Doris Mayer
Knesebeckstraße oder: Einmal Kuba und zurück
1
Wolfgang Friesdorf, Achim Heine (Hrsg.)
sentha – senioren...
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Doris Mayer
Knesebeckstraße oder: Einmal Kuba und zurück
1
Wolfgang Friesdorf, Achim Heine (Hrsg.)
sentha – seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag Ein Forschungsbericht mit integriertem Roman
Doris Mayer Knesebeckstraße oder: Einmal Kuba und zurück
2.9 Zusammenfassung: Anforderungen 88 an seniorengerechte Technik
Inhalt Vorwort 1. 1.1 1.2 1.3 1.4
Einführung Ziele des Buches Teilprojekte Neues Leitbild Aufbau des Buches
2. Die Senioren 2.1 Alter, Familie und Gesundheit 2.2 Bildung, Erwerbstätigkeit und Einkommen 2.3 Körperliche und geistige Leistungsfähigkeit 2.4 Wohnen und Technik 2.5 Tätigkeiten in Haushalt, Freizeit und Ehrenamt 2.6 Risiken im Seniorenhaushalt 2.7 Technikeinstellung und Techniknutzung 2.8 Akzeptanz von innovativen Netztechnologien
5 9 9 11 13 19
3. 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5
Digitale Vernetzung – Smart-Home 93 93 Zum Begriff des Smart-Homes 95 Bussysteme für den Wohnbereich Vor- und Nachteile verschiedener 95 Übertragungsmedien 97 User-Interfaces im Smart-Home Anwendungen der Spracher99 kennung Anwendungen der Sprecher104 erkennung Forschungs- und Demonstrations106 projekte 106 Zukünftige Entwicklungen 109 Fazit
23 23
3.6
31
3.7
41 46
3.8 3.9
57 69
4. Die sentha-Methode 4.1 Normative, strategische und operative Anforderungen 4.2 Normative Dimensionen 4.3 Strategische Dimensionen 4.4 Operative Dimensionen
76 82
115 115 118 120 122
PROLOG Mein Name ist Charlotte Ruhland, ich bin 77 Jahre alt, liebe das Leben und zähle jeden Tag die Falten in meinem Gesicht. Aus Eitelkeit? Vielleicht. Wegen der Sichtbarkeit des Älterwerdens, die sich nicht verdrängen lässt? Möglich. Aber ist es nicht unsinnig, nach einer Bestätigung des Alterns zu suchen und sich mit dieser Frage zu quälen, auf die man keine Antwort findet, weil es meiner Meinung nach dafür keine gibt? Hat das „Warum“ dann überhaupt eine Wichtigkeit? Je länger ich darüber nachdenke: Ich glaube nicht; jedenfalls nicht für mich, zumindest nicht jeden Tag. Beobachtungen in meinem Bekanntenkreis haben mich feststellen lassen: Niemand will alt werden, aber jeder will lange leben ohne den äußerlichen und innerlichen Verfall des Körpers in Kauf zu nehmen. Was das Äußerliche anbelangt, so fehlt mir das Geld für einen Schönheitschirurgen, und um ehrlich zu sein, auch der Mut, mich Operationen zu unterziehen. Was meine Gesundheit angeht, da kann ich nicht klagen. Erst vor kurzem habe ich mich durchchecken lassen. Für mein Alter sei der körperliche Zustand außerordentlich gut, er gratuliere mir, hat mich ein Arzt gelobt, als habe er einen Verdienst an meiner robusten Konstitution. Für mich sind die Falten im Gesicht wie Linien, manche davon Spazierwege, andere Straßen, wieder andere, übertrieben bezeichnet, Autobahnen. Sie sind ein Merkmal dafür, dass ich auf viele Ereignisse zurückblicken kann, denn sie halten meine persönlichen Geschichten fest und keine davon möchte ich missen. Besonders die Fältchen, meine Ameisenstraßen, die sich zwischen den Wangenknochen 3
Die Produktgestaltung Was heißt eigentlich Design? Seniorengerechtes Produktdesign Methodologie: Design als empirischexperimenteller Prozess 5.4 Dialogisch-Partizipatives Prinzip der Forschung 5.5 Projekte an der Universität der Künste 5.6 Teilnehmende Beobachtung 5.7 Assoziation als Methode 5.8 Visualisierung als Ideengenerator 5.9 Interdisziplinarität als Methode und Programm 5.10 Fazit und Ausblick
139 139 140
7.
Schlusswort
207
8.
Literatur
208
142
9.
Bildnachweise
216
143
10. Projekte an der Universität der Künste Berlin
219
11. Teilprojekte
222
6. 6.1 6.2 6.3 6.4
187 189 190 192
5. 5.1 5.2 5.3
Produktentwicklung Produktentwicklung nach Pahl-Beitz Verlauf der Produktentwicklung Ansatzpunkte zur Nutzerintegration Kurzbeschreibungen der dargestellten Methoden 6.5 Allgemeine Empfehlungen
144 177 178 179 181 184
199 204
Impressum
224
und den Augen eingegraben haben, gehören zu meinen wertvollsten, liebsten Zeugen von Erinnerungen, die ich gerne in Tagträumen an mir vorbeiziehen lasse. Aber es gibt auch welche, die ich zu ignorieren versuche, über sie hinwegsehen möchte, denn sie bergen Geheimnisse, die mit wenig Erfreulichem verbunden sind. Doch gerade diese Falten, Gassen, die sich in Gegenden befinden, die man des Nachts lieber meidet, drängen sich vehement vor mein Auge und es fällt mir schwer, ein freundliches Wort für sie zu erübrigen.
EINS … an einem Spätfrühlingstag in der Knesebeckstraße, Berlin … Er habe ein Päckchen für mich und wieder einen Brief mit gleichem Absender, sagte am Morgen der Briefträger, als wir vor der Eingangstür aufeinander trafen und überreichte mir beides. Wann es losgehen würde? Er gab mir einen Stapel Werbematerial und die Tageszeitung. Bereits in zwei Tagen, antwortete ich ihm zerstreut, jemand sei ausgefallen und ich solle einspringen. Er wünschte mir viel Glück. Ich erkannte die Handschrift auf dem lindgrünen Kuvert. Mein erster Impuls war, den Brief zu zerreißen, noch ehe ich den Inhalt gelesen hatte. Hätte ich nicht im Stiegenhaus hinter mir Oskars Treppenlift und Isoldes helle Stimme gehört, die fragte, ob Post gekommen sei, ich hätte es getan. So aber 4
ließ ich den Brief in meiner Tasche verschwinden, gerade rechtzeitig, bevor Isolde neben mir auftauchte. Der Briefträger war bereits zum nächsten Haus unterwegs. Zweifellos hätte der nette, aber redselige Mann eine Anspielung auf das lindgrüne Kuvert von sich gegeben und Isolde hätte nachgefragt, nicht eher locker gelassen, bevor ich ihr von diesem Brief berichtet hätte. Mittlerweile war auch Oskar im Sessel seines Treppenliftes bei uns angekommen und sah auf das Päckchen. Es sei wohl die Pillendose, die ich bestellt hatte, sagte ich rasch, reichte ihm das Werbematerial und die Tageszeitung. Was hatte ich mir bloß dabei gedacht! Den Brief zu lesen, ihn dann verschwinden zu lassen, seinen Inhalt zu ignorieren und damit aus der Welt zu schaffen? Ich bin doch nie ein unrealistischer Mensch gewesen. Ich hoffte, Oskar mit dieser kindischen Aktion weiter im Glauben zu lassen, dass alles in Ordnung sei. Ich wollte auf mein Zimmer, nickte Isolde und Oskar zu und ging zu den Stufen. Sie wundere sich, dass ich auf meinen täglichen Einkauf beim Gemüsehändler verzichte, hielt Isolde mich auf und ich konnte Misstrauen in ihrer Stimme erkennen. Darum gaukelte ich ihr Kopfschmerzen vor. Körperliche Schwächen zeigten bei ihr immer Ansporn für, wenn auch unqualifizierte, ärztliche Hilfestellung. Obwohl sie mein Faible für Homöopathie kannte, wollte sie mir eine von diesen Wunderpillen, wirksam bei Magen-, Zahn- und allem möglichen Schmerz mehr, aufschwatzen. Nur mit Mühe konnte ich sie abschütteln, sie davon überzeugen, dass es sich bei meiner kleinen Unpässlichkeit nicht um eine schwerwiegende Krankheit handle und sie keinen Grund habe, mich zu bemuttern. 5
Vorwort Ende des 19. Jahrhunderts gingen die Menschen mit 70 Jahren in Rente, ihre durchschnittliche Lebenserwartung betrug aber nur 45 Jahre. Die Wenigsten erlebten den so genannten »Ruhestand«. Wer heute mit 65 in Rente geht, darf oder muss mit fast 20 weiteren Lebensjahren rechnen. Und diese Zeit wird immer länger. Inzwischen hat sich ein dritter Lebensabschnitt entwickelt, in dem die Menschen zwar keine beruflichen Aufgaben mehr haben, aber weiter aktiv sein möchten. Sie wollen die Gesellschaft mitgestalten, Ziele verwirklichen, zu denen ihnen der Beruf nicht die Zeit ließ, und das Wichtigste: Sie wollen selbstständig und unabhängig von fremder Hilfe leben. Technische Innovationen erleichtern unseren Alltag, ermöglichen uns Dinge, die wir auch ohne alt zu sein, oft nicht bewerkstelligen könnten. Gleichzeitig stellt die Technik aber auch immer größere Ansprüche an ihre Benutzer. Wer einen PC installieren, einen DVDPlayer bedienen oder die moderne Autoelek-
tronik verstehen will, muss fortwährend weiter lernen. Ältere Menschen haben zwar einen großen Schatz an Erfahrungen, doch es fällt ihnen schwer, neue und unbekannte Situationen zu bewältigen. NeueTechniken und Dienstleistungen für die unterschiedlichen Phasen des Alters sind erforderlich. Politik, Wirtschaft und Kultur haben die Aufgabe und Pflicht, sich auf den demographischen Wandel in unserer Gesellschaft einzustellen. Wie und womit können wir anfangen? Zum einen müssen sich die Gestalter von Produkten und Dienstleistungen in die Lebenswelt der Senioren hineinversetzen. Zum anderen müssen wir die Gestaltungsziele ändern: Statt uns ständig zu überlegen, womit wir die Schwächen und Behinderungen alter Menschen kompensieren können, sollten wir darüber nachdenken, wie wir ihre Stärken und Talente fördern. Unser Buch ist eine Verbindung von Roman und Forschungsbericht. Wir möchten allen an diesem Thema Interessierten den Zugang zu Wissenschaft, Produktentwicklung und -gestaltung erleichtern und insbesondere die
Oskar hievte sich vom Sessel in seinen „Formel-1-Rollstuhl“, wie er das Gefährt liebevoll bezeichnete, im Gegensatz zu seinem altersschwachen, quietschenden im ersten Stock, den er abfällig „Rostlaube“ nannte. Er hatte an der Kopfstütze ein kleines Messingschild anbringen lassen. M. & R. Schumacher war darauf eingraviert. Er konnte sich nicht entscheiden, welchen der beiden Brüder er sympathischer fand. Der „Formel-1-Rollstuhl“ stand auf dem erdfarbenen, handgeknüpften Teppich im Eingangsbereich. Die Speichen des rechten Rades waren abwechselnd weiß und blau gestrichen, die des anderen in Ferrarirot. Ob er mir irgendwie helfen könne? Ich verneinte. Ich wolle allein sein, sagte ich entschieden und Isolde trottete beleidigt an mir vorbei ins obere Stockwerk. Oskar blickte mich forschend an, als erwarte er eine Erklärung für meine Ruppigkeit. Als ich nichts sagte, bat er mich, die Eingangstür offenzulassen, damit er auf die Straße sehen konnte. Er rollte zur linken Wand, vor der eine lebensgroße EngelSkulptur den Kellerabgang verbarg, und nahm, mit der Rückenlehne voran, Aufstellung vor der abgeschlossenen Tür, hinter der sich einmal der Ausgang zum Lager eines Lebensmittelladens befunden hatte. Von hier aus hatte er freie Sicht auf die Straße. Und, wenn er seinen Kopf nach links wandte, über die Stufen bis hinauf in den ersten Stock des Hauses, mit einem kleinen Ausschnitt des Ganges. Langsam, ohne mich aus den Augen zu lassen, nahm er die Tageszeitung zur Hand und schlug sie auf. Ich umklammerte meine Tasche und machte mich auf den Weg in mein Zimmer, fühlte, wie er mich beobachtete und war froh, als ich auf dem Treppenabsatz ankam. Ich wandte mich nach links und verschwand damit aus seinem Blickfeld. 6
ältere Generation ermutigen, ihre Ansprüche zu formulieren. Wir sehen das Alter als ein enorm wichtiges und zukunftsträchtiges Forschungsfeld. Doch nur, wenn Forscher und Entwickler Senioren und ihre Lebenswelt ernst nehmen und verstehen, werden auch sinnvolle Produkte und Dienstleistungen entwickelt werden können. Das Buch basiert auf dem Forschungsprojekt »sentha – seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag« der Technischen Universität Berlin. Unser Kollege Wolfgang Beitz hat es initiiert, die DFG hat es gefördert. Ein multidisziplinäres Team aus Ingenieuren, Arbeitswissenschaftlern, Designern, Soziologen und Psychologen entwickelte neue Konzepte für Produkte und Dienstleistungen, abgestimmt auf die Lebensformen, Verhaltenweisen und Fähigkeiten von Senioren. Von Beginn an wurden ältere Frauen und Männer als Berater und »Versuchspersonen« in die Forschung eingebunden. Ihre Mitarbeit an diesem Projekt war für sie der Auslöser dafür, die »Senior Research Group« (www.srg-berlin.de) zu gründen.
Die Forschungsergebnisse und Ideen in diesem Buch zeigen exemplarisch, welche Merkmale Produkte und Design für Senioren auszeichnen sollten. Da dieses Forschungsgebiet sehr dynamisch ist, werden auf der Internetseite des Forschungsprojekts www.sentha.org ständig auch aktuelle neue Erkenntnisse und neue Entwicklungen vorgestellt. Wir hoffen, Ihnen mit diesem Buch viele Anregungen und Ideen geben zu können. Wolfgang Friesdorf, Achim Heine, Januar 2006
Endlich war ich allein. Ich verschloss die Tür, zog das Kuvert aus der Tasche, streckte meine Hand mit ihm weit von meinem Körper, als würde es mich anfallen, mir an den Hals springen und einer Kreissäge gleich meine Kehle durchtrennen. Es dauerte mehrere Minuten, in denen ich es auf seine Gefährlichkeit hin abtastete und es mir harmlos erschien. Ein Stück lindgrünes Papier, rechteckig, mit schwarzer Tinte beschrieben. Millimeter um Millimeter arbeitete sich meine Hand mit ihm zum Schreibtisch. Vor dem Flat-Screen und halb verdeckt vom Keyboard, fand ich den altmodischen, mit Perlmutt verzierten Brieföffner, mit dem ich das Kuvert schließlich aufschlitzte. Ich überflog die Zeilen und keine überraschte mich. Ich las den Brief mehrere Male, als wolle ich mich damit quälen. Meine schreckliche Vermutung war nun bestätigt. Und Karl-Otto blieb die ganze Zeit über stumm. Typisch für ihn. Wenn man ihn braucht, schweigt er. Es klopfte an meiner Zimmertür, ich steckte den Brief wieder in meine Tasche und fragte, wer draußen sei. Ich hätte es mir denken können; es war Oskar, der sich um mich sorgte. Ich bat ihn herein, wagte nicht, ihm in die Augen zu sehen und ging zum Spiegel, der über dem offenen Kamin hing. „Was ist los mit dir?“, fragte er, fuhr über die Schwelle und blieb bei der Tür stehen. Grübelnd blickte ich in den Spiegel, in dessen teilweise ermattetem Glanz ich meine Falten kontrollierte. Schäbiger alter Spiegel, dachte ich, billigte ihm aber zu, dass wir gemeinsam alt geworden waren. Ich habe ihm schon oft angedroht, ihn auf den Sperrmüll zu werfen, es dann aber nicht übers Herz gebracht. Vielleicht aus dem unbestimmbaren Gefühl heraus, man könne das Gleiche mit mir machen. Und wehe dem, der dies wagen sollte! Ich würde mich dagegen widersetzen und beißen, 7
kratzen, spucken. Der Spiegel, was für Möglichkeiten hatte er, sich zu wehren? Möglicherweise würde er in meinen Händen zerspringen und mich mit seinen Splittern verletzen. Ihm alles zutrauend, wollte ich seine Reaktion nicht auf die Probe stellen und behielt ihn. Und um ehrlich zu sein, ich finde es nett von ihm, dass er mein Aussehen, durch seine Trübheit, weichzeichnet. „Nun rede schon. Was ist los mit dir?“, wiederholte Oskar seine Frage. Er kannte mich gut und ließ sich nicht leicht etwas vormachen. Ich lächelte ihn an. Nichts sei mit mir. Ich fühle mich prächtig. Was hätte ich auch sonst sagen sollen? Doch nicht etwa, dass die eine Falte, die sich vom rechten Mundwinkel zur Nasenwurzel spannte, innerhalb weniger Minuten eine Rekordtiefe erreicht hatte und mir Furcht einjagte? Schuld an ihrem Erscheinen war der Brief in meiner Tasche. Sackgasse, nannte ich die Falte spontan, weil sie von einem Muttermal, groß wie ein Stecknadelkopf, gestoppt wurde. Verstohlen sah ich zur Tasche. Sie legt an Gewicht zu, war ich überzeugt. Als würde der Brief im Klima ihres Leders, des Parfums, der zwei Lippenstifte und dem Rouge, die sich darin befanden, eine spezielle Düngung erfahren, wie eine Pflanze in den unzerstörten Gegenden des Tropenwaldes gedeihen, ungeahnte Ausmaße annehmen und an Pfunden zulegen können. Und mir schien, als sei die Tasche bereits ein wenig voluminöser, zumindest an einer Seite etwas ausgebeult. „Du bist blass, Charlotte“, sagte Oskar und fuhr mit seiner Rostlaube, deren rechtes Rad den hohen Ton einer aufgeschreckten Fledermaus von sich gab, in die Mitte des Zimmers. Nein, ich musste Oskar den Schmerz unter allen Umständen ersparen. Ich strich mit dem Zeigefinger über die klei8
Senioren Design
Konstruktionstechnik
Arbeitswissenschaft
Biomedizinische Technik Produkte und Dienstleistungen
Sozialwissenschaft
Kommunikationstechnik
Technik und Gesellschaft
Industrie
Abb. 1.1: Teilprojekte der sentha-Forschergruppe
ne Narbe, die sich in meiner linken Augenbraue versteckte, fast unsichtbar und nur für Eingeweihte zu erkennen. Ich war 35, als ich mir diesen Cut zuzog. Lieber Oskar, wieviel leichter wäre mir, wenn ich mit dir über den Inhalt des Briefes sprechen könnte. „Charlottchen?“ Oskar berührte meinen Unterarm, ich wandte mich vom Spiegel ab und setzte mich neben ihn in den Fauteuil. Ob ich nervös sei wegen der Quizshow? Die vorgezogene Einladung käme wohl zu plötzlich und schüchtere mich ein. Er drückte liebevoll meine Hand. Noch könne man unter irgendeinem Vorwand absagen und zu Hause bleiben. Unsinn!, meinte ich schroff. Zuviel würde davon abhängen. Und eine Woche früher oder später, was mache das für einen Unterschied? Ich hätte höchstens mehr Zeit, ins Grübeln zu verfallen. Nein, mir sei es recht, dass es schon in zwei Tagen losgehen werde. Die Chance auf einen Gewinn wolle ich mir auf keinen Fall entgehen lassen. Er würde sich sehr darauf freuen, mich zu begleiten, versuchte er mich aufzumuntern. Es sei lange her, dass er eine Reise unternommen habe. Und der Arzt? Hat er keine Einwände? Oskar schüttelte den Kopf. Bei der letzten Untersuchung hätten sich keine Veränderungen gezeigt. Er habe grünes Licht für die Reise erhalten. Ich wollte Oskar jede Aufregung ersparen. Vor einem halben Jahr musste er sich einer Bypass-Operation unterziehen, die, laut Aussage seines Arztes, gut verlaufen war. Trotzdem müsse er in absehbarer Zeit damit rechnen, erneut operiert zu werden. In seinem Fall wäre eine Herztransplantation 9
1. Einführung Hans-Liudger Dienel 1.1 Ziele des Buches Dieses Buch präsentiert die Ergebnisse einer sechsjährigen Forschungsarbeit zu seniorengerechter Technik im häuslichen Alltag. Sieben wissenschaftliche Disziplinen haben, gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, unter dem Namen sentha (seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag) in Berlin zusammengewirkt und in enger Kooperation mit engagierten Senioren/innen und Partnern aus Industrie und Dienstleistungen die Möglichkeiten und Grenzen technikgestützter selbstständiger Lebensführung von Senioren/innen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven erforscht. Wir haben dabei das Wissen zum Umgang mit Technik durch Ältere vertieft, neue partizipative Methoden der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen für ältere Menschen entwickelt und exemplarisch auch neue Ideen und Konzepte präsentiert. Technik- und Sozialwissenschaften sind in dieser
Forschergruppe etwa gleich stark vertreten. In dem Buch stellt die sentha-Forschergruppe ein neues Bild und Leitbild der Techniknutzung älterer Menschen vor, beschreibt sodann die von ihr entwickelten Methoden für die Konzeption neuer Produkte und Dienstleistungen und veranschaulicht Visionen und Methoden durch exemplarische Beispiele. In den vergangenen Jahren haben die beteiligten sieben wissenschaftlichen Disziplinen aus den Ingenieur- und Sozialwissenschaften jede für sich und gemeinsam viele Veröffentlichungen vorgelegt, die sich an ihr jeweiliges Fachpublikum wenden. Dieses Buch hat dagegen ein integratives Ziel. Es fasst Gesamtergebnisse zusammen und zeigt Perspektiven für die weitere Entwicklung der seniorengerechten Technik und darüber hinaus einer innovativen seniorengerechten Gesellschaft auf, in welcher der demographische Wandel als Herausforderung und Chance erkannt und aufgegriffen wird. Das Buch wendet sich zugleich an eine breitere Öffentlichkeit, an die Wissenschaft und nicht zuletzt an Politik und Wirt-
ne Narbe, die sich in meiner linken Augenbraue versteckte, fast unsichtbar und nur für Eingeweihte zu erkennen. Ich war 35, als ich mir diesen Cut zuzog. Lieber Oskar, wieviel leichter wäre mir, wenn ich mit dir über den Inhalt des Briefes sprechen könnte. „Charlottchen?“ Oskar berührte meinen Unterarm, ich wandte mich vom Spiegel ab und setzte mich neben ihn in den Fauteuil. Ob ich nervös sei wegen der Quizshow? Die vorgezogene Einladung käme wohl zu plötzlich und schüchtere mich ein. Er drückte liebevoll meine Hand. Noch könne man unter irgendeinem Vorwand absagen und zu Hause bleiben. Unsinn!, meinte ich schroff. Zuviel würde davon abhängen. Und eine Woche früher oder später, was mache das für einen Unterschied? Ich hätte höchstens mehr Zeit, ins Grübeln zu verfallen. Nein, mir sei es recht, dass es schon in zwei Tagen losgehen werde. Die Chance auf einen Gewinn wolle ich mir auf keinen Fall entgehen lassen. Er würde sich sehr darauf freuen, mich zu begleiten, versuchte er mich aufzumuntern. Es sei lange her, dass er eine Reise unternommen habe. Und der Arzt? Hat er keine Einwände? Oskar schüttelte den Kopf. Bei der letzten Untersuchung hätten sich keine Veränderungen gezeigt. Er habe grünes Licht für die Reise erhalten. Ich wollte Oskar jede Aufregung ersparen. Vor einem halben Jahr musste er sich einer Bypass-Operation unterziehen, die, laut Aussage seines Arztes, gut verlaufen war. Trotzdem müsse er in absehbarer Zeit damit rechnen, erneut operiert zu werden. In seinem Fall wäre eine Herztransplantation 9
1. Einführung Hans-Liudger Dienel 1.1 Ziele des Buches Dieses Buch präsentiert die Ergebnisse einer sechsjährigen Forschungsarbeit zu seniorengerechter Technik im häuslichen Alltag. Sieben wissenschaftliche Disziplinen haben, gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, unter dem Namen sentha (seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag) in Berlin zusammengewirkt und in enger Kooperation mit engagierten Senioren/innen und Partnern aus Industrie und Dienstleistungen die Möglichkeiten und Grenzen technikgestützter selbstständiger Lebensführung von Senioren/innen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven erforscht. Wir haben dabei das Wissen zum Umgang mit Technik durch Ältere vertieft, neue partizipative Methoden der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen für ältere Menschen entwickelt und exemplarisch auch neue Ideen und Konzepte präsentiert. Technik- und Sozialwissenschaften sind in dieser
Forschergruppe etwa gleich stark vertreten. In dem Buch stellt die sentha-Forschergruppe ein neues Bild und Leitbild der Techniknutzung älterer Menschen vor, beschreibt sodann die von ihr entwickelten Methoden für die Konzeption neuer Produkte und Dienstleistungen und veranschaulicht Visionen und Methoden durch exemplarische Beispiele. In den vergangenen Jahren haben die beteiligten sieben wissenschaftlichen Disziplinen aus den Ingenieur- und Sozialwissenschaften jede für sich und gemeinsam viele Veröffentlichungen vorgelegt, die sich an ihr jeweiliges Fachpublikum wenden. Dieses Buch hat dagegen ein integratives Ziel. Es fasst Gesamtergebnisse zusammen und zeigt Perspektiven für die weitere Entwicklung der seniorengerechten Technik und darüber hinaus einer innovativen seniorengerechten Gesellschaft auf, in welcher der demographische Wandel als Herausforderung und Chance erkannt und aufgegriffen wird. Das Buch wendet sich zugleich an eine breitere Öffentlichkeit, an die Wissenschaft und nicht zuletzt an Politik und Wirt-
unumgänglich. Seitdem wartet Oskar auf ein Spenderherz. Ich war bei der Unterredung dabei. Zuerst hatte der Arzt ihm nicht viel Hoffnung gemacht. Die Warteliste sei lang, ein passendes Spenderorgan rar und es gäbe eine Anzahl junger Menschen, die es brauchen würden. Ich bin nicht mehr der Jüngste, warum also ein gesundes Herz an mich verschwenden?, hatte Oskar ihm in einem Anflug von Galgenhumor geantwortet. Streichen Sie mich von der Liste! Der Arzt war über Oskars spröden Umgang mit seiner Krankheit irritiert. Er versicherte ihm, dass alles unternommen werde, um ihm zu helfen. Persönlich werde er sich dafür einsetzen, dass Oskar rasch ein neues Herz bekäme. Die Aussage des Arztes wirkte auf mich nicht überzeugend, dennoch schien sie Oskar zu beruhigen. Er fragte sich nicht, woher der plötzliche Sinneswandel rührte und bedankte sich überschwänglich beim Arzt, bevor wir ihn verließen. Als wir allein waren, sagte Oskar, er glaube, dass sein Herz, ob es nun sein altes oder ein neues, geborgtes sei, nicht zu schlagen aufhören werde, bis sich sein Wunsch erfülle. Er wollte seinen Sohn noch einmal sehen, der vor fünfzehn Jahren nach einem heftigen Streit verschwunden war und nie wieder von sich hatte hören lassen. Es war das erste Mal, dass er diesen Wunsch äußerte und es erstaunte mich, als er mich bat, ich solle Eric ausfindig machen. Du willst immer das Unmögliche erreichen, möchtest den Mond umarmen, sagte mein Vater zu mir, als ich ein Mädchen war. Lass es mich doch versuchen, antwortete ich ihm. Nun hoffte ich auf ein neues Herz für Oskar, auch wenn es noch so aussichtslos schien. Es war einfacher als ich dachte, Oskars Sohn Eric aufzuspüren. Im Internet suchte ich nach seiner 10
schaft. Für eine auf Innovation ausgerichtete Politik werden zukünftig bedeutsame Produktfelder identifiziert; gleichzeitig bietet das Buch konkrete Hinweise für Produktentwickler, um diesen Feldern gerecht zu werden. Zugunsten der Lesbarkeit sind Fußnoten möglichst vermieden worden. Dafür gibt es ein Verzeichnis mit weiterführender Literatur zu den einzelnen Kapiteln am Ende des Buches. Die Bedeutung seniorengerechter Technik hat in den letzten Jahren in den meisten Industriestaaten zugenommen. In Skandinavien, Holland, dem angelsächsischen Raum und in Japan ist die Publikationsrate zu Technik und Senioren höher als in Deutschland, allerdings überwiegend beschreibend und nur selten mit dem Anspruch auf neue eigene innovative Lösungen. Die beste empirische Arbeit über die Lebensverhältnisse von Senioren/innen in Deutschland ist nach wie vor die 1996 erschienene Berliner Altersstudie, eine Langzeituntersuchung der Verhältnisse, körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit und der Bedürfnisse von über 400 älteren Menschen.
Die Technik als Freundin des Alters ist in diesen und anderen empirischen Untersuchungen unterrepräsentiert. In der Verbindung von Sozial-, Kultur- und technikwissenschaftlichen Fragen füllt dieses Buch eine Lücke. Ob die hier geschilderten Ansätze aber als »Gerontotechnik« zu einer eigenständigen Disziplin gerinnen sollen, oder ob die Fragestellungen weiterhin besser in multi- und transdisziplinären Kooperationen bearbeitet werden, bleibt offen und umstritten. Das von Heinrich Reents herausgegebene Handbuch der Gerontotechnik hat sein Erscheinen inzwischen wieder eingestellt. Bisher sind kaum Professuren für Gerontotechnik entstanden, allerdings hat sich eine internationale Fachgesellschaft für Gerontechnology etabliert. In der Präsentation der Ergebnisse gehen die Autoren neue Wege. Das Buch besteht aus zwei Abschnitten, einem fachlichen Teil und einem Roman. Zwar gibt es inzwischen eine ganze Reihe wissenschaftlicher Autoren, die ihre Thesen und Konzepte in Form eines Romans veröffentlicht haben. Dazu gehören etwa
Abiturientenklasse, kam von ihr weiter nach Heidelberg, wo er studiert hatte. Ich fand die Telefonnummer eines ehemaligen Kommilitonen heraus. Ein kurzes Gespräch mit ihm und ich bekam Erics Adresse. Oskar vermutete ihn im Ausland. Was für eine Ironie! Eric lebte ebenfalls in Berlin. Aber wie würde Oskar reagieren, wenn sein Sohn ihn nicht sehen wollte? Seine Enttäuschung wäre groß. Obwohl Oskar mich fast täglich fragte, wie denn meine Nachforschungen vorangingen, verschwieg ich ihm mein Wissen, vertröstete ihn mit fadenscheinigen Antworten, gaukelte ihm vor, dass es schier unmöglich sei, ihn nach so vielen Jahren zu finden. Einige Wochen nach seiner Bypass-Operation beschloss ich, ohne Oskars Wissen, brieflich Kontakt mit seinem heute 34-jährigen Sohn aufzunehmen. Ein „Hicks“ löste sich aus meinem Mund. Ich blickte zum Kamin, zu Karl-Otto, der weiterhin beharrlich schwieg. Mit ein bisschen Glück würde in zwei Tagen alles nach Plan verlaufen. Und dann könnte Oskar geholfen werden. Wenn es ihm gesundheitlich wieder besser gehen würde, wollte ich ihm von dem Brief berichten. So zerstreut wie heute, habe er mich selten erlebt, meinte Oskar. Eine Partie Bakkarat mit dem Computer würde mich ablenken. Er werde sich um das Mittagessen kümmern, verabschiedete er sich und rollte aus dem Zimmer. Ich schob die Kette, an der ein kleiner Schlüssel baumelte, über den Hals und sperrte die unterste Schublade meines Schreibtisches auf. Darin lagen mehrere Briefe, zwei von ihnen steckten in lindgrünen Kuverts. Ich legte den Brief, der am Morgen gekommen war, dazu. 11
der amerikanische Experte für Projektmanagement Eliyahu Goldratt mit seinen Romanen zu neuen Konzepten der Kooperation oder der bekannte österreichische Informatiker Hermann Mauerer mit seinen esoterischen Romanen zur Zukunft der Informatik. Die Forschergruppe sentha ist einen anderen Weg gegangen und hat bei der bekannten österreichischen Schriftstellerin Doris Mayer einen Roman in Auftrag gegeben, der das in gemeinsamer Forschung konzipierte Leitbild seniorengerechter Technik auf neue Art zum Ausdruck bringt. Doris Mayer hat die Forschergruppe beobachtet und interviewt und sodann in völliger Freiheit ihren Roman geschrieben, der hier gemeinsam mit dem fachlichen Teil veröffentlicht wird. 1.2 Teilprojekte In der auf sechs Jahre angelegten Forschergruppe haben sieben Disziplinen sowie zahlreiche Praxispartner und engagierte Senioren/innen zusammengearbeitet, die in aller Kürze vorgestellt werden sollen:
Die Sozialwissenschaften (Berliner Institut für Sozialforschung) haben neben vielen qualitativen Befragungen und Beobachtungen von Senioren in der Bedienung häuslicher Technik auch die in Deutschland bisher größte quantitative Befragung von über 1400 Senioren/innen ausgewertet. Sie können empirisch belegen, dass vor allem die jüngeren Senioren auf neue technische Angebote zur Verbesserung der selbstständigen Lebensführung positiv reagieren und sich mehr und besser auf sie zugeschnittene Technik wünschen. Die Arbeitswissenschaft (Technische Universität Berlin/TU Berlin) hat mittels Befragungen und Tests Belastungsprofile problematischer Aufgaben im Haushalt erstellt und eine Fülle von Gestaltungsmängeln von Haushaltsgeräten sowie individuelle Kompensationsmechanismen von defizitärer Technik sichtbar gemacht. Bei der Konzeption des Learning Home hatte die Arbeitswissenschaft eine zentrale Funktion. Das Teilprojekt Design und Produktgestaltung (Institut für Gestaltung der Universität
...am nächsten Tag um 12h 47... Charlotte Ruhland stand in ihrem Zimmer vor dem Spiegel, stützte sich mit den Unterarmen auf dem Kaminsims ab, blickte zu Karl-Otto und verschränkte ihre Finger ineinander, als könne sie damit alles Unheil, das die Welt für sie parat hielt, abwehren. „Ich werde bestimmt in Ohnmacht fallen und mich fürchterlich blamieren.“ Gebannt sah sie zu Karl-Otto. „Nun sag doch endlich was, zum Teufel noch mal!“ Er schwieg beharrlich und Charlotte schüttelte verdrossen den Kopf. „Ich brauche deinen Rat. Jetzt! Warum redest du nicht mit mir?“ Eindringlich blickte sie zu ihm. Stille. Bis auf das Ticken der Uhr. „Wenn ich dich nicht besser kennen würde, könnte ich meinen, du verzeihst mir meine Affäre mit Oskar nicht.“ Da er weiter keinen Ton von sich gab, wandte sich Charlotte ab und setzte sich in den Fauteuil, der neben dem Klavier stand. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Es klopfte an der Zimmertür. Charlotte wollte in Ruhe gelassen werden, so hatte sie es nach dem Mittagessen vor einer halben Stunde im Gemeinschaftsraum verlangt. Widerwillig quetschte sie ein „herein“ durch die Lippen. Die linke Hälfte der Tür öffnete sich und Isolde, in einem olivgrünen Seidenhosenanzug, schwebte herein. „Und? Was hältst du davon?“ 12
der Künste) hat Markt- und Imagestudien von Produkten durchgeführt und dabei gezeigt, wie eingeschränkt krankenorientiert der Auftritt der meisten Produkte ist und wie dies den Markterschließungsgrad dieser Produkte schmälert. Zugleich wurden viele neue Produkte konzipiert und in Ausstellungen präsentiert. Die Konstruktionsmethodik (TU Berlin) hat übliche Haushaltsgeräte auf Schwachstellen hin analysiert und Anforderungsprofile für Verbesserungen und Umkonstruktionen abgeleitet. In einem zweiten Schritt wurden diese Informationen, Verbesserungen und Vorgehensweisen in ein Wissenssystem integriert, welches Daten und Methoden für die Arbeit von Entwicklungsingenieuren bereithält, wobei vor allem die Möglichkeiten zur Einbindung von Senioren in den Entwicklungsprozess thematisiert wurden. Die Medizintechnik (TU Berlin) hat mit Fehlerbaumanalysen die Gerätesicherheit von Produkten bewertet und sodann beispielhaft sicherheitstechnisch verbesserte Produkte konzipiert.
Die Kommunikationstechnik (Brandenburgische Technische Universität Cottbus/BTU Cottbus) hat die auf dem Markt und in der Entwicklung befindlichen Vernetzungstechnologien im Wohnbereich im Hinblick auf Defizite untersucht und dabei nachgewiesen, dass Kabelinstallationen in bestehenden Wohnungen in der Regel den Seniorenhaushalten nicht mehr zuzumuten sind. In einem zweiten Schritt wurden in Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen nutzerfreundliche drahtlose Vernetzungen und Lösungen für das Smart Home entwickelt. Am Zentrum Technik und Gesellschaft (TU Berlin) wurden in einem ersten Schritt in vergleichenden Experteninterviews von Architekten, Gerontotechnikern und Haustechnikern ermittelt, wieso die so genannte barrierefreie Technik im Wohnbereich bisher nur einen kleinen Marktanteil erzielt, sich also überwiegend nicht durchgesetzt hat. Sodann wurden mit dem Kontrastraumansatz neue Konzepte für seniorengerechte Wohnungen entwickelt und neue Verfahren der Kooperation von Wissen-
Sie drehte sich im Kreis, stoppte und sah Charlotte erwartungsvoll an. Ob ihr die Kleidung gefalle? „Wer ist denn nun die Hauptperson, du, oder ich?“, fuhr Charlotte sie an. Ihretwegen könne sie auch nackt erscheinen, im Wohnmobil werde sie ohnehin niemand sehen, schleuderte sie Isolde entgegen, die sie beleidigt ansah. „Bilde dir nur ja nichts darauf ein, dass du es geschafft hast!“, giftete sie zurück. „In der Mitte sitzt du deswegen noch lange nicht. Und dein Karl-Otto will wohl auch nichts davon wissen. Oder hat er sich etwa dazu geäußert?“ Vom Gang her war ein Quietschen zu vernehmen, gleich darauf schob sich auch der rechte Flügel der Tür auf und Oskar fuhr mit seinem Rollstuhl ins Zimmer. „Kannst du nicht anklopfen?“, rief Charlotte. Der eine Teil der Tür sei offen gestanden, meinte Oskar und fuhr sich durchs dichte weiße Haar, das ihm bis zu den Schultern reichte. „Findest du es tatsächlich passend, mit dieser Mähne als meine Begleitperson zu erscheinen?“ Er müsse unbedingt zum Frisör, forderte Charlotte. „Jetzt hab dich nicht so, Charlottchen“, beschwichtigte Oskar. Wenn sie unbedingt auf einer Veränderung bestehe, dann werde er die Haare zu einem Pferdeschwanz im Nacken zusammennehmen. Er wolle wohl Karl Lagerfeld, der um einige Jahre jünger als Oskar sei, imitieren, lachte ihn Isolde aus. „Es ist umgekehrt! Lagerfeld macht mich nach. Außerdem ist er fast gleich alt wie ich. Auch wenn er es nicht zugibt.“ 13
schaft, Wirtschaft und Gesellschaft in der Produktentwicklung ausprobiert. Neben den sieben Disziplinen arbeiten im sentha-Netzwerk ein Seniorenbeirat (Senior Research Group) und eine Industriebeirat. Die Arbeiten der Teilprojekte und Beiräte fließen zusammen in der Entwicklung der sentha-Methode für die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen für mehr Selbstständigkeit im Alter. 1.3 Neues Leitbild Selbstständige Lebensführung hat für ältere Menschen einen sehr hohen Stellenwert. Mit dem häufig gehörten Satz »Am wichtigsten ist doch die Gesundheit« ist im Kern vielfach diese Eigenständigkeit gemeint. Wenn das so ist, warum gibt es dann für die große und wachsende Gruppe älterer Menschen nur vergleichbar wenige Produkte und Dienstleistungen, die diesem Bedürfnis entgegenkommen? Die sentha-Forschergruppe argumentiert angebotsorientiert und sagt, es fehlen oft noch gute Produkte und Dienstleistungen. Sie hat daraufhin eine Methode für die Konzeption
neuer seniorengerechter Produkte und Dienstleistungen entwickelt, die sentha-Methode, welche auch auf andere fokusgruppenspezifischen Angebote übertragbar ist. Die sentha-Methode für die Konzeption seniorengerechter Produkte besteht aus drei Ebenen, einer normativen Ebene, einer strategischen und einer operativen. Die konkrete operative Ebene der sentha-Methode wird in Kapitel vier, die strategische Ebene in Kapitel sieben beschrieben. Deshalb können wir uns hier auf die grundlegende normative Ebene konzentrierten. Auf der normativen Ebene hat sentha neue Leitbilder für die Entwicklung seniorengerechter Technik formuliert und breit kommuniziert. Die Erarbeitung der Anforderungen an seniorengerechte Technik hat gezeigt, dass die heute als spezifisch seniorengerecht angebotenen und beworbenen Produkte den Bedürfnissen der Senioren nur teilweise entsprechen und das Marktpotenzial für seniorengerechte Produkte keineswegs ausschöpfen. Das Selbstverständnis, aber auch die gesellschaftliche Sicht
„Ruhe!“, forderte energisch eine Stimme. Ricardo hatte ebenfalls Charlottes Zimmer betreten und bewegte sich geschmeidig, in einer Hand einen Gehstock, auf sie zu. „Wir alle haben volles Verständnis für deine Nervosität, aber die gibt dir nicht das Recht, an uns herumzunörgeln.“ Wenn sie einen Rückzieher machen wolle, dann solle sie es jetzt sagen. Charlotte schüttelte den Kopf. Nein, sie werde das mit ihnen durchziehen. Sie solle sich beruhigen, alles werde wie geplant ablaufen. Sie sei angespannt, aufgeregt. Sie solle daran denken, wie sie in ihrer Jugend auf der Bühne gestanden sei, da habe sie vor Premieren doch auch ihr Lampenfieber bezwungen. Das liege schon lange zurück, meinte Charlotte, der Ricardos Aufmerksamkeit gefiel. Der Mund in seinem Gesicht verzog sich zu einem Lächeln und unwillkürlich musste sie zurücklächeln. „Im Übrigen“, meldete sich Isolde zu Wort, „der Hosenanzug, den ich gerade trage, ist für dich gedacht.“ Sie habe ihn ihr vorführen wollen. Es müsse ihr doch aufgefallen sein, dass das Kleidungsstück für sie selbst um zwei Nummern zu groß sei. Höchstens um eine, begehrte Charlotte auf. Man habe beschlossen, ihr ein flottes Outfit zu verpassen, das rote Kleid, das Charlotte ausgesucht habe, sei viel zu langweilig für den Auftritt, lenkte Isolde ein. Da könne sie doch gleich das altmodische Kostüm tragen. Sie deutete zur Schaufensterpuppe, die neben der Tür stand. Sie trug eine Jacke mit Glasknöpfen und einen Rock, der bis zum Boden reichte. Der hellblaue Stoff war mit gelben und rosafarbenen Blüten verschiedener Blumensorten bestickt, weiße Rüschen aus Organza zierten den Kragen 14
der Senioren, ist positiver als noch vor einigen Jahren. Die Bereitschaft, etwas Neues auszuprobieren, auch neue Technik kennen zu lernen, und die Bereitschaft, in Technik zu investieren, ist gewachsen. Die seniorengerechte Technik geht auf diese gesellschaftlichen Veränderungen bisher nur zögerlich ein. Die klassischen Leitbilder seniorengerechter Technik, nämlich das Leitbild der Barrierefreiheit und das Leitbild des »Design for all«, sind ergänzungsbedürftig. Das Leitbild der Barrierefreiheit, wie es sich etwa in den Konzepten altengerechten Wohnens (DIN 18024/18025) und barrierefreier Produkte (DIN 33455) spiegelt, konzentriert sich nach wie vor auf die technische Kompensation körperlicher Defizite und Absenkung physischer Barrieren, etwa durch Rampen, Haltegriffe und Mindestbreiten. Das bisher benutzte Leitbild ist damit geprägt von einer Technik für Körperbehinderte. Von dort aus hat es sich entwickelt und in der Erweiterung auch mentale Barrieren, etwa das Verständnis für Betriebsanleitungen, in die Analysen und Kon-
zepte integriert. Damit gilt für viele Planer und Ingenieure, die mit dem Leitbild der Barrierefreiheit für Senioren arbeiten, dass Alter eine somatische »Krankheit« sei und seniorengerechte Technik die altersbedingten Funktionseinbußen kompensieren solle. Doch diese Konzepte der Barrierefreiheit führen die Produkt- und Dienstleistungsgestaltung für Senioren optisch und technisch in Richtung auf eine »Krankenhauslösung«. Aus gutem Grund zögern die Hersteller von Technik für den häuslichen Alltag, dieses Leitbild für ihre Produkte zu übernehmen. Es hat nicht mehr die koordinierende, motivierende, ausrichtende Funktion, die man von einem Leitbild erwarten könnte. Es ist ergänzungsbedürftig. Ähnliches gilt für das Leitbild des »Design for all«. Die ursprüngliche Abgrenzungsbewegung dieses Leitbilds von der stigmatisierenden Technik, die in Sanitätshäusern für Körperbehinderte und Senioren angeboten wurde, ist völlig berechtigt. Die in Sanitätshäusern angebotene häusliche Technik für Ältere hatte die Benutzer diskreditiert, älter und hilfloser
und den Rocksaum. Ein breitkrempiger Hut, mit aus Kunststoff gefertigtem Obst überladen, saß auf dem gesichtslosen Kopf. Es war eines der Bühnenkostüme, das Charlotte bei den Proben zu My Fair Lady getragen hatte. In dieser Kleidung hatte sie sich wohl gefühlt. Isolde drehte sich noch einmal im Kreis. Der Hosenanzug sei geradezu ein Schnäppchen gewesen und sie habe bei diesem Designerstück einfach zuschlagen müssen, ihn mit einem ‚Klick‘ der Maus kostengünstig im Internet ersteigert. Charlotte wunderte sich. Bis jetzt hatte sich Isolde geweigert, im Internet zu surfen. Woher dieser plötzliche Sinneswandel? Sie habe in Erfahrung gebracht, erzählte Isolde, dass sie die Folgen ihrer Lieblingsserie, noch bevor sie im Fernsehen ausgestrahlt würden, aus dem Internet herunterladen könne. Deswegen habe sie heimlich einen Computerkurs besucht und sei nun auf den Geschmack gekommen. Außerdem müsse man mit der Zeit gehen, sie wolle nicht zur „Generation Doof“ gehören. „Nimm die Beruhigungstablette, dann geht es dir besser.“ Isolde reichte sie ihr. Charlotte lehnte ab, das Medikament zeige bei ihr eine gegenteilige Wirkung. Sie solle optimistisch sein, positiv denken, munterte Oskar sie auf. Außerdem werde er an ihrer Seite sein. Viel zu weit entfernt, warf sie ein. „Bist du sicher, dass du mitkommen kannst?“ Oskar bejahte. Der Arzt habe ihm ausdrücklich die Erlaubnis für die Reise erteilt. Er habe ihr das doch schon gesagt. Und sie solle ihre Abmachung nicht vergessen. Kein Wort über sein krankes Herz. Charlotte versprach, sich daran zu halten. Ricardo zeichnete mit der Spitze des Gehstocks ein O.K. auf den Teppich. Es sei alles perfekt organisiert, auch, wenn die Zeit dafür kaum gereicht habe. Niemand 15
erscheinen lassen als notwendig. »Design for all« war aufgebrochen, Produkte so zu gestalten, dass ältere und junge Menschen sie benutzen können und wollen. Es unterstrich damit die so genannte Lupenfunktion der seniorengerechten Technik: Probleme, die durchaus auch junge Menschen haben, zeigen sich im Alter oft stärker. Seniorengerechte Technik ist in diesem Sinne auch für junge Menschen attraktiv – man denke nur an den sich um 90 Grad heraus- und hereindrehenden Fahrersitz beim Auto, der auch für jüngere Menschen bequem und attraktiv ist. Doch das Leitbild des Design für alle Lebensalter nimmt der Entwicklung seniorengerechter Technik und Dienstleistungen auch Entwicklungsspielräume. Zum einen hat es einen kaschierenden Zug und Beigeschmack. Seniorengerechte Produkte werden so gestaltet, dass ihre Seniorengerechtheit nicht mehr aufscheinen soll. Damit wird unterschwellig die Stigmatisierung sogar betont. Oft ist zum zweiten das äußerliche Verneinen der Seniorengerechtheit gar nicht mehr nötig, weil sich in bestimmten Bereichen das Bild des
Seniors in der Gesellschaft bereits deutlich verbessert hat und Produkte unverhohlen als seniorengerecht beworben werden können. Entscheidend aber ist drittens, dass der »Design for all«-Ansatz die fokusgruppenspezifische Zuschneidung von Produkten und Dienstleistungen unterbewertet, weil er ja alle im Blick haben will, und damit viele Chancen der Konfigurierung von Produkten für spezifische Nutzergruppen, die man genau kennt und versteht, aus der Hand gibt. Doch die Identifizierung von spezifischen Bedürfnissen einzelner Nutzer und Nutzergruppen in der seniorengerechten Technik- und Dienstleistungsentwicklung bietet gerade für ein nischenorientiertes Industrieland wie Deutschland nachhaltige Wachstumschancen. Es ist zudem zu erwarten, dass die Heterogenität unserer Gesellschaft weiter zunimmt und damit auch die Notwendigkeit der nutzergruppenorientierten Produktgestaltung. Nutzergerechte Technik aber ist nicht »Design for all«, sondern sie folgt nutzerspezifischen Anforderungen. Noch vor wenigen Jahren fand man unter
von ihnen konnte schließlich damit rechnen, dass sie bereits morgen starten würden. Er werde mit Emma und Isolde, samt Charlottes Neffen Max, im Wohnmobil sitzen. Gemeinsam mit ihm habe er noch einmal gründlich die beiden Computer gecheckt und die Lexika bereitgelegt. Ricardo verbeugte sich leicht und überreichte Oskar den Gehstock, auf dem sich ein ziselierter, silberner Knauf befand. „Voilà.“ Er solle dieses edle Stück behandeln wie ein zartes Pflänzchen, den Knauf wie die Brüste einer jungen Frau. „Das kann nicht gut gehen“, jammerte Charlotte. Nun habe er aber genug!, fuhr Ricardo sie unwillig an. Sie müsse da durch. Und sie solle an das Geld denken und an Oskar. Er griff in seine Jackentasche und zog ein Plüschtier hervor. Sie solle das Maskottchen wie ihren Augapfel hüten, beschwor er sie. Solange es bei ihr sei und sie sich an die Instruktionen halte, könne nichts schiefgehen, er verspreche ihr, dass alles reibungslos funktionieren werde. Zögernd nahm Charlotte das Maskottchen, eine Löwin, an sich. Kleine, runde Glasaugen mit schwarzen Pupillen versteckten sich im Fell. Die Iris leuchtete honiggelb daraus hervor. Und sie habe sich die Notizen genau eingeprägt? Sie bejahte, sie habe sogar in der vergangenen Nacht von der richtigen Reihenfolge geträumt. „Es ist Zeit, Charlotte“, schnorrte eine wohlklingende tiefe Männerstimme vom Kaminsims. „Karl-Otto?“, kreischte Isolde und lief zur Tür. Hysterisch schreiend rannte sie weiter auf den Gang. Sie solle sich beruhigen, rief Charlotte, dies sei die neue Pillendose, die gestern mit der Post gekom16
men sei. Isolde verstummte. Die Pillendose melde sich alle paar Stunden. Langsam kam Isolde zurück. Einmal am Tag erinnere sie Charlotte, ihre Vitamintablette einzunehmen. Und sie grüße freundlich, jedes Mal, wenn man sie öffne. Nun ja, sie habe nicht wirklich geglaubt, dass die Stimme ... Isolde lachte auf, griff nach der Pillendose. Hübsch, meinte sie. Der emaillierte Paradiesvogel auf der Vorderseite gefalle ihr, bewunderte sie übertrieben das Döschen. Charlotte wusste, dass sie es kitschig fand, offenbar mit ihren Worten von ihrer Reaktion ablenken wollte. „Eine Versammlung? Ohne mich?!“ Emma stürmte ins Zimmer, fuchtelte mit ihren Händen wild durch die Luft, als wolle sie mit einer eigenwilligen Interpretation des Radetzkymarsches mit dem Dirigenten des Neujahrskonzertes konkurrieren. Ihr Arbeitsmantel, einstmals weiß, schimmerte in vielen Farben. Das Ergebnis ihrer künstlerischen Arbeiten als Malerin, ihr einziges interessantes Werk, wie Ricardo süffisant feststellte. Anstelle eines Parfums verströmte sie den Geruch von Firnis. Emma lehnte sich schwungvoll neben Isolde auf das Kaminsims und stützte ihre Ellenbogen darauf ab. Heftig, viel zu heftig. Die Platte auf dem Kaminsims wackelte. Charlotte sah, dass die Urne, ein mit Posaunenengeln verziertes Porzellangefäß, zu rutschen begann. Noch ehe sie sich erheben konnte, kippte die Urne über die Kante, streifte Emmas Fingerspitzen, die sie nicht aufzuhalten vermochten und zersplitterte auf dem verfliesten Boden vor dem Kamin. Stille. Selbst das Ticken der Uhr war nicht zu hören. Charlotte schien mitten in der Bewegung eingefroren zu sein, ihren Mund weit geöffnet. Eine graue Wolke stieg vom Boden auf. Oskar hustete. 17
dem Stichwort »seniorengerechte Technik« im Wesentlichen Rehabilitationstechnik, die in Sanitätshäusern mehr abgegeben als verkauft wurde. Die Entwicklung neuer technischer Produkte zur Unterstützung der selbstständigen Lebensführung älterer Menschen ist heute als Forschungsfeld wichtiger als je zuvor: Sozialwissenschaftler stellen ein wachsendes Bedürfnis nach technischen Hilfen und Produkten für Senioren fest. Für die Wirtschaft stellt die neue Generation eine noch weitgehend unausgeschöpfte Zielgruppe für neue Produkte und Dienstleistungen dar. Die Politik drängt auf die zunehmende Berücksichtigung der Bedürfnisse von Senioren, da sie ein entscheidendes und weiter wachsendes Wählerpotenzial darstellen. Und auch die Ingenieure schließlich stellen sich zunehmend darauf ein. Auf diese Weise kann die Arbeit der Forschergruppe der so genannten Gerontotechnik neue Anwendungen erschließen – also die Aufmerksamkeit auf Bedürfnisse von Senioren lenken, die von den bisher vorhandenen technischen Angeboten noch vernachlässigt werden.
