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„Golondrina“ - so hieß die spanische Dreimastgaleone, „Schwalbe“ also. Vergleiche drängte...
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Roy Palmer 1.
„Golondrina“ - so hieß die spanische Dreimastgaleone, „Schwalbe“ also. Vergleiche drängten sich beim Klang dieses Namens auf, die Vorstellung von Schönheit, Schnelligkeit, Gewandtheit und Eleganz. Die Schwalbe flog über die See, weißer Gischt, wie Schneeflocken wirkend, umschäumte ihren Bug. Sie strebte fernen, paradiesischen Zielen entgegen. Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Plump und trist war der äußere Anschein, den das Schiff bot. Sie war kein schneller Segler, diese „Golondrina“, sondern eine höchst lahme Ente, und sie war nicht der Inbegriff romantischer Seefahrt, sondern es herrschte die Hölle an Bord. Pater David erhielt von diesen Zuständen einen ersten Eindruck, als er sich an Bord der „Golondrina“ begab und in den großen Laderaum hinunterstieg. Unwillkürlich blieb er auf den Stufen des Niederganges stehen und preßte die rechte Hand vor den Mund. Ein infernalischer Gestank schlug ihm entgegen - doch das war nichts im Vergleich zu dem erbarmungswürdigen Bild, das sich im nächsten Moment seinen Augen bot. Da hockten sie im trüben Schein einer einzigen Öllampe, die an dem Eisenhaken eines der Deckenbalken taumelte: nackte und halbnackte Gestalten, deren fiebrig glänzende Augen sich auf den großen Mann richteten. Ihr Zustand sprach für sich und bedurfte keiner weiteren Erläuterung. Abgezehrt und ausgemergelt waren sie, bis auf die Knochen abgemagert, verschmutzt und verwahrlost. In stummem Leid ertrugen sie ihr Dasein, längst waren ihre Tränen versiegt, denn sie hatten keine andere Wahl, als sich ihrem grauenvollen Schicksal zu fügen. Dieses Schicksal hatte gewollt, daß man sie gewaltsam ihrer Heimat entriß, sie an Bord dieses Schiffes trieb und prügelte und zusammenpferchte wie Vieh. Kaum etwas zu essen und zu trinken und das schmähliche Dahinvegetieren im eigenen Schmutz - keinem Menschen konnte eine
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größere Schande und Erniedrigung zugefügt werden. Nach Spanien hatte man sie verschleppen wollen, wo sie als „besonders seltene und eigentümliche Rasse Mensch“ vorgeführt werden sollten. Hunger, Durst und Krankheit gingen in diesem übelriechenden Raum um. Jeder Widerstand gegen das furchtbare Los ohnehin sinnlos war von Anfang an durch Gewalt unterbunden worden. Am schlimmsten, so fand Pater David, erging es den Kindern. Skeletthafte Hände reckten sich ihm entgegen und schienen hilfesuchend zugreifen zu wollen. Dünne, ausgetrocknete Lippen murmelten Worte, die er nicht verstand. Er trat mitten zwischen eine Gruppe von Kindern, die sich an der Backbordwand zusammengekauert hatte, beschrieb das Zeichen des Kreuzes vor der Brust und sagte mit ruhiger Stimme: „Der Herr segne euch und sei euch gnädig.“ Jetzt nahm er auch den schier unerträglichen Gestank nicht mehr wahr. Denn was war der Gifthauch des Todes gegen die Wichtigkeit seines Einsatzes, die Rettung dieser armen Teufel? Ohne zu zögern, griff er nach den Händen, die ihn betasteten, lächelte und sprach beschwichtigende, tröstende Worte. Auch die Frauen und die Männer rückten nun näher auf ihn zu. Ihre Mienen waren verstört, aber auch fragend. Wer war dieser hünenhafte Mann mit der Kutte, der sich ihrer erbarmte und Mitleid zeigte? Er war ein weißer Mann aus der fernen Welt Europa: Weiße Männer waren böse, sie mordeten und brandschatzten und rissen an sich, was sie erraffen konnten. Dieser hier aber schien gut zu sein. Sie spürten seine Menschlichkeit und Güte, sie konnten sich ihr nicht entziehen. Er sprach die Sprache derer, die das Schiff befehligten und Tod und Grauen säten. Wie passte das zusammen? Pater David las es in den Gesichtern der Männer: Sie hatten alles verloren - nur ihren Stolz nicht. Er war das einzige und letzte, was sie aufrecht erhielt. Insgeheim konnte er nicht umhin, den Mut und
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Überlebenswillen dieser Menschen zu bewundern. Sie waren Mixteken und stammten aus Neuspanien, aus dem Land Mexiko also, in dem auch die Azteken und Mayas gelebt hatten. Sie waren ein Indianerstamm mit einer der ältesten und höchstentwickelten Kulturstufen in Mexiko, wie Pater David wußte, und sie lebten in den Bergen des Binnenlandes, wo sie friedlich Ackerbau und ein wenig Viehzucht betrieben. Berühmt geworden aber waren sie durch ihre Goldschmiedekunst. Niemand konnte das edle Metall so gut verarbeiten wie diese Menschen mit den geschickten Fingern. Der Beweis ihres Könnens lagerte in den anderen Frachträumen der „Golondrina“: Kult- und Schmuckgegenstände der Mixteken, eine Fülle von funkelnden Kostbarkeiten. Die Spanier hatten den Stamm überfallen und ausgeplündert. Diejenigen, die das Massaker überlebt hatten, waren an Bord der Galeone verschleppt worden. Sie sollten zur „Schau und Belustigung“ dem königlichen Hof von Spanien übergeben werden. So erhielt Pater David den ersten Anschauungsunterricht, wie seine Landsleute es in der Neuen Welt trieben. Die Wut hatte nicht nur ihn, sondern auch den Seewolf selbst und die anderen Männer der „Isabella IX.“ gepackt, doch er gab sich Mühe, sich zu beherrschen. Sonst hätte er dem feisten Kapitän der „Golondrina“ nämlich längst die Faust mitten ins Gesicht geschmettert. Wenn es darum ging, sich seiner Haut zu wehren oder irgendwo tatkräftig einzugreifen, stand Pater David in nichts hinter den Männern der „Isabella“ zurück. Dann handelte er getreu dem Bibelwort „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Dennoch war er kein Mann der Gewalt, besessen nur von dem Wunsch, die „Wilden“ in den Kolonien zu taufen und zu frommen Christenmenschen zu erziehen. Für ihn waren sie keine Heiden, sondern in erster Linie Menschen, denen man einen anderen Glauben nicht einfach aufzwingen durfte. Nach diesem schlichten Prinzip
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handelte er. Er war ein Jünger von Las Casas, an dessen Lehren und Philosophie er sich hielt. Er streichelte den Kopf eines etwa zehn Jahre alten, bis auf die Knochen abgemagerten Mädchens, das neben ihm stand und seine Hand fest drückte. Plötzlich veränderten sich ihre Züge. Sie lächelte. Es war das erste Lächeln, das Pater David in diesem Schmutz und Elend sah. „Hab Vertrauen“, sagte er zu dem Mädchen. „Es wird alles wieder gut. Die Zeit des Leidens ist vorbei.“ Sie betrachtete ihn interessiert, schüttelte dann aber den Kopf. Er blickte zu den anderen, forschte in ihren ledrig und versteinert wirkenden Gesichtern nach einem Signal des Verstehens. „Versteht mich denn keiner?“ fragte er. „Leider beherrsche ich eure Sprache nicht. Aber ich werde sie lernen.“ Eine alte Frau näherte sich mit schlurfenden Schritten. Sie schien krank und schwach zu sein und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Sie wirkte eher tot als lebendig, aber in ihren Augen war der Funke der Energie und Zähigkeit wie bei den anderen. Sie hob die Hand, deutete mit dem Finger auf Pater David und murmelte etwas, das er wieder nicht verstand. „Laßt uns beten“, sagte Pater David. „Es tut uns allen gut. Morgen scheint die Sonne für uns alle, sie pflanzt neue Hoffnung in eure Herzen.“ Siebzig Menschen. Wie lange befanden sie sich an Bord dieses Sklavenschiffs? Wieviel Zeit hatte die Überfahrt von Neuspanien bis nach Havanna und den Bahama-Inseln in Anspruch genommen? Pater David nahm an, daß es drei bis vier Wochen waren. Die Überquerung des Atlantiks würde zwei bis drei Monate dauern, je nach Wind und Wetterbedingungen. Nicht die Hälfte der Gefangenen würde die Reise unter den unmenschlichen Bedingungen überstanden haben. Vielleicht wären sogar nur knapp zwei Dutzend Mixteken in Spanien angelangt - oder noch weniger.
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Daß Pater David mit diesen Berechnungen nicht fehllag, sollte sich noch ergeben. Vorläufig jedoch stellte er keine weiteren Überlegungen an. Seine Aufmerksamkeit wurde durch einen Mann gefesselt, der sich erst jetzt aus der einen Ecke des Laderaumes erhoben hatte. Vorsichtig näherte er sich. Pater David musterte ihn. Er schien sehr alt zu sein, dieser Mann, gleichzeitig aber sah er außerordentlich zäh aus. Sein runzliges Gesicht wirkte wie gegerbt. Seine dunklen Augen blickten kühl und forschend. Seine Zurückhaltung schien nur allmählich zu weichen. Pater Davids Lippen bewegten sich, klar und deutlich sprach er sein kurzes Gebet. Dann bekreuzigte er sich wieder. Zu seinem hellen Erstaunen beschrieb nun auch der alte Mann eine Gebärde, die ähnlich aussah. Offensichtlich wollte er Pater Davids Geste imitieren, doch es gelang ihm auf Anhieb nicht. Der Anflug eines Lächelns stahl sich in seine Züge, und er murmelte: „Freundschaft. Du - bist unser - Retter.“ Sein Spanisch war gebrochen, aber einigermaßen verständlich. „Der Herr ist unser aller Retter“, sagte Pater David. „Der Herr?“ wiederholte der Alte mit fragender Miene. „Dios. Gott.“ „Bist du - Gott?“ Pater David schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Ich bin ein Mann wie du, ein Diener Gottes, wenn du so willst.“ „Ist Gott - draußen?“ „Im Himmel.“ Pater David wies zur Luke, die jetzt von den Seewölfen geöffnet wurde. Diesmal war es der alte Mixteke, der den Kopf hin und her bewegte. „Er ist auf dem Schiff. Ich habe ihn gesehen. Kurz. Er - ist groß wie du. Schwarz, blaue Augen. Viracocha. Ihr seid - Viracochas.“ „Ich bin Spanier“, erklärte Pater David. „Hast du bei meinen Landsleuten meine Sprache gelernt?“ „Ja.“ „Meine Freunde, die diese Galeone
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gekapert haben, sind keine Spanier”, fuhr Pater David fort. „Sie sind Engländer. Und vor allem sind wir keine Viracochas keine Eroberer.“ Verständnislos blickte der Alte ihn an. Dann fragte er leise: „Wer bist du?“ „Pater David. Und wie heißt du?“ „Sahuripe.“ Pater David betrachtete die Kleidung des Alten. Sie bestand aus einem halb zerfetzten, bodenlangen Stück Stoff undefinierbarer Farbe. Die eingenähten Ornamente wiesen aber darauf hin, daß Sahuripe eine wichtige, übergeordnete Funktion innerhalb seines Stammes einnahm. „Bist du der Häuptling?“ fragte der Gottesmann. „Nein. Der - Medizinmann.“ Der Medizinmann und Schamane, dachte Pater David. Er schien der einzige zu sein, der überhaupt ein paar Brocken Spanisch sprach und berichten konnte, wie es den armen Teufeln unter dem Regime der Spanier ergangen war. Er schien überdies ein gescheiter, ja, fast als weise zu bezeichnender Mann zu sein. „Sahuripe“, sagte Pater David. „Ich will dich dem Mann vorstellen, den du für den lieben Gott hältst. Er heißt Philip Hasard Killigrew und ist der Kapitän der ,Isabella IX.`. Seine Feinde nennen ihn ,El Lobo del Mar`.“ „Seewolf“, sagte Sahuripe voll Ehrfurcht, dann versuchte er wieder, sich zu bekreuzigen. *
Hasard hatte es Siri-Tong, die mit der „Caribian Queen“ an ihm vorbeigesegelt war, bereits angekündigt: Er hatte indianische Gefangene an Bord der eroberten Galeone, die er auf einer Insel oder an der Küste von Florida absetzen wollte. Genau wußte er es noch nicht, aber auf jeden Fall würde er versuchen, die Mixteken vor jedem weiteren Zugriff der Spanier zu schützen. Die Rote Korsarin hatte daraufhin klar gezeigt und Mast- und Schotbruch
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gewünscht. Dann war sie mit ihrem Schiff in der Nacht verschwunden. Die Schlacht gegen den Geleitzug dauerte noch an. Für die Arwenacks aber war das Gefecht zu Ende. Sie mußten sich um die Indianer kümmern. Während Hasard gründlich überlegte, was zu tun sei, flickte Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann der „Isabella“, bereits das zerschossene Ruder der „Golondrina“. Nach bewährter Art hatten die Männer der „Isabella“ dem Spanier erst das Ruder zerschossen, dann waren sie längsseits gegangen und hatten das Entermanöver begonnen. Ein kurzer Kampf hatte sich auf dem Haupt- und Achterdeck abgespielt. Ziemlich heftigen Widerstand hatten die Spanier geleistet, doch der wurde gebrochen, als Hasard dem Kapitän die Spitze seines Degens an die Kehle setzte. Welche Ladung? „Wilde“, hatte der Spanier geantwortet. Die Seewölfe waren entsetzt. Lebende Fracht an Bord dieser Geleitzugs-Galeone, die auf den ersten Blick so bieder und harmlos gewirkt hatte. Jetzt entpuppte sie sich als ein Höllenschiff. Der Kapitän - er hieß Don Ignatio Churruca - war ein feister Pfau mit gespreiztem Gehabe. Hasard hatte ihn zunächst einmal in die Kapitänskammer sperren lassen. Ebenso war er mit Rolando de Simon, dem Ersten Offizier, und Carlos Antibes, dem Zweiten, verfahren. Auch die übrigen Achterdecksleute waren eingesperrt und wurden bewacht. Die Decksleute standen noch auf dem Hauptdeck. Matt Davies, Al Conroy, Jeff Bowie und Stenmark hielten sie in Schach. Hasard stand auf dem Achterdeck der „Golondrina“ und ließ seinen Blick über die Decks wandern. Öllampen waren aufgehängt und entfacht worden, und auch die Heck- und Buglaternen beider Schiffe verbreiteten ein rötlich-dämmriges Licht, das eigentlich an nichts Arges denken ließ. Aber der Geruch, der aus dem großen Laderaum aufstieg, war bis zum Achterdeck wahrzunehmen. Hasard war wie Pater David - versucht, die Hand vor Mund und Nase zu halten. Aber er
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unterließ es. Vielmehr dachte er an all die Qualen, die die bedauernswerten Indianer hatten durchstehen müssen. Wieder wuchs in ihm die Wut. Er hatte das Verlangen, zu dem dicken Kapitän in die Achterdeckskammer zu gehen und sich „eingehend“ mit ihm zu unterhalten, aber er bezwang sich. Erst mußte er sich anhören, was die Indianer zu erzählen hatten. Pater David war in den Laderaum hinuntergestiegen, um sich mit den Gefangenen zu befassen und zu versuchen, präzise Angaben zu erfahren. Hasard wartete auf seine Rückkehr. Es war Mitternacht. Ein neuer Tag begann, der 14. Juni 1594. Etwa fünfzig Seemeilen nordöstlich des Ausgangs der FloridaStraße lagen die „Isabella“ und die „Golondrina“ und dümpelten Bord an Bord miteinander in der See. Ferris Tucker war immer noch damit beschäftigt, das zerschossene Ruder der „Golondrina“ wenigstens in ein Notruder umzubauen. Aus Nordosten ertönte nach wie vor das Wummern und Grollen der Schiffskanonen. Es verriet den Männern der „Isabella“, daß die Freunde und Verbündeten noch immer an dem großen Geleitzug „herumsägten“. Weitere Schiffe der Spanier wurden also aufgebracht und gekapert. Die Schlacht ging weiter - es gab dicke Beute für die Schlangen-Insel und den Bund der Korsaren. „Na gut“, sagte Carberry, der sich in der Zwischenzeit zu Hasard gesellt hatte. „Das ist ja ein tröstlicher Gedanke. Aber ich bin trotzdem stinkwütend.“ „Auf den Capitan unserer Schwalbe?“ „Das auch. Und für uns ist das Gefecht vorbei.“ „Nimm's nicht so schwer, Ed“, sagte der Seewolf. Seine Miene war grimmig. Er wollte mehr über diese üble Geschichte mit den Mixteken erfahren. Wenn diese Männer, Frauen und Kinder über das Maß des Erträglichen gelitten hatten, mußte Don Ignatio dafür bezahlen. Er durfte nicht straffrei ausgehen.
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„Ja, meinetwegen-, brummte der Profos. „Wir haben ja auch die eine Galeone um ihre Ladung erleichtert. Das ist schon mal was wert.“ „Eben. Ich bitte dich, das nicht zu vergessen.“ Hasard sah zu Pater David, der eben wieder an Oberdeck erschien - in Begleitung eines alten Indianers, der gebückt ging, sonst aber noch rege zu sein schien. Carberry ließ eine Art Seufzer vernehmen. „Und auch bei diesem Kahn, der elenden ,Golondrina`, haben wir nun was Glitzerndes gefunden. Aber da handelt es sich ja um Kult- und Schmuckgegenstände der Mixteken, was?“ „Das habe ich dir schon zweimal gesagt, Ed.“ „Dreimal. Ich will nur klarstellen: Es handelt sich um das rechtmäßige Eigentum der Indianer, nicht um das der Spanier.“ „Das ist sonnenklar, Ed“, sagte Hasard geduldig. Und die Mixteken? dachte Carberry. Zornig schob er das Rammkinn vor. Diese armen Schweine, dachte er mit einem Blick auf den alten Medizinmann, nach Spanien sollten sie versklavt werden. So eine Sauerei! Man sollte Don Ignatio und seinen Leuten die Hammelbeine langziehen. So und nicht anders dachten auch die „Arwenacks“ von der „Isabella“. Bei Erlebnissen wie diesem wurden sie empfindlich. Das bedeutete: Sie waren zwar selbst keine Moral-Apostel, aber sie haßten die Sklaverei. Und was sie jetzt an Bord der „Golondrina“ sahen und erfuhren, trieb ihnen ganz einfach die Galle hoch. Pater David und Sahuripe stiegen den Backbordniedergang zum Achterdeck hoch und trafen bei Hasard und Carberry ein. „Das ist Sahuripe“, sagte Pater David. „Der Medizinmann des Stammes. Er ist der einzige, der ein bißchen Spanisch kann.“ „Das reicht mir“, sagte Hasard. Sahuripe sah ihn mit einer Mischung aus Bewunderung und Neugierde an. „Du bist Gott?“ „Nein, nur ein Kapitän“, erwiderte der Seewolf gelassen.
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„El Lobo del Mar ...“ „Ja, so werde ich auch genannt. Aber meine Freunde sagen Hasard zu mir.“ Sahuripe lächelte schwach. „Gut Freund si. Die Spanier sind Feinde. Alle Viracochas.“ „Sie haben euch in eurem Dorf überfallen?“ „Im Dorf, ja.“ „Wie viele wart ihr?“ Sahuripe schien angestrengt zu überlegen, dann antwortete er: „Zweimal wie Männer, Frauen und Kinder unten im Bauch des Schiffes.“ Hasard, Carberry und Pater David sahen sich betroffen an. 2.
Erst nach langem und umständlichem Fragen erfuhr Hasard von dem alten Mixteken, daß auch der Häuptling des Stammes bei dem Überfall der Spanier ums Leben gekommen war. Schon vor sechs Monaten waren die Gefangenen nach Vera Cruz getrieben worden. Dort hatte man sie auf die „Golondrina“ verladen. „Seit dieser Zeit hausen sie also in dem Laderaum“, sagte der Seewolf betroffen. „Mein Gott.“ „Wirklich schrecklich“, sagte auch Carberry mit erbitterter Miene. „Warum läßt du mich nicht nachsehen, wie es unserem Freund, dem Menschenschinder Don Ignatio, geht?“ „Weil ich mir den Ausgang des Besuches ausmalen kann“, entgegnete Hasard. Er wandte sich wieder an Sahuripe. „Wie oft habt ihr von den Spaniern zu essen und zu trinken erhalten?“ „Nicht oft.“ „Jeden Tag?“ fragte Pater David. „Wenigstens einmal am Tag?“ Der Mixteke schüttelte den Kopf. „Nein, Senor. Nur - hin und wieder. Abfälle. Sie wurden durch - Luke in Raum geworfen.“ „Und ihr durftet niemals an Deck?“ fragte Hasard. „Nein. Nie.“ „Es spottet jeder Beschreibung, was diese Menschen erlitten haben“, sagte Pater
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David. „Es ist wirklich unfaßbar. Wenn ich geahnt hätte, daß meine Landsleute so etwas tun.“ „Es sind nicht nur Ihre Landsleute, die so mit den Indianern umgehen“, sagte der Seewolf. „Kein Weißer benimmt sich in der Neuen Welt wie ein Engel.“ „Aber, Sir!“ protestierte Carberry. „Wir haben uns noch an keinem armen Kerl vergriffen, der uns nichts getan hat. Ich meine, wer uns nicht gerade aus dem Hinterhalt anfällt oder so, den lassen wir in Ruhe.“ „Ja, schon gut.“ Der Profos sah zu Pater David. „Weißt du, was ich glaube, Pater? Ein Schweinekoben ist ein sauberes Paradies gegen den Laderaum da unten. Und die Indianer wurden noch ein Stück unter den Säuen eingestuft, als total wertlose Lebewesen, meine ich.“ „Dem kann ich nicht widersprechen“, sagte Pater David. „Wie viele seid ihr ursprünglich gewesen?“ wollte Hasard jetzt von Sahuripe wissen. „So viele, wie in dem Laderaum sind?“ „Mehr.“ „Hundert?“ „Was heißt das - hundert?“ fragte Sahuripe. Durch mühsames Abzählen an den Fingern setzte Hasard dem Mann auseinander, was er meinte. Schließlich begriff Sahuripe und sagte: „Neunzig. So viele waren wir. Die anderen - tot.“ „Sie wurden bestattet?“ „Ins Wasser geworfen.“ „Einfach so?“ fragte der Seewolf erbost. Sahuripe bejahte die Frage. „Sie haben sie wie Abfall außenbords gekippt“, sagte Carberry. „Hast du was anderes erwartet, Sir? Du vielleicht, Pater? Hölle, mir platzt der Kragen. Und ich habe die Nase voll. Ich werde diesem Don Ignatio die Haut in Streifen von seinem ...“ „Ich weiß schon“, sagte der Seewolf. „Aber lieber rede ich ein Wörtchen mit ihm, wie sich das gehört.“ Er wartete keine weiteren Äußerungen ab und verließ das Achterdeck.
