Alexander Calhoun
So long, Cochise Apache Cochise Band Nr. 36
Prolog Ihr Land war es, in das Mexikaner und Amerikane...
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Alexander Calhoun
So long, Cochise Apache Cochise Band Nr. 36
Prolog Ihr Land war es, in das Mexikaner und Amerikaner eindrangen. Das Land ihrer Väter. Karstig und elend, wasserarm und unfruchtbar schmorte es unter heißer Arizonasonne. Wüste, bizarre Klippen, himmelansteigende Berge und Giftschlangen. Trotzdem verteidigten sie es mit der Stärke ihrer Seele und dem wilden Schlag ihrer Herzen. Zu diesem Zeitpunkt waren sie längst keine Athapasken mehr, sondern deren Nachfahren: Apachen. Sie selbst nannten sich T'Inde ++ Volk, auch Naizhan ++ Unsere Rasse. Und sie besiedelten ein Land so groß wie Deutschland und Frankreich zusammen. In diesen ihren Jagdgründen leisteten sie Eindringlingen Widerstand und verteidigten jeden Fußbreit Boden mit ihrem Herzblut. Zur Zeit der Handlung unserer Geschichte APACHE COCHISE lebten 6000-7000 Apachen, die in Arizona und Neumexiko Angst und Schrecken verbreiteten, besonders im amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet und weit in Sonora, bis hinunter zur Sierra Madre Occidental. Ihren Haß gegen die Nachfahren der Spanier und den Erzfeind, die Comanchen, übertrugen sie auf ihre neuen Unterdrücker. Von ihnen ist die Rede in unserer Serie. Sie ist die historiengetreue Basis der Thematik APACHE COCHISE.
*** »Wer gibt hier die Befehle? Ihr oder ich?« »Ich sage dir, Sam, das können wir nicht machen!« »Und warum nicht, Casy?« Casy Carradine reckte seine schmächtige Brust und schleuderte einen wütenden Blick durch die Dunkelheit zu Samuel High. Die anderen schwiegen. »Weil wir dann den ganzen Stamm auf den Fersen haben. Hunderte von Chiricahuas werden auf unserer Spur kleben und den Tod ihres Häuptlings rächen. Wir hätten nicht die geringste Chance.« »Memmen! Angst vor einer Rothaut! Hat die Welt so was schon gesehen?« »Wie du es auch auslegst, laß Cochise in Ruhe«, erwiderte Casy ruhig. »Ich hole den Teufel aus der Hölle, wenn es sein muß, aber mit den Apachen lege ich mich nicht an. Basta!« Samuel High ließ die Zügel seines Pferdes los, setzte sich auf einen Stein und starrte düster auf die Banditengruppe. Sie waren acht, ihn eingerechnet. Dort unten beim Feuer saßen nur vier Rothäute: Cochise und weitere drei Chiricahuas. High spürte die Ablehnung seiner Leute. Aus ihren Mienen sprach Starrsinn und Angst. Eine so günstige Gelegenheit, sich ihre Verfolger vom Hals zu schaffen, würde sich nie wieder bieten. »Den Teufel holst du aus der Hölle, Casy? So, den Teufel? Dort unten sitzt er. Du brauchst nur hinunterzugehen und ihn festzunehmen. Kleinigkeit, wie?« »Du bist schlechthin ein Narr, Samuel, und du scheinst nicht zu wissen, wie die Stämme reagieren, wenn wir ihren Jefe umlegen«, wehrte sich der kaltgesichtige Revolvermann. »Cochise ist nicht einfach ein Indianer, den man abschießt wie
eine Klapperschlange. Cochise ist eben Cochise, nicht mehr und nicht weniger.« Samuel High lachte gehässig. »Du gehörst zu jenen Leuten, die sich mit dem Hintern auf 'ne Kreissäge setzen und danach genau sagen, welcher Zacken sie geritzt hat. Blöder Hund!« »Das nimmst du zurück, Sam!« Casy Carradine fuhr hoch. »Von dir lasse ich mich noch lange nicht blöder Hund nennen. Los. Nimm's zurück!« High stand auf, spreizte die Beine und beugte sich ein wenig vor. Es war die typische Haltung von Männern, die ihre Streitigkeiten mit einem Revolver austrugen. Carradine lachte nur. ++ »Das kannst du gar nicht riskieren, du Angeber. Ein Schuß würde sofort unsere Anwesenheit verraten und die Apachen auf die Beine bringen. Hier oben im Badsland sind sie uns haushoch überlegen und …« »Halte deine verdammte Klappe!« unterbrach ihn High. »Ich gebe die Befehle und niemand anders, verstanden? Eine Stunde vor Sonnenaufgang greifen wir an. Das ist mein letztes Wort!« Carradine schaute den anderen in die Gesichter, einen nach dem anderen. Was er in der Dunkelheit sah, war nicht viel. Jedenfalls nicht genug, ihre Gedanken zu erraten. Aber ihre stimmungsbedingte Ablehnung spürte er deutlich. Niemand rannte blinden Auges in ein offenes Messer, und wie die Apachen ihre Klingen zu benutzen verstanden, wußte jeder. High entspannte sich, setzte sich aber nicht wieder. Er ging auf leisen Sohlen zum Ausgang des engen Spalts im Felsen und stierte in den Canyon hinab. Das Feuer war herabgebrannt. Das dämonische Auge der Glut beleuchtete geisterhaft die vier Indianer. Alles, auch ihre Umgebung, war wie in rote Farbe getaucht. Schweigend studierte High die Umgebung beim Lagerfeuer. Die linke Seite des Canyons war frei von Vegetation. An der rechten zogen sich Streifen von Yuccas, Speerdom und Disteln
bis zu jenem Punkt, den sein Augen gerade noch erreichen konnte. Sogar ein Palo Verde-Baum stand einsam und wie vergessen dort unten. Samuel High ging den kurzen Weg in die Schatten der Klamm zurück und setzte sich wieder auf den Stein. Wer ihn näher betrachtete, mußte von diesem Mann enttäuscht sein. Unter einem Desperado stellte man sich in diesem Land etwas ganz anderes vor. Hochgewachsen und hart mußte ein Bandit sein. Sein Äußeres mußte abgerissen und schmutzstarrend wirken und sein Auftreten herrisch und jeder Lage gewachsen. Nichts von alledem. High wirkte zwar körperlich nicht klein, aber den Idealvorstellungen der in jenem Raum lebenden Menschen entsprach er nicht. Zwar bedeckte ein tagealter Stoppelbart sein Gesicht und seine Lippen waren schmal, aber seine Kleidung war makellos, im Gegensatz zu der seiner Kumpane. Helle Augen musterten die schweigsamen Gestalten. Und als er sprach, klang seine Stimme durchaus nicht wie die eines Outlaws, gemessen an der Vorstellung der breiten Masse. »Wir überwältigen sie im Morgengrauen, Jungs. Wer Angst hat, trete rechts raus. Wir können es uns bei unseren bevorstehenden Geschäften nicht leisten, einen Trupp Chiricahuas wie einen Kometenschweif hinter uns herzuziehen. Nun?« Niemand bewegte sich. Auch Casy Carradine wechselte nicht seinen Standort. Der kaltgesichtige Revolvermann blieb wie ein Bolzen stehen, gab aber seiner Meinung mit einer gewissen Lautstärke Ausdruck. »Das hast du zu verantworten, Sam. Hättest du die Indianerfamilie in Ruhe gelassen, könnten wir uns nun in Sicherheit wiegen. Du hast deine Weisheit vom verkehrten Baum der Erkenntnis geschüttelt, aber du siehst das nicht ein und gehst stur deinen Weg.« »Warum nörgelst du ständig an mir herum, Casy? Kannst du
es besser als ich? Ich meine, willst du die Bande führen?« »Ich will sie nicht führen«, orgelte Carradine. »Eine gesunde Kritik muß jedoch erlaubt sein. Wir sind nicht deine Sklaven, Sam, und wir lassen uns nicht herumhetzen und unsere Haut schinden.« »Noch ist keiner von uns geschunden worden.« High erhob seine Stimme. »Im Gegenteil! Ich glaube, wir haben alle ganz gut bei unseren Geschäften verdient. Ist jemand anderer Meinung?« Schweigen, verstimmt und zurückhaltend, aber anhaltendes Schweigen. Samuel High fuhr fort: »Die Apachen müssen getötet werden, das sind wir unserer Sicherheit schuldig. Tun wir's nicht, werden unsere Skalps bald vor einigen Wicki-ups trocknen.« »Du willst Cochise umbringen«, erwiderte ein anderer mit dem Namen Elias Quant. »Weißt du, was du da tust? Die Indianer sind sich untereinander nicht grün, das gebe ich zu. Aber wenn es um den Chief geht, sind alle Streitigkeiten unter den Stämmen vergessen. Vereint werden sie sich erheben und ihr Kriegsgeschrei ausstoßen. Hast du ihren Kampfruf schon einmal gehört, Boß? Ich sage dir, das geht unter die Haut, durch Mark und Knochen. Das ist so, als seien auf einmal sämtliche Teufel der Hölle losgelassen.« Elias schrie die letzten Worte fast, so erregte er sich bei dem Gedanken an das Kriegsgeschrei der Chiricahuas. High antwortete wegwerfend: »Du übertreibst, Eli. Sie sind Wilde, nichts weiter. Barbaren!« setzte er im Brustton der Überzeugung hinzu. Und als Abschluß: »Mordbestien!« Sein Atem ging stoßweise, als er jedem der Outlaws ins Gesicht blickte und eine drohende Miene aufsetzte. Am längsten blieben seine Augen auf Casy Carradine hängen. In ihm sah er seinen eigentlichen Widersacher, außerdem fürchtete er Casys Revolver. »Sattelt die Pferde ab und ruht euch aus«, befahl er nach einer
Weile drückenden Schweigens. »Wenn wir das dort unten erledigt haben, verschwinden wir aus der Gegend. Burt, du übernimmst die erste Wache.« »Klar, Boß.« Die enge Klamm war kalt und feucht, aber ein ausgezeichnetes Versteck für Leute, die das Tageslicht scheuen mußten. Zwei Outlaws trieben die Pferde nach hinten und nahmen ihnen die Lasten ab. Auf ein Feuer mußten sie während der Nacht verzichten, weil es ihre Anwesenheit todsicher an die Apachen verraten hätte. Chiricahuas rochen Rauch auf eine Meile, und ihre Augen waren schärfer als die von Nachtfalken. Ihre unmittelbare Nähe verunsicherte die Weißen, aber sie mußten sich damit abfinden, wenn sie ihren Coup am frühen Morgen starten wollten. Apachen auf der eigenen Fährte war immer eine Gefahr, die man nicht ignorieren durfte. Man entledigte sich ihrer am besten, wenn man kurz entschlossen reinen Tisch machte und die Indianer in die Ewigen Jagdgründe schickte. In den meisten Fällen war dies jedoch leichter gesagt als getan. Apachen waren sehr geschickt und im Nahkampf selbst den gutbewaffneten Weißen überlegen. Beunruhigt durch die Lautlosigkeit der umgebenden Wildnis stand Samuel High wieder auf und wanderte zum Ausgang des Spaltes. Das Feuer glühte noch, schwacher Rauch kräuselte wie ein Faden zum Himmel und verteilte sich in höheren Luftschichten. Um das erlöschende Feuer buckelten vier Pakete, lang und wahllos hingestreckt. Daß eins dieser Packen nur eine leere Hülle war, konnte der Bandit nicht wissen. Apachen ließen ein Lager, und sei es noch so klein, nie unbeaufsichtigt. Aber den Krieger, der die Wache übernommen hatte, sah man nicht. *
Der einzelne Reiter näherte sich dem langen Hang, der mit Geröll und Erosionsschutt bedeckt war. Der Mann, ganz in Wildleder gekleidet, ritt ein Pferd von dunkelbrauner Farbe, das das Brandzeichen der Armee trug. Sein rötlich gewelltes Haar wurde von einem grauen Feldhut bedeckt. John Haggerty war mit jeder Phase der Wildnis in diesem Landesbereich vertraut. Hinter ihm lag Fort Bowie, vor ihm der Apachen Paß. Die Sonne prallte mit voller Stärke auf die lange, unendlich lange Steigung, die sich in Windungen hinaufzog zum eigentlichen Paßsattel. Nicht der kleinste Strauch wuchs auf dem karstigen Boden, kein Grashalm, kein Baum. Nackt und in der Sonne gleißend wie flüssiges Silber lag das tote Gestein steril wie eine Mondlandschaft vor dem einsamen Reiter. Einsam? Kaum. Haggerty wußte, daß jeder Schritt seines Pferdes von scharfen Indianeraugen beobachtet wurde. Er befand sich auf Cochises Territorium, auf dem angestammten Land der Chiricahuas, und keinem lebenden Wesen würde es jemals gelingen, es ungesehen zu durchqueren. Kurz nach Mittag tauchten Roß und Reiter in die kühlen Schatten zwischen den steil aufragenden Hängen beim Sattel ein. Jeder Meter Boden war hier erdgebundene Tradition und vom Blut gefallener Weißer und Apachen getränkt. Hier oben hatte Victorio, der Mimbrenjo, seine größte Demütigung erfahren. Hier war Cochise mit seinem größten Apachenaufgebot, das die Geschichte in Südwest kennt, von den Haubitzen des Captain Thomas Roberts mit seinen 126 California Volunteers geschlagen worden, und hier, nicht weit entfernt, rottete der übereifrige Lieutenant George N. Bascom Cochises Sippe fast aus. Am Apachen Paß war Geschichte gemacht worden, eine traurige Geschichte, die sich mit blutigen Lettern in das Buch der Ewigkeit eingeschrieben hatte, und hier oben würde die
Geschichte der Apachen irgendwie zu Ende gehen. Früher oder später. John warf einen traurigen Blick auf die braunen und grauen Hänge, auf die Seitencanyons und Spalten, und seine Gedanken waren dabei so leer wie das Land. Sein Pferd trabte um die Kehre. Der Reiter setzte sich im Sattel zurecht und kaschierte seinen gedankenvollen Gesichtsausdruck mit einem leichten Lächeln. Übergangslos wurde das Land grün. Zahlreiche Quellen speisten den dürftigen Humusboden und garantierten eine fette Weide für Pferde und Maultiere der Butterfield Mail. Die Station tauchte auf, Ställe, Schuppen, die Schmiede. Sämtliche Bauten trugen noch die Spuren eines Brandes und sahen aus wie geräucherte Schinken. John Haggerty ritt durch das Tor. Ein Mann in derber Kleidung kam ihm entgegen und grüßte mit der Hand. »Hallo, Mr. Haggerty, wie geht's?« »Hallo, Buck!« rief John freundlich. »Wie geht's immer hier oben?« »Ruhig, sehr ruhig. Was bringt Sie so hoch herauf? Hoffentlich nicht ein neues Ungewitter?« Haggerty schwang sich aus dem Sattel und begrüßte den schwarzhaarigen Revolvermann mit Handschlag. Über den Platz zwischen Stationshaus und Stall kam der blondhaarige Larry Osborne und stieß lachend einen Ruf hervor. Die Männer schüttelten sich die Hände, klopften sich aus Wiedersehensfreude auf die Schultern und tauschten Witzeleien aus. »Um Ihre Frage zu beantworten, Mr. Tinatra: Kein Ungewitter ist im Anzug. Die Sonne wird weiter scheinen und ungetrübten Glanz auf die Hütten werfen. Wie geht es Thomas Jeffords?« »Er ist im Haus«, antwortete Larry Osborne. »Gehen Sie doch hinein, Haggerty.«
»Das werde ich tun. Kommen Sie mit?« »Geht nicht, Sir. Eine Postkutsche ist angemeldet. Sie bringt einen schrägen Vogel, den wir nicht aus den Augen lassen wollen.« Haggerty lachte und ging auf das große Haus zu. In dem Augenblick, als er die Steintreppe betrat und das Podest erreichte, ertönte aus dem Haus ein brüllender Ruf. Die Tür wurde aufgerissen und schlug donnernd gegen die Wand. Thomas Jeffords stand auf der Schwelle und streckte John beide Hände entgegen. »Willkommen, John Haggerty! Willkommen in der bescheidenen Festung der Butterfield Mail!« John blieb stehen und grinste. Er musterte Thomas eine ganze Weile, wie das damals in diesem Land üblich war, wenn man sich eine geraume Weile nicht mehr gesehen hatte. Stämmig, breitschultrig, grinste ihn Jeffords an. Sein rötlicher Bart glänzte wie Katzengold und ringelte sich um das willensstarke Kinn, ohne dabei seine Züge zu verändern. An diesem Mann wirkte alles stark, freundlich und ehrlich. Die beiden Männer schüttelten sich die Hände, drückten sie, schüttelten immer wieder. Es lag etwas Kraftvolles in diesem Händeschütteln und -drücken, das Zuneigung und Vertrauen ausdrückte. »Kommen Sie herein«, sagte Jeffords. »Sie werden Hunger haben und durstig sein. Alles für einen alten Freund vorhanden, alles. Und noch mehr.« John lachte. Dieses Ungestüme kannte er bei dem sonst so ruhigen Jeffords nicht. Er trat über die Schwelle und ließ sich von Jeffords in dessen Büro begleiten. Kühl und dämmerig war es in dem mittelgroßen Raum. John blieb stehen. »Ich will erst mein Pferd absatteln und in den Stall bringen …« »Keine Sorge, das hat Burt Kelly schon getan. Wir sind doch keine Barbaren hier oben, wo denken Sie hin?«
Sie lachten, rückten sich Stühle zurecht und nahmen Platz. Thomas Jeffords sagte: »Wir essen zusammen mit den Reisenden, die erwartet werden. Einverstanden?« »Natürlich«, antwortete John. »Noch bin ich nicht verhungert. Sie erwarten einen schrägen Vogel, wie mir Larry sagte. Um wen handelt es sich?« »Das wissen wir leider nicht. Ein Reiter des Pony Express brachte uns die Nachricht vom Sheriff aus San Simon. Sie wissen, daß jeder über den Paß muß, wenn er nach Süden oder umgekehrt nach Norden will. Und wir konnten bisher so manchen Galgenstrick an das Gesetz ausliefern oder entsprechende Hinweise geben.« Thomas Jeffords nahm eine Flasche und zwei Gläser aus dem Schrank und goß ein. John Haggerty, der ehemalige Chiefscout, hob sein Glas und trank Jeffords zu. »Was führt Sie zu uns Hinterwäldlern, John? Wenn es ein militärisches Geheimnis ist, vergessen Sie meine Frage.« »Durchaus nicht. Ich brauche Ihren Rat, Mr. Jeffords. General Howard ist der Meinung, daß Sie der Armee helfen und einen Dienst erweisen können.« »Wenn es in meiner Macht steht ++ natürlich!« Haggerty trank noch einmal einen kleinen Schluck. Er machte sich nicht viel aus Hochprozentigem, ging aber zu Ehren Jeffords von der Regel ab. »Sie haben von der Western Union gehört, oder? Wie dem auch sei, die Gesellschaft baut eine Telegrafenlinie bis in den Südwestzipfel von Arizona. Die Sache wird vom Kongreß unterstützt und steht unter der Schirmherrschaft des Präsidenten.« »Ich weiß«, sagte Jeffords. »Details sind bekannt. Aber was hat das mit Ihrer Anwesenheit beim Paß zu tun?« »Das wollte ich Ihnen gerade erklären.« John senkte die Stimme und gab Jeffords einen ausführlichen
Bericht zur Lage. Er schloß mit den Worten: »Howard bittet Sie, sich mit mir bei Cochise stark dafür zu machen, daß er sich nicht an den Überfällen auf die Streckenbauer beteiligt. Der General ist der Meinung, daß wir beide, weil wir mit Cochise befreundet sind, ihm die Worte ins richtige Ohr flüstern können.« Thomas Jeffords lachte. »Ob wir noch Freunde von Cochise sind, weiß man nicht so genau.« »Auf Cochise kann ich mich verlassen«, erwiderte John. »Cochise vergißt aber nie, das kann ich sagen. Dieser Mann ist zwar ein indianischer Gentleman, aber leider auch Indianer. Ein Fürst wie er hat es nicht nötig, einem Weißen auch nur den geringsten Gefallen zu tun. Sie wollen also, daß ich mit Ihnen zusammen Cochise aufsuche?« »Es ist der Wunsch des Generals.« Jeffords überlegte kurz. Nach einer Weile sagte er: »Okay, wir reiten morgen früh. Bis dahin sind Sie Gast der Butterfield. Hören Sie! Die Kutsche kommt! Wir warten noch ein paar Minuten und gehen dann in den Speisesaal. Einverstanden?« John war es. Er wußte genau, warum ihn Jeffords zu den Reisenden schleppte. * Zwei Tage später hielten sie Steigbügel an Steigbügel auf einem Hügel hoch über dem Osthang der Dragoon Mountains. John Haggerty kannte Cochises Versteck und getraute sich, den Weg dorthin zu finden. Je mehr sie sich der Apacheria näherten, desto höher schlug sein Herz. Das mulmige Gefühl, beobachtet zu werden, hatte sie schon gestern den ganzen Tag nicht verlassen. Apachenspäher hatten scharfe Augen und die Ankunft des
»Falken« bereits weitergemeldet. Das war sicher. Sie wären sonst niemals so weit gekommen. Thomas Jeffords stieß einen Grunzlaut aus und zeigte mit der ausgestreckten Hand auf einen nahen Hügel. Wie eine Statue aus braunem Lehm hob sich dort ein Indianer gegen den hellen Himmel ab. »Sie beobachten uns«, sagte John. »Haben Sie aber keine Furcht, sie sind uns friedlich gesonnen.« »Woher wissen Sie das? Können Sie hellsehen?« John lachte. »Das nicht, ich kenne aber ihre Sitten und Gebräuche. Apachen können Sie nur sehen, wenn sie gesehen werden wollen. Die Rothaut dort auf der Klippe will uns nur sagen, daß wir auf dem richtigen Weg und willkommen sind. Reiten wir weiter!« Vor Sonnenuntergang gelangten sie in die Nähe von Cochises Lager. Die Apacheria lag eingebettet zwischen zwei Klippenzügen und wurde von mächtigen Brocken glattgeschliffenen Felsens eingeschlossen, die die letzte Eiszeit zurückgelassen hatte. John und Thomas ritten in die rote Sonne hinein und schlossen geblendet die Augen. Die Pferde fanden den Weg allein, es gab nur den einen. Wer über die Felsbarrieren wollte, mußte Saugnäpfe an den Fußsohlen haben. Unvermittelt blieben beide Pferde stehen. John öffnete die Augen einen Spalt und blinzelte gegen die Feuerlohe. Gestalten standen vor ihren Pferden, wilde Gestalten, die zur Umgebung paßten, als wären sie ein Stück von ihr. Sie waren zu dritt angetreten, und einer von ihnen, ein älterer Apache, hob die flache Hand. John erwiderte den Gruß und war zufrieden. »Der Falke will zu Cochise?« »Ist der Jefe in seinem Jacale?« »Er ist nicht bei seiner Familie. Cochise ist auf dem Weg der Rache und hat den Pfad des Krieges beschritten.«
John Haggerty erschrak. Cochise auf dem Kriegspfad, das hatte nichts Gutes zu bedeuten. »Wird mein roter Freund mir mitteilen, wohin sich der Jefe begeben hat? Ist sein Kriegsbeil gegen die Weißen gerichtet oder gegen Indianer eines anderen Stammes?« »Desperados töteten eine Sippe der Chiricahuas … Weiße.« Haggerty und Jeffords wechselten einen Blick. Thomas Jeffords wandte sich an den Chiricahua. »Cochise ist mein Freund, du weißt es?« Als der Rote würdevoll nickte, fuhr er fort: »Ich muß dringend zu dem Jefe. Wirst du mir sagen, welchen Weg er geritten ist?« Der Krieger drehte sich herum, während die beiden anderen mit ausdruckslosen Gesichtern die Weißen musterten. »Diesen Weg, Hellauge.« Das war Norden. John und Thomas überlegten fieberhaft, wie sie Cochise so schnell wie möglich erreichten, ohne weite Umwege durch Suchen machen zu müssen. »Wie viele Krieger hat Cochise mitgenommen?« »Wieviel Tatzen braucht ein Bär, um ein Kitz zu schlagen?« »Eine«, sagte John überzeugungsgemäß. »Aber die Weißen sind in der Überzahl, wie?« Der Apache nickte. Nach einigem Zögern bequemte er sich dazu, ein wenig mehr aus sich herauszugehen. »Cochise hat Naiche und zwei Krieger dabei. Du wirst seine Spur nicht finden, Falke. Cochise ist wie der Wind und schlau wie der Wüstenfuchs.« »Für heute ist es sowieso zu spät«, murmelte Jeffords. Er hatte Hunger und Durst, und er war müde. So leise er gesprochen hatte, der Indianer hatte es gehört. »Cochises Jacale steht seinen Freunden zur Verfügung. Kommt!« Ohne Antwort abzuwarten, stürmte er wie eine Gazelle davon. Die beiden Chiricahuas folgten ihm. Ein paar Minuten lang ging es durch ein Labyrinth von Felsgiganten und Barrieren. Während John sein Pferd unter Kontrolle hielt, dachte er darüber