Es ist ein neues Leitbild gefragt, das den bestehenden Ansatz der Barrierefreiheit im Sinne einer Förderung von Potenzialen und Bedürfnissen ergänzt und ablöst. In der Forschergruppe sentha sind solche Ansätze auf unterschiedliche Weise entwickelt worden. In der Gesundheitsforschung spricht man von »salutogenetischen Ansätzen«, wenn die Gesundheit gefördert und nicht (wie in pathogenetischen Ansätzen) nur die Krankheit bekämpft wird. Beispielhaft für diesen neuen Ansatz sei das im sentha-Projekt entwickelte Kontrastraumkonzept erwähnt. Es erlaubt ein Nachdenken über die Ausgestaltung seniorengerechter Wohnungen, ohne die Kategorie der Barrierefreiheit, die so schnell den Blick auf andere Bedürfnisse verstellt, in den Mittelpunkt zu stellen. Brauchen Menschen zur Entfaltung ihrer Persönlichkeit Kontrasträume und Kontrastzeiten, in denen sie sich selbst erfahren können? Wir meinen, ja. Eine kontrastarme Umgebung lässt Kompetenzen verkümmern. Eine kontrastreiche Gestaltung verhin-
Ricardo fing sich als erster. Mit den Worten, das werde er gleich haben, verschwand er aus Charlottes Zimmer, während die anderen noch immer fassungslos auf die Porzellanscherben blickten. Isolde begann zu weinen. Das habe sie nicht gewollt, startete Emma den Versuch, sich zu verteidigen. Charlotte zischte, sie solle den Mund halten. Isolde schluchzte. Wie oft habe sie darauf hingewiesen, dass die Platte auf dem Kaminsims locker sei. Ricardo kam zurück, in seinen Händen einen Handstaubsauger, unter einen Arm hatte er eine Thermoskanne geklemmt. Die Asche müsse vorübergehend mit einem Ausweichquartier vorlieb nehmen, solange, bis man ein passendes Gefäß besorgt habe. „In die Thermoskanne?... Niemals!“, empörte sich Charlotte. „Willst du sie lieber auf dem Boden liegen lassen?“ Sie solle sich vorstellen, das Fenster sei geöffnet und ein plötzlicher Windstoß würde die Asche im ganzen Haus verteilen, versuchte Ricardo, sie von der Richtigkeit seines Handelns zu überzeugen. „Schrecklich“, heulte Isolde. Emma zupfte nervös an ihren aufgesteckten Haaren und befestigte eine herausgerutschte lange Strähne mit einer Schiebespange. Ricardo bückte sich, schaltete das Gerät ein und saugte die Asche auf. Charlotte, paralysiert, leistete keinen Widerstand, sah ihm argwöhnisch zu. Sie werde, nahm sie sich vor, eine dieser hochintelligenten Urnen im Internet bestellen, bruchsicher und mit Sensoren ausgestattet, die, wenn man zwei Mal in die Hände klatscht, Beethovens Neunte spielen.
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dert dies. Im Alter vermindern sich jedoch in aller Regel die fürs Wohlbefinden so wichtigen Kontraste und Kontrasträume. Trotz der oft beschriebenen hohen Mobilität der »neuen Alten« verbringen Senioren/innen nach wie vor den überwiegenden Teil des Tages in ihrer Wohnung. Mit fortschreitendem Alter nimmt die Konzentration auf die eigenen vier Wände zu. Umso wichtiger sind Kontrasträume und Angebote in der eigenen Wohnung. Die vorgeblich seniorengerechte Pflegewohnung von anderthalb Zimmern kann solche Kontraste nicht liefern. Für die Kompetenzerhaltung wäre vor allem eine Raumaufteilung nach positiv empfundenen Tätigkeiten interessant: also unterschiedliche Plätze zum Kochen und Essen, Musizieren, Mit-Enkeln-Spielen und Lesen. Eine Technikstube als Tor zur Welt, zum technisch vermittelten virtuellen Verlassen der physischen Umgebung per Telefon, Fernsehen und Computer. Natürlich müssen wir fragen, wer sich dies im Alter leisten kann. Der wachstumsorientierte Ansatz ist volkswirtschaftlich gesehen eher Chance als Bedrohung.
Im Zusammenhang dieser Vorstellungen können neue Produktwelten entstehen, die zwar allgemein akzeptierte technische und bauliche Hilfsmittel für Körperbehinderte nicht ausschließen, aber viel stärker als bisher die individuellen Lebensbedürfnisse von Senioren identifizieren und aufnehmen. Die Technikentwicklung würde nicht mehr durch kompensatorische Modelle die Angst von Senioren vor Pflegebedürftigkeit schüren, die statistisch nur wenige und oft nur kurze Zeit trifft, sondern an Ressourcen und Interessen anknüpfen. Manche mögen diese Vorstellung unter ökonomischen Gesichtspunkten utopisch finden, doch Alter hat schon lange nicht mehr das Adjektiv »arm« als treuen Begleiter. Die jungen Alten verfügen nicht nur über überdurchschnittlich viel Vermögen, sie sind auch bereit zum Konsum, denn ihr Selbstbild als Alte hat sich in den letzten Jahrzehnten fundamental gewandelt. Neben die Sorge um Kind und Kindeskinder sind die eigene Lebensfreude und Lebensqualität getreten, so dass die Vision einer Technik für Senioren, die genauso vielfältig
… Showtime …
Wenn Karl-Otto mich jetzt sehen könnte, dachte Charlotte, als sie in Begleitung eines jungen Mannes aus der Studiokantine trat und einen Korridor entlang ging, würde er vor Neid platzen, war sie überzeugt. Man könne sich hier leicht verlaufen, er werde sie aber sicher an ihr Ziel bringen, meinte der junge Mann charmant, während Charlotte mit seinen ausholenden Schritten mitzuhalten versuchte. Das eifrige Geklapper ihrer Stöckelschuhe auf dem Boden erinnerte sie an einen Trommelwirbel im Zirkus, der die Gefährlichkeit einer Trapeznummer unterstrich. Der junge Mann zwinkerte ihr zu. Er hat wunderschöne grüne Augen, fand Charlotte. Die Farbe glich dem Wannsee, auf dem sie mit Karl-Otto vor vielen Jahren eine Bootsfahrt unternommen hatte. Ihr Zwerchfell zog sich zusammen, ein „Hicks“ drückte sich über ihre Lippen. Wie peinlich. Aber der junge Mann schien es nicht bemerkt zu haben, oder er tat so, weil er sie nicht in Verlegenheit bringen wollte. Eine Tür reihte sich, verbunden mit weißen Kabeln, die an den Oberkanten der Türstöcke befestigt waren, wie rechteckige Perlen auf einer Schnur, an die andere. Wieder ein „Hicks“. Der junge Mann drehte sich kurz zu ihr, lächelte. Den Schluckauf hatte sie Karl-Otto und seiner Eifersucht zu verdanken! Brot. Man müsse an Brot denken, hatte Charlotte unlängst in einem Ratgeber im Internet gelesen, dann vergehe der Schluckauf. Brot. Sie dachte an Weißbrot, an Schwarzbrot, an Olivenbrot. „Hicks“. Es wirkte nicht. Hatte sie die falsche Brotsorte erwischt? Sie werde eine deftige E-Mail 19
und interessant ist wie die Zielgruppe, einmal Wirklichkeit werden könnte. Allerdings müssen wir berücksichtigen, dass der demographische Wandel auf lange Sicht die materielle Situation der Senioren/innen wahrscheinlich wieder verschlechtern wird, wenn die eigene Vorsorge für das Alter nicht deutlich zunimmt. Soweit zur normativen Ebene. Auf der strategischen Ebene hat sentha neue Anforderungen an seniorengerechte Produkte entwickelt und mit dem Learning Home ein Verfahren vorgeschlagen, die Erfüllung dieser Anforderungen bei Produkten konkret zu testen. Dies ist ein wesentlicher Fortschritt gegenüber den zahlreichen Zertifizierungen seniorengerechter Produkte, die fast ausschließlich Kategorien der Barrierefreiheit und Sicherheit in ihren Tests gewichten. Im Learning Home werden die Produkte zuerst hinsichtlich ergonomischer Kriterien und der Akzeptanz untersucht. Danach erfolgt die Bewertung in der gesamten Forschergruppe und im Anschluss daran die Verbesserung der Modelle. Damit stellt das Learning Home eine Weiterentwicklung des
Usability-Labs dar. Die positiven Erfahrungen verschiedener Usability-Labs zur Entwicklung seniorengerechter Technik im industriellen Kontext sind in die Konzeption des Learning Home eingeflossen. Das Learning Home ist Test-, Simulations- und Entwicklungslabor in einem und der zentrale methodische Baustein für die Realisierung und Bewertung von Produktmodellen und Produkten. Auf der operativen Ebene hat sentha neue Verfahren der Zusammenarbeit entwickelt, etwa die multidisziplinäre Validierung. Sie werden in Kapitel 4 vorgestellt. 1.4 Aufbau des Buches Auf die Einleitung folgen fünf Kapitel. Kapitel 2 beschreibt auf der Basis der bisher größten empirischen Studie die Senioren/innen, ihre Technikeinstellung, Techniknutzung und Akzeptanz von neuen Netzwerktechnologien. Kapitel 3 beschreibt die gegenwärtig vorhandenen und in den nächsten Jahren zu erwartenden technischen Angebote im Smart-Home. Kapitel 4 skizziert sodann die gemeinsam ent-
schicken, sich beschweren, nahm sie sich vor. Charlotte stolperte. Wahrscheinlich über einen Brotlaib, der eine Tarnkappe trägt, mutmaßte sie und musste über den unsinnigen Gedanken lachen. Was sie habe? Der junge Mann blieb kurz stehen. Nichts, meinte Charlotte und bemerkte erleichtert, dass der Schluckauf verflogen war. Nach der langen Fahrt im Wohnmobil fühlte sie sich ausgelaugt. Die Eindrücke der letzten Stunden und die neue Umgebung hinterließen in ihrem Kopf das emsige Gesumme, das im Inneren eines Bienenstocks herrscht. Auf manche Türen waren Plakate geklebt. Eines zeigte den Kölner Dom, ein anderes eine Menschengruppe in bunter Verkleidung während des Kölner Karnevals. Sie hätte gerne einige Sehenswürdigkeiten der Stadt besichtigt, aber die Zeit, die sie in Köln verbrachte, reichte dafür nicht aus. Vielleicht könnte sie morgen, bevor sie sich wieder auf den Weg nach Hause machten, Oskar und die anderen zu einer Spritztour auf die Pferderennbahn überreden. Ein wenig außer Atem, teils wegen des Tempos, das ihr Begleiter vorgab, teils aus Nervosität, war sie froh, als er wieder stehen blieb. Dies sei ihre Garderobe, verabschiedete sich der junge Mann von ihr, wandte sich ab und schritt den Korridor entlang, an dessen Ende er nach rechts abbog. Sie klopfte und betrat den Raum. Die Maskenbildnerin, die Charlotte von der Nachmittagsprobe kannte, begrüßte sie, bat sie, neben der anderen Kandidatin, die eine Fotografie verkrampft in der Hand hielt und kurz nickte, Platz zu nehmen. Charlotte nahm ihre Augengläser herunter, klappte die Bügel zusammen und legte sie vor sich auf den Schminktisch. Sie strich vorsichtig über die Kante des Tisches, fand, dass sie beängstigend scharf war und rückte ihren Sessel ein wenig zurück. Die 20
wickelte sentha-Methode in ihren sieben Dimensionen und konzentriert sich dabei auf die drei Dimensionen der operativen Ebene. Die Auswirkungen auf die Produktgestaltung werden in Kapitel 5 und die auf Produktentwicklung in Kapitel 6 vorgestellt. Das Thema der seniorengerechten Technik bleibt aus vielen Gründen ein Zukunftsthema. Der demographische Wandel, der neue Blick auf die Alten als einer innovativen Generation und Hoffnungsträger mit gewachsenen finanziellen Spielräumen wird die seniorengerechte Technik für viele Jahre zu einem fast unbegrenzten Wachstumsmarkt machen. Auch in anderen Ländern hat das Altenheim als Leitbild ausgedient, werden neue Lösungen für die selbstständige Lebensführung im Alter wirtschaftlich immer entscheidender. Der zeitliche Vorlauf des demographischen Wandels in Deutschland erweist sich damit als Glücksfall, werden doch hier Auffanglösungen und neue Produkte entwickelt, die sich in wenigen Jahren auch in den Teilen der Welt verbreiten, in denen derzeit Senioren noch eine Randgruppe
ohne große eigene finanzielle Spielräume sind. Die Entwicklungsrichtung ist dabei eindeutig: Sie geht auf der Produkt- und Dienstleistungsebene in Richtung Selbstständigkeit und seniorenspezifische Aufgaben und Wünsche. Die Forschergruppe hat sich nach dem Ende der DFG-Förderung als eingetragener Verein ein neues Dach gegeben und ist bereit, diese Entwicklung von Berlin aus aktiv mitzugestalten.
Maskenbildnerin trällerte ein Lied, während sie sich an ihr zu schaffen machte und Rouge auf die Wangen auftrug. Sie ist nicht sehr musikalisch, fand Charlotte, dennoch erkannte sie den Song, den die Tochter des Gemüsehändlers gerne hörte. Sie blickte kritisch in den Spiegel, den, gleich einem Passepartout, Neonröhren umgaben. Ein Spiegel, mit Glühbirnen umrandet, hing in der Garderobe des Theaters, an dem Charlotte vor vielen Jahren engagiert gewesen war. Ein leichtes Schwindelgefühl befiel sie, als Rauch in ihre Nase stieg. Die junge Frau neben ihr hatte sich mit einem Streichholz eine Zigarette angezündet. Rauchkringel hoben sich in die Luft. Die Maskenbildnerin hatte sich abgewandt, wusch sich im Waschbecken die Hände. Brandgeruch. Panik stieg in Charlotte auf. Gänsehaut kroch über ihre Unterarme, sie fühlte, wie die Härchen sich aufrichteten. Nur nicht hyperventilieren, ruhig bleiben! Sie tastete nach der Plastiktüte, die vor ihr lag, ließ den Apfel, der sich darin befand, auf den Schminktisch rollen. Mit zitternden Händen formte sie aus der Öffnung einen Trichter, führte ihn zum Mund und atmete aus, bis sie das Gefühl hatte, dass keine Luft mehr in ihren Lungen war und die Tüte sich bis zum Zerreißen spannte. Langsam atmete sie wieder ein, bis das Plastik den Mund und die Nasenlöcher verschloss. Schon beim zweiten Ausatmen beruhigte sie sich. Das Plastik verfärbte sich milchig weiß. Die Maskenbildnerin trat hinter Charlottes Sessel. „Was ist denn mit Ihnen?!“, kreischte sie. Es gehe schon wieder, keuchte Charlotte. Sie wolle ein Glas Wasser. Die Maskenbildnerin rannte zum Waschbecken. Die Garderobentür öffnete sich. Eine junge Frau, Flora, sie hatte sich bei der Probe als 21
eine der Regieassistentinnen vorgestellt, betrat den Raum. Sie wandte sich zu Charlottes Sitznachbarin. „Hier ist Rauchverbot“, schnauzte sie. „Wollen Sie den Feueralarm auslösen?“ Das würde sie eine Stange Geld kosten. Flora stürmte auf die Raucherin zu, die verlegen die Zigarette zwischen den Fingern drehte, sich erhob und die Garderobe verließ. „In knapp fünfzehn Minuten ist es soweit“, sagte die Regieassistentin, die neben Charlotte im Spiegel erschien. Die Maskenbildnerin stellte ein Glas Wasser vor Charlotte auf den Tisch. Flora beugte sich zu ihr. „Ist alles in Ordnung?“ Charlotte nickte, es gehe ihr gut. Sie könne einen Arzt kommen lassen, hakte Flora nach. Es seien bloß die Nerven, beruhigte sie Charlotte, legte die Plastiktüte auf den Tisch, griff nach den Augengläsern und setzte sie auf. „Sehr hübsch“, flötete Flora und deutete auf das silberne Gestell. Die Gucci-Brille besaß Charlotte erst seit kurzem, sie hatte sie bei einem Preisausschreiben gewonnen. Mit Isoldes Hilfe hatte sie jede Menge Briefe mit der richtigen Lösung versandt und es hatte sich gelohnt, auch wenn Neffe Max ihr die Kosten für das Porto vorgerechnet hatte. Sie hätte sich eine Brille ohne diesen Aufwand kaufen können. Aber keine von Gucci, hatte sie dagegen gehalten. Außerdem habe sie sich, Briefumschläge und Portokosten abgerechnet, über sieben Euro vom regulären Kaufpreis erspart. Und wenn sie nun nicht gezogen worden wäre? Risiko muss sein, hatte sie gekontert. Und sie liebe diese altmodischen Preisausschreiben. 22
„Ja, was haben wir denn da?“ Flora deutete auf Charlottes rechtes Ohr. Das sei ihr Hörgerät, antwortete sie verdattert. Es täte ihr leid, sagte Flora, aber Charlotte könne das Ding während der Sendung unmöglich behalten, das sei gegen die Vorschriften. Es würde zu Rückkoppelungen kommen. Und wie, bitte schön, solle sie dann die Fragen hören? „Sie können alles vom Bildschirm ablesen.“ Und wenn es sie beruhige, werde sie Herrn Jauch bitten, extra laut zu sprechen. „Sie wollen ihm sagen, dass ich ein Hörgerät benötige? Wagen Sie das ja nicht!“, fuhr Charlotte sie an. Die Maskenbildnerin zupfte an Charlottes Haaren, brachte widerspenstige Locken mit Haarspray zur Räson. Flora hüstelte. In zehn Minuten werde man die Kandidaten zum Auftritt bitten, sagte sie distanziert und Charlotte spürte, dass das letzte Wort wegen ihres Hörgerätes noch nicht gesprochen war. Flora verließ die Garderobe, stieß dabei mit der zurückkehrenden Raucherin zusammen. Flora leierte vor ihr erneut den Satz herunter, dann verschwand sie. „Sind Sie endlich fertig mit mir?“ Die Maskenbildnerin nickte, Charlotte schob die Augengläser ins Etui und erhob sich aus dem Sessel. Sie müsse noch rasch für kleine Mädchen, verkündete sie, schnappte ihre Tasche und verließ die Garderobe. Sie öffnete die Tür zur Toilettenanlage und hielt inne. Neben Wasserrauschen vernahm sie die Stimme von Flora. 23
2. Die Senioren Sibylle Meyer, Heidrun Mollenkopf, Eva Schulze 2.1 Alter, Familie und Gesundheit Stefanie Becker, Uta Böhm, Anne Röhrig, Heidi Stuhler, Susanne Wurm 2.1.1 Demographische Entwicklung Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland ist durch ein dreifaches Altern geprägt. Zukünftig wird es nicht nur absolut betrachtet mehr alte Menschen geben, sondern ihr Anteil wird auch relativ im Vergleich mit jüngeren Altersgruppen steigen (Schlussbericht der Enquête-Kommission »Demographischer Wandel«). In Deutschland sind gegenwärtig etwa 22 % der Bevölkerung 60 Jahre oder älter; im Jahr 2050 werden es 36 % sein. Die Prognose des 4. Altenberichts (2002) geht von einem Wachstum der Altersgruppe der 80- bis 90Jährigen bis ins Jahr 2050 um 160 % und dem der über 90-Jährigen um sogar 256 % aus. Gleichzeitig wird der Anteil der unter 20-Jähri-
gen von rund 21 auf etwa 16 % zurückgehen. Der Anteil der Kinder wird in den nächsten 50 Jahren voraussichtlich um ein Drittel sinken. Das bedeutet, dass immer weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter für die Versorgung von Kindern und älteren Menschen aufkommen müssen (Statistisches Bundesamt 2002). Mit der zunehmenden Lebenserwartung ist gleichfalls ein Anstieg bei chronischen Krankheiten und Multimorbidität insbesondere bei der wachsenden Gruppe der Hochaltrigen zu erwarten. 2.1.2 Familie und Partnerschaft Vorherrschende Haushaltsformen im Alter sind die Ein- und Zwei-Personen-Haushalte: Gegenwärtig leben 58 % der über 60-Jährigen in einer Partnerschaft, 31 % leben allein, wobei sich Männer und Frauen deutlich unterscheiden: 43 % der über 60-Jährigen Frauen leben allein, jedoch nur 15 % der Männer (DZA 2002). Partnerschaft besitzt bis ins hohe Lebensalter eine große subjektive Bedeutung (Kohli & Künemund 2000).
„Ja, was haben wir denn da?“ Flora deutete auf Charlottes rechtes Ohr. Das sei ihr Hörgerät, antwortete sie verdattert. Es täte ihr leid, sagte Flora, aber Charlotte könne das Ding während der Sendung unmöglich behalten, das sei gegen die Vorschriften. Es würde zu Rückkoppelungen kommen. Und wie, bitte schön, solle sie dann die Fragen hören? „Sie können alles vom Bildschirm ablesen.“ Und wenn es sie beruhige, werde sie Herrn Jauch bitten, extra laut zu sprechen. „Sie wollen ihm sagen, dass ich ein Hörgerät benötige? Wagen Sie das ja nicht!“, fuhr Charlotte sie an. Die Maskenbildnerin zupfte an Charlottes Haaren, brachte widerspenstige Locken mit Haarspray zur Räson. Flora hüstelte. In zehn Minuten werde man die Kandidaten zum Auftritt bitten, sagte sie distanziert und Charlotte spürte, dass das letzte Wort wegen ihres Hörgerätes noch nicht gesprochen war. Flora verließ die Garderobe, stieß dabei mit der zurückkehrenden Raucherin zusammen. Flora leierte vor ihr erneut den Satz herunter, dann verschwand sie. „Sind Sie endlich fertig mit mir?“ Die Maskenbildnerin nickte, Charlotte schob die Augengläser ins Etui und erhob sich aus dem Sessel. Sie müsse noch rasch für kleine Mädchen, verkündete sie, schnappte ihre Tasche und verließ die Garderobe. Sie öffnete die Tür zur Toilettenanlage und hielt inne. Neben Wasserrauschen vernahm sie die Stimme von Flora. 23
2. Die Senioren Sibylle Meyer, Heidrun Mollenkopf, Eva Schulze 2.1 Alter, Familie und Gesundheit Stefanie Becker, Uta Böhm, Anne Röhrig, Heidi Stuhler, Susanne Wurm 2.1.1 Demographische Entwicklung Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland ist durch ein dreifaches Altern geprägt. Zukünftig wird es nicht nur absolut betrachtet mehr alte Menschen geben, sondern ihr Anteil wird auch relativ im Vergleich mit jüngeren Altersgruppen steigen (Schlussbericht der Enquête-Kommission »Demographischer Wandel«). In Deutschland sind gegenwärtig etwa 22 % der Bevölkerung 60 Jahre oder älter; im Jahr 2050 werden es 36 % sein. Die Prognose des 4. Altenberichts (2002) geht von einem Wachstum der Altersgruppe der 80- bis 90Jährigen bis ins Jahr 2050 um 160 % und dem der über 90-Jährigen um sogar 256 % aus. Gleichzeitig wird der Anteil der unter 20-Jähri-
gen von rund 21 auf etwa 16 % zurückgehen. Der Anteil der Kinder wird in den nächsten 50 Jahren voraussichtlich um ein Drittel sinken. Das bedeutet, dass immer weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter für die Versorgung von Kindern und älteren Menschen aufkommen müssen (Statistisches Bundesamt 2002). Mit der zunehmenden Lebenserwartung ist gleichfalls ein Anstieg bei chronischen Krankheiten und Multimorbidität insbesondere bei der wachsenden Gruppe der Hochaltrigen zu erwarten. 2.1.2 Familie und Partnerschaft Vorherrschende Haushaltsformen im Alter sind die Ein- und Zwei-Personen-Haushalte: Gegenwärtig leben 58 % der über 60-Jährigen in einer Partnerschaft, 31 % leben allein, wobei sich Männer und Frauen deutlich unterscheiden: 43 % der über 60-Jährigen Frauen leben allein, jedoch nur 15 % der Männer (DZA 2002). Partnerschaft besitzt bis ins hohe Lebensalter eine große subjektive Bedeutung (Kohli & Künemund 2000).
„Sie will das Hörgerät nicht ablegen. Und Ihre Begleitung, so ein Typ mit weißen Haaren, die er im Nacken zusammengebunden hat wie Karl Lagerfeld, hat sich anfänglich geweigert, im Saal auf den Rollstuhl zu verzichten.“ Flora hüstelte. „Vielleicht haben sie Sender eingebaut“, sagte eine Frauenstimme, die Charlotte nicht kannte. Das Wasserplätschern verstummte. „Wäre ja nicht das erste Mal, dass jemand mit Tricks versucht, weiterzukommen.“ Flora meinte, sie könne sich noch gut an den Huster erinnern, der einem Kandidaten die richtigen Antworten anhand eines ausgeklügelten Systems übermitteln wollte. Schatten warfen sich über den mit Fliesen belegten Boden des Vorraumes. Charlotte stellte sich den beiden Frauen in den Weg. „Sie glauben also, dass ich mein Hörgerät manipuliert habe?“ Charlotte nahm einen kleinen ovalen Behälter aus ihrer Tasche, angelte nach dem Hörgerät, legte es demonstrativ hinein und überreichte ihn Flora, die wieder hüstelte. „Kindchen! Was unterstellen Sie da einer alten, gebrechlichen Frau!“ Sie wandte sich ab und marschierte entschlossen den Gang entlang zur Garderobe. „Entschuldigen Sie, Frau Ruhland“, rief Flora ihr nach. „So habe ich das nicht gemeint.“ „Wie dann?“, murmelte Charlotte, ohne sich nach Flora umzudrehen. Ein Sender im Hörgerät! Was für eine plumpe Idee. Erhobenen Hauptes betrat sie die Garderobe, in 24
am 01.01.1999 und am 01.01.2050
am 01.01.1999 Alter in Jahren Männer
100 95
Alter in Jahren
Männer
Frauen
85
85
Frauenüberschuss
80 75
80 75
70 65
70 65
60 55 50
60 55 50
01.01.1999
45 40
1000 800 600 400 200 0
Frauen
90
90
Männerüberschuss
100 95
35 30
35 30
25 20
25 20
15 10
15 10
5 0
5 0 0
200 400 600 800 1000
Tausend Personen
Abb. 2.1: Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland
1000 800 600 400 200 0
Tausend Personen
01.01.1999
45 40
0
200 400 600 800 1000
der die Raucherin den Raum mit ihren Schritten durchmaß und wie hypnotisiert auf die Fotografie in ihrer Hand sah. Ähnlich der Rauchwölkchen zuvor, verströmte die Frau eine nervöse Spannung, die nun auch Charlotte einhüllte. Sie nestelte am Reißverschluss ihrer Tasche und öffnete sie. Zwischen ihren Schminkutensilien und der Pillendose zog sie das Maskottchen, die Plüschlöwin und den mit Whisky gefüllten Flachmann, den Ricardo ihr für den Fall eines Nervositätsschubs gegeben hatte, hervor. Beides steckte sie in die Hosentasche. Das Brillenetui ließ sie auf dem Tisch liegen. Eigentlich schade, dass sie kurzsichtig war und die schicken Augengläser nicht brauchte, denn auch ohne ihre Hilfe konnte sie die Fragen vom Bildschirm ablesen. „Ich bitte die Kandidaten, ihre Plätze einzunehmen“, war Floras Stimme aus den Lautsprecherboxen, die an den Wänden über der Spiegelfront hingen, zu hören. Nun, zumindest das hatte Charlotte verstanden, sie war ein wenig beruhigt. Dennoch fühlte sie sich wie in Watte gepackt, als sie den anderen Kandidaten, die aus den Garderoben kamen, über den Flur entlang in den Saal folgte. Bei der Probe, so erinnerte sie sich, hatten die Schritte der Menschen ein lebendiges Muster aus verschiedenen Stakkatorhythmen von sich gegeben. Nun hörte sie bloß ein Rascheln, das genauso gut von vom Wind aufgescheuchtem Blätterlaub stammen konnte. Gleißendes Licht stach in Charlottes Augen, als sie mit den anderen den Saal betrat. Ein Murmeln, das aus der Dunkelheit kam, ließ sie erkennen, dass das Publikum, in gespenstisches Neonblau gehüllt, bereits anwesend war. Sie nahm das Maskottchen aus der Hosentasche. Fest umklammerte sie es. Flora wies ihr einen Platz hinter einem Bildschirm zu und Charlotte ließ sich ehrfürchtig nieder. Endlich! 25
Die Beziehungen zu Kindern und Enkeln sind Senioren wichtig: Eltern haben auch nach Auszug der Kinder regelmäßigen Kontakt zu ihnen, zumal bei ca. 80 % mindestens eines der Kinder im selben Wohnort lebt. Häufig lebt man in räumlicher Nähe zu den erwachsenen Kindern, aber in einer eigenen Wohnung (»innere Nähe bei äußerer Distanz«). Damit sind strukturell gute Chancen für direkte Familienbeziehungen und -kontakte sowie Unterstützungsleistungen gegeben (Kohli & Künemund 2000), gleichzeitig bleibt die Eigenständigkeit der älteren Generation gewahrt. Intergenerationale Beziehungen manifestieren sich neben Kontakten und Beziehungen auch in geleisteten finanziellen Transfers und instrumentellen Hilfeleistungen; hier zeigen die Daten des Alters-Surveys zwei gegenläufige »Ströme«: Während von der Eltern-Generation monetäre Transfers an Kinder und Enkelkinder getätigt werden, erhalten Ältere von den jüngeren Generationen eher instrumentelle Hilfen. Dies verweist darauf, dass die ältere Generation gegenwärtig mehrheitlich so gut
abgesichert ist, dass sie nicht nur keiner finanziellen Unterstützung von Seiten der Kinder bedarf, sondern sogar in der Lage ist, jüngere Familienmitglieder finanziell zu unterstützen (Kohli et al. 2000). Neben finanziellen Transfers wirkt die ältere Generation auch durch die Beteiligung an der Betreuung der Enkel unterstützend: Über ein Drittel der Kinder unter 3 Jahren und sogar fast 39 % der Kinder zwischen 3 und 6 Jahren werden regelmäßig, durchschnittlich 9 bis 10 Stunden pro Woche, von ihren Großeltern betreut (Schulze & Meyer 2003). Darüber hinaus betreuen Ältere, wenn auch in geringerem Ausmaß, Kinder von Nachbarn, Freunden und Bekannten. Frauen sind stärker als Männer, jüngere stärker als ältere Altersgruppen in die regelmäßige Kinderbetreuung eingebunden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich zwar Veränderungen familialer Netze und Generationenbindungen zeigen, dass aber (noch) keine Auflösung familialer Bindungen stattfindet. Bislang gibt es keinen Anlass, eine Auflösung intergenerationeller Bindungen
„Ganz ruhig“, raunte Flora. „Machen Sie alles so, wie wir es vorhin geprobt haben.“ Wieder hüstelte sie. Charlottes Kehle war staubtrocken. Sie griff wieder in die Hosentasche, wollte den Flachmann herausnehmen und einen Schluck zur Beruhigung trinken. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte Flora. „Danke, nein. Ich komme allein zurecht“, sagte Charlotte und ließ, unter Floras forschem Blick, den Flachmann an seinem Platz. Sie setzte die Löwin auf die Umrandung des Bildschirms; sie erinnerte sich, dass Flora gesagt hatte, man müsse beide Hände frei haben, um die Tastatur ungehindert bedienen zu können. Die Löwin rutschte von der Umrandung und landete auf dem Boden. Noch bevor Charlotte sich erheben konnte, war Flora zur Stelle, bückte sich nach dem Maskottchen und legte es ihr in den Schoß. Sie ist doch ganz nett, fand Charlotte. „Vielen Dank!“, sagte sie zu ihr. „Pst, nicht so laut“, flüsterte Flora. Charlotte musste sich daran gewöhnen, dass ihr Hörgerät fehlte. Und dann tauchte Günther Jauch im Lichtkegel auf, stand in der Mitte des Raumes, fast zum Greifen nah, Charlottes Herz schlug Purzelbäume, während er das Publikum vor den Fernsehschirmen und im Saal zur Quizshow begrüßte. Musik erklang, bevor er sich an die Kandidaten wandte. „Herr Henry Tirtsch aus Stuttgart“, stellte Günther Jauch den Sitznachbarn von Charlotte vor. Herr Tirtsch winkte, von Applaus begleitet, in die Kamera.
70 – 85 J.
26
Frauen
40,7
16,4
35,1
70 – 85 J.
Sehr Schlecht
55 – 69 J.
10,5
45,5
37,4
Schlecht Mittel Gut
Männer
15,5
55 – 69 J. 0%
38,3
38,5
12,3
42,6
36,7 20%
40%
Sehr gut
60%
80%
100%
Abb. 2.2: Bewertung der Gesundheit durch Ältere
für die Zukunft zu erwarten: Auch für die heutige Elterngeneration ist es sehr wahrscheinlich, dass sie bis ins hohe Alter enge Bindungen zu ihren Kindern aufrechterhält.
2.1.3 Gesundheitliche Situation Wesentlich für eine selbstständige Lebensführung im Alter ist die gesundheitliche Situation. Aus subjektiver Sicht hat Gesundheit eine hohe Priorität, besonders im fortgeschrittenen Lebensalter; für 81 % der Befragten des sentha-
„Frau Charlotte Ruhland aus Berlin.“ Ein Lichtkegel erfasste sie. Wie in Trance hob sie die Hand, in der sie die Löwin hielt, lächelte und schwenkte sie in der Luft, noch lange, nachdem bereits der nächste Kandidat vorgestellt wurde. Sie hatte keine seiner Sendungen ausgelassen, viele von ihnen aufgezeichnet. Aber in ihrer Aufregung fiel es ihr schwer, sich auf die nächsten Stationen, die sie im Fernsehen mitverfolgt und im Internet geübt hatte, zu konzentrieren. Von weit her eine Frage, Antworten, die vor Charlottes Augen auf dem Bildschirm aufblitzten. Ohne lange zu überlegen, drückte sie auf die mit Buchstaben versehenen Felder, lehnte sich zurück und blickte zu Günther Jauch. „Vier haben das richtig hingekriegt. Frau Sabine Kopp aus Neustrelitz war die Schnellste.“ Es war ihre Garderobennachbarin, die Raucherin, stellte Charlotte fest und war enttäuscht. Sie hatte rasch reagiert und, zu ihrer Überraschung, war die Reihenfolge richtig gewesen, Isolde würde ihr das niemals glauben. Charlotte hatte vergessen, mit dem OK-Knopf zu bestätigen, ein häufiges Versäumnis bei ihren Übungen zu Hause vor dem Computer. Verärgert drückte sie die Löwin an sich. Die Raucherin hatte sich von ihrem Platz erhoben, ging auf Jauch zu und stellte sich an seine Seite. Die Anspannung fiel von Charlotte ab. Fasziniert beobachtete sie den Mann in der Mitte. Ohne zu zögern, beantwortete die Kandidatin die erste Frage. Das Publikum applaudierte. Jauch schäkerte mit der Frau und Charlotte wurde neidisch. Wie gerne wäre sie an ihrer Stelle, nicht allein des Geldes wegen. Auch die zweite und dritte Frage wurde von der Raucherin richtig gelöst. 27
Survey handelt es sich um den Lebensbereich, dem die höchste Bedeutung beigemessen wird. Der Grad der Gesundheit bestimmt wesentlich die Lebenszufriedenheit, die Möglichkeit der sozialen Teilhabe und Aktivitäten sowie die selbstständige Lebensführung. Gesundheit bedeutet, folgt man der OttawaErklärung der WHO von 1986, weit mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Ein erweitertes Gesundheitsverständnis beinhaltet ebenfalls körperliche und seelische Erkrankungen, körperliches und seelisches Wohlbefinden, körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, erhaltende Aktivität im Sinne der Ausübung persönlich bedeutsamer Aufgaben, Selbstständigkeit im Alltag, Selbstverantwortung in der Alltagsgestaltung und Lebensplanung, Offenheit für neue Erfahrungen und Anregungen, Fähigkeit zur Aufrechterhaltung und Gründung tragfähiger sozialer Beziehungen, Fähigkeit zum reflektierten Umgang mit Belastungen und Konflikten, Fähigkeit zur psychischen Verarbeitung bleibender Einschränkungen und Verluste, Fähigkeit zur Kompensation bleiben-
der Einschränkungen und Verluste (RobertKoch-Institut 2002). Gesundes Älterwerden bezieht sich also nicht auf die Abwesenheit von und/oder das Freisein von Krankheiten, sondern auf das Vorhandensein personaler Ressourcen, um den Alternsprozess zu gestalten. Mit der gesundheitlichen Lage im Alter hat sich auch die Berliner Altersstudie (BASE) befasst. In diese Untersuchung waren 516 Personen ab 70 Jahren einbezogen; die Erhebung umfasste neben einer Befragung neuropsychologische Tests sowie körperliche und psychiatrische Untersuchungen (Meyer & Baltes 1996). 80 % der untersuchten Personen im Alter von 70 bis 104 Jahren waren laut dieser Studie zu einer weitgehend selbstständigen Lebensführung in der Lage; 8 % der Untersuchten waren pflegebedürftig nach den Maßstäben der Pflegeversicherung, wobei Pflegebedürftigkeit vor allem nach dem 80sten Lebensjahr eintritt. Gesundheit wird wesentlich bestimmt durch das individuelle Gesundheitsverhalten, d. h. Aktivitäten zur Gesunderhaltung wie
Bis zur sechsten Frage hatte Charlotte keine Probleme, bei der siebten hätte sie das Maskottchen gebraucht. Nervös rutschte sie auf ihrem Sitz nach vor. Wie dumm von ihr, dass sie nicht auf die Toilette gegangen war. Sie fand es geradezu als Erlösung, als Jauch eine Werbepause ankündigte. Charlotte nahm das Maskottchen, erhob sich und eilte zum Ausgang. Sie solle, wie die anderen Kandidaten auch, auf ihrem Platz bleiben, verlangte Flora, die plötzlich aus dem Dunkel neben ihr auftauchte. Charlotte erklärte, dass das unmöglich sei, ihre Blase sei zum Platzen gespannt. Flora verdrehte die Augen. Ergeben meinte sie, sie werde sie begleiten. Mit großen Schritten stürmte sie voran, Charlotte hetzte hinter ihr her. Sie mahnte Charlotte, sich zu beeilen, dann nahm sie beim Eingang der Toilette Aufstellung wie ein Zerberus. Als habe sie Angst, dass ich flüchten will! Charlotte schüttelte den Kopf. Von der Arbeit beim Fernsehen hatte sie nicht viel Ahnung, aber soviel wusste sie, dass eine Aufzeichnung anderen Gesetzen unterlag als eine Live-Sendung. Sollte man doch auf sie warten! Auf ein paar Minuten mehr oder weniger würde es wohl nicht ankommen. Sie setzte das Maskottchen auf die Ablage, die sich über der Halterung des Toilettenpapiers befand. In all den mit Aircondition ausgestatteten Räumen nur kaltes Neonlicht. Im Vorraum der Toilettenanlage kein Fenster, das ihr den Blick auf den Parkplatz vor dem Studio ermöglicht hätte. Stand das Wohnmobil, und mit ihm ihre psychische Unterstützung, tatsächlich vor dem Gebäude? Charlotte fröstelte. „Max, kannst du mich hören?“, flüsterte sie unsinnigerweise dem Maskottchen zu. Sie drückte den Spülknopf und verließ die Toilette. Sorgfältig wusch sie sich die Hände, trocknete 28
Spaziergänge und Sport, Krankengymnastik, gesunde Ernährung und Arztbesuche. Nicht zuletzt im Hinblick auf die Kosten des Gesundheitswesens werden zukünftig Gesundheit und Gesundheitsverhalten im Alter noch weiter in den Mittelpunkt rücken. Die WHO beschäftigt sich mit diesen Aspekten unter dem Stichwort des »Active Ageing«. Dabei wird als erfolgreicher Alternsprozess neben der Verhinderung von Krankheit und Behinderung auch die Vermeidung von gesundheitsgefährdenden Risikofaktoren in einer lebenslangen Perspektive genannt (WHO 2002). Entsprechende Veränderungen in der Ausrichtung der Gesundheitspolitik sind erkennbar oder mindestens in der Diskussion; auch subjektiv wird dem Bereich Gesundheitsvorsorge, aktive lebenslange Gesundheitsförderung zunehmend Bedeutung beigemessen. Die Bewertung des eigenen Gesundheitszustandes wurde im Alters-Survey erfragt (Künemund 2000). Mit zunehmendem Alter fallen diese Bewertungen bei Männern und Frauen negativer aus, insgesamt schätzt aber lediglich
ein kleinerer Teil die eigene Gesundheit als schlecht oder sehr schlecht ein. Sicher ist, dass im Zusammenhang mit dem Altern der Gesellschaft und einem Anstieg der Lebenserwartung auch das Thema Pflegebedürftigkeit zukünftig ein wichtiger Diskussionspunkt sein wird. Auch bei verbesserter Gesundheitsvorsorge und Gesundheit bis ins höhere Alter werden die Anforderungen an die Pflege und Betreuung alter und insbesondere hochaltriger Menschen steigen. Um diesen Menschen ein Leben in Würde und größtmöglicher Lebensqualität zu gewährleisten, müssen vor allem im Bereich der Ausund Weiterbildung im Altenpflegeberuf die bisherigen Konzepte überarbeitet werden. Weiterhin ist der Frage der Unterstützung pflegerischer Tätigkeiten durch Technik zunehmend mehr Bedeutung zuzumessen (Mollenkopf, Gäng, Mix & Kwon 2001). Insgesamt ist hier ein wesentlicher Entwicklungs- und damit auch Investitionsbedarf zu sehen, der Entscheidungen auf der politischen Ebene notwendig macht.
sie ab, nahm das Maskottchen an sich und trat auf den Gang, wo sie von Flora ungeduldig in Empfang genommen wurde. Die Raucherin war bei der 16.000-Euro-Frage angelangt. Sie zögerte nicht lange, verlangte, dass man Antwort B eingeben solle. Charlotte merkte, dass Jauch stutzte. „Und Sie wollen sich nicht mit einem Joker absichern?“ Sie habe immerhin noch alle drei. Die Frau schüttelte verneinend den Kopf. „Sie wissen, dass Sie, sollten Sie nicht Recht haben, auf 500 Euro zurückfallen?“ Nein, sie werde sich die Joker sparen, da sie absolut sicher sei, dass Antwort B stimme. Charlotte war überzeugt, dass C die richtige Lösung sei. Gebannt verfolgte sie, wie die Antwort der Raucherin eingeloggt wurde. Bitte, lass sie falsch sein, hoffte Charlotte, dann schalt sie sich, hörte Karl-Ottos Stimme, die sie rügte, ihr vorwarf, unfair zu sein. Antwort D leuchtete grün auf, die Frau meinte, dass das nicht stimmen könne, es müsse B sein. Sie beschwerte sich über den Computer, der offenbar nicht richtig arbeite. Alle Geräte seien genau überprüft, fehlerhaftes Arbeiten sei ausgeschlossen. Sie solle sich beruhigen, beschwichtigte Jauch die aufgebrachte Frau, die sich nur langsam in ihr Schicksal fügte und vom Stuhl erhob. Jauch drückte ihre Hand, sie habe eine wunderbare Show geliefert und solle nicht traurig sein, dass sie nicht mehr gewonnen habe. Die Frau verließ durch einen Tunnel, der sich wie ein schwarzes, unheimlich wirkendes 29
2.1.4 Fazit Das Alter ist eine eigenständige Lebensphase, die durch neue positive Optionen, aber auch durch altersspezifische Probleme und Risiken gekennzeichnet ist. Insbesondere das hohe Alter ist eine Lebensspanne, für die Multimorbidität und altersspezifische Gebrechen typisch sind. Da die Anzahl älterer und hochaltriger Menschen zukünftig kontinuierlich steigen wird, leiten sich einerseits vermehrte Anforderungen an das Gesundheits- und Versorgungssystem ab, andererseits wird das Gesundheitsverhalten im Alter zunehmend in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion rücken. Insbesondere die Fragen, wie ein aktives Gesundheitsverhalten im Lebensverlauf gesundes Altern vorbereiten und wo und wie Technik zur Unterstützung eines selbstständigen Lebens auch im Falle von individuellen mentalen und psychischen Einbußen eingesetzt werden kann, sind in diesem Kontext zentral. Familien und Familienbeziehungen haben sich gewandelt. Zum einen lebten noch nie so
viele Generationen zur gleichen Zeit – von der Generation der Urgroßeltern bis zu den Enkeln –, zum anderen stehen in Familien immer mehr ältere Familienmitglieder immer weniger jüngeren gegenüber. Ältere und jüngere Familienmitglieder stehen sich nach wie vor emotional nah und leisten Unterstützung, wohnen aber getrennt. Die Aufrechterhaltung der eigenen Wohnung und der selbstständigen Haushaltsführung sind für Senioren wesentliche Lebensziele. Eine wichtige Möglichkeit, trotz getrennter Wohnorte Nähe aufrechtzuerhalten, stellen die modernen Kommunikationstechnologien dar; neben dem Telefon ist für viele Ältere inzwischen das Internet ein »wichtiger Draht« zu Kindern und Enkeln. Zur Stützung familialer Netze und zur wechselseitigen Hilfeleistung wird Anwendungen der Telematik zukünftig eine wachsende Bedeutung zukommen.