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Wenig später stand er vor der Tür zur Kapitänskammer im Achterkastell. Jack Finnegan, der Posten, rückte zur Seite. „Ich habe die Tür zur Heckgalerie natürlich dichtgeschottet“, sagte er. „Damit unser Vogel nicht wegfliegen kann.“ „Vielleicht kann er nicht mal schwimmen“, sagte Hasard. „Aber Leute kujonieren und zwiebeln, das kann er, was?“ Jack war genauso aufgebracht wie die anderen. „Auch der Zweite Offizier scheint ein Satan zu sein. Sieh ihn dir mal genau an.“ „Das habe ich schon getan”, sagte Hasard, dann betrat er die Kapitänskammer. Er hatte genug Menschenkenntnis, um Typen wie Don Ignatio, Rolando de Simon und Carlos Antibes beurteilen zu können. Antibes war Don Ignatios rechte Hand. De Simon schien eine Sonderstellung einzunehmen, eine Art neutrale Position. Wahrscheinlich war er der Mann, der am besten mit der Mannschaft zurechtkam. Dies meinte Hasard auf den ersten Blick erkennen zu können. Er irrte sich aber doch, wie sich später herausstellte. Don Ignatio hatte sich an seinem Pult niedergelassen - und er hatte eine Karaffe Wein und einen leeren Becher vor sich stehen. Aus schmalen Augen musterte er Hasard, dann - als dieser die Tür hinter sich schloß - sagte er: „Ich bin zwar ein Gefangener auf meinem eigenen Schiff, Senor, aber es ist trotzdem eine Unverschämtheit, daß Sie in meine Kammer eindringen, ohne anzuklopfen.“ Hasard verharrte und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür. „Was haben Sie sonst noch zu beanstanden, Senor?“ „Daß Sie sich einbilden, einen Kapitän Seiner Allerkatholischsten Majestät festhalten zu können.“ „Ich habe Ihnen gesagt, wer ich bin.“ „Killigrew, ich weiß. Der Schnapphahn.“ „Ich habe keinerlei Respekt vor der spanischen Krone.“ „Sie werden Ihre Äußerungen noch bereuen!“ stieß der Spanier hervor und schnappte hörbar nach Luft. „Was Sie da sagen, ist nicht nur eine Beleidigung - es ist eine Gotteslästerung!“
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Hasard stieß sich von der Tür ab und schritt auf ihn zu. „Wenn Sie so weiterreden, Senor, werden Sie bald den Schöpfer verfluchen, daß er Sie überhaupt das Licht dieser Welt hat erblicken lassen.“ „Was erdreisten Sie sich zu ...“ „Schweigen Sie!“ Hasards Stimme war scharf und kalt. Er stand unmittelbar vor dem Pult und stützte sich mit den Händen auf. „Das reicht mir jetzt!“ Don Ignatio lehnte sich zurück. In seinem Gesicht zuckte es. Seine Augenbrauen hoben sich in gespielter Verwunderung. „Über was regen Sie sich auf? Sie sind der Sieger, Sie können stolz auf sich sein.“ „Sie wissen genau, was ich meine.“ „Daß ich Sie einen Schnapphahn genannt habe? Verzeihung, vielleicht sollte ich lieber Pirat sagen? Oder Korsar? Wie ist es Ihnen am liebsten?“ „Mein Profos hat recht“, sagte der Seewolf. „Er würde sich gern mit Ihnen befassen. Ich glaube, das sollte ich ihm wirklich überlassen.“ Don Ignatio erblaßte unter der dicken Puderschicht, die seine Gesichtshaut bedeckte. Er hatte bereits gesehen, wer der Profos der „Isabella“ war - jener grobschlächtige Kerl mit dem Narbengesicht und dem gewaltigen Kinn, der vor roher Kraft nur so zu strotzen schien. Er hatte Angst vor ihm, ein Gefühl, das er nicht zu verbergen vermochte. „Warum?“ fragte er entsetzt. „Warum? Ich bin Ihnen doch ausgeliefert. Quälen Sie mich nicht auch noch.“ „Ich hätte Sie töten können, Senor“, sagte Hasard mit schneidender Stimme. „Sie wissen, daß das bei Seegefechten und Entermanövern üblich ist.“ „Mit wie vielen Schiffen sind Sie über unseren Konvoi hergefallen?“ Don Ignatio lauschte dem Grollen der Kanonen, das immer noch nicht aufgehört hatte. „Sie müssen einen großen Verband haben. Wie haben Sie überhaupt erfahren, daß unser Geleitzug dieses Seegebiet passiert?“ „Wir haben gute Kundschafter“, entgegnete der Seewolf. „Aber das steht hier jetzt nicht zur Debatte. Vielmehr habe
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ich Lust, das Bordgericht zusammentreten zu lassen und Sie abzuurteilen.“ „Ich begreife nicht, was das soll. Genügt Ihnen Ihr Triumph nicht?“ „Sie sind des mehrfachen Mordes schuldig.“ „Mord? Nein. Wer behauptet das?“ Don Ignatio wollte aufspringen, aber er unterließ es doch lieber - erstens wegen seiner Körperfülle, die ihn behinderte, zweitens wegen Hasard, der sofort zum Degen griff. „Ich habe mit dem Medizinmann der Mixteken gesprochen“, sagte Hasard. „Streiten Sie nichts ab, es hat doch keinen Sinn. Ich weiß, was Sie und Ihre Leute in dem Dorf der Indianer angerichtet haben. Sie bereiten mir - um es gelinde auszudrücken - Übelkeit, Senor.“ „Ach“, sagte der Kapitän mit einem Ausdruck der Erleichterung auf den Zügen. „Es geht um die Wilden. Nun, ich kann Sie beruhigen. Was dieser Scharlatan sagt, ist natürlich alles erlogen. Außerdem braucht man keine Rücksicht auf diese dreckigen, stinkenden Hunde zu nehmen, nicht wahr?“ Hasard erwiderte: „Ich schätze, daß auch Sie abscheulich stinken werden, wenn man Sie in ein Loch wie diesen Laderaum sperrt. Senor.“ Don Ignatio grinste flüchtig, er schien die Äußerung für einen Witz zu halten. „Ich gebe Ihnen einen guten Tip, Senor Killigrew“, sagte er so freundlich wie möglich. „Lassen Sie ein paar von den jungen Indianerhuren tüchtig waschen und abseifen und nehmen Sie sie mit an Bord Ihres Schiffes. Dann haben Sie Ihren Spaß. Vor allem ist es das einzige, zu was sie taugen.“ „Vielleicht möchten Sie kielgeholt werden“, sagte Hasard. „Sie legen es geradezu darauf an.“ Don Ignatio, der eben ein wenig Farbe wiedererlangt hatte, wurde erneut kreidebleich. „Es will mir nicht in den Kopf, warum Sie sich so aufregen. Wollen Sie diese Wilden auch noch verteidigen oder sich als ihr Beschützer aufspielen? Das kann nicht Ihr Ernst sein.“
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„Es ist mein voller Ernst.“ „Was ist Ihnen an diesen - äh - Affen gelegen?“ „Es sind Menschen. Aber daran zweifeln Sie sowieso, nicht wahr?“ „Allerdings“, erwiderte der Spanier. Es schien ihn zu irritieren, daß man in diesem Punkt anderer Ansicht sein konnte. „Dieses Pack - das sind minderwertige Kreaturen, Untermenschen. Sie haben nichts mit uns Europäern gemein. Aber Sie wissen nicht, wie sie leben.“ „Doch, ich weiß es zufällig. Vielleicht ist Ihnen nicht bekannt, daß ich schon seit einigen Jahren die Neue Welt bereise.“ „Ich habe davon gehört.“ „Meine Männer und ich sind gegen die Methoden, die die Spanier den Ureinwohnern dieses Kontinents gegenüber anwenden“, fuhr Hasard fort. „Wir sehen uns als Freunde der friedlichen Eingeborenen an, und wir kommen gut mit ihnen aus. Aber auch das werden Sie nicht begreifen, deswegen will ich es mir ersparen, Ihnen meine Prinzipien näher zu erläutern. Was haben Sie mit den Mixteken vorgehabt?“ „Das wollte ich Ihnen gerade erklären“, antwortete Don Ignatio hastig. „Ich habe nie vorgehabt, sie zu töten. Diejenigen, die sich in dem Dorf gegen uns aufgelehnt haben, sind im Kampf gefallen. Die anderen sollten nach Spanien gebracht werden.“ „Zu welchem Zweck?“ „Zu Belustigungs- und Schauzwecken am königlichen Hof.“ „Das weiß ich bereits. Aber wie sollte das geschehen?“ „Nun, ich hätte sie reinigen und einkleiden lassen“, erwiderte Don Ignatio. „Danach hätte ich sie vorgeführt.“ „In Ketten?“ „Nein, in Käfigen, die später auch auf den Märkten gezeigt worden wären.“ „Die Mixteken sollten dem Volk wie Affen vorgestellt werden“, sagte Hasard. „Das habe ich mir gedacht. Oder wie wilde Tiere, die man nicht anfassen darf, weil sie beißen könnten.“
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„Sie übertreiben jetzt etwas, Senor“, sagte Don Ignatio in einem sinnlosen Versuch, einlenkende Worte zu finden. „Ganz so drastisch dürfen Sie sich das nicht ausmalen.“ „Als ob ich spanische Märkte noch nicht besucht hätte“, sagte der Seewolf grimmig. „Mir können Sie nichts vorerzählen. Was Sie den Mixteken angetan haben, ist unmenschlich. Aber es sollte wenigstens einen gerechten Ausgleich geben.“ Don Ignatio erhob sich nun doch. Seine Augen weiteten sich, seine Knie wurden weich. „Was haben Sie vor?“ „Ich habe es eben schon angedeutet.“ „Kielholen? Nein.“ „Keine Angst, davon bleiben Sie verschont“, sagte Hasard und fuhr in drohendem Tonfall fort: „Aber nehmen Sie sich in acht. Ich könnte es mir noch anders überlegen.“ Natürlich würde er niemanden kielholen lassen, weil das nicht zu seinen Gepflogenheiten gehörte, aber es war nur gut, wenn dieser Mann nachhaltig eingeschüchtert wurde. „Was - haben Sie vor?“ fragte Don Ignatio noch einmal. „Die Schiffsführung der ,Golondrina' samt der Mannschaft wird in den stinkenden Laderaum verfrachtet -damit jeder von Ihnen am eigenen Leib erfährt, was den Mixteken zugemutet wurde.“ „Nein!“ „Beruhigen Sie sich“, sagte Hasard schroff. „Es gibt Schlimmeres.“ Er drehte sich um und verließ die Kapitänskammer. Don Ignatio ließ sich bebend wieder auf seinen Platz sinken. Er konnte vernehmen, wie sein Gegner draußen Anweisungen gab, in englischer Sprache. Dann näherten sich feste Schritte der Kammer, die von Entschlossenheit und wenig Verhandlungsbereitschaft kündeten. „Heiliger Franziskus, steh mir bei“, sagte Don Ignatio jammernd. Aber auch der Schutzheilige seines Heimatortes in Spanien konnte ihm nicht mehr helfen. Die Tür flog auf und knallte gegen die Innenwand - Edwin Carberrys mächtige Gestalt schob sich in den Raum.
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Pater David blickte den Seewolf verblüfft an. „Was ist denn da unten los?“ Im Achterdeck der „Golondrina“ rumpelte und polterte es, zwischendurch waren Flüche zu vernehmen. Dann stöhnte und jammerte jemand. Schleifende und scharrende Laute ertönten, ein entsetztes Keuchen und schließlich eine Art Wimmern. „Das sind nur Don Ignatio und der Profos“, erklärte Hasard beinah vergnügt. „Ich habe unserem Profos gesagt, er soll den Capitan als ersten abholen.“ In diesem Moment öffnete sich das Schott in der vorderen Querwand des Achterkastells, und Don Ignatio stolperte ins Freie. Hinter ihm erschien Carberry. „So!“ brüllte er. „Jetzt ist genug mit dem Weinsaufen, du feiste Wildsau! Senor Carberry bringt dir die Flötentöne bei, und wenn er fertig ist, bist du so weich, daß man dich als Schwabber benutzen kann!“ „Nein! Nicht!“ stieß Don Ignatio in panischem Entsetzen hervor. Er drehte sich um und hob abwehrend beide Hände. „Weiter!“ brüllte der Profos, daß sich bei dem anderen die Perücke hob und das Puder aus dem Gesicht fiel. „Vorwärts, marsch! Anbrassen und hoch an den Wind! Wir gehen spazieren! Zum Vordeck! Wird's bald?“ Don Ignatio setzte sich wieder in Bewegung. Vor lauter Aufregung rutschte er aus und fiel, aber keiner hatte Mitleid mit ihm. Alle sahen gelassen zu, wie er sich langsam wieder aufrappelte. Carberry ging alles andere als sanft mit ihm um. Ein deftiger Fußtritt beförderte den Spanier weiter, und der beeilte sich, mit watschelnden Schritten das Vordeck zu erreichen. Das betrat er sonst nie. Es ziemte sich nicht für einen spanischen Capitan, sich unter das gemeine Schiffsvolk zu mischen oder auch nur in deren Unterkünfte zu gehen. Aber jetzt ziemte sich alles. Es mußte sich ziemen, denn Carberry, der Drohende, Gewaltige, nahm die Neunschwänzige zur Hand und ließ sie ein paarmal durch die Luft pfeifen und knallen.
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Don Ignatio begann zu laufen. Seine Körpermassen gerieten in Wallung, es war ein lustiges Bild. Grinsend stießen sich die Männer der „Isabella“ untereinander an. Aber auch einige der spanischen Decksleute konnten ihre Schadenfreude nicht verbergen. Sie tauschten Blicke und setzten amüsierte Mienen auf. Die Mixteken erschienen nach und nach an Oberdeck - wie scheue Rehe, die jeden Moment die Flucht ergreifen konnten. Sie blickten sich nach allen Seiten um und schienen immer noch nicht richtig fassen zu können, daß sie frei waren. Sahuripe sprach auf sie ein - mit dem Ergebnis, daß die Indianer ehrfürchtig zu Hasard und Pater David. aufsahen. Die Kinder zeigten eher Interesse für Carberry und den Capitan. Dem Profos ging es nicht schnell genug. Wieder traf ein Tritt den Allerwertesten von Don Ignatio. Dieser quietschte wie ein gestochenes Ferkel, und die Mixteken-Kinder klatschten begeistert in die Hände. „Dalli, dalli!“ brüllte Carberry. „Zackig, hopp-hopp, du triefäugige Seegurke! Wir haben unsere Zeit nicht gestohlen! Es gibt viel zu tun! Du hast noch Glück, daß ich dir nicht die Haut in Streifen von deinem verdammten Affenarsch ziehe!“ So hatte er endlich auch wieder Gelegenheit, seinen Lieblingsspruch anzubringen. Er brüllte ihn nicht nur in seiner Muttersprache, sondern auch auf spanisch, und Don Ignatio Churruca zuckte bei jedem Wort wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Aber die Neunschwänzige traf ihn nicht ein einziges Mal. Sie knallte nur leer in die Luft und sollte der Abschreckung und Einschüchterung dienen. Carberry brüllte gern herum, das gehörte seiner Meinung nach zum Metier eines Zuchtmeisters. Aber er war kein Leuteschinder. Er empfand Don Ignation gegenüber weder Haß noch Rachegelüste, sondern ganz einfach nur das Verlangen, ihm die Mißhandlung der Mixteken ein wenig heimzuzahlen.
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Carberry scheuchte den lamentierenden Capitan zum Vorkastell, riß das Schott auf und trieb ihn zu den Mannschaftsräumen hinunter. Dann ließ er auch Rolando de Simon, den Ersten Offizier, und Carlos Antibes, den Zweiten, bringen. Jack Finnegan und Paddy Rogers führten die beiden Gefangenen vor. Carberry stemmte die Fäuste in die Seiten und betrachtete sie im Licht der Öllampe, die er inzwischen im Logis entfacht hatte. „So, Senores“, sagte er in seinem nicht sehr eleganten Spanisch. „Ich habe eine ehrenvolle Sonderaufgabe für euch. Hier wird Reinschiff veranstaltet, und zwar im Eiltempo! Jack, die Senores kriegen jeder einen Kübel, einen Schwabber und einen Scheuerstein - und dann will ich sie flitzen sehen. Paddy und du, ihr überwacht das. Ich kümmre mich inzwischen um den anderen Kram.“ Mit dem „anderen Kram“ meinte er das Unterbringen der spanischen Seeleute und die Versorgung der Mixteken, die dringend verpflegt und auch vom Kutscher und von Mac Pellew untersucht und ärztlich behandelt werden mußten. Es gab genug zu tun - und alles mußte in relativ kurzer Zeit abgewickelt werden, denn es war weder besonders klug noch ratsam, an diesem Platz zu verweilen. Don Ignatio stöhnte und klagte und ließ sich entnervt auf eine Bank sinken. Die Umgebung verursachte in ihm ein Gefühl des Ekels. Ihm war hundeelend zumute. Vor allem hatte er noch nie in seinem Leben richtig körperlich gearbeitet. Stets war es ihm gelungen, sich erfolgreich davor zu drücken. Dieses Mal aber führte kein Weg an dem bitteren Los vorbei seine Furcht vor dem Profos war zu groß. Rolando de Simon fügte sich wortlos in sein Schicksal. Er ertrug es mit Würde und befand im stillen bei sich, daß es viel schlimmer für die Achterdecksleute der „Golondrina“ hätte kommen können, wenn das Schiff von blutrünstigen, skrupellosen Piraten gekapert worden wäre. Daß der schwarzhaarige Riese, der Don Ignatio die Spitze seines Degens an die Kehle gesetzt hatte, kein primitiver
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Schlagetot war, hatte de Simon auf einen Blick erkannt. Mehr noch: Er wußte jetzt, daß dieser Seewolf, über den so viele Gerüchte kursierten, nicht dem Feindbild entsprach, das über ihn in Umlauf war. Irgendwie fiel es dem Ersten schwer, diesen Mann zu hassen. Er empfand sogar fast etwas wie Sympathie für ihn. Ganz anders verhielt sich Carlos Antibes. „Was?“ begehrte er auf. „Wir sollen diesen Dreck beseitigen? Das ist nicht unsere Aufgabe!“ Carberry rückte drohend auf ihn zu. „Ich höre wohl nicht richtig, Senor. Was? Wie?“ „Laß die Mannschaft diese Schweinearbeit erledigen!“ rief der Spanier erbost. „Welche Mannschaft?“ fragte der Profos katzenfreundlich. „Unsere natürlich“, entgegnete Antibes. „Aha. Und für die ist es nicht zu dreckig, was?“ „Nein. Ich verlange ...“ Antibes sprach nicht weiter. Plötzlich hing er in der Luft. Ja - er hatte buchstäblich den Boden unter den Füßen verloren. Carberrys rechte Hand war vorgeschossen, packte ihn am Aufschlag seines Rockes und hob ihn ohne sichtliche Mühe hoch. Dabei war er kein Fliegengewicht, dieser Antibes. Er war untersetzt und ziemlich wuchtig gebaut, sein derbes Gesicht hatte einen verschlagenen Ausdruck. Jetzt aber wurde es lang und länger, und das helle Entsetzen nahm darin Gestalt an. Er war wie gelähmt. Carberrys Gebrüll dröhnte in seinen Ohren. Es war, als hieben unsichtbare Hämmer auf ihn ein. „Schluß der Debatte! Pack an und schrubb die Planken, du Großmaul, oder ich bringe dir das Fliegen bei! Oder ich ramme dich vielleicht auch unangespitzt ins Kielschwein! Klar?“ „Klar“, flüsterte der Zweite der „Golondrina“ nur noch, dann war er froh, daß Carberry ihn wieder sinken ließ. Wenig später rutschten die „Senores“ auf ihren Knien durch die Mannschaftsunterkünfte und schrubbten die Planken mit dem Scheuerstein, der in der Seemannssprache auch „Bibel“
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genannt wurde. Jack und Paddy hielten Wache. Dem Kapitän und seinem Zweiten gönnten sie es, daß sie diese Arbeit versehen mußten. Aber mit de Simon empfanden sie ein bißchen Mitleid. Er war aus einem anderen Holz geschnitzt als diese zwei. Für eine bessere Behandlung der Mixteken an Bord der Galeone hatte aber auch er nichts getan. Wahrscheinlich wußte er, was ihm blühte, wenn er sich für solches „Gesindel“ und „Pack“ einsetzte. Die eine Hälfte der Mixteken sollte auf Anweisung des Seewolfs in den Mannschaftsräumen untergebracht werden - die andere wurde an Bord der „Isabella“ verfrachtet. Dort standen unterdessen schon Pater David, der Kutscher und Mac Pellew sowie ein paar Männer der Crew bereit. Vorsichtig fütterten sie die nach und nach eintreffenden Indianer, als erstes die Frauen und Kinder, die den erbarmungswürdigsten Eindruck boten und Verpflegung am nötigsten hatten. Manche von ihnen waren zu schwach, um sich auf den Beinen zu halten. Sie mußten gestützt werden. „Seht euch das an“, sagte Dan O'Flynn. „Hölle, es ist schon ganz richtig, daß Ed mit dem Capitan und den beiden Offizieren gehörig Schlitten fährt.“ „Ja, und endlich dürfen sie mal lernen, wie man mit Pütz, Feudel und Schrubber umgeht“, brummte Mac Pellew mit bitterbösem Gesicht. „Das geschieht ihnen recht.“ „Ed ist ein gründlicher Lehrmeister“, sagte der Kutscher. „Er hat da seine Prinzipien.“ Wieder ertönte aus dem Logis der „Golondrina“ Gebrüll. Carberry hatte sich ein bißchen um „anderen Kram“ gekümmert, war jetzt aber zu den „Senores“ zurückgekehrt, um nach dem Rechten zu sehen. Die Inspektion fiel nicht gerade positiv aus - und wieder scheuchte er die drei unter wüsten Drohungen. Unter seinem Gebrüll schienen sich nicht nur die Planken der Galeone, sondern auch deren Deckenbalken zu biegen. 3.
