etwa 80 Kilometer entfernt liegen mußte. Bei Tagesanbruch beschloß er, bei einem Araber anzupochen. Er hatte Durst und war hungrig. In der nächsten Nacht setzte er seinen Marsch fort, fand gegen Morgen eine Höhle, in der er sich verbarg und sofort einschlief. Am Nachmittag erwachte er und wollte eben Umschau halten, als eine Stimme in gebrochenem Englisch fragte: „Gut geschlafen?“ Stirling fuhr herum. Ein junger Araber stand grinsend vor ihm. „Wenn Sie was essen und trinken wollen – ich kann Ihnen helfen.“ Der Araber bedeutete Stirling, ihm zu folgen. Warum nicht?
Immerhin konnte man sehen, wohin der Weg führte. Nachdem sie etwa einen Kilometer gegangen waren, wies der Araber auf eine Piste, die aus dem Tal auf die Höhe führte. Oberst Stirling folgte ihr. Was ihn aber auf der Höhe erwartete, war alles andere als eine freudige Überraschung. Dort stand eine Reihe deutscher Lastwagen. Soldaten in Stahlhelmen mit Gewehren und Handgranaten waren zu seinem Empfang bereit. Auch MacDermot wurde wieder aufgegriffen. Nur Sadler und Oranger erreichten die britischen Vorposten der 1. Armee. Stirling aber hatte seine Freiheit um einen sonderbaren Preis eingebüßt. Für elf Pfund Tee wurde er von dem Araber ausgeliefert, der ihn bereits am frühen Morgen, in tiefem, friedlichem Schlafe liegend, entdeckt hatte. Mit der Ausschaltung und Gefangennahme Stirlings hörte der Kampf hinter den deutschen Linien auf. Noch einmal brachte die Kampfstaffel Marschall Rommels Funkwagen, Fahrzeuge und Soldaten der Long Range Desert Group auf, die sich durch ihre arabische Kleidung verdächtig gemacht und so selbst verraten hatten. Fünf Monate später war der Krieg in Nordafrika entschieden. Die Alliierten, an ihrer Spitze die britische 8. Armee, nunmehr unter General Montgomery, hatten gesiegt.
ENDE