Maul zwischen den Sitzreihen der Publikumstribüne befand, den Saal und Jauch wandte sich mit neuen Fragen an die restlichen Kandidaten. Charlotte beugte sich zur Tastatur. Bitte, Karl-Otto, hilf, dachte sie inbrünstig. Eine Opern- oder Operettenfrage, bitte! „Es geht um das runde Leder, um Fußball“, vernahm sie Jauchs Stimme. Ausgerechnet Fußball! Wieder so eine Hinterfotzigkeit von Karl-Otto. „Eine nicht ganz leichte Frage und zugegebenermaßen eher für die männliche Welt gedacht. Aber man kann ja nicht wissen. Lassen wir uns überraschen.“ Charlotte musste aufpassen, um seine Worte zu verstehen, sie konzentrierte sich auf ihr linkes Ohr. Sie redete sich ein, dass sie zu Hause vor ihrem Computer säße und versuchte, sich zu entspannen. Im Saal war es ruhig, als er die Frage vorlas. „Ordnen Sie die deutschen Pokalsieger in richtiger Reihenfolge von 1950 bis heute.“ Fasziniert lauschte Charlotte. Was für ein Mann!, dachte sie. Warum kann er nicht ein paar Jährchen älter sein? Sie schmunzelte, drückte auf die Knöpfe C, B, A, D und bestätigte mit dem OK-Knopf. Dann ließ sie sich in den Sitz zurück sinken. Nur ein paar Jährchen. Bei mir könnte er schwach werden, war sie überzeugt. „Zwei haben das gewusst. Frau Charlotte Ruhland war die Schnellere.“ Applaus peitschte auf, der Lichtkegel erfasste sie. Geblendet kniff sie die Augen zusammen. Danke, Karl-Otto! Er hatte es gut mit ihr gemeint. Vorsichtig erhob sie sich, als misstraue sie der Standfestigkeit ihrer Beine. Im nächsten Moment war 30
Frauen 70,0
65 und mehr
60 - 65 Jahre
11,1
66,7
4,8
15,3
7,1 niedrig
55 - 60 Jahre
56,2
22,9
mittel
10,9
hoch
Männer 65 und mehr
65,7
60 - 65 Jahre
10,4
62,4
55 - 60 Jahre
12,7
54,2 0%
20%
17,5 40%
60%
Abb. 2.3: Schulisches Bildungsniveau – Männer und Frauen 55+ (in Prozent)
12,3
14,4
18,7 80%
100%
Flora bei ihr. Sie werde einen Schemel holen, damit sie bequem auf den Stuhl gelangen könne. Stuhl! Was für eine Bezeichnung! Als handle es sich um einen elektrischen Stuhl. Oder um ein Verdauungsproblem. Keinen Schemel, nein. Unwirsch winkte Charlotte ab und stellte sich an Günther Jauchs Seite. Er begrüßte sie. Gemeinsam schritten sie in die Mitte. Jauch reichte ihr die Hand und half ihr, den Stuhl zu erklimmen. Sie bedankte sich mit einem Lächeln bei ihm, das sie für diesen Moment vor ihrem alten Spiegel zu Hause eingeübt hatte. Plötzlich schwirrten Lichtkreise über Charlotte hinweg und Musik ertönte. Günther Jauch, hell erleuchtet, setzte sich auf seinem Platz zurecht. „Die deutschen Pokalsieger nach 1950. Sie haben in sensationellen 5,7 Sekunden gedrückt. Gestatten Sie die Frage, woher weiß das eine ältere, offenbar sehr weise Frau?“ Charlotte machte es sich auf dem Stuhl gemütlich. Alles, wirklich alles kann er mich fragen. Sie senkte ihre Augenlider. „Mein geliebter Mann Karl-Otto hat mich zu den Pokalspielen mitgenommen.“ Auch wenn es schon viele Jahre zurücklag, erinnerte sie sich gut an das erste Spiel, das sie gemeinsam sahen. Bis zur Halbzeit saß sie gelangweilt neben Karl-Otto, fragte sich, was sie hier zu suchen hatte. Um sie herum lärmende Fans, die fahnenschwingend und durch laute Rufe Unterstützung bekundend, ihren Verein anfeuerten. Und dann der Umschwung in ihr, den sie sich nicht erklären konnte. Die spannungsgeladene Atmosphäre der Menschen im Stadion und die der Spieler auf dem Feld, versetzte sie nach der Pause ebenfalls in eine begeisterte Stimmung. 31
2.2 Bildung, Erwerbstätigkeit und Einkommen Stefanie Becker, Uta Böhm, Anne Röhrig, Heidi Stuhler, Susanne Wurm 2.2.1 Bildung Das Bildungsniveau ist im Vergleich zu früheren Seniorengenerationen deutlich gestiegen und das Bildungsniveau jüngerer Senioren ist höher als das älterer. Während unter den 50bis 55-Jährigen 17,3 % die Fachhochschuloder Hochschulreife haben, liegt dieser Anteil bei den 60- bis 65-Jährigen bei 10,7 % und bei den über 65-Jährigen bei 7,7 %. Trotz des insgesamt gestiegenen Bildungsniveaus dominieren weiterhin Haupt- bzw. Volksschulabschlüsse (68,3 %). Der in den jüngeren Altersgruppen gestiegene formale und berufliche Bildungsstand setzt sich fort in einem auch im Alter wachsenden Interesse an Bildungsangeboten. Bildung im Alter hat neben der Wissensaneignung auch noch andere Funktionen: Sie wird bewusst eingesetzt zur Erhaltung kognitiver Fähigkeiten und sie stellt eine Möglichkeit dar,
soziale Kontakte aufzunehmen und zu pflegen. Schon heute sind etwa 25 % der Teilnehmer/innen an Volkshochschulkursen Ältere. Explizite Seniorenbildungsangebote nehmen zu; zu erwähnen sind Angebote von »Seniorenuniversitäten«, spezielle Sprachkurse oder Bildungsangebote für Computer und Internet. 2.2.2 Erwerbstätigkeit Betrachtet man die Erwerbstätigkeit ab dem 55. Lebensjahr, aufgeschlüsselt nach Alter, Geschlecht sowie alten und neuen Ländern, so zeigt sich erwartungsgemäß, dass der große Bruch in der Erwerbsbiographie von Männern und Frauen gleichermaßen ab 60 Jahren erfolgt. Differenzierungen ergeben sich insbesondere an folgenden Punkten: Während bei Männern in der jüngsten Altersgruppe noch rund 68 % (alte BL) bzw. knapp 60 % (neue BL) erwerbstätig sind, sinkt dieser Anteil für 60- bis unter 65-Jährige auf knapp unter ein Drittel in den alten und rund ein Fünftel in den neuen Bundesländern. Für Frauen stellt sich die Si-
Charlotte hob ihr Maskottchen auf die Umrandung des Bildschirms, genauso, dass sie ihm in die Glasaugen sehen konnte und war beruhigt. Er werde ihr, gleich einmal zum Aufwärmen, die erste Frage stellen. Ohne auf das Maskottchen zu achten, sagte Charlotte, sie wolle Antwort C nehmen und hatte damit 50 Euro gewonnen. „Ich nehme an, dass Sie Ihren Mann heute Abend als Begleitung mitgebracht haben.“ Charlotte schüttelte den Kopf. Nein, Karl-Otto sei zu Hause geblieben, er stehe auf dem Kaminsims. Ihr Freund Oskar van Horn würde sie begleiten. Günther Jauch stützte seine Hände auf die Armlehne und beugte seinen Oberkörper ein wenig nach vor. „Sie sprechen in Rätseln. Auf dem Kaminsims? Das müssen Sie mir jetzt aber näher erklären.“ Gerne, meinte sie. Karl-Otto würde sich in einer Urne befinden und die stünde auf dem Kaminsims in ihrem Zimmer. Sie verschwieg, dass seine Asche im Moment mit einer Thermoskanne vorlieb nehmen musste. Jauch rückte seine Krawatte zurecht. Charlotte fand, dass das gar nicht nötig sei. „Nun denn“, meinte Günther Jauch, indem er die beiden Worte in die Länge zog, er schien aus dem Konzept gebracht zu sein, „dann wollen wir Ihre Begleitung, Herrn Oskar van Horn, herzlich begrüßen.“ Applaus. Charlotte konnte Oskar zwar nicht sehen, sie stellte sich aber vor, wie er in einer der vorderen Reihen saß und mit seinem neuen Gehstock winkte. Mit der nächsten, richtig beantworteten Frage hatte sie 100 Euro gewonnen. 32
100
Männer alte BL Männer neue BL Frauen alte BL
80
Frauen neue BL
68,5 59,7 60 48,5 48,6 40
31,5 20,4 15,2
20
7,1
4,9
2,1
1,9
0,6
0 55 bis unter 60 Jahre
60 bis unter 65 Jahre
Abb. 2.4: Erwerbstätige ältere Männer und Frauen in Deutschland (in Prozent)
65 Jahre und älter
„Sie haben ein Maskottchen mitgebracht.“ Ja, eine Löwin. Sie sei ein Gemeinschaftsgeschenk ihrer Freunde. Darauf werde man später noch zurückkommen, meinte Günther Jauch. „Sind Sie bereit für die nächste Frage?“ Charlotte nickte, ballte angespannt ihre Hände zu Fäusten und fixierte den Bildschirm. Begleitet von Jauchs Stimme erschien die Frage und die möglichen Antworten. „B“, sagte sie. Das käme prompt, sie müsse sich nicht so sehr beeilen, sagte Jauch. Auch, wenn ihm rasche Antworten natürlich lieber seien, als zu lange Pausen. Charlotte griff nach dem Wasserglas und trank. Ihre Antwort stimmte wieder. Aber sie machte sich nichts vor und ihr war klar, dass die ersten fünf Fragen zu den leichtesten zählten. Sie durfte sich nicht zur Unachtsamkeit hinreißen lassen, musste auf der Hut sein. Kurz blickte sie zum Maskottchen. Wie denn das Maskottchen heiße, wollte Jauch wissen, der ihren Blick verfolgt hatte. „Natascha. Mein Begleiter, Oskar, hat einmal im Zirkus gearbeitet. Er hat überwiegend Löwen dressiert.“ Eine Löwin mit dem Namen Natascha sei ihm besonders ans Herz gewachsen. Und er sei nie darüber hinweggekommen, dass man sie erschossen habe. „Wie das? Das hört sich ja schrecklich an.“ Jauch schien sichtlich betroffen zu sein. Natascha habe Oskar bei einem Auftritt in der Manege 33
tuation ähnlich dar: Der Anteil der Erwerbstätigen sinkt mit steigendem Alter, bei den 60- bis unter 65-Jährigen in den alten Bundesländern von 48,5 auf 15,2 %, in den neuen Ländern sogar von 48,6 auf nur 7,1 %. In allen Altersgruppen älterer Beschäftigter liegt der Frauenanteil deutlich unter dem der Männer. Die Arbeitslosenquote der über 55-Jährigen beläuft sich in Deutschland auf 12 % (vgl. Nordheim 2003). Die Arbeitslosenzahlen der über 55-Jährigen sind in Deutschland seit Anfang der 90er Jahre beständig gestiegen. Seit Ende der 90er Jahre ist wieder ein Rückgang der Arbeitslosigkeit der über 55-Jährigen zu beobachten, der z. T. demographisch bedingt ist (schwach besetzte Altersjahrgänge wachsen in diesen Altersbereich hinein), bei dem sich teilweise aber auch die stärkere Nutzung des § 428 SGB III (Leistungsbezug ohne Verpflichtung zur Verfügbarkeit ab 58 Jahren) sowie Altersteilzeitregelungen auswirken (Koller, Bach & Brixy 2003). Wenn ältere Arbeitnehmer arbeitslos werden, haben sie verglichen mit jüngeren deutlich schlechtere Vermittlungs-
chancen; häufig verlängert sich die Arbeitslosigkeit dann bis zum Renteneintritt (Kistler & Hilpert 2001). Eine Anhebung des gesetzlichen Rentenalters ohne gravierende beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitische Veränderungen bedeutet vor diesem Hintergrund, dass die Arbeitslosigkeitsphasen für Ältere länger werden. Die geplante Reduzierung der Bezugszeiten des Arbeitslosengeldes würde Ältere unter den gegenwärtigen Bedingungen vermehrt einer Verschlechterung ihrer Lebenssituation aussetzen. Die soziale Situation im Alter wird zukünftig wesentlich bestimmt durch die gesetzlich verankerten Erwerbstätigkeitsgrenzen im Alter sowie durch die Maßnahmen und Initiativen, um ältere Beschäftigte besser in die Erwerbstätigkeit einzubinden. 2.2.3 Einkommen Vergleicht man die finanzielle Situation älterer Menschen mit der Gesamtbevölkerung, so zeigt sich, dass Ältere ein nur leicht unterdurchschnittliches Einkommen haben; im Vergleich
angefallen und sich derart fest im Oberschenkel verbissen, dass man keinen anderen Ausweg sah, als sie zu erschießen, um sein Leben zu retten. Für das Bein allerdings war es zu spät. „Sie erzählen vielleicht Geschichten. Da ist ein Stephen King harmlos dagegen.“ Jauch nahm einen Schluck Wasser und wollte dann den Vornamen der ersten Frau eines bekannten Politikers wissen. Er las die zur Auswahl stehenden Möglichkeiten vor. Charlotte überlegte aufgeregt. Sie konnte sich zwischen A und C nicht entscheiden. Zu Hause, vor dem Bildschirm, war sie sicher, würde sie kein Problem haben. „Mit wie vielen Frauen war er denn verheiratet?“ Jauch hob, den Ahnungslosen mimend, die Schultern an. Er wisse es doch sicher, schmeichelte sie, versuchte, ihm einen Hinweis zu entlocken. Nur ein „Vielleicht“, schlüpfte über seine Lippen. Ein Black Out, das berühmte schwarze Loch im Kopf, vor dem sie, als sie noch auf der Bühne gestanden war, Panik gehabt hatte, musste sie ausgerechnet jetzt befallen. Sie habe noch alle drei Joker, meldete sich Jauch, sie solle an die Kandidatin denken, die gerade auf 500 Euro zurückgefallen sei und ebenfalls ihre Joker gehortet habe. Charlotte würde nicht einmal die erste Gewinnstufe erreichen. Jetzt schon einen Joker nehmen? Ehrgeiz packte sie. Und wozu hatte sie Max und seine Mannschaft samt Maskottchen? Wo blieb die versprochene Unterstützung? Charlotte nahm das Wasserglas zur Hand, über dessen Rand sich die Augen des Maskottchens spiegelten. Die honiggelbe Iris beider Augen verfärbte sich, wurde dunkelbraun. Charlotte war erleichtert. Sie tippte mit ihrem Zeigefinger gegen die 34
1. Quintil bis unter 35 Jahre
2. Quintil
3. Quintil
4. Quintil
22,5
19,7
18,5
24,1
35 bis 45 Jahre
13,4
45 bis 55 Jahre
17,4
11,3
55 bis 65 Jahre
12,6
18,4
65 bis 75 Jahre
Bevölkerung insgesamt 0%
27,6
20,2 25,5
20,0 20%
30,5
20,8
26,1
20,0
23,1
25,5 17,3
31,0
18,6 17,6
20,0 40%
15,2
22,2
20,1 15,9
20,5
75 Jahre und älter
23,9
5. Quintil
13,4
20,0 60%
14,6 12,5 20,0
80%
100%
Abb. 2.5: Einkommensverteilung nach Altersgruppen. (Jedes Quintil umfasst 20 Prozent aller nach Höhe der Einkommen sortierten Personen der Gesamtbevölkerung.1)
Stirn, murmelte, es läge wohl an der Nervosität, dass sie nicht gleich auf den richtigen Namen gekommen sei. Es sei Antwort C, verkündete sie mit fester Stimme. Jauch stutzte. Ja, er solle C einloggen, verlangte sie. Er werde ihr nicht widersprechen. Als die Antwort grün aufleuchtete, freute er sich mit ihr. „Gestatten Sie mir die Frage nach Ihrem Alter?“ Charlotte fühlte das Kameraauge auf sich gerichtet. „Siebenundsiebzig.“ „Also wirklich, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Neunundfünfzig und keinen Tag mehr.“ Charlotte merkte, wie ihre Wangen pulsierten, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie errötete. „Sie haben sich für Ihre zweiunddreißigeinhalb Jahre auch gut gehalten“, konterte sie, um von sich abzulenken. „Was sagt man da! Glauben Sie nur ja nicht, dass Sie mit Schmeicheleien bei mir weiterkommen.“ Jauch rückte den Krawattenknoten zurecht. „Aber nett finde ich Ihre Worte schon, muss ich zugeben. Bereit für die nächste Frage?“ Charlotte nickte. Er las vor und sie lachte. Bei der Lieblingsspeise des vierbeinigen Fernsehkommissars könne es sich nur um eine Wurstsemmel handeln, sie wolle Antwort B nehmen. Jauch loggte ein. „Besitzen Sie einen Hund?“ 35
zu Familien mit minderjährigen Kindern bzw. allein Lebenden im erwerbsfähigen Alter sind Ältere einem deutlich geringeren Armutsrisiko ausgesetzt. Betrachtet man die Verteilung der Einkommen in der Gesamtgesellschaft nach Alter und Einkommensquintilen, so finden sich immerhin knapp 13–15 % der über 65-Jährigen im obersten Fünftel der Einkommenshierarchie, bei den 55- bis 65-Jährigen sind es sogar fast 28 % (DIW 2003). Die ökonomische Situation im Alter unterscheidet sich deutlich nach neuen und alten Bundesländern sowie nach Geschlecht und Haushaltstyp. Für alle Seniorenhaushalte zeigt sich, dass die durchschnittlichen Nettogesamteinkommen in den alten Bundesländern über denen in den neuen Bundesländern liegen. Das durchschnittliche monatliche NettoGesamteinkommen, das die 65-jährigen und älteren Personen (ohne Heimbewohner) in 1
Deutschland aus Alterssicherungssystemen und sonstigen Einkommensquellen bezogen, betrug im Jahr 1999 in den alten Bundesländern für Ehepaare 1.941 Euro, für allein stehende Männer 1.360 Euro und für allein stehende Frauen 1.090 Euro. In den neuen Bundesländern betrug das monatliche NettoGesamteinkommen der 65-Jährigen und älteren im Jahr 1999 für Ehepaare 1.728 Euro, für allein stehende Männer 1.152 Euro und für allein stehende Frauen 1.012 Euro (Alterssicherungsbericht 2001). Bei der Bewertung der Durchschnittsbeträge muss beachtet werden, dass hier sowohl unterdurchschnittliche als auch überdurchschnittliche Werte eingehen, d. h. die tatsächliche ökonomische Situation der Haushalte der über 65-Jährigen kann mit diesen Durchschnittswerten nur begrenzt abgebildet werden.
Das durchschnittlich verfügbare Einkommen beträgt dabei im 1. Quintil 8.272 Euro, im 2. Quintil 13.857 Euro, im 3. Quintil 17.669 Euro, im 4. Quintil 34.714 Euro und im 5. Quintil 34.714 Euro. (Daten-Quellen: SOEP 2001; Berechnungen des DIW, DIW-Wochenbericht 12/03) Vorjahreseinkommen (einschließlich des Mietwertes selbstgenutzten Wohneigentums), äquivalenzgewichtet mit der Quadratwurzel der Haushaltsgröße.
Sie verneinte. „Ich lese hier, dass Sie aus Österreich stammen.“ Wie sie denn eine Boulette, auf gut wienerisch, bezeichnen würde? „Fleischlaberl.“ Jauch wiederholte das Wort und Charlotte nickte anerkennend, er habe Talent. Gleich darauf leuchtete Wurstsemmel auf dem Bildschirm grün auf. Das sei, sozusagen, ein Heimspiel für sie gewesen, aber nun käme die 1.000-Euro-Frage und es wäre an der Zeit, dass sie einen Joker benötige. Charlotte überlegte kurz, da verfärbte sich auch schon ein Auge des Maskottchens und sie nannte die richtige Antwort. „Ach, und wieder habe ich Ihnen keinen Joker abgeluchst.“ Jauch seufzte zweimal tief auf. Wie sie dieses Seufzen liebte. Unweit von Charlotte kippte ein Stativ, auf dem sich ein Scheinwerfer befand, mit lautem Krachen auf den Boden. Sie dachte an einen Racheakt Karl-Ottos. Im Publikum waren Schreie zu hören. Die Raucherin stürmte auf Charlotte zu und packte sie am Ärmel der Seidenbluse. Sie sei um viel Geld betrogen worden, ereiferte sich die junge Frau. Charlotte solle sofort verschwinden und ihr den Platz überlassen! Zwei Security-Männer tauchten neben der Frau auf, wollten sie von Charlotte wegzerren. „Lassen Sie die Frau sofort los!“, brüllte Charlotte. Einer der Männer öffnete die Umklammerung, sie wand sich geschickt aus dem Griff des anderen. „Es tut mir leid“, wisperte sie in Charlottes Richtung. 36
Wichtigste Einkommensquelle in West- und Ostdeutschland sind Rentenzahlungen aus der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV); der Anteil der GRV am Gesamteinkommen beträgt in den alten Bundesländern 76 %, in den neuen Bundesländern liegt er bei 99 %. Die höhere Bedeutung der GRV in den neuen Ländern ist darauf zurückzuführen, dass es zu DDR-Zeiten kein Nebeneinander unterschiedlicher Alterssicherungssysteme gab, weshalb auch Veränderungen in der Gesetzlichen Rentenversicherung in ihrer Wirkung für ostdeutsche Haushalte im Durchschnitt gravierender als für westdeutsche sind (Alterssicherungsbericht 2001). In ostdeutschen Paarhaushalten findet man vergleichsweise häufiger als in den alten Bundesländern zwei Renteneinkommen, da in der Regel auch Frauen kontinuierlich erwerbstätig waren und entsprechende Rentenansprüche erworben haben. Während sich in den alten Bundesländern erhebliche Differenzen zwischen Männern und Frauen zeigen, fallen diese Unterschiede in den neuen Bundeslän-
dern weniger deutlich aus. Auch die Streuung der Haushaltsnettoeinkommen ist in den neuen Bundesländern wesentlich geringer als in den alten. Das heißt, dass es in Ostdeutschland weniger Seniorenhaushalte mit unterbzw. überdurchschnittlich hohen Nettoeinkommen gibt. Betrachtet man ausschließlich die durchschnittlichen Zahlbeträge aus der GRV (und nicht das Haushaltsnettoeinkommen), so liegen diese Bezüge in Ostdeutschland sowohl für über 65-jährige Frauen als auch Männer höher als in Westdeutschland. Paare bzw. Einzelpersonen in den alten Ländern verfügen also durchschnittlich über größere Anteile weiterer Einkommen, welche die Bezüge aus der GRV auf Haushaltsebene aufstocken. (Alterssicherungsbericht 2001) Während bei den männlichen Senioren die Lebenslage geprägt ist durch eigene Rentenansprüche, gilt dies für die Frauen nicht in gleichem Maße. In den alten Bundesländern ist der Anteil von Frauen mit eigener Alterssicherung vergleichsweise niedrig und steigt erst in den jüngeren Gruppen an. Diese alters-
Die Frau senkte ihren Kopf und folgte widerstandslos den beiden Männern aus dem Studio. Jauch tupfte sich mit einem Taschentuch über die Stirn. Damit habe er nicht gerechnet, dies sei noch nie passiert. Er entschuldigte sich beim Publikum und bei Charlotte über diese unliebsame Unterbrechung. Die Enttäuschung der Frau müsse wirklich groß gewesen sein, sie täte ihm sehr leid, aber es handle sich eben um ein Spiel, bei dem man viel gewinnen, aber auch viel verlieren könne. Charlottes Herz raste, sie sah den verzweifelten Gesichtsausdruck der jungen Frau vor sich. Jauch trat neben sie, legte beruhigend eine Hand auf ihre Schulter. Man könne eine Pause einlegen, wenn sie wolle, schlug er vor. Charlotte lehnte ab. Wenn sie jetzt Zeit zum Überlegen bekäme, stiege das Mitleid, das in ihr zu der Frau entbrannt war, ins Unermessliche. Sie würde wohl, durch ihre Gefühle abgelenkt, keinen klaren Gedanken fassen können. Was für einen Sinn hätte es dann, auf den Stuhl zurückzukehren? Aber wie hieß es? The show must go on. So hatte sie es einmal gelernt. Was für ein grausamer Spruch. Jauch trank sein Glas in einem Zug leer, Flora schenkte nach. Charlotte atmete mehrere Male tief ein. Sie wolle keine Unterbrechung. Der Jingle ertönte, die Aufzeichnung wurde fortgesetzt. „Sie wurden in Wien geboren. Was hat Sie nach Berlin verschlagen?“ Sie sei nach dem Krieg aus beruflichen Gründen nach Berlin gekommen. Und dann habe sie die Liebe hier festgehalten. „Zu einem Mann oder zu Berlin?“ Charlotte lachte, in ihrer Verunsicherung viel zu laut. 37
gruppenspezifischen Unterschiede finden sich in den neuen Bundesländern nicht (siehe oben). Auch in der Höhe unterscheiden sich die eigenständigen Alterssicherungsleistungen von Frauen und Männern erheblich: In den alten Ländern beträgt die Rente der Frauen nur 36 % derer der Männer, in den neuen Ländern immerhin 55 %. Hier kommen sowohl die kürzeren Erwerbszeiten von Frauen zum Tragen als auch die unterdurchschnittlichen Arbeitsentgelte, die Frauen im Berufsverlauf erzielen. Die durchschnittliche Anzahl der Erwerbsjahre liegt für Männer bei 37 (alte BL) bzw. 43 Jahren (neue BL); für Frauen betragen sie lediglich 22 (alte BL) bzw. 34 Jahre (neue BL). Je geringer die Zahl der Erwerbsjahre im Lebensverlauf, umso ungünstiger entwickelt sich auch die Relation der Alterssicherungsleistungen von Frauen im Vergleich zu Männern. Weitere Unterschiede bei der Alterssicherung von Frauen zeigen sich in Abhängigkeit vom Familienstand: Während ledige Frauen hinsichtlich der Alterssicherungsbezüge mit ledigen Män-
nern (nahezu) gleichauf liegen (alte und neue BL), sind die Unterschiede für Geschiedene/ getrennt Lebende, verwitwete und verheiratete Frauen zum Teil beträchtlich. Es kann festgehalten werden, dass die gegenwärtige Generation älterer Frauen – insbesondere in den alten Bundesländern – erheblich geringere Altersversicherungsleistungen hat als die gegenwärtige Generation der Männer. Bezogen auf künftige Seniorengenerationen, wird sich dieses Bild verändern, da die heute im Erwerbsleben stehende Frauengeneration tendenziell höhere Anwartschaften aufweist. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass sich an der ungünstigen Verteilungssituation zwischen Männern und Frauen Grundsätzliches ändert, solange strukturelle gesellschaftliche Ungleichheiten der Geschlechter fortbestehen. 2.2.4 Fazit Die Einkommenssituation der Haushalte Älterer in Deutschland kann gegenwärtig insgesamt als gut bewertet werden. Fast 38 % der
„Wenn Sie so wollen, zu beiden“, antwortete sie kokett. „Nun gut. Für 2.000 Euro möchte ich von Ihnen wissen...“, vernahm sie Jauch. Charlotte war nicht ganz bei der Sache, dennoch war sie überzeugt, dass B richtig sei, obwohl das Maskottchen kein Zeichen zur Bestätigung gab. „Und Sie wollen sich nicht absichern?“ Charlotte schüttelte energisch den Kopf. Nun, dann wolle er sie jetzt ordentlich schwitzen lassen. Sie wisse, was nun komme? Ja, ein Werbebreak, sagte sie ergeben. Jauch verschwand, bevor Charlotte ihn fragen konnte, ob ihre Antwort stimme. Die Maskenbildnerin stellte sich neben Charlotte und tupfte mit einem Schwämmchen über Nase und Wangen. „Wissen Sie es, habe ich recht?“ Sie dürfe darüber nicht mit ihr reden, erklärte die Maskenbildnerin. Flora gesellte sich zu den beiden, sie hüstelte. Sie habe ein gutes altes Hausmittel von ihrer Mutter, meinte Charlotte, das helfe garantiert gegen den lästigen Husten. Man müsse zwei bis drei fächerartig geschnittene Zwiebeln eine halbe Stunde lang leicht kochen, den Sud abgießen und ihn mit Honig vermischen. Die Flüssigkeit in kleinen Schlucken genossen, werde rasch Wirkung zeigen, den Husten vertreiben. Flora verzog angewidert den Mund. Zwiebeln seien nicht gerade ihre Geschmacksrichtung. Sie nahm das leere Glas von der Ablage. „Darf ich Ihnen noch etwas zu trinken bringen?“ Ja, gerne, aber dieses Mal etwas Aufregendes, nichts so langweiliges wie Sprudel, den möge sie 38
55- bis unter 64-Jährigen und immer noch bis zu 15 % der über 65-Jährigen sind im obersten Einkommensquintil zu finden. Zwar ist in Deutschland das Problem der Altersarmut nicht überwunden (insb. bei Frauen), das Armutsrisiko ist jedoch für andere gesellschaftliche Gruppen weitaus höher als für Ältere. In Deutschland scheiden die Beschäftigten heute mit durchschnittlich 60,7 Jahren aus dem Erwerbsleben aus, zum Teil freiwillig, zu einem großen Teil aber unfreiwillig – die Arbeitslosenquote liegt bei den 55- bis 65-Jährigen gegenwärtig bei 12 %. Auf dieses beträchtliche Potenzial an Wissen, Fertigkeiten und Erfahrung werden Wirtschaft und Gesellschaft in Zukunft nicht verzichten können, und auch im Hinblick auf die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme ist die weitere Verkürzung der Lebensarbeitszeit nicht tragbar. Die heutige Generation älterer Menschen verfügt über eine bessere formale und berufliche Bildung als ihre eigene Elterngeneration, wobei geschlechtsspezifische Bildungsunter-
schiede bei den heute 55-Jährigen und älteren noch im Bereich der höheren Abschlüsse zu verzeichnen sind (mehr Männer als Frauen verfügen über diese Abschlüsse), während bezogen auf ein mittleres schulisches Bildungsniveau das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ausgeglichen ist. Das gestiegene Bildungsniveau begünstigt die Bildungs- und Weiterbildungsmotivationen und -interessen auch nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Dies zeigt sich u. a. auch in der steigenden Bereitschaft älterer Menschen, sich neue Technologien anzueignen.
genauso wenig, wie Flora Zwiebeln. Charlotte überlegte kurz. Das verzweifelte Gesicht der Raucherin tauchte vor ihr auf. Vielleicht einen Whisky, er würde ihre Nerven beruhigen. Flora bedauerte, Alkohol sei während der Sendung nicht erlaubt. „Schade. Dann bringen Sie mir bitte ein Glas Leitungswasser.“ Flora hüstelte und ging zum Ausgang. Charlotte griff in die Hosentasche, zog den Flachmann hervor und nahm rasch einen Schluck. „Das will ich jetzt aber nicht gesehen haben!“ Jauch hatte sich wieder auf seinem Platz nieder gelassen. Er zwinkerte Charlotte verschwörerisch zu. „Kann ich auch einen Schluck haben?“ Charlotte wollte ihm den Flachmann reichen, er winkte ab. Er habe Spaß gemacht, meinte er schmunzelnd. Eine Garderobiere zupfte an Jauchs Krawatte und richtete den Hemdkragen, der sich im Sakko verkeilt hatte. Charlotte konzentrierte sich auf ihr linkes Ohr. Im Saal war Gemurmel zu hören. Kleine elektrische Funken schwirrten durch die Luft, sammelten sich über ihrem Haupt und ließen sich darauf nieder. Eine kaum erträgliche Anspannung breitete sich in ihr aus. „Sie machen das wirklich souverän“, lobte Jauch Charlotte, dem ihre Nervosität nicht zu entgehen schien. Sie war dankbar für seine Worte, die sie ein wenig ablenkten. Er sieht in Natura noch viel besser aus, als im Fernsehen. Ihr Zwerchfell zog sich zusammen, ein „Hicks“ drückte sich über ihre Lippen. Ausgerechnet jetzt! Wie schrecklich. Jauch schmunzelte. Karl-Otto hat allen Grund, eifersüchtig zu sein. Flora stellte das Glas mit Wasser vor Charlotte auf den kleinen Tisch. 39
„Sehr zum Wohle.“ Jauch hob sein Glas an und prostete Charlotte zu. Kaum hatte sie das Glas wieder abgestellt, ertönte auch schon die Musik. Jauch setzte sich im Stuhl zurecht, ein Scheinwerfer erfasste ihn, das Publikum im Saal applaudierte. Der Schluckauf war verschwunden. „Frau Ruhland hat gezögert. Nun sind wir alle gespannt, ob sie recht hat.“ Die eingeloggte Antwort B leuchtete grün auf. Sie raube ihm den letzten Nerv, meinte er. Die Antwort sei wieder richtig. „Sie haben vorhin gesagt, dass Sie aus beruflichen Gründen nach Berlin gekommen sind, uns aber nicht verraten, um was für einen Beruf es sich handelt.“ Nun, sie habe nicht darüber reden wollen, kam es zögernd von Charlotte, es sei ihr Geheimnis. Aber für ihn werde sie eine Ausnahme machen. Das ehre ihn, sagte Jauch. „Also...“ Charlotte räusperte sich, „ich habe...“ „Nein, warten Sie“, unterbrach Jauch. „Kann es denn sein, dass ich quasi ihretwegen einmal Fernsehverbot bekommen habe?“ Jauch grinste sie listig an. Charlotte rutschte verunsichert auf ihrem Stuhl bis zum Rand. Worauf wollte er hinaus? Er sei noch ein kleiner Junge gewesen und habe sich an der Schellack-Sammlung seiner Mutter zu schaffen gemacht. Dabei sei ihm unabsichtlich eine Schellack aus der Hand gerutscht, auf dem Boden gelandet und zerbrochen. Als seine Mutter das bemerkte, war sie außer sich, denn gerade diese, ihre Lieblingsschellack, gab es nicht mehr zu kaufen und in Sammlerkreisen wur40
de sie zu Höchstpreisen gehandelt. Zur Strafe durfte er eine ganze Woche lang nicht fernsehen. „Aber wie Sie sehen, hat das nichts gebracht. Oder vielleicht bin ich gerade deshalb beim Fernsehen gelandet.“ Jauch schob seine Unterlippe nach vorn und sah sie treuherzig an. Charlotte lächelte. Sie werde ihm gerne eine Schellack aus ihren eigenen Beständen zukommen lassen. Nein, nein, darauf habe er nicht hinaus wollen. Er habe ihr Geheimnis, das ja wirklich keines sei, damit lüften wollen. Denn er sei sicher, dass es einige Menschen hier im Saal und noch viele mehr vor den Bildschirmen gäbe, die sich an Charlotte Gruber, die Operettensängerin, erinnern. Und bestimmt kenne man sie durch ihre Schlager, die sie Ende der 50er Jahre aufgenommen habe. So gerne er sich mit ihr unterhielte, er müsse ihr nun die nächste Frage stellen, bei der es um 4.000 Euro ginge. Charlotte runzelte ihre Stirn, blickte auf den Bildschirm. A, B, D, oder C? Sie hatte keine Ahnung, überspielte, wie sie hoffte, ihre Unwissenheit, indem sie vorgab, nachzudenken. „Ihre Begleitung weiß es offenbar auch nicht. Herr van Horn schüttelt den Kopf“, informierte Jauch sie über das Geschehen, das sich außerhalb ihres Blickfeldes abspielte. Das linke Auge des Maskottchens verfärbte sich. Es sei Antwort A. Sie verblüffe ihn, sagte Jauch, wieder habe sie richtig getippt, aber er wäre jede Wette eingegangen, dass sie dieses Mal einen Joker benötigt hätte. „Ich gamble gerne“, meinte Charlotte. Er merke schon, dass mit ihr nicht zu spaßen sei, er werde sich hüten, sich von ihr herausfordern zu lassen. 41
2.3 Körperliche und geistige Leistungsfähigkeit Matthias Göbel 2.3.1 Allgemeine Aspekte Älterwerden ist gemeinhin assoziiert mit nachlassender physischer, perzeptiver und kognitiver Performanz. Die Ursachen hierfür sind zu suchen in 1. altersbedingten Veränderungen der Körperfunktionen (z. B. verlangsamte Reaktionszeit, Trübung der Augenlinse), die zu nachlassenden Leistungseigenschaften führen, 2. spezifischen Krankheiten und deren Folgen bzw. chronischen Krankheiten, die aufgrund ihrer weiten Verbreitung eine allgemeine Berücksichtigung bei der Produktgestaltung erfordern (z. B. Grauer Star, Arthritis), und 3. Degenerationserscheinungen aufgrund von mangelnder Inanspruchnahme (Training). Obwohl in der Realität immer alle drei genannten Ursachen von Bedeutung sind, müssen diese in unterschiedlicher Weise für die Produktgestaltung berücksichtigt werden. Altersbedingte Veränderungen der Körper-
funktionen (zu 1.) treten bei allen Menschen in ähnlicher Weise auf und führen zu einer gleichmäßigen altersbedingten Leistungsvariation bei annähernd gleich bleibender Streubreite. Spezifische Krankheiten und deren Folgen (zu 2.) treten nur bei Teilen der Bevölkerung auf. Das heißt ein bestimmter Prozentsatz älterer Menschen ist dadurch mehr oder minder stark leistungsbeeinträchtigt, während der übrige Teil davon überhaupt nicht betroffen ist. Der Anteil Betroffener schwankt auftretensbedingt mit dem Alter. Eine Betrachtung anhand von Durchschnittsleistungen macht in diesem Fall keinen Sinn, weil sie dem gesunden Menschen eine nicht vorhandene Leistungsbeeinträchtigung unterstellt, während die Einschränkungen betroffener Menschen (wegen der Mittelung über die Gesamtpopulation) nicht ausreichend berücksichtigt werden. Degenerationserscheinungen aufgrund mangelnder Inanspruchnahme (zu 3.) sind wiederum nicht auf physiologische und neurologische Ursachen zurückzuführen, sondern
„Meine Mutter war in ihrer Jugend ein großer Fan von Ihnen“, wechselte er das Thema. Das freue sie, sagte Charlotte. „Wieso haben Sie Ihre Karriere, und als solche kann man sie ja bezeichnen, abgebrochen?“ Dies sei ein dunkles Kapitel in ihrem Leben, das sie wirklich gerne vergessen würde, seufzte Charlotte. Es sei nach der Generalprobe zu My Fair Lady gewesen, 1961, im Theater des Westens. Augenblicklich stieg Rauch in Charlottes Nase. Sie fühlte sich zurückversetzt in die Theatergarderobe, dachte an die Ohnmacht und daran, wie sie erwachte, als sie jemand aus der Garderobe zerrte. Man sei zwar noch weit davon entfernt, aber ob sie, sollte sie die 125.000-Euro-Frage richtig beantworten, etwas vorsingen werde? Nein, leider, bedauerte Charlotte. „Ein Feuer ist in meiner Garderobe ausgebrochen. Wie Sie sehen, konnte ich gerettet werden. Aber aufgrund des Rauchgases haben sich Stimmbandknoten gebildet.“ Sie habe nie wieder so singen können, wie zuvor und sei auch nie wieder auf einer Bühne gestanden. Das täte ihm sehr leid. Charlotte fuhr sich über die Narbe unter der linken Augenbraue. Sie hatte sich an der Kante des Schminktisches in ihrer Garderobe gestoßen, kurz bevor sie in Ohnmacht gefallen war. Für 8.000 Euro wolle er von ihr wissen ... Charlotte fixierte das Maskottchen. Beide Augen verfärbten sich. Und gleich darauf noch einmal. „D“, sagte sie. Ricardo und die anderen leisteten gute Arbeit. Stolz keimte in ihr auf. Am liebsten hätte sie Jauch von ihren Partnern erzählt. Schade! Schlager der 50er und 60er Jahre seien im Moment wieder voll im Trend, erlebten eine Renaissance. 42
von der individuellen Verhaltensweise abhängig und haben somit einen psychologischen bzw. soziokulturellen Hintergrund. Derartige Degenerationserscheinungen sind im Prinzip zwar reversibel (durch Training), wegen der rekursiven Wirkung (geringe Inanspruchnahme führt zu nachlassender Leistungsfähigkeit, wegen dieser wird wiederum der Grad der Inanspruchnahme reduziert) tritt im Laufe der Zeit jedoch ein Verstärkungseffekt ein, der eine vollständige Auflösung jahrzehntelang geprägter Gewohnheiten außerordentlich schwer oder gar unmöglich macht. Dieser Kumulationseffekt führt weiterhin dazu, dass die verhaltensinduzierten Leistungsunterschiede zwischen verschiedenen Menschen im Laufe der Zeit (d. h. mit dem Alter) zunehmen. Allerdings ist Altern nicht nur mit degenerativen Erscheinungen verbunden. Lebenserfahrung und Weisheit steigen mit dem Lebensalter und folglich werden Kommunikation sowie Verhaltens- und Lebensentscheidungen (z. B. auch das Kaufverhalten) mit steigendem Alter zunehmend reflektierter.
Die verschiedenen altersbedingt veränderlichen Leistungs- und Verhaltensmerkmale sind zwar bezüglich ihrer Entstehung mehr oder minder unabhängig, stehen jedoch in Bezug auf die Ausübung der Lebensaktivitäten in einem engem Zusammenhang zueinander. Dies ist im wesentlichen durch Kompensationsverhalten zu begründen und kann in einer Vermeidungsstrategie münden (z. B. bestimmte Tätigkeiten wegen Unfallrisiken nicht mehr auszuführen), aber auch kompensierend wirken (wie z. B. beim Autofahren die nachlassenden Wahrnehmungseigenschaften durch zunehmende Erfahrung kompensiert werden, weswegen ältere Autofahrer nicht unsicherer fahren als jüngere). 2.3.2 Körperliche Eigenschaften Die muskuläre Leistungsfähigkeit nimmt aufgrund von Veränderungen des Stoffwechsels bereits ab dem dritten Lebensjahrzehnt stetig ab. Für Senioren muss mit einer um 30 % bis 50 % verringerten Maximalkraft gegenüber jüngeren Erwachsenen gerechnet werden.
Sie sei damals sehr bekannt gewesen, habe die besten Kritiken erhalten. Charlotte schüttelte den Kopf. Ein Kritiker habe ihr seichte Unterhaltung vorgeworfen. Das solle sie nun nicht mehr kränken, tröstete Jauch. „Kommen wir zur nächsten Frage.“ Er las sie vor. Es war die zehnte Frage, eine wichtige Hürde. 16.000 Euro wären ein gutes Startkapital, um Oskar zu helfen, ging es ihr durch den Kopf. Wieder war ihre Antwort richtig, sie hatte sie ohne Hilfe des Maskottchens geschafft. Sie war erleichtert. Dieses Geld konnte ihr niemand mehr nehmen. Welche ihrer Schellacks am erfolgreichsten gewesen sei? „Wenn Träume in Erfüllung gehen.“ Dies sei doch eine hoffnungsfrohe Aussage, nach allem, was er gerade gehört habe. „Jetzt haben wir uns ja ganz schön verplaudert. Verplaudert? So sagt man doch in Wien?“ Charlotte stimmte ihm zu. Er wolle schnell weitermachen, ob sie damit einverstanden sei? Sie nickte und lauschte angestrengt, als er die Frage vorlas, verfolgte auf dem Bildschirm die auftauchenden Antworten. Es ging um Surrealisten. Funkstille vom Maskottchen. Eine Frage, die Emma beantworten kann, dachte Charlotte. Im nächsten Moment verfärbte sich das linke Auge. Sie würde nichts verlieren, aber auch nichts dazugewinnen und nehme Antwort A. Er loggte ein. „Sie sollten das Gesicht Ihrer Begleitung sehen.“ Jauch runzelte die Stirn, schob die Augenbrauen zur Nasenwurzel und spitzte seine Lippen, als wol43
Gleiches gilt in verringertem Ausmaß für die energetische Leistungsfähigkeit des HerzKreislauf-Systems. Diese Faktoren spielen für die Praxis jedoch nur eine untergeordnete Rolle, da 1. maximale Kräfte normalerweise für die Haushaltsführung nicht abgefordert werden und 2. die individuellen körperlichen Fähigkeiten stark trainingsabhängig sind und daher mit dem Gesundheitszustand und der Lebensführung enorm variieren. Praktisch bedeutsam sind vielmehr Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit, die sich nicht nur aus Veränderungen der muskulären Fähigkeiten, sondern auch aus der Sehnen-und Gelenkkonstitution ergeben. In Bezug auf die Aktionsmöglichkeiten älterer Menschen bedeutet dies, dass sich primär die Bewegungsbereiche als solche und demzufolge die Maximalkräfte in den äußeren Zonen des Bewegungsbereichs einschränken, wohingegen im mittleren Bewegungsbereich nur eine moderate Reduktion der Maximalkräfte zu verzeichnen ist. Die Einschränkungen des Bewegungsbereichs sind jedoch in hohem Maße individuell
unterschiedlich, sie reichen von einer selbst gegenüber jüngeren Menschen überdurchschnittlichen Beweglichkeit bis herab zu einer Bewegungseinschränkung bereits bei mittleren Gelenkstellungen. Für die Ausübung von Alltagstätigkeiten ist darüber hinaus das durch die biomechanische Verkopplung der verschiedenen Körperteile zu bildende Gleichgewicht von großer Bedeutung. Bewegungseinschränkungen wirken sich bei Alltagstätigkeiten daher nicht nur auf die Stabilität des Körpergleichgewichts aus, sondern die Stabilität des Körpergleichgewichts kann insofern auch die praktischen Grenzen der Bewegungsfähigkeit bestimmen (sofern keine weitere Abstützung erfolgt). In diesem Zusammenhang mag auch der altersbedingte Tremor einen weiteren Einfluss ausüben. 2.3.3 Sinnesleistungen Alle Sinnesleistungen verschlechtern sich mit dem Alterungsprozess. Dies betrifft die Empfindlichkeit (Wahrnehmungsschwelle), die Auflösung und die Reaktions- bzw. Verarbei-
le er pfeifen. Eine verschlossene Auster sei nichts gegen das Mienenspiel des Mannes, verkündete er, unmöglich, daraus Schlüsse zu ziehen. Die Antwort leuchtete auf. Sie habe 32.000 Euro, jubelte Jauch, als habe er selbst gewonnen. „Alle Achtung. Verraten Sie uns, was Sie mit diesem Betrag anfangen wollen?“ Sie habe von ihrem Mann Karl-Otto ein Haus in der Knesebeckstraße geerbt. Es habe drei Stockwerke und sei für sie zu groß, darum vermiete sie Zimmer. „Drei Stockwerke. Da fällt ja ordentlich was ab an Miete. Sie müssen eine steinreiche Frau sein.“ „Das war einmal, heute leider nicht mehr, denn ich vermiete lediglich das erste Stockwerk,“ bedauerte Charlotte. „Nach dem schrecklichen Ereignis im vergangenen Jahr haben die Mieter des zweiten und dritten Stockwerks Hals über Kopf das Haus verlassen.“ „Was um alles in der Welt ist denn geschehen?“ „Etwas Furchtbares. Ich möchte darüber aber nicht reden“, quetschte Charlotte hervor. Die Geschichte habe viel Staub aufgewirbelt. Niemand wolle einziehen, außer schräger Typen. Grufties, mit einem Sarg auf den Rücken gebunden, selbst ernannte Hexen, oder Teufelsaustreiber würden sich als Mieter bewerben. Und keiner von ihnen sei bereit, einen Cent Miete zu bezahlen. Jauch unterbrach Charlotte. „Wollen wir es dabei belassen und unsere Neugier über das Ereignis zügeln. Aber Sie haben mir noch immer nicht verraten, wofür Sie das gewonnene Geld verwenden wollen.“ Sie werde es in die My Fair Lady, so habe sie das Haus getauft, investieren. Es sei stark renovierungs44
tungszeit. Daraus folgend reduziert sich die nutzbare Dynamik (zwischen Wahrnehmungsschwelle und maximal zumutbarer Intensität) wie auch das Lokalisationsvermögen. Dies hat vielfältige Auswirkungen auf die Gestaltung der Lebensumgebung: Hinsichtlich der visuellen Wahrnehmung führt vor allem die reduzierte Akkomodationsfähigkeit der Augenlinse zu einer altersbedingten Weitsichtigkeit (Presbyopie), die nahezu alle Menschen ab dem sechsten Lebensjahrzehnt betrifft und infolge derer scharfes Sehen erst ab 0,7 – 1,5 m Sehabstand oder nur mit Sehhilfe möglich ist. Ohne Sehhilfe sind entsprechend auch im Nahbereich nur große Zeichen und Symbole zu erkennen. Auch die Umstellungszeit für den Entfernungswechsel steigt mit dem Alter deutlich an. Wegen der verringerten Empfindlichkeit brauchen ältere Menschen höhere Beleuchtungsstärken, wobei der Lichtbedarf kontinuierlich mit dem Alter ansteigt. Bei ausreichend starker Beleuchtung können ältere Menschen jedoch nahezu unbeeinträchtigte Sehleistun-
gen erbringen. Die Trübung der Augenlinse kann auch bei gesunden Senioren zu einer leicht verschlechterten Farbunterscheidung führen. Die auditive Wahrnehmung verändert sich altersbedingt hinsichtlich der Hörschwelle und der Empfindlichkeit für hohe Frequenzen. Für die Gestaltung akustischer Signalgeber ist daher eine besondere Aufmerksamkeit auf die Wahl des Geräuschspektrums (Erkennbarkeit muss allein durch die niederfrequenten Signalanteile eindeutig möglich sein) und die Einstellbarkeit der Lautstärke zu richten. Deutliche Einschränkungen der Hörfähigkeit, die alters- und krankheitsbedingt bei Teilen der älteren Bevölkerung auftritt, können normalerweise mit Hörgeräten weitgehend kompensiert werden. 2.3.4 Sensumotorische und kognitive Leistungen Altersbedingte Veränderungen der sensumotorischen Leistungen sind primär auf die um 30 % bis 50 % verlängerte neuronale Reak-
bedürftig. Jauch nickte mitfühlend und schien über den Themenwechsel erleichtert. „Mir brauchen Sie da nichts zu erzählen. Eine neue Stromleitung hier, ein undichtes Rohr da und futsch ist das ganze Geld.“ Er runzelte seine Stirn und nickte mehrere Male. Eigenartig, fand Charlotte, je höher sie auf der Euro-Leiter kletterte, umso sicherer fühlte sie sich. Auch die Nervosität war gänzlich von ihr abgefallen. Gelassen hörte sie sich die 64.000-Euro-Frage an. Das rechte Auge des Maskottchens verfärbte sich, Charlotte nahm Antwort B. Ein gemütliches Zusammensitzen mit einem Bekannten bei Kaffee und Kuchen, ging es ihr durch den Kopf. Und dann mahnte sie sich zur Aufmerksamkeit, freute sich, dass sie eine Runde weitergekommen war. „Sagen Sie mal, die Wände in Ihrem Haus sind trocken, oder besteht da auch Bedarf nach einem Handwerker? Weil, das kann dann so richtig teuer werden.“ Ja, er spräche aus Erfahrung. Der Keller müsse trocken gelegt und der Dachboden solle isoliert werden, meinte Charlotte. Sie habe sich zwölf Fragen lang wacker geschlagen. Für die dreizehnte, bei der es um 125.000 Euro gehe, wolle er nun folgendes wissen... Charlotte hatte nicht die geringste Ahnung, wie die Antwort lauten könnte. Die Dreizehn hat mir doch immer Glück gebracht, dachte sie. Sie blickte verstohlen zum Maskottchen. Nichts.Nicht das geringste Zeichen, das sie aus seinen Augen ablesen konnte. „Wollen Sie nicht einen Joker ziehen?“ 45
tionszeit zurückzuführen. Dementsprechend reduziert sich der Zeitbedarf bzw. die Genauigkeit für die Bewegungsausführung (genauer: das Zeit-Genauigkeits-Verhältnis als Leistungscharakteristik der zugrunde liegenden Regelungsaufgabe). Charakteristische Unterschiede für verschiedene Bewegungsarten und verschiedene Körperteilbewegungen werden nicht gefunden. Ebenso sind hinsichtlich der reinen Gedächtnisleistungen (Merk- und Selektionsfähigkeit) keine relevanten Unterschiede festzustellen. Allerdings führt die neuronal bedingte Verlangsamung der Informationsverarbeitung in Verbindung mit der begrenzten zeitlichen Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses zu einer Reduktion der Gesamtverarbeitungsleistung. Wesentliche Unterschiede sind jedoch hinsichtlich des willentlichen Einflusses auf kognitive Leistung zu beobachten. Dies betrifft die Konzentrationsfähigkeit, die sich bei einem mit dem Alter steigenden Anteil von Personen reduziert und im wesentlichen auf unzureichende Inanspruchnahme zurückzuführen ist.
Hieraus wird die Notwendigkeit, Gedächtnisleistungen im Alltag zu fordern oder gar bewusst zu trainieren, deutlich. In ähnlicher Weise werden intellektuelle Fertigkeiten zunehmend stark von den Lebensgewohnheiten geprägt. Beispielsweise kann bei fehlendem Kontakt mit neuen Technologien (wie z. B. elektronisch gesteuerte, menügeführte Geräte) auch keine Kompetenz zur Handhabung der dort verwendeten Interaktionsformen gebildet werden. Die solchermaßen fehlende Vorerfahrung macht wiederum die Berührung mit nachfolgenden Technikgenerationen noch schwieriger und so entsteht eine Kaskade zunehmender Technikentfremdung mit entsprechenden Berührungsängsten. Die Entfremdung von Technik wird durch das Ausscheiden aus dem Berufsleben meist deutlich verstärkt (oder gar erst hervorgerufen), da damit die notwendige (aber auch die zufällige) Berührung mit neuen technischen Entwicklungen weitgehend entfällt und nur noch von der eigenen Initiative ausgeht. Die Ausprägung technischer Fertigkeiten hängt dem-
Ja, sie müsse nur überlegen, welchen. Herr Ögül Gulcem, ihr Telefonjoker könne die Frage vielleicht beantworten. „Ögül Gulcem, ein türkischer oder kurdischer Name?“ Charlotte erklärte, dass Herr Gulcem Türke sei. Einer ihrer Freunde? Gewissermaßen. Er besitze einen Gemüseladen, sie kaufe täglich bei ihm ein. Noch immer kein Zeichen. Charlotte überlegte, wollte Zeit gewinnen, dem Maskottchen eine Chance geben. Nein, sie wolle sich Herrn Gulcem für eine Frage aus der Botanik sparen. Als die Augen des Maskottchens weiterhin nichts verrieten, meinte sie entschlossen, dass sie das Publikum befragen wolle. „Ja, das ist eine gute Idee.“ Jauch bat, die Abstimmgeräte zur Hand zu nehmen. „Helfen Sie Frau Ruhland eine Runde weiter“, sagte er. Nervöses Rascheln im Zuschauerraum. Den Publikumsjoker bei 125.000 Euro zu nehmen, er könne sich nicht erinnern, wann das zuletzt geschehen sei. „43 % haben A getippt, 7 % B, 41 % haben sich für C entschieden und 9 % für D. Na, dann viel Vergnügen.“ Ratlos blickte Charlotte auf die Tabelle, dann kurz zum Maskottchen. Beide Augen verfärbten sich. Endlich! Nach kurzem Zögern sagte sie, sie wolle C nehmen. Sie glaube den 41 %, nicht den 43 %? Wieso das? Sie meine, sie habe darüber vor kurzem gelesen. Das fiele ihr jetzt erst ein? Jauch war erstaunt. Eine plötzliche Eingebung, begründete Charlotte ihren Entschluss. 46
zufolge viel stärker von der Umgangserfahrung mit neuen Technologien als vom Alter ab. 2.3.5 Fazit Physische, perzeptive und kognitive Performanz lassen mit zunehmendem Alter sukzessive nach. Dies ist altersbedingten Veränderungen der Körperfunktionen, Krankheiten und Krankheitsfolgen sowie Degenerationserscheinungen aufgrund mangelnder Inanspruchnahme geschuldet. Die körperlichen und geistigen Leistungen variieren daher zunehmend stark mit steigendem Alter. Leistungseinschränkungen können teilweise durch andere Leistungen (z. B. Erfahrung) kompensiert werden. Praktisch relevante Leistungseinschränkungen betreffen hauptsächlich eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten und Gleichgewichtsstabilität, Sehunschärfe bei geringen Sehentfernungen, zunehmender Beleuchtungsbedarf, verlangsamte Reaktionen und zunehmende Entfremdung von neuen Technologien.
2.4 Wohnen und Technik Stefanie Becker, Uta Böhm, Anne Röhrig, Heidi Stuhler, Susanne Wurm 2.4.1 Wohnsituation älterer Menschen Laut Mikrozensus lebten im Jahr 2000 in Deutschland 97,2 % der Senioren in Privathaushalten; nahezu alle unter 80-Jährigen wohnen im Privathaushalt – bei Hochaltrigen sind es immer noch 88 %. Auch im sentha-Survey wurden Daten zur Wohnsituation Älterer erfasst. In die Erhebung wurden nur Privathaushalte einbezogen, also Personen befragt, die in einer eigenen Wohnung – allein oder mit anderen – leben. Die Daten zeigen, dass 61 % der Befragten mit anderen Personen zusammenleben, 39 % alleine wohnen, wobei der Anteil der allein Lebenden mit steigendem Alter zunimmt.2 Für Befragte aller Altersgruppen, die mit jemandem zusammenleben, trifft zu, dass es sich in der überwiegenden Mehrheit um Eheoder Lebenspartner handelt. Mit den eigenen Kindern wohnen noch 15,7 % aller Befragten in
„Die Antwort ist richtig! Uh! Frau Ruhland! Sie strapazieren meine Nerven. Das war aber gewagt.“ Wie viele Bewohner ihr Haus beherberge? Jauch lehnte sich zurück. Es seien bloß wenige Zimmer, die sich auf dem einen Stockwerk befänden, sagte Charlotte. Fünf Personen, sich selbst eingeschlossen, lebten darin. „Hin und wieder auch mein Neffe Max, wenn er von einer seiner Freundinnen rausgeschmissen wird.“ Jauch lachte. Ihrem Neffen käme eine Tante mit einem Gästezimmer wohl sehr recht. Sie nickte. Dann erzählte sie von Isolde, einer ehemaligen Krankenschwester, von Emma, einer Malerin und von Ricardo, der als Chemiker gearbeitet hatte. „Und nicht zu vergessen Oskar van Horn, der mich heute begleitet.“ Ein kleines, feines Haus also. Das klinge ganz so, als handle es sich um eine WG. Er kenne das von früher, aus seiner Studentenzeit. Anscheinend kämen Wohngemeinschaften wieder in Mode. „Hat ja auch sein Gutes, wenn man im Kreise von Freunden lebt“, meinte er. Aber sie alle würden großen Wert darauf legen, dass jeder seinen eigenen, privaten Bereich besitze, erklärte Charlotte. „Gibt es nicht hin und wieder Streitereien, Unstimmigkeiten?“ „Was meinen Sie?“ „Nun, wenn das Geschirr nicht abgewaschen ist.“ „Wir haben einen Geschirrspüler.“ „Die Zahnpastatube nicht aufgerollt wurde.“ 47
einem Haushalt; hier sind die Anteile mit knapp 20 % in der jüngsten Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen am größten, nehmen dann für die nächste Altersgruppe auf rund 11 % ab, um für die über 75-Jährigen dann wieder auf rund 15 % anzusteigen. Differenziert nach Ost und West, zeigen sich deutliche Unterschiede in der Wohnform: Während in den alten Bundesländern 57 % in einem eigenen Haus oder einer Eigentumswohnung leben, trifft dies in den neuen Ländern nur für 40 % zu (Wurm 2000). Zur Ausstattung von Wohnungen und Häusern ist anzumerken, dass sich die Ausstattungsunterschiede seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten deutlich nivelliert haben. So verfügen 98 % der Befragten im Osten und 100 % im Westen über Bäder in ihren Wohnungen; die Ausstattung mit Zentral- oder Etagenheizung liegt bei 81 % (Ost) und 93 % 2
(West). Allerdings ist mit zunehmendem Alter eine schlechter werdende Wohnqualität für die Haushalte Älterer zu verzeichnen: Während in der Altersgruppe der 65- bis 69-Jährigen 71,2 % über ein Bad, WC und Sammelheizung verfügen, sind es in der Gruppe der 70- bis 74-Jährigen nur noch 69,7 % und bei den über 75-Jährigen sogar nur noch 66 % (BMFSFJ 2002). Ältere äußern überwiegend den Wunsch, so lange wie möglich selbstständig in den eigenen vier Wänden zu bleiben. Daten aus dem sentha-Survey zeigen, dass die Mehrheit der Befragten (57 %) seit über 20 Jahren, etwa jeder Fünfte (18 %) seit 11 bis 20 Jahren im gleichen Haus oder der gleichen Wohnung leben. Durch den Verbleib in der vormaligen Familienwohnung auch nach dem Auszug der Kinder leben Ältere auch häufig in vergleichsweise großen Wohnungen oder Häusern – knapp der
Mit steigendem Lebensalter verändert sich auch die Haushaltsgröße, der Anteil der Ein-Personen-Haushalte nimmt zu. In allen Altersgruppen (ab 60 Jahre) liegt der Anteil der allein lebenden Frauen über dem der Männer; drei Viertel aller hochaltrigen Frauen in Privathaushalten leben allein, aber nur ein Drittel der Männer (Mikrozensus für 2000).