nach, wie es sein würde, wenn die Armee diese natürliche Festung angriff. Ein Regiment wäre notwendig, Cochises Bastion zu erobern. Plötzlich standen sie in einem langgestreckten Tal, das von steilen Hängen flankenartig eingeschnürt wurde. Es mußte hier oben reichlich Wasser geben. Gutes Gras und Büsche wuchsen, und weiter hinten im Canyon weideten Ponys. In diesem Augenblick ging die Sonne unter. Dämmerung legte sich wie ein schützender Mantel um die Apachenfestung. Aus einem Wicki-up trat eine schlanke Gestalt und blieb drei Schritte vor den Weißen stehen. John schwang sich aus dem Sattel und begrüßte Tla-ina mit ausgestreckter Hand. Eine Sekunde lang sah es aus, als wollte sich das Mädchen an seine Brust werfen und seine Arme um den Hals des Weißen schlingen. Aber Tla-ina hielt sich zurück. Die Begrüßung bei den Apachen geschah streng zeremoniell und zurückhaltend. Gefühle wurden nicht gezeigt, und wenn doch, dann nur zwischen Mann und Frau. »Der Falke hielt Wort. Er ist gekommen.« Eine logische Feststellung oder mehr? Tla-inas Gesicht blieb ausdruckslos, nur ihre dunklen Rehaugen leuchteten und deuteten an, was das Mädchen für John empfand. »Ich halte immer Wort, Tla-ina. Manchmal aber treten Umstände ein, die ein Wiedersehen zwischen uns hinauszögern. Die Zeit ist stärker als wir Menschen.« »Ich weiß es. Der Falke mag mit Cochises Freund in dessen Hütte treten. Das Essen steht bereit.« Als sie hinter dem Mädchen den Jacale betraten, kam ihnen Nahlekadeya, Cochises zweite Frau, entgegen. Ein stilles Lächeln überflog die Züge der schönen Nedni-Apachin und Tochter des Häuptlings Yuh. »Willkommen in der Hütte des Jefe«, sagte sie. »Das Essen ist angerichtet. Bitte, nehmt Platz.«
Beide folgten ihrer Einladung und setzten sich mit untergeschlagenen Beinen auf die Sitzkissen aus Fell und grobem Stoff. Aus den flachen Schüsseln in Feuernähe duftete es lieblich. Aus braunem Ton gebrannt, standen sie auf flachen Steinen, angestrahlt von der Wärme der Asche. Sie aßen aus muldenförmig vertieften Holzbrettern und bedienten sich eines hölzernen Löffels, die gebratenen Fleischstücke, Wildgemüse und die röstfrischen Tortillas zu verzehren. Zum Essen wurde klares Quellwasser, mit Fruchtsaft angereichert, gereicht. Nachdem sie ihren Hunger gestillt hatten, reichte Tla-ina eine Tonschüssel mit warmem Wasser und ein Tuch aus Bast. Nach Apachenart wurde während des Essens nicht gesprochen. Nun begann die Unterhaltung in Fluß zu kommen. Haggerty interessierte sich am meisten für den derzeitigen Aufenthaltsort Cochises und richtete eine entsprechende Frage an seine Frau. Nahlekadeya antwortete mit einem freundlichen Kopfschütteln. »Krieger pflegen ihren Frauen nicht zu sagen, wohin sie auf den Kriegspfad ziehen und gegen wen. Es sind weiße Männer, mehr kann ich dir nicht sagen, Falke.« Tla-ina setzte hinzu: »Weiße Desperados. Sie töteten eine Sippe unseres Volkes. Sie werden ihre Untat am Marterpfahl bereuen oder unter Cochises Kriegsbeil ihr verruchtes Leben aushauchen.« »Das ist schlimm«, erwiderte John. »Ich hatte gehofft, daß der Friede an der Grenze halten würde, jedenfalls länger als nur ein paar Wochen.« Cochises schöne Schwester übernahm die Antwort und wies mit aller Deutlichkeit darauf hin, daß die Weißen und nicht die Chiricahuas den Frieden brachen. Beinahe kalt fügte sie hinzu: »Es sind die Weißen, die unsere Dörfer verbrennen, Kinder und Frauen töten. Müssen sich die Indianer, denen alles Land ringsum gehört, Mord und Totschlag ohne Gegenwehr gefallen
lassen?« John schwieg. Er kannte die Situation an der Grenze und den Landhunger seiner Rasse. Jeffords senkte betreten den Kopf und hütete sich, die schöne Indianerin zu unterbrechen, oder ihr gar ins Wort zu fallen. Tla-ina erhob sich vom Feuer und entfernte sich. Beim Hütteneingang blieb sie stehen und warf einen Blick zu Haggerty. »Es ist sehr warm hier drin. Kommst du mit nach draußen, Falke?« Warm war es nicht im Wicki-up, aber John begriff. Alle Evastöchter, ob braun oder weiß, sie hatten eins gemeinsam: die List. John lächelte und stand auf. Als sie Seite an Seite ins Freie traten, standen Sterne am Himmel. Der Mond war noch nicht aufgegangen. Wolken zogen träge über die hohen Berggipfel hinweg und jagten ihren Schatten auf der Erde nach. Im Tal brannten mehrere Feuer. Ihre Flammen loderten an den Felswänden empor und gaben den Büschen ein eigenes Leben. Tla-ina ging nicht etwa zu den Feuern hinüber, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Sie wollte mit John allein sein und machte keinen Hehl daraus. »Du wirst dem Jefe folgen?« fragte sie. »Ich muß. Wenn möglich, bin ich gezwungen, ein weiteres Blutvergießen zu verhindern. Der Jefe muß endlich einsehen, daß das sinnlose Töten an der Grenze ein Ende haben muß.« »Die Mörder sollen straffrei ausgehen?« »Nein, Mädchen, und noch einmal nein. Sie werden ihre gerechte Strafe durch die Armee erhalten. Tod durch Hängen!« Unwillkürlich griff sich die Indianerin an den Hals. »Ein schrecklicher Tod«, sagte sie leise. »Unser Gesetz wird die Mörder deines Volkes so richten, wie sie es verdienen. Das Recht der Weißen macht keine Ausnahme.« »Cochise wird damit nicht einverstanden sein. Wir Indianer
haben auch ein Gesetz. Das Gesetz der Wildnis, der Berge und Flüsse, ein Gesetz, das wir aus dem Salz der Erde schöpfen und …« Haggerty blieb stehen und unterbrach Tla-ina. »Es gibt nur ein Gesetz, das wurde von Gott und den Menschen gemeinsam gemacht.« Sie wandte sich zu ihm um, blieb vor ihm stehen. Ihre Hände hoben sich in einer hilflos anmutenden Geste, schlangen sich um seinen Hals. So standen sie eine Weile und hörten ihre Herzen pochen. Mit besonderer Anmut hob Tla-ina dem Mann, den sie verehrte, ihr Gesicht empor. John fühlte, wie die Spannung ihre Glieder zittern ließ. »Dieses Gesetz«, sagte sie, »das Gesetz der Weißen, ist nur für die Bleichgesichter gemacht und schützt den roten Mann nicht. Das ist doch so, Falke?« »Unsere Gesetze sind für alle Menschen gleichermaßen gültig. Es faßt und verurteilt jeden, der gegen seine Buchstaben verstoßen hat. Mord bleibt nun einmal Mord, Tla-ina. Und ob der Mord an einem Indianer oder einem Weißen begangen wurde, spielt keine Rolle.« »Du wirst dem Jefe also nicht beistehen?« »Ich werde für Cochise alles tun, was in meiner Macht steht, das bin ich ihm schuldig. Er muß sich aber an die Auslegung unseres Gesetzes halten und die Gefangenen der Armee übergeben.« Tla-ina legte ihren Kopf gegen Johns Brust und senkte den Blick. Einen Moment lang war der Mann versucht, seinen Gefühlen nachzugeben und sie ganz fest an sich zu reißen. Sanft streichelte er das blauschwarze Haar des Mädchens. Er spürte, wie ihre Spannung erlahmte, wie sie nachgab und sich von ihm löste. Ihre Lippen blieben stumm, nur ihre Augen und ihre Gesten sprachen. Aber was sie zum Ausdruck brachten, durfte John nicht verstehen. »Gehen wir«, sagte sie und setzte sich in Bewegung.
In beiden brannte Leere und Enttäuschung, aber sie ließen es nicht deutlich werden und schnürten ihre Gefühle ein. Dumpfe Benommenheit befiel die beiden Menschen mit der unterschiedlichen Hautfarbe. Sie waren sich ihrer Liebe zueinander sicher, durften sich aber dieser Liebe nicht hingeben, weil Vorurteile und Weltanschauungen dazwischenstanden und wie eine unübersteigbare Mauer Weiß und Rot trennte. »Du reitest im Morgengrauen, Falke?« »Ich werde Cochise beistehen«, antwortete John schlicht. »Cochise braucht keine Hilfe«, erwiderte sie stolz. Dann besann sie sich und schwächte ihre Worte ab: »Mein Bruder benötigt deine Freundschaft mehr als Hilfe, Falke.« »Ja«, sagte er leise. »Meine Freundschaft ist ihm sicher. Trotzdem: ich werde ihm folgen und ihm beistehen, bei allem, was sein mag.« John Haggerty hielt das Fell am Jacaleeingang hoch und ließ Tla-ina eintreten. * »Bewegt euch wie Katzen!« zischte Samuel High. »Kämpft wie Katzen, wenn es sein muß und tötet wie Katzen! Schnell, sicher und lautlos!« High bewegte die Arme wie Windflügel und stieß die Fäuste in den Canyon, als wollte er ihn zertrümmern. »Greifen wir sie frontal an?« fragte Murry Gutman. »Wir kreisen sie ein«, antwortete High aus der Dunkelheit. Im Osten kroch ein fahler Streifen über den Horizont und breitete sich aus. Der neue Tag brach an und schickte seinen Boten. Die Banditen verließen einer hinter dem anderen die klammähnliche Seitenschlucht und kletterten über den geröllbedeckten Hang nach unten. Beim Lagerfeuer war alles ruhig. High deutete stumm auf den Vegetationsgürtel und schickte Casy Carradine und Elias Quant
los. Nach zwei Minuten folgten Burt Spencer und Ray Ewing. Wieder wartete Samuel High eine geraume Zeit, bevor er sich mit Lester Davis und Jim Joad nach der anderen Seite hin in Bewegung setzte und im Grüngürtel untertauchte. Der achte Mann war zurückgeblieben und bewachte die Pferde. Bei Chiricahuas konnte man nie wissen. Nach zehn Minuten war das Apachenlager eingekreist. Highs Leute zogen den Gürtel enger und bewegten sich nur noch kriechend. Würde ihr Vorhaben glücken? Mit Sicherheit wußten sie es nicht. Apachen hatten auch im Schlaf Ohren und vernahmen das leiseste Geräusch. Ein Steinkauz schickte seinen klagenden Ruf über das Lager hinweg. Ein Abschiedsruf an die Nacht und an die erfolgreich gewesene Jagd. Die Weißen verharrten wie erstarrt, wagten sich nicht zu rühren. Der Ruf verklang und ließ nackte Furcht und bebende Herzen zurück. Als nichts geschah, beruhigten sich die Outlaws und setzten ihren Weg kriechend fort. Der Schrei überraschte sie völlig. Es war ein seltsamer Schrei. Tierisch menschlich und doch so animalisch durchdringend in der Leblosigkeit und Stille der weichenden Nacht. Das Sirren des Pfeils überhörten die Weißen, aber nicht den Aufschrei eines ihrer Kumpane. Im Nu waren die Apachen auf den Beinen, Waffen in den nervigen Fäusten. »Auf sie!« brüllte High, der schnell begriffen hatte, daß das vierte Bündel beim Feuer nichts weiter als eine Attrappe war und ihr Inhalt zwischen Felstrümmern und stacheliger Flora versteckt lag. Ein zweiter Pfeil schwirrte und traf Ray Ewing in den Arm. Der Rest der Banditen stürmte und stürzte sich mit geschwungenen Waffen auf die Indianer. Ein wildes Handgemenge entstand. Durch die Yuccas glitt ein Indianer, warf sein Messer in Quants Oberschenkel und stürzte
sich in das Kampfgetümmel. High war an Cochise geraten, Carradine an Naiche. Der hochgewachsene Apache überragte den Revolvermann um einen ganzen Kopf. Der Nahkampf wogte hin und her. Verzweifelt wehrten sich die Chiricahuas, konnten sich aber der tödlichen Umklammerung und der Übermacht der Weißen nicht entziehen. Unter den Kolbenhieben brachen sie einer nach dem anderen zusammen. Cochise kämpfte mit dem Mut eines Löwen und stand bis zuletzt auf den Beinen. Als auch er unter einem Hieb zusammenbrach, gab es für die Outlaws kein Halten mehr. Sie stießen ein infernalisches Geheul aus. High gebot nach einer Weile Ruhe. Niemand von ihnen war ohne eine Blessur davongekommen. Sie verbanden ihre Wunden so gut es ging. Das Feuer flackerte wieder, genährt von trockenem Holz, und beleuchtete eine Szene wilder Geschäftigkeit. »Was machen wir mit ihnen?« fragte Carradine. »Töten wir sie?« »Dummkopf. Das hätten wir einfacher haben können. Wir hängen sie auf, mit dem Kopf nach unten und rund um den Stamm des Palo Verde dort drüben. Macht euch an die Arbeit!« Als Cochise und die übrigen Apachen wieder aus ihrer schweren Betäubung erwachten, hingen sie mit dem Kopf nach unten an dem rauhen Stamm des Palo Verde und sahen ihre Welt auf den Kopf gestellt. Am Feuer bewegten sich acht lädierte Weiße und stießen wilde Verwünschungen gegen die Apachen aus. »Wir sind in ihrer Hand, Cochise, was können wir tun?« »Im Augenblick nichts weiter als warten, Naiche.« »Das Blut wird uns in den Kopf dringen und uns wieder bewußtlos machen.« »Sind die Krieger der Chiricahuas plötzlich alte Weiber
geworden, die sich vor einer Ohnmacht fürchten?« Mehr sagte der Häuptling nicht. Naiche verstand den Vater und blieb still. Die beiden Krieger, die auf der anderen Baumseite hingen, schwiegen ebenfalls. In Gegenwart des Häuptlings hatten sie keine Stimme. Es wurde hell, der neue Tag brach mit mächtiger Lichtflut und erbarmungsloser Hitze an. Schweiß lief den Apachen in die Augen und blendete sie. Ihre einfache Wüstenkleidung troff nur so von Schweiß. Samuel High kam vom ersterbenden Feuer herüber, Casy Carradine im Schlepp und einen weiteren Mann, der seinen Arm in einer Schlinge trug. Ray Ewing litt unter der Pfeilwunde, und er mußte seine ganze Kraft aufbieten, um nicht laut zu fluchen und dem Jefe bösartig ins Gesicht zu treten. »Wie gefällt euch die Welt aus dieser Sicht, ihr roten Halunken?« fragte Sam High zynisch. Keine Antwort. High fuhr fort: »Fleht zu eurem Manitu, daß er euch von den Qualen erlöst. Wir tun es erst, wenn die Sonne am höchsten steht. Ein bißchen was sollt ihr noch von den Freuden dieser schönen Erde mit hinübernehmen in die Ewigen Jagdgründe, ihr rotes Geschmeiß!« Unter Hohngelächter und obszönen Worten entfernten sich die rüden Männer wieder. »Banditos!« zischte Naiche wütend und spuckte aus. Er spürte ruckartige Bewegungen am Seil, das ihn hielt. Cochise versuchte die Knoten durch Zerren und Rucken zu lockern. Es mißlang. Stunde um Stunde verging. Die Sonne war nicht mehr weit vom Zenit entfernt und näherte sich schnell ihrem Scheitelpunkt. Cochise sah umher und suchte verzweifelt und ebenso vergeblich nach einer Rettungsmöglichkeit. Ein paar Nager huschten auf Futtersuche vorbei, eine Klapperschlange wand sich raschelnd durch das zundertrockene
Unterholz. Von der Lagerstätte herüber toste das zynische Gelächter der entmenschten Banditen, und ihr Lachen, von den Vorstellungen über ihre Rache ausgelöst, hallte weit durch den Canyon. Knistern und kaum hörbares Knacken war in der Nähe des Baumes zu vernehmen. Die Chiricahuas hatten es gehört und verhielten sich still. Sie hielten sogar die Luft an, damit ihr keuchender Laut kein Geräusch verdeckte. »Cochise«, flüsterte es kaum hörbar. »Ich bin's, Cochise, der Falke.« »John«, hauchte Cochise. »Du bist es wirklich, John?« »Thomas Jeffords ist bei mir. Habt Geduld, wir befreien euch. Habt nur eine Sekunde Geduld.« »Warum wartest du und verlängerst unsere Qual, Falke?« »Nur eine Sekunde, eine winzige Sekunde«, erwiderte Haggerty zwischen den Yucca- und Diestelstauden. »Du wirst mich gleich verstehen.« Die Stimme war noch nicht verklungen, als ein mächtiges Getöse den Canyon erschütterte. Felsbrocken stürzten vom Canyonrand, hüllten das Lager in Staub und platzten am Canyonboden wie Granaten einer Feldhaubitze. Kreischendes Wiehern der Pferde, schrill vor Angst und Entsetzen, füllte den Canyon und löste ein Chaos unter den Banditen aus. Kopflos rannten sie umher, wichen rollenden Felsen aus und verloren die Orientierung völlig im wogenden Staub. Neben Cochise tauchte John Haggerty auf. Ein Messer zuckte zu den Fesseln, Körper glitten zu Boden, blieben nach Atem ringend liegen. Das Donnern und Prasseln stürzenden Gesteins nahm gleichermaßen zu, wie das Schreien der Pferde und Brüllen der Banditen in höchster Qual. Und als schließlich der Steinschlag aussetzte und dafür Schüsse von oben fielen, gab es für die Desperados kein Halten
mehr. Zu Pferd, zu Fuß oder kriechend, verließen sie den Kampfplatz und versuchten so schnell wie es nur ging den Canyonausgang zu gewinnen. John Haggerty kauerte neben dem Häuptling der Apachen, der unermüdlich seine Hand- und Fußgelenke rieb, um das gestaute Blut in Bewegung zu bringen. Cochise deutete nach oben. Der Staub hatte sich gelichtet. Man konnte deutlich den Canyonrand sehen und die Gestalt, die armschwenkend dort oben stand und Cochise zuwinkte. »Thomas Jeffords«, sagte Cochise. »Er handelte klug und weise.« Zusammen gingen sie zu der erkalteten Asche des Lagerfeuers und setzten sich wartend auf die Steine. Jeffords erschien nach kurzer Zeit und wurde von dem Häuptling mit Handschlag begrüßt. Kein Wort des Dankes, kein Lob floß über Cochises Lippen, als er sich neben Jeffords auf die flachen Steine setzte. John Haggerty eröffnete das Palaver nach Indianerart, das sich mehr in Gesten als in Worten ausdrückte. Er fragte: »Cochise ist auf der Jagd?« Cochise nickte, streckte seine Hand aus und schlug einen großen Bogen. »Ich jage Mörder und ging ihnen in die Falle. Der Falke und du, Thomas, habt mich gerettet. Cochise vergißt das nicht.« Einfach und schlicht klang Cochises Dank. Er sprach ohne Pathos, wie das sonst bei seiner Rasse üblich war. »Was taten die weißen Banditen?« »Sie töteten Männer, Frauen und Kinder meines Volkes. Sie werden durch meine Hand sterben und den Frevel sühnen. How!« Haggerty sah eine Chance, mit seinem Anliegen herauszurücken. Sie konnte zu keinem anderen Augenblick besser sein. Cochise litt noch unter der Schmach seiner Gefangennahme und würde bereit sein, John geduldig zuzuhören. Außerdem hatte er Jeffords zur Unterstützung an
seiner Seite. »Diese Mörder sind es auch, die den Telegraf und einsame Gehöfte überfallen, die Menschen massakrieren und die Schuld den Apachen in die Schuhe schieben. Aufruhr droht an der Grenze!« Cochise löste seinen Blick von der erkalteten Asche und sah John Haggerty an. »Dich schickt der einarmige General, Falke?« »Ich bin sein Bote«, antwortete John schlicht. Er wechselte einen Blick mit Jeffords, der Haggertys Zeichen verstand und sich in das Gespräch einschaltete. »Der Telegraf liegt auch mir am Herzen, Häuptling. Das Land braucht ihn, die Armee hat ihn dringend nötig, um Ruhe und Ordnung an der Grenze aufrechtzuerhalten, und ich brauche ihn ebenfalls dort oben am Paß.« Cochise lauschte dem Klang der Stimme und nahm die Worte in sich auf, ohne sich zu äußern. Er wartete, wartete auf das, was John Haggerty hinzusetzen und ergänzen würde. John war aber der bessere Taktiker und schwieg. Er wollte sich nach dem orientieren, was der Häuptling Jeffords antwortete und in welcher Form er seine Gedanken bloßlegte. Doch er sah sich getäuscht. Cochise schwieg und blieb auch stumm wie ein Fisch, als er begriff, wie der Falke taktierte. Tiefe Niedergeschlagenheit ergriff diesen großartigen Indianerhäuptling, der sich in diesem Augenblick über den Charakter des Telegrafs klar wurde. Die neue Taktik würde die Indianer in seinem Gebiet weiter eingrenzen und in die wilden Berge zurückdrängen, wo ihnen der gewohnte Lebensraum fehlte. Cochise sah die Dinge aus seiner Sicht und erkannte die andere Seite der Medaille nicht, die ihm von den Weißen angeboten wurde. Er fürchtete für seinen Stamm, für alle Indianer gemeinhin, und er war klug und weitschauend genug zu erkennen, daß der Telegraf den Untergang der roten Rasse
beschleunigte. John Haggerty, dem das Schweigen bereits peinlich wurde, machte eine vage Geste mit der Hand und setzte seine Erklärung fort. »Der Telegraf kommt allen Menschen in diesem Territorium zugute«, erklärte er mit ruhiger, sachlich betonter Stimme. »Er wird seine Tätigkeit nicht nur in den Dienst der Armee stellen, sondern auch für Zivilisten und sogar für Indianer da sein. Erkennst du die Vorteile für das ganze Land, Cochise?« »Ich sehe die Vorteile für die Langmesser, Falke. Sie können sich über weite Räume hinweg verständigen, Unterstützung anfordern und einen Kampf für sich entscheiden, während den Apachen nur ihre eigene Nachrichtenübermittlung bleibt.« Thomas Jeffords fühlte den Kloß in seinem Hals und seinen belastenden Druck auf den Kehlkopf. Er würgte und schluckte, und er wunderte sich, wie glatt Haggertys Worte über dessen Lippen flossen. John war ein Freund der Apachen. Wie Cochise sah er den Untergang der roten Rasse. Stets hatte er sich für die Indianer eingesetzt und für ihre Interessen gekämpft. War das plötzlich anders geworden? Haggerty riß sich zu einer Antwort zusammen, obwohl er die augenblickliche tiefe Verstimmung des Jefe fühlte. Er sagte: »Das mag aus deiner Sicht gelten, Cochise. Wir wollen im Augenblick nicht darüber diskutieren, wer den größeren Nutzen durch den Telegraf hat. Ich kann dir aber versichern, daß den Stämmen der Apachen durch den Telegraf kein größerer Schaden erwachsen wird.« John biß sich auf die Lippen und schwieg. Seine Antwort war taktisch unklug gewesen. Von Schaden hätte er nicht reden dürfen. Der hellhörige Indianer würde sofort einhaken und seine Argumente in die Waagschale werfen. Er hatte sich nicht geirrt. John sah es an dem mißtrauischen Augenausdruck Cochises, und in diesem Augenblick verfluchte er seinen Auftrag mitsamt dem General und dessem Sorgenkind: der Telegraf.