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Hasard war sich noch unschlüssig, was mit den Indianern geschehen sollte. Deshalb rief er - wieder in seine Kapitänskammer an Bord „der „Isabella IX.“ zurückgekehrt - den Schiffsrat zusammen. Ben Brighton, Big Old Shane, Dan O'Flynn und Ferris Tucker erschienen. Bei einem Becher Wein wurde noch einmal alles durchgesprochen. Inzwischen war es zwei Uhr morgens geworden. „Wie sieht es mit dem Notruder aus?“ fragte Hasard als erstes seinen rothaarigen Schiffszimmermann. „Ganz gut“, erwiderte Ferris. „Es ist jetzt fertig.“ „Heißt das, daß die „Golondrina` wieder voll seetüchtig und manövrierfähig ist?“ fragte der Seewolf. Ferris schüttelte den Kopf. „Nein, Sir. Sie ist nur bedingt manövrierfähig. Mit anderen Worten, ich wage ihr nicht allzu viel zuzumuten. Bei einem Stürmchen, meine ich, ist da nichts mehr drin.“ „Auch das noch“, sagte Hasard. „Wir haben also mehr oder weniger einen Klotz am Bein.“ „Was tun wir?“ fragte Ben Brighton. „Wir können die Mixteken nicht an die Ostküste von Neuspanien zurückbringen, das ist zu weit.“ „Sie stammen vom Golf von Campeche“, sagte der Seewolf. „Auch ich traue mir eine Reise bis dorthin nicht zu - nicht unter diesen Bedingungen. Es hätte auch keinen Sinn, die ,Golondrina` zu versenken. Auf der ‚Isabella' ist nicht genug Platz, um die Indianer und die Spanier zu beherbergen.“ „Der Golf von Campeche liegt also zu weit entfernt“, stellte Shane noch einmal mit Nachdruck fest. „Aber es gibt auch noch andere Gründe, von einer solchen Fahrt abzusehen. Wir haben andere Sorgen und müssen wohl so schnell wie möglich zurück zur Schlangen-Insel. Außerdem ist der Kahn der Spanier, wie schon gesagt, ein ausgesprochener Schlorren.“ „Ferner würden die Mixteken wieder im Einflußbereich der Dons landen und eventuell erneut vom Regen in die Traufe geraten, wenn sie nach Neuspanien zurückkehrten“, sagte der Seewolf. „Also:
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Welche andere Lösung bietet sich an? Ich bitte um Vorschläge.“ „Wir könnten sie nach Coral Island bringen“, sagte Ben bedächtig. „Zu den Timucuas. Die haben ja ein ähnliches Schicksal gehabt.“ Hasard war skeptisch. „Wir dürfen nicht vergessen, daß die Timucuas und die Mixteken zwei sehr unterschiedliche Stämme sind. Aber wir sollten in diesem Punkt mit Pater David sprechen. Ich glaube, er weiß da besser Bescheid als wir.“ Dan verließ die Achterdeckskammer und betrat das Hauptdeck. Er wechselte ein paar Worte mit Pater David, dann kehrten sie gemeinsam zu der Besprechung zurück. Hasard legte ihm anschaulich dar, welche Möglichkeiten hinsichtlich der Versorgung und Unterbringung der Indianer abgewägt worden waren. Pater David bestätigte Hasards Ansicht und fügte hinzu: „Man nennt die Mixteken auch die ‚Bewohner des Wolkenlandes'. Das bedeutet, daß sie in ihrer Heimat im Gebirge leben -ganz anders also als die aus Florida stammenden Timucuas.“ „Ja“, sagte der Seewolf. Er war jetzt ziemlich verdrossen. „Andererseits können wir auch keine Berge herbeizaubern.“ „Einen Moment“, sagte Pater David. „In diesem Punkt muß ich Sie revidieren. Meines Wissens gibt es auf Hispaniola ein sehr hohes Bergland. Vielleicht sind die Mixteken bereit, dort eine neue Heimat zu gründen. Wir müßten das mit Sahuripe, dem Medizinmann, besprechen.“ „Dann her mit ihm“, sagte der Seewolf entschlossen. Pater David lächelte sanft und erklärte: „Sahuripe schläft jetzt. Und ich werde den Teufel tun, den alten Mann zu wecken, um ihm derart entscheidende Fragen zu stellen. Es ist nicht der richtige Moment dafür, verstehen Sie?“ Jetzt lächelte auch Hasard - aber nur, weil er wieder einmal erkannte, was für ein hartnäckiger Brocken dieser Riese war, wenn es um seine „Schützlinge“ ging. „Gut“, sagte er. „Dann trotteln wir erst mal südwärts. Trotteln - das sage ich deshalb,
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weil wir uns nach der 'Golondrina` richten müssen, deren Notruder allenfalls bei Langsamfahrt nicht in die Binsen gehen kann. Sie wird nur unter Besan und Fock segeln. Dan, du übernimmst das Kommando.“ „Gut, danke. Wer gehört zu meiner Crew?“ „Ed und Ferris sowie ein Teil unserer Leute - du kannst sie dir selber aussuchen. Außerdem solltest du die gesündesten Männer der Mixteken mit an Bord nehmen, sie können euch bei den Segelmanövern unterstützen.“ „Und was wird mit dem stinkenden Laderaum, verdammt noch mal?“ fragte Ferris mit sichtlichem Widerwillen. „Dort bringen wir die Schiffsführung der ,Golondrina` unter“, erwiderte Hasard. „Und auch die Mannschaft.“' Somit waren es mehr als vierzig Spanier, die den Laderaum „bezogen“ und sich dort einquartierten, wo vorher die Mixteken ihr trauriges, erbärmliches Los gefristet hatten. * Don Juan de Alcazar hatte ernsthaft begonnen, sich die Frage nach dem Sinn des Lebens zu stellen. Deprimiert hockte er auf der achteren Ducht des Beibootes. Sein Blick schien ins Leere gerichtet zu sein. Was sollte er nach dieser neuerlichen Niederlage noch tun? Nichts - es gab nichts mehr, was er noch unternehmen konnte. Er war gescheitert, auf der ganzen Linie. Von Anfang an war sein Auftrag in Havanna und der Neuen Welt von Mißerfolgen und Mißgeschick bestimmt gewesen. Eigentlich hätte er schon gar nicht mehr am Leben sein dürfen - nach alledem, was ihm widerfahren war. Hingegen lebte er noch. Doch er wußte nicht, ob er darüber glücklich oder unglücklich sein sollte. Die erlittene Schmach war zu groß. Wieder hatte er verloren, wieder mußte er das Hohngelächter seiner Gegner ertragen. Es klang ihm noch in den Ohren. Und auch der strapazierte linke Fußknöchel schmerzte wieder. Alles war wie verhext,
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seine Wut und Ohnmacht hätten größer nicht sein können. War denn altes gegen ihn? Allmählich hatte er diesen Eindruck. Von Beginn an hatte er versagt. Seit er jenen Philip Hasard Killigrew suchte, Spaniens Erzfeind, hatte er nichts als Pech. So jedenfalls erschien ihm seine Lage im Augenblick, auf dem absoluten Tiefpunkt seiner Stimmung. Es war der Nachmittag des 15. Juni. Don Juan und seine neunköpfige Crew steuerten mit dem Boot die Südspitze der Insel Great Abaco an. Nach dem überraschenden Beschuß durch den kleinen Dreimaster und den ersten Anzeichen, daß ihre zweimastige Schaluppe auf Tiefe ging, hatten sie es gerade noch geschafft, das Beiboot auszusetzen und von Bord zu steigen. Die Schaluppe war - mit Treffern in der Wasserlinie - gesunken. Der silberhaarige Alte an Bord des Dreimasters hatte wie ein Ziegenbock gemeckert und sich ausgeschüttet vor Lachen. Auch das „Arwenack“-Geschrei des Alten und seiner drei Männer sowie der beiden Jungen gellte Don Juan noch laut und höhnisch in den Ohren. Dieser seltsame Dreimaster - er gehörte zum Verband des Seewolfes. Und die Jungen? Hatten die nicht verblüffende Ähnlichkeit mit Philip Hasard Killigrew? Immer wieder wurde Don Juan in seinen Gedanken daran erinnert, immer wieder führte er sich vor Augen, daß sie ihm wie aus dem Gesicht geschnitten waren. Wie hing das zusammen? Waren sie seine Söhne? Möglich war alles. Aber Don Juan hatte vorerst keine Gelegenheit, tiefschürfende Überlegungen anzustellen. Er wunderte sich auch nicht darüber, daß der Alte nicht reinen Tisch mit ihnen gemacht und auch noch das Boot samt Crew zusammengeschossen hatte. Im übrigen wäre dies überflüssig gewesen. Es stellte sich heraus, daß das Boot vom Beschuß leck war. Old Donegal Daniel O'Flynn der „Alte“ - hätte sich die Kugeln auf jeden Fall sparen können.
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So verlangte die prekäre Situation Don Juan und seinen Männern das höchste Maß an Können und Einsatz ab. Nur flüchtig sah Don Juan noch, daß sich der Dreimaster mit großem Tempo in östlicher Richtung entfernte, der offenen See zu. Er grübelte aber nicht mehr darüber nach, welchen genauen Kurs der Gegner nehmen mochte. So verfiel er nicht darauf, daß das Ganze ein Ablenkungsmanöver sein könnte. Old O'Flynn tat alles Erdenkliche, um die „Dons“ irrezuführen, und es gelang ihm auch, denn sie hatten Wichtigeres zu tun, als ihm nachzuspionieren oder Theorien über sein weiteres Verhalten aufzustellen. Es wurde gefährlich. „Verdammt, der Kahn zieht Wasser, Senor!“ stieß Ramon Vigil, der Bootsmann, entsetzt hervor. „Wir müssen zusehen, so schnell wie möglich Land zu erreichen!“ Auch Don Juan sah es: Das Boot zog sogar ganz rapide Wasser. Den Männern an den Riemen fiel das Pullen immer schwerer. Je mehr Tiefgang das Boot hatte, desto beschwerlicher war das Vorwärtskommen. „Schneller!“ drängte Don Juan dennoch. „Der rettende Strand ist nicht mehr weit entfernt!“ „Wie weit noch, Senor?“ fragte einer der Männer. „Höchstens noch hundert Schritte.“ Die Männer rissen an den Riemen, ihre Gesichter waren verkniffen. Sie gaben das Äußerste - und mit einer letzten gewaltigen Anstrengung schafften sie es. Als sie landeten, schwammen die Bodenbretter des Bootes. Doch das war noch nicht das Schlimmste: Hinter ihnen zogen drei, vier Dreiecksflossen ihre Bahn. „Tiburones“, sagte Don Juan mit einem Blick nach achtern. „Haie. Wenn die uns erwischt hätten!“ Unwillkürlich schloß er die Augen. Er wagte kaum, sich auszumalen, was geschehen wäre, wenn sie sich schwimmend an Land zu retten versucht hätten. Die Haie hätten grausige Mahlzeit gehalten. Sie waren der Schrecken aller Seefahrer und jagten auch dem mutigsten
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Mann einen kalten Schauer über den Rücken, wenn er ihre Flossen und die grauen Leiber entdeckte. Jetzt wußten sie, daß sie dem Teufel noch einmal von der Schippe gesprungen waren. Das Boot schob sich auf den Sand. Sie stiegen aus und zogen es an Land. Aufatmend blieben sie stehen und blickten sich untereinander an. „Wenigstens die nackte Haut haben wir gerettet“, sagte Ramon Vigil. Don Juan nickte mit grimmiger Miene. „Sehr viel mehr aber auch wirklich nicht.“ Er inspizierte die Habseligkeiten, die sie von Bord der Zweimast-Schaluppe in der Eile noch hatten mitnehmen können. Messer und ein paar Pistolen, sonst nichts, nur noch ein paar Pulverhörner, von denen drei naß geworden waren, sowie einige Dutzend Kugeln/ für die Schußwaffen. Don Juan gab seinen Männern nen Wink. Sie packten gemeinsam an, zogen das Boot noch höher auf den flachen, weißen Sandstrand von Great Abaco, verharrten wieder, schöpften frische Energie und gingen dann erneut ans Werk. Sie kanteten das Boot, kippten somit das Wasser aus und stellten anschließend fest, daß der Schaden größer und bedenklicher war, als sie anfangs angenommen hatten. „Zwei Planken unter der Wasserlinie sind eingedrückt“, sagte Ramon Vigil. „Eine Reparatur, für die der Schiffszimmermann zuständig wäre.“ „Aber nicht wir“, sagte Don Juan. „Als einzige Werkzeuge haben wir unsere Messer, und die reichen weiß Gott nicht aus.“ „Wir sind also dazu verdonnert, hier zu verweilen“, sagte einer der Männer. „Das sind vielleicht Aussichten.“ Don Juan fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Er hatte Mühe, seiner Niedergeschlagenheit und Resignation zu verbergen. Wenn er bis vor kurzem im stillen noch gehofft hatte, mit dem Boot von Insel zu Insel zurück nach Kuba zu gelangen, dann mußte er jetzt erkennen, daß es mit diesem Plan im wahrsten Sinne des Wortes Essig war.
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Wieder Pech - und die Niederlage war total. Sie waren nichts weiter als Schiffbrüchige, die zusehen mußten, sich auf Great Abaco einzurichten und zu überleben, bis vielleicht einmal ein Schiff vorbeisegelte und sie abbarg. Don Juan bezwang seine dumpfen, deprimierenden Gefühle, er verlieh sich einen innerlichen Ruck und sagte zu seinen Männern: „Also gut, dann fügen wir uns notgedrungen unserem Schicksal. Versuchen wir, es uns hier so häuslich wie möglich einzurichten.“ Immerhin bestand die kleine Crew aus handfesten Kerlen, die alle aus ähnlich hartem Holz geschnitzt waren wie Ramon Vigil. Sie ließen nicht die Köpfe hängen, sondern dachten sofort praktisch. „Ich schlage vor, wir erforschen erst einmal die Insel“, sagte Vigil. „Wir sollten feststellen, ob hier eine Süßwasserquelle vorhanden ist.“ „Vielleicht ist die Insel sogar bewohnt“, meinte ein anderer Mann. „Das wollen wir nicht hoffen“, sagte Don Juan. „Es könnte unnötige Komplikationen für uns geben.“ „Kokospalmen scheint es jedenfalls genug zu geben“, sagte Vigil. Er wies zu den Bäumen, die ihre langen Stämme und gefiedert wirkenden Wipfel hoch in den Himmel streckten. Hier, an der teilweise recht steinigen Südküste, konnte das Nahrungsproblem zumindest auf recht einfache Weise gelöst werden. Drei Männer liefen zu den Palmen' und kletterten an den Stämmen hoch. Sie schnitten die Kokosnüsse mit ihren Messern ab und warfen sie zu Boden. Ihre Kameraden sammelten die Nüsse vom Boden auf und öffneten sie mit kräftigen Messerhieben. Don Juan war nach wie vor gehandikapt. Sein linker Fußknöchel war wieder geschwollen - eine Folge der Belastung in den letzten Tagen und Nächten. Er mußte sich setzen. Die Schmerzen nahmen immer mehr zu. Ramon Vigil blieb bei ihm. Er fertigte Umschläge an, die mit Seewasser benetzt waren, und verband Don Juans Knöchel. Je
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zwei Mann zogen unterdessen zur Erkundung der Insel los, jede Gruppe nahm sich eine andere Himmelsrichtung vor. „Bei Einbruch der Dunkelheit sind sie wieder zurück“, sagte Vigil. „So groß kann die Insel nicht sein.“ „Da würde ich nicht so sicher sein“, sagte Don Juan mit skeptischer Miene. „Aber ich hoffe wirklich, daß es keine Schwierigkeiten gibt.“ Wieder dachte er daran, daß er an dem Tag, an dem er von der spanischen Krone den Auftrag übernommen hatte, in der Neuen Welt den Seewolf zu jagen und zu stellen, nicht geahnt hatte, auf was er sich einließ. 4. Schon im Verlauf des 14. Juni gab es mit der Galeone „Golondrina“ Schwierigkeiten. Beide Schiffe segelten noch nicht sehr lange auf südlichem Kurs und schon ging das Notruder aus dem Leim. Ferris Tucker kroch fluchend im Dunkel des Schiffsleibes herum und hantierte an dem Längsbalken, der durch das Hennegat ins Freie führte. Da knackte und stöhnte es, und jeden Augenblick schien alles zerbersten zu wollen. „Al, du Himmelhund!“ rief Ferris aufgebracht. „Der Teufel soll dich holen!“ Dan O'Flynn war dem rothaarigen Riesen gefolgt. Er bewegte sich ebenfalls auf allen vieren. Im Achterdeck der „Golondrina“ jedenfalls in diesem Bereich tief unten im Rumpf -war es eng und niedrig. Wer nicht unter Platzangst litt, konnte sie hier leicht kriegen. Dan verharrte und fragte verblüfft: „Was hat Al damit zu tun?“ „Na, er hat dem Scheißruder doch den Drehbassenschuß verpaßt!“ sagte Ferris wütend. „Aber das war doch richtig! Er hat nach Befehl gehandelt!“ „Al mit seiner Treffsicherheit hat uns ganz hübsch was eingebrockt“, fauchte Ferris. „Das meine ich. Er hätte ja zur Ausnahme
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auch mal ein bißchen weniger gut treffen können.“ „Mann, Mann“, sagte Dan. „Merkst du eigentlich, was für einen Quatsch du redest?“ „Ich merke nur, daß ich wie ein Gaul arbeiten muß, um das wieder hinzukriegen.“ „Und dann können wir unter Vollzeug segeln, wie?“ „Nein!“ brüllte der Riese. „Auf gar keinen Fall! Ich schlage vor, wir bohren den Kahn an und setzen ihn auf Grund!“ „Das geht auch nicht. Die ‚Isabella' allein kann die vielen Passagiere nicht aufnehmen“, sagte Dan so ruhig wie möglich. „Dann sollen die Dons, diese Höllenmolche, von mir aus auch absaufen!“ „Mach weiter“, sagte Dan. Er drehte sich um und kehrte zum Niedergang zurück. „Mit dir ist kein vernünftiges Wort zu reden. Wir unterhalten uns lieber nachher noch mal, wenn du dich wieder beruhigt hast.“ Ferris ließ sich einige Zeit darauf, als auch er wieder das Oberdeck betrat, besänftigen. Aber die Situation blieb unverändert. Die „Golondrina“ war ein „elender Kahn“ und „Schlorren“ und „Waschzuber“, mit dem es kein Vorwärtskommen gab. Dan O'Flynn war gezwungen, eine neue Notlösung zu finden. „Es bleibt uns nichts anderes übrig“, sagte er. „Wir müssen Besan und Fock wegnehmen. Wir können höchstens noch mit der Blinde segeln, wenn wir nicht einen neuen Ruderbruch riskieren wollen.“ „Wahnsinn“, sagte Carberry. „Dann sind wir ja zu Weihnachten noch nicht aus dieser Scheiß-Bahama-Ecke heraus.“ „Nun übertreib du nicht auch noch“, sagte Dan. „Der Wind fällt handig bis frisch aus Nordnordost ein. Richtig?“ „Richtig“, entgegnete der Profos schnaubend. „Na und? Davon wird der Kohl aber auch nicht fett.“ „Tut er aber doch“, sagte Dan unbeirrt. „Bei diesem Wind bringt die Blinde noch
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genügend Vortrieb -auch, wenn sich jetzt die Fahrt noch mehr verlangsamt.“ „Ich hab's ja gesagt!“ stieß Carberry aufgebracht hervor. „Wir krauchen hier wie die Schnecken rum! Das ist schlimmer, als sich beim Inder-Nase-Bohren den Finger abzubrechen.“ Ferris kratzte sich am Hinterkopf. „Ich weiß nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Aber eins ist auch mir klar: Wir sind so lahmarschig wie nie zuvor. Daß ausgerechnet uns so was passieren muß!“ „Ihr übertreibt schon wieder“, sagte Dan. „So tragisch geht es nicht mal an Bord der ,Empress` zu. Was seid ihr bloß für Kerle?“ Ferris und der Profos und auch die anderen Männer der „Isabella“, die die Crew für die „Golondrina“ stellten, wußten selbst nicht genau, was für Kerle sie eigentlich waren. Aber das störte sie nicht im geringsten. Sie begaben sich auf ihre Posten zurück und fluchten über den „Scheißtörn“ und den „lahmen Nachttopf“. So langsam - das stimmte wirklich -waren sie noch nie zuvor gesegelt. Aber das war nicht das einzige Problem. Etwas anderes, weitaus Schlimmeres braute sich an Bord der „Golondrina“, die im Kielwasser der „Isabella IX.“ segelte, zusammen -zunächst unterschwellig, dann immer offenkundiger. Im Laderaum begann es zu gären. Die Spanier wurden aufmüpfig. Sie hatten begriffen, daß die englischen „Piraten“ keine Halsabschneider waren. Der Schock der Kaperung klang jetzt ab - und Don Ignatio Churruca heizte die allgemeine Mißstimmung und Aufsässigkeit nach Kräften an. * Seltsamerweise war es ausgerechnet Rolando de Simon, der Erste Offizier der „Golondrina“, der sozusagen den Stein des Anstoßes gab. Irgendwie fühlte er sich dazu verpflichtet, Don Ignatio und den Zweiten darauf hinzuweisen, wie er über den „schwarzhaarigen Bastard“, wie diese ihren Bezwinger nannten, dachte.