„Wir verwenden eine Pumppasta.“ „Der Kühlschrank leer geräumt ist.“ „Dann bestellt er selber die Ware. Er ist ans Internet angeschlossen.“ „Was?!“, rief Jauch begeistert. „Sie haben eines dieser, entschuldigen Sie das Wort, geilen Geräte? Wenn Joghurt fehlt, wird es am nächsten Tag automatisch geliefert.“ „Nie mehr Einkaufszettel schreiben!“, schmunzelte Charlotte. Und Gertrud, ihre Putzfee, käme einmal in der Woche und helfe ihnen, die Zimmer in Schuss zu halten. Es käme so gut wie nie zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bewohnern der My Fair Lady, sagte Charlotte. Das höre sich richtig idyllisch an, beneidenswert. Aber irgendeinen Haken müsse das Ganze doch haben, oder bewahrheite sich, dass man im Alter klug werde und über kleine Unstimmigkeiten gelassen hinweg sehen könne? „Das auf jeden Fall“, sagte Charlotte überzeugt. Das Einzige, was fehle, sei Geld, gab sie zu. „Dann lassen Sie uns weitermachen und vielleicht Abhilfe schaffen.“ Jauch nickte ihr aufmunternd zu. 500.000 Euro! Von einer Sekunde zur anderen erhöhte sich Charlottes Puls. Und sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Auch das Maskottchen reagierte nicht. Sie nagte an ihrer Unterlippe, verlangte schließlich nach dem Fifty-Fifty-Joker. Er nützte nichts, da sie keinen blassen Schimmer hatte. Sollte sie einen Auszählreim verwenden, um sich zwischen A und C zu entscheiden? Immerhin standen die Chancen, zu gewinnen, bestens. Mit ein bisschen Glück könnte sie die halbe Million erreichen. Oder sollte sie die 125.000 Euro nehmen und gehen? 48
Hälfte (48 %) stehen Wohnflächen von über 80 Quadratmetern zur Verfügung. Die Wohnmobilität Älterer ist verglichen mit derjenigen jüngerer Altersgruppen verhältnismäßig niedrig. Es besteht geringe Bereitschaft zu Wohnort- und Wohnungswechsel. Die wichtigsten Gründe dafür sind die hohe Bedeutung sozialer Beziehungen zu Verwandten, Freunden und Bekannten am Wohnort, die ungern aufgegeben werden, sowie ein hoher Anteil von Wohneigentum. Auch wenn sie sich in der eigenen Wohnung nicht mehr eigenständig versorgen könnten, besteht bei der überwiegenden Mehrheit der Senioren der Wunsch, dort wohnen zu bleiben. Wenn die Probleme wachsen, einen selbstständigen Haushalt zu führen, gibt es verschiedene Alternativen: Man kann die Wohnung altersgerecht umbauen, umziehen oder im eigenen Haushalt bleiben, aber Hilfe durch Privatpersonen oder professionelle Helfer in Anspruch nehmen. Auch der Umzug in eine Seniorenwohnanlage oder ein Seniorenwohnheim stellen Möglichkeiten für das Wohnen im
Alter dar. Abbildung 2.6 zeigt, welche Möglichkeiten von Älteren präferiert werden. Die Grafik zeigt, dass Lösungsmöglichkeiten favorisiert werden, die den Verbleib in der eigenen Wohnung sicherstellen; vor allem professionelle Unterstützung wird in diesem Kontext mehrheitlich in Betracht gezogen. Ist ein Umzug unabdingbar, dann werden Wohnformen wie Seniorenwohnanlagen in Betracht gezogen, die die Privatsphäre einer eigenen Wohnung bieten, gleichzeitig aber auch weitergehende Unterstützungs- und Pflegedienstleistungen offerieren, falls der persönliche Hilfebedarf zunimmt. Die Attraktivität des Betreuten Wohnens oder Service-Wohnens wird allen Prognosen zufolge weiter zunehmen, da es die Möglichkeit bietet, in einer eigenen (vielfach barrierefreien) Wohnung zu leben und zusätzlich ein bestimmtes Maß an unterstützenden Dienstleistungen bis hin zu Betreuung und Pflege zu erhalten. Zunehmend aufgegriffen wird von Wohnungsbaugesellschaften das Angebot des »Service-Wohnens« im normalen Wohnungs-
Jauch sah zur Tribüne. Ihre Begleitung umklammere nervös den Gehstock. „Wissen Sie die Antwort?“, rief er Oskar zu. Er würde verneinen, informierte Jauch Charlotte. Sie habe noch den Telefon-Joker, vielleicht wolle sie Herrn Gulcem anrufen? Nein. Das sei ein Wissensgebiet für den Professor, er habe Germanistik und Komparatistik studiert. Sie sagte seinen Namen und hörte helle Töne, als gewählt wurde. „Hat er Sie unterrichtet?“ Nein, der Professor sei um einiges jünger als sie. Sie habe ihn bei einem Kurzurlaub in München kennengelernt. Er sei ein ruheloser Mensch, lebe mal hier, mal da, im Moment in Berlin. Jauch begrüßte den Telefonkandidaten, erklärte die Gewinnstufe, auf der sich Charlotte befand und, dass es nur mehr zwei Auswahlmöglichkeiten gäbe. Dann nickte er Charlotte zu, die den Professor rasch begrüßte und ihm die Frage samt möglicher Antworten stellte. Ein Knacken in der Leitung. Ob er noch dran sei? Der Professor räusperte sich. „A oder C?“, bohrte sie nach. „Es tut mir leid, Frau Charlotte, aber ich weiß es nicht.“ Es blieben nur noch sieben Sekunden, rief sie aufgeregt. „Ich glaube C ...“, murmelte er, dann war er nicht mehr zu hören. Kurz verfärbte sich das linke Auge des Maskottchens. Charlottes Herz raste. „A“, sagte sie und war erstaunt, wie sicher ihre Stimme klang. Jauch beugte sich in seinem Sitz nach vorn. Ihr Telefon-Joker habe ihr vage zu C geraten. Eben deshalb, sagte Charlotte, der Professor habe immer die Tendenz, sich für das Falsche zu entscheiden. Er wolle sich ja nicht einmischen, aber ob 49
durch prof. Dienste helfen lassen
29
durch Angehörige helfen lassen
34
22
Wohnung umbauen lassen
34
18
Seniorenwohnanlage / betreutes Wohnen
6
13
Umzug in andere Privatwohnung
3
11
Seniorenwohnheim / Pflegeheim
4
10
Umzug zu Familienangehörigen
6
23
ganz sicher
7
ziemlich wahrscheinlich
Gründung einer Senioren-WG
3 0
20
40
Abb. 2.6: Bereitschaft, die Wohnsituation auf das Altern einzustellen
60
80
100 %
sie sich die Antwort, und wenn sie falsch sei, die Konsequenz, die sich daraus ergäbe, genau überlegt habe? Charlotte war verunsichert. Sie wollte das viele Geld nehmen und gehen. Wieder verfärbte sich das linke Auge des Maskottchens. Sollte sie sich wirklich an die Abmachung mit Ricardo und den anderen halten? Sie schwankte kurz. „A“, wiederholte Charlotte wie in Trance. Nun denn, ihr Wunsch sei ihm Befehl, meinte Jauch und loggte ein. Es waren wahrscheinlich die nervenzerreißendsten Sekunden, die sie je erlebt hatte und noch im Nachhinein betrachtet kamen sie ihr beängstigend lange vor. Nein!, widersprach sie sich und erinnerte sich daran, wie Oskar mitten in der Nacht durch seine Schreie alle Bewohner der My Fair Lady aufgeweckt hatte. Er rieche Gas, hörte sie seine Stimme. Während sie ihren Morgenmantel überstreifte und aus dem Zimmer rannte, rollte Oskar gefährlich nahe an den Stiegenabsatz heran. Isolde stand bereits auf dem Gang. Man müsse sich beeilen, rief er ihr zu. Ricardo taumelte aus seinem Zimmer. Wo Emma stecke? Isoldes Stimme überschlug sich hysterisch. Schlaftrunken wankte Emma durch ihre Tür. Er solle um Himmels willen den Treppenlift nicht in Gang setzen, er werde Oskar die Stufen hinuntertragen, sagte Ricardo und ging auf ihn zu. Der kleinste Funke könne das Gas entzünden. Emma hielt sich ein Taschentuch vor die Nase. Oskar verlagerte sein Gewicht, er stützte sich mit den Oberarmen auf die Lehnen, damit Ricardo ihn leichter herausheben konnte. Das rechte Hinterrad des Rollstuhls rutschte über die oberste Stufe. Wie von einem Magneten gezogen, folgte das linke. 50
bestand; beispielsweise wird ein bestimmter Wohnungspool bzw. ein Haus im Wohnviertel mit speziellem Service für Ältere ausgestattet. Hier existieren inzwischen einige interessante innovative Projekte, die auch die Möglichkeiten moderner I+K-Technologien nutzen, Sicherheitsdienste bereitstellen und ebenfalls die kommunikative Anbindung der Wohnungen an Umwelt und Wohnungsbaugesellschaft erproben (Meyer & Röhrig 2002). Ungünstige Wohnbedingungen können dazu führen, dass Ältere mit funktionalen Einbußen sich an das Haus oder ihre Wohnung gefesselt sehen. Niepel (2001) konstatiert, dass 20 % aller Anfragen bei einer Wohnberatungsstelle durch hochaltrige Nutzer (80 Jahre und älter) Treppen oder Stufen im Treppenhaus als hinderlich bzw. sogar unüberwindbar beurteilten. Handelt es sich um Treppen oder Stufen im Außenbereich, waren es sogar 38 % aller Anfragen. Im Zweiten Altenbericht (1998) wurden Wohnprobleme Älterer sowie konzeptionelle Lösungsansätze ausführlich dargestellt. Auch
heute gilt, dass das Thema »Wohnen« für eine zukunftsorientierte Altenpolitik maßgeblich ist. Neben Barrierefreiheit kommt in diesem Zusammenhang vor allem auch der Möglichkeit der Aufrechterhaltung sozialer Teilhabe eine wichtige Rolle zu. Für die Zukunft ist zu fordern, dass die Standardausstattungen im Wohnungsbau und bei Sanierungen dem demographischen Wandel und den Wohnbedürfnissen Älterer verstärkt Rechnung tragen und dabei auch die verfügbaren technischen Möglichkeiten, insbesondere vernetzter Technologien, wesentlich stärker als bislang berücksichtigen. Die Ergebnisse der sentha-Forschergruppe zeigen, dass bei Älteren durchaus ein großes Interesse besteht, innovative Technik im eigenen Leben zur Unterstützung des aktiven und selbstständigen Alterns zu nutzen. 2.4.2 Technik im Haushalt Innovative Technik wie PC, Internet, intelligente Geräte und Smart-Home bestimmen zunehmend auch den Alltag von Senioren. Technik ist eine wesentliche Ressource der Umwelt
Ricardo stürmte auf Oskar zu. Charlotte sah den Rollstuhl kippen, Oskars Hände, die sich Ricardos entgegenstreckten, ihre Fingerspitzen, die sich kurz berührten. Dann kippte der Rollstuhl nach hinten. Polternd krachte das Gefährt Stufe um Stufe hinab. Mit einem Aufprall gegen die Eingangstür kam der Rollstuhl zu liegen. Charlotte hatte einen Filmriss. Ihr Gedächtnis kehrte erst wieder zurück, als sie auf dem Boden neben dem Baum des Nachbarhauses vor Oskar kniete. Er war nicht ansprechbar, lag reglos vor ihr. Jemand schob eine Jacke unter seinen Nacken. Sie ergriff Oskars Handgelenk, brach in Panik aus, weil sie keinen Puls fühlen konnte. Sie fuhr sich über die Augen, über die Wangen. Zum letzten Mal hatte sie vor zwanzig Jahren geweint, als Karl-Otto gestorben war. Die Dunkelheit wurde vom Licht eines Einsatzwagens zerteilt, die Sirene schien von weit her zu kommen. Sie tastete zu ihrem rechten Ohr. Ihr Hörgerät hatte sie in ihrem Zimmer. Sie bestand darauf, Oskar ins Krankenhaus zu begleiten. Eine Stunde lang saß sie im Besucherzimmer und wartete darauf, dass ein Arzt ihr über Oskars Gesundheitszustand Auskunft gab. Ricardo, Isolde und Emma waren kurz nach ihr mit einem Taxi eingetroffen. Sie versuchten, Charlotte zu beruhigen, die immer wieder das Besucherzimmer verließ, auf den Gang trat, um nach einem Arzt Ausschau zu halten, befürchtete, man habe vergessen, sie zu informieren. Sie zählte sämtliche Blätter eines üppig wuchernden Blumenstocks, der sich vor einem der drei Fenster des Besucherzimmers befand. Diese eine Stunde dehnte sich für ihr Zeitempfinden derart in die Länge, dass sie später meinte, es habe sich um einen ganzen Tag gehandelt. 51
Herd
100
Staubsauger
100 99
Bügeleisen
97
Waschmaschine Kaffeemaschine
95
Backofen
95 94
Tiefkühltruhe/fach 81
elektr. Rührgerät 59
elektr. Küchenmaschine 53
Schnellkochtopf 48
Mikrowelle 32
Geschirrspüler 24
Wäschetrockner 0
20
Abb. 2.7: Ausstattung mit Haushaltsgeräten
40
60
80
100 %
Endlich öffnete ein Arzt die Tür, fragte, wer von ihnen Frau Ruhland sei. Charlotte trat vor ihn hin. Wie es Oskar gehe? Er sei nun stabil, sagte er. Alle im Zimmer atmeten erleichtert auf. Der Arzt bat Charlotte, mit ihm zu kommen. Den Sturz über die Stufen habe Herr van Horn, bis auf ein paar Hämatome an den Oberarmen und dem linken Unterschenkel, gut überstanden. Sein kurz andauernder Bewusstseinsverlust habe mit einer Herzinsuffizienz zu tun. Charlotte blickte ihn fragend an. Ob sie in der letzten Zeit eine Veränderung bei ihm bemerkt habe? Sie überlegte. Habe er über Schmerzen im Brustkorb geklagt? Sei er kurzatmiger gewesen? Habe er über Ängste, bis hin zur Todesangst, mit ihr gesprochen? Sie verneinte. Dies alles seien Anzeichen für eine Angina pectoris. Charlotte schnappte nach Luft. Oskar habe einen Herzinfarkt? Er beruhigte sie. Die Angina pectoris sei zwar prinzipiell als Vorbotin eines Herzinfarkts anzusehen, müsse aber nicht zwangsläufig dazu führen. Es gäbe die verschiedensten Behandlungsmethoden, um ihm vorzubeugen. In den nächsten Tagen werde er mit seinen Kollegen darüber beratschlagen, welche davon für Oskar am wirksamsten sei. Das ist vor einem Jahr gewesen. Ein grünes Blinken vor ihr auf dem Bildschirm. War das nun A oder C? Erst als Jauch aufsprang, zu ihr eilte und ihre Hand schüttelte, ihr zu den 500.000 gratulierte, begriff sie, dass sie tatsächlich gewonnen hatte. „Sie haben erzählt, dass Sie Ihr Haus renovieren wollen. Aber jeder Mensch hat doch auch ganz persönliche Wünsche. Welche haben Sie?“ 52
7,8
60 Jahre und älter 50-59 Jahre
35,4 47,8
40-49 Jahre
65,6
30-39 Jahre
80,3
20-29 Jahre
76,9
14-19 Jahre 0
20
40
60
80
100 %
Abb. 2.8: Internet-Nutzung in Deutschland nach Altersgruppen
älterer Menschen geworden, die zur Aufrechterhaltung der selbstständigen Lebensführung, zur Kompensation von altersbedingten Einschränkungen, für mehr Komfort, zur Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen und zur Bereicherung des Alltags genutzt werden kann. Um die Frage zu klären, wie Technik im Haushalt die selbstständige Lebensführung
unterstützen kann, muss zunächst die aktuelle Technikausstattung der Seniorenhaushalte geprüft werden. Grundsätzlich gilt, dass auch in Seniorenhaushalten die Verbreitung technischer Geräte in Privathaushalten in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen ist. Inzwischen ist praktisch jeder Haushalt mit technischen Standardgeräten ausgestattet. Insbesondere
Nun, einer habe sich bereits heute erfüllt, meinte Charlotte. Sie habe sich gewünscht, einmal hier vor Günther Jauch zu sitzen. Das zu hören, freue ihn außerordentlich. Aber er sehe ihr an, dass ihr noch etwas auf dem Herzen läge. Charlotte nickte. Ja, es gäbe tatsächlich etwas. Sie dachte an Oskar. Ihren sehnlichsten Wunsch verraten? Noch dazu vor all diesen Menschen? Damit würde sie auch das Versprechen, das sie Oskar gegeben hatte, missachten. Aber dem Publikum war sie eine Antwort schuldig, fand sie. Charlotte reckte entschlossen ihr Unterkinn nach vor. Sie wolle nach Kuba. „Nach Kuba? Warum?“ Weil sie einmal mit Karl-Otto da gewesen sei und mit ihm eine wunderbare Zeit verbracht habe. Applaus brandete auf, Bravorufe waren zu hören. Charlotte fühlte sich beschämt durch diese Sympathiebekundungen, die sie einer Lüge zu verdanken hatte. Jauch nickte ihr aufmunternd zu. „Und nun zur alles entscheidenden, letzten Frage. Ist schon lange her, dass jemand um die Million gespielt hat.“ Er las eine Opernfrage vor. Ein Pochen in ihren Schläfen. Das Licht stach noch greller in ihre Augen. Charlotte schnappte nach Luft. Ob alles in Ordnung sei? „Unglaublich“, presste sie hervor. Jauch sah sie besorgt an. „Ein Wahnsinn!“ Sie lachte auf. Sie wisse die Antwort. „B“, quetschte Charlotte ohne Hilfe des Maskottchens hervor. Ja, es sei eindeutig B, jubelte sie. Soviel Glück müsse man haben! Es wurde schwarz um sie herum ... 53
mit der breiten Nutzung der Mikrochiptechnologie seit den 80er Jahren und der zunehmenden Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien seit den 90er Jahren haben sich die technischen Möglichkeiten erweitert, aber aus Nutzersicht auch immer weiter verkompliziert (BMFSFJ 2001). Die Daten des sentha-Survey belegen, dass Standard-Haushaltsgeräte wie Herd, Backofen, Kühlschrank, Waschmaschine, Staubsauger, Bügeleisen, Kaffeemaschine etc. in nahezu allen Seniorenhaushalten vorhanden sind (Wurm 2000; Kaspar, Becker, Mollenkopf 2002). Haushaltsgeräte, die Ältere seltener besitzen als Jüngere, sind Geschirrspüler, Mikrowelle und Wäschetrockner. Für fast alle der in der sentha-Repräsentativbefragung erfragten Geräte lassen sich ebenfalls deutliche Altersunterschiede nachweisen: Die ältesten Befragten waren durchgängig am schlechtesten, die jüngsten dagegen am besten ausgestattet. Ältere (75 Jahre und älter) besitzen jedoch nicht nur insgesamt weniger Haushaltsgeräte als jüngere Senioren,
sondern nutzen die vorhandenen Geräte auch seltener. Standardgeräte aus dem Bereich Informations- und Kommunikationstechnik sind in nahezu allen Seniorenhaushalten vorhanden und werden regelmäßig, von den meisten Senioren täglich genutzt (Wurm 2000). Im Vergleich zu Jüngeren nutzen Senioren jedoch seltener ein Handy, einen PC oder das Internet. In der ARD/ZDF-Online-Studie 2002 zeigt sich, dass Ältere insbesondere das Internet deutlich weniger nutzen als jüngere Altersgruppen. Während mehr als 80 % der 20- bis 29-Jährigen zu den Internetnutzern zählen, ist unter den 50- bis 59-Jährigen gerade einmal jeder Dritte online und von den über 60-Jährigen nur knapp 8 %. Nach Altersgruppen ausgewertete Daten aus der Pilotstudie »Informationstechnologie in Haushalten« (Statistisches Bundesamt 2002) zeigen allerdings, dass vor allem in der Altersgruppe 55 bis 64 Jahre Handy- oder PCBesitz zugenommen hat, mit steigendem Alter aber abnimmt. So verfügen knapp zwei Drittel
Unzählige Sterne tanzten einen Reigen vor Charlottes Augen, einige von ihnen näherten sich ihrem Körper, berührten ihn. Sie hob ihre Hand und versuchte, einen dieser blitzenden Punkte zu fangen. Es gelang ihr nicht, er rutschte durch ihre Finger. Die Sterne entfernten sich rasch, als wollten sie vor ihr fliehen. Außerhalb ihrer Griffweite angelangt, drängten sie sich zusammen wie verängstigte Küken, verschmolzen gänzlich miteinander und bildeten eine glänzende Fläche. Heiße Luft schwappte auf sie zu, die ihr das Atmen erschwerte. Die glänzende Fläche begann zu zerfließen wie geschmolzenes Gold. Bäche strömten über den Nachthimmel, der mit einem Mal einem Röntgenbild glich. Charlotte erschrak. Das Röntgenbild zeigte Oskars Herz und sie hörte die Stimme des behandelnden Arztes. Nach der Bypass-Operation riet er ihm, sich in einem Privat-Sanatorium in der Schweiz auszukurieren. Leider müsse man mit hohen Kosten für diesen Aufenthalt rechnen. In dem Privat-Sanatorium, das einen ausgezeichneten Ruf besäße, wende man völlig neue Erkenntnisse an, interessante Behandlungsmethoden, die Herrn van Horns Herz ... „Können Sie mich hören?“ Eine fremde Männerstimme war dicht neben ihrem linken Ohr. Langsam öffnete Charlotte die Augen. Sie sei nicht taub, er brauche nicht so zu schreien, sie würde ihn gut verstehen, fuhr Charlotte den Mann, der ein helles Sakko trug, an. Was für ein Albtraum, ging es ihr durch den Kopf. Sie war in Ohnmacht gefallen und vom Stuhl gerutscht. Während einer Sendung bei Günther Jauch! Ihr wurde bewusst, dass sie auf dem Boden lag. Erstaunt richtete sie sich auf. Kein Albtraum. Flora stützte ihren Oberkörper. 54
Handy ohne Internetzugang
100
PC 80 Prozent
65,0 60 46,3
45,2
40 23,8 20
25,0 9,4
0 55-64 J.
65-74 J.
ab 75 J.
Abb. 2.9: Ausstattung mit Informations- und Kommunikationstechnik
der 55- bis 64-Jährigen über ein Handy und rund 46 % über einen PC; in der Gruppe der über 75-Jährigen sind hingegen nur noch 25 % Besitzer eines Handys und lediglich rund 9 % haben einen Computer. Ausgehend von dem inzwischen recht guten Ausstattungsstand
in der jüngsten Altersgruppe ist zu erwarten, dass Gerätebesitz und -nutzung auch zukünftig beibehalten werden und damit eine wachsende Verbreitung von Handys und PCs in Haushalten der höheren Altersgruppen stattfinden wird.
„Wo ist Oskar?“, stammelte Charlotte. „Auf seinem Platz“, antwortete Flora. Er habe beanstandet, dass er nicht zu ihr habe kommen können. Armer Oskar! Wie es ihm gehe? Sie sei bei ihm gewesen, er sei in Ordnung, versicherte ihr Flora. Charlotte erhob sich, stand auf wackeligen Beinen, deren Standfestigkeit sie an rote Grütze erinnerte. Sie würde sich in Grund und Boden schämen, jammerte sie. Was für eine Schande! Sie habe sich bis auf die Knochen blamiert! Nie wieder könne sie sich aus dem Haus wagen, ohne hämischen oder mitleidvollen Blicken ausgeliefert zu sein. Niemand vor den Fernsehschirmen werde von ihrem kleinen Missgeschick erfahren, man werde ihren Ohnmachtsanfall ganz einfach überspringen, herausschneiden, erklärte Flora. Man werde nun eine Pause einlegen, damit sie sich für die Millionenfrage sammeln könne, meinte Jauch. Aber sie habe doch die letzte Frage richtig beantwortet, warf Charlotte ein. Er bedauere, leider sei sie noch nicht eingeloggt gewesen und damit nicht gültig, man müsse ihr eine neue Frage stellen, da mittlerweile zuviel Zeit vergangen sei. „Nicht, dass ich Ihnen misstraue, gnädige Frau, aber bei dem Chaos, das hier geherrscht hat, hätte Ihnen jeder die richtige Antwort zuflüstern können.“ Sie wolle die Millionenfrage gestellt bekommen, jetzt, sagte Charlotte entschlossen. Flora forderte die Menschen, die sich um die Ohnmächtige geschart hatten, auf, die Bühne zu verlassen. Der Arzt nahm seinen Notfallkoffer auf. Sie hörte ein Knirschen, sah, dass der Arzt auf Natascha getreten war. Er bückte sich, strich über den verformten Kopf des Plüschtieres und überreichte 55
90
Körperwaage 77
Heizdecke/Wärmflasche Bestrahlungsgerät/Inhalator
43
Blutdruckmessgerät
43 26
Massagegerät Gehhilfe
20 17
Heimtrainer Hörgerät
10 4
Hebevorrichtungen 0
20
Abb. 2.10: Geräteausstattung für den Bereich Gesundheit
40
60
80
100 %
es Charlotte mit einer Entschuldigung. Irritiert nahm sie ihr Maskottchen entgegen. Etwas ramponiert, meinte Günther Jauch, aber das werde bestimmt dem Glück keinen Abbruch tun, versuchte er sie zu beruhigen. Unsicher ließ sie sich auf dem Stuhl nieder und wartete gespannt auf die Frage. Musik aus dem Radio war in der Fahrerkabine des Wohnmobils zu hören, übertönte das Surren des Motors. Charlotte blickte vom Hintersitz aus zu Max, der am Steuer des Wagens saß. Ihre Augen trafen sich im Innenspiegel. Oskar, neben ihm auf dem Beifahrersitz, beugte sich zum Radio und schaltete es ab. Isolde schneuzte sich lautstark in ein Papiertaschentuch. Wohl zum hundertsten Mal seit Fahrtantritt vor einer Stunde, stellte Charlotte fest. Und bis jetzt hatte niemand der Insassen ein Wort gesprochen. Ihr war das nur recht. Nur wegen Oskars Schlaflosigkeit waren sie noch am Leben, ging es Charlotte durch den Kopf. Ihre Gedanken schweiften ein Jahr zurück, ein „geschenktes“ Jahr, wie sie empfand. Spätestens am Morgen, wenn sich Ricardo in seinem Zimmer die erste Zigarette angezündet hätte, wäre das ganze Haus in die Luft geflogen. Charlotte schmunzelte. Wie oft hatte Isolde ihm Vorträge über die gesundheitsschädigenden Auswirkungen des Rauchens gehalten. Im Gemeinschaftsraum lagen Broschüren, die Tipps und Tricks für einen „Ausstieg“ enthielten. Ein Poster klebte an der Wand, es zeigte eine Raucherlunge. Emma meinte, es würde ihr den Appetit verderben und riss es nach einer Woche her56
Auch für Unterhaltungsgeräte gilt: Mit steigendem Alter nimmt der Ausstattungsgrad der Haushalte ab. Die umfangreichste Ausstattung weist die jüngste Altersgruppe (55 – 64 Jahre) auf. Sie besitzt neben den Standardgeräten überwiegend auch Geräte wie HiFi-Anlage, Videorecorder, Fernseher mit Videotext, Videokamera und CD-Player (Wurm 2000). Zur Aufrechterhaltung und Unterstützung der Gesundheit werden in Seniorenhaushalten verschiedene Geräte genutzt. In nahezu allen Haushalten kommen Körperwaagen und Heizdecken bzw. Wärmflaschen zum Einsatz. Häufig sind auch Blutdruckmessgeräte, Bestrahlungsgeräte bzw. Inhalatoren und Massagegeräte vorhanden. Ein Fünftel der Senioren nutzt eine Gehhilfe. Hörgeräte und Hebevorrichtungen finden sich in verhältnismäßig wenigen Seniorenhaushalten. Diejenigen, die solche Hilfsmittel besitzen, gehören überwiegend der höchsten Altersgruppe (75 Jahre und älter) an. Im Rahmen des Projektes sentha wurde auch erhoben, für welche Bereiche und welche Tätigkeiten im persönlichen Alltag sich Ältere
noch mehr technische Unterstützung wünschen. Zusätzliche technische Hilfen würden insbesondere begrüßt: – für die Verrichtung körperlich schwerer Hausarbeit wie Bödenreinigen, Fensterputzen – für die Verrichtung routinemäßiger Hausarbeit wie z. B. Putzen, Mahlzeiten zubereiten, Einkaufen, Bügeln, Wäsche waschen – zum Schutz vor Gefahren wie z. B. Brand, Einbruch, Wasserschaden – für mehr Komfort wie z. B. Rollläden/Jalousien steuern, Wohnung lüften, Rasenpflege, Pkw im Winter vorheizen – zur Erinnerung an wichtige Dinge und Termine wie z. B. Arzttermine, Geburtstage, Einkaufszettel – für Tätigkeiten, die mit steigendem Alter schwer fallen wie Treppensteigen, In-dieBadewanne-einsteigen, und – zur Unterstützung der Unabhängigkeit von anderen Personen, wie z. B. zur Versorgung von Pflanzen und Haustieren, Briefkastenleeren während des Urlaubs.
unter. Weder gutes Zureden, noch das Vor-Augen-Führen eines baldigen Ablebens konnten ihn bewegen, auf seine Zigaretten zu verzichten. Isolde griff zu drastischen Mitteln, bat Charlotte, ihr aus dem Internet pathologische Befunde von Menschen zu kopieren, die ihrer Sucht unterlegen und daran zugrunde gegangen waren. Wie zufällig verteilte Isolde diese Blätter an strategisch wichtigen Punkten, überwiegend an jenen, an denen sich Ricardo gerne aufhielt. Nichts zeigte Wirkung. Und dann, von einem Tag auf den anderen, hatte er mit dem Rauchen aufgehört, genau in der Nacht, in der Oskar mit dem Rollstuhl über die Stufen gekippt war. Niemand sprach Ricardo darauf an, aber Charlotte wusste, dass Isolde jeden Tag, an dem er auf seine Zigaretten verzichtete, ein kleines Streichholz auf ihren Wandkalender malte. „War das nötig?“, donnerte Ricardo plötzlich los. „Du hattest eine halbe Million!“ Einmal, nur einmal hätte sie den Mund halten und das Zocken bleiben lassen sollen! Das rechte Auge des Maskottchens habe sich verfärbt. Und als sie zögerte, noch einmal, sagte Charlotte. Man habe doch ausgemacht, die Lichtsignale nur zu senden, wenn man zu hundert Prozent sicher sei, verteidigte sie sich. Sie müsse in ihrer Aufregung die Signale verwechselt haben, unterstellte ihr Ricardo. Wenn sich beide Augen des Maskottchens verfärbten, bedeute das C. Sie solle zugeben, dass sie sich geirrt habe. Wahrscheinlich sei sie noch verwirrt von der Ohnmacht gewesen. Empört verschränkte Charlotte die Arme vor der Brust. „Ich weiß genau, dass sich das rechte Auge verfärbt hat“, wiederholte Charlotte. Vielleicht habe das 57
2.4.3 Fazit Ältere Menschen verfügen heute zu großen Teilen über Wohneigentum. Sie leben meist schon sehr lange in ihren Wohnungen oder Häusern und führen ihren Haushalt selbstständig. Ein Aufgeben dieser Selbstständigkeit z. B. durch einen Umzug in ein Pflege- oder Altenheim wird erst für Hochaltrige relevant. Das haustechnische Ausstattungsniveau ist häufig nicht auf aktuellem Stand. Die Haushalte älterer Menschen sind nahezu vollständig mit Standardgeräten im Haushalts-, Kommunikations- und Unterhaltungsbereich ausgestattet. In den Haushalten der »jungen Alten« findet sich zumeist auch PCTechnik, allerdings nimmt der Ausstattungsgrad mit Technik mit zunehmendem Alter in allen Alltagsbereichen ab. Technische Ausstattungsstandards im Wohnbereich werden zunehmend angehoben, besonders hervorzuheben ist dabei die Ausstattung mit Netztechnologien, die auch die Voraussetzung für technikgestützte Hilfen zur selbstständigen Lebensführung im höheren
Alter bieten können. Aus Sicht älterer Menschen ist klar: Der Verbleib in der Wohnung hat für sie eine hohe Priorität und entsprechende technische Unterstützungen sind willkommen, um dies zu realisieren. 2.5 Tätigkeiten in Haushalt, Freizeit und Ehrenamt Stefanie Becker, Uta Böhm, Anne Röhrig, Heidi Stuhler, Susanne Wurm Wie gezeigt wurde, leben Ältere mehrheitlich kompetent und selbstständig in einer eigenen Wohnung und erledigen auch die dort anfallenden Tätigkeiten allein oder in Kooperation mit anderen Haushaltsmitgliedern oder dritten Personen. Neben den Dingen, um die man sich im täglichen Leben kümmern muss, gehen Ältere aber auch vielfältigen Freizeitaktivitäten nach, pflegen Hobbys in Vereinen oder engagieren sich im Ehrenamt. In den folgenden Abschnitten sollen diese Tätigkeitsprofile der Generation 55+ genauer betrachtet werden.
Mikrofon im Silberknauf des Gehstockes nicht mehr richtig funktioniert. „Oder Ihr habt mir ein falsches Signal gegeben und seid zu feige, das einzugestehen.“ Max fuhr mit dem Wohnmobil schwungvoll von der Autobahn ab, bog auf einen Rastplatz ein und bremste abrupt. Emma, die es bei diesem Manöver, trotz Sicherheitsgurt, ein wenig nach vorne schleuderte, schrie auf. „Willst du uns alle umbringen?“ Max zog die Handbremse fest und umklammerte das Lenkrad. Wäre wohl das Beste, verkündete er trocken, dann müsse er sich nicht mehr länger diese albernen Streitereien anhören. Im Wohnmobil wurde es augenblicklich still. Durch das offene Fenster auf der Beifahrerseite war Kindergelächter vom angrenzenden Spielplatz zu hören. Langsam zog Max den Plüschlöwen aus Charlottes Tasche. Nicht die Sensoren im Maskottchen seien defekt gewesen, auch nicht das Mikrofon im Gehstock. Niemand von ihnen müsse sich Vorwürfe machen. Dieses Mal sei wenigstens keine Löwin Schuld an einem Unglück, meinte Oskar und prustete los, als habe er gerade einen Witz gehört. Er sei geschmacklos, sagte Isolde, musste aber zwischen Nase schnäuzen und Tränen trocknen ein wenig kichern. Also, sie begreife nicht, was die beiden so belustige. Emma schüttelte verständnislos den Kopf, eine Strähne rutschte aus den aufgesteckten Haaren am Hinterkopf und sie befestigte sie mit einer Schiebespange. Max beugte sich zu Charlotte. Während sie ohnmächtig gewesen sei, habe ein Parkplatzwächter das Wohnmobil einige Male umkreist. Da sie Charlottes Antwort überprüft und als richtig befunden hat58
Einkaufen
2,92
Kochen
2,75 2,70
Bankgeschäfte/Finanzen regeln Aufräumen
2,55
Geschirrspülen/Abtrocknen
2,48
Wäschewaschen
2,37
Staubsaugen
2,33
Bettbeziehen
2,31
Haushaltsgeräte reparieren
2,30
Staubwischen
2,30
Ämter/Behördengänge
2,18
Bad/WC putzen
2,16
Wischen/Bohnern
2,09
Bügeln
2,05 1,94
Fensterputzen
1,89
Gardinenab-/aufhängen 1
sehr
Abb. 2.11: Beliebtheit verschiedener Tätigkeiten im Haushalt
2
Mittelwert
3
sehr
4
ten, wollten sie kein unnötiges Risiko eingehen und schleunigst verschwinden. Man befürchtete, dass der Wächter einen Blick ins Innere des Wagens werfen könnte und damit ihr Schwindel auffliegen würde. Darum habe man den Parkplatz verlassen, das Wohnmobil einige Straßen vom Studiogebäude entfernt geparkt. Man wollte Charlottes Triumph über Oskars Mikrofon mitverfolgen. Geschockt habe man hören müssen, dass eine neue Millionenfrage gestellt werde. Hektik sei im Wohnmobil ausgebrochen und dann Erleichterung, weil man rechtzeitig die Antwort in einem Lexikon gefunden habe. Gleich darauf habe er versucht, mit ihrem Maskottchen in Verbindung zu treten, was auch gelang. Aber offenbar war das Wohnmobil für ein präzises Senden zu weit entfernt. Wahrscheinlich habe eine Störfrequenz ihre Signale beeinflusst und falsche Impulse weitergeleitet. Etwas knallte gegen die Seitentür des Wohnmobils. Ricardo öffnete sie und sprang hinaus. Zwei Jungen kamen angelaufen, einer bückte sich nach dem Fußball. Ob sie wahnsinnig seien?, schimpfte Ricardo. Wenn der Fußball nun auf die Autobahn geflogen wäre? Der eine Junge zeigte Ricardo den Stinkefinger, der andere streckte seine Zunge heraus. Rasch wandten sie sich ab und rannten auf einen PKW zu, Ricardo wollte ihnen nach. Max hielt ihn zurück. Oskar beugte sich aus dem Fenster. „Wir haben immerhin sechzehntausend Euro gewonnen“, munterte Max Ricardo auf. Damit könne man einen Teil der Kosten, die für das Privat-Sanatorium anfallen würden, bezahlen. Ja, er habe Recht, stimmte Ricardo ihm zu. Den Rest für Oskars Behandlung werde man gemeinsam aufbringen. Er schlug Max freundschaftlich auf die Schulter. 59
2.5.1 Haushaltsführung Die Haushaltsführung ist der zentrale Bereich im Alltag. Die im Haushalt anfallenden Arbeiten und Tätigkeiten werden dabei unterschiedlich gern ausgeführt, wie im sentha-Survey ermittelt werden konnte. Zu den beliebtesten Tätigkeiten gehören das Einkaufen und das Zubereiten von Mahlzeiten. Eher unbeliebt sind das Putzen von Bad und Toilette, das Wischen und Bohnern der Wohnung und das Bügeln. Am unbeliebtesten sind bei Älteren das Ab- und Aufhängen von Gardinen und das Fensterputzen (Wurm 2000). Die Tätigkeiten, die ungern erledigt werden, sind gleichzeitig häufig mit Mühen oder Beschwerden verbunden. Als besonders beschwerlich und unangenehm werden Gardinenaufhängen und Fensterputzen empfunden, weil sie mit der Nutzung von Leitern und Tritten und damit mit einem hohem Sturzrisiko verbunden sind. Unterstützung bei der Hausarbeit wird in erster Linie durch im Haushalt lebende Partner oder andere Privatpersonen gewünscht.
Sich von professionellen Dienstleistern unterstützen zu lassen, wünschen sich die befragten Älteren nur in geringerem Maße. Professionelle Hilfe wird insbesondere als Kompetenzausgleich gewünscht z. B. für einfache Reparaturen an Haushaltsgeräten und Tätigkeiten, die schwer fallen, wie Fensterputzen, Gardinenab- und aufhängen und Bügeln. Am wenigsten wird die Beanspruchung von Dienstleistern für einfache Haushaltsarbeiten gewünscht, da diese Tätigkeiten im Allgemeinen gern erledigt und nur von wenigen Älteren als anstrengend und belastend empfunden werden (Wurm 2000). 2.5.2 Freizeitgestaltung und soziale Kontakte Objektiv haben Senioren mehr Freizeit als Personen in der Erwerbsphase; subjektiv haben sie jedoch häufig das Gefühl, weniger Zeit zu haben als früher, so dass auch die Freizeit gut geplant werden muss (Röhrig 2002, Meyer, Böhm & Röhrig 2003). Ältere sind überwiegend zufrieden mit ihrer eigenen Freizeitgestaltung. Wie Ältere ihre
Er wolle nicht, dass man wegen seiner Krankheit ein derartiges Aufsehen veranstalte, rief Oskar ihnen zu. Und er wolle nicht, dass wegen ihm gestritten werde. Er drückte auf einen Knopf. Die Fensterscheibe glitt nach oben. Ricardo öffnete die Tür an der Fahrerseite. „Keiner von uns ist lebensmüde“, sagte er. Emma habe recht, Max sei ein schlechter Fahrer. Er selber wolle den Rest der Fahrt am Steuer sitzen. Charlotte lehnte ihren Kopf auf die Nackenstütze, während der Wagen anfuhr, beobachtete, wie kleine Wolken, eine davon glich einem Pik-Ass, über den blauen Himmel zogen. Es dämmerte, als sie in die Knesebeckstraße einfuhren. Ricardo hielt vor dem Haus und sie stiegen aus. Max umarmte Charlotte zum Abschied. Er sagte, er wolle den Wagen und die beiden Computer noch heute dem Bekannten, der ihnen alles geliehen hatte, zurückbringen. „Und das mit den Freundinnen, die mich rausschmeißen, hättest du dir wirklich verkneifen können, Tante Charlotte.“ Seine Niederlagen hätten ja nicht gleich Gott und die ganze Fernsehwelt erfahren müssen! Isolde kicherte. Höre sie da gekränkte Eitelkeit heraus?, neckte ihn Charlotte. „Du versaust mir mein ganzes Image bei den Frauen.“ Es werde für ihn harte Arbeit bedeuten, es wieder ordentlich aufzupolieren, schmunzelte Max, schon wieder versöhnt. Sie fuhr ihm liebevoll durchs Haar. Ja, sie könne sich vorstellen, wie schwer ihm 60
Gardinenab-/aufhängen
30,0
26,1
Fensterputzen
24,2
24,0
Haushaltsgeräte reparieren
32,4
15,3
Bügeln
20,1
18,2
Bettbeziehen
22,0
14,9
Wischen/Bohnern
21,0
Ämter/Behördengänge
20,6
Wäschewaschen
14,2 9,8 13,6
16,2
Bad/WC putzen
19,0
10,3
Staubsaugen
18,3
10,5
Bankgeschäfte/ Finanzen regeln
18,1
7,7
Einkaufen
17,4
8,1
Kochen
13,4
Staubwischen
13,0
Aufräumen
11,4
Geschirrspülen/Abtrocknen
10,1 0
8,1 4,8 3,5
geringe große/starke
3,3 20
40
Abb. 2.12: Mühen oder Beschwerden bei Tätigkeiten im Haushalt
60
80
100 %
diese „Arbeit“ fiele, lachte sie. Max hob den Rollstuhl aus dem Wohnmobil. Charlotte wurde ernst. Wie er mit seinem Studium vorankäme? Er hob abwehrend die Hände. Die Informatik sei geduldig, sagte er stoisch, sie solle die Fragerei lassen, sie könne ihm kein schlechtes Gewissen einreden, weil er noch immer keinen Abschluss besäße. Er brauche den Job in der Bar, um flüssig zu sein, sein Studium könne warten. „Außerdem lerne ich da viele Promis kennen. Vielleicht können sie mir irgendwann einmal nützlich sein.“ Politiker und Künstler besuchten die Bar. „Sie gehört zu den renommiertesten und ältesten in Berlin“, erzählte Max. Gemeinsam mit Ricardo half er Oskar in das Formel-1-Gefährt. „Hast du das vom zweiten und dritten Stockwerk erzählen müssen? Es wird niemals Gras über die Geschichte wachsen, wenn du sie immer wieder auffrischst“, beschwerte sich Isolde bei Charlotte. „Deine Stimme klingt panisch“, stellte Charlotte fest. Wovor Isolde sich fürchte? Etwa davor, dass sich das Ereignis von damals wiederholen würde, bloß weil sie darüber gesprochen habe? Emma verabschiedete sich von Max. Er solle nicht vergessen, das Wachs abzuholen, das sie bestellt habe. Er nickte, gleich morgen wolle er es ihr bringen. Wofür sie diese Menge brauche? Er solle nicht so neugierig sein, sagte Emma und folgte den anderen zum Haus. Sie habe ihm doch erst neulich Geld gegeben, damit er sich aufs Lernen konzentrieren könne, meinte Charlotte spitz. Er drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Sie sei seine Lieblingstante, grinste er. Sie wüsste nicht, dass er außer ihr noch eine hätte. Er stupste mit seinem Zeigefinger liebevoll gegen ihre Nase, wünschte ihr eine gute Nacht und ging zur Fahrerseite des Wohnmobils. 61
Freizeit verbringen, ist abhängig vom Bildungsniveau, von Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand und allgemeiner Lebenssituation, d. h. beispielsweise allein leben oder Zusammenleben mit einem Partner. Am aktivsten sind nach Untersuchungen der Deutschen Gesellschaft für Freizeit (1998) Personen in den 60ern. Danach sinkt der Aktivitätsgrad insbesondere für solche Freizeittätigkeiten, die Mobilität und Anstrengung voraussetzen. Freizeitbeschäftigungen, die weniger Aufwand erfordern, gewinnen dann an Attraktivität. Dabei sind auch wesentliche Stadt/Land-Unterschiede festzustellen (Mollenkopf, Oswald, Schilling & Wahl 2001). Neben der Pflege sozialer Kontakte weist der sentha-Survey die Mediennutzung als beliebte Freizeitbeschäftigung aus, wobei die konventionellen Medien Zeitung/Zeitschriften, Fernsehen und Radio sehr gern, neue Medien wie Computer und Internet hingegen weniger gern genutzt werden. Es zeigen sich jedoch große Unterschiede zwischen den Interessen jüngerer und älterer Senioren sowie zwischen
Männern und Frauen. 55- bis 64-Jährige beschäftigen sich wesentlich lieber mit PC und Internet als Ältere. Männer interessieren sich mehr für PC und Internet als Frauen. Es ist davon auszugehen, dass das Interesse Älterer an neuen Medien zukünftig wesentlich zunehmen wird, da der Umgang damit immer vertrauter wird und ein großer Teil der zukünftigen Gruppen Älterer bereits während der Berufstätigkeit mit neuen Medien in Berührung gekommen ist. Außerhäusliche Mobilität ist für das Leben älterer Menschen von hoher Bedeutung und die Gruppe der über 55-Jährigen ist insgesamt überwiegend mobil und selbstständig (Mollenkopf & Flaschenträger 2001). Der private Pkw ist neben dem öffentlichen Personennahverkehr ein wichtiges Mittel zur Freizeitgestaltung, zur Aufrechterhaltung der selbstständigen Lebensführung und zur Pflege von Sozialkontakten (ebd.). Der Anteil der über 60jährigen aktiven Autofahrer an der Gesamtheit aller aktiven Autofahrer liegt heute bei 25 % und wird zukünftig noch steigen (BMFSFJ
Während die Gruppe auf den Eingang zuging, startete Max das Wohnmobil und fuhr los. Ricardo war vorangestürmt, schloss die Tür auf. Eine ohrenbetäubende Sirene war zu hören. „Nicht schon wieder!“, rief Charlotte, gegen den Lärm ankämpfend. Rasch tippte sie den Code auf das mit Zahlen versehene Quadrat, das unterhalb der Klingel auf dem Türrahmen angebracht war. Ein letztes Aufheulen, dann verstummte die Sirene. Dieses Modell sei hoffnungslos veraltet, seufzte Isolde. Man brauche ohnehin keine Alarmanlage, schimpfte Ricardo, im Haus gäbe es nichts, wofür es sich lohnen würde, einzubrechen. Ich schaltete die Deckenbeleuchtung ein, stellte mich vor den Kamin und sah zur Thermoskanne, begrüßte Karl-Otto, wie immer, wenn ich ihn länger nicht gesehen hatte. Nach einem Blick in den Spiegel konnte ich um den Mundwinkel herum eine kleine Lachfalte erkennen. G. J. wollte ich sie nennen. Müde von der Anspannung, der ich in den vergangenen Stunden ausgesetzt war, ließ ich mich in den Fauteuil sinken. Ich schloss die Augen. Nach der Sendung begleiteten mich Günther Jauch und Flora zurück in die Garderobe. Er bot mir seinen Arm an und ich hakte mich bei ihm unter. Er bedauere außerordentlich, dass ich die Million nicht gewonnen habe und führte mich an meinen Platz, während Flora sich leise mit der Maskenbildnerin unterhielt. 62
Tageszeitung/Zeitschr. lesen
69
Fernsehen
63
Radiohören
56
Besuch bekommen
55
andere besuchen
51
spazieren gehen
50
Spiele/Rätsel machen
39
Kontakte zu Nachbarn haben
38
Telefonieren
36
Bücher lesen
36 34
ins Café/Restaurant gehen Theater-/Konzertbesuch
21 18
Seniorentreffbesuch in Einricht./Verein tätig sein
15 14
Museums-/Kinobesuch schäftigung mit Wissensgebieten
10 9
Briefe schreiben Informationsveranst. besuchen
7
Beschäftigung mit Computer
7
im Internet surfen
4
0
20
40
Abb. 2.13: Beliebtheit verschiedener Freizeitbeschäftigungen
60
80
100 %
Die völlig verheulte Raucherin hielt in den Händen wieder die Fotografie, die ihre drei Kinder zeigte. Zwillinge, Mädchen, drei Jahre alt und ihr einjähriger Sohn, erklärte sie Jauch. Ich rückte meinen Sessel neben ihren, Jauch stand hinter uns und die Frau redete weiter. Ihr Mann sei vor einem halben Jahr bei einer Klettertour in den Bergen abgestürzt und ums Leben gekommen. Sie allein habe die Verantwortung für die Kinder, stehe ohne Angehörige da. Nachdem der schlimmste Schmerz über den Verlust des geliebten Menschen etwas abgeebbt war, habe sie sich mit der finanziellen Situation auseinandersetzen müssen. Die Witwenrente, die sie bekäme, würde vorne und hinten nicht reichen. Sie habe so sehr gehofft, wenigstens die erste Hürde zu schaffen. Mit dieser Summe hätte sie in der nächsten Zeit sorgenfrei leben können. „Ich schenke Ihnen meine 16.000 Euro“, sagte ich spontan, ohne an Oskar zu denken. Die Raucherin wandte sich mir zu. Nein, das könne sie nicht annehmen. Jauch räusperte sich und bat Flora, die Maskenbildnerin und mich, die Garderobe zu verlassen. Ich stand auf und folgte den beiden Frauen hinaus auf den Gang. Flora übergab mir den kleinen ovalen Behälter mit dem Hörgerät. „Können Sie mir das mit dem alten Hausmittel noch einmal erklären?“, fragte sie mich, denn vielleicht habe sie zu voreilig reagiert, als sie es abgelehnt habe. Sie habe bereits alle möglichen Medikamente ausprobiert, um das lästige Hüsteln loszuwerden, nichts habe geholfen. Und sie erinnere sich, dass ihre Großmutter auf alte Hausmittel geschworen habe. Als ich mit der Beschreibung geendet hatte, öffnete sich die Tür zur Garderobe und Jauch trat her63
2001). Die steigende Mobilität Älterer wird auch anhand zunehmender Reisetätigkeit von Senioren in den vergangenen Jahren deutlich. Laut Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (F.U.R.) werden Senioren der touristische »Wachstumsmotor der Zukunft« sein. Im Jahr 2001 sind nach aktuellen Daten der F.U.R. (Reiseanalyse 2002) mehr als 12 Mio. Deutsche über 60 Jahren in den Urlaub gefahren. Das bedeutet einen Anstieg von mehr als 20 % gegenüber 1993. Neben Reisezielen in Deutschland, die bisher in der Gunst Älterer auf den ersten Plätzen rangierten, werden zunehmend auch weiter entfernte Ziele wie der Mittelmeerraum attraktiv. Dennoch: Der Aktionsradius wird im Alter meist geringer. Mit steigendem Alter wird tendenziell mehr Zeit zu Hause verbracht. Die Ergebnisse der sentha-Befragung machen deutlich: Fast 46 % der befragten Senioren verbringen ihre Zeit vorwiegend zu Hause. Nur 9 % sind häufiger an anderen Orten und lediglich 2 % sind fast immer unterwegs. Während nur 15 % der jüngeren Befragten (55 – 64 Jahre)
angaben, immer zu Hause zu sein, waren es bei der ältesten Altersgruppe (75 Jahre und älter) mit 32 % doppelt so viele. Die Abnahme der außerhäuslichen Mobilität ist im Allgemeinen kein freiwilliger Rückzug Älterer, sondern geschieht aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen und ungünstiger Verkehrsbedingungen vielfach notgedrungen (Mollenkopf & Flaschenträger 2001). Eingeschränkte Mobilität beeinflusst die Lebensqualität und Lebenszufriedenheit Älterer negativ. Die Pflege sozialer Kontakte – sei es in der Nachbarschaft oder in Bekannten- und Freundeskreisen – ist für das Leben im Alter wesentlich und hat ebenfalls einen wichtigen Stellenwert im Tätigkeitsprofil. Allgemein ist festzustellen, dass Freundschaftsbeziehungen und auch Hilfen durch Freunde in Deutschland in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen haben (vgl. BMFSFJ 2001). Den Ergebnissen der Berliner Altersstudie kann man entnehmen, dass Freundschaften im höheren Lebensalter vorhanden sind, mit steigendem Alter aber abnehmen (Mayer & Baltes 1996).
aus. Die Maskenbildnerin schlängelte sich an ihm vorbei ins Zimmer, Flora verabschiedete sich, wünschte mir alles Gute. „Und von wegen alte, gebrechliche Frau. Ihre Energie möchte ich haben.“ Sie lächelte mich an, versprach, mir eine E-Mail zu schicken und über die Wirksamkeit des Hausmittels zu berichten. Dann stand ich mit Jauch allein auf dem Gang. „Behalten Sie mal schön Ihr Geld, Frau Ruhland“, sagte er, „ich glaube, Sie haben es selber nötig.“ Er habe der jungen Frau zugesagt, ihr finanziell unter die Arme zu greifen. Ich solle mir keine Sorgen um sie machen. Aber wenn man die mildtätige Ader in ihm in Erfahrung brächte, könnte er sich vor Bittstellern wohl kaum mehr retten. „Also, erzählen Sie bloß nichts weiter.“ „Versprochen.“ Jauch drückte mir, als Besiegelung für unser kleines Abkommen, einen Kuss auf die Stirn, dann zwinkerte er mir zu. Dieser Mann sieht nicht nur gut aus, er hat auch sein Herz auf dem rechten Fleck. Und er strahlt eine unglaubliche Erotik aus! Mir haben die Knie gezittert ...