Cochise, ein Kind der Natur und nur oberflächlich mit den zivilisatorischen Errungenschaften der Weißen behaftet, zog seine Weisheiten und Erkenntnisse aus den elementaren Naturgesetzen und handelte entsprechend. »Schaden«, sagte er gedrückt. »Hatten die Apachen nicht schon genug Schaden durch das ständige Vordringen der Weißen, die so vielzählig wie die Sandkörner in den Flüssen sind?« Bevor sich Haggerty auf Cochises Worte eine Antwort zurechtlegen konnte, wurde er abgelenkt. Ein Warnschrei gellte durch den Canyon. John stand auf und bedeckte die Augen mit der Hand, um die grellen Sonnenstrahlen zu mildern. Naiche kam zu Fuß den Canyon heraufgejagt und winkte warnend. »Sie sind nicht fortgeritten«, schrie er, »sie sammeln sich!« John fragte: »Was haben die Kerle vor?« »Rache für die Niederlage wollen sie«, antwortete Naiche, dabei ging sein Atem nach dem schnellen Lauf ruhig wie vorher. Johns zweite Frage traf den Kern. »Greifen sie uns an?« Naiche deutete auf den Canyonrand. »Sie kommen über den Höhenrücken.« Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, fiel von oben ein Schuß. Thomas Jeffords zuckte zusammen und stürzte aufs Gesicht. Mit einem weiten Sprung war Haggerty bei ihm und drehte ihn auf den Rücken. Der Schock hatte Jeffords in tiefe Ohnmacht sinken lassen. Cochise übertrug die Abwehr seinem Sohn, der sich mit den beiden Kriegern auf den Weg machte, Deckung hinter einer Felsbarriere zu suchen und die Weißen mit ihren Gewehren unter Feuer zu nehmen. Inzwischen kniete Cochise neben Jeffords und riß ihm das Hemd über der Brust auf. Die Wunde blutete heftig. Die Kugel war unterhalb des rechten Brustbeins eingetreten und im Rücken wieder ausgetreten, ohne einen Knochen oder die Lunge zu
verletzen. »Wir müssen den Canyon verlassen, sonst stirbt er«, sagte Cochise zu Haggerty. »Ich nehme ihn auf mein Pferd.« »Er wird zuviel Blut verlieren«, erwiderte John und machte ein besorgtes Gesicht. »Wohin willst du ihn bringen?« »Er muß zu einem Medizinmann der Weißen gebracht werden«, antwortete Cochise. »Die nächste Stadt ist Pearce, Häuptling. In dem Schlammstraßen-Kaff wird es einen Doc geben. Ich weiß es aber nicht genau. Tombstone wäre besser, ist aber zu weit. Wir verbinden ihn erst einmal.« Minuten später waren Jeffords Wunden mit Kompressen versorgt. Eine breite Binde schlang sich um seine Brust und hielt das Blut zurück. Gemeinsam hoben sie den Ohnmächtigen zu Cochise aufs Pferd. Der Jefe steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus. Seine indianischen Begleiter deckten seinen Rückzug und feuerten pausenlos ihre Gewehre auf den rechten Canyonrand ab. John schwang sich auf sein Pferd und ritt im Galopp neben dem Häuptling her. Sie durchmaßen den Canyon und gelangten auf die Ebene zwischen den Dragoon- und den Chiricahua Mountains. Pearce lag genau im Osten, und wenn Jeffords die Strapaze des Rittes durchhielt, konnten sie die Ansiedlung in weniger als einer Stunde erreichen. * Als der Schlund der Main Street in Sicht kam, zügelte John seinen Dunkelbraunen. Er deutete auf die Stadt. Reger Verkehr floß durch ihre Straßen und staute sich in deren Zentrum. »Soll ich Thomas nicht allein zum Doc bringen? Ich könnte mir vorstellen, daß die Weißen an einen Überfall glauben und zu den Waffen greifen, wenn sie dich und deine Apachen sehen.«
»Cochise bringt seinen Freund persönlich zu dem weißen Medizinmann«? antwortete Cochise bestimmt. Er gab dem hinter ihm reitenden Naiche Befehle und spornte sein Pferd wieder an. Die Apachen blieben zurück und machten sich unsichtbar, während John Haggerty damit rechnete, wegen Cochise mit den Stadtbewohnern Schwierigkeiten zu bekommen. Sie blieben auf der Straßenmitte und beobachteten die Menschen auf den Gehsteigen. Sie blieben mit offenen Mündern stehen und glotzten schweigend auf den seltsamen Reitertrupp. Nicht der Weiße und der Verwundete interessierte sie, das sahen sie alle Tage. Der hochgewachsene Indianer mit seiner majestätischen Haltung tat es ihnen an, und sie fragten sich im stillen, wer die Rothaut wohl war. An der Hauptstraße erkannte John das Türschild des Arztes. Er lenkte sein Pferd zum Halfterbalken und stieg aus dem Sattel. Zusammen trugen Cochise und Haggerty den bewußtlosen und vom Blutverlust geschwächten Jeffords ins Haus. Doc Keith Hampton kam ihnen im Korridor entgegen und riß die Tür zu seinem Ordinationsraum auf. Er brauchte eine geraume Weile, um den Schock über den Anblick des Apachen zu überwinden. John machte nicht viel Umstände. Er wies sich aus und berichtete dem Arzt, was passiert war. Doc Hampton nickte, deutete auf den Operationstisch und sagte: »Legen wir ihn hier drauf, Mr. Haggerty. Hmhmm … Hätten Sie den Indianer nicht draußen lassen können? Sein Anblick macht mich ganz nervös.« »Sie brauchen keine Angst zu haben«, erwiderte Haggerty. »Cochise, der Häuptling der Apachen, tut Ihnen gewiß nichts zuleide.« »Oh, das ist Cochise?« Hampton setzte seinen Kneifer zurecht und starrte den Jefe wie ein Fabelwesen an. Als ihn Cochise fixierte, senkte er den
Blick und machte sich an der durchbluteten Kleidung Jeffords zu schaffen. Als er die Wunde freilegte, pfiff er leise durch die Zähne. Cochise stand mit einem einzigen langen Schritt bei ihm und umklammerte seinen Arm. Seine Stimme kam tief aus der mächtigen Brust und grollte: »Wie steht es um meinen Freund Thomas? Wie schlimm ist es?« »Wenn wir eine Blutvergiftung abwenden können, wird er überleben. Aber die Wunde sieht gefährlich aus, Sir.« Cochise kannte die Anrede der Weißen, wenn sie einen anderen ehren wollten. Er zuckte mit keinem Lid und tat so, als sei er es gewohnt, mit Sir angeredet zu werden. Er hielt dem Doc die Faust unter die Nase. »Heile meinen Freund, Medizinmann. Du wirst von dem Häuptling der Apachen reich belohnt werden. Stirbt er, wirst du durch diese Hand sterben. Adios!« Er drehte sich herum und verließ lautlos das Zimmer. Doc Hampton warf Haggerty einen verstörten Blick zu und murmelte mit gerungenen Händen: »Ich kann nicht dafür garantieren, Mr. Haggerty, daß ich ihn über die Runde kriege. Der Schußkanal sieht nach einem einsetzenden Wundbrand aus. Nein, ich kann nicht für die Erhaltung seines Lebens garantieren. Wird die Armee mich vor diesem Wilden beschützen, wenn er mir unter den Händen stirbt?« So makaber die Worte des Arztes in seinen Ohren klangen, John mußte lächeln. Dieser Wilde hatte Keith Hampton gesagt, und die nackte Angst hatte aus ihm gesprochen. Wenn Cochise ein Wilder war, dann mußte Haggerty sich selbst als Urzeitmensch betrachten. »Fangen Sie an!« befahl er barsch, um einer weiteren Diskussion um Leben oder Tod zu entgehen. Er ging zu einem Stuhl an der Wand und setzte sich.
Der Arzt desinfizierte den Wundkanal. Durch den scharfen Schmerz klappte Thomas Jeffords die Augen auf und stieß ein schmerzgeplagtes Stöhnen aus. Aber sofort danach fiel er wieder in Ohnmacht. Doc Hampton verband den Durchschuß und wusch sich die Hände. Mehr konnte er nicht tun. »Wenn er über die Schwelle geht, bringt mich der Apache um«, sagte er mürrisch. »Das hat man nun davon, wenn man den Menschen hilft.« John winkte ab. Er stand auf und ging zum Tisch. Thomas hielt die Augen geschlossen, atmete aber tief und ruhig. »Sie sagen nichts«, jammerte der Arzt weiter, und sein Tonfall klang nun nörgelnd. »Ich kann nicht mehr für ihn tun als die Wunde zu reinigen und zu verbinden. Warum haben Sie den Verletzten nicht zu einem Medizinmann der Apachen gebracht?« »Weil er ein Weißer ist«, antwortete Haggerty. »Trauen Sie den Medizinmännern der Wilden, wie Sie sagten, mehr zu als Ihrer ärztlichen Kunst?« Doc Keith Hampton schnappte nach Luft und senkte beschämt die Augen. »Tut mir leid, Sir. Das war selbstverständlich nicht so gemeint.« »Was fangen wir mit dem Verwundeten an?« lenkte John vom Thema ab. »Können Sie ihn hier in Ihrem Haus behalten?« Hampton zögerte kurz, schließlich nickte er. John Haggerty ahnte, was den Arzt zu dem Zögern veranlaßt hatte. »Um das Honorar brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Die Butterfield Mail kommt für alle Kosten auf, darauf können Sie sich verlassen. Außerdem machte Cochise Ihnen ein Angebot, das sich sehen lassen kann.« »Cochise? Die Apachen haben doch kein Geld.« »Aber Gold«, sagte John schnell. »Sie haben davon so viel, daß sie das ganze verdammte Drecksnest hier mit Nuggets
kaufen könnten, die Bewohner eingeschlossen.« Dr. Keith Hampton warf John einen unsicheren Blick zu und schüttelte den grauhaarigen Kopf. »Es geht mir nicht um Geld, Sir, sondern um die Vorurteile, die die Leute meinem Verhalten gegenüber an den Tag legen werden. Ein Apache in meinem Haus … Das ist ungefähr so, als hätte ich Aussätzige hier beköstigt.« John Haggerty wandte sich angewidert ab. An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Cochise und ich kommen heute abend wieder. Pflegen Sie diesen Mann gut, Doc, oder der Jefe macht seine Drohung wahr.« Er verließ das Zimmer und schloß leise die Tür hinter sich. Als er aus der Haustür trat, stieß er auf Cochise, der an der Wand lehnte und mit untergeschlagenen Armen auf die Menschenmenge starrte. Wohlweislich hielten sich die Gaffer auf dem gegenüberliegenden Gehsteig auf und kamen aus Furcht vor dem Apachen nicht über die Straße. »Reiten wir«, sagte Haggerty und ging zu seinem Pferd. * In der Abenddämmerung war die ganze Stadt auf den Beinen. Die Menschen bevölkerten die Gehsteige und die obere Straßenhälfte, und sie stierten und gafften, als gäbe es ein Weltwunder zu sehen. Es war dunkel geworden, als Haggerty und der Apache in die Stadt ritten. John machte nicht viel Umstände und trat ohne anzuklopfen ein. Thomas Jeffords lag mit offenen Augen auf der Pritsche und sah ihnen entgegen. John stellte sich links vom Operationstisch auf, Cochise rechts. Beide ergriffen die Hände des Verwundeten. »Du wirst wieder gesund werden, Rotbart«, sagte Cochise mit
Freundlichkeit in der Stimme. Jeffords Gesicht hatte wieder Farbe und sah nicht mehr krankhaft gelb aus wie am Nachmittag. Er nickte. »Klar werde ich. Der Doc tut für mich alles, was in seiner Macht steht. Eine Infektion ist nicht mehr zu befürchten. Du willst hinter den Mördern her, Cochise, ich weiß es. Reite, ich komme schon zurecht.« Abrupt ließ der Apache Jeffords Hand los und ballte grimmig die Hände. »Ich werde sie zermalmen, Rotbart! Das verspreche ich dir…« »Jefe«, unterbrach ihn Jeffords mit ruhiger Stimme. »Jefe, hast du darüber nachgedacht, was der Falke dir über den Telegraf sagte? Das Land braucht den Draht. Beschütze ihn mit deinem Herzblut und halte alle Störungen von ihm fern. Ich, dein Freund, bitte um dein Verständnis …« Thomas Jeffords schloß die Augen und schlief ein. Cochise und Haggerty wechselten einen Blick und gingen schweigend hinaus. Im Korridor begegnete ihnen der Arzt. »Er wird durchkommen«, sagte er hastig, als er einen Blick in das grimmige Gesicht des Chiricahua warf. »Ganz bestimmt, er wird es schaffen, das Fieber ist zurückgegangen.« Cochise trat nahe an den Arzt heran und legte ihm seine Hand auf die Schulter. Mit sonorer Stimme sagte er: »Mache ihn gesund, Bleichgesicht, ich werde dich belohnen, wie noch kein Weißer von mir belohnt wurde. Cochise wird tief und ewig in deiner Schuld stehen.« Er ließ den verblüfften Arzt stehen und verließ das Haus. John folgte ihm mit einem Augenzwinkern. Ohne die Menschentrauben zu beachten, stiegen sie auf ihre Pferde und ritten aus der Stadt. Draußen im Badland stießen sie auf Naiche mit den beiden Kriegern. Cochise wandte sich sofort an seinen Sohn. »Du hast die Spuren der bleichgesichtigen Mörder verfolgt. Wohin sind sie geritten, Naiche?«
Naiche deutete nach Süden. »Sie sind in der Stadt, die die Weißen Gleeson nennen.« »Wir reiten hin«, sagte John Haggerty sofort. Cochise gab keine Antwort. Er wendete sein Pferd nach Süden und ritt wortlos an. Als sich die Sonne dem Großen Ozean zuneigte, sahen sie die Ansiedlung in der Ebene liegen. Auf einem Hügel zügelte Cochise seinen Pinto und starrte finsteren Blickes auf die Häuser, die von hier oben aus wie Bausätze aus einem Spielkasten wirkten. Dort unten war kein ständiges Kommen und Gehen wie in Pearce. Die Ansiedlung wirkte verschlafen und menschenleer. Die scharfen Augen der Apachen sahen Pferde vor den Hitchrails einiger Saloons und einen hochbeladenen Frachtwagen, der von sechs stämmigen Pferden aus der Stadt nach Norden rollte. »Wenn es dunkelt, reiten wir hinab«, sagte der Häuptling zu John Haggerty. John runzelte die Stirn. »Wie denkst du dir die Sache, Jefe? Du kannst keine weißen Männer in einer Stadt festnehmen, die von Weißen bewohnt wird. Die Einwohner werden sich auf die Seite der Banditen schlagen und ihnen helfen.« Cochise neigte den Kopf mit dem breiten Apachenstirnband. Wortlos stieg er vom Pferd und zerrte es in die Deckung hinter dem Hügel. »Auch Krieger müssen essen, Falke. Du und ich, wir beide werden hinuntergehen.« Sie packten ihre Proviantbeutel aus und begnügten sich mit einer kalten Mahlzeit. Ein Feuer zu entfachen, konnten sie nicht wagen, weil sie der Rauch wahrscheinlich verraten hätte. So saßen sie im Kreis und warteten auf den Sonnenuntergang. Naiche hielt sich mit den Kriegern im Hintergrund auf. Wenn er auch ein Häuptlingssohn war, so konnte ihm durch den Stammesführer immer nur eine kurzzeitige Rolle übertragen werden.
John las trotz der anbrechenden Dunkelheit Sorgen und Kummer in Cochises Gesicht. Machte sich der Chief Gedanken um Thomas Jeffords? Er kannte die Verbundenheit und die Freundschaft zwischen den beiden Männern und achtete sie deswegen um so mehr. Die ersten Sterne erschienen blaß und ohne Leuchtkraft am Firmament. Cochise stand unvermittelt auf und legte die Hand um den Messergriff. »Falke, bist du bereit?« »Ich bin es«, antwortete Haggerty und stand auf. »Wir gehen bewaffnet«, fuhr Cochise in seiner schlichten Art fort, die nur wenig Pathos kannte. »Und wir lassen die Pferde hier.« »Einverstanden, Jefe.« Lautlos versackten sie in der Dunkelheit, die wie ein schwarzer Teppich den Hügelhang heraufkroch. Fledermäuse taumelten zirpend durch die Nacht, verfolgt von Nachtfalken, die sich mit schrillen Schreien Signale gaben. Das Karussell des Jagens und Gejagtwerdens hatte begonnen. Sie brauchten mehr als eine halbe Stunde, um in Stadtnähe zu gelangen. Wie schleichende Panther pirschten sie sich an. Von der Main Street her dröhnten die Orchestrions, Lachen geschminkter Frauen und das satte, röhrende Brüllen betrunkener Männer. John und Cochise begingen nicht den Fehler, über die Hauptstraße in die Stadt einzudringen und Kneipe für Kneipe abzukämmen. Sie orientierten sich nach dem lautesten Geschrei und schlichen an der Rückfront der Häuserzeile entlang zu dem lautesten Tingeltangel. Lautlos überquerten sie Baulücken und Seitenstraßen, die ins Freie führten, und sie hielten sich stets im Schlagschatten der Häuser und verständigten sich gegenseitig mit Gesten. Der Saloon, den sie ansteuerten, mußte bis auf den letzten Platz besetzt sein. Der Musikautomat hämmerte den neuesten
Gassenhauer in die Nacht und übertönte die geringfügigen Geräusche, die die beiden Freunde machten, wenn sie im Dunkeln gegen Flaschen und Büchsen stießen. Neben einem Holzstapel blieben sie stehen und beobachteten die Hinterfront des zweigeschossigen Hauses. Es hatte zwei Fenster und eine Hintertür, aber vor den Fenstern lagen schwere Läden mit Innenverriegelung. »Wir müssen auf die Straße«, hauchte John. »Nur von dort aus ist was zu erkennen.« »Was erkennen?« »Den Saloon, in dem sie sich aufhalten.« »Du willst die Schnapsbude betreten?« »Ich will herausfinden, wo sie sind.« »Das kannst du nur, wenn du hineingehst.« »Nicht unbedingt. Sie sind zu acht, also müssen logischerweise acht Pferde am Hitchrail stehen. Sehen wir acht Pferde, dazu staubbedeckt, haben wir die Kerle gefunden.« Cochise wiegte den Kopf. »Zu gefährlich«, flüsterte er. »Wenn wir entdeckt werden, haben wir die ganze Stadt auf dem Hals.« »Ohne Risiko kein Erfolg. Du bleibst hier und deckst mir den Rücken.« »Cochise wird mitkommen. Es ist zu gefährlich für einen einzelnen Mann. Diese Mörder sind keine Kämpfer, sondern Heckenschützen. Cochise kommt mit!« Die letzten Worte hatte er grimmig und laut hervorgestoßen, für Haggertys Geschmack zu laut. Er erschrak und ergriff den Häuptling beim Arm. »Pst«, sagte er eindringlich. »Nicht so laut, Jefe, irgendwer könnte uns hören.« »Gehen wir.« Bevor John begriff, was der Häuptling wollte, war er schon fort. Die Seitenstraße, durch die sie eilten, war mit Unrat knöcheltief bedeckt. Es knirschte, schepperte und klirrte bei
jedem Schritt. Unbemerkt gelangten sie auf die Hauptstraße. Eine Straßenbeleuchtung gab es nicht. Vor einigen Häusern brannten gelbe und rote Lampen und warfen farbige Lichtpunkte auf die Gehsteige, das war die ganze Beleuchtung. Im übrigen verließ man sich während der Nacht auf das Sternenlicht. Im Dachschatten eines Vorbaues blieben John und Cochise stehen. Mit brennenden Augen starrten sie in die Dunkelheit und wunderten sich über die Leblosigkeit der Main Street. »Dort drüben«, flüsterte John heiser. Seine Hand deutete auf eine Stelle vor der falschen Fassade eines zweistöckigen Hauses. Cochise hatte die Pferdegruppe längst gesehen und nickte. Es war das gleiche Gebäude, dessen Hinterfront sie belauert hatten. Beide wurden von den harten Schritten eines Mannes abgelenkt, der den Gehsteig heraufkam und Blicke nach allen Seiten warf. Auf seiner Brust funkelte ein metallisch glänzender Stern. John Haggerty neigte sein Gesicht zu Cochise und flüsterte: »Der Town-Marshal, er macht seine Abendrunde. Sei still.« Ein flüchtiges Lächeln glitt über die braunen Züge des Apachen. Als wenn er das nicht selbst gewußt hätte. Der Marshal verschwand weiter unten in einem Saloon und kam in den nächsten Minuten nicht wieder zum Vorschein. »Ich husche hinüber, Chief. Gib auf meinen Rücken acht.« Fort war er. Sekundenschnell überquerte er die Straße und duckte sich in den Schlagschatten einer Veranda. Als er den Kopf vorsichtig anhob, las er das Schild: BEAN & BROTHER. STORE AND HARDWARE. Bean und Bruder schliefen jedenfalls selig, denn alles war dunkel und still im Store. John huschte wie eine riesige Kröte weiter, Licht und Lärm entgegen. Bei den Pferden angekommen, richtete er sich auf und sprach halblaut zu den Tieren. Einem stämmigen Braunen strich er über die Kruppe. Staub haftete an seiner Hand. Staub mit dem Schweiß des Tieres
verklebt, bildete eine dicke Schmutzschicht auf dem Tierfell. »Armer Kerl«, murmelte der tierliebende Haggerty. »Nicht mal zu saufen haben sie euch gegeben.« Das Pferd blickte ihn aus großen, feuchten Augen an, als verstünde es das Mitgefühl des Mannes. John kam nicht dazu, zur Saloontür zu huschen und einen Blick über die geschweiften Eselsbrücken der Pendeltüren zu werfen. Weiter unten auf dem Gehsteig wurde es turbulent. Der Marshal war es, der die lautstarke Unruhe auslöste. Er schob einen Betrunkenen durch die Tür des Saloons und hielt ihn an der Wand fest. Ununterbrochen beschwerte sich der Mann und beteuerte seine Unschuld. Was er getan oder nicht getan haben sollte, verstand John nicht. In diesem Augenblick fing der Betrunkene wieder laut an zu zedern. »Marshal, was fällt dir ein? Ich hab' nichts getan, weswegen du mich den Genüssen des Lebens fernhalten könntest. Gar nichts habe ich getan! Mann, Blechstern, ich habe hundert grünschimmelnde Eintrittskarten zu den Freuden und Annehmlichkeiten dieser sündigen freien Welt in der Tasche und möchte sie in Whisky umsetzen. Laß mich los, du hirnverbrannter Trottel!« »Halt's Maul!« brüllte der Marshal wütend. »Du hast dem Rancher Billings das Geld geklaut.« Die Stimmen wurden deswegen leiser, weil sie sich entfernten. Der wütende Marshal zerrte den Betrunkenen am Kragen seiner Jacke in Richtung Gefängnis und verschwand mit ihm hinter einer massiven Eichenholztür. Es wurde wieder still. Nun wagte es John Haggerty. Er glitt unter einem Pferdehals hindurch, stieg hinter dem Halfterbalken wieder zur vollen Höhe empor und war mit einem einzigen Sprung auf der Veranda. Die Schwingtür erreichte er mit einem weiteren Schritt. Wie er gedacht hatte, der Saloon war randvoll. Blauer Tabakqualm drang durch die Tür und gleichzeitig ätzend in
seine Lungen. Mit Mühe unterdrückte er ein Husten. Nach einem schnellen Blick zog er seinen Kopf wieder zurück und wartete Sekundenbruchteile. Ein zweiter Blick zeigte ihm den Standort der Gesuchten, die an der Theke standen und gewaltige Reden schwangen. Besonders ein Mann tat sich hervor: Samuel High. High gestikulierte gerade mit beiden Händen, stieß seinen Stetson aus der Stirn und rief im Befehlston: »Noch ein Bier und einen Schnaps für jeden, dann geht's weiter nach Tombstone! Männer, warum sollen wir in diesem elenden Kaff versauern, wenn wir in Tombstone alles kriegen, was wir haben wollen?« Seine Männer johlten und klopften sich gegenseitig auf die Schultern vor Begeisterung. »Auf nach Tombstone!« heulten sie im Chor. John Haggerty hatte genug gehört. Wie ein Wiesel huschte er über die silberglänzende Straße und tauchte neben Cochise in den Schatten. »Sie reiten in etwa einer Stunde weiter nach Tombstone«, erklärte er Cochise. »Was tun wir? Sie hier in der Stadt anzugreifen, rate ich nicht.« »Warum nicht?« »Es sind immerhin acht Männer, und sie haben eine Menge Freunde in Gleeson. Das würde für uns gar nicht gut aussehen, Jefe.« Härte war in Cochises Augen zu sehen. Seine Hand umklammerte den Messergriff. John bemerkte, daß er sich nur mühsam beherrschte. So nahe war er den Mördern seiner Sippe, und sie waren dennoch so weit entfernt und unerreichbar für ihn. »Ich würde auch gern wissen, welche Schandtaten sie für die nächste Zeit planen. Deine Rache ist dir sicher, Chief. Sie läuft nicht davon, und wenn du dich ein wenig geduldest, bis wir alles wissen, wäre ich dir sehr dankbar.« Stumm neigte der Apache den Kopf und bekundete seine
Zustimmung. Sie brauchten nicht lange zu warten. Tombstone zog die Banditen an wie ein Magnet Nägel. Tobend kamen sie aus dem Saloon und schwangen sich in die Sättel. Als sie im Galopp über die Main Street nach Westen preschten, zählte John Haggerty sieben Reiter. Ein Pferd stand noch beim Hitchrail. Sein Reiter, es war Murry Gutman, löste den Zügelknoten und wollte das Tier besteigen. Er hatte jedoch Schwierigkeiten durch den vielen Alkohol, den er in sich hineingeschüttet hatte. Als er endlich seinen Fuß in den Steigbügel brachte und sich hochziehen wollte, war es für ihn schon zu spät. Der Häuptling der Chiricahuas stürzte sich auf ihn und riß ihn zu Boden. Bevor Murry auch nur ahnte, was mit ihm geschah, traf ihn ein knallharter Schlag gegen die Schläfe und trieb ihn einen Zoll tiefer in den Straßenschmutz. Murry Gutman verdrehte die Augen und wurde ohnmächtig. Was noch folgte, ging schnell. Cochise hob ihn hoch und legte den Bewußtlosen quer über den Sattel. Mit Murrys eigenem Lasso band er ihm Hände und Füße zusammen. John hatte Cochise nicht zurückhalten können. Selbst wenn er es vorgehabt hätte, wäre es ihm nicht mehr gelungen. Der Häuptling war schneller weg als ein Blitz und mit ein paar langen Sprüngen auf der anderen Straßenseite gewesen. Sie verließen die Stadt, das fremde Pferd am Zügel. Der Rückweg dauerte diesmal länger, weil sie auf die Banditen achten mußten, die irgendwann ihren Kumpan vermissen und nach ihm suchen würden. Fast nach einer Stunde Fußmarsch stießen sie auf die Apachengruppe. Naiche trat ihnen in der Dunkelheit entgegen, das Gewehr in der Armbeuge. Er sagte nur ein einziges Wort, aus dem seine tiefe Befriedigung klang. »How!« Cochise übergab Pferd und Reiter den Kriegern. Er sah sich von der Hügelkuppe aus um, warf einen langen Blick nach Westen und nickte befriedigt.