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„Das ist kein gewöhnlicher Pirat“, sagte er, nachdem sie sich in eine Ecke des Laderaumes gekauert hatten. „Das ist ein Korsar, er muß einen Kaperbrief seiner Königin haben.“ „Natürlich ist er ein Korsar“, brummte Don Ignatio. „Aber wo liegt da der Unterschied?“ „Er hat edlere Motive.“ „Das denken Sie“, sagte Carlos Antibes verächtlich. „Aber auch nur Sie.“ „Er wird uns nicht töten.“ „Gut für uns“, sagte Don Ignatio. „Aber der Edelmann wird sich noch wundern. Und Ihnen, Rolando, gebe ich einen guten Rat. Versuchen Sie nicht, Partei für den Hurensohn von einem Engländer zu ergreifen.“ „Tue ich das vielleicht?“ „Ich habe so den Eindruck“, zischte Don Ignatio. „Und irgendwie sind Sie schon immer ein Quertreiber gewesen. Merken Sie sich das eine: Ich kann Nestbeschmutzer nicht leiden. Sie sind für mich schlimmer als die Pest.“ „Ja“, pflichtete Antibes ihm sofort bei. „Nehmen Sie sich in acht! Wir wollen hier raus, und dazu ist uns jedes Mittel recht. Wir haben nichts mehr zu verlieren. Wer uns Steine in den Weg legt, dem könnte es passieren, daß er plötzlich mit einem Messer in der Kehle außenbords fliegt.“ De Simon war entsetzt. Eine alte Rivalität trat zum Vorschein. Don Ignatio und Antibes hatten ihn nie recht leiden können. Er, de Simon, begriff in diesem Moment, daß er einen Fehler begangen hatte. Er war einen Schritt zu weit gegangen. Er mußte sich hüten, den Argwohn der beiden zu erwecken. Von jetzt an ging eine Wandlung in ihm vor. Er mußte mit den Wölfen heulen, das begriff er. „Na ja“, sagte er leise, „so habe ich das nicht gemeint. Wenn es darum geht, die Flucht zu ergreifen, bin ich dabei.“ „Das hört sich schon besser an“, zischte Don Ignatio. „Mir ist jeder Weg recht, diese stinkende Pest- und Fieberhölle zu verlassen. Je eher das geschieht, desto besser.“
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De Simon fühlte sich animiert, ihn darin zu bekräftigen. „Können wir nicht diesen Profos überwältigen, ihn als Geisel benutzen und das Kommando wieder an uns reißen?“ fragte er. „Eine gute Idee“, sagte Don Ignatio. Plötzlich grinste er. „Wenn wir ein wenig Radau schlagen, erscheint der Hund. Wir organisieren ein Ablenkungsmanöver und schnappen ihn -und dann gnade ihm Gott.“ Bald waren sie fasziniert von dem Plan und versuchten, die Mannschaft entsprechend zu beeinflussen. Don Ignatio nahm sich als ersten Bootsmann Felipe Torres vor, von dem er wußte, daß er einen großen Einfluß auf die Besatzung hatte. Er ließ ihn durch Antibes zu sich rufen und begann, leise auf ihn einzureden. „Was tut der Engländer mit uns?“ zischte er. „Läßt er uns laufen? Das glaubst du doch im Ernst nicht, oder?“ „Sie denken, daß er uns töten will, Capitan?“ fragte Torres. Es war das erste Mal, daß Don Ignatio Churruca ihn direkt ansprach. Nie zuvor hatte er das getan, stets hatte er seine Befehle durch de Simon und Antibes an das „gemeine Decksvolk“ weitergeben lassen, zu dem ja auch er, Torres, gehörte. Aber die Lage hatte sich geändert. Don Ignatio mußte für das Komplott, das er plante, die Komplizenschaft seiner Leute erwerben. „Ich bin sicher“, entgegnete der Capitan. „Diese elenden Bastarde laufen ihren Schlupfwinkel an, dort werden sie die ,Golondrina' instand setzen. Aber mit uns werden sie unterwegs nicht lange fackeln. Sie erlauben sich einen grausamen Spaß mit uns, quälen uns zu Tode. Dann werfen sie uns den Haien zum Fraß vor.“ „Sie haben Erbarmen mit den Indianern, diesen stinkenden roten Hunden“, fügte Antibes hinzu. „Nicht aber mit uns.“ „Dann müssen wir versuchen, etwas zu unternehmen“, sagte Torres. „Aber eigentlich hatte ich geglaubt, der Engländer würde uns verschonen.“ „Er tut nur so“, sagte Don Ignatio, und es gelang ihm ohne Schwierigkeiten, seiner Stimme einen unheilverkündenden
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Beiklang zu verleihen. „Aber bald zeigt er sein wahres Gesicht.“ „Wir haben keine Waffen“, sagte Torres. „Wie sollen wir uns aus eigener Kraft befreien?“ „Durch eine List“, antwortete Don Ignatio. „Es wird schon klappen. Wir müssen es nur raffiniert genug anstellen. Vor allem müssen wir dafür sorgen, daß einer der Kerle zu uns kommt und nach dem Rechten sieht.“ Natürlich wußte er, daß de Simon recht hatte: Die Engländer waren keine Mörder, sie behandelten ihre Gefangenen im Prinzip freundlich -abgesehen von der Behandlung, die der Schiffsführung zuteil geworden war. Daß sie sie nicht töten würden, wie de Simon richtig erkannt hatte, war die Grundvoraussetzung für Don Ignatios Vorgehen. Er konnte etwas riskieren, ohne dabei die Haut zu Markte zu tragen. Das mußte er ausnutzen. Anderenfalls hätte er nicht gewagt, etwas zu unternehmen, denn im Grunde seines Herzens war er ein Feigling. Niemals hätte er sein Leben für de Simon, Antibes und die Mannschaft aufs Spiel gesetzt. Dazu war es ihm zu wertvoll. Jetzt aber ging er entschlossen vor und wiegelte systematisch die Mannschaft auf. Ihr Murren und Fluchen sollte Carberry herunterlocken - und dann, so beschloß Don Ignatio, würde man es diesem Teufel schon zeigen. Antibes gelang es, eine Planke aus der Wegerung zu lösen. Er wollte selbst damit hinter dem Schott lauern und zuschlagen, wenn Carberry erschien, aber der Capitan entschied anders. „Sie erledigen das“, sagte er zu seinem Ersten. „Ich will, daß Sie sich bewähren und mir Ihre Treue beweisen.“ „Auf mich können Sie sich verlassen“, murmelte de Simon, obwohl er erhebliche Bedenken hatte. Widerspruchslos nahm er die Planke entgegen. Antibes grinste spöttisch. De Simon verzog keine Miene. Ich werde euch schon zeigen, zu was ich fähig bin, dachte er und postierte sich neben dem Schott, und zwar so, daß es seine Gestalt
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verdecken würde, wenn es von außen geöffnet wurde. Zum erstenmal wurde es de Simon voll bewußt, daß Antibes jede Chance wahrnehmen würde, ihn auszubooten und an seiner Stelle den Platz des Ersten Offiziers einzunehmen. Er war imstande, ihn nachts niederzustechen und in die See zu befördern. Don Ignatio würde es lediglich mit einem Achselzucken quittieren. Gegen diese Entwicklung mußte sich de Simon nach Kräften wehren -durch die Flucht nach vorn. Wenn er noch brutaler und skrupelloser vorging als die beiden, würde er sich den erforderlichen Respekt verschaffen. Dann hüteten sie sich, gegen ihn vorzugehen. Sie mußten begreifen, daß sie auf ihn angewiesen waren, wie er umgekehrt von ihnen abhängig war. Nur so konnten sie wieder aus der Klemme gelangen, in die sie geraten waren. Die Stimmen der Männer in dem dunklen, übelriechenden Laderaum wurden lauter. Don Ignatio hatte sie bearbeitet, und auch Antibes war nicht untätig. Torres, der Bootsmann, wurde ebenfalls aufmüpfig. „Warum lassen wir uns das gefallen?“ sagte er vernehmlich. „Wir werden hier wie die Tiere behandelt!“ „Wir wollen raus!“ rief ein anderer Seemann. „Wir haben Hunger und Durst!“ stieß ein dritter hervor. Die anderen scharten sich in der Mitte des Laderaums zusammen, blickten zum Schott und zur Luke, schüttelten die Fäuste und redeten laut und aufgeregt durcheinander. „Wir haben die Schnauze voll!“ „Laß uns raus!“ „Ihr habt kein Recht, uns hier festzuhalten!“ „Setzt uns an Land!“ Don Ignatio grinste und rieb sich die Hände. Genau dies war die Stimmung, die er erreichen wollte. Das Fluchen und Rufen konnte nicht ungehört bleiben, die Engländer waren schließlich nicht taub. Und sie saßen auch nicht auf ihren Ohren. Sie waren hellwach. Es konnte sich nur
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noch um Augenblicke handeln, dann erschienen sie. Rolando de Simon umklammerte die Planke mit beiden Händen, bereit, den ersten Mann niederzuknüppeln, der das Schott öffnete. * Matt Davies versah zu dieser Stunde den Dienst des Wachtpostens vor dem Schott des Laderaums. Natürlich hatte er Carberry längst verständigt - und der Profos stand in etwas gebückter Haltung vor dem Schott, hielt die rechte Hand hinters Ohr und lauschte mit gespannter Miene. „Das ist ja interessant“, sagte er grimmig. „Was die für Töne spucken. Da braut sich natürlich was zusammen.“ „Wäre es nicht an der Zeit, Don Ignatio wieder ein bißchen die Planken schrubben zu lassen?“ fragte Matt. „Der steckt nämlich hinter allem, da bin ich sicher. Was vorhin getuschelt worden ist, habe ich zwar nicht richtig verstehen können, aber ich weiß, daß er der große Anheizer ist.“ „Ich rede nur mal kurz mit Dan darüber“, sagte der Profos. „Dann bin ich gleich wieder hier.“ Er verschwand mit erstaunlich leisen Schritten, denn er legte Wert darauf, jetzt nicht gehört zu werden. Die Absprache mit Dan O'Flynn auf dem Achterdeck der „Golondrina“ war nur von kurzer Dauer. Dan war mit dem, was Carberry plante, einverstanden. „Offenbar muß man den Kerlen Manieren beibringen“, sagte er. „Übernimm du das, Ed, und geh nicht zu zimperlich mit ihnen um. Wenn die meinen, sich jetzt aufplustern zu können, dann wird's Zeit, ihnen solche Flausen auszutreiben.“ „Ja“, sagte Carberry und stieß einen wütenden Laut aus, der einem Grunzen ähnlich klang. „Und ich denke dabei auch an die Mixteken, die armen Teufel. Hast du die Kinder gesehen? Die meisten von ihnen sind so klapprig wie alte Männer. Es hätte nicht mehr lange gedauert, und sie wären elend verhungert.“ „Erinnere mich nicht daran“, sagte Dan. „Halte dir aber auch das eine vor Augen:
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Es ist nicht unsere Aufgabe, Rache an den Spaniern zu üben. Hasard wäre damit nicht einverstanden.“ Carberry hob in einer beschwichtigenden Geste die Hand. „Das weiß ich. Ich will Don Ignatio ja auch nur eine Abreibung verpassen. Die hat er verdient. Und die beiden anderen -na, wir werden sehen.“ Somit kehrte er auf das Hauptdeck zurück und ging ans Werk. Er öffnete persönlich die Luke des Laderaums, kniete sich hin, legte die Hände auf den Süll und beugte sich etwas vor. Er verzog das Gesicht. Es roch immer noch abscheulich, aber das mußte er ertragen. „Don Ignatio Churruca“, sagte er mit gespielter Freundlichkeit. „Capitan - die Schiffsführung gibt sich die Ehre, Sie zum Luftschnappen und Spazierengehen an Deck einzuladen, wie es einem Mann Ihres Ranges zusteht.“ Er gab Jack Finnegan und Paddy Rogers, die ihm am nächsten standen, einen Wink und ließ eine Enterleiter holen. Jack grinste, als sie die Leiter in den Laderaum abfierten. Er konnte sich schon vorstellen, was jetzt folgte. Paddys Miene hingegen war noch ein wenig verständnislos. Er brauchte immer etwas mehr Zeit, um die Zusammenhänge zu begreifen. Unten, im Laderaum, richtete sich Rolando de Simon etwas verwirrt auf und versteckte die Planke hinter seinem Rücken. Don Ignatio gab ihm durch eine Gebärde zu verstehen, er solle ruhig dort bleiben. Zu Antibes gewandt, murmelte er: „Also gut, er steigt nicht runter. Aber das spielt keine Rolle. Ich versuche, ihn in die Luke zu stoßen, wenn ich oben bin.“ „Das dürfte äußerst schwierig sein“, gab der Zweite zu bedenken. „Nicht für mich“, zischte Don Ignatio. Er fühlte sich ungewöhnlich stark. Er glaubte, sein Unternehmen schon jetzt als gelungen betrachten zu können. Denn: Der Seewolf selbst war ein kluger Mann, aber seine Kumpane schienen alles andere als das zu sein. Er, Don Ignatio, hatte sie in der Bewertung ihrer Intelligenz überschätzt.
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Wie sonst hätte der Profos darauf verfallen können, ausgerechnet ihn zum „Luftschnappen und Spazierengehen“ an Deck zu lassen? So eine Idee konnte nur einem beschränkten Geist entspringen, daran gab es keinen Zweifel. Und ein Narr war leichter zu überlisten als ein gescheiter Mann. Der Seewolf befand sich an Bord der „Isabella“ - gut so, dachte Don Ignatio. Er stieg über die Sprossen der Leiter hoch und kletterte durch die Luke. Sein Atem beschleunigte sich etwas, er schnaufte ein bißchen. Carberry grinste ihm zu, griff nach seinem Arm und hievte ihn an Deck. Dann holte er die Enterleiter eigenhändig wieder auf, schloß die Lukengräting und krempelte die Hemdsärmel auf. Don Ignatio drehte sich mit verblüffter Miene zu ihm um. „Was - was hat das zu bedeuten?“ fragte er in jäher Erkenntnis der Lage. „Wir fangen mit dem Luftschnappen an“, erwiderte Carberry und nahm von Jack Finnegan ein Tauende entgegen. Auch Paddy Rogers begriff jetzt, was gespielt wurde, und auf seinen Zügen breitete sich ein schadenfrohes Grinsen aus, während Don Ignatios Gesicht lang und länger wurde. „Wir Engländer haben so unsere Sitten“, sagte Carberry und klopfte schon mal mit dem Tampen in die offene Handfläche. „Aber wir sind auch ein geselliges Völkchen. Ich meine - an unsere Bräuche wirst du dich irgendwie schon gewöhnen, Don Ignatio. Und es ist gut, daß du dich mit ihnen vertraut machst.“ Sein Spanisch war wieder einmal gräßlich, aber trotzdem verstand Don Ignatio jedes Wort. „Was“, sagte er mit gurgelnder Stimme. „Wie ...“ „Was?“ wiederholte Carberry mit erschreckend sanfter Stimme. „Nun, bei uns nennt man diese Form des Luftschnappens den Tampentanz. Wie? Ich bringe ihn dir bei, Amigo, keine Angst. Ich bin ein guter Lehrmeister, das hast du ja schon beim Deckschrubben und Aufklaren gemerkt, nicht?“ „Ja. Aber wa-rum ...“
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„Auch das ist eine berechtigte Frage“, unterbrach ihn Carberry erneut und rückte mit dem wippenden Tampen auf ihn zu. Alle konnten verfolgen, wie Don Ignatio vor ihm zurückwich: die Kameraden auf dem Achterdeck, dem Hauptdeck und der Back, die Mixteken und sogar die Spanier im Laderaum durch die Lukengräting. Auch von Bord der „Isabella“ wurde das Geschehen natürlich beobachtet, und alle waren gespannt, wie es weiterging. „Die Antwort lautet: Du bist eine lausige, stinkige Ratte, Don Ignatio“, fuhr Carberry in verändertem Tonfall fort. „Die eine Lektion hat dir nicht gereicht. Du scheinst auch Schwierigkeiten mit dem Kapieren zu haben. Aber da helfe ich dir auf die Sprünge.“ Er ließ den Tampen knallen und Don Ignatio vollführte einen Satz nach Backbord. Jetzt ging es richtig los: Der Tampen knallte, daß es eine Freude war, und Don Ignatio ergriff vor Carberry die Flucht. Er verlor dabei die Perücke. Die Mixteken klatschten begeistert Beifall. Carberry war schneller als der Capitan und holte ihn immer wieder ein. „Nein!“ schrie Don Ignatio. „Aufhören!“ „Ich fange doch gerade erst an, du Affenarsch!“ brüllte Carberry. „Das war das Luftschnappen, jetzt kommt das Spazierengehen!“ Der Tampentanz führte von Backbord nach Steuerbord und zurück und über sämtliche Decks von vorn nach achtern und umgekehrt. Don Ignatio geriet dabei auch an Dan O'Flynn und Ferris Tucker und wollte um Gnade flehen, aber die beiden räusperten sich nur und zogen sich diskret in den Hintergrund zurück. Don Ignatio hatte keine Chance. Er bezog die Dresche seines Lebens. 5. Don Ignatio war mit sich und der Welt fertig. Er lag auf dem Bauch -mitten auf dem Hauptdeck - und rieb sich jammernd den Allerwertesten. Aber keiner empfand Mitleid mit ihm, nicht einmal de Simon,
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Antibes, Torres oder einer der anderen spanischen Seeleute. „Smoky“, sagte Carberry. „Faß doch mal mit an. Wir wollen den feisten Pfau abräumen, er verunziert nur das schöne Deck.“ Smoky, der wie Matt, Jack, Paddy und die anderen zu den Männern der „Isabella“Crew gehörte, die von Dan als Prisenmannschaft für die „Golondrina“ ausgewählt worden waren, verließ die Back und gesellte sich zu Carberry. Zu zweit hoben sie den dicken Mann auf und trugen ihn nach vorn - auf die Back. Wenig später zurrten sie ihn unter dem Bugspriet vor der Galion fest. „Damit du dir den Affenarsch wieder abkühlen kannst“, sagte Carberry grimmig. „Und jammere jetzt nicht, daß du grundlos kujoniert worden seist, Don Großmaul. Wir sind keine Leuteschinder, aber du hast den Bogen überspannt. Du hast Menschenleben auf dem Gewissen. Du hast Frauen und Kinder gequält. Und du wolltest einen Aufstand im Laderaum anzetteln. Das genügt. Oder vielleicht nicht?“ „Doch, doch, doch“, sagte Don Ignatio. Aber dann schwieg er, denn er drohte Wasser zu schlucken. Das kam folgendermaßen zustande: Beim Stampfen der Galeone - die See lief schräg von Backbord achtern - wurde der Capitan kräftig ins Wasser getunkt, wenn die Dünung das Achterschiff hob und das Vorschiff senkte. Somit mußte Don Ignatio auch sein Klagen und Wimmern einstellen, um in den Intervallen für das Luftholen zu sorgen. „Gut“, sagte Carberry. „Der ist versorgt.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und kehrte auf das Hauptdeck zurück. Smoky folgte ihm. Er war neben ihm, als sie von der Back über den Steuerbordniedergang auf die Kuhl stiegen, und sagte: „Wie du das eben gesagt hast, Ed - eine richtig beeindruckende Rede war das. So ernst habe ich dich selten erlebt.“ „So? Ich brülle doch genug herum.“ „Das ist was anderes.“
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„Kann schon sein“, sagte der Profos. „Aber dieser Don Ignatio stinkt mir wirklich.“ „Im wahrsten Sinn des Wortes“, sagte Smoky. „Diesen Laderaum-Geruch hat er nämlich an sich haften. Es ist gut, daß er ein bißchen badet.“ Carberry öffnete noch einmal die Luke zum großen Laderaum und ließ erneut die Enterleiter hinunter. „Der nächste Senor“, sagte er laut und deutlich, „der Erste Offizier -bitte zu mir! Auch Sie dürfen Luftschnappen und auf dem Deck lustwandeln.“ „Danke“, erwiderte de Simon. „Daran ist mir nicht gelegen. Ich bleibe lieber hier unten.“ „Senor“, sagte Carberry um eine Nuance schärfer. „Es tut aber auch Ihnen gut, ein wenig auszustinken. So ein bißchen frische Luft wirkt oft Wunder.“ „Sie können mich nicht dazu zwingen!“ rief de Simon. Carberry enterte ab. „Hol's der Henker, ich hätte dich für vernünftiger gehalten“, knurrte er. Dann trat er mitten zwischen die Spanier. Sie scharten sich um ihn zusammen. Flüche wurden laut. Jemand griff nach Carberrys Arm. Aber der ließ sich nicht beeindrucken. Er trat einem Kerl auf die Füße und dem nächsten gegen das Schienbein, rückte auf Rolando de Simon zu und packte ihn. De Simon hielt immer noch die Planke hinter seinem Rücken versteckt. Jetzt riß er sie hoch und wollte damit auf Carberry einschlagen. Doch der Profos war wieder auf der Hut. Er blockte den ersten Hieb mit dem rechten Arm ab, packte zu und entwand dem verblüfften Mann die Planke. Polternd landete sie in einer Ecke des Laderaums. „So hatte ich mir das nicht vorgestellt!“ brüllte Carberry. „Versuch nie wieder so einen Trick, du Rübenschwein, oder es geht dir wirklich dreckig!“ Damit drehte er de Simon den Kragen dicht und kehrte zur Enterleiter zurück. Er stieg nach oben und schleppte den Mann mit sich - ein lässiger Kraftakt, den die Spanier mit Schaudern verfolgten. Sie
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begriffen jetzt, daß es wohl doch keinen Zweck hatte, eine Meuterei vom Zaun zu brechen. Carberry setzte de Simon auf dem Hauptdeck ab, dann trieb er auch ihn mit einigen kräftigen Tampenhieben kreuz und quer über das Schiff. De Simon blieb plötzlich stehen und fuhr herum. Er versuchte, sich mit den Fäusten zur Wehr zu setzen, doch Carberry zerbrach seinen Widerstand ohne große Schwierigkeiten. Torres und die spanischen Decksleute blickten sich untereinander an. Sie zogen die Köpfe ein, als sie die Schläge und das Gebrüll an Deck vernahmen. Im Stillen sagten sie sich aber auch, daß sie so etwas noch nicht erlebt hatten. „Wie schön das doch ist“, sagte einer von ihnen plötzlich leise. „Daß der verdammten Achterdecks-Blase mal die Jacke vollgehauen wird?“ fragte ein anderer gedämpft. „Ja, aber gönnen würde ich es lieber Antibes, diesem krummen Hund.“ „Still“, zischte Torres. „Seid ihr verrückt? Wenn er das hört, haben wir verspielt.“ Aber Antibes hatte nichts gehört. Er war viel zu sehr mit der Beobachtung der Dinge beschäftigt, die sich an Deck abspielten. De Simon stürzte auf die Planken und wälzte sich. Er geriet bis hart an den Rand der Luke, und sein verzerrtes Gesicht war zu erkennen. O Hölle, dachte Antibes, das blüht jetzt auch mir. Was Carberry zelebrierte, hatte es wahrhaftig auf einem Schiff wie der „Golondrina“ noch nicht gegeben -im Gegenteil. Sonst waren immer die „Hands vorm Mast“, das gemeine, gewöhnliche Schiffsvolk, die Prügelknaben. Und ganz besonders hatte sich stets Antibes hervorgetan, wenn es darum gegangen war, einen Mann wegen eines Vergehens zur Rechenschaft zu ziehen. Er war mit der Neunschwänzigen und drastischen Bestrafungen immer schnell zur Hand gewesen. Da war es kein Wunder, daß jetzt so mancher schadenfrohe Blick den Zweiten traf. Man rückte von ihm ab - unmerklich, aber konstant.