64
Nach Angaben des Wohlfahrt-Surveys haben Personen im Alter von 40 bis 54 Jahren durchschnittlich 3,5 Freunde, 70 Jahre alte und ältere Menschen noch 3 Freunde. Der hohe Stellenwert von Freundschaftsbeziehungen drückt sich auch in der Kontakthäufigkeit aus: Sich mit Freunden zu treffen steht für die über 70Jährigen im Mittel jeden neunten Tag auf dem Kalender (Noll & Schöb 2001).
2.5.3 Freiwillige und ehrenamtliche Tätigkeiten Ältere leisten selbst aktiv einen erheblichen Beitrag für die Gesellschaft. 13,3 % der 55- bis 69-Jährigen und 6,9 % der 70- bis 85-Jährigen üben ehrenamtliche Tätigkeiten aus; sie übernehmen unentgeltlich Aufgaben wie Weitergabe von Erfahrungs- und Expertenwissen, stellen Pflege-, Unterstützungs- und Betreuungsgesamt
100
Männer Frauen
Prozent
80 60 40 20
13,3
17,9 8,6
6,9
8,9
5,7
0 55- bis 69-Jährige Abb. 2.14: Verbreitung ehrenamtlicher Tätigkeiten Älterer
70- bis 85-Jährige
ZWEI
... eine Woche später ... Samira, die fünfzehnjährige Tochter des Gemüsehändlers, spielte Mozarts „Eine kleine Nachtmusik“ in einer eigenwilligen Interpretation. Mozart wäre erstaunt, wenn er diese verjazzte Version hören könnte. Die wievielte Klavierstunde dies sei? Das Mädchen drehte sich zu Charlotte, die vor dem Schreibtisch saß und im Internet verstohlen die Börsenkurse mitverfolgte. Sie wollte sich Aktien kaufen. Seit fünf Jahren und drei Monaten käme sie fast jede Woche, sagte Samira, sie wisse die genaue Anzahl der Stunden nicht. „Wünscht du dir noch immer, Konzertpianistin zu werden?“ Das Mädchen nickte. Genau wie Vanessa Mae auf der Geige, wolle sie berühmt werden durch ihr Spiel auf dem Flügel. Nun, da werde sie weiterhin viel üben müssen. „Ich mache dir einen Vorschlag“, meinte Charlotte. „Jedes Mal, wenn du ein neu eingeübtes Stück fehlerfrei spielst, verlange ich für die Klavierstunde keinen Cent“. Samira strahlte und Charlotte nahm sich vor, über kleine Fehler hinwegzusehen. Samira hütete Kinder aus der Nachbarschaft, um die Klavierstunden bezahlen zu können. Und sie habe etwas Geld gespart, das wolle sie jedoch nicht anrühren, hatte sie Charlotte anvertraut. 65
leistungen zur Verfügung und engagieren sich ehrenamtlich in Verbänden, Vereinen und Organisationen, insbesondere in den Bereichen Sport und Freizeit, Kirche, in sozialen und kulturellen Feldern. Der Anteil der ehrenamtlich Tätigen ist bei den Männern etwas höher als bei Frauen. Laut Alters-Survey wenden durchschnittlich knapp die Hälfte der Befragten monatlich 5 bis 20 Stunden für ehrenamtliche Tätigkeiten auf (Kohli & Künemund 1996). Mehr als die Hälfte der 40- bis 85-Jährigen (51,3 %) ist Mitglied in Vereinen und Verbänden, Männer etwas häufiger als Frauen. Ein großer Teil der Älteren leistet Nachbarschaftshilfe und unterstützt hilfsbedürftige Personen der eigenen Generation (intragenerationelle Unterstützung). Einen wesentlichen Beitrag leisten Ältere auch durch finanzielle Unterstützung von Angehörigen, in erster Linie eigene Kinder oder Enkel. Sie selbst empfangen dagegen kaum finanzielle Leistungen von Angehörigen, sondern werden eher durch instrumentelle Hilfen von Angehörigen unterstützt.
Die Möglichkeiten einer aktiven gesellschaftlichen Partizipation Älterer in der Bundesrepublik sind nach Ansicht der Sachverständigenkommission des Dritten Berichts zur Lage der älteren Generation bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Die Bereitschaft von Senioren, sich ehrenamtlich zu engagieren, könnte durch Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur und von Qualifikationsangeboten noch deutlich erhöht werden (siehe Modellprogramm »Seniorenbüro« des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend). Neben dem gesellschaftlichen Nutzen haben die für andere erbrachten Leistungen auch für die Älteren selbst einen positiven Effekt. Durch das Gefühl, gebraucht zu werden, eine sinnvolle Aufgabe zu haben und Wertschätzung durch andere zu erfahren steigt die persönliche Zufriedenheit Älterer (Röhrig 2002). Der Umfang des sozialen Engagements Älterer ist abhängig von ihrem Bildungsstand, ihrer beruflichen Qualifikation, der gesundheitlichen Situation und der allgemeinen Lebenssituation. Am stärksten ist soziales Enga-
„Mein Vater will unbedingt, dass ich einmal studiere, was, ist ihm gleich. Dabei sind meine Schulnoten nicht besonders. Und mit dem Numerus Clausus werde ich ohnehin nicht zugelassen.“ Charlotte musterte das Mädchen. War der Wunsch, einmal Konzertpianistin zu werden, eine kurzlebige Laune oder tatsächlich ernst zu nehmen? Sie selber, erinnerte sie sich, hatte bereits mit fünfzehn Jahren gewusst, was sie wollte. Samira wirkte ebenfalls entschlossen. „Ich habe das Stück fehlerfrei gespielt, gilt die Abmachung bereits für heute?“ Ja, lachte Charlotte und fragte, ob sie einen Eistee wolle. Als Samira nickte, griff Charlotte zum Handy und rief Oskar an, den sie im Gemeinschaftsraum vermutete und bat ihn, das Gewünschte vorbeizubringen. Während das Mädchen die Notenblätter in ihrer Tasche verstaute, rollte Oskar ins Zimmer. Auf seinen Knien jonglierte er ein Tablett, auf dem sich Getränke und ein Teller mit Kuchenstücken befanden. Samira griff nach einem Glas, bedankte sich. Sie solle zugreifen, vom Kuchen essen, forderte Oskar sie auf. „Gertrud hat ihn gebacken, er schmeckt vorzüglich.“ Morgen werde doch die Quizshow ausgestrahlt, in der Charlotte zu sehen sei, meinte Samira und griff zum Teller, nahm sich ein Stück. Ihr Vater sei ein wenig enttäuscht gewesen, dass sie ihn nicht als Telefonjoker gebraucht habe. Aber dennoch wollten er und ihre Mutter ein kleines Fest veranstalten. „Sie wollen alle Bewohner der My Fair Lady zum Essen einladen. Und natürlich auch Max, Gertrud und den Professor.“ Anschließend könne man gemeinsam die Quizshow im Fernsehen mitverfolgen. 66
gement unter den Jüngeren, den 55- bis 60Jährigen, verbreitet. Mit steigendem Alter nimmt die Beteiligung an Verbands- und Vereinsarbeit, der Umfang von Unterstützungsund Betreuungsleistungen für andere sowie das Übernehmen ehrenamtlicher Tätigkeiten ab (Kohli & Künemund 1996). Gründe dafür liegen vorwiegend darin, dass sich mit steigendem Alter die gesundheitliche Situation im Allgemeinen verschlechtert und insbesondere Unterstützung, die mit körperlichem Einsatz verbunden ist, schwerer fällt. 2.5.4 Fazit Haushaltstätigkeiten, die ungern erledigt werden, sind gleichzeitig häufig Tätigkeiten, die Älteren schwer fallen. Unterstützung beanspruchen und wünschen sich Ältere eher von Bekannten und Familienangehörigen als von professionellen Dienstleistern. Wie Ältere ihre Freizeit verbringen, ist abhängig vom Bildungsniveau, von Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand (Mobilität) und allgemeiner Lebenssituation. Zu den beliebtes-
ten Freizeitbeschäftigungen gehören die Pflege sozialer Kontakte und die Mediennutzung, wobei konventionelle Medien wie Zeitung/Zeitschriften, Fernsehen und Radio lieber genutzt werden als neue Medien wie Computer und Internet. Jüngere Senioren und Männer beschäftigen sich eher mit neuen Medien als ältere Senioren und Frauen. Ein großer Teil der Älteren, insbesondere jüngere und männliche Senioren, beteiligen sich an Verbands- und Vereinsarbeit und übernehmen ehrenamtliche Tätigkeiten. Jüngere Seniorinnen übernehmen häufig Unterstützungs- und Betreuungsleistungen im Familien- oder Bekanntenkreis.
Charlotte dankte ihr, sie werde sich diesen Vorschlag überlegen. Sie habe allerdings keine Ahnung, wo sich der Professor im Moment aufhalte, oder wie sie ihn verständigen könne. Und Gertrud wolle gemeinsam mit ihrer Familie die Quizshow ansehen. Oskar freute sich und nahm die Einladung begeistert an. Er sei bereits sehr aufgeregt, wenn er daran denke, dass auch er im Bild sein werde. Und die Vorstellung, sein Sohn könne ihn sehen, mache ihn ganz kribbelig. „Sie haben einen Sohn?“, fragte Samira, er könne ihn selbstverständlich mitbringen. „Das geht nicht, er lebt nicht in Berlin“, antwortete Oskar knapp. Charlotte blickte zur abgeschlossenen Lade. Samira trank den Eistee aus. Sie müsse nun nach Hause. Vor der Tür blieb sie stehen und sah zur Schaufensterpuppe. „Darf ich einmal in dieses wunderschöne Kostüm schlüpfen?“ Charlotte zögerte und Oskar sprang ein. Dieses Bühnenkostüm sei Charlottes heilige Kuh, meinte er. Niemand außer ihr dürfe wagen, es anzufassen, geschweige denn, es anzuprobieren. „Nun“, mischte Charlotte sich ein, „wenn du dein erstes Konzert gibst, werde ich eine Ausnahme machen“. Er finde es nett, dass die Gulcems sie alle eingeladen haben, sagte Oskar, als Samira das Zimmer verlassen hatte. 67
„Du kannst mit den anderen gerne zu dem Fest gehen. Ich werde zu Hause bleiben und eine Partie Bakkarat mit dem Computer spielen.“ Sie wolle nicht mehr an die Quizshow erinnert werden. Noch einmal das ganze Desaster erleben? Nein! „Aber man hat dir ja gesagt, dass nicht alles zu sehen sein wird. Sei keine Spielverderberin.“ Charlotte schüttelte den Kopf. Ihr Entschluss stehe fest, sie werde nicht mitkommen. „Es ist Zeit, Charlotte“, schnorrte die wohlklingende tiefe Männerstimme aus der Pillendose. Ein Klopfen an Charlottes Tür. Sie blickte auf die Uhr, es war nach Mitternacht. Sie erhob sich aus dem Sessel vor dem Schreibtisch und öffnete. Isolde, im Morgenmantel, stand davor. „Darf ich hereinkommen? Charlotte trat zur Seite. Sie könne kein Auge zutun, jammerte Isolde. Es sei wohl zu einem Teil wegen der morgigen Quizshow. Sie setzte sich in den Fauteuil. Zum anderen geistere immer wieder ein Gedanke durch ihren Kopf und raube ihr den Schlaf. Vielleicht würde Oskars Sohn die Quizshow sehen. Immerhin bestünde dann eine kleine Chance, dass er den Namen seines Vaters hören, ihn erkennen und sich bei ihm melden würde. „Du bist eine unverbesserliche Romantikerin“, entgegnete Charlotte. „Und sie fallen sich überglücklich in die Arme und der schlimme Streit ist vergessen und vergeben“, sagte sie süffisant. Ein Happy End dieser wonnigen Art würde nicht einmal im Märchen stattfinden. 68
Isolde zog ihren Morgenmantel enger um die Schulter, als würde sie frieren. Charlotte trat zum geöffneten Fenster und schob die beiden Flügel zu. Worum es damals bei diesem Streit gegangen sei? „Ich habe keine Ahnung“, meinte Charlotte. Sie habe Oskar einmal darauf angesprochen. Er sei wütend geworden, habe ihr vorgeworfen, ihre Nase in Angelegenheiten zu stecken, die sie nichts angingen. Sie solle nie wieder dieses Thema anschneiden, sonst werde er sich eine andere Bleibe suchen. Noch nie habe sie ihn derart aufgebracht erlebt. „Ich habe mich gehütet, je wieder mit ihm darüber zu reden.“ Ein Hund bellte, gleich darauf das spitze Fauchen einer Katze. Ein Poltern, das von einem Müllcontainer herrührte, der schwungvoll geöffnet wurde. Charlotte wandte sich vom Fenster ab. „Oskar ist erst durch seine Krankheit einsichtig geworden. Er hat kurz nach der Operation den Wunsch geäußert, seinen Sohn zu sehen.“ Charlotte merkte, wie Tränen in ihre Augen stiegen. Langsam ging sie zum Schreibtisch und setzte sich. „Aber es gibt keinen vernünftigen Grund, warum Eric sich plötzlich seines Vaters besinnen sollte.“ „Immerhin ist er sein Vater und der Streit liegt lange zurück“, beharrte Isolde auf einer Versöhnungstheorie. Charlotte stützte die Hände auf der Armlehne ab. Bis vor der Operation sei Oskar starrköpfig gewesen. Wenn nun Eric diese Eigenschaft geerbt habe, sehe sie keinen Funken Hoffnung für ein klärendes Gespräch. „Du siehst immer nur schwarz“, warf Isolde ihr vor, „du verströmst Pessimismus“. 69
2.6 Risiken im Seniorenhaushalt Wolfram Rossdeutscher 2.6.1 Kritische Beurteilung der Sicherheit im Haushalt: Bestandsaufnahme Für die Aufrechterhaltung einer selbstständigen Lebensführung spielt die Sicherheit im Haushalt eine wesentliche Rolle. Bei einer repräsentativen Umfrage des Teilprojektes Sozialwissenschaften unter 1417 Befragten zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen der objektiven Beurteilung der Sicherheit und dem subjektiven Sicherheitsgefühl im Haushalt der Befragten. Aus den Untersuchungen ergibt sich, dass erst nach einem Unfall (z. B. einem Sturz) Maßnahmen getroffen werden, um die Sicherheit zu erhöhen (z. B. Badewanne mit Haltegriff). Dabei nimmt beispielsweise die Angst vor Stürzen mit dem Alter zu. Andererseits wird durch derartige persönliche Erfahrungen meist der Blick für Gefahrenpotenziale geschärft. Werden diese Erfahrungen nicht gemacht, ist dies meist ein Grund für Fehlein-
schätzungen potenzieller Gefahren im Haushalt. Demnach hatten z. B. 77 % der Befragten keine Angst vor einem Gasaustritt. Gefahrenpotenziale bestehen weiterhin im Vergessen bestimmter sicherheitsrelevanter Handlungen (z. B. Abschaltung von Hausgeräten, Fenster und Türen schließen usw.). 16 % der Befragten haben beispielsweise schon einmal vergessen ihren Herd abzuschalten, obwohl sie sich der Gefahr bewusst waren. In einer Studie der HUK-Versicherung wurden Heim- und Freizeitunfälle untersucht. Dabei zeigten sich folgende Ergebnisse: Rund 80 % der Heim- und Freizeitunfalltoten sind älter als 65 Jahre. Von allen Todesfällen im Haushalt sind wiederum ca. 80 % auf Stürze zurückzuführen. Dabei haben 40 % der Fortbewegungsunfälle etwas mit einem Ebenenwechsel zu tun (Treppe, Leiter usw.). Auffallend ist, dass Maschinen bei der Entstehung von Hantierungsunfällen nur eine recht untergeordnete Rolle spielen, während es beim Hantieren mit Handwerkszeugen, wie z. B. Messern, bedeutend häufiger zu Unfällen kommt.
Charlotte blickte sie prüfend an. Bedächtig nahm sie die Kette vom Hals, an der der kleine Schlüssel baumelte. „Du wirst nichts weitererzählen?“ Isolde nickte zaghaft. „Mit niemandem darüber reden?“ Ungeduldig versprach sie es. Charlotte schloss die Lade auf und nahm einen Packen Briefe heraus. „Hier.“ Sie legte sie Isolde in den Schoß. „Ich habe Erics Adresse herausgefunden.“ Vor einem halben Jahr habe sie Kontakt zu ihm aufgenommen. Isolde richtete sich im Fauteuil auf und Charlotte konnte sehen, dass ihre Augen aufblitzten. „Warum hast du Oskar nichts gesagt?“ Sie habe erst vorfühlen und auf Erics Reaktion warten wollen. Isolde nahm einen Brief nach dem anderen in die Hand, sah auf den Absender. „Die stammen von dir“, meinte sie verdattert. Ja, immer wieder habe sie ihm Briefe geschrieben. Er habe jeden ungeöffnet retourniert. Charlotte griff erneut in die Lade, zog die lindgrünen Kuverts hervor. „Es gibt drei, die mir Erics Frau geschickt hat“. Charlotte legte sie auf den Schreibtisch und Isolde beäugte sie misstrauisch. 70
Daraus ist zu schließen, dass man sich beim Hantieren mit Maschinen in aller Regel mehr konzentriert als beim vermeintlich einfachen Vorgang des Gehens. Bemühungen zur Unfallverhütung sollten sich also auf solche Vorgänge konzentrieren, bei denen es häufig zu Unfällen kommt, bei denen häufig auch schwere Folgen auftreten und von denen man sich vorstellen kann, dass entweder technische Veränderungen eine Erhöhung der Sicherheit bewirken oder aber Informationen der gefährdeten Personen zur Änderung der Verhaltensweisen führen. Soweit nicht technische Verbesserungen (z. B. die Vermeidung glatter Böden) in Frage kommen, sind die Möglichkeiten zur Verbesserung der Sicherheit durch Informationen und die Empfehlung bestimmter sicherheitsfördernder Verhaltensweisen eher skeptisch zu beurteilen. Zwar entstehen im Zusammenhang mit Fortbewegungen viele schwere Unfälle, die Fortbewegung dürfte aber in den seltensten Fällen um ihrer selbst willen erfolgen. Wer innerhalb der Wohnung von einem Punkt zum
anderen geht – sei es in der Ebene, über Hindernisse oder über eine Treppe –, der wird dies in der Regel nicht als Tätigkeit empfinden, es sei denn, er ist behindert und bestimmte Bewegungen bereiten ihm Schwierigkeiten. (Untersuchung »Heim- und Freizeitunfälle« Akte 513-5/K, 1985; Bellach BM (1999); Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) Eigene Untersuchungen zeigen, dass beispielsweise erhebliche Sicherheitsrisiken in der Hausinstallation, speziell bei Altbauten, vorliegen. Die Elektroinstallation besteht dort zum Teil noch aus stoffummantelten 2-DrahtLeitungen ohne Schutzleiter. Weiterhin sind keine Fehlerstromschutzschalter (FI-Schalter) für Feuchträume vorhanden. 2.6.2 Wie viel Sicherheit braucht der Senior? Eine sicherheitstechnisch überwachte und geschützte Wohnung z. B. in einer Smart-HomeUmgebung lässt prinzipiell die Möglichkeit zu, durch Überwachung von potenziellen Gefahren sowie des Verhaltens der betroffenen Person
Im ersten schrieb seine Frau, dass sie ohne Wissen ihres Mannes einen Brief Charlottes geöffnet habe und erklärte ihr, dass es ebenfalls ein Anliegen von ihr sei, beide Männer versöhnt zu sehen. Sie habe versucht, Eric ins Gewissen zu reden, ihn darauf hingewiesen, dass sein Vater nicht mehr der Jüngste sei und gerade eine Bypass-Operation hinter sich gebracht habe. Da habe er nachgefragt, woher sie das wisse. Sie gestand ihm, einen Brief gelesen zu haben. Daraufhin sei bei ihnen der Haussegen schief gehangen. Sie gab dennoch nicht auf, versuchte weiterhin, ihn zur Vernunft zu bringen. Viel Zeit sei seit jenem Streit, über dessen Grund Eric beharrlich schwieg, verstrichen, habe sie argumentiert und ihn gebeten, Oskar zu besuchen. Seine ablehnende Reaktion habe sie schockiert. Sie bedauere unendlich, dass die Kluft zwischen ihm und seinem Vater zu tief sei. Es war ihr nicht gelungen, ihn zu einem Treffen mit Oskar zu bewegen. Isolde berührte mit den Fingerspitzen das Kuvert, als könne sie dadurch den genauen Wortlaut erfahren. Charlotte beobachtete sie und fuhr dann fort. „Im nächsten schreibt sie, dass Eric einen schweren Unfall mit seinem Motorrad gehabt hat und im Koma liegt.“ Isolde presste ihre Handflächen gegen die Oberarme, eine Abwehrhaltung, die Charlotte nie verstanden hatte. Unbeirrt redete Charlotte weiter. „Im letzten Brief, er ist zwei Tage, bevor wir nach Köln gefahren sind, gekommen, schreibt sie“, Charlottes Stimme versagte. 71
ein sehr hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten. Zunächst ist zu klären, welche Gefahren im Haushalt entstehen und wie sich der Senior bis jetzt dazu verhält. Ziel sollte es sein, den Senior so weit wie möglich vor Gefahren zu schützen oder mindestens zu warnen, seine Eigenverantwortung und Kompetenz jedoch zu erhalten und sein Sicherheitsbewusstsein zu verbessern. Aspekte der Eigenverantwortung, Kompetenz und des Sicherheitsbewusstseins sind dabei von besonderem Interesse. (Diss. B. Schadow) Überwachte und gesteuerte Sicherheit provoziert jedoch Fragen, die auch wesentliche psychologische und soziale Aspekte aufzeigen: – Kann der Senior die Technik noch selbst steuern oder überwachen? Wird er oder fühlt er sich dabei entmündigt? – Kann und darf sich der Senior auf die Technik blind verlassen bzw. setzt eine »perfekte« Technik das Sicherheitsbewusstsein herab und verleitet zu unsicherem Verhalten?
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Nimmt man dem Senior die Eigenverantwortung? Verändert sich das Sicherheitsbewusstsein bzw. das soziale Verhalten?
Zur Beantwortung dieser Fragen besteht weiterer Handlungsbedarf. 2.6.3 Anforderungen an ein Sicherheitskonzept Ein Konzept zur Verbesserung der Sicherheit im Haushalt muss folgende Anforderungen erfüllen: – Das Sicherheitskonzept muss wirksam zur Sicherheit beitragen; es darf nicht vermeintliche Sicherheit vorgaukeln. Im Zweifel muss sich der Nutzer auf das System verlassen können. – Die Sicherung der Gesundheit bei Unfällen und akuten medizinischen Notfällen muss im Konzept eingebunden sein. Senioren sind in besonderem Maße medizinisch begründeten Risiken ausgesetzt, die abgesichert werden müssen.
Sie räusperte sich. Von der Straße her war Lärm zu hören, Autotüren, die laut ins Schloss klappten, dann Gelächter. Fremde Stimmen, die sich fröhlich voneinander verabschiedeten. „Ihr Mann Eric ist nicht mehr aufgewacht.“ Isolde hielt sich die Hände vors Gesicht. Charlotte nahm sie in den Arm. Sie habe es nicht geschafft, Oskar die Briefe zu zeigen. Isolde schnäuzte sich. Mit niemandem werde sie darüber reden. Sie löste sich von Charlotte, ging zur Tür und öffnete. Im Lichtstreifen, der auf den Gang fiel, funkelten die rot gestrichenen Speichen von Oskars Rollstuhl. Isolde blieb wie angewurzelt stehen. „Bist du das, Oskar?“, fragte Charlotte unsinnigerweise und lief auf ihn zu. Isolde zwängte sich an ihm vorbei auf den Gang. Sie wünsche eine gute Nacht, murmelte sie und verschwand. Wie die Scheibe des Mondes erschien Oskars Gesicht vor Charlottes Augen. Aus seinen hellen Zügen konnte sie keine Gefühlsregung ablesen. Er sei durch das Bellen eines Hundes aufgewacht. Charlotte legte die Hand auf seine Schulter. Unwillig schüttelte er sie ab. „Ich bin müde“, meinte er und reversierte den Rollstuhl. Sie müsse mit ihm reden. Er schüttelte verneinend den Kopf. Er wisse nicht, worüber, sagte er abweisend und fuhr in sein Zimmer. 72
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Das Konzept muss eine breite Palette von Haushaltsgeräten sowohl im Anwendungsbereich als auch im Komfort unterstützen. Um attraktiv für alle Anwendergruppen zu bleiben, müssen sowohl Haushaltsgeräte als auch Geräte der Unterhaltungselektronik und Sicherheitstechnik unterstützt werden. Dies schließt auch »Low-Cost-Produkte« ein. Auch Altgeräte, die »alte Werte« des Seniors darstellen, müssen durch Nachrüstbarkeit und Modularität Berücksichtigung finden. Das Sicherheitskonzept soll heutige sowie zukünftige Wohnraumkonzepte unterstützen. Das Konzept muss attraktiv für alle potenziellen Nutzer sein und auch Senioren in ihren oft sehr lange bewohnten Wohnungen z. B. auch in Altbauten gerecht werden. Man sollte nicht umziehen müssen, um Sicherheit zu erlangen. Die Wirkungsweise eines Schutzsystems sollte möglichst automatisch erfolgen. Dies ist notwendig, da im Notfall keine Einwirkmöglichkeiten mehr vorhanden sein können.
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Das Konzept sollte über die technische Sicherung hinaus das Sicherheitsbewusstsein schärfen. Der Senior soll nicht durch Technik entmündigt werden, sondern soll selbst aktiv zur Sicherheit beitragen können. Es sollte für Nutzer und Hersteller gleichermaßen überzeugend und attraktiv sein. Die Produkte sollen positiv wirken, ein angenehmes Lebensgefühl vermitteln und aus dem üblichen Standard z. B. durch Sonderfunktionen abgrenzen und herausheben. Letztendlich muss das Produkt für Nutzer und Hersteller gleichermaßen finanziell attraktiv sein.
2.6.4 Mögliche Konzepte zur Verbesserung der Sicherheit Anwendung vorhandener Standards In DIN-Normen wird beschrieben, welche aktuellen Sicherheitsanforderungen für die Hausinstallation zu erfüllen sind. Dabei stellen diese DIN-Normen eine Mindestanforderung an die Sicherheit dar.
Samira nahm die kleine Gruppe vor dem Gemüseladen in Empfang. Charlotte betrat als letzte Gulcems Laden, der für Kunden bereits geschlossen war. Die Regale waren leer. „Das Obst und Gemüse wird über Nacht kühl gelagert, sonst ist es bei dieser Hitze am nächsten Tag ganz matschig“, erklärte Samira. Ein gerahmtes Bild in Postergröße hing an der Wand neben der Tür, die in den Wohnbereich führte und durch die Isolde, Emma und Ricardo verschwanden. Ihr Vater habe das Bild vorhin angebracht. Oskar rollte darauf zu. Es zeigte Charlottes Portrait, in Öl gemalt. „Jeder seiner Kunden soll in Zukunft sehen, dass Frau Ruhland bei ihm einkauft.“ Charlotte schnappte nach Luft. Sie würde ein es Wort mit Emma reden müssen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht! „Ich bestehe darauf, dass das Bild abgenommen wird.“ Sie eigne sich nicht als Werbeträgerin, sagte Charlotte unwillig. „Sie sehen hübsch darauf aus“, meinte Samira. „Das finde ich auch“, mischte Oskar sich ein. Selbst wenn er Emmas Malkünste nicht besonders schätze, müsse er zugeben, dass ihr dieses Portrait gelungen sei. „Meinst du?“ Oskar nickte überzeugt. Emma habe einen Deal mit ihrem Vater abgeschlossen, nicht für sich, sagte Samira. Solange das Bild an der Wand hänge, werde er Charlotte einen zehnprozentigen Preisnachlass auf ihre Einkäufe 73
Sicherheitsmodul Das System ist in der Lage, bei möglichen Fehlerfällen eines Haushaltsgerätes dieses abzuschalten bzw. über seinen Zustand zu informieren. Zentrale Raumüberwachung Zielsetzung der zentralen raumorientierten Überwachung ist es, gefährliche Zustände wie Brand (Rauchentwicklung), Gasaustritt, Fehlerstrom usw. zu detektieren und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Durch eine Smart-Home-Umgebung können verschiedenste Sensoren durch ein Bussystem miteinander gekoppelt werden. Die Messwerte werden an einer zentralen Stelle gesammelt und ausgewertet und stehen somit auch zur weiteren Verarbeitung für ein Personennotrufsystem zur Verfügung. Beispiele für Sensoren sind: Rauchmelder, Gasmelder, Wassermelder, Alarmgeber bei Einbruch/ Diebstahl und Haustürüberwachung.
Personennotruf Dank der Fortschritte in der Mikrotechnologie und der Funktechnik ist es heute möglich, besonders zuverlässige Personennotrufsysteme zu realisieren. Speziell ältere Personen mit Behinderungen, Personen, die bereits durch Stürze oder Unfälle verunsichert sind, und hochbetagte Alleinstehende benötigen im Notfall schnelle Hilfe. Bisherige Systeme verwenden fast ausschließlich einen so genannten Funkfinger, mit dem ein Alarm manuell ausgelöst werden kann, was sich bei manchen Notfall-Situationen jedoch nicht als genügend zuverlässig erweist. Als Alternative oder auch Ergänzung werden daher Systeme vorgeschlagen, die einen Notfall automatisch durch Messen und Auswerten von Vitalparametern erfassen und selbsttätig einen Alarm auslösen können. Ergänzend dazu lassen sich in einer Smart-Home-Umgebung mit vernetzten Komponenten weitere Parameter (Umwelt-Parameter) zur Notrufentscheidung verwenden. Dabei zeigt sich, dass die Erkennung einer Notfallsituation umso zuverlässiger wird, je mehr
gewähren. Sie nahm das Bild genauer in Augenschein. Nun, es sei in der Tat gelungen. Wobei sie natürlich nicht ihr Konterfei meine, sondern Emmas künstlerische Gestaltung. „Allerdings wirkt es düster. Sie hätte es ruhig in Pastell halten können.“ „Emma ist stolz darauf, dass es hier ausgestellt ist“, versuchte Samira zu vermitteln. Auch, wenn es nur ein Gemüseladen sei, kämen täglich viele Menschen hierher und könnten es betrachten. Sie wolle keine Spielverderberin sein und ihr die Freude lassen, meinte Charlotte gönnerhaft. Zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter liefe eine Wette über die Höhe des Gewinnes. Viele ihrer Kunden hätten sich angeschlossen. „Wollen Sie mir nicht endlich verraten, wieviel Sie gewonnen haben? Ich werde garantiert nichts weitererzählen“, bettelte Samira. „Bald weiß es sowieso die ganze Straße.“ Charlotte flüsterte ihr die Summe ins Ohr. Samira begann zu lachen. Da würden einige ganz schön doof aus der Wäsche schauen, meinte sie, denn das Gerücht, Frau Ruhland habe die Million gewonnen, habe sich in den letzten Tagen hartnäckig gehalten. „Was gibt es zu lachen?“ Herr Gulcem erschien im Laden. Man warte auf die Hauptperson des Abends, auf Frau Ruhland. Über einen schmalen Gang folgten die Drei Gulcem in ein gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer. Sie freue sich auf das Essen, sagte Isolde zu Oskar. Frau Gulcem sei dafür bekannt, eine exzellente Köchin zu sein. Vor allem Spezialitäten nach alten Rezepten aus ihrer türkischen Heimat würde sie beherrschen, und niemand in Berlin könne sie nachmachen. 74
Smart-HomeParameter
Vitalparameter messen
ergänzende Informationen zur Person
Auswertung
Notrufsendeeinheit (z.B. Telefon)
Übertragungsstrecke
Empfangseinheit
Auswertung
Manuelles Auslösen eines Notrufs
Rückfrage (wenn möglich)
Hilfe leisten
Abb. 2.15: Struktur des Notrufsystems
Hilfe einleiten (Notdienst, Feuerwehr,...)
Oskar rümpfte die Nase. Wenn sie damit auf seine Kochkünste anspiele, könne sie ihn nicht erschüttern. In der Mitte des Zimmers spannten sich weiße Tücher über mehrere zusammengestellte Tische, um sie herum neun Sessel. Rosafarbene Servietten, in Form von Rosenblüten gefaltet, lagen neben Trinkgläsern. Es sei ein besonderer Abend, sagte Herr Gulcem feierlich, deshalb habe man sich auch ein besonderes Mahl einfallen lassen. Charlotte bemerkte, dass Isolde genießerisch die Luft einsog, stutzte und dann ein verblüfftes Gesicht machte. Herr Gulcem trat zu einem Paravent, der sich an der Längsseite des Zimmers befand. Er forderte Samira auf, ihm behilflich zu sein. Gemeinsam mit ihr schob er den dreiflügeligen Paravent zusammen, der eine Anrichte abschirmte. Auf ihr befanden sich verschieden große Töpfe und abgedeckte Schüsseln. Man habe sich entschieden, heute abend etwas Besonderes aufzutischen, sagte Herr Gulcem. Er hoffe, ihnen damit eine Freude zu bereiten. Sushi! Isolde nickte tapfer. Roher Fisch und Meeresfrüchte! Ein Greuel für sie. Oskar grinste schadenfroh. Er könne demnächst versuchen, diese Speisen nachzukochen, schlug er vor. Bloß nicht!, zischte Isolde und lächelte Frau Gulcem an, die sie bat, Platz zu nehmen. Isolde stocherte in ihrem Essen herum, Samira erbarmte sich und servierte ab. Sie habe keinen Appetit, erklärte Isolde. „Köstlich“, meldete Charlotte und biss herzhaft in ein Reisbällchen, das mit rohem Lachs belegt war. Oskar hatte in seiner Tasche, die am hinteren Teil des Rollstuhls hing, eine Flasche Whisky transportiert. Er übergab sie Ricardo, bat ihn, sie zu öffnen und einzuschenken. 75
Einzelparameter man zur Entscheidung heranzieht. Abb. 2.15 zeigt den generellen Aufbau eines solchen Personennotrufsystems für den Wohnbereich. Die Auslösung eines Notrufs kann dabei sowohl manuell durch den Benutzer oder eine andere Person als auch automatisch über die Messung und Auswertung von Parametern geschehen. Als Parameter sind zum einen Vitalparameter geeignet und zum anderen solche, die aus dem nahen Wohnumfeld, dem Smart-Home, generiert werden. Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass die Prüfung und Validierung eines Notrufsystems den Entwickler vor große Probleme stellt, da derartige Systeme eigentlich nur durch realistische Tests auf hinreichende Zuverlässigkeit optimiert werden können, andererseits lassen sich natürlich Notfälle (z. B. Ohnmacht, Stürze, Schock oder Infarkt) im Allgemeinen weder direkt beobachten noch hinreichend realistisch simulieren. Hier müssen »intelligente« Notrufsysteme – die eine große Menge an Eingabedaten erfordern – am Benut-
zer lernen, und daher können Erfahrungen nur über eine große Probandenzahl und eine längere Erprobungs- und Systemtrainingszeit gewonnen werden. Sicherheitsmanagementsystem In einem Sicherheitsmanagementsystem werden dem Nutzer potenziell gefährliche Geräte und Situationen vorgegeben, die zu beurteilen und zu priorisieren sind. Zu jeder Gefahr sind Ideen zur Prävention zu dokumentieren. Dies ist die Grundlage für ein individuelles Managementsystem zur Prävention von Unfällen. Durch die regelmäßige Kontrolle des Managementsystems durch einen unabhängigen Berater soll eine dauerhafte Sensibilisierung auf potenzielle Gefahrenquellen erreicht werden.
Charlotte griff sich theatralisch an die Stirn. Sie fühle sich nicht wohl, habe wahrscheinlich Fieber und wolle lieber nach Hause. „Jetzt sei nicht feige“, fuhr Isolde sie an. „Wir werden uns die Sendung gemeinsam ansehen, wie beschlossen.“ Wo Max stecke? Sie mache sich Sorgen um ihn. Er habe versprochen, spätestens zu Beginn der Sendung zu erscheinen. Oskar lachte über Charlottes übertriebene Fürsorge. Max sei ein erwachsener Mann. Wahrscheinlich habe er keine Lust, den Abend mit ihnen zu verbringen, er würde ihm das nicht verübeln. „Du bist eitel“, warf Isolde ihr vor, „und kränkst dich, dass dein Neffe dich nicht im Fernsehen bewundern will“. „Es reicht!“ Charlotte schlug mit der Faust auf den Tisch. „Wenn ihr mich vergraulen wollt, dann sprecht es offen aus!“ „Kommt der Professor?“ Samira wollte Charlotte auf andere Gedanken bringen. Sie ließ sich darauf ein. Nein, sie habe ihn auf seinem angestammten Platz nicht angetroffen und keine Möglichkeit gehabt, ihn über die Feier zu informieren. Herr Gulcem räusperte sich und klopfte mit einem Löffel gegen sein Glas. Die Sendung werde gleich beginnen. Jeder solle sein Glas nehmen und mit ihm in den anderen Raum kommen, forderte Herr Gulcem sie auf, ihm zu folgen. Bis auf langstielige Kerzen, die auf kleinen Tischen in bunten Glasschalen standen und ihr Licht verströmten, war es dunkel. Charlotte ließ sich auf einen weich gepolsterten Stuhl mit Armlehnen nie76
2.7 Technikeinstellung und Techniknutzung Stefanie Becker, Uta Böhm, Anne Röhrig, Susanne Wurm Moderne Technik bietet neue Optionen zur Unterstützung bei Haushaltstätigkeiten, verbesserte Möglichkeiten im Freizeitbereich und zur Pflege sozialer Kontakte, Unterstützung der Gesundheitsvorsorge oder im Fall chronischer oder altersbedingter Krankheiten. Werden diese jedoch von den heutigen und den zukünftigen Senioren angenommen und in ihren Alltag integriert? 2.7.1 Technikeinstellung der Senioren Allgemein wird davon ausgegangen, dass Ältere weitgehend technikfeindlich sind und nicht bereit seien, (neue) Technik im Alltag zu nutzen. Es lässt sich zeigen, dass Technikeinstellung und -akzeptanz mit dem Alter abnehmen: Über 75-Jährige sind Technik gegenüber skeptischer als jüngere Senioren zwischen 55 und 64 Jahren. Die Ursache ist darin zu sehen, dass die verschiedenen Altersgruppen
unterschiedliche ›Technikgenerationen‹ widerspiegeln (Sackmann & Weymann 1994), die mit jeweils anderer Technik und einem anderen Ausmaß an Technisierung aufgewachsen sind. Trotz dieser insgesamt technikkritischeren Haltung Älterer im Vergleich zu Jüngeren ist die Technikakzeptanz älterer Menschen aber hoch. Rund zwei Drittel der Befragten der sentha-Studie stehen dem technischen Fortschritt positiv gegenüber und meinen, dass dieser für die Aufrechterhaltung unseres gegenwärtigen Lebensstandards notwendig ist, gebraucht wird und überwiegend Gutes gebracht hat. Dass die Technik den Menschen mehr bedroht als ihm nutzt, äußert nur knapp ein Fünftel der Senioren. 2.7.2 Altersspezifische Probleme der Techniknutzung Die von der sentha-Forschungsgruppe durchgeführte qualitative Studie (Röhrig 2002) verdeutlicht, welche Schwierigkeiten ältere Menschen im Umgang mit Technik haben:
der und stellte den Whisky neben sich. Oskar rollte an ihre Seite, nahm ihre Hand in seine, drückte sie. Sie solle es genießen, im Mittelpunkt zu stehen, munterte er sie auf. Herr Gulcem schaltete den Fernseher ein, der an der Wand befestigt war und allen freie Sicht zum Gerät bot. Charlotte war beeindruckt. Genau dieses Modell hatte sie für den Gemeinschaftsraum kaufen und ihre Mitbewohner damit überraschen wollen, wenn sie die Million ... Sie schluckte, schalt sich, undankbar zu sein. Charlotte winkte mit dem Maskottchen in die Kamera. Herr Gulcem und seine Frau stimmten in den Fernsehapplaus ein. Wie imposant der grüne Seidenhosenanzug im Fernsehen aussähe, schwärmte Isolde. Sie wirke blass, die Maskenbildnerin habe mit dem Rouge gespart, kritisierte Emma. Charlotte schüttelte den Kopf. „Du kommst mir vor, wie eine alte Ziege. Ständig meckerst du herum.“ „Ruhe!“, forderte Ricardo. Während der Werbepause verteilte Samira Holzschalen mit Käsekrackern. Nun sei es gleich soweit und Charlotte würde in die Mitte gebeten werden, sagte Oskar zu Herrn Gulcem und bat ihn, sein Glas zu füllen. Er solle sich beruhigen, sorgte sich Charlotte, zu Hause laufe der Videorecorder, da könne er später in Ruhe alles noch einmal genau mitverfolgen. Das Wissen, dass so viele Menschen in diesem Augenblick die Show sehen werden, bereite ihm Nervenkitzel und der mache für ihn den Unterschied zwischen einer Live-Sendung und einem Video aus. 77
23
Videorecorder Hörgerät
22
Modem
18
Computer
18 16
Videokamera Handy
14
Anrufbeantworter
12
Schnellkochtopf
12
Mikrowelle
12
Waschmaschine
10
Herd
10 0
10
20
30
Abb. 2.16: Geräte, mit denen am häufigsten schlechte Erfahrungen gemacht wurden
40
50 %
Die Raucherin verließ die Bühne und die Einstiegsfrage wurde gestellt. Alle im Zimmer applaudierten, als Charlotte, an Jauchs Hand, in die Mitte geführt wurde. Sie seufzte und ein „Hicks“ drückte sich über ihre Lippen. Das komme von der Aufregung, kicherte Samira, die auf einem Polster vor Charlotte hockte. Sie solle zehn kleine Schlucke vom Whisky nehmen, ohne dazwischen Atem zu holen. Der Schluckauf würde garantiert verschwinden. Charlotte trank. Wahrscheinlich wäre sie eher betrunken, als dass der Schluckauf verschwinden würde, befürchtete sie. Sie hatte 50 Euro gewonnen. Es wirke tatsächlich, flüsterte sie Samira zu. Jauch begrüßte Oskar, er war kurz zu sehen. „Habe ich etwas überhört?“, raunte sie ihm zu. „Was meinst du?, fragte Oskar ungeduldig. Nun, sie habe nichts über Karl-Ottos Urne gehört, ärgerte sich Charlotte. Karl-Ottos Urne? „Tatsächlich, man hat seine Geschichte übersprungen.“ Hätte sie nichts gesagt, es wäre ihm gar nicht aufgefallen. Sie solle froh darüber sein, meinte Samira. In Deutschland sei es nämlich nicht erlaubt, Urnen bei sich zu Hause aufzubewahren. Wahrscheinlich hätte man sie ihr weggenommen. Und mit einer Strafe hätte sie auch rechnen müssen. Charlottes Ärger war verflogen. Aus dem Gemüseladen war ein eigenartiges Rumpeln zu hören, als würde eine überladene Waschmaschine durch die Gegend hüpfen. Herr Gulcem griff zur Fernbedienung und schaltete lauter. Im 78
Unübersichtlich angeordnete oder/und zu viele Bedienelemente, Doppelbelegung von Tasten, kleine Tasten und Beschriftungen, schlechte Kontraste, z. B. auf Displays, unverständliche Symbole und Beschriftungen, unverständliche oder/und zu umfangreiche Bedienungsanleitungen, Verwendung englischer Termini, Zusatzfunktionen und automatische Programme erschweren die Bedienung von Geräten. Probleme entstehen, wenn neue Geräte angeschafft und die Bedienung erstmalig anhand der Bedienungsanleitungen erarbeitet und erlernt werden muss. Von immer mehr potenziell verfügbaren Funktionen werden immer weniger tatsächlich genutzt. Funktionen, die nicht regelmäßig genutzt werden, werden schnell vergessen und müssen, wenn sie einmal benötigt werden, in der Bedienungsanleitung nachgelesen oder umständlich wieder erarbeitet werden. Vielen Senioren (und auch vielen jüngeren Personen) ist das zu aufwändig, so dass sie sich auf die grundlegenden einfachen Funktionen zur Gerätebedienung beschränken.
Wenn Probleme bei der Nutzung technischer Geräte auftreten, erhalten Ältere meist durch ihre Kinder und Enkel Unterstützung. Diese sind überwiegend auch bei der Beratung vor Neuanschaffungen, beim Kauf und beim ersten Einrichten der Technik im Haushalt (wie z. B. Fernseher, Satellitenanlage, Videorecorder, Anrufbeantworter einstellen etc.) behilflich. Unterstützung leisten aber auch versierte Freunde, Bekannte oder Nachbarn. Mit Geräten aus dem Bereich Information und Kommunikation haben Ältere am häufigsten schlechte Erfahrungen gemacht. An erster Stelle stehen dabei Bedienprobleme und -fehler beim Programmieren des Videorecorders (die auch bei Jüngeren sehr häufig sind). Unter den Geräten aus dem Bereich Gesundheit ist es das Hörgerät, mit dem am häufigsten schlechte Erfahrungen gemacht wurden. Probleme und fehlerhafte Bedienung treten auch sehr häufig bei der Nutzung von Modem, PC, Videokamera, Handy und Anrufbeantworter auf. Viele Senioren berichten aber auch über schlechte Erfahrungen mit Haus-
nächsten Moment verschwand das Bild. Nur noch Schneegestöber war auf dem Flatscreen zu sehen. Dann wurde der Bildschirm schwarz. Kerzenlicht spiegelte sich auf den verblüfften Gesichtern. Herr Gulcem rannte zur Tür. Er werde den Schaden gleich beheben. Bestimmt hänge dieser Stromausfall mit einer Überlastung zusammen. Die Kühltruhen, in denen er sein Gemüse und das Obst aufbewahre, liefen in der warmen Jahreszeit auf Hochtouren. Er werde sie etwas drosseln und die Sicherung wechseln. Samira nahm eine Kerze und verließ mit ihm das Zimmer. Ein mit Batterien betriebenes Radio lief, griechische Musik war zu hören. Ricardo stellte sich in die Mitte des Raumes und schlug seine Hände über dem Kopf zusammen. Emma gesellte sich zu ihm, imitierte seine Bewegungen, hob zuerst das rechte, dann das linke Bein. Er forderte die anderen auf, einen Kreis zu bilden. Sirtaki sei sein Lieblingstanz, rief Herr Gulcem und legte Isolde eine Hand auf die Schulter. „Unser türkischer Nachbar tanzt besser als Alexis Sorbas“, rief Charlotte Ricardo zu, während sie sich bemühte, mit der Reihenfolge der Bewegungsabläufe klarzukommen. Oskar klatschte in die Hände, feuerte die Tänzer an. Charlotte dachte an das Gespräch über Eric, das sie mit Isolde geführt hatte. Oskar hatte sich bis jetzt nicht anmerken lassen, ob er es belauscht hatte. Sie bewegte sich im Rhythmus der Musik. Die Kreise, die sie durch den Raum zogen, wurden immer schneller. Emma taumelte, wurde von Charlotte aufgefangen, die sich übermütig mit ihr drehte. 79
5,81
verständliche Bedienanleitung
5,64
sicher sein
5,55
einfach zu bedienen sein
5,31
leicht zu reinigen sein
5,11
selbsterklärend in der Benutzung
5,04
Defizite ausgleichen
4,91
wenig Energie verbrauchen leicht zu reparieren
4,83
techn. auf dem neuesten Stand
4,82 4,68
Spaß machen 4,21
nicht diskriminierend sein preiswert sein
4,12
modern sein
4,11 3,86
schön aussehen 1 2 sehr unwichtig
3 4 Mittelwert
Abb. 2.17: Wichtigkeit verschiedener Aspekte bei seniorengerechten Geräten
5
6 sehr wichtig
Sie habe genug, rief Emma lachend, strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und wankte zu ihrem Sessel. Charlotte reihte sich zwischen Ricardo und Isolde in den Kreis ein. Es sei ein schöner Abend gewesen, kicherte Emma, die dem Whisky ordentlich zugesprochen hatte. Nur schade, dass man die Quizshow auf dem Schwarz-Weiß-Gerät zu Ende habe verfolgen müssen. „Bei deinem Dusel wäre dir doch nicht einmal aufgefallen, wenn Jamie Oliver, nur mit einer knappen Schürze bekleidet, gekocht hätte“, zog Charlotte sie auf. Sie würde Jamies Kochkünste bewundern, meldete sich Isolde. „Ab Morgen kannst gerne du das Zepter in der Küche schwingen“, bot Oskar ihr an. Ricardo winkte ab. „Ich halte nichts von der groben Art, wie dieser Junge mit Lebensmitteln umgeht.“ Er habe keinen Sinn für Innovation, warf Isolde ihm vor. Samira begleitete die Gruppe durch den Gemüseladen bis zur Eingangstür. Sie fragte Emma, was es mit dem Ereignis im zweiten und dritten Stockwerk auf sich habe. Sie sei zu diesem Zeitpunkt auf Schüleraustausch im Ausland gewesen. Bei ihrer Rückkehr habe sie hinter vorgehaltener Hand über mysteriöse Vorfälle in der My Fair Lady reden hören. „Niemand will mir Näheres darüber erzählen“, beschwerte sie sich. „Emma ist betrunken“, mischte Charlotte sich ein. „Glaube nur ja nicht, dass sie sich deshalb verplaudert und dir etwas verrät.“ 80
haltsgeräten wie Schnellkochtopf, Mikrowelle, Waschmaschine und Herd. Mit zunehmendem Alter werden Probleme bei der Nutzung technischer Geräte häufiger. 2.7.3 Seniorengerechte Technik – Anforderungen aus Sicht der Nutzer Daten gibt es auch zu den Anforderungen, die ältere Nutzer an Technik stellen. Um seniorengerecht zu sein, müssen technische Geräte aus Sicht der Älteren vor allem leicht zu bedienen sein. In erster Linie gehört für Senioren dazu eine verständliche Bedienungsanleitung. Seniorengerechte Technik muss zudem sicher und einfach zu bedienen sein. Sehr wichtig ist Senioren auch, dass die Geräte leicht zu reinigen sind. Jüngeren Senioren, die im Allgemeinen über umfangreichere Erfahrungen im Umgang mit moderner Technik verfügen, ist einfache Bedienung und eine verständliche Bedienunungsanleitung noch wichtiger als älteren Senioren. Sie erwarten auch stärker als ältere, dass seniorengerechte Technik dazu beitragen soll, eigene Defizite auszugleichen.