»Zuviel Tizwin, nun betrunken«, sagte er. »Sie merken nicht einmal, daß einer fehlt.« John lachte und setzte sich auf einen Stein. »Was willst du mit dem Gefangenen anfangen, Häuptling?« »Er kommt an den Marterpfahl.« »Was? Willst du den Kerl töten?« Aus Johns Stimme drang Unglauben. »Meine Krieger martern ihn, bis sein Geist den häßlichen Körper verläßt.« John schickte einen Blick zu dem Gefangenen. Der Mann war inzwischen wieder bei Bewußtsein und hielt seinen Kopf erhoben. Cochises sonore Stimme kam kalt wie Eis aus der Dunkelheit. »Ich reiße ihm den Skalp bei lebendigem Leib vom Schädel, Falke, und seine Stücke werfen wir den Bussarden zum Fraß vor.« John konnte ein Lachen kaum noch unterdrücken. Cochise spielte den blutdürstigen Wilden, um den Kerl einzuschüchtern und willfähig zu machen. Er stieß Drohungen aus, die ihm sonst nie über die Lippen gekommen wären. Im hinteren Teil eines Hügeltales flackerte ein von Naiche entfachtes Feuer. Von der Stadt aus konnte man es nicht sehen, weil sich ein schmaler Streifen von Tamarisken dazwischenschob. John Haggerty erhob sich. Er ging zu der Lichtquelle. Der Gefesselte warf ihm einen verzweifelten Blick zu und sprach ihn an. »Sir! Ich hörte, was die verdammte Rothaut sagte. Dulden Sie die Marterung eines Weißen? Ich bitte Sie um alles in der Welt, retten Sie mich!« John gab keine Antwort und ging seelenruhig weiter. Cochise war ihm gefolgt und ließ sich auf eine ausgebreitete Decke nieder. Mit untergeschlagenen Beinen saß er geraume Zeit bewegungslos. Schließlich hob er den Kopf und sagte laut: »Wenn der Mond aufgeht, kommt der Mörder an den
Marterpfahl!« * Keiner der sieben Banditen merkte, daß das achte Bandenmitglied fehlte. Im Morgengrauen ritten sie in Tombstone ein und verteilten sich auf ihre Quartiere. Samuel High brachte sein Pferd persönlich in den Mietstall, rieb es ab und gab ihm Wasser und Futter. Sattellahm ging er anschließend über die Allen Street zum Black Devil Saloon. Er war an der Fremont Street etabliert, in der die meisten Geschäftsbetriebe und die Handelsniederlassungen lagen. Sam High wechselte die Richtung, ging die Fourth Street entlang und bog in der Fremont Street rechts ab. Er fluchte mürrisch über den Unrat und den Staub auf der Straße. Als im Papago Cash Store in seinem Rücken die ersten Lichter angingen und vor Bauers Union Market ein Frachtwagen vorfuhr, der beladen werden sollte, öffnete Sam die Schwingtür zum Black Devil und tauchte in der Halbdämmerung des Saloons unter. Es roch schal nach Bier, Fusel, billigem Parfüm und Tabak. Hinter der Bar brannte eine einsame Ölfunzel. Sam ging breitbeinig zum Tresen, hieb mit der flachen Hand auf die Glocke, daß der Ton wimmernd durch das Haus fuhr. Schlurfende Schritte wurden laut. »Gottverdammich, hat man nicht mal am frühen Morgen Ruhe vor euch versoffenen Lumpen?« Ein Vorhang teilte sich. Aus einem Nebenraum kroch wie eine riesige Kröte ein Mann heran, der nicht nur so aussah wie eine Amphibie, sondern auch ganz die Art dieser schleichenden Wesen angenommen hatte. Sein finsteres Gesicht bekam Glanz wie durch Sonnenschein, als er Samuel High erkannte.
»Du, Sam? Dich hätte ich bestimmt nicht am frühen Morgen erwartet. Wie geht's, altes Haus?« »Es macht sich, Lester. Mühselig ernährt sich ein Eichhörnchen. Bin ich in deinem Haus nicht willkommen?« »Bist du. Bist du immer, Sam. Drink?« »Whisky und ein Bier. Bin so trocken wie die Wüste, aus der ich komme. Gibt's was Neues in der Town?« »Wie lange warst du weg?« »Zwei Wochen. Zwei beschissene Wochen, Bucko, das kann ich dir sagen.« »Was sollte sich in zwei Wochen in diesem miesen Kaff schon ereignen? Jede Nacht dasselbe. Sie besaufen sich, bekommen Streit, und dann schlagen sie mir alles kurz und klein. Ein Hundeleben ist das, sage ich dir. Wenn nicht hin und wieder mal ein paar Blaubäuche hereinkämen und für Volksbelustigung sorgten, wäre es hier nicht zum Aushalten.« »Blaubäuche? Wie kommen die hierher?« »Zwei Züge Dragoner sind neuerdings in Tombstone stationiert. Sie sollen die Western Union bewachen und die fertiggestellte Telegrafenleitung sichern. Ich mag sie nicht. Aber was soll ich tun? Bevor ich vor Wut ständig in Stuhlbeine beiße, gebe ich ihnen, was sie haben wollen.« »Verständlich«, sagte Sam. »Die Jungs können nichts dafür, daß sie in der Wüste von Arizona stationiert sind. Ich bin müde, hast du ein Zimmer frei?« Sam nahm einen langen Schluck aus dem Bierglas und kippte den Whisky hinterher. Lester Bone machte eine abwehrende Geste. »Ich habe nur vier, Sam, das weißt du doch. Und alle vier Räume im Obergeschoß sind von den Girls belegt. Wenn du bei einer schlafen willst, ist das deine und ihre Sache.« »Okay, Bucko. Ist Isabell y Gama noch bei dir?« »Zweites Zimmer rechts. Aber vorsichtig, die beißt.« High lachte, winkte ab, warf zwei Quarter auf die Nickelplatte
und ging durch die Hintertür zum Korridor und zur Treppe nach oben. Der Gang war um diese Stunde unbeleuchtet. Samuel High machte nicht viel Umstände, stieß die Tür mit einem Ruck auf und trat ins Zimmer. Es war dunkel, roch nach Parfüm und Puder und sah nicht sehr geräumig aus. Das Bett seitlich neben dem Fenster stellte neben einem schmalen Schrank, Tisch und zwei Stühlen, fast das ganze Mobiliar dar. Es gab noch einen Waschständer aus emailliertem Eisen und eine Wäschekommode. Sam tastete sich zur Lampe auf dem Tisch. Ein metallisches Klicken ließ seinen Fuß stocken. »Wer bist du, Bastard, und was willst du?« »Schlafen, nichts als schlafen. Amüsieren können wir uns während der nächsten Nacht.« »Samuel High! Großer Gott, du bist wieder im Lande? Laß das Licht aus, ich habe nichts an.« High lachte. »Das hast du doch nie im Geschäft. Außerdem: so sehe ich die Mädchen am liebsten. Nackt, wie Gott sie erschaffen hat, ein Tablett mit Whisky in den Händen und einem freundlichen Lächeln unter der Puderschicht.« »Sam, du bist ein Zyniker. Pfui, wie du stinkst. Wie ein alter Ziegenbock in der Brunft. Du kannst dort auf dem Teppich schlafen, wenn's dir nichts ausmacht. Ins Bett kommst du erst nach einem ausgiebigen Vollbad. Gute Nacht, ich bin todmüde.« High lachte, legte seinen Revolvergurt ab und die Kleidung. In seiner roten Unterwäsche legte er sich auf den Navahoteppich und schlief sofort ein. * Die helle Sonne des Vormittags weckte ihn, und der Lärm, der von der Straße und aus dem Saloon drang. Isabell schlief noch. High stand auf, kleidete sich an und verließ das Zimmer. Der Schankraum war halb gefüllt mit Durstigen.
An einem Tisch saßen sechs Dragoner, die sich die Bäuche mit Bier füllten. Junge Kerle noch, denen die Uniform ausgezeichnet stand. Einer davon, ein Corporal, führte das große Wort. High stellte sich an den Tresen und bestellte bei Lester ein ausgiebiges Frühstück. Bone deutete auf einen freien Tisch und brummelte durch seine Zahnlücke: »Kommt gleich, Bucko. Setz dich so lange auf deinen Hintern.« »Kennt ihr schon den neuesten Gag von Rich Barton, dem Jüngsten unserer Schwadron?« »Nein, nichts gehört«, erwiderte ein Dragoner und feixte. Anscheinend wußte er, was kam, »Erzähle, Cop!« Der Corporal setzte sich in Positur und machte es recht spannend. Er streckte die Brust heraus, die staubigen Dragonerstiefel weit unter den Tisch. »Hört zu, Boys, was sich dieser Affensteiß von einem Helden der U.S. Army einfallen ließ … Geht der Kerl doch zum Feldscher und meldet sich krank wegen seiner tierischen Eigenschaften. ›Doc, sagt er, ich muß krank sein. Am Morgen bin ich müde wie ein Hund, am Mittag gefräßig wie ein Wolf und am Abend munter wie ein Fisch. Was ist mit mir los?‹« »Und?« klang es im Chor. »Weiter!« »Der Doc untersuchte ihn, schüttelt den Kopf und antwortet: ›Das sind nur drei tierische Eigenschaften, die Sie aufzählten, mein Lieber. Ich erkenne aber fünf‹.« »Mensch, Cop, mach doch weiter! Spanne uns nicht zu sehr auf die Folter!« Unter dem Gelächter der Soldaten fuhr der Corporal fort: »›Davon weiß ich noch nichts, Doc‹«, sagt dieser dämliche Holzkopf von einem Pferdeschinder. ›Was ist es denn? Was Schlimmes?‹« »Weiter, Mann!« »Also, der Feldarzt zuckt mit den Achseln und erklärt:
›Morgens müde wie ein Hund, mittags gefräßig wie ein Wolf und abends munter wie ein Fisch, dazu sind Sie noch dreckig wie ein Schwein und stinken wie ein Fuchs in der Regenzeit. Hauen Sie schnell ab, bevor ich Ihnen Beine mache!‹« Das einsetzende frenetische Gebrüll ließ die Fensterscheiben zittern und erstickte jeden anderen Laut. Das Gelächter wollte nicht aufhören und riß selbst die anwesenden Zivilisten mit. Selbst Sam konnte sich ein schwaches Grinsen nicht verkneifen. Sein Essen kam, dazu ein volles Glas Bier. Lester Bone kam nach einer Weile herangeschlürft und setzte sich ungefragt an den Tisch. »Erfolgreich gewesen, Sam?« »Mäßig, kaum der Rede wert. Ist in Tombstone nichts zu machen?« »Scheint mir im Augenblick nicht ratsam. Die Armee ist überall. Die ständigen Überfälle auf die Telegrafenlinie wirbeln viel Staub auf. Laß die Finger von der Bank, das ist der beste Rat, den ich dir geben kann.« »Danke, ich werde auf dich hören.« »Was machst du nach dem Frühstück, Sam?« »Ein Bad nehmen, mich neu ankleiden und im Anschluß daran einer Dame namens Isabell y Gama meine Aufwartung machen. Damit ist der Tag und auch die Nacht ausgefüllt.« »Okay, wir reden heute abend weiter. Kommst du zu einem Spielchen herunter?« »Werd's mir überlegen.« Er stand auf, schob den leeren Teller zurück und verließ den Saloon. * Der Mond stand eine Handbreit über den Höhenrücken und machte die Nacht zum hellen Tag. Rund und voll blickte er mit seinem mildesten Lächeln auf den Baum, an dessen Stamm ein Mann stand und seine Angst laut und gellend herausschrie:
»Mister, Sie sind doch ein Weißer wie ich! Können Sie es zulassen, daß mich Ihre roten Freunde hier eiskalt abmurksen?« John Haggerty gab keine Antwort und beschäftigte sich mit dem Verzehr eines mächtigen Stück Bratenfleisches, das an einem Holzspieß über der offenen Flamme gegart worden war. Er tat so, als ginge ihn das alles nichts an. Cochise stand auf und gab einen Befehl an die Krieger, der sie rasch auf die Beine brachte. Sie stellten sich zehn Schritte vor dem Palo Verde entfernt auf, ihre Messer in den Händen. Naiche wartete abseits und gesellte sich schließlich zu Haggerty. »Nagelt ihm die Ohren fest!« befahl Cochise mit lauter Stimme. Die Krieger warfen ihre Klingen haarscharf neben Gutmans Kopf in den Stamm. Sofort hatten sie neue Messer zwischen Daumen und Zeigefinger. Gutman brüllte, als sei er bereits zu Tode getroffen, dabei hatten die Wurfmesser seine Haut nicht mal berührt. »Die Schultern ++ hier und hier!« Cochise deutete die Stellen mit ausgestreckter Hand an. Wirbelnder Tanz der Messer im hellen Mondlicht. Sie nagelten Gutmans Jacke und Hemd über die Schultern in den Stamm, verletzten ihn aber wieder nicht dabei. Apachen waren absolute Könner mit der langen Klinge und konnten damit meisterlich umgehen. »Aufhören!« heulte Gutman im schrillsten Diskant. »Aufhören, ich will alles sagen! Nur aufhören mit der Marterung!« Bis jetzt war er noch nicht gemartert worden. Für die Krieger war das nur ein Spiel, das sie so recht erfreute. Cochise deutete auf eine dritte Stelle und ließ sich durch das Geschrei des Weißen kaum beeindrucken. Zwei blitzende, wirbelnde Klingen flogen, von kundiger Hand geschleudert. Sie gruben sich links und rechts der Hüften in den Stamm.
»Großer Gott, kannst du dieser Qual kein Ende bereiten? Aufhören! Aufhören, ich will alles sagen!« Cochise gab durch ein Kopfnicken ein Zeichen zu den Kriegern. Er ging zum Baum und zog die Messer aus dem Stamm. »Rede!« sagte er scharf. »Redest du aber mit doppelter Zunge, schneide ich dir bei lebendigem Leib den Skalp vom Kopf. Los, und zögere keine Sekunde!« John stand auf und ging mit Naiche zu dem Palo Verde. Murry Gutman wirkte leichenblaß und verstört. Er zitterte an allen Gliedern. Die Augen weit aufgerissen, blickte er Haggerty angsterfüllt an. »Sir, ich will alles sagen, wenn Sie mir die Indianer vom Leib halten!« »Reden Sie«, antwortete Haggerty. »Schnell und wahrheitsgemäß. Keine Pause. Kein Atemholen. Kapiert? Wenn ich den Eindruck habe, daß Sie nicht lügen, will ich ein gutes Wort bei den Apachen einlegen. Verschweigen Sie uns aber etwas … Well, Sie hörten, was der Häuptling mit Ihnen anstellen wird.« »Ja, natürlich. Fragen Sie, Sir!« John Haggerty übernahm das Verhör. »Wie heißt der Anführer der Bande?« »High, Sir. Samuel High.« »Wieviel Leute habt ihr?« »Acht. Manchmal mehr, wenn wir einen Coup vorbereiten.« »Sehr schön. Ihr habt Cochises Sippe niedergemetzelt. Warum?« »Das war Highs Idee. Er vermutete Gold bei den Roten und Informationen über den Telegrafenbau.« »Chiricahuas interessieren sich nicht für Gold. Für sie ist das gelbe Metall wertlos«, sagte John. »Warum gerade Informationen über den Telegraf?« »Sir, jeder weiß, daß die Apachen die Streckenabschnitte
überfallen und die Leitung wieder einreißen. Das ist jedem Kind in Cochises County bekannt.« »Soso, jedem Kind? Komisch, nur die Apachen wissen nichts davon. Sagten Sie soeben die Wahrheit, Freundchen?« »Die reine Wahrheit!« stieß der Bandit lauthals heraus. »Was bleibt mir denn anderes übrig? Sehen Sie nicht, daß die Kerle nur darauf warten, mir den Garaus zu machen? Ich sage Ihnen doch alles, und erinnere Sie an Ihr Versprechen, mich laufen zu lassen. Das tun Sie doch, nicht wahr?« »Darüber befindet der Häuptling. Sie sind sein Gefangener. Ich sagte, daß ich mich für Sie verwenden will, wenn Sie offen und ehrlich zu uns sind. Nicht mehr. Bis jetzt sieht es aber nicht so aus, daß Sie nach ehrlichen Grundsätzen handeln. So kommen Sie nicht mit Ihren Haaren davon, geschweige mit Ihrem Leben.« »Ich sagte doch alles wahrheitsgemäß!« heulte Gutman in die Nacht. »Was wollen Sie denn noch wissen?« Haggerty gab Cochise einen Wink. Der Häuptling senkte den Arm wieder, den er schon erhoben hatte, um das Messerwerfen fortzusetzen. »Wir möchten einiges über die Pläne dieses Samuel High erfahren«, erklärte er dem zitternden Outlaw. »Wir möchten hören, was er in der nächsten Zeit vorhat, welche Bank er auszurauben gedenkt und wieviel Schandtaten er noch bereithält, um das Land zu terrorisieren. Also, mein Bester, reden oder sterben. Für die Krieger wird es ein besonderes Vergnügen sein, Sie in Stücke zu schneiden und Ihre Teile den Bussarden vorzuwerfen.« »Allmächtiger Gott, rette mich aus den Händen dieser Wilden!« Cochise trat wuterfüllt vor und schrie dem Outlaw ins Gesicht: »Nimm den Namen des gütigen Großen Geistes aus deinem Mund oder ich zerschmettere dich, Wurm!« Der Jefe hielt den Arm wie zum Schlag erhoben, aber
Haggerty trat dazwischen und drängte den Häuptling zurück. »Sie sollten den Chiricahua nicht reizen, Gutman. Ich warne Sie. Kommen Sie jetzt etwas schneller zur Sache, wenn Ihnen etwas an Ihrem Leben liegt. Was hat Samuel High in der nächsten Zeit vor?« »Eine Pferderanch in den Swisshelm Mountains soll überfallen werden und die Bank in Pearce, mehr weiß ich nicht. Glauben Sie mir, Sir, daß Sam den anderen nicht alle Weisheiten mitteilt, die er mit dem Auftraggeber ausheckt.« Haggerty wurde hellhörig. »Wer ist der Mann, den Sie Auftraggeber nennen?« »Niemand kennt ihn, nicht einmal High. Sie treffen sich irgendwo in Tombstone, und der geheimnisvolle Boß erscheint stets vermummt.« Haggerty wechselte das Thema. Sein Gefühl sagte ihm, daß Murry Gutman die Wahrheit erzählte. »Das sind sicher nicht die ganzen Pläne dieser Halsabschneider, Gutman. Weiter! Reden, immer reden, keine Sekunde unterbrechen und die volle Wahrheit. Denken Sie an Ihren Skalp!« »Was soll ich denn noch sagen, ich weiß nichts mehr!« Haggerty hatte plötzlich so eine Ahnung, daß High sich nach allen Richtungen hin absicherte und weitere Eisen im Feuer hatte. Mit einer drohenden Gebärde fragte er: »High arbeitet mit Indianerbanden zusammen. Lügen Sie mich nicht an, ich weiß es. Die Namen der Führer, los, schnell, die Namen!« Gutman erblaßte. »Sind Sie allwissend, Sir? Ja, es stimmt. High unterhält Verbindungen zu Geronimo und Victorio. Sie begehen die Untaten, die Cochise und seinem Stamm angelastet werden.« »Geronimo und Old Vic sind in der San Carlos-Reservation«, versuchte John den Desperado zu bluffen. »Hin und wieder, ja. Aber immer nur dann, wenn es
Proviantzuteilungen gibt, meistens ziehen sie raubend und plündernd durch das Land.« »Bis nach Sonora hinein?« Gutman nickte. »Noch weiter, Sir. In der Sierra Madre besitzen sie Stützpunkte, die mit Proviant und Munition angefüllt sind und die niemand kennt.« »Sie kennen sie?« Gutman lachte bitter und schüttelte den Kopf. »Ich sagte, niemand kennt sie oder ihre Lage. Selbst die Armee und die Federales in Mexiko wissen nichts von ihrer Existenz.« Cochise hatte jedes Wort verstanden. In seinen sonst wie versteinert wirkenden Gesichtszügen wetterleuchtete es. Eine lange währende Ahnung wurde ihm bestätigt. Er beschloß, sofort Ulzana und seine Leute nach Sonora zu schicken, um die Apacherias der Rebellen auszukundschaften. »Well, so weit, so gut, Gutman. Eine letzte Frage noch: Wer zerstört die Telegrafenlinie der Western Union?« »Wenn ich Ihnen das sage, bin ich dann frei?« »Das entscheidet Cochise«, antwortete John drängend. »Mensch, reden Sie! Verärgern Sie den Häuptling nicht, wenn Ihnen was an Ihrem Leben liegt!« Gutman verdrehte die Augen wie ein Kalb, das zur Schlachtbank geführt wird. Mit schwerer Zunge antwortete er: »Das sind Geronimos Rebellen, Sir. Mehr kann ich nicht sagen, weil wir von der Bande niemals an solchen Unternehmungen teilnehmen.« »Das befiehlt alles High? Oder erhält er die Befehle von dem unbekannten Boß?« Gutman nickte und schielte dabei an Haggerty vorbei zu Cochise, dessen grimmiges Gesicht ihn irritierte. John hatte keine weiteren Fragen mehr. Er trat zurück und sandte einen Blick, der mehr sagte als Worte, zu Cochise. »Läßt du ihn frei, Häuptling? Ich glaube, er sagte alles, was er
weiß.« »Er bleibt am Marterstamm bis zum Morgengrauen. Dann mag er laufen, wohin er will. Treffe ich ihn wieder bei einem Verbrechen, ist es um sein Leben geschehen.« »Laufen?« heulte Gutman lauthals. »Laufen? Hat der Indianer laufen gesagt?« Haggerty antwortete: »Du hast es gehört. Du kamst mit dem Leben davon, und dafür solltest du dich bei dem Chief bedanken und…« »Ich kann doch nicht bis nach Tombstone zu Fuß gehen. Wann und wie komme ich da an?« »Schnee von gestern«, sagte Haggerty kalt. »Danken Sie Ihrem Schöpfer, der Ihnen Ihren Skalp gelassen hat. Und nun will ich kein Wort mehr von Ihnen hören, verstanden?« * Als High gebadet und in frischer Kleidung in den Saloon zurückkehrte, empfing ihn wüstes Geschrei und schallendes Gelächter. Die Jungs in Blau waren beim zehnten Bier angelangt und bei ebenso vielen Schnäpsen. Isabell y Gama kam ihm entgegen, das süßeste Lächeln unter ihrer dicken Puderschicht. Auf den verwelkten Lippen trug sie Lippenstift, und sie duftete nach Parfüm wie die Kosmetikabteilung im Drugstore. »Da bist du ja wieder, Liebster. Gibst du einen für deine Liebste aus?« »Heute nacht kannst du bekommen, was du willst, jetzt hau ab! Im Augenblick hab' ich Besseres zu tun«, erwiderte High unwirsch. Ein paar Soldaten begannen ihn in ihre Witzeleien einzubeziehen. Sam High drehte sich auf den Absätzen herum. »Hört zu, Jungs! Amüsiert euch und macht eure Spaße, aber laßt mich in Ruhe. Kapiert?«
»Oho!« knurrte ein irischer Riese mit Schultern so breit wie ein Kleiderschrank und Augen wie Kieselsteine. »Du fühlst dich wohl heute morgen außergewöhnlich stark, wie? Mit einem Bastard von einem Zivilisten werden wir allemal fertig. Komm her, wenn du was willst!« Lester Bone witterte Unheil und kam hinter dem Tresen hervor, ein nasses Wischtuch in den Händen. High ging sporenklirrend zum Tisch der Dragoner und baute sich vor dem Riesen auf. »Na, dann komm!« sagte er kalt. Bevor sich der Uniformierte erheben und seine schwankenden Beinsäulen fest mit dem Erdboden verankern konnte, schlug High zu. Er traf den Mann mit einem Uppercut voll am Kinn und riß ihn vom Stuhl. Zwei seiner Kameraden stürzten mit zu Boden. Die anderen sprangen auf und wollten sich auf den Zivilisten werfen. Aber High war schneller. Als sie sich vor ihm aufbauten, starrten sie wie hypnotisiert in die Mündung von Highs Revolver. »Noch einen Schritt, ihr Hundesöhne, und ich blase euch die Gehirne aus euren Holzköpfen! Zurück!« Schnappend rastete der Hahn ein. Das metallische Geräusch war deutlich in der plötzlich auftretenden Stille des Black Devil zu hören. Isabell stieß einen spitzen Schrei aus. Lester Bone murrte und drohte, das Lokal zu räumen. Von der Erde rappelten sich die Gestürzten auf und glotzten den Mann mit dem Revolver tückisch an. »Wir sehen uns wieder«, drohte der Ire. »Wir zwei sehen uns bestimmt wieder, verlaß dich drauf, du gottverdammter Revolverschwinger!« High drehte sich um, ergriff Bone am Ärmel seines ehemals weißen Hemdes und zerrte ihn mit zur Bar. »Laß sie, sie sind nur ausgelassen«, sagte er laut. »Und wenn ich zu hart war, gebe ich eine Runde für die Gentlemen aus.«
»Eine Runde?« schallte es von hinten. »Mann, Bucko, du willst eine Runde ausgeben?« »Warum nicht?« fragte High den Corporal. »Ich sagte doch, ihr seid nicht bösartig, nur ein bißchen wild. Eine kleine Meinungsverschiedenscheit muß nicht in einer blutigen Schlägerei ausarten, oder seid ihr anderer Meinung, Jungs?« Als sie ihm begeistert zustimmten, bestellte Samuel bei Lester eine Runde und gab ihm ein Zeichen, auch Isabell nicht zu vergessen. Die Ruhe war wieder hergestellt. Der Ire saß am Tisch und hielt sich den Kopf. Der Nachmittag verging wie im Fluge. Nach der dritten Lage, die High den Soldaten spendierte, wurden sie ruhiger. Mancher schwere Kopf lag auf der Tischplatte, und das Schnarchen der Schnapsmüden ertönte im Chor. Gegen Abend füllte sich der Saloon mit den Zwielichtigen aus Tombstone und dem Nahbereich, dazu gehörte auch Highs Mannschaft. Die Banditen hatten sich wie Pfaue herausgeputzt. Mit Einbruch der Dunkelheit verschwanden die Dragoner, dafür kamen immer mehr Hartgesottene und Kaltäugige, die ihre Revolver bemerkenswert tief an der Hüfte trugen. High wurde lebhaft begrüßt. Man kannte ihn, und er kannte die Männer und ihre Qualitäten mit dem Schießeisen. Der Black Devil füllte sich überraschend schnell. Lagen wurden lautstark ausgegeben. Schnaps und Bier flossen in Strömen. High sonnte sich im Glanz des Spendierers und schaffte sich mit seiner Freizügigkeit weitere Freunde. An einem Hintertisch wurde ein Spielchen arrangiert. Samuel High beteiligte sich mit Casy Carradine und Ray Ewing. Man ging gleich in die Vollen und verschaffte so dem Spiel einen dreifachen Kreis interessierter Kibitze. Sam High gefiel das nicht. Er vermied es stets, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das Spiel ging bis Mitternacht. Gewinn und Verlust hielten sich in Grenzen. Carradine wandte sich an High und fragte ihn