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Carberry war unterdessen mit Rolando de Simon fertig. De Simon kehrte in den Laderaum zurück. Er war ramponiert und derangiert, aber er ließ sich wenig von dem anmerken, was in ihm vorging. Wieder einmal trug er sein Los mit Würde. Doch sein Haß gegen die Engländer steigerte sich ins Unendliche, und er hatte jetzt nur noch den einen Gedanken: sich an ihnen zu rächen. Carberry stieg erstaunlich gewandt an der Enterleiter in den Laderaum hinunter und trat sofort auf den Zweiten zu. „Du bist dran, Amigo“, sagte er mit dunkler Stimme - und dann packte er ihn auch schon und zerrte ihn mit sich fort. Antibes schwebte an der mächtigen Faust baumelnd nach oben. Er konnte nichts dagegen unternehmen. Als er aber mit Schwung auf den Planken der Kuhl landete, rappelte er sich unverzüglich wieder auf und schrie: „Halt! Ich verlange den Kapitän zu sprechen!“ „Wen? Don Ignatio?“ fragte Carberry mit zuckersüßer Stimme. „Nein! Euren Kapitän!“ „Der ist im Moment nicht zu sprechen“, erklärte Carberry seelenruhig. „Er ist nämlich nicht an Bord.“ „Ich will mich beschweren!“ schrie Antibes. „Ich habe es nicht nötig, mich von einem Dreckskerl wie dir verprügeln zu lassen!“ Der Profos drehte sich halb um und blickte zu Smoky. „Hat er wirklich Dreckskerl gesagt?“ „Ja. Ich bin sicher, denn ich habe mir heute morgen die Ohren gewaschen“, antwortete Smoky und grinste. Die Sache wurde immer spannender. Wie würde Carberry reagieren? Wie lange konnte der Spanier, der ein aufbrausendes Temperament zu haben schien, seine überschäumende Wut noch im Zaum halten? Auch die anderen verfolgten das Geschehen wie gebannt. Jack Finnegan hatte mit Paddy Rogers sogar eine Wette abgeschlossen: daß Carberry es nicht schaffen würde, den Zweiten Offizier zu bändigen. Es ging um einen Silberling. Paddy hingegen war der Meinung, daß ein
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Carberry jeden Mann, auch den zähesten und stärksten, zu brechen imstande war. „Wenn ich einen Degen hätte, würde ich dir schon zeigen, wie ein spanischer Ehrenmann zu fechten versteht!“ brüllte Antibes. Carberry stemmte die Fäuste in die Seiten und rückte auf ihn zu. Antibes wich nur allmählich vor ihm zurück, blieb dann aber wieder stehen. Sie waren nur noch einen Schritt voneinander entfernt, und es sah aus, als würden sie jeden Moment wie zwei zornige Kampfstiere aufeinanderprallen. Im letzten Moment aber verharrte auch der Profos. „Ich will dir erklären, was ich von spanischen Ehrenwerten halte, die ihre Gefangenen im eigenen Kot verrecken lassen“, sagte er. „Sahuripe, der Medizinmann, hat uns nämlich berichtet, was geschehen ist -daß es ursprünglich neunzig arme Teufel waren, die von euch in dem Laderaum zusammengepfercht wurden und daß zwanzig von ihnen an Entkräftung gestorben sind. Sie wurden wie Abfall außenbords gekippt. Wer so was tut, ist in meinen Augen ein mieser Schweinehund, der keine Gnade verdient.“ Trotzdem winkte er Smoky zu und ließ sich dessen Degen geben. Er warf ihn Antibes zu und rief: „Zeig's mir mal, Senor Schweinehund! Ich bin gespannt, wie du mit dem Piekser umgehen kannst!“ Antibes fing den Degen geschickt auf. Er ließ die Klinge probeweise durch die Luft pfeifen und ging in Angriffsstellung. Carberry trug einen schweren Cutlass im Wehrgehänge, aber er dachte nicht daran, diesen zu benutzen. Er ließ sich einen zweiten Degen geben, wieder von Smoky, und parierte damit den ersten Ausfall des Spaniers. Dann ging er selbst zur Attacke über. De Simon, Torres und die anderen Spanier im großen Laderaum vernahmen nur das Klirren der Klingen, das Scharren der Füße und einen heftigen Fluch, der von Antibes ausgestoßen wurde. Sehen konnten sie nichts. Aber sie wußten auch so, wie das kurze Duell endete. Alles ließ sich aus den
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Lauten schließen, die von Carberrys grimmiger Genugtuung und Antibes' schmählicher Niederlage kündeten. Nur wenige Lidschläge hatte der Zweikampf gedauert, und schon klirrte Antibes' Waffe wie durch Zauberei auf die Planken der Kuhl. „Heb ihn auf und zeig's mir noch mal“, sagte Carberry mit einem knurrenden Laut der Verachtung. Antibes bückte sich nach dem Degen. Er rechnete mit einem Trick, einem blitzschnellen Ausfall des Gegners, doch er täuschte sich. Carberry stand seelenruhig da und wartete ab, bis sich der andere wieder aufgerichtet hatte. Antibes sprang vor und stach auf den Profos ein, doch der war auf der Hut. Er blockte ab, parierte und focht mit überraschender Schnelligkeit und großem Geschick. Wieder wurde Antibes seiner Waffe beraubt. Sie wirbelte durch die Luft und fiel auf die Planken. Carberry ließ mit verächtlicher Miene seinen Degen sinken. „Du hast es mir gezeigt“, sagte er. „Das genügt.“ Er griff zum Tauende, und ein neuer „Tampentanz“ nahm seinen Verlauf. Antibes versuchte, zu entkommen, doch es gelang ihm nicht. Carberry war hinter ihm und ließ ihn nicht entwischen. Der Tampen tanzte auf Antibes' Rücken, es wurde eine noch härtere Bestrafung als bei Don Ignatio und Rolando de Simon. Am Ende war Antibes drauf und dran, außenbords zu springen. Doch er bezwang sich. Seine Angst vor den Haien war größer als die Schmerzen, die Carberry ihm bereitete. Endlich landete auch Antibes wieder in dem Laderaum. Carberry legte den Tampen weg und ließ die Enterleiter heraufziehen, dann lauschte er den Geräuschen, die von unten heraufdrangen. „Hört ihr das?“ fragte er die Kameraden, die sich ihm näherten. „Ja“, erwiderte Smoky. „Das klingt wie beifälliges Gemurmel. Antibes muß ein ganz besonderer Schinder gewesen sein. Seine eigenen Leute gönnen ihm die Abreibung.“
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„Recht so“, brummte der Profos. „Übrigens können wir auch bald wieder diesen aufgeblasenen Saftsack Don Ignatio vom Bugspriet losbinden. Ich schätze, nach dieser Abreibung dürfte er die Nase für eine Weile voll haben.“ „Nun ja“, sagte Smoky. „Aber die Frage ist natürlich, wie lange die Wirkung anhält.“ „Vielleicht lange genug“, sagte Dan, der zu ihnen trat. „Die Kerle wissen jetzt, daß mit uns nicht zu spaßen ist. Sie müssen damit rechnen, daß wir als nächstes ein Exempel statuieren und einen von ihnen an der Großrah aufhängen, wenn sie wieder Krach schlagen. Davor haben sie Angst.“ *
Hasard wurde unterdessen klar, daß er vor noch einem Problem stand. Die „Golondrina“ war noch weniger als bedingt manövrierfähig, und er verspürte nicht die geringste Lust, mit so einem Schiff bis nach Hispaniola zu segeln. Außerdem war nach wie vor nicht geklärt, was mit den Spaniern geschehen sollte. Er rief Ben Brighton zu sich, ließ mit der „Isabella“ etwas zurückfallen und verständigte sich, sobald die Schiffe auf gleicher Höhe segelten, auch mit Dan von Bord zu Bord. „Es hat keinen Zweck!“ rief Hasard. „So erreichen wir Hispaniola nie!“ „Ganz meine Meinung“, sagte Ben. „Und wo sollen wir mit den Dons hin?“ „Wir müssen sie an Land setzen!“ rief Dan. „Das ist meiner Meinung nach die beste Lösung! Es hat keinen Zweck, daß wir sie mit uns herumschleppen! Ihr habt ja gesehen, zu was das führt!“ „Allerdings“, erwiderte der Seewolf. „Und es hat mir schon gereicht. Wir laufen also die nächste Insel an und setzen die Senores schlicht und einfach an Land.“ „Und die ‚Golondrina'?“ fragte Ben. „Die versenken wir“, entgegnete Hasard. „Die Mixteken, die bei Dan und seiner Crew sind, nehmen wir mit an Bord der ‚Isabella'. Punktum und basta. Damit hat sich der Fall.“
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„Großartig!“ rief Dan, der jedes Wort verstanden hatte. „Das ist ganz nach unserem Geschmack, Sir!“ „Im Übrigen hat Pater David inzwischen mit Sahuripe und den Mixteken gesprochen!“ rief Hasard. „Sie haben einhellig und sogar begeistert den Vorschlag aufgenommen, im Bergland von Hispaniola eine neue Heimat zu gründen!“ „Sehr gut!“ schrie Ferris Tucker vom Achterdeck der „Golondrina“. „Ich glaube auch, daß diese Lösung für alle die beste ist!“ Pater David war es nahezu auf Anhieb gelungen, das Vertrauen der gedemütigten, verzweifelten und mißtrauischen Mixteken zu gewinnen -mit diplomatischem Geschick, mit Güte und seiner starken Persönlichkeit. Hasard war dies keineswegs entgangen. Es bestätigte seine Einschätzung, daß dieser Mönch ein hervorragender Mann war - ein Gewinn für den Bund der Korsaren. Dabei war Pater David gleichzeitig auch bescheiden, unaufdringlich und von schier unermüdlicher Hilfsbereitschaft. Bei den Arwenacks genoß er uneingeschränkten Respekt. Er war ungeheuer belesen und hatte alles im Kopf, was sein großes Vorbild, Las Casas, jemals über die Neue Welt zu Papier gebracht hatte. Er war ein Vorbild für die Zwillinge, die ihm in vielem schon nacheiferten, und alles in allem waren Hasard und seine Männer sehr, sehr stolz auf „ihren“ Gottesmann. „Welche Insel bietet sich an, um die Dons abzusetzen?“ wollte Dan jetzt wissen. Hasard hatte sich bereits mit den Karten befaßt. „Great Abaco“, erwiderte er. „Bei unserer trödeligen Fahrt erreichen wir sie morgen nachmittag.“ Er hatte sich nicht verrechnet. Am Spätnachmittag des 15. Juni langten die „Isabella IX.“ und die „Golondrina“ vor Great Abaco an. Ohne es zu wissen, hatten die Männer der „Isabella“ somit die „Empress of Sea II.“ von Old O'Flynn um etwa zwei Stunden verpaßt, sonst wären sie noch mit ihr zusammengetroffen.
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Das Gefecht war längst beendet, schon am Vortag war auch aus der Ferne kein Kanonendonner mehr erklungen. Stille umfing die beiden Schiffe, die die Südspitze der Insel umrundeten und die große Bucht an der Westseite ansteuerten, die den Seewölfen bekannt war und von ihnen auch Marsh Harbour genannt wurde. Dort hatte man seinerzeit die „Le Vengeur III.“ repariert, nachdem sie von der „Tortuga“ gerammt worden war. Nur ungern dachten die Männer an diese Begebenheit zurück. Sie gehörte mit zu den unangenehmsten Abenteuern, an die sie sich erinnerten. Es wurde Abend, bis beide Schiffe in der Bucht in Strandnähe vor Anker lagen. Hasard und seine Männer beschlossen, erst am nächsten Tag die Mixteken von der „Golondrina“ auf die „Isabella“ zu übernehmen und die Spanier an Land zu setzen. Dies war eine reine Vorsichtsmaßnahme wegen Don Ignatio und dessen Mannschaft, die in der Dunkelheit womöglich alles mögliche anstellten, um sich zu befreien und ihren Gegnern doch noch ein Schnippchen zu schlagen. Aus diesem Grund warteten die Seewölfe ab, aber sie ahnten nicht, was sie sich damit einhandelten. 6. Das Auftauchen der beiden großen Segler vor Great Abaco war nicht unbemerkt geblieben. Am Spätnachmittag waren zwei Männer aus Don Juan de Alcazars kleiner Crew auf sie aufmerksam geworden. Sie waren noch damit beschäftigt, die Insel abzuforschen und streiften die Ostküste ab. Da sichteten sie die Galeonen, die sich aus nördlicher Richtung näherten, und gingen sofort in Deckung. „Sieh mal, wie die schleichen“, sagte der eine. „Das geht ja kaum mit rechten Dingen zu. Was hat das zu bedeuten?“ „Ein Kahn scheint nur bedingt manövrierfähig zu sein“, meinte der andere nach kurzer Beobachtung. „Vielleicht hat er einen Schaden am Ruder. Aber der andere - Hölle, den kennen wir doch!“
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„Ja!“ stieß nun auch der erste hervor. „Das ist die ‚Isabella'. Die Galeone von Killigrew! Und die andere stammt aus dem Geleitzug!“ „Sicher“, sagte sein Kamerad. „Wir müssen das sofort melden.“ Sie kehrten zu dem Ausgangspunkt an der südlichen Küste zurück und stießen unterwegs auf vier Kameraden, die sie durch Zuruf von ihrer Entdeckung verständigten. Alle sechs Männer liefen zur Südspitze, um Don Juan und Ramon Vigil zu informieren. Don Juan zeigte sich genauso verblüfft wie seine Männer. „Meine Güte“, sagte er und richtete sich von seinem provisorischen Lager auf. „Ich hatte wirklich gemeint, die ‚Isabella' sei längst über alle Berge. Das kann doch nicht möglich sein.“ „Wir sind aber ganz sicher“, sagte einer der beiden Späher, die die Schiffe gesichtet hatten. „Wir täuschen uns nicht. Wir kennen dieses Schiff zur Genüge.“ Ja, sie kannten die große Galeone mit den auffallend hohen Masten und den flachen Aufbauten. Ihr Bild hatte sich in ihren Geist eingeprägt, sie würden ihren Anblick nie wieder vergessen. Wie ein Schemen war die „Isabella“ im dunstigen Licht des späten Nachmittags vor Great Abaco erschienen, und tatsächlich schien eine Aura des Unheimlichen, Unerklärlichen von ihr auszugehen. Tief verwurzelt war der Aberglaube in allen Seeleuten. Don Juans Männer bildeten da keine Ausnahme. Ihre Furcht vor dem großen Schiff war unterschwellig, dumpfe Ahnungen von bevorstehendem Unheil beschlichen sie. „Habt ihr verfolgen können, in welche Richtung die beiden Schiffe gesegelt sind?“ fragte Don Juan. „Ja“, erwiderte einer der beiden Männer. „Sie nehmen Kurs auf die Südspitze hierher!“ Don Juan hatte sich ganz aufgerappelt. Der Knöchel setzte ihm trotz der Seewasserumschläge immer noch erheblich zu. Mit etwas verzerrtem Gesicht wies er zum Inneren der Insel. „Wir
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müssen uns verstecken, damit sie uns nicht entdecken. Das Licht ist zwar schlecht und läßt immer mehr nach, aber wir müssen mit allem rechnen.“ „Auch damit, daß Killigrew und seine Kumpane Augen wie Luchse haben“, fügte Ramon Vigil hinzu. „Wir müssen vorsichtig sein. Wenn sie auch nur einen von uns sehen, ist es aus. Wir können uns gegen sie nicht verteidigen.“ Ob die Seewölfe aber wirklich wehrlose Gegner niederschießen oder abstechen würden, bezweifelte er. Trotz allem empfand auch er eine Art Bewunderung für die Engländer, über deren Ursache er sich selbst im unklaren war. In diesem Punkt erging es ihm wie Don Juan, der immer wieder an Philip Hasard Killigrews ritterliches und ehrenhaftes Verhalten denken mußte. Mannigfache Erinnerungen verstrickten sich in Don Juan mit dem Bild der „Isabella IX.“. Havanna, die Suche, die Jagd, die Niederlage der „Pax et Justitia“ im Gefecht gegen die „Isabella“ und schließlich das Duell auf Lobos Cay. Nun die Schlacht der Killigrew-Flotte gegen den Geleitzug. Zum erstenmal hatte Don Juan den Bund der Korsaren in voller Formation angreifen sehen. Unfaßbar war es, was sie vollbracht hatten. Erst hatten sie die fünf Kriegsgaleonen im Kampf besiegt, dann waren sie über die dreißig Handelsgaleonen hergefallen. Ein heißes, mit Mut und Verwegenheit geführtes Gefecht, bei dem Don Juan und seine Begleiter in der Zweimastschaluppe Zuschauer gewesen waren. Die Ereignisse gingen Don Juan noch einmal durch den Kopf, während er über die Felsen humpelte und den Hügeln zustrebte, die etwa hundert Yards vom Strand und den Steinen entfernt aufragten. Vigil und die anderen folgten ihm dichtauf. Die wenigen Habseligkeiten nahmen sie mit, es blieb nichts am Ufer zurück, das von ihrer Anwesenheit kündete. Don Juan und seine Männer stiegen in den Felsen auf. Wieder hatte Don Juan Schwierigkeiten mit dem Knöchel. Vigil wollte ihn stützen, doch er lehnte es ab.