Frauen legen mehr Wert darauf als Männer, dass seniorengerechte Technik nicht diskriminierend ist. Sie achten auch stärker auf preiswerte Technik, Technik mit geringem Energieverbrauch und Geräte, die sich leicht reinigen lassen. Männern ist dagegen wichtiger, dass die Geräte modern und technisch auf dem neusten Stand sind. 2.7.4 Fazit Die bisher in der Forschung erbrachten Ergebnisse zur Technikeinstellung und -nutzung zeigen, dass, obwohl Senioren kritischer als junge Menschen sind und ihre Technikakzeptanz mit steigendem Alter abnimmt, sie technischem Fortschritt durchaus aufgeschlossen gegenüber stehen und auch bereit sind, im eigenen Haushalt in vielfältiger Weise Technik einzusetzen. Dazu müssen die technischen Geräte jedoch seniorengerecht sein, d. h. sie müssen leicht zu bedienen, sicher und einfach zu handhaben und leicht zu reinigen sein. Viele Probleme, die Ältere bei der Techniknutzung haben, sind auch jungen Menschen nicht
Das sei auch besser so, denn es werde Samira viele Albträume ersparen. „Und nun gute Nacht“, verabschiedete sie sich. Charlotte atmete tief ein, als sie vor dem Laden stand. Nein, es hatte nicht abgekühlt. Irgendwie sei es romantisch gewesen, als sie um den kleinen Fernseher gesessen seien, fand Isolde. Sie hakte sich bei Charlotte unter. Da müsse sie ihr ausnahmsweise zustimmen. Und gesehen habe man auf dem Bildschirm genug, mehr, als ihr lieb sei, fand Charlotte. Die Gruppe ging an der linken Häuserfront entlang. Herr Gulcem war enttäuscht gewesen, dass sie nur 16.000 Euro gewonnen hatte. Charlotte mutmaßte, dass er aufs falsche Pferd, oder richtiger, auf eine andere, höhere Geldsumme gesetzt hatte. Eigentlich konnte sie stolz darauf sein, dass er ihr mehr zugetraut hatte. Er bedauerte, dass er es während der Sendung nicht geschafft hatte, die Stromzufuhr wieder in Gang zu setzen und bemühte sich telefonisch, professionelle Hilfe aufzutreiben. Ein kostspieliges Unterfangen zu später Stunde. Er mache sich Gedanken um Gemüse und Obst und sie merkte ihm an, dass seine übertriebene Fürsorge seinen Frust über den verlorenen Wetteinsatz überdecken sollte. Sie überquerten die Straße. Oskar rollte über die kleine, betonierte Rampe, die parallel zu den drei Stufen hinauf zum Haus führte. Ricardo steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete. Charlotte, mit Emma und Isolde noch einige Meter von ihm entfernt, rief ihm zu, er solle nicht vergessen, die Alarm81
erhöht den Komfort
91,2
erleichtert den Alltag
88,9
erhöht die Sicherheit
87,6
spart Energie
73,0
spart Zeit
72,2
erhöht Selbstständigkeit
69,9
erhöht Informationsstand
69,6
erhöht Spaß am Wohnen
67,8
bringt Anregungen
66,7
hält jung
35,6 0
20
Abb. 2.18: Antizipierte Vorteile von Smart-Home
40
60
80
100 %
anlage abzuschalten. Ricardo stand bereits in der offenen Eingangstür und stutzte. Sie habe in der Aufregung beim Weggehen wohl vergessen, sie einzuschalten, meinte er. „Warum soll immer ich an allem Schuld sein? Vielleicht hat Gertrud vergessen, sie zu aktivieren.“ „Gertrud putzt einmal in der Woche, Sie ist gestern hier gewesen“, sagte Ricardo, warum hätte sie heute wieder kommen sollen? Charlotte ging rasch näher, lief über die drei Stufen zu Ricardo und sah ins erste Stockwerk. „Oben auf dem Gang brennt Licht. Das jedenfalls habe ich ausgeschaltet“, meinte sie überzeugt. Während Oskar sich in den Treppenlift setzte, stürmte sie hinauf, hielt kurz inne und lauschte. Durch die offenstehende Tür des Gemeinschaftsraumes waren Geräusche zu hören, Schritte, die den Raum durchquerten. Charlotte atmete erleichtert auf, als sie Max lachen hörte, aber es klang eigenartig, keine Fröhlichkeit war darin zu erkennen. Sie stutzte, wandte sich zum Treppenabsatz, deutete Isolde und Emma, die unten standen, leise zu sein, und Oskar, er solle den Treppenlift nicht betätigen. Misstrauisch schlich sie mit Ricardo den Gang entlang. „Guten Abend.“ Aus einem Impuls heraus versuchte Charlotte ihrer Stimme Strenge zu verleihen. Irgendetwas, das sie nicht beschreiben konnte, bereitete ihr Unbehagen. Max saß auf einem Sessel. An der Wand lehnte ein junger Mann, seine Hände in den Taschen der Jeans vergraben und nickte Charlotte und Ricardo zu. Max räusperte sich, blickte von Charlotte zu dem jungen Mann und dann wieder zu ihr zurück. Das sei sein Bekannter. Sie wisse schon, der, der 82
fremd (z. B. komplizierte Bedienungsanleitungen, kleine Tasten, unübersichtliche Displays etc.), Älteren fällt es jedoch schwerer, mit diesen Mängeln technischer Geräte umzugehen. 2.8 Akzeptanz von innovativen Netztechnologien Stefanie Becker, Uta Böhm, Anne Röhrig, Heidi Stuhler, Susanne Wurm 2.8.1 Akzeptanz von Smart-Home Die Vernetzung technischer Geräte im so genannten intelligenten Haushalt (Smart-Home3), neue Medien wie Internet, E-Mail und Bildkommunikation sowie intelligente Notrufsysteme können zur Erleichterung und Lösung vieler Alltagsprobleme Älterer beitragen. Ihre Nutzung kann Selbstständigkeit und selbstständiges Wohnen bis ins hohe Alter unterstützen, Komfort und Sicherheit erhöhen, soziale Kommunikation fördern und erhalten sowie Anregungen und Informationen bieten (Meyer,
Schulze & Müller 1997; Meyer & Röhrig 2002). Auch im Bereich Gesundheit und Pflege kann durch Technikeinsatz (z. B. Telecare, Telemedizin) mehr Komfort bei gleichzeitiger Kostenreduktion erreicht werden (Health Academy 2002; Böhm, Röhrig, Meyer 2003). Das sentha-Projekt liefert erste Ergebnisse zur Akzeptanz von Smart-Home-Technologien. Die Resonanz der Senioren war mehrheitlich positiv. Smart-Home wird als modern, interessant, innovativ und angenehm wahrgenommen. Die Mehrheit der befragten Senioren findet Smart-Home auch für den eigenen Haushalt attraktiv. Smart-Home wird stark in Verbindung gebracht mit Erhöhung von Komfort, Alltagserleichterung und Sicherheit. Weitere Vorteile werden darin gesehen, dass Smart-Home Energie- und Zeitersparnis ermöglicht, die Selbstständigkeit im Alter erhöht, den Informationsstand des Nutzers und den Spaß am Wohnen erhöht und Anregungen bringt.
3 Zu Smart-Home werden detaillierte und umfassende Informationen in Kapitel 3 dargestellt.
ihnen das Wohnmobil und die Computer geliehen habe. Der junge Mann grinste, hielt weiter seine Hände verborgen, als hätten sie einen Makel, den er nicht preisgeben wollte. „Ich habe Sie im Fernsehen bewundert“, sagte er von oben herab, „ich gratuliere Ihnen. Sie haben eine ordentliche Summe abgeräumt.“ Er stieß sich von der Wand ab und schlenderte zum Sofa, das vor dem Fenster stand. Was er wolle, fragte Charlotte. Isolde und Emma waren aufgetaucht, pressten sich links und rechts an den Türrahmen. Charlotte hörte den Treppenlift surren. Nun, er habe seine Schlüsse aus der Geschichte gezogen, eins und eins zusammengezählt. Charlotte ging auf den Tisch zu und setzte sich Max gegenüber. Der junge Mann ließ sich aufs Sofa fallen, hob seine Beine und legte sie auf die Armlehne. „Was erlauben Sie sich!“, fuhr Charlotte ihn an. Er grinste breit. „Ich will meinen Anteil vom Gewinn haben, 16.000 Euro“, meinte er. „Das ist die ganze Summe, die ich gewonnen habe, junger Mann!“ Charlotte beugte sich näher zu ihm. Sie denke gar nicht daran, ihm auch nur einen Cent zu geben. Seine Beine rutschten langsam über die Armlehne auf den Boden. Er setzte sich auf, die Hände weiter in den Taschen seiner Jeans vergraben. Nun gut, wenn dem so sei, werde er sich an RTL wenden und von diesem Schwindel berichten. „Bei dieser geilen Story wird für mich mit Sicherheit um einiges mehr herausspringen, als die 16.000.“ 83
teuer in der Anschaffung
95,3
anfällig für Störungen
75,0
zw.-menschl. Verarmung
54,4
führt zu Passivität
52,3
überwacht
46,7 41,1
ist kompliziert überflüssige Spielerei
34,4
entmündigt
31,2
macht Angst
12,2 0
20
40
Abb. 2.19: Befürchtungen und Vorbehalte gegenüber Smart Home
60
80
100 %
Aber sie solle an den Tumult, den Rummel denken, der um sie herum herrschen würde, Reporter, die ihr Haus belagern würden und an die vielen Schaulustigen. „Sie kennen das ja vom vergangenen Jahr. Max hat mir erzählt, dass Sie keineswegs darüber begeistert waren“. Und sie solle nicht vergessen, dass sie wegen Betruges mit dem Gesetz in Konflikt geraten sei. „Ich bin ein umgänglicher Mensch und will Ihnen und Ihren Freunden die Aufregungen ersparen“, sagte er selbstgefällig. „Genug“, schrie Oskar, der sich zwischen Isolde und Emma durch die Tür ins Zimmer zwängte. Er fuhr mit seinem Rollstuhl nahe an den jungen Mann heran. „Sie werden das Geld bekommen. Aber jetzt verschwinden Sie!“ Geschmeidig erhob sich der junge Mann aus dem Sofa und verneigte sich leicht vor Charlotte. „Ich will Cash. Binnen einer Woche“, sonst werde er seinen Worten Taten folgen lassen. „Nun mal langsam, junger Mann. Sie werden gar nichts bekommen“, erklärte Charlotte. Sie erhob sich, stellte sich ihm in den Weg. Sie habe sich seine Vorschläge durch den Kopf gehen lassen. „Grandios!“, rief sie aus. „Ich frage mich, warum ich nicht selbst auf diese Idee gekommen bin.“ Höchstpersönlich wolle sie die Geschichte an eine Zeitung verkaufen. Natürlich werde sie nicht vergessen, den jungen Mann zu loben, der sie bei ihrem Schwindel tatkräftig unterstützt habe. „Das sieht gar nicht gut für Sie aus.“ Sie schüttelte den Kopf. „Und jetzt geben Sie endlich Ihre Hände aus den Taschen. Oder haben Sie etwas zu verbergen?“ 84
Bei den Vorbehalten, die gegenüber SmartHome bestehen, rangiert die Befürchtung hoher Kosten an erster Stelle. Die Befürchtung hoher Kosten besteht jedoch unabhängig von der Altersgruppe bei allen Technologien, die neu auf den Markt kommen. Starke Befürchtungen bestehen weiterhin hinsichtlich der Störanfälligkeit der Technik und unerwünschter sozialer Folgen wie zwischenmenschlicher Verarmung und Passivität. Gerade von Älteren wird die Pflege von Sozialbeziehungen als äußerst wichtig empfunden und es ist ein zentrales Bestreben Älterer, aktiv und rege zu bleiben. Befürchtet wird, dass diese wichtigen Lebensbereiche und Ziele durch den Einsatz intelligenter Technik bedroht werden. Vergleicht man diese Daten mit Ergebnissen für jüngere Altersgruppen (BIS 2001, Vom Otto Normalverbraucher zur Smart-Family), so zeigt sich, dass die befürchtete Passivität durch smarte technische Lösungen bei Älteren in wesentlich höherem Umfang als bei Jüngeren besteht. Ansetzend an den antizipierten Vorteilen von Smart-Home und unter Berücksichtigung
der seniorenspezifischen Bedenken und Befürchtungen können in weiteren Schritten Anwendungen für die Zielgruppe weiterentwickelt werden. Grundsätzlich kann bezogen auf die Gruppe älterer Menschen davon ausgegangen werden, dass die komforterhöhenden und alltagserleichternden Aspekte von vernetzter Technik im häuslichen Alltag in Kombination mit sicherheitsrelevanten Möglichkeiten auf großes Interesse stoßen. Grundvoraussetzung für die Akzeptanz intelligenter Technik ist eine zuverlässige, störungsfreie Funktionsweise. Neben Automatiken bzw. neuen Bedienmöglichkeiten sollte die herkömmliche manuelle Bedienung zusätzlich weiterhin möglich sein, damit der Nutzer im Falle von Störungen oder fehlerhafter Bedienung eingreifen kann. Die Technik muss auch von Laien komfortabel und leicht bedienbar sein. Sie muss beherrschbar und kontrollierbar sein: Wesentlich dafür sind Rückmeldungen und Statusanzeigen, die den Nutzer informieren und gegebenenfalls warnen. Der Nutzer muss die Technik selbst nach eigenen Bedürf-
Der junge Mann wich verunsichert einen Schritt zurück, zog die Hände heraus. Man werde zwar nicht das Geld, dafür aber einen Gefängnisaufenthalt mit ihm teilen. „Für einen jungen Menschen ist es wohl besonders schwer, auf die Freiheit zu verzichten.“ Sie hingegen würde sich nichts daraus machen, einige Zeit in Gefangenschaft zu verbringen. Im Gegenteil, es habe sie schon immer interessiert, wie es im Gefängnis zugehe, eine Erfahrung, die ihr bis jetzt noch fehle. Sie brauche keine Verantwortung mehr zu übernehmen, könne auf Staatskosten ihren Lebensabend genießen. „Ich liebe die Fernsehserie, die hinter Gittern spielt“, platzte Isolde heraus. Ricardo raunte ihr zu, still zu sein. Der junge Mann rieb sich verdattert die Nase. Sie könne das doch unmöglich ernst meinen, stotterte er. „Oh, doch.“ Charlotte stemmte ihre Hände in die Hüften. „Vielleicht werde ich sogar verraten, dass der Betrug einzig und allein Ihre Idee gewesen ist.“ Er werde leugnen, sie zu kennen, sagte der junge Mann. Seine Stimme flackerte panisch. „Das wird Ihnen nicht viel bringen“, entgegnete Charlotte gelassen. „Meine Freunde werden das Gegenteil bezeugen.“ Alle stimmten ihr zu. „Außerdem haben wir“, Charlotte deutete auf die Videokameras, die im Gemeinschaftsraum hingen, „eine Aufzeichnung des Geschehens.“ Sie lächelte. Woher sollte der junge Mann wissen, dass die Videokameras, die Max und Ricardo vor 85
Fenster schließen
86,8
Alarme weiterleiten
85,5
Heizung regulieren
82,4
Pflanzenbewässerung
80,3
Haustür überwachen
69,3
Gedächtnistraining
63,8
Informationsportal
50,6
intelligente Kleidung
50,6
sprachgesteuerte Geräte
49,5
virtueller Museumsbesuch
49,5
Dienstleistungsportal
48,9
Fernsteuerungen
48,4
medizinische Daten übertragen
42,9
sprachgesteuerte Haustür
39,6
Videokonferenz mit dem Arzt
33,0
Kühlschrankvorräte kontrollieren
15,4
Vorratsschrank bestellt Lebensmittel
11,0
Benachrichtigung Reparaturdienst
8,8 0
20
40
60
Abb. 2.20: Nutzungsinteresse für intelligente Technik in unterschiedlichen Bereichen
80
100 %
ein paar Tagen angebracht hatten, noch nicht angeschlossen waren. Es hatte deswegen einen heftigen Disput zwischen ihnen gegeben. Emma hatte beanstandet, sie würde sich wie in George Orwells Roman -1984- fühlen. In ihren eigenen Wänden beobachtet zu werden, missfiel ihr. Es sei ein interessantes Experiment, argumentierte Charlotte. Man werde jeden Tag, zwischen 18 und 19 Uhr, auf Sendung gehen, im Internet. Eine Reality-Soap aus der Knesebeckstraße. Ja, Knesebeckstraße, das sei ein wunderbarer Titel, begeisterte sich Isolde. „Viel zu einfallslos“, sagte Charlotte. Gut, antwortete Isolde spitz, dann solle sie einen zugkräftigeren Titel finden. „Berlin, mon amour“, schlug Ricardo vor. Zu sehr Klischee, wimmelte Charlotte ab. „Die letzten Tage der Knesebecker“, setzte er nach. Das sei viel zu bedeutungsvoll, meinte Charlotte. „Wie gefällt euch Ein Herz für Oskar?“ „Nein!“, empörte sich Oskar. „Lasst mich und meine Pumpe aus dem Spiel.“ „Und wie wäre es mit Dinner for five?“ Charlotte blickte in die Runde. Ricardo und Isolde nickten zustimmend, die anderen enthielten sich einer Äußerung. Sendungen wie Wir machen ein Baby, würde man in den Schatten stellen, versuchte Charlotte, Emma zu überzeugen. „Ich werde bestimmt ein Star“, jubelte Isolde. Charlotte beschwichtigte. Das sei schon möglich, aber 86
nissen konfigurieren können. Mit diesen Anforderungen unterscheiden sich Ältere nicht von anderen Zielgruppen. Senioren wünschen sich Erleichterungen und Unterstützung durch Technik. Gleichzeitig besteht aber gerade bei Älteren der Anspruch, selbst aktiv zu bleiben, Gedächtnis und Körper zu trainieren, um möglichst lange gesund und selbstständig leben zu können. Intelligente Technik soll daher unterstützen, beschwerliche oder unangenehme Tätigkeiten erleichtern, Komfort und Sicherheit erhöhen, aber dem älteren Nutzer nicht alles abnehmen. Senioren wollen nicht, dass alles automatisch abläuft oder sie alles ›vom Sessel aus‹ bedienen können. Intelligente Technik sollte dem älteren Nutzer auch Anregungen bieten und ihn in seinen Aktivitäten unterstützen. Das große Nutzungsinteresse beispielsweise an einem unterhaltsamen Gedächnistraining, das sich spezifisch an Bedürfnisse des einzelnen Nutzers anpassen lässt oder der Wunsch, virtuelle Museumsrundgänge zu 4
Vgl. sentha-Evaluation II, BIS/DZFA, Februar 2003.
unternehmen, verweisen auf Bereiche, deren Weiterentwicklung für Ältere besonders interessant sind. 2.8.2 Nutzungsbereitschaft von Smart-Home/ Smart-Services Auch die Bereitschaft älterer Menschen, Smart-Home-Technologien tatsächlich im Lebensalltag einzusetzen, ist hoch, wie die nachfolgende Abbildung verdeutlicht.4 Am stärksten ist das Interesse an Anwendungen, die Komfort und Alltagserleichterung bieten sowie die Sicherheit erhöhen. Hier sehen Ältere einen Zugewinn für den eigenen Haushalt und die selbstständige Lebensführung. Hervorzuheben ist, dass virtuelle kulturelle Services, netzbasierte interaktive Möglichkeiten des Gedächtnistrainings sowie allgemeine Informationsportale von Älteren sehr positiv bewertet werden. Das geäußerte Nutzungsinteresse an anregenden und aktivierenden Anwendungen korrespondiert mit der Einschätzung dieser Alltagsgruppe, dass Technik nicht
in erster Linie denke sie an das Geld, das damit zu verdienen sei, denn jeder Zuseher müsse für einen Besuch auf der Homepage bezahlen. Max habe das nötige technische Know-how, um alles fachgerecht zu installieren. Während sich Emma weiter über Big Brother is watching you mokierte, blieb auch Oskar skeptisch. Er äußerte sein Unbehagen. Schließlich beugten sich die beiden, widerwillig, der Mehrheit. Der junge Mann steckte seine Hände wieder in die Taschen der Jeans, blickte von den Videokameras zu Charlotte. „Ich will, genauso wenig wie Sie, hartherzig sein und werde Ihnen etwas geben. Wenn Sie Glück haben, können Sie eine Menge daraus machen.“ Charlotte kramte in ihrer Tasche und zog fünf Jetons hervor. Er solle sie nehmen und schleunigst verschwinden, sich nie mehr hier blicken lassen. „Tschüss. Alles wird gut.“ Sie hob ihren Zeigefinger zur Stirn und schwenkte ihn in die Richtung des jungen Mannes, der nach den Jetons griff. Er durchquerte das Zimmer und schob sich zwischen Isolde und Emma, die wie versteinerte Wächter die Tür säumten, auf den Gang hinaus. Ricardo ging auf das Sofa zu, setzte sich. Es täte ihm leid, er könne nichts dafür, stammelte Max. Die Eingangstür fiel krachend ins Schloss, der Lärm sprengte Isoldes und Emmas Regungslosigkeit. „Seinen Worten Taten folgen lassen“, äffte Isolde den jungen Mann nach und taumelte zu einem Sessel. 87
passiv mache, sondern der Anregung dienen solle. Die Daten zeigen auch eine erstaunlich hohe Akzeptanz von Anwendungen aus dem Gesundheitsbereich, die geeignet sind, die persönliche Sicherheit durch Überwachung von gesundheitsbezogenen Daten zu gewährleisten. In der Befragung wurde deutlich, dass gerade im Gesundheitsbereich den persönlichen Kontakten mit Ärzten oder Pflegenden eine hohe Bedeutung zukommt. Falls jedoch gravierende Einschränkungen vorliegen, die z. B. zu einer starken Mobilitätseinbuße führen, kommen hier auch technische Lösungen in Betracht. Es findet also eine gezielte Abwägung zwischen Aufgabe der selbstständigen Lebensführung und ablehnender Haltung gegenüber bestimmten Technologien und Einsatzfeldern statt, die von einem Drittel bis zur Hälfte der Befragten zugunsten der eigenen Selbstständigkeit durch Technikeinsatz entschieden wird. Wie oben beschrieben, ist Gesundheitsvorsorge und -förderung ein wichtiger Bereich und die damit verbundenen Aktivitäten werden
von Älteren im Großen und Ganzen gern ausgeführt. Auch internetbasierte Informationen rund um die Themen Krankheit/Gesundheit wären aus Sicht älterer Nutzer ein interessantes Angebot, z. B. in Form eines Gesundheitsportals. Für ältere Nutzer sind bei einem solchen Angebot vor allem Informationen zu Reise und Gesundheit, zum Ausgleich altersbedingter Beschwerden und zur Gesundheitsvorsorge von Interesse. Die netzbasierte Arztsuche oder Informationen über Medikamente und Behandlungsmethoden sind weitere Bereiche, die ein Gesundheitsportal für ältere Menschen attraktiv machen würden (Böhm, Röhrig, Meyer 2003). 2.8.3 Fazit Aus Sicht älterer Techniknutzer bieten innovative Netztechnologien Vorteile und einen konkreten Nutzen für das eigene Leben. Entsprechend positiv ist ihre grundsätzliche Haltung gegenüber Smart-Home. Auch wenn unterschiedlichste Vorbehalte formuliert werden: Intelligente Technik hat auch für ältere Nutzer
Niemand mache ihm Vorwürfe, wandte sich Charlotte an Max. Es habe so kommen müssen, jammerte Emma. Das sei nun die Strafe dafür, dass man bei der Quizshow gemogelt habe. „Es wird Hunde und Feuerdrachen vom Himmel regnen“, prophezeite sie. „Was soll dieser dumme Spruch? Außerdem ist doch alles glimpflich abgelaufen“, beruhigte Charlotte. „Wetten, dass sich dieser miese kleine Erpresser nie wieder bei uns blicken lässt? Zehn Euro. Wer hält dagegen?“ Emma griff zu ihrem Portemonnaie. Ein strafender Blick Ricardos, sie schob es wieder in die Tasche. „Liebe Charlotte, es reicht, dass du unsere Wettkönigin bist. Du weißt, niemand von uns will mit dir konkurrieren.“ Es sei einen Versuch wert gewesen, grinste Charlotte, dann wurde sie ernst. Vorrangig sei im Moment Oskars Genesung. Und man werde einen Weg finden, seinen Aufenthalt im Privat-Sanatorium zu finanzieren. Isolde nickte zustimmend, Emma tat es ihr gleich. Auch Max wollte behilflich sein. Es sei weit nach Mitternacht, sagte Oskar, er wolle zu Bett gehen. Seine Wangen hatten sich rot verfärbt, ihm schien diese Unterhaltung peinlich zu sein. Morgen könne man gemeinsam beratschlagen, wie es weitergehen solle, schlug Ricardo vor. „Und wenn ich nun gar nicht in dieses Privat-Sanatorium will?“ Oskar rollte an ihnen vorbei aus dem Zimmer. Charlotte blickte ihm nach, zögerte, wollte ihm folgen. „Warte“, hielt Ricardo sie auf. Aus dem Sakko zog er seinen Palm. In ihm hatte er alle Zahlungen vermerkt, die zu tätigen waren. 88
viele Reize; insbesondere, wenn technische Anwendungen Komforterhöhung und Alltagserleichterungen und eine Verbesserung der Sicherheit von Wohnung und eigener Person ermöglichen, stehen Ältere ihnen positiv gegenüber. Wichtig ist jedoch, dass die Technik dem älteren Nutzer nicht alles abnimmt und ihn passiv macht. Für Ältere stellen Alltags- und Routinetätigkeiten immer auch eine Möglichkeit dar, physische und kognitive Fähigkeiten zu trainieren und zu erhalten. Entsprechend verlangen Ältere von Technik, dass sie dem Nutzer Anregung zur Aktivität liefert und ihn im Sinne eines active ageing unterstützt. 2.9 Zusammenfassung: Anforderungen an seniorengerechte Technik Ältere gelten allgemein als besonders kritisch und technischen Innovationen gegenüber weniger aufgeschlossen. Entgegen diesem verbreiteten Vorurteil lassen die Ergebnisse der sentha-Forschungsarbeit erkennen: Senioren sind generell an moderner Technik interessiert und haben eine hohe Technikakzeptanz. Ihr
Interesse, innovative Technik anzuschaffen, zu nutzen und sich neue Technologien anzueignen, ist stark auf den konkreten Nutzen, den sie daraus ziehen können, ausgerichtet. Attraktiv erscheint Technik insbesondere, wenn sie dazu dient, die persönliche Sicherheit und die Sicherheit der Wohnung/des Hauses zu erhöhen, Alltagserleichterung und Komfort zu ermöglichen. Wie gezeigt wurde, sind Senioren keine homogene Gruppe. Daher muss auch die Technikakzeptanz Älterer differenziert betrachtet werden: Mit steigendem Alter nimmt das Interesse an Technik, die Techniknutzung und der Umfang der technischen Ausstattung ab. Unter den Senioren interessieren sich Männer stärker für Technik als Frauen. In der langjährigen Forschungsarbeit zeigte sich durch den bundesweiten sentha-Survey, qualitative Interviews, Gruppendiskussionen, Produkttests und Versuche, welche Vorstellungen und Wünsche Ältere hinsichtlich der Gestaltung, Nutzung und Bedienung technischer Geräte haben. Viele der Anforderungen, die
„Wieso sind die letzten Strom- und Gasrechnungen nicht beglichen?“ Er warf Charlotte einen tadelnden Blick zu. Sie zuckte mit den Schultern und ging zur Tür. „Du hast das Geld wieder ins Casino getragen“, murmelte er. „Nein. Ich habe Aktien gekauft.“ „Mach es nicht so spannend“, meinte er ungeduldig, „wieviel ist von den 16.000 für das Sanatorium übrig?“ „Etwa die Hälfte.“ Sie werde sich etwas einfallen lassen. Charlotte runzelte die Stirn. „Ist das dein Ernst? Willst du die Geschichte tatsächlich an eine Zeitung verkaufen?“, wollte Emma wissen. „Mal sehen.“ Charlotte verließ den Gemeinschaftsraum. Die Kugel rollte im Zylinder, Charlotte verfolgte sie gebannt. Sie hatte drei Jetons auf das mittlere Dutzend gesetzt. Die Kugel fiel auf die Zwölf. Aufgebracht schlug sie mit ihrer Hand auf die Umrandung des Tableaus. Der Croupier warf ihr einen strafenden Blick zu. Die Jetons schmelzen dahin, als wären sie aus Schokolade, stellte sie fest. Sie wollte es mit dem ZeroSpiel probieren und reichte dem Croupier vier Jetons. „Rien ne va plus“, hörte sie ihn kurz darauf. Charlotte fächerte sich mit den letzten zwei Jetons Luft zu. 89
ältere Nutzer an Technik stellen, entsprechen auch den Wünschen junger Techniknutzer, manche Anforderungen sind seniorenspezifisch. Um seniorengerecht zu sein, müssen technische Geräte aus Sicht der Älteren vor allem leicht und sicher zu bedienen sein. In erster Linie gehört für Senioren dazu eine verständliche Bedienungsanleitung. Generell kann davon ausgegangen werden, dass technische Produkte, die hinsichtlich des Bedienkomforts nach den Anforderungen Älterer gestaltet sind, auch für junge Zielgruppen attraktiv sind. Sehr wichtig ist Senioren auch, dass technische Geräte leicht zu reinigen sind. Seniorengerechte Technik soll dazu beitragen, eigene Defizite auszugleichen, ohne Abstriche im Design zu machen (keine Sanitätshausprodukte). Gewünscht wird Technik mit geringem Energieverbrauch und Geräte, die leicht reparierbar sind. Seniorengerechte Technik soll modern und technisch auf dem neusten Stand sein. Eine Forderung, die in Befragungen immer wieder geäußert wurde: Technik sollte dem
älteren Nutzer auch Anregungen bieten und ihn in seinen Aktivitäten unterstützen. Insbesondere hinsichtlich der fortschreitenden Entwicklung von automatisch ablaufenden Programmen oder Szenarien (Smart-Home) machen Senioren deutlich, dass Technik sie in ihrem Alltag unterstützen, sie aber nicht »passiv« machen und entmündigen soll. Wie gezeigt werden konnte, ist es älteren Menschen sehr wichtig, die selbstständige Lebensführung bis ins hohe Alter zu erhalten und auch im Alter in der eigenen Wohnung oder dem eigenen Haus wohnen zu bleiben. Um diesen Wunsch realisieren zu können spielt neben Barrierefreiheit und räumlicher Gestaltung der Wohnung, der Infrastruktur der Wohnumgebung zunehmend auch der Einsatz von Technik eine Rolle. Aus Sicht älterer Techniknutzer kann innovative Netztechnologie die selbstständige Lebensführung unterstützen – neben Alltagserleichterung und Komfort ist es hier vor allem der Aspekt der Sicherheit, auch im Sinne von Gesundheitsmonitoring. Mit dem Alter nehmen Krankheiten zu, chronische Krank-
Die Vierundzwanzig erschien auf der Anzeigetafel. Wieder nichts! Es wäre das Vernünftigste, nun zu gehen, redete sie sich zu. Alles oder nichts. Ihre Finger schoben die Jetons auf die Achtzehn. Ein „Klack“, als der Croupier die Kugel in den Kessel fallen ließ. Sie senkte ihre Augen, die Spannung in ihr stieg. „Achtzehn!“, rief ihre Sitznachbarin. Charlotte sprang auf, jubelte. In ihre Freudenrufe ein Aufschrei des Croupiers, der gerade eine Markierung aus Metall auf die Achtzehn stellte. Sie sah zum Zylinder, der, wie von einem unsichtbaren Schwert durchtrennt, in der Mitte auseinander barst und die Kugel verschlang. Als ginge man durch eine Schlucht, dessen enges Tal sich mit jedem Schritt verbreitert, öffnete der Zylinder sein Maul, das alles zu verschlingen drohte. Charlotte wich zurück, stieß mit der Sitznachbarin zusammen. Deren Gesicht hatte die Farbe des grünen Filzes angenommen, wie Warzen stachen Zahlen daraus hervor. Die „Kleine Serie“ hatte sich vom Tisch gelöst und umkreiste Charlottes Haupt. Die „Große Serie“ saugte sich wie Blutegel an ihren Waden fest. Sie begann zu keuchen und schlug die Augen auf. Es war bereits Morgen. Zeit, aufzustehen. „Rien ne va plus“, hallte es in ihren Ohren nach. „Nein! Ich werde in den nächsten Tagen das Casino nicht betreten“, schwor sie und kleidete sich an. Am Nachmittag kam es zu einer Krisensitzung, wie Ricardo ihre gemeinsamen Überlegungen zur Geldbeschaffung für das Privat-Sanatorium bezeichnete. 90
heiten treten häufiger auf, gefährliche Situationen (z. B. Stürze) können im Alter gravierendere Folgen haben. Um gegen diese Risiken so weit als möglich geschützt zu sein und gleichzeitig die selbstständige Lebensführung zu erhalten, wäre Technik eine willkommene Unterstützung. Wesentliches Merkmal technischer Geräte im Gesundheitsbereich wie z. B. mobile Patientenkontrolle für Chroniker, Sturzmelder oder die elektronische Übertragung von Gesundheitsdaten muss für die Zielgruppe älterer Menschen die einfache und sichere sowie eindeutige Bedienbarkeit sein. Eindeutigkeit in der Bedienung umfasst beispielsweise, dass keine komplizierte Menüführung oder Doppelbelegung von Tasten die Handhabung verkompliziert. Gerade in kritischen Situationen ist einfachste Bedienung eine zentrale Notwendigkeit. Dies trifft beispielsweise auch für Mobiltelefone zu: Viele Ältere nutzen diese Technik bereits; wesentliche Motivation für die Anschaffung eines Handys ist die Möglichkeit, Hilfe zu alarmieren, wenn man unterwegs ist. Die zunehmende Miniaturisierung und Kom-
plexität von Mobiltelefonen steht den Nutzungsinteressen älterer Menschen entgegen und grenzt sie tendenziell von Techniknutzung aus. Die Erhebungen im sentha-Forschungsprojekt haben auch auf Bereiche verwiesen, für die Ältere noch mehr technische Unterstützung wünschen. Dies betrifft körperlich schwere Hausarbeit wie Böden reinigen oder Fenster putzen, aber auch routinemäßige Hausarbeit wie Putzen generell, Mahlzeiten zubereiten, Bügeln, Wäschewaschen und ähnliches. In diesem Anwendungsfeld ist die Entwicklung von Technik bislang wenig ausgeprägt, käme aber vielen zugute. Technik zum Schutz vor Gefahren wie z. B. Brand, Einbruch, Wasserschaden wird genauso gewünscht wie die Komforterhöhung, z. B. Rollläden/Jalousien steuern, Wohnung lüften, Rasenpflege, Pkw im Winter vorheizen. Technik, die das Erinnerungsvermögen unterstützt und an wichtige Termine, die Einnahme von Medikamenten und ähnliches mehr erinnert, könnte aus Sicht Älterer eine weitere Unterstützung in der täglichen Lebensführung
Oskar hatte sich geweigert, dabei anwesend zu sein. Er lege keinen Wert darauf, ins Sanatorium gesteckt zu werden, denn er wolle nicht wochenlang in einer fremden Umgebung leben, hatte er verkündet, wolle nicht von ihnen getrennt sein. Er vertraue einzig und allein seinem behandelnden Arzt, Doktor Rubinstein. Sein Glaube daran, dass er ihm zu einem Spenderherz verhelfen werde, sei groß. „Wir dürfen Oskar nicht ernst nehmen. Wir werden ihn mit Hilfe seines Arztes zu diesem Sanatoriumsaufenthalt überreden.“ Die anderen pflichteten Charlotte bei. Sie beschlossen, Wertgegenstände im Internet zur Versteigerung anzubieten. Isolde wurde mit dieser Aufgabe betraut. Charlotte war skeptisch, ob man dabei genug Geld auftreiben könne. Charlotte nahm 8.000 Euro aus dem Wandsafe, ging zum Schreibtisch und setzte sich. Einen Schein nach dem anderen blätterte sie vor sich auf den Tisch. Sie bündelte das Geld und steckte es in ihre Tasche. Es wurde dunkel, sie schaltete die Lampe ein. Die Neun-Uhr-Abendnachrichten liefen im Radio, sie hörte nur unkonzentriert zu. Das gesamte Geld mitnehmen? Sie zog einen Packen Geld aus der Tasche und legte ihn auf den Schreibtisch. Vom Gang her Isoldes Stimme, die eine gute Nacht wünschte. Gleich darauf krachte ihre Zimmertür ins Schloss. Charlotte schaltete das Radio aus. Sie zögerte. „Alles oder nichts“, murmelte sie, griff entschlossen nach dem restlichen Geld und verstaute es wieder in ihrer Tasche. 91
bringen. Noch wichtiger erscheint Älteren allerdings die Entwicklung von Anwendungen, die sie dabei unterstützt, das Gedächtnis zu trainieren und damit eine Beitrag zum aktiven – im Gegensatz zum passiven – Altern leistet. Gerade dieser Aspekt eines active ageing sollte bei der Entwicklung von innovativer Technik stärker als bislang berücksichtigt werden.
„Du musst mir gar keine Vorwürfe machen“, sagte sie zur Thermoskanne gewandt und fügte hinzu, dass das neue, standesgemäße Zuhause für ihn unterwegs sein müsse, sie habe es im Internet bestellt. „Bis später“, sagte sie und warf ihm eine Kusshand zu. Vorsichtig öffnete Charlotte einen Flügel der Tür. Die Deckenbeleuchtung brannte. Niemand war auf dem Gang zu sehen. Sie verließ ihr Zimmer und schlich zur Treppe. „Gute Nacht, Charlotte“, schnorrte die wohlklingende Männerstimme aus der Tasche, in der die Pillendose steckte. Ausgerechnet jetzt. Charlotte blieb stehen und lauschte. Es blieb ruhig im Haus. Der Treppenlift befand sich im ersten Stock, ein Zeichen dafür, dass Oskar bereits in seinem Zimmer war. Bei der momentan herrschenden Hitze hatte er sich angewöhnt, im einigermaßen kühlen ebenerdigen Vorraum einen Roman zu lesen, bevor er zum Schlafen wieder nach oben fuhr. Charlotte ging nach unten, schaltete die Alarmanlage aus und sperrte die Eingangstür auf. Ein Quietschen aus dem ersten Stockwerk. Oskars Rollstuhl? Rasch zog sie die Türe hinter sich zu und lief über den beleuchteten Gehweg entlang zur U-Bahn. Sie verfluchte ihre Schuhe, ein Geburtstagsgeschenk von Max. Hochmodern, hatte dieser erklärt, der Hit vom Ku`damm. Mit den Absätzen, dünn wie Soletti, rutschte sie immer wieder in die Spalten des unebenen Kopfsteinpflasters, mit dem der Gehweg ausgelegt war.
92
Sensoren Interface
Bussystem
Steuereinheit
Interface
Fernbedienung
Aktoren TV
TV-Kabelnetz
Abb. 3.1: Smart-Home-Struktur
multimediales TV-Gerät
Sie ging die Stufen zur U-Bahn hinunter. Auf einer Bank neben einem Ticket-Entwerter entdeckte sie eine bekannte Gestalt. „Na, Professor, wie laufen Ihre Geschäfte?“ Schlecht, beklagte er sich. Die Menschen hätten kein Herz für Unterstandslose und verschlössen den Geldbeutel vor ihnen. Obwohl sie es eilig habe, werde sie ihn auf ein gepflegtes Abendessen einladen, beschloss Charlotte. „Currywurst mit Mayo?“ Der Professor nickte begeistert. Aber die Wurst ohne Bier und Korn? Das sei gerade so, als wenn man durch einen Wald ohne Bäume spazieren würde. Treuherzig sah er sie an. „Lieber Professor, im Moment bin ich schwach bei Kasse. Für mehr reicht es nicht.“ Er grinste und griff nach einer Plastiktüte, die versteckt unter der Bank stand. „Wenn das so ist, Gnädigste, werde ich Sie auf einen Umtrunk aus meinen bescheidenen Reserven einladen.“ Er zog eine Flasche Korn heraus. Sie habe ihn gesucht, wollte ihn einladen, gemeinsam mit ihren Mitbewohnern die Quizshow bei den Gulcems anzusehen. Es täte ihm leid, dass er ihr nicht habe helfen können, Millionärin zu werden, er habe gestern die Sendung, tonlos, durch die Scheibe eines in einem Elektroladen stehenden Fernsehers mitverfolgt. Er drückte ihr einen Kunststoffbecher in die Hand, nickte ihr zu. Erneut habe er sich geärgert, dass er die richtige Antwort nicht gewusst habe. 93
3. Digitale Vernetzung – Smart-Home Klaus Fellbaum, Maik Hampicke 3.1 Zum Begriff des Smart-Homes Smart-Home steht für die Integration von Technologien und Diensten in der häuslichen Umgebung mit dem Ziel, die Sicherheit, die Kommunikation, den Komfort und die Energieeinsparung zu verbessern (van Berlo & Ekberg 1998). Der gesamte Smart-Home-Bereich ist jedoch wesentlich komplexer; die technischen Aspekte umfassen dabei lediglich einen kleinen Teil. Es zeigt sich – wie auch bei anderen sentha-Teilbereichen – dass der Benutzer im Mittelpunkt stehen muss und sich die Technik seinen Wünschen und Anforderungen unterzuordnen hat. Andererseits bietet der technische Fortschritt eine Fülle von Innovationen, die einem Benutzer erst einmal vor Augen geführt werden müssen, damit deutlich wird, was heute – vor allem dank der Fortschritte in der Mikroelektronik und der Kommunikationstechnik – möglich ist. Mit dieser Thematik beschäftigen sich die nachfolgenden Abschnitte.
Die wichtigste Voraussetzung für die Realisierung eines Smart-Home-Systems ist die Vernetzung des Wohnbereichs. Grundidee ist dabei eine Verbindung aller aktiven (Aktoren) und passiven (Sensoren) Komponenten über ein so genanntes Bussystem (Allen & Dillon 1997) mit dem Ziel, Informationen auszutauschen (Abb. 3.1). Die Vernetzung erfolgt dabei entweder drahtgebunden über Kupferkabel oder über das Stromnetz (Power Line) oder auch drahtlos (per Infrarot- oder Funk-Übertragung). Auch eine Mischung dieser Übertragungsmedien ist im Smart-Home-Bereich mit entsprechenden Schnittstellen möglich und üblich. Durch die Vernetzung können zentrale oder dezentrale Steuerungs-, Überwachungs- und Regelungsaufgaben verschiedenster Art gelöst werden. Die Beispiele reichen hier von einfachen, zeitlich automatisierten Schaltvorgängen (z. B. Licht ein- und ausschalten) über die Steuerung bzw. Regelung der Heizung und von Haushaltsgeräten bis hin zur Bildübertragung, z. B. für die Haustürüberwachung (Abb. 3.2).
Sie ging die Stufen zur U-Bahn hinunter. Auf einer Bank neben einem Ticket-Entwerter entdeckte sie eine bekannte Gestalt. „Na, Professor, wie laufen Ihre Geschäfte?“ Schlecht, beklagte er sich. Die Menschen hätten kein Herz für Unterstandslose und verschlössen den Geldbeutel vor ihnen. Obwohl sie es eilig habe, werde sie ihn auf ein gepflegtes Abendessen einladen, beschloss Charlotte. „Currywurst mit Mayo?“ Der Professor nickte begeistert. Aber die Wurst ohne Bier und Korn? Das sei gerade so, als wenn man durch einen Wald ohne Bäume spazieren würde. Treuherzig sah er sie an. „Lieber Professor, im Moment bin ich schwach bei Kasse. Für mehr reicht es nicht.“ Er grinste und griff nach einer Plastiktüte, die versteckt unter der Bank stand. „Wenn das so ist, Gnädigste, werde ich Sie auf einen Umtrunk aus meinen bescheidenen Reserven einladen.“ Er zog eine Flasche Korn heraus. Sie habe ihn gesucht, wollte ihn einladen, gemeinsam mit ihren Mitbewohnern die Quizshow bei den Gulcems anzusehen. Es täte ihm leid, dass er ihr nicht habe helfen können, Millionärin zu werden, er habe gestern die Sendung, tonlos, durch die Scheibe eines in einem Elektroladen stehenden Fernsehers mitverfolgt. Er drückte ihr einen Kunststoffbecher in die Hand, nickte ihr zu. Erneut habe er sich geärgert, dass er die richtige Antwort nicht gewusst habe. 93
3. Digitale Vernetzung – Smart-Home Klaus Fellbaum, Maik Hampicke 3.1 Zum Begriff des Smart-Homes Smart-Home steht für die Integration von Technologien und Diensten in der häuslichen Umgebung mit dem Ziel, die Sicherheit, die Kommunikation, den Komfort und die Energieeinsparung zu verbessern (van Berlo & Ekberg 1998). Der gesamte Smart-Home-Bereich ist jedoch wesentlich komplexer; die technischen Aspekte umfassen dabei lediglich einen kleinen Teil. Es zeigt sich – wie auch bei anderen sentha-Teilbereichen – dass der Benutzer im Mittelpunkt stehen muss und sich die Technik seinen Wünschen und Anforderungen unterzuordnen hat. Andererseits bietet der technische Fortschritt eine Fülle von Innovationen, die einem Benutzer erst einmal vor Augen geführt werden müssen, damit deutlich wird, was heute – vor allem dank der Fortschritte in der Mikroelektronik und der Kommunikationstechnik – möglich ist. Mit dieser Thematik beschäftigen sich die nachfolgenden Abschnitte.
Die wichtigste Voraussetzung für die Realisierung eines Smart-Home-Systems ist die Vernetzung des Wohnbereichs. Grundidee ist dabei eine Verbindung aller aktiven (Aktoren) und passiven (Sensoren) Komponenten über ein so genanntes Bussystem (Allen & Dillon 1997) mit dem Ziel, Informationen auszutauschen (Abb. 3.1). Die Vernetzung erfolgt dabei entweder drahtgebunden über Kupferkabel oder über das Stromnetz (Power Line) oder auch drahtlos (per Infrarot- oder Funk-Übertragung). Auch eine Mischung dieser Übertragungsmedien ist im Smart-Home-Bereich mit entsprechenden Schnittstellen möglich und üblich. Durch die Vernetzung können zentrale oder dezentrale Steuerungs-, Überwachungs- und Regelungsaufgaben verschiedenster Art gelöst werden. Die Beispiele reichen hier von einfachen, zeitlich automatisierten Schaltvorgängen (z. B. Licht ein- und ausschalten) über die Steuerung bzw. Regelung der Heizung und von Haushaltsgeräten bis hin zur Bildübertragung, z. B. für die Haustürüberwachung (Abb. 3.2).
„Es hätte nichts geändert“, sagte Charlotte und bedankte sich bei ihm für seine Unterstützung. Er habe ihr zu danken, meinte der Professor. Der Fernsehsender habe ihm, als Telefonjoker, eine wunderbare Nacht in einem Hotel ermöglicht, denn seinen Vorschlag, bei einer öffentlichen Telefonzelle auf den möglichen Anruf zu warten, habe man abgelehnt. Auch die Konsumation aus der MiniBar habe man beglichen. Charlotte sah ihn kritisch an. Ein warmes Bad, geregelte Mahlzeiten, im Winter einen warmen Platz zum Schlafen. „Sie wissen, dass Sie jederzeit in der My Fair Lady willkommen sind“, sagte Charlotte. Warum er dieses Angebot nicht annehmen wolle? Er sei doch kein ängstlicher Mensch. Der Professor lachte. Wenn er es wäre, könnte er kaum in diesem Großstadtdschungel ein Auge zu tun. Er wolle versuchen, ihr seinen Beweggrund nahezubringen. Er würde sich, untergebracht in vier Wänden, wie ein Tier im Zoo fühlen, das einmal in freier Wildbahn gelebt hat und den Gedanken daran nicht vergessen kann. So wunderbar er die eine Nacht im Hotel empfunden hatte, so herrlich war es ihm erschienen, als er es wieder verlassen konnte, um in seine eigene Welt zurückzukehren. Dass sich das absurd anhöre, könne er nicht ändern. Er wolle jedoch nicht verabsäumen, ihr für ihren wohl gemeinten Vorschlag, den er ablehnen müsse, zu danken. Charlotte stellte den leeren Becher auf den Ticket-Entwerter, deutete dem Professor, ihr zu folgen. Sie besäße keinen Cent mehr, log sie und stützte sich auf die Umrandung von Rocky`s Würstchenbude, um nicht umzukippen. 94
externes Netz
Wohnraumvernetzung
Service - Notruf - Alarm - Fehlfunktionen Umweltfunktionen Haushaltsgeräte externe Kommunikation - Internet - Online Service - Videotelefon
Überwachung Sicherheit TV + Smart-Home Steuereinheit
Gateway
Kommunikation mit anderen Smart-HomeEinheiten
Abb. 3.2: Beispiel einer Smart-Home-Vernetzung
Notruf
„Ich dachte, Sie sind wohlhabend, Frau Charlotte.“ Immerhin habe sie in der Quizshow 16.000 Euro gewonnen und ihr gehöre das Haus in der Knesebeckstraße. Der Professor nahm einen Schluck Korn aus der Flasche. Das Haus verkaufen? Diese Möglichkeit hatte sie bis jetzt nicht in Betracht gezogen. Und sie konnte sich nicht vorstellen, wer das Haus, nach jenem schrecklichen Ereignis, haben wollte. „Aber Frau Charlotte! So deftig werden Ihre finanziellen Sorgen schon nicht sein.“ Sie tunkte ihren rechten Zeigefinger in die Mayo und schrieb damit eine Kolonne Ziffern auf die Umrandung der Würstchenbude. Der Professor pfiff durch seine nicht ganz makellosen Zähne. Da müsse man schon ordentlich beim Pokern gewinnen. Genau das habe sie vor, meinte sie energisch und winkte einem Taxi, das an den Straßenrand fuhr und hielt. Wie sie denn ohne Geld ... Er solle sich keine Gedanken darüber machen, sie werde das schon schaffen. Sie öffnete die hintere Tür und ließ sich auf den Sitz fallen, gab eine Adresse in Pankow an und das Taxi setzte sich in Bewegung. „Hat Ihr Wagen denn keine Aircondition?“, beschwerte sich Charlotte beim Taxifahrer. Die sei leider im Moment ausgefallen, erklärte der Mann und kurbelte nun auch das Fenster, während er vor einer Ampel stand, auf der Beifahrerseite herab. Er fuhr wieder an. Lichter zogen an Charlotte vorbei, der Fahrtwind zerrte an ihren Haaren. Sie schloss die Augen. Mit einem Ruck kam der Wagen zu stehen, Charlotte blinzelte durch die Wimpern. Sie gähnte. „Wieviel zahle ich?“ 95
Ein weiterer, sehr wichtiger Anwendungsbereich, der auf der Vernetzung basiert, ist die Audio- und Videokommunikation. Wie im Folgenden noch gezeigt wird, bieten die bereits jetzt bzw. in naher Zukunft verfügbaren Breitband-Kommunikationssysteme ein großes Innovationspotenzial; an dieser Stelle sei nur auf das interaktive Fernsehen und die Videotelefonie hingewiesen. Generell gilt, dass Steuerungs-, Überwachungs- und Regelungssysteme einen deutlich geringeren Bandbreiten- bzw. Bitratenbedarf haben als Kommunikationssysteme. Das bedeutet, dass man entweder zwei getrennte Bussysteme vorsieht – das ist bis heute meist der Fall – oder dass man die sehr unterschiedlichen Datenströme mit einem einzigen, entsprechend leistungsfähigen, Bussystem überträgt. 3.2 Bussysteme für den Wohnbereich Für die Vernetzung von Komponenten sind von der Industrie verschiedene Bussysteme entwickelt worden, die auch im Smart-Home-
Bereich – meist in modifizierter Form – Anwendung finden. Bei der Entwicklung wurde bereits berücksichtigt, dass die Systeme unterschiedliche Übertragungsmedien (insbesondere drahtgebundene sowie drahtlose) unterstützen, um sich an spezielle örtliche Gegebenheiten anpassen zu können. 3.3 Vor- und Nachteile verschiedener Übertragungsmedien Die Wahl eines geeigneten Übertragungsmediums hat vor allem bei einer nachträglichen Vernetzung eine große Bedeutung. Eine Integration von leistungsfähigen drahtgebundenen Medien (Twisted Pair, Koaxialkabel, Lichtwellenleiter oder Multimediakabel) kann bei nachträglicher Installation einen nicht unerheblichen Kostenfaktor darstellen. Andererseits zeichnen sich diese Medien durch geringe Störempfindlichkeit und sehr hohe Bandbreiten aus, die auch eine Übertragung von Sprach-, Bild- und Videodaten zulassen. Kabelgebundene Vernetzungen sind jedoch immer auch an vorhandene Wände gebunden (Abb. 3.3.)