nach seinen Plänen für die kommenden Tage. High antwortete: »Kann ich noch nicht sagen, Casy. Warum willst du das wissen?« »Ein paar Jungs und ich wollen uns im Vogelkäfig ein paar schöne Stunden machen. Steht uns doch zu, oder?« Carradines Stimme klang kühl und herausfordernd. »Ich habe euch dieses Lokal aus Sicherheitsgründen verboten, Casy. Warum forderst du mich stets wieder damit heraus?« »Befehlen kannst du, Sam, aber nichts verbieten. Nicht mir. Ist das endlich in deinen Hirnkasten eingedrungen, oder muß ich demnächst mal nachhelfen?« In High kochte der letzte Blutstropfen. Carradine legte es darauf an, ihn zu brüskieren und herauszufordern. Wie schon so oft, gab der Bandit nach und mimte den Huld- und Verständnisvollen. Casy war schnell mit dem Eisen, das wußte High nur zu gut, und ob er den kaltschnäuzigen Revolvermann im Ziehen übertrumpfen konnte, war fraglich. Er setzte sein schönstes Lächeln auf und entgegnete aalglatt: »Okay, ich sehe ein, daß die Jungs ein wenig Abwechslung brauchen. Bone hat außer seinem gepantschten Schnaps ja nichts zu bieten. Wie sieht's aus? Braucht ihr Geld?« »Hundert reichen für diesen Abend.« High griff in die Innentasche seines Jacketts, nahm ein Bündel Geldscheine heraus, zählte zehn Zehner ab und schmiß sie vor Carradine auf den Tisch. Casy steckte sie gelassen ein. »Nehmt euch vor Johnny Ringo in acht. Der Mann ist verdammt schnell und ein richtiger Feuerfresser. Kennst du Ringo?« Carradine machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wer ist schon Ringo? Mann, frage ich dich, wer ist schon John Ringo? Mit dem nehme ich's besoffen auf. Wenn er sich mausig macht, lege ich ihn um.« »Laß das«, antwortete High drängend. »Laß es sein, Casy. Mir liegt daran, so wenig wie möglich aufzufallen. Wenn er angibt,
ignoriere ihn.« Carradine stand auf, warf einen nachlässig-spöttischen Blick zu High, winkte zwei Kumpane auf die Füße und verließ grußlos den Saloon. Isabell y Gama sah ihre Zeit gekommen und näherte sich hüftewackelnd dem Spieltisch. Eine Hand legte sie auf die Schulter des Mannes, ihre Wange an seine. »Heute nacht ist nichts mehr los, Darling. Lester kann mich entbehren. Kommst du mit, Süßer?« »Mit Vergnügen, Honey! Wir nehmen uns 'ne Pulle mit nach oben. Gläser brauchen wir sicher nicht.« Er stand auf, ein wenig schwankend und unsicher, und bezahlte seine Zeche. * Nach einer unbequemen Nacht erwachte Gutman und befreite sich von seinen gelockerten Fesseln. Von den Apachen war weit und breit nichts zu sehen. Zwanzig Meilen weiter im Westen glühten zwei erlöschende Feuer wie Katzenaugen in einer breiten Schlucht ohne Vegetation. Wasser gab es nicht, dafür Apachen. Jede Menge Apachen. Sie kauerten bei den Feuern, eingehüllt in Decken. Träge zog der Holzrauch wie ein dünner grauer Faden durch das Tal und drang in die hügelige Ebene, aus der sich ein Reitertrupp näherte. Unvermittelt hielt Cochise sein Pferd an und schnüffelte in den Wind. »Rauch«, sagte er mit sonorer Stimme. »Er kommt aus dem Canyon. Viel Rauch. Böser Rauch.« Warum Cochise den Rauch als böse bezeichnete, verstand Haggerty nicht. Er ließ es gelten, weil Cochise bei solchen Ankündigungen stets recht behielt. Der Jefe wechselte mit Naiche, seinem Sohn, einen sprechenden Blick. Nur Indianer
hatten die besondere Gabe, sich ohne großen Wortaufwand zu unterhalten. Naiche hob die Hand, gab seinem Pinto die Absätze zu fühlen und verschwand im erblassenden Mondlicht. Die beiden Krieger blieben zurück und sondierten mit ihren Ohren und Augen die Nacht. Nichts regte sich. So kurz vor Tagesanbruch hatte das Jagen und Töten in der Wildnis aufgehört. Die Beutejäger waren satt, die Nager, die den Klauen und Zähnen ihrer Jäger entgangen waren, müde. Naiche kam bereits nach einer halben Stunde zurück. Sein Gesicht wirkte ernst und verschlossen. Wer in diesem Augenblick sein Profil sah, stellte die große Ähnlichkeit des jungen Kriegers mit dem Häuptling der Apachen fest. Naiche redete mit Cochise. Die Krieger und John Haggerty hörten zu und äußerten sich in keiner Weise. Das hier war Chiricahualand, Cochises ureigenster Besitz, sein Reich. Hier bestimmte der Häuptling aller Apachenstämme, sonst niemand. Trotzdem kam John ein kaltes Grausen, als die Namen Geronimo und Victorio fielen. Naiche drehte sich auf seiner Satteldecke herum und deutete in den Canyon. Er hob beide Hände zweimal und sagte: »Zwanzig Krieger, Cochise. Sie sind auf einem Beutezug.« »Böses Feuer«, sagte Cochise und wiegte den Kopf. »Geronimo und Victorio, kein gutes Gespann. Es wird Blut fließen im Land der Chiricahuas, und für die Schuld, die erwächst, wird mein Volk wieder herhalten.« Naiche riß sein Kriegsbeil aus dem Gürtel, schwang es über dem Kopf und schrie zündend: »Greifen wir sie an, Cochise. Der Mimbrenjo muß für seine Frevel bestraft werden!« »Goghlayeh«, sagte Cochise leise, aber drohend. Mit harter Stimme fuhr er fort: »Wir greifen nicht an und warten bis zum Morgen. Ich fordere Rechenschaft von Geronimo und seinem neuen Bundesgenossen Victorio.«
Er deutete zu einer flachen Mulde in der Wüstenlandschaft und sagte: »Ein geeigneter Lagerplatz und gut beschützt gegen die kalten Winde vor Sonnenaufgang. Laßt uns hinreiten.« Im Osten graute erstes Frühlicht, als sie mit ihren Pferden in die Mulde ritten und sie anpflockten. Cochise und die anderen Apachen setzten sich ins dürre Gras und warteten stoisch auf das Aufgehen des Tagesgestirns. Kein Wort wurde gesprochen, kein Gestenzeichen fiel. John sattelte seinen Dunkelbraunen ab und legte sich mit unter den Kopf geschobenen Armen auf seine Deckenrolle. Müde sah er das Verblassen der Sterne und den heller werdenden Himmel im Osten. Unaufhörlich kreisten seine Gedanken um Dinge, die ihm von der Armee aufgetragen worden waren, um sie zu klären und zu bereinigen. Kein leichter Job in diesem Land, das aus Wildnis bestand und immer mehr in Armut und Chaos verfiel. Das Banditenunwesen nahm von Tag zu Tag mehr zu und Ausmaße an, denen Recht und Gesetz nur noch mühsam Herr werden konnte. Endlich wurde es hell. Bekassinen und Haubenlerchen überflogen mit jubelnden Klängen das Ödland und strichen ab, als sie die Menschen in der Mulde gewahrten. Kaum hatte sich die Sonne über den Horizont erhoben, wurde es heiß. Wie glühende Pfeile schossen die Strahlen des Muttergestirns über das Land und trieben jedes Leben in den Schatten. Cochise stand auf und verließ die Mulde. Haggerty sah ihn oben auf dem Rand stehen und nach Westen blicken. Kurz darauf wandte sich der Häuptling um. Er breitete die Arme der Sonne entgegen und stand so viele Minuten regungslos. Betete er? Als Cochise zurückkehrte, wirkte sein kupferfarbenes Gesicht ernst und reglos, starrer als sonst. Was ging in dem Häuptling
der Chiricahuas vor? Vor John blieb er stehen und schaute ihn nachdenklich an. »Der Falke ist mutig wie ein Puma und schnell und stark wie der Adler, und er ist ehrlich und dem roten Mann wohlgesonnen. Cochise will ihn fragen, wie er über den ›Singenden Draht‹ denkt, der die Weißen im Norden mit denen im Süden verbindet?« Haggerty war überrascht, daß der Häuptling gerade an diesem Morgen auf den Telegraf zu sprechen kam und machte sich seine Gedanken über Cochises Verhalten. Ausweichend sagte er zunächst: »Der Telegraf ist für unser Land lebensnotwendig, Jefe.« Sofort bereute er seine Worte. Nach der Gewohnheit aller Weißen in den Staaten hatte er die Worte »unser Land« gebraucht und nicht Chiricahualand gesagt. Das Echo kam prompt: »Unser Land? Wessen Land, Falke?« Ein wenig widerstrebend bequemte sich Haggerty zu einer Antwort, die ihm nicht flüssig von der Zunge ging und Cochise wenig befriedigte. Er erkannte es am Zittern der Nasenflügel und an der jähen Versteinerung der Gesichtszüge. »Das Land der Indianer im Südwesten, meine ich.« Übergangslos brach der Häuptling das Thema ab. Er richtete sich auf und streckte seine Hand befehlend gegen die Lagerstelle seiner Krieger aus. »Wir reiten weiter!« befahl er. Eine halbe Stunde später gelangten sie an die Mündung des Canyons und spürten die glutheißen Winde, die seine Wände abstrahlten. Bevor der Reitertrupp in die Schlucht eindringen konnte, wurde er aufgehalten. Zwei Krieger auf zottigen Ponys erschienen und blockierten den Weg. Sie hielten Gewehre in den Armbeugen und musterten jeden einzelnen Indianer um Cochise. Wenn sie auch genau wußten, wer vor ihnen auf dem Pferd hielt, ließen sie jedoch
nicht erkennen, daß sie den Häuptling aller Apachen respektierten. Das bedeutete nichts Gutes, und Cochise wußte es. »Gebt den Weg frei!« befahl er. Die Apachen reagierten nicht und blieben stoisch auf ihren Ponys sitzen. »Ich bin Cochise, der Häuptling aller Stämme, haltet mich nicht auf!« Staub und Hufgetrappel drangen aus dem Canyon. Eine große Kriegerschar kam um die Biegung und hielt hinter den beiden Wachtposten. Cochise erkannte Geronimo und Victorio. Geronimo schien das Wort zu führen. Seine stechenden Augen saugten sich an Cochise fest und musterten den Jefe. »Du kannst dir keinen Durchgang erzwingen, ich habe mehr Krieger als du!« schrie er über, die Distanz hinweg. »Hier stehen zwanzig Mimbrenjos, Cochise, und diese zwanzig Krieger sind die besten ihres Stammes!« »Nur Mimbrenjos«, Cochise winkte ab. »Hier steht Cochise, ein Chiricahua, der es mit deinen Mimbrenjos aufnimmt!« Ein dumpfes Murren ging durch die Reihen der Krieger. John Haggerty stand fast das Herz still. Wollte es der Chief mit dem halben Stamm der Mimbrenjos aufnehmen? Geronimo nahm die Herausforderung nicht an. Das bewies John, daß der Rebell anderes im Auge hatte als einen Stammeskrieg zu entfesseln. Ein junger, hünenhafter und bärenstarker Krieger drängte sein Pony vor die Front. Sein grimmiges Gesicht richtete sich abfällig auf Cochise. Mit beiden Fäusten trommelte er auf seiner nackten Brust, und er schrie: »Ich bin ein Aravaipa, Cochise, willst du mit mir kämpfen?« »Du bist ein Hund von einem Pima. Wie kannst du es wagen, einen Chiricahua herauszufordern? Kehre in deinen Erdbau zurück und höre auf zu kläffen, wenn Chiricahua-Krieger reden!« Das war nicht nur eine grobe Beleidigung, sondern auch eine
herausfordernde Mißachtung, die ein Indianer jener Zeit nicht ohne Gesichtsverlust hinnehmen konnte. »Ich bin Saguaro, ein Aravaipa, und ich fordere die brüllende Kröte von einem Chiricahua zum Zweikampf heraus! Leben oder Tod! Du kannst wählen, Tizwintrinker, du kannst auch deinen Schwanz einziehen und jaulend davonziehen. Hier steht Saguaro, der beste Messerkämpfer der Aravaipas!« »Dort steht Saguaro, der größte Maulheld der Aravaipas«, höhnte Cochise abfällig. »Komm und stell dich, damit ich dir dein großes Maul stopfe!« Geronimo drängte sein Pferd zwischen Cochise und den Aravaipa. Ihm war an einem Zweikampf nicht gelegen. Cochise jedoch war schneller, sprang von seinem Reittier und drängte Geronimos Pferd mit seiner Schulter zurück. Seine Augen flammten, als er die Hand gegen Geronimo ausstreckte und kalt befahl: »Du hältst dich heraus, Nedni-Rebell! Hier befehle ich!« Geronimo wich tatsächlich zurück. Seine Augen funkelten tückisch auf Cochise, und sein breiter, grausamer Mund warf sich auf wie bei einem fletschenden Wolf. »Er wird dich mit seinem Messer aufschlitzen wie einen Kadaver, er wird dich in Stücke schneiden und deine Eingeweide den Bussarden und Coyoten vorwerfen und deine Ohren an einen Baum nageln.« Cochise warf sich zu ihm herum. Seine Hand schnellte vor und streckte sich anklagend gegen Geronimo vor. »Zurück, Ratte! Wenn ich Saguaro besiegt habe, bist du an der Reihe! Weiche zurück, schielender Bastard von einem Hundefresser!« In Geronimo kochte der Grimm. Seine Hand zuckte zum Kriegsbeil, aber er zog es nicht, weil er sich vor den flammenden Augen des Chiricahua fürchtete. Die Krieger hinter ihm verhielten sich ruhig. Ihnen ging der Streit der Häuptlinge nichts an. Victorio fühlte sich durch die
kalte Gelassenheit Cochises mehr zu ihm hingezogen als zu Geronimo. Aber er hielt sich aus dem Spiel und mimte den Unbeteiligten. Cochise hatte ihn schon einmal besiegt, oben am Apachen Paß. Und Victorio hatte diese Niederlage bis heute nicht vergessen. Saguaro sprang wutentbrannt aus dem Sattel und riß sein Messer aus der Scheide. »Dich schlage ich mit einem Knüppel tot, dazu braucht ein Aravaipa kein Messer!« »Geifernder Coyote, komm her, daß ich dich züchtige!« Die Apachen stiegen von den Ponys und bildeten einen Ring. John Haggerty blieb auf seinem Dunkelbraunen, den Henry-Stutzen in der Armbeuge, und seine Augen glitten wachsam über den Kreis der mit gespannter Erwartung erfüllten Indianer. Apachenduell! Ein Duell zwischen Giganten mit Messern und unter Ausnutzung ihrer physischen Kräfte … das war etwas für die Rothäute, worüber sie noch in Jahren in ihren Wicki-ups und an den nächtlichen Lagerfeuern erzählen würden. Wer würde den Zweikampf gewinnen? Stand der Sieger bereits von vornherein fest oder mußte der Kampf bis zum bitteren Ende eines der beiden Kämpfer ausgetragen werden? Stolz und Haß, Neid und Mißgunst prallten hier aufeinander und suchten nach einem Ventil, das seine Öffnung nach der Häuptlingswürde ausrichtete. Legende wurde Wirklichkeit, eine Legende, die von der Wildnis bestimmt wurde und animalische Instinkte in den Menschen jener Region weckte. Die beiden Duellanten gingen aufeinander zu. Beide, hochgewachsen und breitschultrig, hatten ihre Kalikohemden ausgezogen und zeigten ihre nackten Oberkörper. Haggerty musterte den fremden Indianer, der Cochise herausgefordert hatte. Saguaro war stämmig und sehnig wie ein Bison. Aber Cochise verriet mehr Geschmeidigkeit und
Wendigkeit. Unzweifelhaft verfügte er auch über eine größere Körperstärke, die von seinen muskulösen Armen und von der gewaltigen Brust ausging. Ihre Wüstenmokassins reichten ihnen bis zu den Knien und wurden von Lederriemen gehalten. Katzengewandt umkreisten sie sich mit stoßbereiten Klingen. Der erste Ausfall kam von Saguaro. Cochise parierte mit der Messerhand und stieß dem jungen Krieger die freie Hand ins Gesicht. Eine Regel gab es nicht. Jeder kämpfte so, wie es ihm sein Instinkt eingab. Aber beide waren sie Taktiker und geübte Kämpfer. Der Kampf wogte hin und her, vor und zurück. Keiner der Kämpfer erlangte einen Vorteil oder konnte den anderen in die Enge treiben. John Haggerty beobachtete die beiden Indianer. Nach zehn Minuten ließ die Energie Saguaros nach, während Cochise noch so frisch wie zur ersten Minute wirkte. Auf der dunkelbraunen Haut des Aravaipa erschienen Schweißtropfen. Seine Muskeln bewegten sich langsamer und wirkten verkrampft. Cochise legte es scheinbar darauf an, den Gegner zu zermürben, ohne sich selbst der Gefahr einer Verwundung auszusetzen. Wieder drang Saguaro wütend auf den Häuptling ein. Cochise machte eine halbe Drehung, ließ den Aravaipa ins Leere rennen und stellte ihm ein Bein. Mit einem brüllenden Wutschrei stürzte der Indianer, warf sich noch im Fallen katzengewandt herum und hob sein Messer zum Stoß. Cochise sprang ihm nach, trat ihm die Klinge aus der Hand und warf sich auf ihn. Der Ringkampf entfaltete sich am Boden mit äußerster Wildheit. Die Zuschauer erkannten die Überlegenheit des Häuptlings von Sekunde zu Sekunde besser. Einmal war der Jefe oben, ein anderes Mal Saguaro. Das Ende des Kampfes war nahe. Man sah es an den verzerrten Gesichtszügen des Aravaipa und an Cochises
grimmigem Ausdruck. Der Chief legte seinen Arm um Saguaros Hals und riß ihn neben sich zu Boden. Sein Kopf schleifte im Staub und wurde von dem Chiricahua kräftig geschüttelt. Cochise warf sein rechtes Bein in die Höhe und schwang sich aus dem Sattel. Hell glitzerte sein Messer über Saguaros Kopf. Der Aravaipa erschlaffte. Stieß Cochise zu oder würde er zögern? Nach dem Gesetz der Apachen hatte der Herausforderer sein Leben verwirkt und mußte sterben. John Haggerty kannte Cochise zu gut und ahnte, daß er das Leben des Besiegten schonen würde. Dem Jefe lag nichts an Blutvergießen und Töten. Ihm kam es darauf an, die Stämme der Apachen zu einen, zu stärken im Kampf gegen ihre Feinde aus dem Norden und Süden und sich selbst als Häuptling aller Stämme zu manifestieren. »Bist du besiegt?« hallte seine Stimme über den Kampfplatz. Saguaro antwortete mit geschlossenen Augen: »Ich bin es. Stoß zu!« Alle hatten es gehört. Darauf kam es Cochise an. Er erhob sich von dem liegenden Körper des Besiegten, steckte sein Messer in die Scheide und schritt würdevoll zu seinem Pferd. Gemächlich und majestätisch schwang er sich auf den Rücken des Ponys und lenkte es zu Geronimo. »Goghlayeh, du hast es gehört und gesehen! Ich besiegte diesen Aravaipa. Ich besiege auch dich, wenn ich dazu gezwungen werde. Fordere mich niemals heraus, denn dein Leben werde ich nicht schonen!« Langsam und mit drohender Gebärde zerrte er sein Pferd herum und ritt durch den Kreis der Apachen zu Victorio auf die andere Seite. Vor Old Vic zügelte er den Pinto. Er tat nichts, sagte nichts, starrte den wilden Mimbrenjo nur an. Nicht haßerfüllt und demütigend, sondern schweigend und mahnend. Victorios Hand glitt zum Messer. In Cochises Gesicht
wetterleuchtete es, aber er sagte kein Wort und bezwang den stolzen Krieger mit seinem Blick. Victorio senkte die Augen und nahm die Hand vom Skalpmesser. Cochise entspannte sich, und der Triumph, Herr über die wilde Horde geworden zu sein, spiegelte sich in seinem stolzen Antlitz. Als er sein Pferd herumzog, nickte er John und Naiche zu. Gemeinsam ritten sie nach Westen, Steigbügel an Steigbügel. * Tombstone am Spätnachmittag. Das Bird Cage Theatre flutete über. In Dreierreihe umstanden die Besucher Spieltische und Theke. Nicht nur Bier und Whisky flossen. Gott bewahre! In den Zimmern knallten die Champagnerpfropfen um die Wette, füllte französischer Wein geschliffene Gläser. Dazu unterhielten Artisten und Tänzerinnen die pokermüden Gäste, und Heerscharen leichtbekleideter Mädchen sorgten für Stimmung und Umsatz. An einem Ecktisch kam ein Spiel ohne Limit zusammen. Kibitze drängten und schoben mit den Ellbogen, um einen Blick auf die Karten zu erhaschen. Casy Carradine eröffnete mit fünfzig Dollar und forderte zwei Karten. Ray Ewing und Elias beteiligten sich nicht an dem Spiel, sie standen wie leblos im Kreis der Zuschauer und ließen ihre kalten Augen wachsam umhergleiten. In dieser Domäne der Männer waren Tumult und rauhe Artikulation von heiseren Stimmen an der Tagesordnung. Symptomatisch dazu auch die anderen Nebengeräusche wie das Klappern der Chips, das Rollen der Roulettekugel, die knisternde Spannung und das verführerische Flüstern der Animiermädchen. Niemand dämpfte seine Stimme. Wozu auch? Man war in einem freien Land, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
»Ich eröffne mit hundert«, ertönte die monotone Stimme des Bankhalters. »Karten, Gentlemen?« Man spielte Vierhandpoker, alle gegen die Bank, und doch jeder für sich allein. Die kleine Musikkapelle neben dem Podium intonierte einen Cancan. Seide und Rüschen rauschten und knisterten, und die Damenbeine schlugen und trommelten auf dem holprigen Bretterboden einen unreinen Takt. Die Truppe trat ab, der Cancan verklang und wurde von frenetischem Beifall und langgezogenen Pfiffen begleitet. Casy Carradine konzentrierte sich auf sein Blatt. Nach kurzer Überlegung nickte er. »Ich gehe mit und erweitere um einen Greenback.« Er spielte seit dem frühen Nachmittag und hatte bereits eine beträchtliche Summe gewonnen, die ihm ein weiteres Risiko erlaubte. Carradine gewann immer. Nicht, daß er dem Glück nachgeholfen und die Karten manipuliert hätte. Nein, daran dachte der stolze und von sich eingenommene Revolvermann nicht. Seine eiskalte Ruhe und sein präzise funktionierendes Gehirn gepaart mit fundierten Kenntnissen über Kartenkonstellationen machte es ihm möglich. Er gewann immer wieder und strich das Geld gelassen ein, als seien es nicht dreihundert runde Dollar, sondern nur Knöpfe. Im Aufblicken gewahrte er ein Paar frostblaue Augen, die ihn glitzernd musterten. Der Mann lehnte wie gelangweilt an einer Säule und starrte zu ihm herüber. Carradine schätzte den Fremden ab. Tiefhängender Revolver, landesübliche Kleidung, Stiefel und alles, was zu einem Revolverschützen gehörte, der etwas auf sich und seinen Nimbus hielt. Eine, erloschene Zigarette klebte im rechten Mundwinkel des Burschen, der ihn unverwandt anstarrte. »Ladys und Gentlemen!« tönte es laut und ein wenig kreischend von der Bühne. »Ladies and Gentlemen! Sie sehen vor sich Mike Allan Brescott aus Kansas City, den einzigen Mann, dem es gelingt, eine abgefeuerte Kugel mit den Zähnen
aufzufangen!« »Hohoho!« brüllte es im Chor. »Jawohl, der einzige Mann auf der Welt, dem das Kunststück gelingt!« Brescott holte Atem und füllte seine Lungen mit Luft. Im schrillsten Diskant fuhr er fort: »Ich spreche die Mutigen unter Ihnen an, Gentlemen! Wer will es gleich mir versuchen, wer ist so kühn und wer will einhundert Dollar für das Wagnis verdienen?« Stille. Niemand meldete sich. Keiner der Anwesenden hob die Hand oder trat vor. »Nun, meine Herren, ist niemand da, der hundert Dollar verdienen will?« Eine Stimme brüllte: »Vorzeigen, Bleifresser!« Mike Allan Brescott hielt einen Schein hoch und wedelte damit. »Niemand will sich das Geld verdienen«, sagte er zu seinem Gehilfen, der einen Revolver vom Tisch nahm und die Trommel rotieren ließ. »Schreiten wir zur Tat.« Casy Carradine hätte gern das Spiel fortgesetzt, aber seine Mitspieler hingen mit den Augen an der Bühne und waren ganz gespannter Erwartung. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete er den Fremden, der wie eine Statue am Säulenschaft lehnte. Der Mann ließ ihn nicht aus den Augen. Casy drehte den Kopf. »Ray, geh mal rüber und frag' den Kerl, was er will und wer er ist?« »Soll ich ihm gleich mal auf die Zehen treten?« »Nein. Wenn er Hopp sagt, nehme ich mir den Pilger vor. Hau ab!« Ewing setzte sich in Bewegung, während auf der Bühne der Hokuspokus unter den neugierigen Blicken der Gäste weiterlief. Ray tippte dem Mann auf die Schulter. Wenn er geglaubt hatte, daß der so unsanft Angerempelte nun herumfahren und protestieren würde, so sah er sich getäuscht.