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„Danke, ich schaffe das schon allein“, sagte er ziemlich unwirsch. Wenig später entdeckte er eine flache Grotte, von der aus man einen ausgezeichneten Ausblick auf die See hatte. Das Büchsenlicht verblaßte, die Dunkelheit kroch über das Wasser und über die Insel, aber einiges ließ sich doch noch erkennen, so beispielsweise das lecke Boot, das unten auf dem Strand lag. Somit konnte Don Juan sicher sein, daß er auch die Schiffe noch erspähte, sobald sie sich näherten. Die Männer ließen sich neben und hinter ihm nieder und blickten ebenfalls auf das Meer. Sie schwiegen, bis Don Juan wieder das Wort ergriff. „Was habt ihr sonst noch auskundschaften können?“ fragte er. „Gibt es Anzeichen menschlichen Lebens auf der Insel?“ „Nein“, entgegnete einer der Männer. „Dafür aber haben wir genug jagdbares Wild gesehen.“ „Und es gibt eine Wasserquelle“, sagte ein anderer Mann. „Wir werden also weder verhungern noch verdursten, wenn wir dazu verdammt sind, längere Zeit hier zu verweilen.“ „Das ist gut“, sagte Don Juan. „Gerade die Nahrungsfrage ist von größter Wichtigkeit für uns. Wir werden auch versuchen, Fische zu angeln.“ Vigil streckte plötzlich die Hand aus und richtete den Zeigefinger auf den Abschnitt der See im Osten. „Da“, sagte er. „Da sind sie.“ Don Juan blickte in die Richtung und kniff die Augenlider zusammen. Ja, jetzt konnte auch er in dem rasch nachlassenden Licht der Abenddämmerung die beiden Galeonen erkennen, die sich langsam der Südspitze näherten. Auch die letzten Zweifel wurden beseitigt: Es handelte sich wirklich um die „Isabella IX.“ und ein Schiff des Geleitzuges. Don Juan hatte sich also geirrt, als er angenommen hatte, daß sich die „Isabella“ nicht nur aus dem Gefecht, sondern auch ganz vom Schauplatz des Geschehens zurückgezogen hätte. In der Morgendämmerung des 14. Juni - nachdem
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er, Don Juan, die Nacht über die Schiffe der Korsaren verfolgt hatte - war sie plötzlich nicht mehr bei ihrem Verband gewesen. Er hatte deshalb angenommen, sie hätte sich in der Nacht aus irgendwelchen Gründen abgesetzt. Wie reimte sich das zusammen? Vielleicht hingen die Gründe mit der spanischen Galeone zusammen, die nur unter der Blinde segelte - schneckenlangsam. „Was ist mit der spanischen Galeone los?“ fragte er verhalten - als könne seine Stimme an Bord der Schiffe gehört werden. „Habt ihr etwas erkennen können?“ „Sie scheint einen Ruderschaden zu haben“, erwiderte einer der Späher. „Aber ganz sicher sind wir nicht.“ „Egal“, sagte Don Juan - und dann fiel ihm wieder das Boot ein. Er hatte vergessen, es verstecken zu lassen. Auch Vigil und den anderen war es nicht eingefallen, sich um das Boot zu kümmern, das umgedreht auf dem Strand lag. „Hölle“, murmelte nun aber auch Vigil. „Wir hätten die Jolle wegschleppen oder wenigstens tarnen sollen.“ „Dazu ist es jetzt zu spät“, sagte Don Juan. „Wenn die Engländer sie entdecken, werden sie sofort mißtrauisch. Dann müssen wir damit rechnen, daß sie beidrehen und landen.“ „Aber das Licht wird immer schlechter“, gab Vigil zu bedenken. „Und das Boot liegt auch halb hinter den Steinen versteckt.“ „Können wir uns nicht einfach als Schiffbrüchige zu erkennen geben, Senor?“ fragte plötzlich einer der Männer. „Dieser Killigrew muß uns helfen. Es ist seine Pflicht.“ „Den Teufel wird er tun“, sagte Don Juan. „Er nimmt uns nicht an Bord. Ich bin sein Feind. Wir haben noch ein Hühnchen miteinander zu rupfen. Er weiß, daß ich jede Gelegenheit dazu nutze, das Duell mit ihm wieder aufzunehmen.“ Er drehte sich zu seinen Männern um. „Aber ich kann für euch darum bitten, daß er euch hilft.“ „Wie?“ fragte Vigil verblüfft. „Wir sollen uns abbergen lassen, und Sie bleiben auf
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der Insel zurück, Senor? Niemals - da spiele ich nicht mit.“ „Ich auch nicht“, meinte ein anderer Mann, und die anderen stimmten durch gemurmelte Äußerungen zu. Sie lehnten diese Art der Lösung kategorisch ab. Lieber blieben sie noch Wochen auf Great Abaco und ernährten sich von Fisch, Kokosnüssen und Quellwasser. „Entweder alle oder keiner“, sagte Ramon Vigil. Dabei blieb es. Sie kauerten in ihrer Deckung und beobachteten das Nahen der Schiffe. Don Juan de Alcazar empfand bei aller Schmach über die erlittene Niederlage wieder Stolz. Seine Männer hielten zu ihm, er konnte sich voll auf sie verlassen. Sie waren die besten Kameraden, die er sich vorstellen konnte, und das war in einer Situation wie dieser das allerwichtigste. * Die „Isabella“ und die „Golondrina“ rundeten die Südspitze von Great Abaco soviel vermochten Don Juan und seine Männer in der zunehmenden Dunkelheit gerade noch zu erkennen. „Hol's der Teufel“, murmelte Don Juan. „Sie haben das Boot wirklich nicht gesehen. Umso besser. Aber was haben sie vor?“ „Vielleicht wollen sie am Westufer ankern“, entgegnete einer der Männer. „Dort gibt es eine große Bucht.“ „Und die spanische Galeone scheint tatsächlich ein Notruder zu haben“, sagte Vigil. „Daher also die Schleichfahrt. Jetzt wird mir einiges klar. Sie müssen in eine Bucht verholen und entweder das Ruder reparieren, damit das Schiff wieder voll manövrier- und seetüchtig wird, oder ...“ .. oder sie müssen das Schiff versenken“, vollendete Don Juan den Satz. „Auch das wäre noch eine Möglichkeit. Los, wir müssen uns Gewißheit verschaffen. Solange sie langsam segeln, können wir zu Fuß durchaus mithalten.“ Er verließ die Grotte und pirschte in westlicher Richtung durch die Felsen. Der Knöchel peinigte ihn wieder, aber er biß
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die Zähne zusammen und vergaß den Schmerz. Viel wichtiger war die Aufgabe: Er mußte die Schiffe verfolgen und feststellen, ob sie wirklich vor der Insel vor Anker gingen. Im schwachen Mondlicht entdeckte er eine Art Pfad und folgte dessen Verlauf. Vigil und die anderen waren wieder hinter ihm. Der Trampelpfad führte fast bis auf das Ufer hinunter, aber immer konnten die Männer die Schiffe erkennen, die wie stumme Schattenwesen durch das Wasser glitten. Bald verbargen Don Juan und seine Begleiter sich nicht mehr hinter Felsen, sondern hinter Gestrüpp. Die Uferregion wurde jetzt, je höher sie an der westlichen Seite nach Norden gelangten, immer flacher, aber der Dschungel schob sich fast bis unmittelbar an das Wasser. Palmen und Bäume mit dicken Stämmen und schweren, ledrig wirkenden Blättern ragten auf, und Lianen und Mangroven begannen die Männer zu behindern. ' Vigil stolperte über eine Luftwurzel und fiel. Er wälzte sich auf dem Boden und fluchte leise. Einer der Männer half ihm wieder auf die Beine. „So ein Mist“, schimpfte der Bootsmann. „Fast wäre ich auf mein Messer gestürzt. Das hätte mir noch gefehlt.“ „Wir müssen aufpassen“, sagte Don Juan leise. „Es darf nicht das geringste Mißgeschick geben. Lieber gehen wir etwas langsamer.“ Nach wie vor hatten sie die „Isabella“ und die „Golondrina“ in ihrem Blickfeld. Die Verfolgung war kein Problem, solange die Schiffe die Schleichfahrt beibehielten. Sie mußten es tun - die „Golondrina“ konnte nicht schneller laufen, sie schien sich ohnehin nur mit Ach und Krach vorwärts zu bewegen. Ohne große Hast drangen die Männer durch das Uferdickicht, stets darauf bedacht, keine Geräusche zu verursachen und nicht zu straucheln. Don Juans Fußknöchel schmerzte wie verrückt, aber es gelang ihm immer noch, sich die Qual zu verbeißen. Das Ziel, das er vor Augen hatte, trieb ihn voran. Noch hatte der
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Seewolf ihn nicht bemerkt, und vielleicht blieb es auch dabei. Er, Don Juan, konnte, wenn er es geschickt genug anfing, den Gegner überlisten. Er hatte wieder eine Chance. Es konnte ein Trumpf daraus werden, es hing nur von ihm ab. „Da“, sagte Vigil. „Jetzt drehen sie bei. Sie scheinen die Bucht erreicht zu haben.“ Tatsächlich öffnete sich auch vor Don Juan und seinen Männern die große Bucht im Westen der Insel. Sie verharrten im Gebüsch und verfolgten in allen Phasen, wie die Galeonen einliefen, die Segel aufgeiten und vor Anker gingen. Laternen wurden gesetzt, Gestalten waren an Bord beider Schiffe zu erkennen. „Hochinteressant“, murmelte Vigil. „Da ist ja plötzlich einiges los. Es sind viele Leute auf den Decks, Senor.“ Don Juan kniff wieder die Augen zusammen. „Weiße - aber auch Eingeborene, wie mir scheint. Irre ich mich?“ „Sie irren sich nicht“, erwiderte Vigil. „Es sind Indianer.“ „Wie kommen die denn dort an Bord?“ „Ich weiß es nicht.“ Vigil hatte sehr scharfe Augen, er spähte zur „Isabella“ und zur „Golondrina“ und erkannte weitere Einzelheiten. „Die sehen aus, als hätten sie lange gehungert.“ „Wie nützlich jetzt ein Spektiv wäre“, sagte Don Juan. „Aber wir haben leider keins. Wir müssen auf jede Art von Hilfsmitteln verzichten. Finden wir uns damit ab.“ „Wie verhalten wir uns?“ wollte Vigil wissen. „Wir bleiben vorerst hier“, flüsterte Don Juan. „Ich will sehen, was weiter geschieht.“ „Vor morgen früh unternehmen sie nichts“, meinte Vigil. „Was sollen sie auch tun? Jede Reparatur kann nur im Licht des Tages durchgeführt werden.“ „Sie könnten die spanische Besatzung der Galeone an Land setzen“, sagte Don Juan. „Killigrew will sie sicherlich loswerden.“ „Und was ist, wenn er sie getötet hat?“ „Das glaube ich nicht.“
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„Eine andere Möglichkeit wäre, daß er sie nach der Kaperung in das Beiboot verfrachtet und fortgejagt hat“, sagte Vigil. „Wenn mich nicht alles täuscht, hat die spanische Galeone aber noch ihre Jolle“, sagte Don Juan. „Und der Größe des Schiffes nach zu urteilen handelt es sich um den Typ, der zwei Beiboote mit sich führt.“ „Da haben Sie recht“, sagte Vigil. „Also befindet sich die Besatzung Ihrer Meinung nach an Bord?“ „Auch ich kann mich nur auf Vermutungen verlassen“, entgegnete Don Juan. „Warten wir also ab.“ Sie kauerten auch weiterhin im Gebüsch und verfolgten, wie an Bord beider Galeonen Wachen aufzogen. Wortfetzen drangen herüber, doch Don Juan und seine Männer konnten nichts von dem verstehen, was gesprochen wurde. Sie selbst verhielten sich still. Es wurde noch dunkler. Wolken schoben sich vor den Mond. Aber an Bord der Schiffe brannten die Laternen, die eine Beobachtung auch weiterhin zuließen. Darauf kam es Don Juan de Alcazar an. Er massierte seinen schmerzenden Knöchel mit beiden Händen und wünschte sich inständig, diesmal den erhofften Erfolg zu haben - dem Seewolf einen empfindlichen Schlag zu versetzen. Aber würde sich dieser Wunsch erfüllen? 7.
Die Nacht war lang, und die Schmerzen hörten nicht auf. Don Juan ruhte auf dem feuchten Untergrund so bequem wie irgend möglich, doch es gelang ihm nicht, auch nur ein Auge zu schließen und frische Energien zu schöpfen. Er war verbiestert und verfluchte seinen Fuß sowie die Tatsache, daß das Beiboot, mit dem sie auf der Insel gelandet waren, leck war. Sonst hätte er nämlich noch in dieser Nacht mit seinen Männern die „Isabella“ zu entern versucht. Immer wieder malte er sich in seinen Gedanken aus, wie er sich lautlos dem Schiff näherte, wie die Jolle unter dem Heck verhielt - und wie er, Don
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Juan, am Ruderblatt hochkletterte und die Heckgalerie enterte. Dann der Überfall: Philip Hasard Killigrew hatte sich in seiner Kapitänskammer ans Pult gesetzt und war über das Logbuch oder über irgendwelche Seekarten gebeugt. Er bemerkte nicht, wie sich die Tür hinter seinem Rücken lautlos öffnete. Er sah nicht den Feind, der sich ihm näherte, mit dem Messer in der Faust und einem siegesgewissen Lächeln auf den Zügen. Don Juan war mit einem letzten Schritt bei ihm, schlang ihm den einen Arm um den Hals und drückte ihm die Messerspitze gegen die Kehle. „Nur eine falsche Bewegung, Killigrew“, sagte er. „Dann bist du ein toter Mann.“ Killigrew hatte gute Nerven. Er zuckte nicht einmal zusammen. Er sagte nur: „Ein toter Mann nutzt der spanischen Krone nichts mehr, Don Juan de Alcazar.“ „Tot oder lebendig - es ist egal, wie ich dich dem Hof überbringe“, sagte Don Juan. „Das glaube ich nicht.“ „Es hat keinerlei Bedeutung, ob du mir glaubst oder nicht, Killigrew.“ „Du greifst einen Gegner gern von hinten an, was, Don Juan?“ „Nein. Es ist die Notwendigkeit, die mich dazu zwingt.“ „Warum tragen wir es nicht aus -hier, auf der Stelle?“ „Ich bin einverstanden“, entgegnete Don Juan. Er ließ seinen Feind los und sprang zurück. Killigrew erhob sich, trat an den Waffenschrank und entnahm ihm zwei Degen. Den einen warf er Don Juan zu. Don Juan fing ihn auf - und schon begann das Duell. Es war nur von kurzer Dauer. Philip Hasard Killigrew brach getroffen zusammen. Er war schwer verletzt. Die Kampflaute waren gehört worden, es wurde lebendig an Bord der „Isabella“, doch die eintreffenden Engländer vermochten nichts mehr zu unternehmen. Don Juan hielt seinen Degen auf den Seewolf gerichtet und zwang die komplette Besatzung zur Aufgabe. Sie mußten die Flagge streichen -und schon am nächsten Tag wurden sie an Bord
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ihres Schiffes nach Spanien überführt. Die Überfahrt verlief reibungslos. Als Don Juan de Alcazar in Cadiz eintraf, stand er auf dem Achterdeck der „Isabella“, und hinter seinem Rücken flatterte die Flagge der spanischen Galeonen mit dem gekrönten schwarzen Adler und dem Band des Ordens vom Goldenen Vlies. Menschen liefen am Kai zusammen, Jubel brach los. Don Juan war der gefeierte Held des Tages. Er schlug die Augen wieder auf. Jetzt war er doch eingenickt, aber der Traum war nur von kurzer Dauer. Die Schmerzen riefen ihn in die Wirklichkeit zurück, und die sah gar nicht so rosig und hoffnungsvoll aus, wie er sich eingebildet hatte. Er konnte Philip Hasard Killigrew nicht überwältigen, jedenfalls nicht auf diesem Weg. Ein Hinüberschwimmen zur „Isabella“ schied wegen der auch nachts durch die Haie drohenden Gefahr aus. Außerdem wollte Don Juan wegen seiner Männer, die er keinem zu großen und sinnlosen Risiko aussetzen wollte, nichts aufs Spiel setzen. Nach einer kurzen Absprache mit den Männern entschied sich Don Juan, die Wachschichten im zweistündigen Turnus einzuteilen. Als erste waren er selbst und einer der beiden an der Reihe, die die „Isabella“ und die „Golondrina“ am Ostufer der Insel gesichtet hatten. Später übernahmen Ramon Vigil und ein anderer Mann die nächste Schicht. Don Juan fiel wieder in einen leichten Schlaf. Die Schmerzen ebbten etwas ab. Den Rest der Nacht verbrachte er etwas besser als er sie begonnen hatte, und auch der Alpdruck stellte sich nicht mehr ein. Die ganze Zeit über tat sich an Bord der beiden ankernden Schiffe. nichts. Es war, wie Vigil schon richtig vermutet hatte: Vor Anbruch des neuen Tages unternahmen die Besatzungen nichts. Vielmehr schienen auch sie die Gelegenheit zu nutzen und ein Schläfchen zu halten. Es lohnte sich immer, ein wenig an der Koje zu horchen. Man wußte nie, was ein neuer Tag brachte. *
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Früh am nächsten Morgen beugte sich Ramon Vigil über Don Juan und raunte ihm zu: „Senor - es tut sich was. Wachen Sie bitte auf.“ Don Juan öffnete die Augen und hob den Kopf. Ihm war, als erwache er aus einer tiefen Bewußtlosigkeit. Seine Lider waren schwer, die Augen gerötet, sie brannten. Die Zunge lag ihm wie ein pelziger Klumpen im Mund, und sein Kopf dröhnte. Auch der Knöchel tat nach wie vor weh. Alles in allem jedoch war es ein Zustand, der sich ertragen ließ. Don Juan war an Schlimmeres gewöhnt. Er rieb sich die Augen, richtete sich halb auf und kroch ein Stück nach vorn, zu den beiden Männern, die gerade Wache hielten und angestrengt durch eine Lücke im Dickicht spähten. Don Juan und der Bootsmann gesellten sich zu ihnen, und zu viert hielten sie Ausschau. Es war ein sonniger Morgen. Nur wenige weiße Wolkenfetzen trieben am noch grauen Himmel, der sich nun aber zusehends bläulich färbte. Eine leichte Brise wehte aus nördlicher Richtung und bewegte die Rümpfe der Schiffe. Gestochen scharf hoben sich die Konturen der Galeonen vom Wasser der Bucht und dem buschbewachsenen Ufer der Westbucht ab. In aller Deutlichkeit vermochten Don Juan und seine Männer zu verfolgen, wie an Bord der „Isabella IX.“ zwei Jollen ausgeschwenkt wurden, eine achtriemige und eine sechsriemige. Sie wurden an der Steuerbordseite abgefiert und zu Wasser gelassen. Gestalten enterten an der bereits ausgebrachten Jakobsleiter ab, nahmen auf den Duchten Platz und griffen zu den Riemen. „Die Boote legen ab“, sagte Don Juan. „Jetzt bin ich mal gespannt, was die Kerle unternehmen.“ „Vielleicht erkunden sie die Insel“, sagte Vigil. „Möglich auch, daß sie Trinkwasser brauchen“, sagte Don Juan. „Wie auch immer, wir warten ab. Wichtig ist, daß sie uns nicht entdecken.“
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Schweigend beobachteten sie, was weiter geschah. Die Bootsbesatzungen pullten zu der spanischen Galeone hinüber. Auch dort war eine Jakobsleiter abgefiert worden. Jetzt trat etwas ein, mit dem Don Juan de Alcazar wahrhaftig nicht gerechnet hatte. An Bord der „Golondrina“ scharten sich Gestalten zusammen. Sie beugten sich über das Schanzkleid, und aus ihrem Verhalten ließ sich leicht schließen, daß sie das Eintreffen der Boote offensichtlich mit großer Spannung, ja, fast schon sehnsüchtig, zu erwarten schienen. Die Boote gingen bei der „Golondrina“ längsseits. Dann enterten die hageren, halbnackten Gestalten ab und nahmen Platz. Die Jollen legten wieder ab und kehrten zur „Isabella“ zurück. „Wieder die Indianer“, murmelte Don Juan. „Was hat das jetzt zu bedeuten?“ „Ich weiß es mir nicht zu erklären“, sagte Vigil. „Aber irgendetwas Bestimmtes haben die Engländer vor, daran gibt es keinen Zweifel.“ „Jetzt entern sie an Bord der ‚Isabella' auf“, sagte Don Juan. „Aber das geht nur sehr mühsam. Man muß ihnen helfen. Sie scheinen wirklich ziemlich geschwächt zu sein. Auf was ist das zurückzuführen?“ „Vielleicht auf eine Krankheit“, erwiderte Vigil. „Pest“, flüsterte einer der beiden anderen Männer. „Oder Gelbfieber.“ „Nicht gleich den Teufel ans Schott malen“, sagte Don Juan mit grimmiger Miene. „Die Indianer sehen mir nicht krank aus. Ich halte Ihre Version von gestern abend für richtig, Vigil: Sie haben lange nichts zu beißen gehabt. Sie sind ausgehungert und bis auf die Knochen abgemagert.“ „Wie viele sind es?“ fragte der Bootsmann und richtete seinen Blick, der für wenige Lidschläge Don Juan gegolten hatte, wieder auf die Bucht. „Dreißig“, erwiderte Don Juan. „Vielleicht auch noch mehr. Sie sind arme Teufel, wie mir scheint. Sie brauchen Hilfe. Essen und Trinken. Möglicherweise sogar ärztliche Hilfe.“
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„Die Engländer kümmern sich um sie“, sagte Vigil. „Da stehen zwei Männer auf der Kuhl, der eine hat ein miesepeteriges Gesicht. Warum, ist mir nicht ganz klar. Jedenfalls teilen die beiden Suppe aus einem Kübel aus - heiße Suppe.“ „Sehr viel mehr begreife ich aber ehrlich gesagt nicht“, gestand Don Juan. „Was das alles soll und welche Gründe für den Zustand der Indianer vorliegen, weiß ich immer noch nicht.“ „Jetzt hol mich doch der Teufel!“ stieß Vigil plötzlich hervor. „Die haben ja einen richtigen Geistlichen an Bord! Einen Mönch!“ Don Juans Augen verengten sich, er hielt scharf Ausschau. Tatsächlich: Ein Riese von Mensch war auf dem Hauptdeck der „Isabella“ erschienen. Er trug eine Kutte. Es gab nicht den geringsten Zweifel: Er war ein katholischer Geistlicher. „Ein Pater auf einem Piratenschiff“, sagte Don Juan. „Das kann doch nicht wahr sein.“ „Ist es aber“, sagte Vigil. „Und er erteilt den Indianern seinen Segen und hilft mit, sie zu füttern und aufzupäppeln. Ehrlich, Senor, so etwas habe auch ich noch nicht erlebt.“ Es sollte aber noch besser kommen: Die Beiboote der „Isabella“ pullten wieder zur „Golondrina“, und noch einmal wurden Männer übernommen - diesmal aber keine Indianer. „Spanier“, sagte Vigil gepreßt. „Unsere Landsleute. Die Besatzung befindet sich also noch an Bord.“ Rufe tönten von der „Golondrina“ herüber, Flüche wurden laut. Es ging jetzt nicht mehr sanft, sondern höchst ruppig zu. Besonders ein wuchtiger Mann mit einem mächtigen Rammkinn fiel Don Juan auf -er stand plötzlich am Schanzkleid der Galeone und hieb mit einem Tampen auf den Handlauf. Unter dieser Drohung zuckten die Spanier zusammen. Sie beeilten sich, an der Jakobsleiter in die Boote abzuentern. „Zehn Mann und ein Offizier“, murmelte Don Juan. „Seiner Kleidung nach zu
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urteilen, ist er der Zweite. Gott, wie diese Engländer mit ihnen umspringen.“ „Vielleicht haben sie es verdient“, sagte Ramon Vigil. „Wie bitte?“ „Ich habe nur laut gedacht, Senor. Der erbärmliche Zustand der Indianer könnte mit der Wut der Engländer auf unsere Landsleute in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Verstehen Sie, was ich meine?“ „Nein.“ „Vielleicht waren die Indianer Sklaven an Bord der spanischen Galeone.“ „Und jetzt sind sie frei“, sagte Don Juan. „Killigrew wird noch sehen, was er sich damit eingebrockt hat. Ohne Grund haben unsere Leute diese Wilden bestimmt nicht verschleppt. Ich meine - sie müssen etwas verbrochen haben, anders kann ich mir das nicht vorstellen.“ Ich aber, dachte Vigil, doch er hütete sich, weitere Äußerungen von sich zu geben. Er hatte ohnehin schon zuviel gesagt. Er wußte nicht, wie Don Juan das auffaßte und wertete. Eins war jedoch gewiß: Dieser Don Juan war ein gerechter und geradlinig denkender Mann, doch von den Machenschaften der Spanier in der Neuen Welt schien er keine große Ahnung zu haben. Die bittere Kenntnis von dem, was hier wirklich getrieben wurde, wartete erst noch auf ihn. In Havanna mochte er einen Vorgeschmack davon erhalten haben, doch das hatte offenbar nicht genügt. Don Juan hatte den Kopf etwas gesenkt. „Ich bin jetzt ganz sicher“, sagte er, während die beiden Jollen mit ihren Insassen bereits auf den Strand der Bucht zupullten. „Der Mann muß der Zweite Offizier der Galeone sein. Ich erkenne ihn jetzt genau wieder. Das Schiff heißt übrigens „Golondrina`, wenn ich mich recht entsinne. Ich habe diesen Mann bei der Besprechung der Kapitäne und Offiziere des Geleitzuges in Havanna kennengelernt, die vor dem Auslaufen der Schiffe stattfand.“ „Darf ich Sie dann fragen, welchen Eindruck Sie von dem Mann gewonnen haben?“ fragte Vigil.