Der Fahrer deutete auf das Display. Sie meinte, sie könne den Betrag nicht erkennen, weil sie ihre Brille vergessen habe und lugte zu den für sie gut leserlichen roten Ziffern, 11 Euro 90 Cent. „Das macht vierzehn neunzig“, vernahm sie den Fahrer. Charlotte öffnete die Wagentür, der Fahrer, irritiert, ebenfalls. Während sie ausstieg, entnahm sie ihrer Tasche das Portemonnaie und zog einen Schein daraus hervor. „Stimmt so.“ Sie drückte ihm das Papier in die Hand. „Das ist ein gebrauchter Fahrschein.“ Verdattert sah der Taxifahrer sie an. „Strafe muss sein!“ Charlotte lächelte ihn an. „Oder wollen Sie, dass die Polizei von Ihrer Betrügerei Wind bekommt? Taxifahrer bescheißt wehrlose alte Frau.“ Sie nahm ihr Handy aus der Tasche. Er sah sie grimmig an, machte auf dem Absatz kehrt, sprang in den Wagen und fuhr davon. Eine Glühbirne wurde von einem tellerförmigen Lampenschirm umrandet und warf ihr Licht auf einen Holztisch, der mit blauem Filz bezogen war. Jürgen Nolte saß davor in seinem hypermodernen Rollstuhl, nickte Charlotte zu und deutete ihr mit einer knappen Handbewegung, Platz zu nehmen. Dann schnippte er mit Daumen und Zeigefinger. Ein Mann der sich im Hintergrund außerhalb der Lichtinsel aufhielt, trat näher, beugte sich zu Nolte, der ihn blitzartig am Nacken packte und näher zu sich heran zog. Charlotte erkannte Gero, Noltes Bodyguard. Sie sah, wie sich Noltes Oberlippenbart bewegte, er offenbar Worte formte; verstehen konnte sie nichts. Er nahm die Hand von Geros 96
Schlafzimmer
Bad
Küche
TV
Korridor Gästezimmer Treppenhaus
Abb. 3.3: Kabelgebundene Vernetzung des Smart-Home-Bereichs
Wohnzimmer
Nacken, sein Kopf wippte zurück in die Dunkelheit. Ein Windzug, dann fiel eine Tür ins Schloss. Nolte griff zum Beistelltisch, auf dem sich Gläser und eine Champagnerflasche befanden. „Darf ich Ihnen einschenken?“, fragte er charmant. Ihr Kopf brummte vom Schnaps, dennoch nickte sie und er reichte ihr ein gefülltes Glas. Sie habe wohl noch immer nicht genug verloren, amüsierte sich Nolte über Charlotte, die einen Packen Geldscheine aus der Tasche zog und ihn vor sich auf den Tisch legte. Wieder ein Luftzug, dann das Zuklappen einer Tür. Gleich darauf stand Gero neben Nolte, hielt einen Humidor in den Händen, öffnete ihn. Nolte hob seine Brillengläser an und begann mit kleinen, abgehackten Atemzügen den Inhalt zu beschnuppern. Unwillkürlich musste Charlotte an ein Schwein denken, das Trüffel aufzuspüren versucht. Wie die giftige Zunge einer Schlange fuhren seine spindeldünnen Finger in den Humidor, stachen ähnlich wie ein Adler auf seine Beute ein und pickten eine Zigarre hervor. Warum dieser Aufwand? Seit sie Nolte kannte, und das war immerhin bereits seit fünf Jahren, kurz nach seinem Verkehrsunfall, bei dem er beide Beine bis zu den Oberschenkeln verlor und im Rollstuhl saß, wählte er stets eine bestimmte Havanna aus dem Humidor. Charlotte kam ins Schwitzen. Bluffen war jetzt die einzige Möglichkeit, um Nolte zu verunsichern und um aus dem schlechten Blatt doch noch einen Vorteil zu ziehen. Mit steinerner Miene, wie sie hoffte, setzte sie ihr letztes Geld. Ein Schweißtropfen löste sich aus den Haaren an ihrer Schläfe. Fast spielerisch strich sich Charlotte 97
und dadurch in ihrer Flexibilität eingeschränkt. Lösungen, welche das Stromnetz zur Datenübertragung nutzen, werden als Powerline bezeichnet. Da die Steckdosen aller Räume miteinander verbunden sind, ist eine einfache Vernetzung von Haushaltsgeräten über die Steckdose möglich. Allerdings wird die Übertragung stark vom Zustand der Stromleitungen (die nicht primär für die Datenübertragung entwickelt wurden) und den individuellen Umgebungsbedingungen beeinflusst, so dass die Anpassung einen beträchtlichen Aufwand erfordern kann. Die große Störanfälligkeit sowie eine relativ niedrige Bandbreite schränken den Anwendungsbereich von Powerline-Strukturen zwar ein, sie bilden aber dennoch in vielen Fällen eine nützliche Ergänzung zu speziellen drahtgebundenen oder drahtlosen Lösungen. Drahtlose Systeme, die in den ISM-Bereichen 433 MHz, 866 MHz oder 2,4 GHz operieren, sind vor allem für eine nachträgliche Smart-Home-Integration geeignet. Die Funklösungen zeichnen sich durch sehr flexible und mobile Einsatzmöglichkeiten aus, und sie sind
auch in der näheren Umgebung noch funktionstüchtig. Allerdings muss der Datensicherheit bei Funklösungen größere Beachtung geschenkt werden, da der Empfang des Funksignals auch außerhalb der Wohnung noch möglich ist (Abb. 3.4), so dass ein unbefugtes Mithören oder sogar eine externe Einwirkung auf die Smart-Home-Systeme erfolgen kann. 3.4 User-Interfaces im Smart-Home Um dem Benutzer die zahlreichen Smart-Home-Anwendungen und Dienstleistungen in geeigneter Weise zur Verfügung zu stellen, sind entsprechende Benutzungsschnittstellen (sog. User-Interfaces) erforderlich. Die Problematik liegt dabei insbesondere in der Beherrschung der außerordentlichen Vielfalt von Smart-Home-Funktionen. Abbildung 3.5 zeigt einige der Benutzungsschnittstellen bzw. Einund Ausgabemöglichkeiten. Dabei lassen sich im Smart-Home folgende Möglichkeiten der Steuerung unterscheiden: – manuell durch den Benutzer, – automatisch durch das System – dies gilt
durchs Haar, ihre Fingerkuppen tasteten unauffällig nach ihm. Wie eine Anfängerin!, ging es ihr durch den Kopf. Wie verräterisch musste der Schweißtropfen auf ihr Gegenüber wirken! Sie hob ihren Kopf und blickte Nolte fest in die Augen. Nur keine Unsicherheit erkennen lassen! Eisern stachen seine Augen zurück. Was war das? Er zögerte, legte eine Karte ab und dann noch eine zweite. Seine Zähne mahlten aufeinander, sie bemerkte, dass seine Backenmuskeln zuckten. War er auf ein „street“ aus, oder auf ein „full house“? Wohl kaum auf einen Königspoker. Im Raum war es völlig ruhig. Nolte zog an der Zigarre. Seinem Mund entströmte Rauch, der sich fadenartig um die Glühbirne schlängelte. Ohne aufzusehen legte er seine Karten auf den Tisch. Sie taumelte aus dem Hinterzimmer durch das leere Lokal ins Freie. Die besten Wünsche an den Formel-1-Fahrer hatte ihr Nolte mit auf den Weg gegeben. Charlotte würde sich hüten, diese zweifelhaften Grüße an Oskar weiterzuleiten, denn sie wusste, dass er Nolte spinnefeind war. Bei der bloßen Erwähnung seines Namens geriet Oskar in Rage. Es war schwül, in der Nacht hatte es nicht abgekühlt und die Sonne heizte bereits um sieben Uhr morgens kräftig herab. Charlotte wollte nach Hause, den Ventilator einschalten, sich in ihr Bett legen und schlafen. Aber zuvor musste sie überlegen, wie sie ihren Mitbewohnern möglichst schonend ihren Pokerabend erklären konnte. Sie würde sich so verhalten, wie immer, wenn sie zu früher Morgenstunde das Haus betrat und es außer Frage stand, woher sie kam.
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Schlafzimmer
Bad
Küche
TV Korridor Gästezimmer Treppenhaus
Abb. 3.4: Drahtlose Vernetzung eines Smart-Home-Bereichs
Wohnzimmer
Obwohl ihr fürchterlich heiß war, hatte Charlotte das Laken über beide Ohren gezogen. Der Ventilator summte vor sich hin und sie kämpfte mit tiefen Atemzügen gegen dieses Geräusch. Benebelt von dieser Gleichmäßigkeit sank sie in einen sanften Schlaf. Sie träumte von einer Bahnfahrt, die sie einmal mit Karl-Otto in die Anden geführt hatte, als ihr jemand das Laken vom Gesicht zerrte und damit ihrem wohligen Schlummer abrupt ein Ende bereitete. Im Zimmer war es dunkel, nur die Stehlampe hinter dem Fauteuil war eingeschaltet und verbreitete ein mildes Licht. Es war bereits Nacht, sie hatte den ganzen Tag verschlafen. Nicht einmal die Pillendose mit ihrer wohlklingenden Stimme hatte sie wecken können. Wie ein Racheengel stand Ricardo vor ihr. Charlotte richtete sich im Bett auf, ohne aber das Laken über ihre Schultern herabrutschen zu lassen. Wie in einem alten Hollywoodfilm, der auf Sitte und Moral bedacht ist und kein Stück nackter Haut zulässt. Sie kam sich vor wie eine dieser gefeierten Diven. Charlotte verbarg ihr blütenweißes Nachthemd, das bei näherer Betrachtung ein wenig durchsichtig erscheinen mochte. Aber das wäre ihr gleich gewesen. Oskar rollte näher an Charlottes Bett heran. Er sagte nichts. Seine Mimik, seine Körperhaltung, drückte Enttäuschung aus. Und Isolde kämpfte mit den Tränen, während Emma beim Kaminsims stand und zu Karl-Otto sah. „Du hast geschnarcht, dass man es bis auf die Straße hören konnte“, warf ihr Ricardo vor und Isoldes Kopf wippte, wie an Marionettenfäden gezogen, bestätigend auf und ab. „Bis auf die Straße“, wiederholte Emma ähnlich einem Papagei. „Und was haben wir darausgelernt?“, fragte Oskar. 99
–
vor allem bei sich wiederholenden Prozessen und Regelungen, oder durch »intelligente« Benutzungsoberflächen (lernfähige Systeme).
Heutige Smart-Home-Systeme sind dezentral organisiert, d. h. Smart-Home-Funktionen werden verschiedenen Komponenten (z. B. Schaltern) zugeordnet. Allerdings sind auch in dezentralen Systemen zentrale Benutzungsschnittstellen möglich, besonders zum Zwecke der benutzerseitigen Kontrolle und Überwachung von Smart-Home-Zuständen oder zum Sammeln bzw. Speichern von Daten (z. B. Verbrauchsdaten). 3.5 Anwendungen der Spracherkennung Für den Benutzer – insbesondere den älteren Menschen – ist es mühselig und zugleich lästig, die zahlreichen Zusatzfunktionen im Smart-Home durch entsprechend viele Bedienelemente (Tasten, Regler etc.) ausführen zu müssen. Die gewöhnliche Fernbedienung für die Audio- und Videogeräte enthält bereits
eine verwirrende Vielzahl von Tasten, und würde man alle Zusatzfunktionen durch weitere Tasten betätigen müssen, so wäre sehr schnell die Grenze der Zumutbarkeit erreicht. Eine sehr benutzerfreundliche Alternative bietet hier die Sprachsteuerung. Sie benötigt überhaupt keine Zusatztasten (allenfalls eine Aktivierungstaste), sondern lediglich ein Mikrofon, das nahezu unsichtbar in die Fernbedienung integriert werden kann. Im Einzelnen lassen sich die folgenden Anwendungen der Spracherkennung im SmartHome-Bereich nennen: – Steuerung von Aktoren (für Fenster/Türen), – Abfrage von Videokameras (Innenräume, Haustürbereich), – akustische Bedienung von Haushaltsgeräten, – automatische Auskunftssysteme, – sprachgesteuerter Rollstuhl, – Blindenhilfe (akustische Bedienung von Geräten), – akustische Fernbedienung von TV- und HiFi-Geräten,
Sie habe keine Ahnung, erwiderte Charlotte mit unschuldigem Augenaufschlag. Immer, wenn sie eine Pokernacht verbracht und verloren habe, schnarche sie so laut, dass das ganze Haus erbeben würde, warf Oskar ihr vor. Charlotte lächelte, streifte das Laken ab, warf die Beine schwungvoll aus dem Bett und entstieg ihm majestätisch. Isolde drückte ihre Hände vors Gesicht, nicht ohne durch die Fingerspalten zu lugen. „Oh, mein Gott“, wisperte sie. Sie solle Gott aus dem Spiel lassen, forderte Charlotte, und ihr helfen, die Scheine einzusammeln. Es hatte sie beinahe eine Stunde Zeit gekostet, das Geld mit Klebestreifen auf dem Nachthemd zu befestigen. Die wie große Fischschuppen wirkenden Scheine raschelten. Ein Federkleid aus Papier, kicherte Emma. Wieviel Geld sich auf ihr befände? Charlotte konnte sehen, wie es in Ricardos Kopf arbeitete, er eine Zahlenkolonne einer anderen gegenüberstellte. „Genug, um vorläufig aus dem Schneider zu sein.“ „Aus dem Schneider?“, fragte Emma nach. „Um das Privat-Sanatorium bezahlen zu können“, erklärte Charlotte. Sie habe dieses Mal wohl vor lauter Freude geschnarcht, schmunzelte Oskar. Das könne sein, meinte sie. Immerhin sei es ihr gelungen, die lieben Mitbewohner, die immer gleich das Schlimmste denken, hinters Licht zu führen. Und endlich einmal habe sie diesen arroganten Jürgen Nolte bezwungen. „Ich hätte gerne sein Gesicht gesehen“, schnalzte Oskar. Charlotte wusste, wie sehr er Nolte verachtete. Erstens, weil er ein besserer Pokerspieler war als sie, 100
Fernbedienung Touchpads, PDA´s, ... Hybride Systeme vernetzte und programmierte Schalter
PC und Notebook Festnetz- und Mobiltelefon
Benutzungsschnittstellen
Erkennungssysteme für - Sprache, Sprecher - Gesten - ...
Abb. 3.5: Benutzungsschnittstellen (Auswahl)
intelligente Kleidung TV-Gerät mit Fernbedienung
zweitens, weil er einen mit allen technischen Raffinessen ausgestatteten Rollstuhl besaß, den Oskar sich niemals leisten könnte. Und drittens, weil Nolte ein Auge auf Charlotte geworfen hatte und Oskar eifersüchtig war. Emma machte sich an Charlottes Nachthemd zu schaffen. Als Ricardo nach einem Schein greifen wollte, schlug sie ihm auf die Finger. Er solle ein Taxi rufen, damit man zur Bank fahren und das Geld einzahlen könne. Um diese Zeit hätten alle Banken geschlossen, sagte Ricardo. Und Online-Banking würde mit Bargeld nicht funktionieren, meinte er süffisant, spielte damit auf Charlottes Vorliebe an, Geldangelegenheiten übers Internet zu regeln. Es läutete. Das müsse Samira sein, glaubte Charlotte. Oskar schüttelte den Kopf. Samira sei am Nachmittag hier gewesen. Er habe sie nach Hause geschickt, ihr gesagt, dass Charlotte krank sei und die Klavierstunde verschoben werde. „Ich sehe nach, wer geläutet hat.“ Ricardo verließ das Zimmer. Emma und Isolde lösten das Geld vom Nachthemd und bündelten die Scheine. Charlotte nahm einige davon und verbarg sie unter der Thermoskanne. „Für dein neues Zuhause“, flüsterte sie Karl-Otto zu, nun könne sie es auch bezahlen. Dann schlüpfte sie in ihren dunkelblauen Morgenmantel.
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akustische Ziffernwahl beim Telefon, Dialogsteuerung beim Teleteaching/Telelearning, akustischer Notschalter, Diktiersysteme.
Spracherkennungssysteme haben inzwischen einen Entwicklungsstand erreicht, der die Erkennung eines begrenzten Vokabulars von Kommandos mit hoher Zuverlässigkeit gewährleistet. Dazu ist allerdings erforderlich, dass der Benutzer ein kurzes Sprechtraining mit dem Erkennungssystem durchführt, damit dieses sich auf die Stimme adaptieren kann. Für das hier erforderliche Vokabular von etwa 50 bis 100 Wörtern genügen normalerweise einige Minuten vor der erstmaligen Benutzung des Erkenners; bei jeder weiteren Benutzung adaptiert sich das System automatisch auf jegliche Veränderungen in der Stimme. In Abbildung 3.6 ist die Mensch-MaschineSchnittstelle unter besonderer Berücksichtigung der Sprachein- und -ausgabe dargestellt. Ein Vorteil der akustischen Ausgabe ist bei-
spielsweise, dass die Informationen den Benutzer auch dann erreichen, wenn er abgelenkt oder unaufmerksam ist bzw. wenn er mit Tätigkeiten beschäftigt ist, bei denen er keine Anzeigesysteme im Blickfeld hat. Die überall wahrnehmbare akustische Wiedergabe spielt auch eine wichtige Rolle bei plötzlichen Gefahren- oder Warnmeldungen (Alarmsignale, etc.). Der Einsatz der Spracherkennung im Smart-Home-Bereich unterscheidet sich von anderen Anwendungen insbesondere durch hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit (Steuerung von elektrischen Geräten) und die Gestaltung der Benutzungsoberfläche. Im Einzelnen lassen sich die wichtigsten Anforderungen dabei wie folgt formulieren: – Die Fehlerrate muss sehr gering sein, da Erkennungsfehler schwerwiegende Folgen haben können. – Die Erkennung sollte zudem sehr robust sein und Abweichungen bei der Spracheingabe durch Sprechervariabilitäten und mögliche Hintergrundgeräusche tolerieren.
Ricardo hatte seine Hände hinter dem Kopf verschränkt. Zögernd setzte er einen Fuß vor den anderen, stolperte über den Teppichrand und konnte gerade noch einen Sturz vermeiden, indem er sich am Klavier abfederte. „Was ist los mit dir? Hast du dir wieder das Genick verrissen?“ Oskar rollte zu ihm. Zwei schwarz gekleidete Gestalten betraten das Zimmer. Beide hielten Springmesser in der Hand. Auf ihren Köpfen Sturzhelme mit dunkel getönten Visieren. Durch einen Spalt des Visiers der größeren Gestalt drang dumpf eine Berliner Schnauze. Man solle das Geld in diesem Rucksack verstauen, sonst werde einer von ihnen dran glauben müssen. Isolde schrie auf, die Gestalt wandte sich zu ihr. „Maul halten“, zischte sie. Der Rucksack flog durch die Luft, landete vor Charlottes Füßen. Langsam bückte sie sich danach. Die Gestalten komplett schwarz gekleidet, bis auf die Schuhe, stellte sie fest. Es waren weiße NikeSportschuhe, wie man sie in vielen Läden kaufen konnte. Sie solle sich beeilen, fuhr die andere Gestalt sie an. Charlotte griff nach den gestapelten Scheinen. Bedächtig legte sie ein Bündel ums andere hinein. Sie wollte Zeit gewinnen. Wofür? Niemand würde bemerken, dass hier ein Überfall stattfand. Man hätte Videokameras in allen Räumen installieren sollen! Oskar keuchte, sein Gesicht lief rot an. Sie ließ die Scheine auf den Boden fallen und lief zu ihm. Eine Gestalt sprang zu Ricardo und drückte ihm blitzschnell das Springmesser an die Kehle. Wenn nicht gleich das Geld eingesammelt sei, werde er den Mann umbringen. Emma und Isolde knieten 102
Ausgeben von Informationen (Display, Lautsprecher)
Sprache hören
Sprachsynthese
Mensch (Verarbeitung der Informationen, Treffen von Entscheidungen)
Mensch-MaschineSchnittstelle
Aufnehmen der Informationen über Sinnesorgane
Gerät (Treffen von Entscheidungen aufgrund vorhandener Informationen)
Sprechen
Spracherkennungssystem
Bedienen, Eingeben, Maus bewegen
Verarbeiten der Eingaben, Interpretation der Bewegungen
Abb. 3.6: Struktur sprachbasierender Benutzungsoberflächen
sich auf den Boden und warfen die Scheine in den Rucksack. Charlotte sah die Spitze des Messers an Ricardos Hals. Ein Blutstropfen löste sich von der Klinge und rann bis zum Hemdkragen hinab. Oskar griff sich an die linke Brust. Der kleinere der schwarz Gekleideten schnappte den Rucksack und lief auf den Gang. Der andere löste die Umklammerung von Ricardo, ging rücklings zur Tür, tastete nach dem Schlüssel und steckte ihn außen an. Wenn man in den nächsten dreißig Minuten die Polizei verständige, werde er wiederkommen, oder einem von ihnen irgendwann auflauern und seine Drohung wahr machen. Er wandte sich zur Schaufensterpuppe. In der Höhe des Nabels setzte er das Messer an. Mit einem Ruck schlitzte er die Kostümjacke auf und die Glasknöpfe sprangen auf den Boden. „Zum Zeichen dafür, dass ich nicht spaße.“ Dann trat er durch die Tür, schloss sie und versperrte sie mit dem Schlüssel. Isolde rannte zum Fenster, öffnete es, beugte sich hinaus und rief um Hilfe. „Hör auf damit!“, zischte ihr Ricardo zu. Sie dürfe die Drohung nicht vergessen. „Und was willst du sagen, wenn die Polizei hier auftaucht? Dass zwei Verbrecher uns beraubt haben?“ Doch nicht etwa das Geld, das Charlotte beim Zocken gewonnen habe! Sie würde sich lächerlich machen. Ricardo nahm ein Notenblatt vom Klavier und schob es unter den Spalt der Tür. Emma solle ihm eine Schiebespange aus ihren Haaren geben. Sie überreichte sie ihm. Aber irgendwie müsse man sich doch zur Wehr setzen, könne den Raub nicht so ohne weiteres hinnehmen, empörte sich Isolde. „Sei still!“ Charlotte tätschelte behutsam Oskars Wange. Er hatte die Augen geschlossen, Schweiß103
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Umgebungsgeräusche sollten z. B. durch eine Störreduzierung möglichst weitgehend entfernt werden. Eine erforderliche Trainingsphase ist kurz und so zu gestalten, dass der Benutzer diese einfach und effektiv durchführen kann. Werden Kommandowörter verwendet, sollten nicht mehr als 15 bis 20 Kommandos Einsatz finden, die in Anlehnung an die auszuführenden Funktionen und Dienste ausgewählt werden müssen (richtige Wortauswahl beachten). Zusätzlich sollten synonyme Wörter (z. B. »halt«, »stop«, »anhalten«) bzw. individuelle Aussprachevarianten trainiert werden, um den Spracherkenner an den Benutzer anzupassen. Die erfolgreiche Ausführung eines Sprachkommandos sollte für den Benutzer – auch wenn eine Rückkopplung über den veränderten Systemzustand direkt möglich ist (Beispiel: Benutzer sieht, dass sich das Fenster öffnet) – zur besseren Rückkopplung auch über die System-Benutzungs-
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oberfläche angezeigt werden. Dies ist vor allem wichtig bei Kommandos, die falsch oder nicht erkannt werden. Bei der Erkennung von Kommandos treten zumeist unterschiedliche Wichtigkeiten bzw. Tragweiten der Entscheidungen auf. So hat ein nicht erkanntes, gesprochenes »Licht an« keine gravierenden Folgen; die Erkennung muss auch nicht sprachlich bestätigt werden (da man das Ergebnis ohnehin sofort sieht). Dagegen ist ein Kommando »Alle Geräte ausschalten« schwerwiegender und sollte zur Sicherheit noch einmal vom Erkenner zwecks Bestätigung abgefragt werden (»Sollen wirklich alle Geräte ausgeschaltet werden?«). Neben den Randbedingungen durch das Spracherkennungssystem und den ergonomischen Abhängigkeiten trägt nicht zuletzt der Benutzer – bei unseren Betrachtungen ist dies der ältere Mensch – selbst mit seinen Sprechgewohnheiten (Genauigkeit der Aussprache, Dialektfärbungen etc.) zur Erkennungsgenauigkeit bei (Buxton 1987).
perlen standen auf seiner Stirn, sein Atem ging unstet. Sie kramte in ihrer Tasche, fand das Handy und tippte den Notruf ein. Ricardo stocherte nervös mit der Schiebespange im Schloss herum, verfluchte seine zittrigen Hände, Emma kam ihm zu Hilfe. Hysterisch schrie Charlotte ihre Adresse ins Handy. Man solle sich beeilen, vermutlich handle es sich um einen Herzinfarkt! Die Schiebespange sei zu kurz, meinte Emma. Isolde beugte sich zum Rollstuhl. Mit einem Ruck riss sie eine Speiche aus der Verankerung. Wie gut, dass der Rollstuhl alt sei, meinte sie und reichte Emma die auf einer Seite angerostete, etwas verbogene Speiche. Sie schob sie in die Öffnung. Sirenengeheul war zu hören. Der Schlüssel landete auf der anderen Seite auf dem Notenblatt. Vorsichtig zog sie es unter dem Türspalt zu sich. Ricardo sperrte auf. „Zu niemandem ein Wort!“, verlangte er. Isolde nickte, Emma tat es ihr gleich. Charlotte reagierte nicht, war mit Oskar beschäftigt. Ricardo lief auf den Gang und polternd über die Stufen ins Erdgeschoss. „Ich habe Herrn van Horn gewarnt“, sagte der Arzt, den Charlotte von anderen Krankenhausaufenthalten bereits kannte. Auf dem Aufschlag der Brusttasche seines Ärztemantels war ein Kunststoffschild mit einer Klammer befestigt. Dr. F. Rubinstein stand darauf. 104
Als Fazit lässt sich feststellen, dass gerade bei älteren Nutzern die Erkennungs-Zuverlässigkeit an oberster Stelle steht. Wenn diese nicht genügend hoch ist, verliert der Nutzer schnell das Interesse an der Sprachsteuerung, da diese »sowieso nicht funktioniert«. 3.6 Anwendungen der Sprechererkennung Im Gegensatz zur Spracherkennung, die sich mit dem Inhalt der gesprochenen Information befasst, geht es bei der Sprechererkennung um die Feststellung der Person, die gesprochen hat. Die Trainingsprozedur entspricht weitgehend derjenigen bei der Spracherkennung, d. h. der Benutzer gibt eine Sprachprobe ab, die vom Erkennungssystem als Referenz (»akustischer Ausweis«) gespeichert wird. Soll dann ein Sprecher erkannt werden, so gibt er eine erneute Sprachprobe ab, die mit der Referenz-Sprachprobe verglichen wird. Bei hinreichender Ähnlichkeit beider Sprachproben gilt der Sprecher als erkannt bzw. »verifiziert«; daher nennt man diese Form der Sprechererkennung auch Sprecherverifizierung.
Eine typische Anwendung der Sprechererkennung im Smart-Home-Bereich ist die Zugangskontrolle (Haustürüberwachung). Anstelle eines Schlüssels dient die eigene Stimme als Türöffner. Ebenso kann man auch die Stimmen derjenigen Personen abspeichern, denen man den Zutritt zur Wohnung erlaubt (Verwandte, Pflegepersonal etc.). Selbstverständlich ist auch nach wie vor die Benutzung eines Schlüssels möglich; dann hat man zusammen mit der Sprechererkennung eine doppelte Absicherung des Wohnungszugangs (Fellbaum et al. 2001). Auf Sprechererkennung basierende Türöffner (Abb. 3.7) sind heute in der Lage, mit einer Erkennungsrate von über 99 % den richtigen Sprecher zu erkennen (Uhlrich 2000) und z. B. berührungslos eine Tür zu öffnen. Werden zur signifikanten Stimme noch Codewörter hinzugefügt, kann die Sicherheit zusätzlich erhöht werden. Damit sind derartige Systeme konventionellen Schlüsseln bei weitem überlegen und vor allem für Menschen mit eingeschränkter Mobilität eine große Hilfe.
Er solle sich schonen, Aufregungen vermeiden, habe er seinem Patienten gepredigt. Niemals hätte er bei dieser Quizshow anwesend sein dürfen. Was er sich bloß dabei gedacht habe! „Es ist meine Schuld“, flüsterte Charlotte und sah den Arzt mit rot verweinten Augen an. „Nun mal langsam.“ Er habe längst gemerkt, dass Herr van Horn ein eigenwilliger Patient sei. Wenn er sich etwas in den Kopf setze, werde er es auch durchziehen. Es bestünde keine Notwendigkeit, dass Charlotte ihn in Schutz nähme. Zu einem Teil könne diese Starrköpfigkeit fatale Folgen für Herrn van Horns Gesundheit nach sich ziehen, zum anderen scheine es, dass er gerade wegen seiner Willensstärke noch einmal glimpflich davongekommen sei. Die medizinische Versorgung habe im 21. Jahrhundert ein hohes Niveau erreicht. Dennoch stünde er, als Arzt, manches Mal vor unergründlichen Rätseln, die ihm die Natur aufgebe. Was in der Psyche eines Menschen vorgehe, sei nur schwer nachzuvollziehen. Die Lebenskraft, die manche Patienten entwickeln würden, brächten medizinische Erkenntnisse ins Wanken. „Kommen Sie bitte endlich auf den Punkt“, verlangte Charlotte nervös. Nichts als so dumme Gemeinplätzchen. „Ich kann Sie beruhigen. Herr van Horn hat keinen Herzinfarkt erlitten, sondern einen Schwächeanfall.“ Einige Tage werde er im Krankenhaus verbringen müssen, dies sei aber nur eine Vorsichtsmaßnahme, meinte er. Charlotte steckte ihre Hände in die Taschen des Morgenmantels. Wie es mit einem Spenderherz aussähe? Er bedauere sehr, die Situation habe sich nicht geändert. Es wäre nicht richtig von ihm, ihr Hoff105
Abb. 3.7: Sprecherverifizierung als Türöffner (ABS-Jena)
nungen zu machen, da, wo es keine gäbe. Herrn van Horn gegenüber wolle er nicht in dieser Deutlichkeit sprechen und müsse sie bitten, es auch nicht zu tun. Er wolle ihm den Glauben, bald ein neues Herz zu bekommen, nicht nehmen. „Viel zu wenig Menschen haben den Mut, einer Organentnahme nach ihrem Ableben zuzustimmen.“ Resignation schwang in seiner Stimme mit. „Das ist wohl immer noch ein Tabuthema“, meinte Charlotte. Sie selbst habe seit etwa 20 Jahren einen Organspenderausweis. Ihr Mann, Karl-Otto, sei an Nierenversagen gestorben. Das habe sie damals zu diesem Schritt bewogen. Der Pager, der in der Brusttasche seines Ärztemantels steckte, piepste. Da sei noch viel Aufklärungsarbeit vonnöten, um eine Veränderung herbeizuführen, sagte er, griff zum Pager und sah auf das Display. Eine Krankenschwester kam auf den Arzt zu. „Sie werden in der Notaufnahme gebraucht“, rief sie und ging rasch weiter. Sie solle nun nach Hause gehen und ausschlafen, riet ihr der Arzt, ihr fielen ja schon im Stehen die Augen zu. Wenn sie ordentlich ausgeruht sei, könne sie wiederkommen. Herr van Horn werde bestimmt nicht vor morgen früh aufwachen. Der Schlaf werde ihn kräftigen. Im Besucherzimmer warteten Isolde, Emma und Ricardo auf Nachricht. Erleichterung, nachdem Charlotte berichtet hatte. „Was macht ihr für Sachen!“ Max stürmte durch die Tür. Isolde habe ihm bereits ausführlich am Telefon Bericht erstattet. Keine Minute könne man sie aus den Augen lassen! Er lief auf Charlotte zu und 106
Der Haustürbereich stellt den Zugang zum Wohnbereich und damit zur Privatsphäre dar und hat deshalb für die Senioren eine besondere Sicherheitsfunktion. Dies zeigen auch die Ergebnisse der Repräsentativbefragung (Wurm 2000). Ein weiteres wichtiges Anwendungsfeld für die Sprechererkennung ist die Zugangskontrolle zu Geräten und vertraulicher Information. Wenn man beispielsweise mit einem elektronischen Speicher persönliche Informationen aufzeichnen und schützen möchte (Tagebuch etc.) oder Unbefugten an der Benutzung von Geräten (Telefon, Multifunktions-Fernsehgerät, Steuer- und Regelungssysteme) für SmartHome-Funktionen hindern will, kann man dies sehr wirkungsvoll durch Sprechererkennungssysteme erreichen. Schließlich findet die Sprechererkennung Anwendung bei telefonischen Transaktionen (z. B. Banküberweisungen über Telefon, Buchung von Reisen, Theater, Konzerten).
3.7 Forschungs- und Demonstrationsprojekte Die erhebliche Komplexität von Smart-HomeUmgebungen und die hohen Anforderungen insbesondere bezüglich Zuverlässigkeit und Benutzerakzeptanz verschiedener Zielgruppen haben zahlreiche Forschungs- und Demonstrationsprojekte wie das InHaus in Duisburg, das FutureLife (Schweiz), Living Tommorow in Belgien, e2-Home in Schweden, Smartest House in The Netherlands oder das tele-Haus München entstehen lassen. Speziell die Zielgruppe der älteren und behinderten Menschen steht im Mittelpunkt der Projekte ASHoRED (Finnland), BESTA (Norwegen), Mobiele Modelwoning (Niederlande), HS – ADEPT (Großbritannien), Service Flats Invest (Belgien), Intelligentes Haus im Alter (Deutschland) oder das Smart-HomeModellprojekt in Nuenen (Niederlande). 3.8 Zukünftige Entwicklungen Die Erkennungssicherheit heutiger Sprachund Sprechererkennungssysteme ist zwar für viele Anwendungen im Smart-Home-Bereich
nahm sie in den Arm. Sie sei seine Lieblingstante, flüsterte er in ihr Ohr. Er sei ein alter Schmeichler. Ob er wieder das Gästezimmer beziehen wolle? Max wurde ernst. Wie es Oskar gehe? Sie wiederholte, was sie bereits den anderen erzählt hatte und knotete den herabgerutschten Gürtel ihres Morgenmantels fest um die Hüfte. Ihr Magen knurrte. Sie hatte seit dem gestrigen Abend keinen Bissen gegessen. Man sei schon lange nicht mehr gemeinsam in ihrem Lieblingslokal gewesen, meinte sie. Sie müsse aber zuerst nach Hause und ein Kleid überziehen, dann könne es losgehen. Sie habe großen Appetit auf Berliner Hausmannskost. Eine wunderbare Idee, stimmte Isolde ihr zu. Solange man nicht auf Oskars Kochkünste zurückgreife, sei ihr alles recht. Sie verstummte. Es täte ihr Leid, was sie gerade gesagt habe. Nie wieder wolle sie etwas bemäkeln, was er gekocht habe, selbst wenn es noch so grauenhaft schmecke. Sie verließen das Besucherzimmer. Charlotte wandte sich an Ricardo. „Ich habe beim Pokern über Zehntausend Euro gewonnen und denke nicht daran, die gemeinen Räuber so einfach davonkommen zu lassen. Gleich morgen werde ich Anzeige erstatten.“ „Bist du noch bei Trost!“, fuhr er sie an, während sie den Gang entlang gingen. Sie könne doch nicht erzählen, woher das Geld stamme. „Das habe ich keinesfalls vor, mein Lieber.“ Isolde, Emma und Max waren bereits im Eingangsbereich angelangt. „Das gestohlene Geld stammt von meinem Gewinn bei der Quizshow.“ Zeugen dafür gäbe es genug. Eine Krankenschwester kreuzte ihren Weg, wünschte eine gute Nacht. 107
bereits ausreichend, problematisch ist aber nach wie vor die mangelnde Robustheit gegenüber Umgebungsgeräuschen. Neuere Entwicklungen von Störgeräuschfiltern sowie Mikrofonfeldern (Arrays) werden hier entscheidende Verbesserungen bringen. Hinzu kommt, dass die nächste Generation von Spracherkennern Komponenten des Sprachverstehens haben werden. Derartige Systeme sind in der Lage, auch bei unvollständiger oder fehlerhafter Erkennung aus der aktuellen Situation heraus sowie aus gelernten Erfahrungen Korrekturen oder Ergänzungen vorzunehmen; sie wissen gewissermaßen, wovon die Rede ist. Motor für die Entwicklung ist die kontinuierliche Steigerung der Rechnerleistung und der Miniaturisierung. So werden zunehmend auch kleinere Geräte (PDAs, Handys, Haushaltsgeräte...) für die Spracherkennung attraktiv. Unter dem Stichwort Wearable Computing oder Smart Clothes findet die Spracherkennung (einschließlich der Sprachdialogsysteme) Anwendung in der Kleidung. So ist es durchaus
denkbar, in Zukunft mit dem Smart-Home über die Kleidung zu kommunizieren. Neben der Sprache werden in Zukunft weitere, an den Menschen angepasste, Steuerungsmöglichkeiten hinzukommen (Interfaces für Sprache, Gestik/Mimik, Handschrift). Während diese schon in Einzelsystemen brauchbare Ergebnisse liefern, liegt das Potenzial in der Verknüpfung verschiedener Ein- und Ausgabemöglichkeiten, um eine falsche oder unvollständige Erkennung in einem Bereich (z. B. in der Sprache) durch die anderen Formen zu kompensieren. Die Zukunft wird den älteren Menschen nicht nur neue und komfortablere SmartHome-Funktionen bringen. Begünstigt durch die geradezu dramatischen Fortschritte in der Mobilfunktechnik, stehen bereits heute höhere Bandbreiten zur Verfügung, die nicht zuletzt auch Bild- und Videoübertragungen möglich machen. Einige Beispiele von Mobilfunksystemen zeigt Abbildung 3.8. Interessant ist dabei,
Bei einer Anzeige werde nichts herauskommen, die Täter nie gefasst werden, warum dann dieser Aufwand? „Angenommen, du hast einen Dorn in der Fußsohle stecken“, meinte Charlotte, „würdest du ihn nicht entfernen wollen?“ Er sah sie verständnislos an. „Ach, vergiss es.“ Sie folgte den anderen und Ricardo trottete ihr hinterher. Abrupt blieb sie stehen. „Wollen wir wetten, dass sie gefasst werden?“ Seine Hand fuhr zum Sakko. „Einverstanden. 10 Euro?“ Aber sie solle den anderen nicht verraten, dass er mit ihr gewettet habe. Charlotte grinste und versprach es.
108
Mbit/s
wired terminal
100 10
WLAN/Hiperlan
1 UMTS 0,1 0,01
cordless
Room
GSM
Building Stationary Walking
indoor
Vehicle
v
outdoor
Abb. 3.8: Übertragungsrate und Einsatzgebiete mobiler Breitbandsysteme der 3. und 4. Generation
... ein neuer Tag in der Knesebeckstraße ...
Der Ventilator lief auf höchster Stufe, er wirbelte um Charlottes Haare, erfasste einen Stapel Blätter, die auf dem Schreibtisch lagen. Sie stand auf, um ihn abzuschalten, klaubte die Blätter vom Boden auf und strich eine Verknitterung glatt. Vor ihr lagen sämtliche Befunde, die Oskar nach seiner Bypass-Operation erhalten hatte. Auch die Rötgenaufnahmen hatte sie gesammelt. Sie legte eine davon in den Scanner. „Was meinst du dazu, Karl-Otto?“ Sie blickte zur neuen Urne und klatschte zwei Mal in die Hände. Beethovens Neunte erklang. Nun, wenn er schon nicht mit ihr reden wollte, dann konnte sie wenigstens seiner Urne Laute entlocken. Drei Spots beleuchteten ein silbernes Gefäß, das mit der Abschiedsszene aus Casablanca verziert war. Ein Lieblingsfilm Karl-Ottos. „Gefällt dir dein neues Zuhause nicht, weil du weiter schweigst?“ Sie lauschte. „Nichts kann man dir recht machen“, murmelte sie. Ein Klopfen an der Tür und Emmas Stimme, die Charlotte zur wöchentlichen Sitzung in ihr Zimmer aufforderte. Alle seien bereits versammelt, man warte nur noch auf sie, wo sie denn bleibe? Charlotte blickte zur Wanduhr, es war kurz vor drei. Sie ging zur Tür und sperrte auf. Seit wann sie abschließe, fragte Emma verwundert, es sei hellichter Tag. Der Überfall stecke ihr noch in den Knochen, meinte Charlotte. In Wahrheit wollte sie verhindern, dass einer ihrer Mitbewohner zufällig bei ihr 109
dass innerhalb des Smart-Home-Bereichs eine deutlich höhere Bandbreite bzw. Bitrate nutzbar ist als wenn man sich außerhalb der Wohnung befindet und sich dabei auch noch (zu Fuß oder im Auto) bewegt. Mit den verbesserten Übertragungstechnologien können neue Anwendungen ermöglicht werden. Abbildung 3.9 zeigt zukünftige SmartHome-Anwendungen wie beispielsweise die Realisierung eines Online-Arztbesuchs. Dabei ist zu bemerken, dass dieser jedoch keinesfalls die routinemäßigen Arztbesuche und damit den direkten Kontakt mit dem Arzt ersetzen soll, vielmehr wird auch bei kleineren »Wehwehchen« eine schnelle Hilfe – basierend auf gemessenen Vitalparametern – möglich sein. Weitere Anwendungen sind die auf elektronischer Tinte (E-Ink) basierende, sich stets aktualisierende Zeitung, der Schutz des Wohnbereichs vor Umwelteinflüssen (z. B. Fenster schließen sich bei einsetzendem Regen oder Sturm), die Übertragung von Statusinformationen oder neue Möglichkeiten der robusten Steuerung von Geräten mittels Sprache.
Besonders vielversprechend ist auch eine neue Forschungsrichtung, die durch die Begriffe »Ubiquituous Computing« und »Ambient Intelligence« gekennzeichnet ist und die derzeit im 6. Rahmenprogramm der EU propagiert wird (ISTAG 2003). Dabei geht es darum, dass der Mensch von unsichtbaren (oder nahezu unsichtbaren) Computern umgeben ist, die ihm wie ein aufmerksamer Butler zu Diensten sind, ihn beispielsweise an wichtige Termine erinnern und auf die der Benutzer ohne irgendwelche Computerkenntnisse zugreifen kann. 3.9 Fazit Entgegen dem weit verbreiteten Vorurteil von der Technikfeindlichkeit Älterer zeigen die Untersuchungsergebnisse im sentha-Projekt, dass dieser Personenkreis durchaus Interesse an neuen Technologien wie Smart-Home hat. Mit 54 Prozent findet die Mehrheit der Befragten Smart-Home für den eigenen Haushalt attraktiv (Böhm, Röhrig, Hampicke 2003). Hintergrund der positiven Bewertung sind die Vorteile, die sich die Zielgruppe von Smart-Home für
auftauchte und ihre Aktivitäten im Internet mitbekäme. Emma stellte sich auf die Zehenspitzen und blickte über Charlottes Schulter. Was sie da mache? Das Bild auf dem Computer sähe interessant aus, erinnere sie an eine Sumpflandschaft. Es würde etwas Ähnliches darstellen, sie werde es ihr später genau erklären, vertröstete sie Charlotte und schob sie zur Tür hinaus. Sie habe doch gesagt, dass alle bereits warten würden. Oh, ja, das habe sie glatt vergessen. Emma lief ihr voran, den Gang entlang. Isolde trommelte ungeduldig mit den Fingern auf das Fensterbrett, Ricardo hatte es sich auf der Couch gemütlich gemacht und las in einer Zeitung, als die beiden das Zimmer betraten. „Sollen wir nicht, solange Oskar im Krankenhaus ist, die Sitzungen verschieben?“, fragte Isolde. Nein, das käme nicht in Frage! Natürlich sei es für sie irritierend, dass Oskar fehle. Dennoch müsse bei ihrer Arbeit eine Kontinuität stattfinden, sonst würde sie aus dem Rhythmus kommen, erklärte Emma. Sie sollten rasch ihre Positionen beziehen, damit sie anfangen könne. Isolde ginge es doch nur darum, ihre Lieblingsserie, die gerade im Fernsehen lief, mitzuverfolgen, giftete Emma. Charlotte setzte sich zu Ricardo auf die Couch. Das stimme nicht, Emma sei nicht auf dem Laufenden, konterte Isolde, sie habe diese Folge längst im Internet gesehen. Sie wandte sich vom Fenster ab. Wann man das Kunstwerk denn endlich zu sehen bekäme? Unschlüssig blieb sie vor der Rückseite der Staffelei stehen. Emma hatte an den vier Außenkanten des großen, rechteckigen Bildes – horizontal – chinesische Essstäbchen angeschraubt, damit das weiße Laken, das es bedeckte und vor neugierigen Blicken schützte, die Ölfarbe nicht verschmierte. Sie solle sich endlich setzen, verlangte Emma. Erst, 110
E-Ink die aktuelle Zeitung Online Arztbesuch auf Basis gemessener Vitalparameter
Smart-Home Fenster schließt bei Regen automatisch
Senior Messen und Übertragen der Vitalparameter
Smart-Home Herd informiert über Status Sprachsteuerung Einfache Benutzung von Hausgeräten
Abb. 3.9: Zukünftige Smart-Home-Anwendungen
wenn sie ihre Position eingenommen habe, werde sie das Laken herunternehmen. Isolde nahm neben Ricardo Platz. Er beugte sich zu Charlotte. „Hast du mit dem Sanatorium Kontakt aufgenommen?“ Ja, sie habe am Vormittag angerufen und ein langes Telefonat geführt, erklärte Charlotte. Es gäbe eine Warteliste. Auf Reputation des Arztes, der Oskar behandle und ihr Bitten und Drängen hin, habe man versprochen, Oskar bald aufzunehmen. Aber sie habe das Gefühl, dass das Versprechen eine leere Floskel gewesen sei. Emma deutete Isolde, dass sie sich näher zu Ricardo setzen sollte. Kritisch betrachtete sie die DreierGruppe. Sie wolle sich nichts vormachen, meinte Charlotte. Man habe zwar einen Teil des Geldes, das das Privat-Sanatorium kosten werde, aber nicht genug, um den gesamten Aufenthalt bezahlen zu können. Die Einnahmen, die sie durch die Versteigerung im Internet bei ebay erzielten, wären nicht gerade üppig. „Das meiste ist ohnehin nur Ramsch. Wer braucht schon einen zehn Jahre alten Toaster, oder meine verstaubten Schellacks?“ Sie habe ihre schönsten Bilder angeboten, sagte Emma. „Die Menschen haben nicht das richtige Verständnis für deine Kunst. Ich schon!“, tröstete Isolde. Außerdem habe man doch erst mit dieser Aktion begonnen und müsse Geduld haben. Rom sei auch nicht an einem Tag erbaut worden, setzte sie nach. Sie solle sich diese Allgemeinplätzchen sparen, 111
ihre eigene Lebenssituation verspricht. Die größten Vorteile werden in mehr Komfort und Sicherheit, Alltagserleichterung, Zeitersparnis, besserer Informiertheit und zusätzlichen Anregungen gesehen. Natürlich bestehen auch Vorbehalte gegenüber Smart-Home. Befürchtet werden – wie allgemein bei Technologien, die neu auf dem Markt sind – hohe Anschaffungskosten, und es bestehen Bedenken hinsichtlich der Störanfälligkeit der Technik. Befürchtet wird aber auch eine Reduzierung sozialer Kontakte und steigende Passivität dadurch, dass die Technik dem Nutzer zu viele Aktivitäten abnimmt. Gerade diesen Befürchtungen muss mit attraktiven Anwendungen begegnet werden, wenn das Smart-Home erfolgreich sein soll. Starkes Interesse besteht vor allem an Anwendungen, die den Komfort verbessern und eine Alltagserleichterung darstellen, z. B. automatisches Schließen der Fenster bei Unwetter oder Regulieren der Heizkörper beim Öffnen der Fenster. Dazu wurden auch Anwendungen, die die persönliche Sicherheit sowie die Sicher-
heit der Wohnung erhöhen, als sehr attraktiv angesehen, z. B. Alarm-Weiterschaltung in Gefahrensituationen, Haustürüberwachung oder Sturzmelder. Entscheidend für die Akzeptanz der SmartHome-Systeme sind jedoch eine möglichst einfache Benutzungsoberfläche und eine extrem hohe Zuverlässigkeit (Hampicke, Rossdeutscher et al. 2002). Sollte dennoch ein System ausfallen, so ist sicherzustellen, dass die wichtigsten Funktionen (Türöffnung, Temperatur-, Lichtregelung etc.) auch manuell ausführbar sind; Notrufsysteme müssen auch dann funktionieren, wenn die (Netz-)Stromversorgung ausfällt, und Fehlbedienungen dürfen keine gravierenden Folgen haben. Die ergonomische Gestaltung darf aber nicht zu einer »Alten-Technik« führen, die sowohl den Nutzer als »alt« stigmatisiert als auch jüngere Nutzer abschreckt. Am erfolgreichsten wird in den meisten Fällen ein »Design for all« sein, und es stellt sich auch fast immer heraus, dass bei intensivem ergonomischem Bemühen, insbesondere aber durch
fuhr Charlotte sie an. Man müsse auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Oskar brauche das Geld so rasch wie nur irgend möglich. Ricardo räusperte sich. Es sei Vergeudung kostbaren Wohnraumes, dass nur das erste Stockwerk des Hauses benützt werde. Charlotte, irritiert durch den raschen Themenwechsel, stimmte ihm nur zögernd zu. Der Geruch nach Firnis stieg in ihre Nase. Sie blickte zur Staffelei, hinter der sich Emma verbarg. Ein leises Klirren ließ Charlotte vermuten, dass sie ihre Malpinsel, die in einem Glas steckten, säuberte und musste niesen. „Ich habe bereits in der Quizshow gesagt, dass ich die oberen Stockwerke renovieren lassen will. Vielleicht vertreibt das die bösen Geister, die in ihnen wohnen.“ Emma hob vorsichtig das Laken von den oberen chinesischen Essstäbchen. „Solange man sich erinnert, was da oben passiert ist, wird niemand einziehen. Außer ein paar Grufties.“ Emma faltete das Laken zusammen und legte es auf einen Beistelltisch. „Das ist doch lächerlich! Irgendwann muss damit Schluss sein!“, meinte Ricardo. „Und womit willst du den Umbau bezahlen?“ Emma lugte hinter der Staffelei hervor. „Es gibt Kredite für solche Zwecke“, meldete sich Isolde zu Wort. Charlotte solle sich bei ihrer Bank nach den Konditionen erkundigen. Sie winkte ab. Sie sei zu alt. Niemand würde ihr Kredit gewähren. „Du musst es darauf ankommen lassen. Versuch es wenigstens“, forderte Ricardo. Sie könne dabei nichts verlieren. Das sei alles blanker Unsinn. Charlotte erhob sich von der Couch. Selbst wenn sie einen Kredit be112
interdisziplinäres Zusammenwirken von Technikern, Medizinern, Psychologen und Soziologen optimale Lösungen für alle entstehen. Gleichzeitig zeigen die Beispiele, dass solche Lösungen individuell sein müssen, d. h. so zu gestalten sind, dass sie sich dem Menschen anpassen und nicht umgekehrt. Allerdings kann ein System technisch und in seiner Individualität noch so überzeugend sein; wenn es letztendlich vom Benutzer nicht angenommen wird, ist es wertlos. Damit wird die Akzeptanz zum Kernthema, das nur mit den Nutzern – also den älteren Menschen – gemeinsam bearbeitet werden kann. Keine noch so perfekte Technik kann die menschliche Kommunikation ersetzen. Aber das ist auch nicht ihr Zweck. Entscheidend ist, dass die Technik mit dazu beitragen kann, das eigene Leben zu meistern, ohne (ständig) auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Kommunikation ist dann nicht mehr notwendige Verpflichtung oder Zwang, sondern sie kann freiwillig erfolgen – wann immer sie von den Partnern gewünscht wird.