»Was willst du?« kam es kalt und gelassen. »Mit dir reden.« »Bin ganz Aufmerksamkeit. Quatsch dich aus und verdufte wieder, und etwas plötzlich, wenn's beliebt.« »Es beliebt nicht. Weshalb glotzt du ständig Carradine an?« »So, glotze ich? Carradine heißt der Hombre? Meinetwegen. Hau ab!« Ray Ewing gingen die Gäule durch. Er gab dem anderen einen kräftigen Stoß gegen die Schulter und ++ starrte in eine kreisrunde Coltmündung. »Lebensmüde, was?« »Wer bist du? Glaub' ja nicht, daß ich Angst vor deinem Schießeisen habe. Also, wer bist du und weshalb provozierst du meinen Freund?« »Tue ich das?« Der Revolver verschwand so schnell wie er hochgezaubert worden war. »Weiche nicht aus, du lahmer Pilger.« Der Fremde stieß sich mit der Schulter von der Säule ab, wirbelte herum und hieb Ray die Faust genau auf den Punkt. Der Bandit wurde halb um seine Achse gerissen und stürzte schwer zwischen die Tische. Halb benommen von dem Schlag richtete er sich halb in die Höhe und sackte mit glasigen Augen erneut zusammen. Carradine hatte jede Phase der Auseinandersetzung verfolgt. Seine Brauen schoben sich zu einem Strich zusammen, und seine hellen Augen funkelten ebenso grausam wie tückisch. Mit einer sanften Bewegung legte er den Kartenfächer auf den Tisch und stand auf. Wie schon gesagt, Carradine wirkte eher schmächtig als kräftig. Aber von seiner Körperhaltung und seinem Gangwerk ging eine solche Geschmeidigkeit und Straffheit aus, daß der Fremde einen zweiten Blick an ihn verschwendete. Drei Schritte vor dem Mann blieb Carradine stehen. Der Fremde überragte ihn um einen ganzen Kopf und grinste ihn
hohnlächelnd an. »Sag, wie wirst du dich fühlen, wenn ich dir ein paar Zähne in deinen ungewaschenen Schlund hämmere, Bucko?« »Wahrscheinlich wird mich das ärgerlich machen, so ärgerlich, daß ich deinen mageren Wanst mit Blei fülle. Versuch's mal!« Carradine zog die Oberlippe hoch. Sein Gesicht bekam etwas Wölfisches, Gemeines. »Wer bist du? Ich möchte wissen, wen ich gleich zu Hackfleisch verarbeite.« »Ich bin Johnny Ringo, Zwerg. Verzupf dich! Los, verdufte!« Carradines Hand glitt zum Halfter. Das Aufbrüllen eines Schusses ließ ihn auf halbem Weg innehalten. Ringo hatte nicht geschossen. Von dort kam kein Rauchwölkchen und kein heißes Blei. Beide Männer schickten verblüffte Blicke zur Bühne, wo sich Pulverrauch zur Decke kräuselte. In diesem Augenblick spuckte Mr. Mike Allen Brescott aus Kansas City unter brüllendem Beifall der Zuschauer die erste aufgefangene Kugel auf den Bretterboden. Sein machiavellistisches Gelächter gackerte wie ein ganzer Hühnerhof durch den Saal. »Gentlemen, macht es mir jemand nach?« »Donnerwetter!« sagte Ringo anerkennend. »Das kann er wirklich!« »Bluff«, grunzte Carradine wegwerfend, »Taschenspielertricks.« »Sein Gehilfe schoß doch aus 'nem Colt?« »Platzpatronen. Die Kugel, die er ausspuckte, hielt er zwischen den Zähnen. Kunststück!« »Trotzdem …« Ein paar Oldtimer, voll wie Haubitzen und wilder als Katzenflieger, rankten sich in die Höhe und wedelten begeistert mit den Händen. Einer aus ihrem Kreis, ein bärtiger Geselle mit
hervorquellenden Augen und schadhaftem Pferdegebiß riß einen uralten Perkussionsrevolver aus dem Gürtel, nahm Maß und legte auf den Bleifänger an. »Ho, Kansas City, fängst du auch die?« Sein Nachbar schlug ihm den Lauf herunter. Brüllend fuhr der Schuß in den Boden. »Hohlkopf! Willst du den Spaßmacher umbringen?« »Wer ist hier ein Hohlkopf? Ich zahle ihm zweihundert Dollar, wenn er in meine Kugel beißt.« »Und anschließend hängen sie dich wegen Mordes. Setz dich hin, du Pavian mit einem Flohgehirn.« Die Digger beruhigten sich, nahmen ihre Plätze ein und vergaßen den Zwischenfall. Das Programm wechselte und nahm an Farbe und Beweglichkeit zu. Langsam, als müßte er seine Bewegungen sehr knapp bemessen, drehte sich Ringo zu Carradine herum. Die Kippe wanderte vom rechten in den linken Mundwinkel, und während er sprach, kniff er ein Auge zu: »Okay, Hombre, entscheide dich. Einen Whisky oder 'ne Schießerei?« »Mir gleich. Wenn es dich danach gelüstet, Blei aufzufangen, dann greif zum Eisen!« Johnny Ringo spuckte den Zigarettenstummel zu Boden und grinste. »So toll wird's wohl nicht sein, oder? Ein Dreck und ein hübsches Mädchen wären mir allerdings lieber als Pulverdampf. Wie wär's?« »Okay, läßt sich hören. Komm mit, ich gebe einen aus.« Seite an Seite schlenderten sie zur Bar. Zwei gleiche Typen, zäh, kalt und absolut tödlich mit dem Revolver. * »Wir werden verfolgt.«
Cochise sagte es ruhig und so belanglos, als rede er über das Wetter. John Haggerty, der Steigbügel an Steigbügel mit ihm ritt, war von der Ankündigung so überrascht, daß er rasch den Kopf wandte und das hügelige Land in seinem Rücken musterte. Er fragte: »Wer?« Cochise, kein Freund von langen Reden, schüttelte verweisend den Kopf. Hinter ihnen ritten Naiche und die beiden Krieger. Ihre Gesichter waren verschlossen und wirkten wie zugeknöpft in Gegenwart des legendären Häuptlings. »Lagern«, sagte der Chief und deutete auf eine dichte Buschinsel. Der Weiße an seiner Seite begriff und wunderte sich stets wieder über den vorausschauenden Weitblick des Apachen. Er nickte und lenkte sein Pferd zu dem Dornengestrüpp hinüber. Was seinen Augen entgangen war, Cochise hatte den Durchlaß im Dickicht mit Adlerblick erkannt. Auf der Lichtung stiegen sie von den Pferden und spannten einen Lasso-Corral. Naiche entzündete ein Feuer und packte Proviant aus einer Wildledertasche. Inzwischen versank die Sonne blutrot hinter dem Papago Indian Stripe und ließ ein Meer von purpurnem Dunst und die Ahnung einer sternklaren, kalten Nacht zurück. John und Cochise saßen beim Feuer und unterhielten sich leise. Trotz der Unterhaltung waren ihre Sinne aufs Äußerste angespannt. »Hast du sie gesehen, Jefe?« »Einer«, antwortete Cochise. »Cochise schmeckt den Staub.« John schwieg. Was hätte er auch sagen sollen? Die Urinstinkte der Indianer waren denen der weißen Rasse weit überlegen, wie der Apachen-Chief immer wieder unter Beweis stellte. Erste Schatten krochen durch die Büsche, eine gute Gelegenheit für einen Späher, sich an das Lager zu schleichen. Bevor es ganz dunkel wurde, nahmen sie ihre Abendmahlzeit ein. Nach dem Essen entfernten sich die beiden Krieger auf
Holzsuche. Cochise senkte den Kopf bis fast auf die Brust. Leise sagte er: »Ich gehe, Falke. Verhalte dich ruhig!« John nahm einen Zweig und stocherte im Feuer. Ebenso leise antwortete er: »Laß es mich tun, Cochise. Es ist unauffälliger, falls noch ein paar andere Späher in der Nähe sind.« Ohne eine Antwort abzuwarten stand Haggerty auf. Er tat so, als müsse er abseits gehen und entfernte sich zur Lücke im Dickicht hin. Als er sie erreichte, zuckten die letzten Lichtbündel über das Land und hinterließen Dunkelheit. John Haggerty hatte keine Ahnung, wo er den Späher finden würde. Auf jeden Fall mußte er sich zunächst einmal unsichtbar machen und durch die zähen Ranken hindurchkriechen. Wenn es zu einem Kampf zwischen ihm und der feindlichen Rothaut kam, war er im Unterholz gegenüber dem gewandten Indianer im Nachteil. Dieses Risiko mußte er aber eingehen, weil es keine andere Möglichkeit gab, sich des Spähers zu bemächtigen. John kroch auf Händen und Füßen, weiter. Staub stieg ihm in die Nase und reizte seine Schleimhäute. Hier unter den Ranken war es so dunkel, daß er die Hand nicht vor Augen sah. Und es war still. Johns Hand tastete sich vor. Wenn sie auf kein Hindernis stieß, glitt sie weiter und zog den Körper nach. Meter um Meter schaffte der schweißtriefende Mann und näherte sich dem inneren Dickichtgürtel. Durch die dünnen Stämme der meterhohen Speerdornpflanzen sah er das Feuer flackern. Absolute Lautlosigkeit herrschte dort. Als er einmal in seinen Bewegungen innehielt und Atem schöpfte, sah er Cochise unbeweglich wie eine Statue bei den Flammen sitzen. Der Häuptling hielt den Kopf gesenkt, als seien seine Gedanken weit entrückt. Weiter! Ein knisterndes Geräusch ließ Haggerty zusammenzucken. Er
verhielt, lauschte atemlos nach allen Seiten und wagte nicht, sich zu bewegen. Woher war das Geräusch gekommen? Seine Augen spähten unter dem aufgestützten Kopf hervor in alle Richtungen, aber die absolute Finsternis unter dem stacheligen Blätterdach ließ nichts erkennen. Da, wieder! Knirschen und Knistern. Schließlich brach unkontrolliert ein dürrer Ast. John zuckte zusammen und hielt die Hand vor den Mund, damit ihn sein keuchender Atem nicht verriet. Rechts von ihm lag ein formloser Klumpen unter dem Stacheldach, und dieser Klumpen bewegte sich Zentimeter um Zentimeter dem Lichtschein am Feuer entgegen. Haggerty lächelte grimmig. Warte, Bürschchen, dachte er. Gleich werde ich dich liebevoll in die Arme schließen. Er blieb liegen, beobachtete und ließ seinen Atem zur Ruhe kommen. Der Mann vor ihm kroch weiter und mußte seinen Weg schneiden, wenn er die Richtung beibehielt. Und wenn Johns Augen ihn nicht trogen, war der Anschleicher ein Indianer. Cochise hatte wieder einmal recht gehabt. Minuten vergingen. Eine Viertelstunde, eine halbe. Der Späher war John so nahe gekommen, daß er bereits seine Ausdünstung riechen konnte. So gut es möglich war, preßte sich der Weiße gegen den harten Boden und verhielt sich bewegungslos. Am Feuer bewegte sich etwas. Einer der Krieger war aufgestanden und schlug sich seitwärts in die Büsche. Gott sei Dank nahm er die andere Richtung und entfernte sich. Der Flügelschlag eines Nachtbeuters war über John. Er wagte nicht, den Kopf zu heben und hochzublicken. Der Fleck seines hellen Gesichtes hätte ihn bestimmt verraten. Vor ihm entstand wieder Bewegung. Geräuschlos kroch der Indianer wie eine große Echse näher. John behielt ihn im Auge und verfolgte jede seiner
Bewegungen. Drei Meter mochten sie noch trennen. John hatte das Glück, vor seinem Kopf ein paar Grasbüschel zu haben, die unter dem lichtlosen Blätterdach ein armseliges Dasein fristeten. Wieder Geräusche beim Feuer. Der Späher erstarrte und preßte seinen Körper wie auch John gegen die Erde. Der Apache war zurückgekehrt und rollte sich neben den Flammen wie ein Igel zusammen. Schweigen. Nur das Feuer knisterte und schickte dann und wann einen Funkenregen in seine Nachbarschaft. Im Corral stampften die Pferde mit den Hufen und durchdrangen die Nacht mit ihrem tiefen Schnauben. John sah, wie der Späher seine Richtung etwas änderte und ihm dadurch schneller näherkam. Nur noch Sekunden, wenige Sekunden, und er würde sich auf die Rothaut stürzen und ihm die Faust gegen den Schädel donnern. John Haggerty rechnete mit dem Überraschungsmoment und auch mit Kampf. Wie in derartigen Fällen würde der Überfallene erst einmal sekundenlang dem Schock unterliegen und sich dann mit Zähnen und Klauen wehren. Daß es ganz einfach werden würde, konnte er nicht ahnen. Die permanente Nähe des potentiellen indianischen Gegners trieb John Haggerty den Schweiß in wahren Sturzbächen über den Körper. Dazu kam die gestaute Hitze unter dem verfilzten Blätterdach, die Angst vor der Dunkelheit und die Zecken, die sich herabfallen ließen und in seine ungeschützte Haut bohrten. Zwei Meter, ganze zwei Meter, und er würde den fremden Indianer mit der Hand berühren können. John lauerte und wartete auf seine Chance. Er streckte vorsichtig die Hand aus, öffnete sie wie im Spiel und schloß sie zur Faust, um die Finger geschmeidig zu halten. Raschelndes Knistern, das leise Knacken eines Pflanzenstengels und das schleifende Geräusch zur Seite geschobener Zweige ließen den Weißen angespannt erstarren. Er hielt erneut den Atem an und spannte die Muskeln. Mit
einem Sprung wollte er sich auf die Rothaut werfen und ihr sein Messer an die Kehle setzen. Der Mann lag vor ihm, fast greifbar. John verlagerte sein Körpergewicht auf Knie und Ellbogen und setzte zum Sprung aus seiner liegenden Position an. Jetzt! Wie ein abgeschossener Pfeil schnellte er in die Höhe und … »Das Bleichgesicht muß keine Angst vor Saguaro haben. Saguaro hat nichts Böses im Sinn.« Ein wehrloser Indianer lag unter John, der ihm die Spitze seines Messers in den Nacken setzte. Als hätte Cochise mit seinen Chiricahuas nur auf diesen Augenblick gewartet, sprangen sie wie auf ein Kommando auf und stürzten sich zwischen die Büsche. * »By Jason, der Bastard spielt falsch! Und das so ungeschickt, daß es jeder merken kann.« Johnny Ringo nickte. Er und Carradine lehnten am Tresen, brennende Zigaretten im Mundwinkel, die Augen verkniffen, Whisky und Bier vor sich auf der Nickelplatte. »Wie kann man nur so lange am Leben bleiben, wenn man so blöd ist und in die verkehrte Tasche spielt?« »Yeah«, knurrte Carradine gelangweilt. »In dieser Town gibt es noch blödere Heinis. Mach dir nichts draus, John. Hauptsache, uns beißen die Schweine nicht.« Er warf einen abschätzenden Blick auf den Revolvermann und fuhr fort: »Was treibst du in diesem Sündenbabel? Rausschmeißer?« »Käse! Ich und Rausschmeißer…? Sieh dir die beiden Gorillas dort drüben an. Die besorgen das viel gründlicher als ich. Das Rausschmeißen.« »Von was lebst du?«
»Von diesem und jenem«, sagte Ringo ausweichend. »In dieser beschissenen Stadt gibt es wenig Entfaltungsmöglichkeiten für einen Mann wie mich.« Am ersten Spieltisch entstand Turbulenz. Sie hatten einen Falschspieler bei einer Mogelei erwischt. Carradine wurde abgelenkt und vergaß seine Frage. Sein schmales Grinsen überflog seine Züge, als es drüben krachte und polterte. Die Männer hatten das Problem auf ihre Art gelöst. Einer der beiden Rausschmeißer kam mit eingestemmten Armen herüber, packte den Bewußtlosen am Kragen und zerrte ihn zur Tür. Mit einem gezielten Tritt beförderte er ihn in die Nacht. Schweigend kehrte er zurück. »Ich könnte einen Job gebrauchen«, sagte Casy Carradine leise und kniff die Augen noch mehr zusammen, wenn das überhaupt möglich war. Johnny Ringo schüttelte den Kopf. Achselzuckend antwortete er: »Einen Job suchst du? Was kannst du denn?« »Schießen.« »Das können Millionen andere auch.« Ringo winkte lässig ab. »Tresore knacken. Banken berauben.« »Nicht mein Fachgebiet.« Er schüttelte den Kopf. »Nichts zu machen, Sonny. Geh zu Juan Moreno, wenn du Geld machen willst.« »Ich arbeite für keinen Greaser.« »Er hat ein paar tüchtige Jungs in seiner Bande. Du solltest ihn dir wenigstens einmal anhören. Schnelle Eisen kann Juan immer gebrauchen. Für wen hast du bis jetzt gearbeitet?« »Samuel High.« Zuckte Johnny Ringo zusammen? Oder täuschte sich Carradine? Straffte er seinen sehnigen Körper nicht bei der Namensnennung? »So, für High«, dehnte Ringo lahm und uninteressiert. Er deutete auf die leeren Gläser. »Ich bin dran. Whisky?« »Warum nicht? Kannst du noch mehr als nur deinen
Ballermann bedienen?« »Kommt drauf an. Worauf zielst du?« »Eigentlich auf nichts Bestimmtes. War nur so'n Gedanke.« »Spinn ihn doch mal zu Ende. Ich bin tatsächlich bis auf die Haut abgebrannt und brauche …« »Stimmt nicht. Ich beobachtete dich am Pokertisch. Du hast ganz schön abgesahnt.« Carradine verkniff sich ein Grinsen und winkte ab. »Nicht der Rede wert, Bucko. Also, dann nicht.« Er hob sein Glas und trank Ringo zu. Johnny musterte ihn aus verkniffenen Augen. Noch wußte er nicht, was dieser eiskalte Bursche eigentlich wollte. Nicht von ihm persönlich, nur so im allgemeinen. Hörbar setzten sie ihre Gläser auf den Schanktisch. Der Lärm im Saloon nahm zu. Man verstand sein eigenes Wort nicht mehr. Eines der Tingeltangelmädchen im kurzen Rock und mit seidenbestrumpften Beinen trippelte heran und legte Carradine die Hand auf die Schulter. »Gibst du einen aus, Darling?« flötete sie mit silberheller Stimme. »Wenn du die Spendierhosen anhast, darf es auch Champagner sein.« Casy schüttelte, mit einer Seitwärtsdrehung die Hand ab. »Verdufte, Vogelscheuche! Los, dalli, alte Schraube!« Fäuste trommelten auf Carradine ein, und das Geschrei des Mädchens, laut, gellend, ordinär, zog die Blicke aller Anwesenden auf sich. Um nicht ins Handgemenge zu geraten, zog sich Ringo ein ganzes Stück an der Theke zurück, trat dabei einem anderen auf die Füße, entschuldigte sich, dabei lachte er schallend. Es sah zu komisch aus. Das Flittermädchen stieß, trat und kratzte Carradine, und der mußte sich nach hinten absetzen, um den wütenden Angriffen zu entgehen. »Geh weg, du Biest!« »Wer ist hier ein Biest? George! Lefty! Her mit euch! Der
Bastard beleidigt mich!« Schaukelnd kamen die Gorillas durch den Mittelgang. Carradine wurde wütend, als ihn ein Hieb von zarter Hand auf die Nase traf. Er sprang vor, packte die empörte Megäre bei der Hüfte, hob sie auf und schleuderte die Zappelnde und Kreischende dem ersten Rausschmeißer in den Arm. Ein allgemeiner Tumult brach aus. Männer sprangen von den Stühlen und schwangen die Fäuste. Schnapsheisere Stimmen stießen wüste Drohungen aus, die im Androhen von Skalpieren bis zur Kastration alles beinhalteten, was sich Volltrunkene so einfallen ließen. Lefty, ein bullig wirkender Mann mit breitgeschlagener Nase und Blumenkohlohren, stieß das kreischende Weibsbild zur Seite und stürzte sich wie ein wütender Bison auf Carradine. Es kam, wie es kommen mußte. Casy Carradine zog und ließ den Goliath in den Schlag mit dem Revolverlauf laufen. Der Mann krachte wie von einer Axt gefällt zu Boden. George war schon da. Es gehörte zu seinem Prestige, diese Laus von einem Zwerg zu züchtigen und ihm einmal so richtig und aus Herzenslust Manieren beizubringen. Gewitzt durch den schnellen Revolver verlegte er sich zunächst auf Fußtritte, denen Carradine aber mühelos auswich. Die beiden Kämpfer gerieten nach zwei, drei Minuten richtig in Stimmung. Colt und Faust, Colt oder Faust, darauf kam es jetzt an. Casy wich einem gewaltigen Schwinger durch Abducken aus und ließ den langen Lauf seines Revolvers nach oben fliegen. Der Schlag genügte, den Hünen nach hinten kippen zu lassen. Wie ein fallender Gigant stürzte er Tische und Stühle um, riß ein paar Männer mit zu Boden und wälzte sich mit ihnen eng umschlungen in den schmutzigen Sägespänen. Der Kampf war aus. Der gespannte Revolver kühlte den Mut der anderen ab, die sich lediglich aus Lust am Kampf beteiligt
hatten. Rückwärtsgehend verließ Casy den Saloon. Sein letzter Blick galt dem grinsenden Johnny Ringo. * »Du hast dich an unser Lager herangeschlichen und wolltest einen von uns töten«, eröffnete Haggerty das Verhör in einer unbestimmten Ahnung von Gefahr. Saguaro hob den Kopf und schaute Cochise ins Gesicht. In seinen Augen lag so viel Offenheit und Ehrlichkeit, daß der Häuptling sofort anderen Sinnes wurde. »Ich wollte nicht töten«, erwiderte der Aravaipa. »Du hattest einen Mordanschlag auf Cochise vor«, behauptete John mit einem Bluff. Saguaro stand auf und breitete die Arme aus. Naiche, der hinter ihm stand, setzte sofort sein Messer an den Nacken des Indianers. »Mit was hätte ich töten sollen? Seht ihr eine Waffe bei mir?« Saguaro war tatsächlich waffenlos. Nicht einmal ein Messer steckte in seinem Gürtel. »Du hast dein Gewehr im Dickicht versteckt.« Saguaro schüttelte den Kopf. »Sucht danach, ihr werdet keins finden.« »Weshalb hast du dich dann angeschlichen?« »Aus Dankbarkeit.« »Dankbarkeit?« fragte Haggerty und staunte. »Ich wollte Cochise dafür danken, daß er mir das Leben schenkte.« »Deswegen brauchst du dich doch nicht an uns heranzuschleichen?« »Wußte ich, ob ich willkommen war?« Cochise stand vom Feuer auf, legte Holz nach und entfernte sich. An der Lichtgrenze ging er auf und ab. Seinen stolzen Adlerkopf hielt der Häuptling bis auf die Brust gesenkt. Bei ihm
ein Zeichen, daß er nachdachte. Schon kurz darauf gab er Naiche ein Zeichen. »Saguaro ist ein freier Mann, ich glaube ihm.« Sofort verschwand das Messer. Naiche setzte sich zu den anderen und verfolgte die kurzstreckige Wanderung seines Vaters mit stoischem Gleichmut. John Haggerty war noch nicht ganz befriedigt. Konnte aber Cochise nicht widersprechen? Der Jefe erkannte, was in dem Weißen vorging. Er trat wieder zum Feuer und setzte sich Saguaro gegenüber. »Du bist mit den Rebellenhäuptlingen geritten, roter Krieger. Was hast du gesehen und gehört?« »Will Cochise etwas Bestimmtes wissen?« »Der Häuptling will alles wissen, und ich auch«, schaltete sich John ein. »Rede, Rothaut!« Cochise bedachte Haggerty mit einem vorwurfsvollen Blick und machte eine abschwächende Handbewegung. Er wandte sich an Saguaro und sagte im ruhigen Ton: »Wie stehen Geronimo und Victorio zueinander? Haben sie gemeinsame Pläne, und wer ist der tonangebende Krieger?« Der Aravaipa überlegte. Schließlich hob er den Kopf und antwortete: »Sie ziehen raubend und mordend durch das Land. Einmal befiehlt Geronimo, ein andermal Victoria« »Die beiden sind es, die den Telegrafenbau angreifen und zerstören?« Saguaro nickte. »Geronimo. Victorio interessiert sich nur für Beute. Der Häuptling ist…« »Halt!« befahl Cochise streng. »Weder Victorio noch Geronimo ist ein Häuptling. Ich bin der gewählte Führer aller Stämme!« »Ich weiß es«, antwortete Saguaro schlicht. »Sprich weiter«, Cochise wechselte einen Blick mit John. »Warum zerstört der Mimbrenjo den Sprechenden Draht?« »Er bekommt Gewehre, Decken und Proviant dafür.« Cochise und Haggerty gab es einen Ruck. John sagte schnell:
»Gewehre? Von wem? Ist es ein Weißer?« Saguaros Hand wies nach Westen. Er nickte und warf einen Blick zu Naiche hinüber, der ihn unverwandt anstarrte. »Ein weißer Mann«, bestätigte der Indianer. »Das Bleichgesicht will den Sprechenden Draht nicht und bekämpft ihn. Mehr kann ich nicht sagen.« »Weißt du seinen Namen? Kennst du sein Aussehen, Krieger?« Saguaro zögerte. Nach einer Weile antwortete er: »Geronimo nennt ihn Bussy Blaki. Gesehen habe ich ihn nicht. Geronimo und Victorio reiten stets zu ihm, wenn er sie ruft.« »Und wohin geht der Ritt?« »In die Nähe der Stadt, die die Helläugigen Tombstone nennen.« Saguaro deutete noch einmal nach Westen. »Die Stelle dieses Treffpunktes kennst du nicht?« »Nein, Jefe.« »Es ist gut«, sagte Cochise. »Du kannst bei uns bleiben, wenn du willst.« »Ich will«, antwortete Saguaro einfach. Zunächst herrschte für eine Weile Schweigen am Feuer. Jeder hing seinen Gedanken nach und versuchte sie zunächst einmal zu ordnen. Es gab Lücken in Johns und Cochises Überlegungen, die aufgefüllt werden mußten. Klaffende Lücken. Wer war Bussy Blaki? War er jener unbekannte Banditenchef, der nicht nur eine Bande weißer Rowdys befehligte, sondern auch wilde Apachenhorden aus den Reservaten San Carlos und Fort Apache? John Haggerty nahm sich vor, der Sache in Tombstone auf den Grund zu gehen. Endlich hatte er eine Spur. Wenn sie auch noch kalt und kaum erkennbar war, so konnte sie durch Ermittlungen belebt und sichtbar gemacht werden. Tombstone hieß der Schlüssel. Cochise sah ihn an, nickte. John nickte zurück. Sie verstanden
sich ohne viele Worte. »Ich reite bei Tagesanbruch nach Tombstone«, sagte John und richtete seine Augen auf den Aravaipa. »Cochise begleitet dich.« John wehrte ab. »Zu gefährlich«, antwortete er. »Indianer sind in einer Stadt wie Tombstone nicht gern gesehen.« »Wir alle kommen mit und warten in einem Versteck«, entschied der Häuptling mit Bestimmtheit, die keinen Widerspruch duldete. »Saguaro ist ein freier Mann und kann sich uns anschließen oder Geronimo folgen. Wie er will.« »Ich reite mit Cochise.« »Du bist willkommen.« * Die Sonne stand im Zenit. Das Land stöhnte unter der Hitze und unter dem Wassermangel. So weit das Auge reichte: nichts grünte und keine Pflanze stand in Blüte. Vor dem Büro der Western Union gleich neben dem Oriental Saloon standen ein paar Pferde mit hängenden Köpfen vor dem Hitchrail, willkommene Opfer der Pferdebremsen, die wie ein Ungewitter in mächtigen Schwärmen durch die Stadt schwirrten und sich auf die wehrlosen Tiere stürzten. Ein Mexikaner lehnte an der Hauswand. Er hielt den Kopf mit dem riesigen Wagenradsombrero gesenkt, als schliefe er im Stehen. Seine weiße Leinenkleidung wurde von einem bunten Poncho verdeckt, ebenso seine Waffen. Zwei Fußgänger näherten sich dem in der Hitze dösenden Mann. Der eine kam aus der Richtung Allen Street, der andere vom Mietstall. Der aus der Allen Street Kommende trug die übliche verwahrloste Kleidung der Frontierleute, der andere Wildlederbekleidung und einen grauen Militärhut. Beide waren mit Revolvern bewaffnet. Der Wildlederbekleidete trug zusätzlich ein langes Bowiemesser im
Gürtel. Der Allen Street-Mann blieb einen Schritt hinter dem Mexikaner stehen und drehte sich eine Zigarette. Der hochgewachsene Hombre in Wildleder sah deutlich, wie der Amerikaner bei seiner Tätigkeit die Lippen bewegte und eine Nachricht an den Mexikaner weitergab. Er blieb stehen und lehnte sich gegen die schattige Hauswand eines Lehmziegelhauses mit grüngestrichenen Klappläden. Seinen Feldhut trug er in die Stirn gezogen, so daß sein Gesicht im Schatten lag. In diesem Augenblick zündete der Amerikaner seine Zigarette an und ging weiter. John Haggerty, dieser war es, blieb nach wie vor stehen und beobachtete weiter. Die Entfernung bis zu dem Mexikaner betrug gut und gern dreißig Yards, diagonal über die Straßenbreite gemessen. Es dauerte nicht lange, da tauchte ein zweiter Mann auf, der im Aussehen viel Ähnlichkeit mit dem ersten hatte. Das Spiel wiederholte sich. Nachrichten wurden ausgetauscht, Befehle weitergegeben. Auch dieser Mann verschwand in Richtung des ersten. John nahm Tabakbeutel und braunes Papier aus der Hemdtasche und drehte sich selbst eine Zigarette. Sein Gehirn überschlug sich. War er rein zufällig auf etwas gestoßen, das ihn weiterbringen konnte? Eine Bedeutung hatte das Verhalten dieser Männer, und John würde sich nicht wundern, wenn weitere kämen, um ebenfalls Nachrichten oder Befehle zu empfangen. Wer gab die Befehle? Was wurde überhaupt hier gespielt? Johns Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück und somit in die Wirklichkeit. Von Westen her trabten drei Reiter in die Stadt. Gegen Reiter war in diesem Land nichts einzuwenden, denn die einzige sichere Fortbewegung war das Reiten auf einem Pferd. Bemerkenswert war aber, daß die drei rüde aussehenden Kerle genau dort ihre Pferde kurz anhielten, wo der Mexikaner an der
Wand des Hauses lehnte. Und alles spielte sich in unmittelbarer Nähe des Büros der Western Union ab. Wenn man noch in Betracht zog, daß sich einige Häuser weiter auch noch der Pony Express etabliert hatte, der mit dem Telegraf Hand in Hand arbeitete, so war das nicht nur bemerkenswert, sondern auch geradezu auffällig. Die Reiter trieben ihre schweißbedeckten Pferde an und verschwanden aus Johns Gesichtskreis. Der Mex stand immer noch dort drüben und schien nun fest zu schlafen. Niemand kam mehr. Haggerty hielt es an der Zeit, weiterzugehen und nicht aufzufallen. Er warf seine aufgerauchte Zigarette zu Boden und verfolgte die Straße weiter nach Westen. Er war kaum hundert Yards gegangen, als ihm blitzartig bewußt wurde, daß er im Begriff war, einen Fehler zu begehen. Er wirbelte herum und drückte sich gegen die Hausecke bei einer Seitengasse. Der Mexikaner war verschwunden. Diese Tatsache elektrisierte Haggerty förmlich. Er setzte sich in Bewegung und lief mit weit ausholenden Schritten den Weg zurück. So sehr er auch nach dem Mexikaner Ausschau hielt, er war nirgendwo zu sehen. John schalt sich im stillen einen Narren und hätte sich am liebsten selbst in die Kehrseite getreten. Alles Fluchen half nichts. Der Greaser war in einer der unzähligen Kneipen untergetaucht und hielt sich verborgen. John blieb stehen und schnappte hörbar nach Luft. Irgendwie ließ er sich von den lauten Klängen, die aus dem Vogelkäfig Saloon drangen, inspirieren. Wo versteckte sich am besten ein Mensch, wenn er anonym und unentdeckt bleiben wollte? Selbstverständlich in einer Versammlung anderer Menschen. Mit langen Schritten ging Haggerty kurz entschlossen über die Straße und betrat das großräumige Haus. Frenetischer Höllenlärm schlug ihm wie eine Woge, trotz der frühen Stunde, entgegen. Er blieb stehen, um sich zu orientieren und wurde das
Ziel einer geschminkten Schönen, die ihm ihren Ellbogen in die Rippen stieß, dabei die Lippen spitzte und flötete: »Hallo, mein Süßer, hast du Durst?« Als John nicht antwortete, sie nur groß anstarrte, fuhr sie fort: »Komm, Darling, gerade eben ist eine Balkon-Loge freigeworden. Spendierst du 'ne Pulle Schampus?« »Jetzt nicht, keine Zeit«, sagte Haggerty schnell und dachte dabei an die klare Sauberkeit Tla-inas, dem jungen Apachenmädchen. Er wollte sich schon brüsk entfernen, als ihm der zweite gute Gedanke dieses Tages kam. Mit einem freundlichen Lächeln auf den braunen Gesichtszügen wandte er sich an das Änimiermädchen. »Sag, Honey, ist vor mir ein Mexikaner mit einem Poncho und einem Riesenhut hereingekommen? Du kannst für eine richtige Auskunft zwanzig Dollar verdienen.« »Ich heiße Bemadette«, sagte sie und verzog die Lippen zum Schmollmund. »Ein Greaser?« fragte sie. »Weißt du, Hombre, von den braunen Affen halten wir hier nicht viel. Wer achtet schon auf einen Spie?« »Dreißig Dollar«, erwiderte John mit Nachdruck. »Hat er dich beklaut?« John Haggerty nickte. »Und nicht zu knapp. Also?« »Hmm, dreißig? Läßt sich hören. Beschreibe ihn noch mal.« John tat es. Mit den Händen deutete er Höhe und Breite an, die ungefähre Größe und das Aussehen. Bernadette nickte, faßte nach Johns Hand und zog ihn aus dem Strom der Spiel- und Trinkfreudigen. Der Weg führte über eine Treppe in einen langen Korridor, von dem zahlreiche Türen abzweigten. Als sie in die intime Welt aus Samt und Plüsch traten, deutete Bemadotte auf den schmalen Spalt im Vorhang. John trat näher und warf einen Blick hindurch. Kurz zuckte er mit den Achseln und sagte: »Was ist? Ich sehe nichts.« Sie trat neben ihn, zerrte den schweren Plüsch zur Seite. Ihre
Hand zeigte über den Saal hinweg auf eine gegenüberliegende Nische. »Ist das der Spie, den du suchst?« John fixierte die goldverzierte Brüstung. Sein Blick glitt hoch. Zwei Männer unterhielten sich mit vielen Gesten. Den Mexikaner erkannte er, den Amerikaner nicht. Trotzdem hatte er das Gefühl, dieses nichtssagende Gesicht schon einmal gesehen zu haben. »Der Greaser ist La Rocco, ein bekannter Messerheld an der Grenze.« »Und wer ist der andere?« »Kenne ich nicht. Bekomme ich die Belohnung?« John fischte ein Bündel Dollarnoten aus der Tasche, zählte drei Scheine je zehn Dollar ab und gab sie dem Mädchen. »Hör zu, Kleine. Wie kann ich erfahren, was die beiden miteinander sprechen?« Bernadette zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf. John zog einen Fünfziger aus dem Geldbündel und wedelte damit vor ihren Augen. »Bleib hier«, sagte sie hastig. »Ich bin gleich wieder zurück.« Fort war sie. Haggerty nahm auf dem weichen Plüschstuhl Platz und ließ kein Auge von der Loge. Die Minuten vergingen. La Rocco unterhielt sich immer noch mit dem Amerikaner. Plötzlich stand der Mexikaner auf und ging. Der Amerikaner blieb sitzen und starrte zur Bühne. Wenig später huschte Bernadette in die Loge und ließ sich auf einem zweiten Stuhl nieder. Ihr Gesicht wirkte bleich, dabei hektisch gerötet. Kreisrunde Flecken zirkelten auf ihrem Gesicht. »Warum so aufgeregt?« fragte John lächelnd. »Du bekommst den Schein, auch wenn du nichts gehört hast. Du hast gelauscht, oder irre ich?« Bernadette schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht, Hombre«, erwiderte sie mit harten Lauten.
»Wenn ich dir sage, was ich gehört habe, legst du noch 'ne Kußhand zu.« »Ja?« John wedelte mit dem Schein. »Sie wollen dich umbringen!« fuhr es aus ihr heraus. »Ja, ja, von dir war die Rede, Mann. Der Mex soll dich draußen mit dem Messer erledigen. Und falls das nicht klappt, steht ein Bursche namens Carradine mit 'nem gezogenen Revolver hinter ihm.« »So?« fragte Haggerty. Der Geldschein wechselte den Besitzer und wurde fachgerecht im Kleidausschnitt verstaut. »Ist das alles, was du zu sagen hast?« John machte eine vage Bewegung und starrte noch einmal über den Raum hinweg auf die Nische. Der Amerikaner bekam Besuch. Eines der Mädchen brachte einen Sektkübel und Gläser. Sie blieb gleich in der Nische und setzte sich. »Erwarten die Kerle mich draußen auf der Straße?« Bernadette streckte John die flachen Hände entgegen. »Wo sonst? Irgendwo. Hast du einen Revolver?« John Haggerty nahm die Wildlederjacke zur Seite und klopfte auf das Halfter. »Soll ich Hilfe für dich organisieren? Das kostet aber eine Kleinigkeit.« »Nein, laß nur. Mit denen werde ich schon allein fertig.« »Wir haben einen Mann im Vogelkäfig, der es mit diesem Carradine aufnimmt, wenn du ihm ein paar Scheine zeigst.« »Wie heißt er?« »Johnny Ringo.« »Der Revolvermann? Nein, danke. Ich schaffs schon allein.« John stand auf, klopfte dem Mädchen freundlich auf die Schulter und verließ die Liebesnische. Im Saloon drang er durch die blaue Rauchwolke wie ein Schiff durch die Flut, steuerte die Bar an und stützte die Ellbogen auf die Nickelstahlplatte. »Whisky?« fragte der Keeper. »Ja«, bestätigte er nickend. »Schätze, der ist jetzt goldrichtig.«
John trank seinen Whisky und zeigte sich kaum beeindruckt von seiner beißenden Schärfe. Langsam drehte er den Kopf und musterte die vielen Männer aller Altersklassen und Hautschattierungen. Geächtete Revolverhelden zogen Arm in Arm mit Tanzhallen-Mädchen in die oberen Stockwerke. Cowboys, Gold- und Silberschürfer, Farmer und solche Männer, die für gewöhnlich das Licht des Tages zu scheuen hatten, saßen vereint an den Spieltischen oder verschränkten die zitternden Hände über schmutzigen Schnapsgläsern. Es war nicht der Whisky bei John Haggerty. Es war die Ahnung von etwas Unangenehmem, von dem Kommenden, das ihn weiter verharren ließ. Nach dem ersten Drink blieb der zweite unangetastet. John blickte im Saloon umher und nahm die Eindrücke wie verspätetes Wissen in sich auf. Er starrte nur, John Haggerty, und er störte sich nicht an dem Lärm und der Gemeinheit, die ihn umgab. Er vergaß, wer und wo er war, welche Aufgabe er zu erfüllen hatte. Er pflückte lediglich neue Erkenntnisse vom Baum des Lebens und versuchte sie mit seinem eigenen einfachen in Einklang zu bringen. Nicht das Aroma des billigen Whiskys, der beizende Rauch schlechten Tabaks, der Mief ungewaschener Männer und schwitzender, süßlich parfümierter Frauen war es, was ihn abstieß, sondern die Gemeinheit und die kalte Mordlust in den Augen der Männer, denen man ihr Gewerbe auf eine Meile ansah. Es war kein Traum, auch nicht die Angst vor dem Unabwendbaren, das ihn auf der Straße erwartete. Nur die Frage, wer war der Fremde in der Nische, beschäftigte ihn und ließ ihn zaudern. Ein Mann, der einen Unbekannten umbringen lassen wollte, verdiente Beachtung in diesem Land. Er zuckte zusammen vor der Stimme, die über seine Schulter hinweg sagte:
»Du hast Schiß? Sag's doch! Dort drüben steht Johnny Ringo. Soll ich ihn auf einen Drink herbitten?« Haggerty schüttelte den Kopf, drehte sich auf den Absätzen herum. »Nein, Mädchen«, antwortete er. »Nimmst du einen Drink? Das wenigstens bin ich dir für deine Informationen schuldig.« Bemadette stellte sich neben ihn. Sie war einen Kopf kleiner, geradezu zierlich. Ihre hellen Augen gaben dem Keeper einen Wink. Als sie das Glas hatte, hob sie es hoch. »Wenn du kein Geld mehr hast, für mich macht es Johnny umsonst.« »Laß es, ich brauche ihn nicht.« »Nicht dort oben«, sie zeigte lachend zur Decke. »Aber hier auf Erden. Cheers!« Sie tranken sich zu. Hart stießen die Gläser aneinander. Er sah den Mexikaner einen Augenblick früher als dieser ihn. Und auch die anderen Hombres, die ihn begleiteten. Und er bemerkte den kleinen, kaltgesichtigen Mann im Hintergrund, der ihn anstarrte. »Geh fort, Mädchen«, sagte er und gab ihr einen sanften Stoß. »Verschwinde, es geht los!« Er hätte ziehen und La Rocco sofort töten können, und das wäre richtig gewesen. Kein Hahn hätte nach drei Mexikanern gekräht. Nicht im Tombstone. Aber ein Mann wie John Haggerty legte andere Männer nicht einfach um. Selbst dann nicht, wenn sie in der Überzahl waren. Auf Bemadettes Gesicht erschienen die hektischen Flecken wieder. Sie erkannte die Gefahr, gab dem Keeper ein hastiges Zeichen und versank im Hintergrund. Zehn Schritte waren die Mexikaner entfernt. Genau zehn. John schlug die Jacke zurück und löste die Schlinge am Revolverhahn. Acht Schritte. Gewiß, es waren noch acht Schritte. Aber was waren schon acht oder mehr Schritte, wenn Revolver oder fliegende Messer das Wort hatten? Die Mexe blieben stehen. Sie starrten John Haggerty drohend
an und versuchten ihn wahrscheinlich mit ihren Blicken einzuschüchtern. John lächelte geringschätzig. Der Mann im Hintergrund, der sich Carradine nannte, rührte sich nicht von der Stelle. Er brauchte es auch nicht. Für seinen Revolver waren zwanzig Yard die ideale Entfernung. »Haben wir dich endlich, du Bastard!« »Was wollt ihr?« »Das Geld, das du uns im Falschspiel abgeluchst hast!« Bemadette lief auf den Mexikaner zu und schrie: »Lüge! Alles Lüge! Sie wollen ihn umbringen, Männer! Seht ihr nicht, daß sie ihn ermorden wollen? Helft, Freunde! So helft ihm doch!« La Rocca war mit einem Sprung bei ihr und schlug ihr die flache Hand ins Gesicht. Bemadette stürzte und blieb benommen liegen. John stieß sich vom Tresen ab und spreizte die Beine. Sein Revolverkolben stand mehr als einen Zoll von der Hüfte ab. Seine Stimme hallte durch den großen Raum, in dem es still geworden war. »Dem Mann, der eine Frau schlägt, soll die Hand am Stumpf verfaulen!« »He!« La Rocca zog die Oberlippe hoch, grinste gemein und rief zurück: »Gib das ergaunerte Geld heraus, Bastard, und du kannst gehen!« »Verdammter Spie! Welches Geld?« »Gringoschwein! Ich rede von dem Geld, das du uns im Poker abgegaunert hast!« »Es ist nicht wahr!« schrie Bemadette und erhob sich vom Boden. »Der Gentleman war die ganze Zeit bei mir!« »Das glaube ich auch«, sagte eine kalte Stimme in die eisige Stille hinein. »Laß dein Messer stecken, Spie, oder du bekommst etwas Heißes in die Nieren!«
Ringo war herangetreten und stellte sich hinter die Mexikaner, die sich nicht zu bewegen wagten. Die Situation überstürzte sich. Carradine riß seinen Colt heraus und bedrohte Ringo. »Du hältst dich heraus«, sagte er mit leiser, aber durchdringender Stimme. »Die Mexe sind Freunde von mir, und meinen Freunden stehe ich in jeder Lage bei. Laß die Knarre stecken!« Die Lage wurde für John brenzlig. Carradine und Ringo standen sich gegenüber und grinsten sich kalt und drohend an. Zwischen ihnen gab es hur einen Unterschied: Carradine hielt den Colt bereits in der Hand. In diesem Augenblick wurde das Flüstern der wie gebannt auf die Szene starrenden Männer wieder überlaut. John Haggerty hatte nur Augen für die Mexikaner. Er kannte ihre Art. Sie trugen ihre Wurfmesser selten offen, sondern mehrere zugleich in einer Scheide im Nacken. Mit einem Griff über die Schulter konnten sie die gefährlichen Messer ziehen. Ziehen und Werfen war dann eins. John achtete auf ihre Hände und näherte seine Rechte dem Revolvergriff. »Rückst du das Geld heraus oder nicht?« »Geh zum Teufel, Spie!« John sah La Rocco zusammenzucken und wußte, daß der Mex das Schimpfwort als Kriegserklärung aufnahm. Starr beobachtete er seine Messerhand. John ließ sich von dem Gebrüll und den anfeuernden Rufen der Gäste nicht ablenken. Er wartete, lauerte auf den bewußten Moment und konzentrierte sich auf den schnellen Zug seines Revolvers. Eine böse Minute lang befürchtete Haggerty, dieser Augenblick würde nie kommen, statt dessen aber ein geschleudertes Messer oder eine Kugel in seinen ungeschützten Rücken. Die abrupt eintretende Stille frappierte ihn zunächst. Es wurde so still, daß man ein Streichholz hätte fallen hören können. Aber das Streichholz fiel nicht. Alle Anwesenden starrten auf eine
Stelle hinter seinem Rücken, und sie machten Augen so groß wie Kaffeetassen. La Rocca machte eine Bewegung zur Schulter, hielt aber so plötzlich in seiner Bewegung inne, als hätte er nach dem Kopf einer Klapperschlange gegriffen. »Halt, Gelbhäutiger!« ertönte eine sonore Stimme. John war es, als hätte er beim Klang der Stimme einen Schlag mit einer Keule erhalten. Er stand momentan wie erstarrt. Kein Glied hätte er in diesem Augenblick rühren können. Jemand aus den Zuschauern schrie: »Indianer! Allmächtiger, das sind doch Apachen!« * Samuel High hatte viel getrunken und sich noch besser amüsiert. Er zog die Vorhänge auf und schickte das Tingeltangel-Mädchen mit einem größeren Geldschein fort. Eine Weile wunderte er sich über die Stille in den weitverzweigten Räumen des Bird Cage Theatre, aber er dachte sich nichts dabei und verließ die Nische. Über den teppichbelegten Korridor kam er in den Spielsalon. Was sich hier seinen Augen bot, verschlug ihm den Atem. Er blieb stehen, lehnte sich an die tapezierte Wand und schlang seine Finger um den Hals. In der Nähe der Bar stand jener Mann, den er dem Tod überantwortet hatte. Vor ihm La Rocco und zwei Mexikaner. Carradine bedrohte Johnny Ringo mit dem Revolver und fletschte die Zähne wie ein Wolf. Sämtliche Saloonbesucher hatten sich von ihren Stühlen erhoben und glotzten mit hervorquellenden Augen auf eine Szene, die so unwirklich war, daß Sam zu träumen glaubte. Die Sekunden schlichen so langsam vorüber, daß man förmlich hören konnte, wie sie in der Lautlosigkeit vertickten. Der riesige Raum schien bis unter die Decke mit purer