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„Sie dürfen. Er ist meiner Ansicht nach ein übler Kerl.“ „Und die anderen Offiziere der ,Golondrina`?“ „Ich kann mich nicht an sie erinnern.“ „Eins ist sicher“, sagte Vigil. „Die Engländer wollen die Besatzung der ,Golondrina` hier an Land setzen.“ „Das ist unsere Chance“, sagte Don Juan. „Handeln wir, Senores, ehe es zu spät ist. Wir schleichen uns an und versuchen, die Crew der einen Jolle zu überwältigen. Dann haben wir Geiseln, die wir als Pfand gegen die Schiffsführung der ‚Isabella' ausspielen können.“ Er drehte sich um und schlich durch das Dickicht davon, ohne jede weitere Äußerung abzuwarten. Es hatte aber auch niemand etwas einzuwenden oder hinzuzufügen. Der Sachverhalt war klar, die Gelegenheit günstig. Es galt, das beste daraus zu machen. Die Männer robbten durch das dichte, verfilzte Mangrovenund Schlingpflanzengestrüpp auf einen Platz zu, der in unmittelbarer Nähe der Landestelle der Seewölfe lag. Hier reichte die Ufervegetation fast bis ans Wasser und bot ihnen hervorragende Deckungsmöglichkeiten. Auf den Bäuchen schoben sie sich voran und konnten durch winzige Lücken zwischen Zweigen und Blättern die Boote erkennen, die sich dem Ufer näherten. Die eine Jolle landete bereits. Aber Don Juans Plan war es, nach Möglichkeit den Bootssteurer und ein paar Rudergasten der zweiten Jolle zu überwältigen, die zuletzt auf den Strand lief, während die andere bereits wieder zur „Golondrina“ gepullt wurde, um die nächste Gruppe Spanier abzuholen und überzusetzen. Don Juan richtete sich im Dickicht auf. Er hatte eine Pistole in der Hand. Vigil und die anderen waren mit Messern, Pistolen und Knüppeln bewaffnet. Ihre Sinne waren auf das äußerste angespannt. Sie wußten, was von dem Gelingen ihres Einsatzes abhing. Hier war die einmalige Chance, Geiseln zu nehmen und den Seewolf durch
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massiven Druck zur Kapitulation zu zwingen. Völlig überraschend hatte sich die Konstellation ergeben, ein Zusammentreffen von Zufällen. Hätte Old O'Flynn nicht die Zweimast-Schaluppe versenkt, wären Don Juan und seine Crew niemals auf Great Abaco gelandet. Hätte der Seewolf nicht die „Golondrina“ aufgebracht und „lahmgeschossen“, wäre er nicht gezwungen gewesen, die Insel anzulaufen, wie Don Juan sich mit Leichtigkeit ausrechnen konnte. Das Schicksal hatte also wieder einmal gewollt, daß die beiden Gegner aufeinandertrafen. Don Juan preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Sein Blick war auf die Jolle gerichtet, die in diesem Moment von der Brandung hochgehoben wurde und auf den Strand zulief. Ihr Rumpf senkte sich und schob sich scharrend auf den Sand. Es handelte sich um die kleinere, sechsriemige Jolle. Sechzehn Mann befanden sich an Bord, der Bootssteurer war ein graubärtiger Riese. Diesen, so nahm Don Juan sich in diesem Augenblick vor, würde er sich als ersten greifen. Philip Hasard Killigrew würde es nicht wagen, das Leben seiner Männer leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Lieber strich er die Flagge. Und dann erfüllte sich doch der Traum von Don Juan de Alcazar ganz plötzlich und unverhofft. 8. Vier Bootsgasten und ein Bootssteurer befanden sich an Bord der Jolle Stenmark, Jack Finnegan, Paddy Rogers, Bob Grey und Big Old Shane -, außerdem der Zweite Offizier der „Golondrina“, Carlos Antibes, sowie zehn spanische Seeleute. Shane warf noch einen Blick zu der achtriemigen Jolle zurück, ehe sein Boot auf dem Strand landete. Carberry, der dort den Posten des Bootssteurers übernommen hatte, hatte die „Golondrina“ inzwischen schon fast wieder erreicht. Er holte die nächste „Fuhre“ ab.
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Die erste „Ladung“ indes befand sich an Land - zwölf Seeleute, die mit teils verkniffenen, teils ratlosen Mienen dastanden und verfolgten, wie sich ihre Kameraden zu ihnen gesellten. Big Old Shane sprang an Land und winkte seinen Passagieren zu. „Aussteigen!“ befahl er. „Die Reise ist hier zu Ende!“ „Das könnt ihr mit uns nicht tun!“ schrie Antibes. „Wir verrecken hier!“ „Nur, wenn ihr euch gegenseitig totschlagt“, sagte Shane mit grollender Stimme. „Ansonsten findet ihr genug zu beißen und auch zu trinken. Wir lassen euch sogar etwas Notproviant hier.“ „Was meiner Ansicht schon wieder zuviel des Guten ist“, sagte Stenmark. „Soviel Rücksichtnahme wäre nämlich gar nicht erforderlich. Statt froh zu sein, daß wir sie am Leben lassen, meckern die Kerle auch noch.“ Antibes zog es vor, zu schweigen. Auch die Seeleute sagten kein Wort. Sie stiegen an Land und schickten sich an, zu ihren Landsleuten zu stoßen. Shane und die vier Arwenacks in der Jolle behielten sie scharf im Auge, weil sie jederzeit mit einem Trick oder einer Dummheit rechneten, vor allen Dingen von seiten Antibes'. Aber die Gefahr nahte von einer anderen Seite. Plötzlich geschah es: Es raschelte und prasselte im Dickicht, und zehn Gestalten tauchten auf. Big Old Shane fuhr herum -Stenmark, Jack, Paddy und Bob rissen die Waffen hoch. Aber die Gegner waren bereits heran und droschen mit Knüppeln auf sie ein. Ein Schuß krachte, die Kugel pfiff haarscharf an Jack vorbei, der sich geistesgegenwärtig fallen ließ. Er kippte über das Dollbord und landete im flachen Wasser. Wieder krachte ein Schuß, aber Don Juan hatte ihn nur zur Warnung in die Luft abgegeben. „Ergebt euch!“ rief er. „Ihr habt keine Chance!“ Er stürzte sich auf Big Old Shane und hieb ihm den Kolben der Pistole auf den Hinterkopf. Shane vollführte eine ausweichende Bewegung, und der Knauf schrammte über seine Schulter.
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Jack wollte sich wieder aufrappeln, aber einer der Angreifer - Ramon Vigil - war über ihm und knüppelte ihn nieder. Zwei Spanier hatten sich auf Paddy geworfen, der wie ein Berserker kämpfte, zwei andere schlugen auf Stenmark ein, die anderen wandten sich gegen Bob und unterstützten Don Juan bei dem Kampf gegen Shane. Die Männer der „Isabella“ wehrten sich nach Leibeskräften. Vielleicht hätten sie noch eine Chance gehabt, die Angreifer abzuschütteln - wenn jetzt nicht auch die Männer der „Golondrina“ mit in das Geschehen eingegriffen hätten. „Das ist Don Juan!“ schrie Antibes. „Er will uns befreien! Los, helfen wir ihm!“ Die Seeleute hatten zwar nicht die geringste Ahnung, wer Don Juan war, aber sie begriffen auf Anhieb, daß das nicht die geringste Rolle spielte. Sie rannten über den Strand auf die Gruppe der Kämpfenden zu und rissen die fünf Arwenacks zu Boden. Es hagelte Fausthiebe, und jetzt war die Partie für Shane und seine Kameraden endgültig verloren. Kämpfend gingen sie zu Boden, teilten noch einige brettharte Hiebe aus, verloren dann aber das Bewußtsein. Carberry hatte lauthals zu fluchen begonnen, als er gesehen hatte, was an Land geschah. „Umkehren!“ brüllte er seinen Rudergasten zu. „Wir müssen das ver- hindern! Teufel, die bringen unsere Leute um!“ Auch von Bord der „Isabella“ und der „Golondrina“ war der Überfall natürlich beobachtet worden. Hasard stand auf dem Achterdeck der „Isabella“, winkte Carberry und den anderen in der großen Jolle jedoch zu und schrie: „Ed! Hierher! Haltet euch da raus!“ „Ist das dein Ernst?“ „Mein voller Ernst! Es darf nicht zur Schießerei kommen!“ „Aber - die murksen unsere Leute ab!“ stieß Carberry völlig entnervt hervor. „Das kannst du doch nicht zulassen!“ Hasard hatte rasch einen Blick durch den Kieker geworfen.
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„Sie haben sie bereits überwältigt, Ed!“ rief er. „Daran änderst du auch nichts mehr! Du verschlimmerst alles nur!“ In ohnmächtiger Wut ballte der Profos die Hände zu Fäusten. „Das gibt's nicht“, sagte er immer wieder. „Das darf nicht wahr sein. Das gibt's nicht. O Hölle, so eine verfluchte Scheiße.“ Natürlich waren sie alle wie vor den Kopf geschlagen. Und Hasard - wie auch die anderen Männer – hatte den Mann bereits erkannt, der diesen dreisten Überfall aus dem Hinterhalt inszeniert hatte: Don Juan de Alcazar. „Auch das noch“, sagte Hasard. „Das hat uns noch gefehlt.“ „Wie kommt der bloß auf die Insel?“ fragte Ben betroffen. „Das ist mir auch rätselhaft“, erwiderte der Seewolf. „Aber vielleicht erfahren wir es noch.“ „Wie können wir Shane und unsere vier Leute befreien?“ wollte Smoky wissen, der auf dem Hauptdeck direkt unterhalb der Querbalustrade des Quarterdecks stand. „Wenn ich das nur wüßte“, entgegnete Hasard. „Mir fällt nichts ein. Und das Schlimmste ist – ich kann mir schon vorstellen, was Don Juan vorhat.“ „Ich auch“, sagte Ben. „Bedenklich ist auch, daß sich die ,Golondrina`- Besatzung mit Don Juans Crew verbündet hat.“ „Es ist mehr als bedenklich“, sagte der Seewolf. Wieder hob er den Kieker und spähte hindurch. Er konnte verfolgen, wie die bereits auf der Insel gelandeten Spanier - es waren etwa zwanzig - und die Don-Juan-Gruppe sich mit den fünf Gefangenen hinter die nahen Dünen zurückzogen. Shane, Jack, Paddy, Stenmark und Bob waren nach wie vor bewußtlos. Die Spanier würden sie fesseln, und dann hatten sie nicht mehr die geringste Chance, sich aus eigener Kraft zu befreien. Guter Rat war teuer. Hasard kochte innerlich vor Wut. „Ed!“ rief er und ließ das Rohr wie- der sinken. „Du holst sofort den Capitan Churruca und den Ersten Offizier de Simon!“ „Aye, Sir! Wohin soll ich sie bringen?“
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„Hierher!“ „Aye, Sir“, sagte der Profos und drängte seine Bootsgasten zur Eile. Don Ignatio Churruca und Rolando de Simon befanden sich nach wie vor an Bord der „Golondrina“. Dan O'Flynn ließ sie jetzt aus dem Frachtraum aufentern und unter Bewachung in die Jolle steigen. Dann setzte Carberry zur „Isabella“ über. „Was habt ihr mit uns vor?“ fragte Don Ignatio entsetzt. Seine Augen waren unnatürlich geweitet. „Diesmal gibt's keinen Tampentanz“, entgegnete Carberry. „Unser Kapitän will euch zwei nur bei sich an Bord haben.“ „Ich habe Schüsse gehört“, sagte Don Ignatio. „Was haben die zu bedeuten?“ „Daß ihr Dons ganz elende, verfluchte Hunde seid!“ brüllte Carberry. Damit war der kurze Dialog beendet. Eingeschüchtert enterten Don Ignatio und sein Erster an Bord der „Isabella“, wo sie sich auf Hasards Geheiß hin auf das Achterdeck begaben. Sie wurden streng bewacht, damit sie nicht auf den Gedanken verfielen, ins Wasser zu springen und sich schwimmend an Land zu retten. Hasard wußte genau, warum er die beiden Spanier an Bord der „Isabella“ geholt hatte. Ihm schwante, was der sehr ehrenwerte Don Juan de Alcazar plante. Es gehörte kein sonderlich großer Scharfsinn dazu. Die Überwältigung der Bootscrew war erst der Anfang der Aktion - jetzt begann der zweite, für Don Juan weitaus wichtigere Teil. * So war es - lange brauchten die Seewölfe nicht auf das Handeln ihres Gegners zu warten. Don Juan de Alcazar erschien persönlich auf dem Strand - mit einem weißen Hemdfetzen an einem Stock, den er demonstrativ in die Höhe hielt. „Ich komme als Parlamentär!“ rief er. „Schon gut, Senor, keine Angst!“ rief der Seewolf kalt zurück. „Wir schießen Sie nicht nieder - wenn wir auch allen Grund dazu hätten!“
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„Ich will mit Ihnen verhandeln, Killigrew!“ „Über was?“ „Über die fünf Gefangenen natürlich, das können Sie sich doch denken!“ „Ich bin etwas schwer von Begriff!“ schrie der Seewolf. „Was fordern Sie?“ „Nichts weiter als Sie, Capitan Killigrew!“ rief Don Juan. „Kommen Sie an Land! Freiwillig! Ohne Waffen! Ich nehme Sie fest und lasse die fünf Geiseln wieder frei!“ „Und das soll ich Ihnen glauben?“ „Ich gebe Ihnen mein Wort!“ „Welches Wort denn?“ fragte Hasard höhnisch. „Mein Wort als Ehrenmann natürlich!“ Hasard lachte. „Mit der Ehre ist es nicht mehr weit her, verehrter Don Juan, wenn Sie jetzt schon zum Mittel der Erpressung greifen!“ Don Juan holte tief Luft, dann schrie er zurück: „Sie haben es gerade nötig, den moralischen Zeigefinger zu heben! Glauben Sie bloß nicht, daß Sie mich auf diese Weise beeinflussen können!“ „Das will ich auch nicht! Was verlangen Sie noch?“ „Die Herausgabe der ,Golondrina'!“ Ein wildes Hohngelächter erklang von Bord der „Isabella“. Hasard sprang mit einem Satz auf das Schanzkleid und hielt sich mit einer Hand an den Besanwanten der Steuerbordseite fest. Die andere Hand hielt er seitlich an den Mund und rief: „Abgelehnt! Hier mein Gegenvorschlag, Don Juan! Ich übergebe Ihnen Don Ignatio Churruca, den Kapitän der ,Golondrina`, den Ersten Offizier Rolando de Simon sowie die restlichen zwanzig Mann der Crew der ,Golondrina` - gegen meine fünf Männer!“ „Niemals!“ „Die spanische Galeone stellen wir dann gern zur Verfügung!“ fuhr der Seewolf unbeirrt fort. „Allerdings werden wir vorher das den Mixteken geraubte Eigentum auf die ‚Isabella' verbringen, damit wir es ihnen zurückerstatten können!“
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„Darauf lasse ich mich nicht ein!“ stieß Don Juan wutentbrannt hervor. Kalt sagte Hasard: „Ich räume Ihnen eine Bedenkzeit von einer Stunde ein, obgleich ich Ihnen ja empfohlen habe, nie wieder meinen Kurs zu kreuzen, wenn Sie sich entsinnen!“ „Von Ihnen nehme ich weder Ratschläge noch Empfehlungen an!“ „Das ist Ihre Sache“, sagte Hasard völlig unbeeindruckt, dann hob er die Stimme wieder: „Nach Ablauf von einer Stunde, Senor, wird der erste Lump an die Rah gehängt, damit er das Zappeln lernt, und zwar der Capitan Churruca! Ich hoffe, daß Sie damit einverstanden sind, wenn ich Ihnen die Verantwortung für seine Aburteilung zuschreibe! Anderenfalls hätten wir ihn nämlich ausgesetzt und nicht weiter behelligt, obwohl er das weiß Gott nicht verdient hat!“ „Ich warne Sie, Killigrew ...“ „Warnungen von Ihrer Seite nehme ich nicht entgegen!“ rief Hasard. „Merken Sie sich das! Im übrigen hätte Don Ignatio Churruca den Tod verdient, da er sich nicht gescheut hat, menschliche Fracht nach Spanien zu transportieren, um sie dort Ihrem verdammten König und seinen Hofschranzen wie wilde Tiere vorzuführen!“ „Lüge!“ „Ich wäre Ihnen deshalb dankbar, wenn Sie die Stunde einfach verstreichen lassen würden!“ „Das wagen Sie nicht, Senor!“ brüllte Don Juan außer sich vor Wut. „Ich werde nämlich einen Ihrer Leute exekutieren lassen, wenn Sie es tun!“ „Und anschließend ist der Erste Offizier Rolando de Simon an der Reihe!“ schrie Hasard. „Wenn Sie mir nicht glauben, sind Sie herzlich eingeladen, den Laderaum der ,Golondrina` zu besichtigen, Senor! Eine Jauchegrube, in der die Indianer an die sechs Monate dahinvegetieren mußten, wobei bereits zwanzig elend krepiert sind! Sehr menschlich, nicht wahr?“ „Sie haben keine Beweise für Ihre ungeheuerlichen Behauptungen!“ schrie Don Juan.
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„Wir haben den Laderaum! Wir haben aber auch Sahuripe, den Medizinmann und Wortführer dieser armen Teufel, der zufällig ein wenig Spanisch kann! Er kann es kaum erwarten, Ihnen alles zu schildern, was sich auf dem Höllenschiff ,Golondrina' zugetragen hat!“ „Ich verzichte darauf!“ „Recht so, Don Juan!” stieß Hasard grimmig aus. „Verschließen Sie sich auch weiterhin der Wirklichkeit! Ich kann Sie zu nichts zwingen! Aber ich versichere Ihnen, daß als erster Don Ignatio und dann der Erste Offizier daran glauben muß, wenn Sie meine fünf Männer nicht wieder freilassen!“ „Haben Sie denn keine Skrupel?“ „In diesem Fall nicht“, entgegnete Hasard obwohl er sie selbstverständlich hatte. Er hatte noch keinen wehrlosen Gegner getötet, auch den größten Galgenstrick nicht, wenn dieser keine Chance mehr hatte, sich zu verteidigen. Aber das brauchte Don Juan nicht zu erfahren - nicht zu diesem Zeitpunkt jedenfalls. „Überlegen Sie sich noch einmal, was Sie tun!“ brüllte Don Juan. „Das habe ich getan“, erwiderte der Seewolf. „Und ich schwöre Ihnen: Sollte einem meiner Männer auch nur ein Haar gekrümmt werden, Don Juan, dann verwandle ich diese Insel in eine Insel der Toten, auf der auch Sie Ihr Grab finden werden!“ Don Juan erblaßte und zog sich zurück. Er ließ den Stock - ein Stück Treibholz -, an dem der weiße Hemdfetzen befestigt war, sinken. Was er vernommen hatte, mußte er erst einmal verarbeiten. Stimmte das wirklich? Oder bediente sich Philip Hasard Killigrew aller erdenklichen Tricks, um seine Männer wieder loszueisen? Sachlich bleiben, dachte Don Juan, obwohl ihn ein Gefühl der Resignation und Erbitterung packte. Die Objektivität zwang ihn zu folgender Einsicht: Killigrew war viel zu sehr Ehrenmann und fairer Gegenspieler, als daß er sich auf lausige, faule Tricks einließ. Wenn er Behauptungen wie diese aufstellte, dann mußte etwas Wahres daran sein.