Elektrizität geladen, die nur darauf wartete, sich zu entladen. Samuel High wartete nicht auf diesen Moment. Er überwand seine Lähmung und ließ sich fallen. Dabei hingen seine Augen an der ganz in weißgegerbtem Hirschleder gekleideten Gestalt, die gebieterisch den Arm gegen La Rocco ausstreckte. Aber nicht die Kleidung war es, die High beeindruckte, auch nicht die präparierte Klapperschlangenhaut, die der Indianer anstelle des Apachenkopftuches um die Stirn geschlungen trug. Es war die mächtige Gestalt und das gutgeschnittene Gesicht, es war die königliche Haltung, die den Outlaw so sehr beeindruckte. Cochise hob seine Stimme und sagte laut in die Stille: »Laß dein Messer stecken, Gelbhäutiger! Gegen den Falken kommst du doch zu spät. Hinter mir stehen drei Krieger der Chiricahuas mit angeschlagenen Gewehren. Wer sich bewegt oder eine Waffe hebt, wird erschossen! Niemandem geschieht ein Leid, wenn die Bleichgesichter vernünftig sind. Komm, Falke, wir verlassen dieses böse Haus!« Wie in Trance drehte sich Haggerty herum. Hinter ihm stand Cochise, und in seinem Rücken bewegte sich Naiche mit den Kriegern, Gewehre in den Händen. Träumte er? Cochise in einem Saloon der Weißen? »Verdammt!« schrie Carradine wild. »So nicht! Auf ihn, La Rocco!« Er wirbelte herum, bot seinen ungeschützten Rücken Johnny Ringo dar und hob den Colt. Johns Lähmung war mit einem Schlag weggewischt. Er riß den Revolver aus dem Halfter und schoß von der Hüfte aus. Casy Carradine wurde die Waffe durch Johns Kugel aus der Hand geprellt. Gleichzeitig spürte er Johnny Ringos Coltmündung in den Nieren. Mit einem zweiten Blick sah John den Outlaw Samuel High im Flur verschwinden. Er fegte herum, schrie zu Cochise hinüber:
»Fort! Fort aus diesem Höllenpfuhl! Wenn die Kerle ihre Überraschung überwinden, schießen sie euch in Fetzen!« John spurtete los, tauchte in den matt erleuchteten Gang ein und sah ganz an seinem Ende High hinter einer Tür verschwinden. Mit langen Sätzen war er dort. Als er sie aufriß, sah er Dunkelheit und Nacht. High rannte wie gehetzt durch die Third Street. John hinterher. Dort hinten war irgendwo der Mietstall, gleich hinter einem Store. High rannte durch eine Baulücke, stürzte, raffte sich fluchend wieder auf und sprintete weiter. Die Fremont Street lag dunkel, unbeleuchtet und gefährlich vor ihm. Er raste weiter, bog in die Fourth Street ein und ließ den O.K. Corral rechts liegen. Nebel zog von den Banks herüber. In dünnen Schwaden schob er sich zwischen Flüchtenden und Verfolger. Von einer Sekunde zur anderen verschwand High. John blieb keuchend stehen und preßte seinen Körper gegen die Hauswand. Er sah sich um. Über ihm prangte das holzgemalte Schild der Western Union. Das Haus war dunkel. Ein Stück weiter hatte man einen Schuppen angebaut, auf dessem Tür die rote Warnung prangte: Danger! Dynamit! Unvermittelt wirbelte John Haggerty herum. Aus einer Gasse quollen Gestalten und rannten geduckt näher. Weit hinter ihnen wurden Schüsse abgegeben, die aber nur den ziehenden Nebel trafen. John setzte sich ohne weiter zu überlegen in Bewegung und rannte die Straße hinunter. Staub wirbelte unter seinen Sohlen auf. Stetig holten die Apachen auf und überholten schließlich den Weißen. Sie waren die besseren Läufer, das war unbestreitbar, und sie waren den Weißen unendlich überlegen. Cochise mäßigte das Tempo. Die Stadtgrenze lag vor ihnen. An einer Hickory standen fünf angebundene Pferde. Cochise hatte wieder einmal an alles gedacht. Diesmal aber war er von seiner Gewohnheit abgewichen, den Tieren eine Wache
beizustellen. Bestimmt hatte er mit Widerstand gerechnet und alle seine Krieger mit in den Saloon genommen, um John herauszupauken. Ständig warf John Haggerty bewundernde Blicke auf seinen indianischen Freund. Vor ihm war das Bild eines edlen Menschen, der eine bronzene Hautfarbe besaß, langes schwarzes Haar trug und seine majestätische Gestalt in weißes Wildleder gekleidet hatte. Cochise bemerkte den Blick und lächelte. Er kam John entgegen und reichte ihm nach der Sitte der Weißen die Hand. »Der Falke mag nicht fragen, was Cochise bewog, in die Belange seines weißen Freundes einzugreifen. Es war die Sorge.« Wie warm das klang, wie freundlich und zuneigend. John drückte die dargebotene Hand mit aller Inbrunst. »Jefe, ich danke dir. Du hast mein Leben gerettet.« Cochise schüttelte den Kopf. »Der Falke ist zu klug, um sein Leben in einer solchen Schnapsbude zu riskieren. Der Mann, den du suchst, ist dir entkommen?« John gab es zähneknirschend zu. »Ich folge ihm, Cochise, und ich werde ihn stellen. Samuel High führt mich zu diesem Bussy Blaki, so oder so. Wann und wo sehen wir uns wieder?« Cochise schwang sich auf seinen Pinto, deutete zum Himmel, zur Erde und antwortete: »Beim vollen Mond in der Ebene von Dos Cabezas.« John hob die Hand. »So long, Cochise!« »Der gütige Große Geist möge dich beschützen, Falke!« John Haggerty war allein. * Im Schein der dünnen Mondsichel ritt ein einzelner Reiter durch
die wüstenartige Schüssel vor der kleinen Stadt Sierra Vista. Fort Huachuca lag in seinem Rücken, die Spur führte weiter nach Süden. John Haggerty hing seitlich im Sattel und ließ keinen Blick von der Fährte eines beschlagenen Pferdes, das die Richtung auf Sierra Vista beibehielt. Das Tier war am Ende seiner Kräfte. John erkannte es an den breiten, verschwimmenden Abdrücken im Sand und an den tiefer eingegrabenen Vorderhufen. Das Pferd ging bereits stelzbeinig und zog die Hinterbeine nach. Lichter tauchten aus dem Wüstendunst auf, und trotz der frühen Morgenstunde wurden sie mehr und mehr, je näher er der Frontiertown kam. Highs Spur würde in Sierra Vista enden. John war sich absolut sicher. Und wenn er Glück hatte, konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und auch Bussy Blaki festnehmen. Auf seinem Ritt hatte er festzustellen versucht, wie der große Unbekannte aussehen könnte und in welchem Verhältnis er zu Sam High stand. Es war ihm nicht gelungen. Sein Dunkelbrauner griff wacker aus und zeigte nicht die geringsten Ermüdungserscheinungen. Die Lichter kamen schnell näher und manifestierten sich als improvisierte Straßenbeleuchtung. John staunte. Das gab es nicht einmal in Phoenix oder Flagstaff. Haggerty hielt es nicht für gut, hoch zu Roß um fünf Uhr morgens in die fremde Stadt einzureiten. Er ritt zu einer Baumgruppe, band sein Pferd an, gab ihm zu saufen und hing ihm den Futterbeutel um. Kurze Zeit später erreichte er die menschenleere Main Street. Nicht einmal Gehsteige gab es in dem Schlammstreifen-Kaff. Dafür trockneten Landesfrüchte unter jeder Traufe und unter den Dächern der Veranden. Von dem fremden Reiter und dessem Pferd sah er nichts. Er suchte den Mietstall und brauchte nur dem strengen Ammoniakgeruch nachzugehen, den alle Mietställe im Westen
verbreiteten. Er fand ihn und öffnete die Seitentür. Dunkelheit empfing ihn. Ganz hinten im Boxengang brannte eine einsame Lampe. Feuchte und glänzende Augen sahen ihn an. Die Tiere, fünf an der Zahl, standen in den Boxen und sahen gepflegt aus. Highs Pferd war nicht hier. John verließ den Stall, überquerte die Straße und ging in das Hotel. Auch hier im Empfang Stille und abgenutzter Glanz. Niemand war zu sehen. Nun wurde das Ganze zu einem Lotteriespiel. Zu einem gefahrvollen Spiel ohne Limit. Das Hotel grenzte an die Briscoe Street und an Hartmanns Store. Vermutlich hatte High nicht vor, sich lange in der Stadt aufzuhalten. Oder doch? Konnte der Bandit so kaltblütig und kühn sein, sich mitten in diesem kleinen Grenznest zu verstecken? John verwarf diese Möglichkeit, als er seine Erinnerung an Outlaws kritisch prüfte. High war skrupellos, aber ohne Phantasie. Er würde seine Geschäfte abwickeln und wieder verschwinden. Plötzlich huschte ein Mann vor ihm über die Straße. John stand noch im Eingang und sah ihn deutlich. Er verfolgte den Huschenden mit seinen Augen. Zwischen dem Büro der Overland Mail und dem Golden Nugget blieb der Mann stehen und starrte in eine finstere Gasse. Als er darin verschwand, setzte sich John Haggerty in Bewegung. Als er die Gasse erreichte, trennten ihn nur noch hundert Yards trübes Sternenlicht und zwanzig Sekunden von dem Mann. High stand vor einer Tür und klopfte. John machte sich klein und unsichtbar. Die Tür ging auf. Es blieb dunkel in der Gasse und geräuschlos, bis auf ein geheimnisvolles Wispern. Stand John kurz vor seinem Ziel? War High nun bei diesem Bussy, dem Mann mit dem seltsamen Namen? Dieser Gedanke konnte einem Mann den Nerv rauben.
Die Häuser in dieser Gasse hatten viele Jahre nach der Anwanderung zahlreicher Mexikaner leergestanden und nur Mäuse, Ratten, Fledermäuse, Schlangen und Skorpione zur Miete gehabt. Doch nun hatte eins dieser baufälligen Bruchbuden aus Lehmziegel einen noch gefährlicheren Quartiergast ++ oder Gäste ++, wenn Johns Vermutung zutraf. Seine Unruhe wuchs mit jeder Sekunde der verstreichenden Zeit. Er mußte sich förmlich einen Ruck geben, um die Gasse zu betreten. Unrat, Müll, wohin er trat. Es knirschte und knackte, quiekte und pfiff. Ratten, wohin er auch schaute. Als er sich dem Haus näherte, schoß die Erinnerung an ähnliche Abenteuer schwarz und fürchterlich aus dem Dunkeln auf ihn zu. Die Gefahr, die ihm drohte, spürte er fast körperlich. Er hielt einen Moment an, verspürte den Drang, aus der Stadt zu flüchten und alles hinter sich zu lassen. Aber er gab dem Drang nicht nach. Der Griff zum Revolver beruhigte ihn wieder. Kühl und wie ein guter Freund spürte er den Druck des Kolbens in seiner Handfläche. Sein Fuß pflügte Salbei und anderes Unkraut. Aber er stand vor der Tür, legte sein Ohr an das dünne Bretterholz und lauschte. Murmeln wie das sanfte Plätschern eines Baches, einmal ein Husten und Räuspern, ein unterdrückter Fluch, ein hämisches Gelächter. Ein Stuhl wurde gerückt. Jemand lachte rücksichtslos und schadenfroh. Das leise Knarren des Fensterladens in seinem Rücken überhörte John Haggerty. Er sah nicht die Hand, nicht den Knüppel, der sich nach ihm ausstreckte. Er fühlte aber den dröhnenden Schlag und brach in die Knie. Ein zweiter Hieb traf ihn mit furchtbarer Gewalt und warf ihn den Kot der Straße. *
Lichter hingen in der Dunkelheit wie Lampions. Die Lichter waren Sterne. Taumelnd kam John auf die Beine. Sein Gesicht, sein Oberkörper, seine Kleidung war mit Blut beschmiert und starrte vor Schmutz. Ächzend lehnte er sich mit dem Rücken an die Wand. Kreise tanzten vor seinen Augen, und schließlich übergab er sich. Nach Minuten wurde er ruhiger. Sein Gehirn befaßte sich mit der Frage, was mit ihm geschehen war. Sie hatten ihn aus dem Fenster heraus niedergeschlagen und für tot gehalten. So, wie er aussah, mußten sie das geglaubt haben. John hob seine Hand und befühlte seinen Kopf. Eine faustgroße Beule schmerzte wie Höllenbrand und war aufgeplatzt. Blut sickerte über seine Kleidung. John Haggerty war High auf den Leim gegangen, das konnte nicht bestritten werden. Nach ein paar tiefen Atemzügen wurde er ruhiger. Er überlegte schärfer. Waren sie noch in dem Haus? Oder hatten sie es nur als Falle für den Verfolger benutzt? Alles war möglich und denkbar. Die Nacht verabschiedete sich mit aufkommendem Wind, der wenigstens die scheußlichen Ratten verjagte. Im Osten wurde es hell. Schwankend hielt sich John Haggerty an der Wand fest. Er hörte das Rieseln des sich auflösenden Außenputzes und vernahm ein Geräusch bei der Dachtraufe. Eine Katze auf der Jagd. Obwohl sich alles vor ihm drehte, überlegte John Haggerty lange und gründlich, wie er gegen die Leute im Haus vorgehen konnte. Als er die hilfreiche Stütze der Wand verließ, fiel er erst einmal auf die Knie. Mühselig richtete er sich wieder auf und streckte seinen Oberkörper. Nun ging es auf einmal. Das Schwindelgefühl ließ nach und wich einer beschwingten Leichtigkeit, die von der leichten Gehirnerschütterung ausgelöst wurde. Er stand. Über Johns
blutiges Gesicht glitt ein grimmiges Lächeln. Im Zeitlupentempo wandte er sich der Tür zu, legte sein Ohr an die Bretter, vernahm nichts und nickte. Sie hatten ihn geleimt und konnten nun schon meilenweit entfernt sein. Und doch, etwas ließ ihn verharren. Ein Gedanke kam ihm so schnell wie ein Blitz. Flüchtig fiel ihm ein, daß sich High gar nicht in dem Haus aufgehalten haben mußte. Es konnte sein, daß er zufällig an den Schlupfwinkel kleiner Desperados aus diesem Landesteil geraten war. Dann erinnerte er sich an den huschenden Schatten, der in die Gasse eingedrungen war. Zeitlich paßte es zusammen, und die Wahrscheinlichkeit, daß er es doch mit dem Banditen aus Tombstone zu tun gehabt hatte, war riesengroß. Er neigte den Kopf und lauschte wieder. Knistern, als würde Stoff bewegt. Spannungen im Holzwerk lösten sich mit Knacken und reißendem Poltern. Sonst war nichts zu hören. Nichts? War da nicht der unterdrückte Atem eines Menschen gleich hinter der Tür? Knackten nicht Fußgelenke, als wenn ein schweres Körpergewicht verlagert wurde? John hielt den Atem an. Er vernahm nichts mehr, so sehr er seine Sinne auch anstrengte. Sinnestäuschungen? Halluzinationen aufgrund der Kopfverletzung? Wut packte den einsamen Mann in der düsteren Gasse. Namenlose Wut, die er mühsam zurückhielt, um sich nicht zu verraten. Erneut verraten. Das krachende Splittern des Türriegels, der aus dem morschen Türholz brach, hallte in der verbrauchten Luft des zweiräumigen Hauses wider wie ein Gewehrschuß. John, der sich trotz seiner Schmerzen durch die eingetretene Tür warf, jagte seine erste Kugel zu einer brennenden Lampe auf einem Tisch mit drei Beinen. Das vierte hatte man durch eine Kiste ersetzt. Seine Geschicklichkeit im Schießen begünstigte ihn. Die 44er
Kugel traf den Kerosinbehälter, löschte die Flamme durch den Luftzug und ließ das Öl nach allen Seiten spritzen. Dann, in die jäh aufsteigende Schwärze und das laute Tropfen des leckenden Öls drang ein Laut, der John motivierte, sich sofort hinzuwerfen. Mit dem Laut kam das Bild der brennenden Lampe zu John zurück. Brennende Lampe! Wo eine Lampe brannte, gab es Menschen; die sie entzündet hatten. John hob den gespannten Colt, aber es gab kein Ziel. Rasch gewöhnten sich seine Augen an die Finsternis, die an seinen Nerven zerrte. An der anderen Seite des mittelgroßen Raumes hing eine Tür lose und verdreht in ihren Angeln. Der Spalt war groß genug, einen Mann durchzulassen. John kroch hin, legte den Kopf auf den angewinkelten Unterarm und lauschte. Schnaufende Atemzüge in der blindmachenden Dunkelheit. John ließ sich nicht täuschen. Er blieb liegen, den Colt im Anschlag. Stöhnen. Es klang, als sei ein Tier am Verenden. John überlegte. Er mußte ins Zimmer nebenan und die beiden Kerle überwältigen. Die absolute Finsternis störte ihn. Trotzdem: wenn er sich durch die Tür fallen ließ und den beiden Outlaws sein Spiel aufzwingen konnte, besaß er eine relativ gute Chance. Das Problem vor ihm hing nicht mehr von seiner Entscheidung ab. Die waren erfolgt, und was nun geschah, war abhängig davon, wie die anderen reagierten. Gelangte er zum ersten Schuß, war er gerettet. Wenn nicht, nun dann … Er wartete, zählte die verrinnenden Augenblicke und besaß die Nervenkraft, still zu lauschen. Wieder ein Stöhnen. Seltsam. Kein Mensch stöhnte ohne Grund, und schon gar nicht, wenn er gesund und lebenstüchtig war. John zischte: »Kommen Sie heraus, Samuel High!« Eisige Stille, drohend und herausfordernd. Schließlich wieder das beklemmende Ächzen. John Haggerty verließ die Geduld. Wenn er dieses Spiel auf diese Art fortsetzte, lag er in einer
Woche noch in dem muffigen Raum. Mit einem Satz war er auf den Beinen und stürmte vorwärts. Die Tür krachte zurück und zersplitterte mit einem kreischenden Bersten. Späne flogen. Im Nebenraum ließ er sich sofort wieder fallen und wälzte sich um seine Achse, um dem Gegner Zielen und Schießen zu erschweren. Kein Schuß fiel. Kein Dröhnen von Revolverdetonationen belastete sein Gehör. John war es, als sei er in ein Grabgewölbe eingedrungen, so still war es. Er wagte einen Blick nach oben, zur Seite, auf die schäbige Bettstatt in der Ecke. Ein formloses Bündel hob sich dort ab. Lag dort ein Toter? John schüttelte die lähmende Kälte dieses Gedankens ab. Er preßte die Zähne zusammen, um den Atem anzuhalten. Schließlich schüttelte er den Kopf. Tote stöhnten nicht mehr. Seine Augen kreisten. Auf einer Holzkiste stand eine Kerze, durch das tropfende Wachs wie angeleimt. Er kroch hin, richtete sich auf. Neben der Kerze lagen Zündhölzer. Er riß ein Hölzchen an und entzündete die Kerze. Licht flutete flackernd im Luftzug. Das Fenster stand offen und ließ den Morgenwind herein. Ängstliches Stöhnen. John wirbelte herum, eilte zu dem schmutzigen Lager. Ein älter Mann lag dort, gefesselt und geknebelt. Er zog sein Messer, kappte den Strick und riß dem Mexikaner den stinkenden Knebel aus dem Mund. Der Alte streckte sich erst einmal und schickte Blicke voller Angst zu dem Amerikaner. Er zitterte. Sein zahnloser Mund formulierte unartikulierte Laute. John rüttelte ihn an der Schulter. »Wer bist du, Hombre?« »Pedro, Senor. Bitte, tun Sie mir nichts …« John unterbrach ihn hastig: »Du bist allein?« Der Peon deutete auf das Fenster und nickte.
»Wer hat dich gefesselt?« »Ein Americano, Senor. Er kam herein, bedrohte mich mit einem Revolver und ich mußte mich setzen. Auf seinen Befehl mußte ich sprechen, lachen und immer wieder sprechen. Auf einmal schlug er mich nieder. Mehr weiß ich nicht.« »Nur ein Amerikaner?« fragte John ungläubig. Pedro nickte. »Es müssen zwei gewesen sein«, sagte John drängend. »Zwei!« Er hob zwei Finger und rüttelte den Greis wieder an der Schulter. Pedro schüttelte den Kopf, hob einen Finger und antwortete: »Einer, Senor, ich schwöre es bei den Heiligen.« John Haggerty stand bewegungslos wie eine Salzsäule. Im ersten Augenblick glaubte er, Eis im Blut zu haben, so geschockt war er. Samuel High hatte ihn geleimt und ihn von seiner Fährte abgeschüttelt. Mit einem einfachen Trick hatte er seinen Verfolger in dieser primitiven Hütte festgenagelt. John hatte sich die ganze Zeit dem Trugschluß hingegeben, High wisse nicht, daß er verfolgt wurde. High hatte es sehr wohl gewußt und gehandelt. Hier war jedenfalls kein Bussy Blaki, nicht in diesem Haus und zu keiner Zeit. High war entkommen, daran gab es keinen Zweifel. Das geöffnete Fenster sagte genug. »Steh auf, Alter«, sagte er. »Gehört dir dieses Haus?« Pedro nickte und schickte einen ängstlichen Blick aus dunklen Augen zu dem bewaffneten Mann. Ein Gedanke glitt flüchtig durch Johns Gehirn und setzte sich fest. »Wie sah der Mann, der dich so mißhandelte, aus? Kannst du dich erinnern?« Pedro beschrieb High so deutlich, als stünde er vor ihnen. John gab sich endgültig geschlagen, aber er resignierte nicht. »Es ist gut«, sagte er. »Du bist frei. Niemand tut dir was. Adios, Hombre!« »Adios, Senor.«
* Strahlendes Himmelslicht flutete in die verwinkelten Gassen von Sierra Vista und vertrieb die Ratten. Die elende Frontiertown, gegründet in der spanischen Kolonialzeit, erwachte und regte sich wie ein Bär nach dem Winterschlaf. John Haggerty schlurfte müde und verstimmt durch die Calle Royal und suchte nach einem Saloon, wo er ein ausgiebiges Frühstück einnehmen konnte. Während er so durch den Staub pilgerte, fühlte er sich ständig beobachtet und höhnisch belächelt. Sicher, er war für heute ein geschlagener Mann. Aber gab es nicht auch noch ein Morgen? Ein Übermorgen? Gab es nicht noch tausend Möglichkeiten, dem Gesetz zum Sieg zu verhelfen? John nickte mit zusammengekniffenen Augenwinkeln. Ich habe es nie auf die billige Art gemacht, sagte er zu sich selbst. Nicht mit Hurra- und Kriegsgeschrei. Auch Gefühle und Anstand zahlen sich letztlich aus. Er grinste, erwärmte die letzten Worte mit einem neuen Gedanken: Manchmal werden sogar Verbrecher sentimental. Es geschehen immer wieder Zeichen von Wunder. Ein Mexikaner kam ihm entgegen. Er trug Poncho und Spitzhut, Leinenkleidung und Strohsandalen. John hielt ihn an. »He, Amigo, ich suche ein Frühstück mit viel Kaffee in einem ruhigen Lokal. Ist da was zu machen?« Der Mann deutete auf ein flaches Haus mit einem Verandavorbau und mächtig viel Zwiebeln und Knoblauch unter der Traufe. »Si, Senor, in der Cantina bekommen Sie, was Ihr Herz begehrt.« John bedankte sich und ging weiter. Noch in der Nacht hatte er sein Pferd versorgt. Er konnte sich Zeit lassen und sich ein anständiges Frühstück leisten, das seine Müdigkeit
hinunterspülte und den Schlaf aus seinen Knochen vertrieb. Schwer und wuchtig betrat er die Veranda. Seine Schritte dröhnten auf dem sandbedeckten Holz. Bei jedem ausgreifenden Schritt klatschte das schwere Halfter gegen seinen Schenkel. Er betrat die Cantina und starrte in die kühle Dämmerung. Als er sich setzte und bei dem herbeieilenden Cantiniero ein Frühstück bestellte, verblaßten für John Haggerty die Erlebnisse dieser Nacht. Er streckte die langen Beine unter den Tisch und schloß schläfrig die Augen. Dabei murmelte er. »Morgen … Ja, morgen schnappe ich ihn mir.«
ENDE