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Er beschloß, mit Carlos Antibes, dem Zweiten Offizier, darüber zu sprechen. *
Don Juan war bis ins Innerste getroffen. Er konnte diesen Zustand schlecht verbergen. Man sah ihm an, wie ihm zumute war, als er hinter die Stranddünen zurückkehrte, die seinen Männern und den Seeleuten der „Golondrina“ als Deckung dienten. Wenige Schritte von den Männern entfernt blieb er stehen. Sein Blick galt zunächst den Gefangenen, von denen zwei das Bewußtsein wiedererlangt hatten: der graubärtige Riese und der große Blonde, der wie ein Skandinavier wirkte. Die drei anderen waren noch besinnungslos. Alle fünf waren gefesselt worden. Don Juan sah zu Antibes und sagte: „Sie heißen Antibes, wenn ich mich recht entsinne.“ „Carlos Antibes, Senor. Und Sie sind Don Juan de Alcazar, der Sonderbeauftragte der spanischen Krone, nicht wahr?“ Das Grinsen des Zweiten war leutselig, er versuchte offenkundig, sich anzubiedern. „Ja“, erwiderte Don Juan kühl. „Sie haben gehört, was Philip Hasard Killigrew behauptet hat - daß die ,Golondrina` ein Sklavenschiff sei. Stimmt das?“ „Es stimmt nicht. Die ,Golondrina` ist eine Galeone wie jede andere, die Fracht in die Alte Welt bringt.“ „Und die Mixteken?“ „Sind Fracht“, erwiderte Antibes frech. Don Juan trat einen weiteren humpelnden Schritt auf ihn zu. „Sie geben also zu, daß diese Eingeborenen grundlos in den Laderaum gepfercht worden sind, in dem es entsetzlich zugegangen sein soll?“ „Senor“, sagte Big Old Shane. Vergeblich versuchte er, sich ein wenig aufzurichten. Die Fesseln hinderten ihn daran. Tief schnitten sie in seine Haut. Aber wenigstens den Kopf konnte er ein wenig anheben - und sein bohrender Blick richtete sich auf Don Juans Gesicht. „Beschnuppern Sie ihn und die anderen Kerle doch mal. Dann wissen Sie in etwa, wie es in dem Laderaum stinkt. Wir haben
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sie zur Strafe nämlich dort eingesperrt und ...“ „Halt dein Maul!“ brüllte Antibes. „Schreien Sie nicht so“, sagte Don Juan frostig. „Und Sie - schweigen Sie.“ Diese Worte waren an Shane gerichtet. „Ich habe Sie nicht nach Ihrer Meinung gefragt. Wir unterhalten uns später noch.“ „Senor“, sagte Antibes mit mühsam erzwungener Geduld. „Alles, was diese Schweinehunde behaupten, ist erstunken und erlogen. Die Mixteken sind Mörder und Beutelschneider, Wegelagerer und Schlagetots, die eine Gefahr für jeden weißen Mann darstellen, der in Neuspanien landet. Es ist noch ein Zugeständnis gewesen, daß wir sie nicht alle niedergeschossen haben, zur Strafe für das, was sie anrichteten.“ „Die Mixteken sind friedlich“, sagte Shane. „Gebt mir eine Pistole!“ stieß Antibes keuchend hervor. „Ich knalle ihn ab.“ „Sie kriegen keine Pistole“, sagte Don Juan. „Und was hier geschieht, bestimme ich, Senor Antibes. Das Kommando führe nämlich ich, falls Sie das noch nicht begriffen haben.“ Wieder wandte er sich an Shane. „Habe ich nicht angeordnet, daß Sie schweigen sollen?“ „Ja, Senor“, erwiderte Shane. „Und ich richte mich auch gern danach. Aber ich kann nicht dulden, daß dieser Kerl falsche Behauptungen aufstellt. Fragen Sie ihn doch mal, was in dem Dorf der Mixteken geschehen ist.“ „Antibes“, sagte Don Juan. „Ich verlange Rechenschaft über das, was ich vernommen habe und was von Ihnen noch nicht stichhaltig widerlegt werden konnte.“ Antibes lachte plötzlich. „Hören Sie mal, jetzt habe ich aber die Nase voll!“ rief er. „Seit einigen Jahrzehnten wissen wir, was für ein lausiges, stinkendes und von Krankheiten verseuchtes Pack diese Indianer sind! Daß man sie nur wie Tiere behandeln kann, weil sie nichts anderes verdient haben! Daß ihre Männer Kannibalen und Heiden, die Frauen Huren und die Kinder kleine Teufel sind! Und jetzt kommen Sie her und verlangen
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Rechenschaft! Wenn Sie mich fragen, ist nur ein toter Indianer ein guter Indianer! Reicht Ihnen das?“ „Es reicht“, entgegnete Don Juan. „Jetzt zeigen Sie endlich Ihr wahres Gesicht, Senor.“ „Was haben Sie denn gedacht?“ rief Antibes höhnisch. „Daß wir mit den Indianern gut Freund sind, daß wir ihnen Geschenke überreichen und mit ihnen an einem Tisch essen und trinken? Hölle, in welcher Betstube sind Sie denn gewesen, Mann? Hat man Ihnen dort zu viele fromme Märchen erzählt? Das ganze wilde Lumpenpack, die Roten, die Schwarzen und die Braunen, gehört totgeschossen, totgestochen und totgetrampelt. Ausrotten muß man sie, diese Bastarde! Was denn sonst?“ Er wurde immer frecher und arroganter. Don Juan mußte die bittere Wahrheit schlucken, die er bisher stets ignoriert hatte: Seine Landsleute verschleppten die Indianer und verschifften sie unter viehischen Umständen nach Spanien - zur allgemeinen Belustigung der königlichen Hof-Clique. „Ihre Darstellungen sind erschöpfend“, sagte er zu Antibes. „Was ich hier gehört habe, wird noch seine Folgen haben.“ „Was für Folgen?“ „Ich werde Sie und die gesamte Besatzung der ,Golondrina` des Mordes, der Menschenschinderei und des Verstoßes gegen die Gebote der Menschlichkeit anklagen lassen.“ Antibes lachte ihm ins Gesicht. „Sie? Ein Spanier? Ein Landsmann? Wissen Sie, was Sie sind? Ein Nestbeschmutzer!“ „Ich glaube, Sie wissen nicht, mit wem Sie reden.“ „Irgendwer hat Sie verdreht, Senor“, sagte Antibes schroff. „Ich warne Sie: Lassen Sie sich nicht verblenden. Killigrew und seine Kerle sind Teufel. Sie kämpfen mit allen Mitteln und schrecken vor nichts zurück. Sie stehen mit dem Satan im Bund.“ Er deutete auf die fünf Gefangenen. „Auf was warten Sie? Schneiden Sie ihnen sofort die Kehle
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durch! Nein? Lassen Sie mich das erledigen! Geben Sie mir ein Messer!“ „Schweigen Sie“, sagte Don Juan. „Ein Messer her!“ brüllte Antibes. „Man muß diese Rattenbrut vernichten, bevor es zu spät ist!“ „Zum letzten Mal“, sagte Don Juan. „Halten Sie den Mund.“ „Von Ihnen lasse ich mir gar nichts befehlen!“ brüllte Antibes ihn an. Don Juan konnte nicht länger an sich halten, er mußte handeln. Mit einem weiteren Schritt trat er dicht vor Antibes. Der gestikulierte wild und jähzornig und wollte erneut aufbegehren, aber mit der heftigen Reaktion von Don Juan schien er trotz allem nicht zu rechnen. Don Juan ging es nicht nur darum, ein Exempel zu statuieren, um sich den erforderlichen Respekt zu verschaffen. Er war auch im höchsten Maß erbost über die Äußerungen des Zweiten Offiziers. Seine rechte Faust zuckte plötzlich hoch. Antibes versuchte noch auszuweichen, aber seine Bewegung erfolgte zu spät. Don Juans Fingerknöchel trafen sein Kinn mit gleichsam traumhafter Präzision, und von einem Augenblick auf den anderen schwanden Antibes die Sinne. Er brach in den Knien zusammen, sank zu Boden, sackte auf die linke Körperseite und rührte sich nicht mehr. Keiner der Umstehenden traf Anstalten, sich um ihn zu kümmern. Sein Benehmen und die Art, wie er sich über die Mixteken ausgelassen hatte, hatte selbst die Hartgesottenen und Abgebrühten unter seinen Landsleuten schockiert. „Ich werde eine Untersuchung einleiten, wenn es nötig ist“, sagte Don Juan, „über die Vorfälle an Bord der ,Golondrina`. Ich werde ein Protokoll verfassen und es der Admiralität und den Obrigkeiten zustellen.“ Die Männer schwiegen. Keiner wußte, was er sagen sollte. In Havanna hatte Don Juan wegen seiner Geradlinigkeit bereits Kopf und Kragen riskiert, denn weder der Gouverneur noch der Stadtkommandant und die anderen feinen Senores, die in der Residenz verkehrten, waren bereit, ihre
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Pfründe irgendwelchen „Reformen“ zu opfern. Doch ihr Verhalten konnte Don Juan nicht beeinflussen. Er verfolgte auch weiterhin seine Ziele - unter dem Einsatz seines Lebens. „Don Juan“, sagte mit einemmal Ramon Vigil, der auf der Kuppe der Düne Posten bezogen hatte. „Ein Boot setzt von der ,Isabella' zu uns über. Es ist mit nur einem Mann besetzt.“ „Killigrew?“ fragte Don Juan. „Nein. Es ist der Gottesmann.“ „Der hat mir gerade noch gefehlt“, murmelte Don Juan. „Er will wohl einen Kompromiß herbeiführen.“ Entschlossen wandte er sich von der Gruppe ab, humpelte zu Vigil hinauf und richtete seinen Blick auf die Bucht. Pater David lenkte die Jolle mit kräftigen Riemenschlägen auf das andere Boot zu, das herrenlos am Strand lag. Er landete und stieg aus, sah zum Himmel auf und sagte: „Ein wirklich wunderbarer Morgen, Herr. Hilf, daß er auch weiterhin sonnig bleibt - und daß es kein Blutvergießen gibt.“ Er raffte ein wenig die Schöße seiner Kutte und steuerte mit schweren Schritten auf Don Juan de Alcazar zu, der sich seinerseits in Bewegung gesetzt hatte und von der Düne auf den flachen Strand hinunterstieg. * Gut fünf Schritte voneinander entfernt blieben sie stehen, und Don Juan hatte ausgiebig Gelegenheit, den Mann zu betrachten. Ein Goliath an Gestalt war dieser Gottesmann -größer noch als der Seewolf, grauäugig, dunkelblond und an den Schläfen leicht ergraut. Sein Gesicht war kantig und energisch, es drückte Entschlossenheit und Härte, aber auch Menschlichkeit und Intelligenz aus. „Der Herr sei mit dir“, sagte Pater David und beschrieb das Zeichen des Kreuzes. Don Juan als gläubiger Katholik bekreuzigte sich ebenfalls. „Und mit unseren Seelen. Sie sind also ein Landsmann, Pater?“
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„Ja. Spanier. Geboren zu Madrid“, erwiderte Pater David grimmig. „Dominikaner, nicht wahr?“ „Auch das ist richtig.“ „Meinen Namen kennen Sie bereits. Würden Sie mir auch den Ihren verraten?“ „Pater David.“ „Und weiter?“ „Ich werde nur so genannt, der Rest spielt keine Rolle. Wichtig hingegen ist die Aufgabe, die ich mir gesetzt habe, und die ich hier, in der Neuen Welt, verfolge.“ „Welche Art von Aufgabe, Pater?“ „Gegen die Unterdrückung zu kämpfen die Unterdrückung der Indianer. Ich verdamme die Machtansprüche meines Heimatlandes gegenüber diesen einfachen, friedlichen Menschen, die nur eine einzige Schuld tragen: daß sie dem weißen Mann von Anfang an vertraut haben.“ Während er sprach, blickte er an Don Juan vorbei zu den anderen Spaniern, die nach und nach auf der Kuppe der Düne auftauchten. Sie schienen ihm verblüfft, aber auch mit wachsendem Interesse zu lauschen. Sie waren bewaffnet - er aber, Pater David, trug keine Waffe. Dennoch war er sicher, daß sie nichts gegen ihn unternehmen würden. „Wenn ich Sie richtig verstehe, Pater, betreiben Sie also eine Art Konspiration gegen das Vaterland“, sagte Don Juan schroff. „Sie haben sich mit den Engländern verbündet, und dazu noch mit Killigrew. England ist der erklärte Feind der spanischen Nation, zu Land und zur See. Sie machen sich des Landesverrates schuldig, Senor!“ „Nennen Sie es, wie Sie wollen, Don Juan“, sagte Pater David - und dann rückte er etwas näher auf den Sonderbeauftragten der spanischen Krone zu. „Mir ist es gleichgültig. Ich habe nur einem Herrn zu gehorchen und Rechenschaft abzulegen, und. der sitzt da oben.“ Er wies zum Himmel. „Aber Sie - lassen Sie sich die Augen öffnen. Sie haben falsche Vorstellungen von dem, was unsere Landsleute hier tun. Sie sind weder freundliche Kolonisten noch liebenswürdige Missionare, Senor. Sie sind
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Mörder und Banditen, Verbrecher der übelsten Sorte. Sie töten, brandschatzen, foltern, sündigen und plündern, wo sie auch ihren Fuß an Land setzen.“ „Sie übertreiben.“ „Ich untertreibe eher noch!“ rief Pater David. „Kommen Sie mit an Bord der ,Golondrina`! Sie stehen unter meinem persönlichen Schutz, keiner wird Sie behelligen! Sprechen Sie mit Sahuripe, dem Medizinmann der Mixteken! Er kann Ihnen viel erzählen!“ „Die Mixteken sind selbst keine Engel.“ „Wer behauptet das? Antibes? Er ist der schlimmste der Besatzung, abgesehen von Don Ignatio, dem Capitan! Diesen Kerlen bereitet es Vergnügen, die Indianer zu quälen und zu mißhandeln!“ „Das dürfen Sie nicht sagen“, erhob Don Juan einen weiteren, ziemlich schwachen Einwand. „Ich weiß, was ich darf!“ rief Pater David zornig. „Die Mixteken haben bis vor sechs Monaten friedlich in ihrem Dorf gelebt, in den Bergen von Neuspanien! Sie haben sich von der Jagd, vom Ackerbau und von der Viehzucht ernährt! Dann erschienen unsere Landsleute, Senor! Sie veranstalteten ein Massaker! Es gab nur neunzig Überlebende - die Hälfte! Männer, Frauen, Kinder und Greise! Sie wurden an Bord dieses Höllenschiffes getrieben und in den Laderaum gesperrt, wo sie sich selbst überlassen waren! Der Gestank, der dort herrscht, ist infernalisch! Zwanzig der armen Teufel kamen auf der Reise bis hierher um! Männer, Frauen, Kinder - sie wurden wie Abfall in die See geworfen! Soll ich weitererzählen, Senor?“ „Sie können sich den Rest sparen.“ Aber Pater David fuhr fort: „Das sind die Heldentaten unserer Landsleute! Ich will nicht berichten, was sie mit den Eingeborenenfrauen anstellen, ich will mir weitere Einzelheiten ersparen! Aber ich will Ihnen sagen, was der Grund dafür ist, daß die Mixteken und die anderen Indianer dieses Landes ausgerottet werden! Dieser Grund liegt in den anderen Frachträumen der ,Golondrinal Gold! Sie besitzen Gold und fertigen Schmuck und
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Kultgegenstände daraus an! Das Gold ruft die Gier der Spanier hervor, das Gold ist das Gift, dem unsere Leute verfallen sind!“ „Da gebe ich Ihnen allerdings recht“, sagte Don Juan leise. Pater David indes war mit seiner zündenden Ansprache noch nicht am Ende. Leidenschaftlich rief er: „Das ist das Werk Satans! Ein Verstoß gegen die Gebote Gottes! Verbrechen, die nicht mehr zu sühnen sind!“ Beschwörend waren seine Worte, eine einzige Anklage gegen die Verbrechen der Spanier in der Neuen Welt. „Das Morden und die Grausamkeiten müssen ein Ende haben! Wir geben uns als Christen und Missionare aus, aber in Wirklichkeit sind wir erbärmliche Barbaren, gemeine Mörder, die sich vor den Eingeborenen schämen müssen!“ Don Juan wurde tatsächlich rot im Gesicht. Er nahm sich jedes Wort zu Herzen, und tief in seinem Herzen verspürte er einen Stich. „Genug, Pater“, sagte er. „Ich habe dem nichts entgegenzusetzen.“ Er drehte sich um, stieg zu seinen Gefährten und den Männern der „Golondrina“ auf die Düne und blieb bei Ramon Vigil stehen. „Schneiden Sie die Gefangenen los“, sagte er. „Ist das wirklich Ihr Ernst, Senor?“ Don Juan blickte ihn an. „Ja. Und Sie wissen auch, warum.“ „Ich weiß es.“ „Dann brauchen wir nicht mehr darüber zu reden.” „Sie haben recht, Don Juan. Aber Killigrew ...“ „Killigrew hat den längeren Atem, Vigil, ich muß es ihm neidlos zugestehen.“ Der Bootsmann ging zu Big Old. Shane, Stenmark, Jack Finnegan, Paddy Rogers und Bob Grey. Alle fünf waren inzwischen wieder bei Bewußtsein, und sie fluchten leise wegen der Schmerzen, die sie verspürten. „Ihr habt wirklich Glück“, sagte Vigil, dann befreite er sie von ihren Fesseln. „Dieser Pater ist ein gewaltiger Redner.“
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„Ja“, erwiderte Shane. Langsam richtete er sich auf. „Und jedes Wort, das er sagt, stimmt.“ „Ja. Aber ich habe noch keinen Indianer getötet“, sagte Vigil. „Und ich habe mich auch noch nie an einer eingeborenen Frau vergriffen.“ Shane trat dicht vor ihn hin und sah ihn an. „Ich behaupte auch nicht, daß alle Spanier Lumpen sind. Es gibt gute und schlechte wie bei uns Engländern. Darin ähneln wir uns alle. Wir hatten auch mal einen anderen Spanier an Bord, mit dem wir uns prächtig verstanden. Und jetzt haben wir Pater David.“ Vigil grinste schief. „Eigentlich ist es schade, daß wir Feinde sind.“ „Das finde ich auch“, sagte Shane. „Aber ihr habt ganz schön auf uns eingedroschen.“ Vigil hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Tut mir leid, aber es mußte sein.“ Shane grinste ebenfalls. Dann stieg er mit seinen vier Begleitern zu Don Juan auf die Düne. Von hier aus schritten sie zu Pater David. Don Juan blieb hinter ihnen zurück. „Don Juan“, sagte Pater David. „Ich segne Sie. Der Friede und die Güte des Herrn seien mit Ihnen!“ Wieder beschrieb er das Zeichen des Kreuzes. Dann stieg er mit den fünf Männern in die Jolle, und sie kehrten zur „Isabella“ zurück. Don Juan blickte ihnen nach. „Ich bin gespannt, ob Killigrew jetzt sein Wort hält“, murmelte er. Tatsächlich ließ Hasard unverzüglich Don Ignatio, den Ersten Offizier und alle restlichen Besatzungsmitglieder der „Golondrina“ an Land setzen. Das Eigentum der Mixteken hingegen wurde an Bord der „Isabella“ gebracht. Knapp eine Stunde war vergangen. Don Ignatio und seine Männer standen auf der Kuppe der Düne und verfolgten schweigend das weitere Geschehen. Don Juan und seine Crew sprachen ebenfalls kein einziges Wort. Was inzwischen an Bord der „Golondrina“ vorging, vermochten sie nicht zu verfolgen - aber ausmalen konnten sie es sich schon.
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Ferris Tucker bohrte die spanische Galeone an und legte zusätzlich eine Lunte zur Pulverkammer, die er eigenhändig entfachte. Dann kehrte er rasch zu Dan und den anderen zurück. Sie enterten an Bord des bereitliegenden Bootes ab und pullten ebenfalls zur „Isabella“. Kurze Zeit darauf ging die „Isabella“ ankerauf und verließ die Bucht. Hasard und seine Kameraden achteten nicht mehr auf die Spanier. Nur Pater David blickte zu den Männern zurück, die wie verloren am Ufer der Insel standen. Die „Isabella“ hatte eben die Einfahrt der
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Bucht passiert, da war auch die Lunte an Bord der „Golondrina“ abgebrannt. Mit einem heftigen Donnerschlag flog das Pulver in die Luft. Die Galeone wurde in der Mitte auseinandergerissen und sank im Nu. Ein Rauchpilz und kräuselnde Wellenringe, die allmählich auseinanderliefen, waren die letzten Zeugen, die von der Zerstörung des Schiffes kündeten. Im zunehmenden Licht des jungen Morgens verzogen aber auch sie sich rasch, und nichts erinnerte mehr an die Dinge, die sich eben zugetragen hatten...
ENDE