käme! Bis Geld aus der Vermietung fließen würde, müsste man lange warten, Jahre würden darüber vergehen. Diese Zeit habe Oskar nicht. Emma drückte Ölfarbe aus der Tube auf eine Holzpalette. Sie sei doch sonst nicht so schwer von Begriff, sagte Ricardo. Er kenne Charlotte doch. Wie oft habe sie sich ohne zu zaudern über Konventionen hinweggesetzt. Warum nicht auch jetzt? Sie war vor der kleinen Bildergalerie, links vom Fenster, angekommen und betrachtete unkonzentriert mehrere Portraits, die Emma von Menschen, die in der Knesebeckstraße wohnten, gemalt hatte. Was er damit meine? Sie wandte sich zu ihm. Die Couch knarrte, als Ricardo sich daraus erhob. Langsam ging er auf Charlotte zu. Der Mund in seinem Gesicht verzog sich zu einem Lächeln und unwillkürlich musste sie zurücklächeln. Man könne das Geld aus dem Kredit vorerst für die Behandlung von Oskar verwenden, es sozusagen umwandeln. Es sei doch für einen guten Zweck, meinte er. Wer wollte darüber richten? Seine Augen blitzten auf, verfärbten sich um eine Nuance dunkler und Charlotte musste an das Maskottchen denken. Er habe Recht, sagte sie, einen Versuch sei es allemal wert. Sie sollten sofort wieder ihre Plätze einnehmen, sonst könne das Gemälde nie fertig werden, beschwerte sich Emma. „Zum Kuckuck mit dem Scheißbild“, rief Charlotte und umarmte Ricardo. Gleich morgen, nachdem sie Oskar im Krankenhaus besucht habe, wolle sie zu ihrer Bank gehen. Er komme mit, bot Ricardo an. Charlotte lehnte dankend ab, das würde sie allein erledigen. 113
Als ich auf mein Zimmer zurückkehrte, fand ich eine Anzahl Nachrichten im Posteingang, E-Mails aus aller Herren Länder. Noch bevor ich eine der E-Mails öffnete und deren Inhalt las, bemerkte ich, dass ich vor Aufregung zitterte. Ich setzte mich in den Schreibtischsessel und blickte auf meine Hände. Die Finger zuckten, die Handflächen pulsierten. Das war mir beim Pokern nie passiert. Nolte hätte sich seinen Reim darauf gemacht, vermutet, ich hätte ein schlechtes Blatt. Ich saß etwa eine halbe Stunde lang da, ohne mich zu bewegen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, obwohl es jeglicher Grundlage entbehrte, in einer der E-Mails könnte Hilfe für Oskar stecken. Meinen paar Zeilen, in denen ich bat, mir bei der Suche nach einem passenden Spenderherz zu helfen, hatte ich sämtliche Befunde und Röntgenbilder von Oskar beigefügt und an Krankenhäuser und verschiedene medizinische Organisationen geschickt. Ich war erstaunt über die rasche Reaktion auf mein Schreiben. Innerhalb einer Stunde hatte ich jede Menge Antworten erhalten. Ich hatte etwa die Hälfte gelesen und mein Mut sank. Die meisten der Antworten stellten sich als Werbung für Medikamente und Aufrufe für finanzielle Unterstützung in privaten Notsituationen heraus. In einigen der E-Mails wurde ebenfalls nach einem Spenderorgan gefragt. Auf was hatte ich gehofft? Auf das Unmögliche, wie mir nun schien. Ich erhob mich und ging zum Spiegel, betrachtete mein Gesicht. Zwischen all die Falten schob sich eine halbmondförmige um den rechten Mundwinkel herum. Eine Trotzfalte, stellte ich fest, wie man sie bei Kindern sieht, wenn sie über einen nicht erfüllten Wunsch schmollen. 114
Ich klatschte zweimal in die Hände. Beethovens Neunte beruhigte mich ein wenig. Schlagartig war es im Zimmer dunkel geworden. Die Sonne war hinter dem gegenüberliegenden Haus verschwunden, es traf mit seinem Schatten das erste Stockwerk der My Fair Lady. Ich schaltete die Stehlampe neben dem Fauteuil ein und ging zum mittleren Fenster. Die Frau von gegenübertrat mit ihrer weißen Ratte, die auf ihrer Schulter saß, aus der Eingangstür des grün gestrichenen Hauses. Sie machte ihren gewohnten Abendspaziergang. Die Neunte verstummte. Ich schob die beiden Teile der schweren Samtgardinen vor das geöffnete Fenster und wiederholte das bei den anderen. „Kiek mal, Post ist da“, meldete sich die stereotype Stimme des Computers. Ein Klicken vom Kaminsims. Der Abschaltmechanismus, für Beethoven zuständig, erschreckte mich. Fast war ich der Meinung, Karl-Otto hatte mir ein Zeichen gegeben. Törichte alte Frau, schalt ich mich, ging zum Schreibtisch und öffnete die neu eingelangte E-Mail. Sie stammte von einem Arzt aus Amerika. Rasch überflog ich das Geschriebene. Mein Puls beschleunigte sich. Konnte der Arzt Oskar tatsächlich helfen? Ruhig! Bleib ruhig, Charlotte, redete ich mir zu. Die halbe Nacht über lag ich grübelnd im Bett. Es dämmerte, durch die Spalten der Gardinen konnte ich schmale Streifen von Sonnenlicht erkennen. Es floss wie goldene Bäche auf den Teppichen dahin, bewegte sich im Rhythmus des Windes, der die Seitenteile sacht aufbauschte. Ich hatte den unbändigen Wunsch, Oskar nahe zu sein. 115
4. Die sentha-Methode für die Konzeption seniorengerechter Produkte Hans-Liudger Dienel, Alexander Peine, Christine von Blanckenburg, Heather Cameron 4.1 Normative, strategische und operative Anforderungen Wie entstehen seniorengerechte Produkte und Dienstleistungen für die selbstständige Lebensführung im Alter? Im folgenden Kapitel werden die Bausteine einer neuen Methode für die Generierung neuer Produktkonzepte vorgestellt, welche die klassischen Methoden der Produktentwicklung, wie sie etwa von der Konstruktionsmethodik (Pahl/Beitz) seit den 1970er Jahren entwickelt wurde, nicht ersetzen, sondern ergänzen sollen. Die dort formulierten Konzepte für fertigungsgerechtes Konstruieren, umweltgerechtes Konstruieren, kostengünstiges Konstruieren, modulares Konstruieren und demontagegerechtes Konstruieren werden übernommen und auf diese Ansätze eine kreativitätsanregende Methode für die Generierung neuer Produkt- und
Dienstleistungskonzepte aufgesattelt. Die sentha-Methode ist ein Ansatz für die Konzeption von Produkten und Dienstleistungen, nicht für ihre Entwicklung. Ihr Ziel ist begrenzter als das der Produktentwicklung. Es geht nicht um die Entwicklung von Produkten, sondern von Produktkonzepten. Die hier vorgestellte Methode ist am Beispiel seniorengerechter Produktkonzepte entwickelt und in vielen iterativen Tests und Schleifen optimiert worden. Sie ist aber auf der strategischen und operativen Ebene im Prinzip auch auf andere Konsumgüter und Dienstleistungen übertragbar. Die Methode ist integrativ und offen für Beiträge aus unterschiedlichen Disziplinen. Sie gibt Hinweise und Handreichungen auf drei ganz unterschiedlichen Ebenen, der normativen, strategischen und der operativen Ebene. Mit der normativen Ebene sind die Leitbilder der Produktkonzeption angesprochen (siehe Kapitel 1). Die strategische Ebene beschreibt die aus diesen Leitbildern abgeleiteten »Charaktereigenschaften« der zu konzipie-
Ich klatschte zweimal in die Hände. Beethovens Neunte beruhigte mich ein wenig. Schlagartig war es im Zimmer dunkel geworden. Die Sonne war hinter dem gegenüberliegenden Haus verschwunden, es traf mit seinem Schatten das erste Stockwerk der My Fair Lady. Ich schaltete die Stehlampe neben dem Fauteuil ein und ging zum mittleren Fenster. Die Frau von gegenübertrat mit ihrer weißen Ratte, die auf ihrer Schulter saß, aus der Eingangstür des grün gestrichenen Hauses. Sie machte ihren gewohnten Abendspaziergang. Die Neunte verstummte. Ich schob die beiden Teile der schweren Samtgardinen vor das geöffnete Fenster und wiederholte das bei den anderen. „Kiek mal, Post ist da“, meldete sich die stereotype Stimme des Computers. Ein Klicken vom Kaminsims. Der Abschaltmechanismus, für Beethoven zuständig, erschreckte mich. Fast war ich der Meinung, Karl-Otto hatte mir ein Zeichen gegeben. Törichte alte Frau, schalt ich mich, ging zum Schreibtisch und öffnete die neu eingelangte E-Mail. Sie stammte von einem Arzt aus Amerika. Rasch überflog ich das Geschriebene. Mein Puls beschleunigte sich. Konnte der Arzt Oskar tatsächlich helfen? Ruhig! Bleib ruhig, Charlotte, redete ich mir zu. Die halbe Nacht über lag ich grübelnd im Bett. Es dämmerte, durch die Spalten der Gardinen konnte ich schmale Streifen von Sonnenlicht erkennen. Es floss wie goldene Bäche auf den Teppichen dahin, bewegte sich im Rhythmus des Windes, der die Seitenteile sacht aufbauschte. Ich hatte den unbändigen Wunsch, Oskar nahe zu sein. 115
4. Die sentha-Methode für die Konzeption seniorengerechter Produkte Hans-Liudger Dienel, Alexander Peine, Christine von Blanckenburg, Heather Cameron 4.1 Normative, strategische und operative Anforderungen Wie entstehen seniorengerechte Produkte und Dienstleistungen für die selbstständige Lebensführung im Alter? Im folgenden Kapitel werden die Bausteine einer neuen Methode für die Generierung neuer Produktkonzepte vorgestellt, welche die klassischen Methoden der Produktentwicklung, wie sie etwa von der Konstruktionsmethodik (Pahl/Beitz) seit den 1970er Jahren entwickelt wurde, nicht ersetzen, sondern ergänzen sollen. Die dort formulierten Konzepte für fertigungsgerechtes Konstruieren, umweltgerechtes Konstruieren, kostengünstiges Konstruieren, modulares Konstruieren und demontagegerechtes Konstruieren werden übernommen und auf diese Ansätze eine kreativitätsanregende Methode für die Generierung neuer Produkt- und
Dienstleistungskonzepte aufgesattelt. Die sentha-Methode ist ein Ansatz für die Konzeption von Produkten und Dienstleistungen, nicht für ihre Entwicklung. Ihr Ziel ist begrenzter als das der Produktentwicklung. Es geht nicht um die Entwicklung von Produkten, sondern von Produktkonzepten. Die hier vorgestellte Methode ist am Beispiel seniorengerechter Produktkonzepte entwickelt und in vielen iterativen Tests und Schleifen optimiert worden. Sie ist aber auf der strategischen und operativen Ebene im Prinzip auch auf andere Konsumgüter und Dienstleistungen übertragbar. Die Methode ist integrativ und offen für Beiträge aus unterschiedlichen Disziplinen. Sie gibt Hinweise und Handreichungen auf drei ganz unterschiedlichen Ebenen, der normativen, strategischen und der operativen Ebene. Mit der normativen Ebene sind die Leitbilder der Produktkonzeption angesprochen (siehe Kapitel 1). Die strategische Ebene beschreibt die aus diesen Leitbildern abgeleiteten »Charaktereigenschaften« der zu konzipie-
Im Haus knarrte es in allen Ecken und Enden, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Es atmet, finde ich, und beruhigt mich stets. Meine Mitbewohner schliefen noch, zumindest konnte ich keine Geräusche ausmachen, die darauf hindeuteten, dass einer von ihnen munter war. Ich schlich auf den Gang und weiter zu Oskars Zimmer, das sich zwischen dem Gemeinschaftsraum und dem Gästezimmer befand. Ich lächelte über mich. Wie ein Teenager, der etwas zu verbergen hatte, stahl ich mich in sein Zimmer. Seitdem Oskar im Krankenhaus war, hatte ich es erst einmal betreten. Er hatte mich gebeten, ihm eine Zahnbürste, Rasierzeug und den Roman, den er gerade zu lesen begonnen hatte, zu bringen. Und das kleine gerahmte Bild, das auf seinem Nachttisch stand. Es war eine zwanzig Jahre alte Fotografie, die einen Jugendlichen, seinen Sohn Eric, zeigte. Oskar sperrte seine Zimmertür nie ab, selbst dann nicht, wenn er das Haus verließ und auch nicht, als wir nach Köln gefahren waren. Nachdem ich die Tür geschlossen hatte, schaltete ich die Deckenbeleuchtung ein. Es lag nicht in meiner Absicht, in Oskars Zimmer herumzuschnüffeln und ich wusste, dass er mir das Eindringen in seine Privatsphäre verzeihen würde. Dennoch hatte ich ein schlechtes Gewissen, als ich mich nun umsah. Es war mir nie aufgefallen, dass in seinem Zimmer penible Sauberkeit herrschte. Vielleicht hatte er geahnt, dass er es einige Zeit nicht betreten würde. Sein Zimmer war spartanisch eingerichtet. In einem Bücherregal, links an der Wand, standen mehrere Bildbände über Wildkatzen. In einem Regal stapelten sich Ausgaben des National Geographic. 116
Normative Ebene
Strategische Ebene
Operative Ebene
salutogenetische Dimension fokusgruppenspezifische Dimension
selbsterlernende Dimension synergische Dimension
partizipative Dimension kooperative Dimension empathische Dimension
Abb. 4.1: Drei Ebenen und sieben Dimensionen der sentha-Methode
Eines der Regale war ausschließlich Belletristik vorbehalten. Viele dieser Hardcover-Romane waren abgegriffen; er besorgte sich die meisten davon in einem Secondhand-Laden. In der Mitte des Zimmers, auf einem großen, quadratischen Tisch, auf dem eine Spanholzplatte lag, war eine Zirkusmanege aufgebaut. Um sie herum kleine Wohnwagen und einige Käfige, in denen sich verschiedene Miniaturtiere befanden. Menschliche Figuren, aus Kunststoff gefertigt, standen, wie zufällig verstreut, auf dem Gelände und erweckten den Eindruck eines munteren Zirkuslebens. Grasbüschel aus Wollfasern, gesiebte Erde und Sand, bedeckten den Boden der Spanholzplatte. Auf ihr erhoben sich Sträucher und Bäume, die Emma aus Pappmaché gefertigt hatte. An der rechten Wand, auf einer Kommode, lagen zwei Fotoalben. Vorsichtig klappte ich eines davon auf. Ich sah einen kleinen Jungen, einmal im Sandkasten spielend, dann auf einem Schaukelpferd. Auf einem anderen Foto beugte sich der Junge über eine Torte mit brennenden Kerzen. Eric, vierter Geburtstag, stand darunter geschrieben. Oskar war 37, als sein Sohn geboren wurde. Er sei ein alter, überängstlicher Vater gewesen, hatte er mir einmal gesagt, er war stets darauf bedacht, nichts Falsches zu machen, dem Kind nicht zu schaden. Was konnte der Auslöser für diesen bösen Streit gewesen sein, fragte ich mich zum wiederholten Mal. Ich warf einen Blick in das andere Album. Zeitungsausschnitte über den spektakulären Angriff Nataschas klebten darin, dazwischen Fotos, die Oskar in seiner Jugend zeigten. Auf keinem einzigen war seine verstorbene Frau abgebildet. 117
renden Produkte und Dienstleistungen (Beispiele in Kapitel 3). Die operative Ebene beschreibt die konkreten Arbeitsweisen für die Produktkonzeption. Die Leitbilder der normativen Ebene sind in der Einleitung dieses Buches bereits gewürdigt worden. Die strategische Ebene wird im siebten Kapitel über die Kriterien für die Produktbewertungen im Learning-Home wieder aufgegriffen und konkretisiert. Dieses Kapitel wird sich deshalb nach einer Beschreibung der wichtigen Dimensionen der drei Ebenen vor allem auf die Darstellung der operativen Ebene und ihrer Dimensionen konzentrieren. Jede der drei Ebenen der sentha-Methode hat mehrere Dimensionen für die konzeptionelle Arbeit. Dadurch wird unterstrichen, dass auf jeder Ebene mehrere Perspektiven notwendig und sinnvoll sind. In der konkreten Arbeit ist dabei die operative Ebene dominant. Dies soll auch durch die Ausweisung von drei Dimensionen deutlich werden. Die Beschreibung und Definition der sieben Dimensionen der Methode erfolgte über meh-
rere Jahre und iterativ. Bausteine der Methode wurden vorformuliert und im Rahmen der zyklisch verlaufenden Produktkonzeptentwicklung getestet und optimiert. Die Erfahrungen aus der Entwicklung konkreter Produktkonzepte flossen in die Gestaltung der Methode zurück. In der jetzigen Form stellt die sentha-Methode keine rezeptartige Sammlung von Vorgehensweisen dar, sondern einen Bezugsrahmen aus sieben Dimensionen auf drei Ebenen, aus denen Leitlinien für die Entwicklung seniorengerechter Produkte deutlich werden. Die normative Ebene der sentha-Methode macht Aussagen über die Aufgaben von Produkten und über die Produktziele. Sie dient als Maßstab für die Bewertung von Produkten und Produktideen im Hinblick auf Produktaufgaben. Die normative Ebene macht keine Aussagen über konkrete Produkteigenschaften. Die normativen Ziele müssen daher in strategische Ziele übersetzt werden, die angeben, welche Produkteigenschaften die normativen Ziele verwirklichen. Normative und strategische Ziele stehen damit in einer hierarchischen Bezie-
Ich setze mich auf sein Bett, halte das Kopfkissen hoch und rieche daran. Das herbe After Shave, das er verwendet, hängt darin. In diesem Moment wird mir bewusst, wie sehr er mir fehlt. Und, dass ich bereit bin, alles zu unternehmen, um ihn noch lange an meiner Seite zu haben. Ich lege meinen Kopf auf das Kissen, vergrabe mich darin. Mir ist, als könnte ich Oskar spüren, seine Hand, die zärtlich über meine Wange streicht. Wundervolle Momente, die ich niemals missen will. Meine Gedanken verwirren mich, schlagen Purzelbäume in meinem Kopf. Ein Fensterflügel stieß gegen den Rahmen, ich schreckte auf. Oskar? Enttäuscht stellte ich fest, dass ich allein im Zimmer war. Schlaftrunken erhob ich mich, blickte auf die Ausbuchtung, die mein Kopf auf dem Kissen hinterlassen hatte. Es schmerzte mich, dass der zweite Abdruck darauf fehlte. Ich hob das Kissen an, wollte es ausschütteln, hielt inne. Ein in Leinen gebundenes Büchlein kam zum Vorschein. Ich klappte es auf und erkannte Oskars Handschrift. Das Büchlein enthielt seine persönlichen, mit Datum versehenen Aufzeichnungen. Die Versuchung war groß, darin zu lesen. Rasch schloss ich es, legte es auf seinen Platz zurück und bettete das Kissen darüber. Kurz vor sieben Uhr morgens überquerte ich den Gang zum Badezimmer. Ricardo war bereits munter. Ich hörte ihn aus der Küche, die mit dem Gemeinschaftsraum verbunden war, pfeifen. Geklapper von Tellern und Tassen. Er erbarmte sich des Geschirrspülers. Isolde hatte sich gestern geweigert, ihn auszuräumen, hatte behauptet, an Rückenschmerzen zu leiden. 118
hung zueinander: Die strategischen Objekte sind Mittel, um die normativen Ziele umzusetzen. Strategische Ziele wiederum machen noch keine Aussage darüber, durch welches Vorgehen sie verwirklicht werden können. Für diesen Zweck werden strategische Ziele in operative Ziele übersetzt, die Hinweise für den Prozess der Produktkonzeptionierung liefern. Operative Ziele stehen dabei wiederum in einem hierarchischen Verhältnis zu den strategischen Zielen: Sie sind operative Leitlinien, mit denen sich die strategischen und normativen Ziele verwirklichen lassen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die sentha-Methode auf normativen (was wollen wir?) wie strategischen (was heißt das für die Produktkonzepte?) Leitlinien beruht, die in insgesamt vier Dimensionen ausgedrückt und in drei operativen Dimensionen umgesetzt werden.
4.2 Normative Dimensionen: salutogenetische und fokusgruppenspezifische Leitbilder Die salutogenetische Dimension und die fokusgruppenspezifische Dimension beschreiben die neuen Leitbilder einer seniorengerechten Technik, wie sie in der Einleitung schon angesprochen wurden. Die salutogenetische Dimension der sentha-Methode fordert, sich an Stärken, Bedürfnissen und Wünschen von Senioren zu orientieren (ressourcenorientierter Ansatz), nicht an deren Schwächen (defizitorientierter Ansatz). Der Begriff der Salutogenese kommt aus den Gesundheitswissenschaften. Im Gegensatz zu der Pathogenese, die Krankheiten thematisiert, um sie zu verhindern bzw. zu heilen, will die Salutogenese gezielt Gesundheit und Wohlbefinden fördern. Dem salutogenetischen Ansatz entsprechend sollen Produkte für neue, lebenserfüllende Aufgaben von und für Senioren konfiguriert werden. Die so entstehenden seniorengerechten Produkte unterstützen damit eher die starken Seiten des »neuen Al-
Emmas Seidenstrümpfe hingen über der Wanne. Wieder einmal. Dabei bot der Raum, in dem die Waschmaschine aufgestellt war, genügend Platz zum Trocknen der Wäsche. Ich seufzte. Konnte oder wollte sie sich das nicht merken? Bestimmt tat sie es nicht, um mich zu ärgern, beruhigte ich mich. Meine Morgentoilette erledigte ich in Rekordzeit, ich gönnte mir heute nur eine kurze Dusche. Trotzdem war der Spiegel beschlagen und ich beschloss, in mein Zimmer zu wechseln, um meine Haare in Form zu bringen. Ich verließ das Badezimmer und sah gerade noch einen Zipfel von Emmas Arbeitsmantel auf dem Treppenabsatz zum zweiten Stockwerk aufblitzen. Ich wusste, dass Emma Angst hatte und es nie betrat. Sie behauptete, Schreie einer Frau gehört zu haben. Isolde lachte sie aus. Dennoch vermieden es beide, nach oben zu gehen. Als ich einmal, auf dem Weg zum Dachboden, den Gang des zweiten Stockwerks betrat, sah ich, dass Teile der Stukkatur, die die Wände verzierten, auf den Boden gefallen waren. Es war gefährlich, hierherzukommen. Ich schürte Emmas Furcht, indem ich erzählte, des Nachts Schritte über meinem Zimmer zu hören und hoffte, damit auch die anderen Bewohner von einer Exkursion nach oben abzuhalten. Ich nahm den grünen Seidenhosenanzug aus dem Schrank und hängte ihn auf den Haken, der sich an der Wand, rechts von meinem Spiegel, befand. Gestern, vor unserer Sitzung bei Emma, hatte ihn 119
ters«: Zeit und Muße, aber auch einen gesicherten sozialen Status und Experimentierfreudigkeit (zum Konzept der Salutogenese: Bengel, Strittmatter & Willmann 2002). Doch dies gilt auch für kranke, schwache und in unterschiedlicher Weise eingeschränkte Senioren. Die fokusgruppenspezifische Dimension lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass sentha-Produkte spezifisch für Senioren, für einzelne Gruppen von Senioren/innen oder auch den einzelnen älteren Menschen mit seinen ganz besonderen Vorlieben und Wünschen sind. Dieser Ansatz wendet sich von dem »Design for all«-Prinzip ab. Bei dem fokusgruppenspezifischen Ansatz handelt es sich um eine Nischenorientierung, die ausdrücklich die besondere Situation von Senioren berücksichtigt. Die deutsche Volkswirtschaft ist besonders leistungsstark bei nutzungsgerechten Produkten, etwa im Spezialmaschinenbau. Spezialprodukte, wie Lachsschneidemaschinen oder Apfelsinenpflückzangen, kommen typischer-
weise aus deutscher Produktion. Sie ist aber weniger erfolgreich bei nutzergerechten Produkten. Bei dem Sich-Hineinversetzen in ganz individuelle Bedürfnisse unterschiedlichster Kundengruppen gibt es noch Nachholbedarf. Doch in den letzten Jahren nimmt die Bedeutung der fokusgruppenspezifischen Produktentwicklung zu, nicht zuletzt, weil die Lebensformen in vielen modernen Gesellschaften wieder stärker auseinanderfallen. Während Soziologen in den 1960er Jahren die »nivellierte Mittelstandsgesellschaft« (Kersig 1961) beschrieben, für die ein »Design for all« Sinn machte, sind seither die »feinen Unterschiede« (Bourdieu 1982) und die Macht der Identität (Castells 1998) wieder wichtiger geworden und bestimmen die Produktwahl. Das Leitbild der fokusgruppenspezifischen Produktkonzeption führt direkt zu den operativen Dimensionen, zu Befragungen, teilnehmender Beobachtung, Usability-Tests und Partizipation. Anbieter von Produkten und Dienstleistungen werden durch die fokusgruppenspezifische Dimension aufgefordert zu überlegen, ob und
Max aus der Putzerei geholt und mir vorbeigebracht. Bei der Quizshow hatte mir der Seidenhosenanzug nur bedingt Glück gebracht, aber ich wollte ihm noch eine Chance geben. „Guten Morgen, Charlotte“, schnorrte die Männerstimme aus der Pillendose. Ich griff danach und öffnete sie. „Ich wünsche dir einen schönen Tag“, war zu hören. „Das wird sich erst herausstellen“, entgegnete ich und nahm eine Vitamintablette heraus. Rasch schlüpfte ich in die Kleidung. Ich solle Oskar grüßen lassen, er werde ihn am Nachmittag besuchen. Ricardo drückte mir ein Stück Kuchen in die Hand, sagte, den habe Gertrud gebacken und verschwand wieder in der Küche. Ich lief den Gehweg zur U-Bahn entlang. Der Professor war nicht auf seinem Platz, ich sah unter die Bank neben dem Ticket-Entwerter. Das Gepäck war verschwunden. Er hatte offenbar sein Depot an einen anderen Ort verlegt. Während der ganzen Fahrt ins Krankenhaus musste ich an den amerikanischen Arzt denken, der mir diese vielversprechende E-Mail geschickt hatte.
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welche speziellen Zielgruppen neu angesprochen werden können, und zugleich angeregt, nach speziellen Produkt- und Dienstleistungssegmenten zu suchen, die neu für spezifische Zielgruppen älterer Menschen entdeckt werden können, etwa Spiele für Senioren. Die salutogenetische Dimension ist eine Aufforderung, nach neuen Aktivitäten, Aufgaben, Chancen, Sinnstrukturen und Potenzialen für das Leben älterer Menschen zu suchen und die dazugehörigen Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. 4.3 Strategische Dimensionen: selbstlernende und synergische Produkte Die beiden strategischen Dimensionen, die Forderungen nach selbstlernenden und nach synergischen Eigenschaften, beschreiben den Charakter der zu konzipierenden Produkte und Dienstleistungen. Die selbstlernende Dimension konkretisiert die Anforderung an die Flexibilität, Veränderungsfähigkeit, ja Lernfähigkeit von Produkten. Diese Charakterisierung bezieht sich bei se-
niorengerechten Produkten z. B auf das Mitwachsen bzw. Mitschrumpfen von Produkten, etwa Möbeln, denn die Ansprüche von Senioren an die Größenverhältnisse ändern sich mit zunehmendem Alter. So brauchen Hochbetagte mit zunehmendem Alter weniger hohe Schränke, aber oft höhere Stühle. An diesem Beispiel kann deutlich werden, wie seniorengerechte Produkte die veränderten Wünsche und Bedürfnisse von älteren Menschen nachvollziehen sollten. Stellen wir uns z. B. einen Senior vor, dem Baden viel Freude macht. Er wird deshalb vielleicht an seine Badewanne Ansprüche formulieren, die auf höchsten Komfort zielen. Für diesen Senior müssen wir jedoch auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass ihm das Besteigen seiner Badewanne zunehmend schwerer fallen wird. Im Sinne der Leitlinien geht es nicht darum, die Gestaltung einer Badewanne an der Möglichkeit eines solchen Defizits auszurichten. Vielmehr sind die hohen Komfortansprüche maßgebend (ressourcenorientiert). Die selbstlernende Dimension betont in diesem Zusammenhang, dass
...zweifelhafte Angebote... Sie müsse ihn dringend sprechen, hielt Charlotte Doktor Rubinstein auf, der gerade ein Krankenzimmer betreten wollte. Was es denn so Wichtiges gäbe? Das müsse sie ihm in Ruhe erzählen, meinte sie. In einer halben Stunde hätte er Zeit, sie solle in das Zimmer am Ende des Ganges kommen, sie könne es nicht verfehlen, ein Schild mit seinem Namen sei darauf befestigt. Rote, mit Helium gefüllte Ballons in Herzform hingen wie Blutstropfen von der Decke des Krankenzimmers. Samira saß an Oskars Krankenbett, erhob sich, als Charlotte eintrat. Er freue sich, sie zu sehen. Oskar streckte ihr seine Hand entgegen. Sie wirke aufgekratzt, unternehmungslustig, fand er. Wie ihr die Ballons, ein Geschenk Samiras, gefielen? Wunderschön, sagte Charlotte, mit ihren Gedanken abwesend. Doktor Rubinstein hatte die Unterlagen, die Charlotte vom amerikanischen Arzt aus dem Internet erhalten hatte, auf dem Schreibtisch ausgebreitet. Jedes Blatt hatte er genau durchgelesen. Nervös saß sie vor ihm und wartete auf seine Reaktion. Lange betrachtete sie einen zierlich wirkenden, aus Glas gefertigten Gegenstand, der vor ihr auf dem Tisch stand. Er stellte ein Herz dar, mit Silberfäden durchzogen. Das Sonnenlicht, das von ihnen reflektiert wurde, erweckte in Charlotte den Eindruck, als sei es lebendig. 121
Vor kurzem sei ein Mann aus Österreich zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er eine seiner Nieren im Internet zur Transplantation angeboten habe, sagte Doktor Rubinstein unvermittelt. Er verstehe, dass sie keine Möglichkeit auslassen wolle, um Herrn van Horn zu helfen. Wenn man verzweifelt sei, würde man nach jedem Strohhalm greifen. Und wenn man jemanden so liebe, wie sie Oskar, könne der Realitätsanspruch leicht verloren gehen. Aber er habe sie als Frau kennen gelernt, die sich nichts vormachen ließe und wolle ehrlich zu ihr sein, sich kein Blatt vor den Mund nehmen. Die Behauptung des amerikanischen Arztes, innerhalb weniger Wochen ein passendes Spenderorgan aufzutreiben, sei absurd. Sie solle ihren gesunden Menschenverstand walten lassen. Was sie sich vorstelle? Auch dieser Arzt könne nicht zaubern, nicht so ohne weiteres über ein Potenzial an Organen verfügen, höchstens, wenn sie illegal angeboten würden. Kriminelle Geschäftemacherei! Möglicherweise müsse ein anderer Mensch sterben, um Herrn van Horn ein neues Herz einpflanzen zu können. Charlotte spürte Übelkeit aufsteigen. Es würgte sie derart im Hals, dass sie aufsprang und zur Toilette rannte. Sie schaffte es gerade noch, die Klomuschel zu erreichen und sich zu übergeben. Galle in ihrem Mund. Sie spülte mehrere Male über dem Waschbecken aus. Das schale Gefühl, das sich in ihr festgesetzt hatte, ließ sich dadurch allerdings nicht vertreiben. 122
Defizite als Eventualitäten mitberücksichtigt werden. Selbstlernende Produkte sind entsprechend den Präferenzen und Potenzialen von Senioren gestaltet, bleiben aber anpassbar, falls diese Präferenzen und Potenziale sich verändern. Die synergische Dimension bezieht sich auf das Zusammenspiel von Produkten (und Dienstleistungen), etwa von verschiedenen technischen Komponenten in einem Haushalt und seiner Umgebung. Produktkonzepte im Sinne der synergischen Dimension sollen sich im System und im Zusammenspiel ergänzen, so dass sie zusammen mehr sind als die Summe der Einzelteile. Die Forderung richtet sich zum einen auf Systemkompatibilität, zum anderen auf gegenseitige funktionale Stärkung. Dies bezieht den älteren Menschen mit ein. Synergische Produkte sollen ihn funktional stärken, seine Fähigkeiten optimal unterstützen und erweitern. Bleiben wir beim Beispiel der Badewanne: Unser Senior würde sich bei seinem täglichen Badevergnügen wesentlich wohler fühlen, wenn er auf ein System zurück-
greifen könnte, mit dem er im Falle eines Notfalls Hilfe herbeiholen kann. Ein solches System wäre zwar defizitorientiert gestaltet, es ergänzt jedoch andere salutogenetische Produkte. Die synergische Dimension betont damit die Tatsache, dass Produkte immer auch in Verbindung zueinander gesehen und gestaltet werden müssen, um im Zusammenspiel den normativen Leitlinien (sowohl der salutogenetischen als auch der fokusgruppenspezifischen Dimension) zu genügen. 4.4 Operative Dimensionen: partizipative, kooperative und empathische Arbeitsweisen Die genannten Produktanforderungen führen uns zu Anforderungen an die Art und Weise der Produktkonzeption, die in der sentha-Methode in drei Dimensionen für die operative Gestaltung einer seniorengerechten Produktentwicklung verdichtet wurden: die partizipative Dimension, die kooperative Dimension und die empathische Dimension. Im Gegensatz zu den ersten vier Dimensionen sind sie konkre-
Sie verließ die Toilette. Langsam ging sie den Gang entlang auf den Hinterausgang des Krankenhauses, der in einen Garten führte, zu. Sie wollte ein wenig an der frischen Luft sein, sich beruhigen, bevor sie Oskar wieder gegenübertrat. Ihr sei schrecklich heiß, sagte sie zu Oskar, als sie sein Zimmer betrat. Er reichte ihr ein Taschentuch. Sie tupfte damit über ihre Stirn. Er habe eine gute Nachricht für sie. Die Luftballons tanzten, kratzende Geräusche vonsichgebend, einen Kreis auf der Decke, beflügelt durch den Luftzug des geöffneten Fensters. Samira sei zum Nachmittagsunterricht gegangen, sagte Oskar. Charlotte zählte die Luftballons. Es waren achtzehn. Oskar lächelte. Die achtzehn habe ihr doch immer Glück gebracht, wie es scheine, nun auch ihm. Charlotte runzelte die Stirn. Was für eine gute Nachricht er meine? Oskar setzte sich im Bett auf, sie schüttelte das Kopfkissen zurecht und schob es unter seinen Rücken. „Doktor Rubinstein war gerade hier.“ Er dachte, auch Charlotte anzutreffen. Diesen Briefumschlag habe er für sie hinterlassen. Oskar beäugte ihn neugierig. Prospekte über alternative Medizin, sagte sie, nahm den Briefumschlag an sich und steckte ihn in die Tasche. Er solle endlich erzählen, verlangte sie forsch. In einer Woche könne er ins Privat-Sanatorium, habe der Doktor ihm eröffnet. Er habe ihn überzeugt, 123
ter, pragmatischer und umsetzungsfreundlicher. Sie beschreiben Verfahren, Methoden und Vorgehensweisen. Die partizipative Dimension skizziert Verfahren der Beteiligung unterschiedlicher Perspektiven an der Produktkonzeption. Konkret beschreibt sie Möglichkeiten der Beteiligung externer Akteure, also speziell der Nutzer/innen, an der Produktkonzeption. Wesentliches Merkmal der Partizipation ist dabei die aktive Wissenszulieferung der partizipierenden Partner. Die kooperative Dimension zielt auf die Anpassung des Entwicklungsprozesses an die Potenziale der Akteure auf der Anbieterseite. Es geht um eine interne Kooperation, d. h. um die Zusammenarbeit potenziell konkurrierender Kooperationspartner. Neue motivierende Verfahren des Kooperationsmanagements sind für die kooperative Dimension besonders wichtig. Die empathische Dimension beschreibt Methoden der Einfühlung in den Lebenskontext der Zielgruppe (also der Senioren). Die eingesetzten Verfahren dienen dazu, Wünsche, Ängste, Lebensstile und Ziele von Senioren
durch teilnehmende Beobachtung und qualitative Methoden zu eruieren. Wesentliches Merkmal der Empathie ist die passive Wissenslieferung der beobachteten Partner, etwa indem sie vor Ort beobachtet werden. 4.4.1 Partizipative Dimension Die partizipative Dimenion der sentha-Methode zielt auf die aktive Einbindung prospektiver Nutzer/innen und weiterer Beteiligter in die Produktkonzeption. In vielen Versuchsläufen hat die Forschergruppe sentha eine Reihe von partizipativen Verfahren für Produktkonzeptionen ausgewählt oder neu entwickelt und mit dem Ziel getestet, mehr kreatives Potenzial in die Konzeptionsphase zu integrieren und die Akzeptanz der neuen Produktkonzepte bei den prospektiven Nutzern zu erhöhen. Wir können davon ausgehen, dass in den Unternehmen, die seniorengerechte Produkte und Dienstleistungen herstellen (könnten), viele gute Ideen verkümmern, weil sie nicht systematisch aufgegriffen, gefördert und mit professioneller Expertise angereichert und entwickelt werden.
dass ihm, mit den dort angewandten neuen Behandlungsmethoden, geholfen werden könne. Oskar sah sie unsicher an. Wie es mit der Bezahlung aussähe? Darüber müsse er sich keine Sorgen machen, sagte Charlotte. Die Versteigerung im Internet habe jede Menge Geld gebracht, log sie und verschwieg, dass den wertlosen Plunder, den sie angeboten hatten, niemand kaufen wollte. Lediglich fünf Bilder Emmas hatten Abnehmer gefunden, aber nur wenig Geld eingebracht. Oskar war sichtlich erleichtert. Er lachte, griff nach ihrer Hand, zog Charlotte zu sich. Man könne doch gemeinsam nach Kuba fahren, wenn er aus dem Sanatorium zurückkäme, grinste er. „Wieso nach Kuba?“ Charlotte sah ihn verständnislos an. Es sei doch ein großer Wunsch von ihr, oder täusche er sich? Er wisse zwar, dass sie in der Quizshow gemogelt habe, als sie behauptet habe, mit Karl-Otto in Kuba gewesen zu sein. Aber er vermute, dass ein Funke Wahrheit, ein wenig Sehnsucht, in ihrer Aussage stecke. Lügen haben kurze Beine, würde Isolde altklug daher zitieren, ging es ihr durch den Kopf. Es war genug Zeit seit der Quizshow verstrichen, ihre damalige Lüge hatte sie dennoch, so kurz die Beine auch sein mochten, eingeholt. „Ja, warum nicht nach Kuba“, sie habe schon immer Fidel Castro kennenlernen wollen, schmunzelte sie. Er habe nicht gewusst, zog er sie auf, dass sie sich für Fidelismus interessiere. Nein, winkte Charlotte ab, sie habe nichts mit dem praktizierten Marxismus-Leninismus am Hut, würde sie sonst ein Haus besitzen? 124
Eine entscheidende Schnittstelle für neue Ideen ist der Kundenkontakt. Bei Investitionsgütern hat die enge Zusammenarbeit mit Kunden und der Rückfluss von Kundenbewertungen und Kundenwisssen in die Produktentwicklung in Deutschland Tradition, auch wenn es auf diesem Feld noch viel zu tun gibt. In der Zusammenarbeit mit Endkunden sind die Defizite dagegen größer. Die partizipative Dimension geht über die bloße Befragung und Beobachtung von Senioren/innen zu verschiedenen Dienstleistungen und Produkten weit hinaus. Sie fordert Verfahren, in denen Senioren/innen aktiv an der Konzeption, Gestaltung und Erprobung von Produkten beteiligt werden. Damit Senioren zur Partizipation in den verschiedenen Phasen des Entwicklungsprozesses befähigt werden, müssen sie in die allgemeine Thematik eingeführt und mit den technologischen Möglichkeiten bekannt gemacht werden. Partizipative Arbeitsweisen bieten neue Verfahren, um das Wissen, die Ideen und Vorbehalte von Kunden und weiteren Akteuren im
Sinne einer gesellschaftsgerechten Produktentwicklung in die Produktkonzeption einzubinden. Manche Verfahren der Nutzerintegration in die Produktentwicklung beziehen sich auf die Bewertung fertiger Produkte. Wichtiger aber ist die proaktive Beteiligung und Integration von der Konzeptionsphase bis zur Nachnutzung. Für die partizipative Produktentwicklung ist der Blick auf Beteiligungsverfahren im gesellschaftlichen und politischen Raum lohnend, denn hier sind in den letzten 25 Jahren viele neue Verfahren vorgelegt worden, die sich auf die Produktentwicklung übertragen lassen. Einige der unten skizzierten Verfahren erleichtern und fördern die wichtige, kontinuierliche Mitwirkung der Beteiligten über die Formulierung der Anfangsidee hinaus. Dazu gehören Planungszellen, Appreciative Inquiry, Rapid Appraisal, Planing for Real, Open Space, Bürgerausstellungen und Konsensuskonferenzen (Ley 2003).
Schade finde sie, dass Che Guevara nicht mehr am Leben sei. Seine schillernde Persönlichkeit habe sie stets fasziniert. Sie habe sich vor Jahren ein T-Shirt, auf dem der große Che abgebildet sei, gekauft. Auf was für Ideen sie käme, meinte Oskar. Er habe geglaubt, sie gut zu kennen. Nun überrasche sie ihn mit einer unbekannten Seite. Und wenn man schon in Kuba sei, könne man Nolte eine Kiste Zigarren mitbringen. Oskar hob tadelnd seinen Zeigefinger. Das solle sie sich ja nicht unterstehen, schalt er sie. Die Direktorin der Bank hieß Charlotte mit den Worten, sie habe sie in der Quizshow gesehen, willkommen und gratulierte ihr überschwänglich zum Gewinn. Selbstverständlich werde sie gern behilflich sein, das Geld bestmöglich anzulegen, sagte sie. „Nun“, kam es zögernd von Charlotte, „ich habe bereits Vorstellungen darüber, wie ich es investieren will“. Die Direktorin lächelte sie an. „Hören Sie sich erst an, was ich Ihnen vorzuschlagen habe, Sie können dann in Ruhe entscheiden, was Sie mit Ihrem Geld machen wollen“. Sie bat sie in ihr Arbeitszimmer. Langsam folgte Charlotte. Leise, klassische Musik füllte den klimatisierten Raum. Charlotte setzte sich, stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch und blickte zur Direktorin, die ihr verschiedene Möglichkeiten, die 16.000 Euro zu vermehren, unterbreitete. Charlotte durchquerte mit zornrotem Gesicht den Kassenschalter, lief auf den Ausgang zu. Ihr Kopf 125
Beteiligungsverfahren aus dem politischen/gesellschaftlichen Raum: Kennzeichen des Verfahrens Planungszelle: – Klare Aufgabenstellung durch Auftraggeber, Unabhängige Moderation – Zufallsauswahl der Teilnehmer/innen, Experten werden als Referenten geladen – Teilnehmer/innen diskutieren sodann in Kleingruppen ohne Experten – 25 Teilnehmer pro Planungszelle. Mehrere parallele Planungszellen möglich/üblich – Dauer: 2 bis 4 Tage – Ergebnisse werden als Gutachten dem Auftraggeber übergeben Kennzeichen des Verfahrens Zukunftswerkstatt: – Offene Aufgabenstellung, ausgehend von Kritik an bestehenden Zuständen – Kritik-, Phantasie- und Realisierungsphase (Kritik aus der ersten Phase wird positiv umformuliert und in die Zukunft transportiert) – Teilnehmer/innen können per Zufall oder gezielt ausgewählt werden (das Verfahren
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ist auch für interne Beteiligung geeignet) 5 bis 200 Teilnehmer/innen Dauer: 3 Stunden bis 1 Woche Ergebnisse sollen durch Teilnehmer/innen umgesetzt werden (Nimm Deine Zukunft in die eigene Hand)
Kennzeichen des Verfahrens Open Space: – Offene Erörterung eines vom Veranstalter bestimmten Themas – Teilnehmer/innen werden durch Veranstalter breit eingeladen – Kurze Einführung in Problem – Größtmöglicher Spielraum, um eigene Ideen zu entwickeln – 20 bis 2000 Teilnehmer/innen – Dauer: 4 Stunden bis 3 Tage – Gemeinsame Verabredung weiterer Schritte am Ende des Verfahrens Kennzeichen des Verfahrens Bürgerausstellung: – Konkrete Bewertung eines vom Veranstalter bestimmten Themas
schwirrte noch von den vielen Vorschlägen, die die Direktorin ihr aufgezählt hatte. Aktienpakete und Investmentfonds türmten sich um Charlotte. Eine Beteiligung an einem Reitstall oder einer Kindertagesstätte, bis hin zu einer kleinen Investition bei einer neu gegründeten Ökoladenkette, hatte sie als krisensicher angepriesen. Natürlich dürfe sie sich von 16.000 Euro keine allzu große Rendite erwarten, doch ihr monatliches Einkommen werde es allemal „auffetten“. Ihr Redefluss wurde durch ein Telefonat unterbrochen. Als sie auflegte, platzte es aus Charlotte heraus. Sie wolle einen Kredit. Die Direktorin sah sie verwundert an und wollte wissen, wofür sie ihn benötige. Charlotte leierte die Sätze, die sie sich eingelernt hatte, rasch herunter. „Selbstverständlich“, sagte die Direktorin, „ein Kredit, um Renovierungsarbeiten zu finanzieren, ist absolut kein Problem“. Außerdem werde das Haus dadurch aufgewertet. „Sie beweisen Mut. Haben Sie sich vor Augen geführt, dass dieses Unterfangen sehr nervenaufreibend und langwierig ist? Und denken Sie daran, was sich in den beiden Stockwerken abgespielt hat. Das ist noch nicht vergessen.“ „Hört das nie auf! Weiß das ganz Berlin?“ Außerdem, meinte die Direktorin, müsse sie darauf hinweisen, dass ihre Bank auf die fallende Konjunktur reagiert habe. Sie müsse ein Gutachten über die Bausubstanz und detaillierte Kostenvoranschläge für die Renovierung des Hauses erstellen lassen. Die Rechtsabteilung würde alles prüfen. Aber das sei eine reine Formsache. „Wann kann ich mit dem Geld rechnen?“ 126
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Teilnehmer/innen werden vom Veranstalter ausgewählt Unabhängige Moderation interviewt und fotografiert Teilnehmer/innen Position der Teilnehmer/innen wird in Form einer Ausstellung (Fotos/Zitate) präsentiert Breite Diskussion der Ergebnisse nach Eröffnung der Ausstellung
Die sentha-Forschergruppe hat die Übertragbarkeit dieser Verfahren erforscht, aber nur in Ansätzen Testläufe praktiziert. In praktischen Testläufen für die Produktkonzeption sind insbesondere folgende partizipative Verfahren erprobt worden: Seniorenbeirat Über vier Jahre begleitet ein personell stabiler (und zugleich für gelegentliche Neuzugänge offener) Seniorenbeirat die Produktkonzeptionen der sentha-Forschergruppe. Der Beirat setzt sich aus etwa 15 älteren Menschen zusammen. Bei der Auswahl war darauf geachtet worden, dass Geschlecht, Bildung, Alter und
Haushaltsgröße in etwa der gesellschaftlichen Verteilung der 55+-Generation entsprach. Die Beteiligung des Beirats kann in verschiedenen Formen und Phasen des Produktentwicklungsprozesses stattfinden. Der Beirat: – nimmt regelmäßig an Kreativphasen teil, mit denen zu Beginn des Produktkonzeptionsprozesses das Potenzial einer möglichen Produktidee entfaltet wird. – identifiziert in diesen Phasen in Brainstormings vielversprechende Entwicklungsmöglichkeiten. – unternimmt Ortsbegehungen (z. B. in verschiedenen Seniorenwohnprojekten) und diskutiert mit Bewohnern/innen und Angestellten Möglichkeiten zur Verbesserung der selbstständigen Lebensführung. – arbeitet mit den professionellen Mitarbeitern der Forschergruppe oder des Unternehmens an der Bewertung von Produkten, etwa im Learning Home (siehe dort), und erprobt einzelne Produkte auch im privaten häuslichen Umfeld.
„Etwas Geduld müssen Sie schon aufbringen.“ „Wie lange?“ In ein paar Monaten könne sie sicher beginnen, ihre Pläne zu verwirklichen. „Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich den läppischen Betrag, den Sie gewonnen haben, sparen“, schlug die Direktorin vor. „Vielleicht benötigen Sie bald eine neue Hüfte, oder einen neuen Zahnersatz.“ „Sie sind aber nicht an meiner Stelle“, meinte Charlotte aufbrausend. „Was ich mit meinem Geld mache, geht Sie nichts an. Ich werde mir eine andere Bank suchen. Vielleicht brauchen Sie ja bald einen neuen Arbeitsplatz.“ Charlotte verließ das Arbeitszimmer. Sie setzte sich in ein Kaffeehaus und bestellte ein Stück Kuchen, um ihre Nerven zu beruhigen. Welche Möglichkeit hatte sie, um schnell an Bargeld zu kommen? Keine. Der Kuchen schmeckte ihr nicht. Sie legte die Gabel auf den Teller und sah verdrossen aus dem Fenster. Ihr Blick fiel auf ein Schild, das über einem Laden auf der gegenüberliegenden Straßenseite hing. Cash 4You: Kreditbüro Ebenwald & Partner stand darauf. Charlotte nahm die Brille aus dem Etui und setzte sie auf. Sie brauchen Geld? Rasch und unbürokratisch? Dann sind Sie bei uns richtig. Wie hypnotisiert bezahlte sie, verließ das Kaffeehaus und ging über die Straße auf das Kreditbüro zu.
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evaluiert die von den professionellen Mitarbeitern (Forschergruppe) konzipierten Produktkonzepte.
Der große Vorteil des Seniorenbeirats gegenüber ganz unbeteiligten Senioren, die um eine Bewertung von Produktkonzeptionen gebeten werden, ist seine höhere fachliche Kompetenz. Natürlich muss seine Identität als Teil der Forschergruppe reflektiert werden. Eine neutrale Bewertung der Produktkonzepte ist nach mehrjähriger Kooperation kaum noch möglich. Der Seniorenbeirat kann Marketingstudien und Befragungen daher nicht ersetzen, sondern im Hinblick auf die intensivere Beteiligung von Senioren/innen »auf Augenhöhe« ergänzen. Senior Research Group Eine Steigerung der Intensität der Arbeit eines Seniorenbeirats stellt die eigenständige Forschung und Entwicklung durch ehrenamtliche Senioren dar. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass aus einem gut funktionierenden Senio-
renbeirat eine Arbeitsgruppe entsteht, die mehr möchte als nur beraten. Auch aus dem Seniorenbeirat der sentha-Forschergruppe entstand nach drei Jahren durch Initiative der beteiligten älteren Menschen ein eigenständiger Arbeitskreis, der selbstgewählte Entwicklungsprojekte intensiv und selbstständig betreiben wollte. Für entwicklungsorientierte Unternehmen, Forschungsinstitute und das professionelle Selbstverständnis von Entwicklungsingenieuren kann ein solcher Versuch durchaus eine Herausforderung darstellen, denn es erfordert ein Zutrauen gegenüber den Laien, eigenständig auf innovative Ideen kommen zu können. Ein von älteren Laien betriebener Forschungsarbeitskreis kann sicherlich nur dann seriöse Arbeit leisten, wenn er in regelmäßigem Kontakt zu entwickelnden Unternehmen und Forschungsinstituten steht. Dann aber kann die gegenüber dem Seniorenbeirat größere Eigenständigkeit und Unabhängigkeit in der Wahl der Entwicklungsziele durchaus zu innovativen Lösungen und einer fruchtbaren
Der Besitzer persönlich, ein höflicher Mann, der sich als Dieter Ebenwald vorstellte, rückte Charlotte den Sessel zurecht und hörte sich ihr Anliegen an. Er versprach, diskret behilflich zu sein und fragte nicht, wofür sie das Geld benötige. Vielleicht schüttete sie ihm gerade deshalb ihr Herz aus. Es tat gut, mit jemandem darüber zu reden. Geduldig hörte er sich ihre Geschichte an. Sie glaubte sogar, Tränen des Mitgefühls in seinen Augen schimmern gesehen zu haben. Nachdem Charlotte geendet hatte, meinte er, dass er sie verstehen könne, er würde in ihrer Situation genauso handeln. Auch wenn er ihr vertraue, müsse er sich für der Betrag, den sie benötige, schon in Hinblick auf seinen Partner, absichern. Sie habe nichts anderes erwartet, sagte Charlotte und erzählte ihm von ihrem Haus in der Knesebeckstraße. Oh Wunder! Er schien das schreckliche Ereignis in der My Fair Lady nicht zu kennen. Er druckte einen Kredit-Vertrag aus und legte ihn vor ihr auf den Tisch. Sie las ihn durch, rechnete ihre monatlichen Ausgaben zusammen und fand, dass sie, wenn sie sparsam wäre, die hohen Raten begleichen könnte. Noch eine Nacht darüber schlafen? Mit ihren Mitbewohnern darüber reden? Nein! Die Zeit eilte, Oskar konnte in ein paar Tagen in das Privat-Sanatorium gebracht werden. Es sei wohl die Aufregung, sagte sie zu Herrn Ebenwald, sie müsse auf die Toilette. Er deutete auf eine weiß gestrichene Tür seitlich seines Tisches, und Charlotte stand auf. Sie wusch sich die Hände unter dem kalten Wasserstrahl. Eine Verunsicherung in ihr. Sollte sie eigenmächtig vorgehen, ihre Mitbewohner nicht in diese wichtige Entscheidung mit einbeziehen? 128
Wechselwirkung mit der professionellen Produktkonzeption führen. Konflikte zwischen beiden Subsystemen sind natürlich geradezu vorprogrammiert. Es gilt, geeignete Verfahren und Moderationsformen zu finden, welche mögliche Konflikte als fruchtbare Dissonanzen für die Produktkonzeption nutzen. In der »Senior Research Group« der Forschergruppe sentha, die sich selbst »Senioren forschen für Senioren« nannte, entstanden bald Arbeitsgruppen mit unterschiedlichen Arbeitsstilen. Einer Gruppe ging es primär darum, selbst mehr über Technik zu erfahren, eine zweite Gruppe verstand sich selbst als Teil der Spitzenforschung, eine dritte Gruppe versuchte, ein für sie selbst interessantes Thema im Rahmen ihrer Möglichkeiten auszuarbeiten. Kurz: Senioren-Forschergruppen haben es mit dem typischen Problem der Inhomogenität ehrenamtlicher Aktivitäten zu tun. Die Forschungsergebnisse, etwa zu Internetportalen für Senioren oder zu seniorengerechten Handys, waren im Einzelfall hoch innovativ und zugleich pragmatischer als die Konzepte aus
dem professionellen sentha-Verbund. Beachtlich waren zudem die Konstanz und der Zusammenhalt einer solchen Gruppe. Die Kontinuität der Arbeit kann leicht über die typischen Zeiträume projektorientierter Forschung im professionellen Bereich hinausgehen. Im Zusammenhang mit der gesellschaftspolitisch sinnvollen, ja notwendigen Entwicklung von nachberuflichen Arbeitsbereichen für Senioren ist die »Senior Research Group« eine Methode, die von Unternehmen und Instituten mehr genutzt werden sollte. Hier bieten sich auch Möglichkeiten für die Fortsetzung der Arbeit von (Früh-)Pensionären/innen. 4.4.2 Kooperative Dimension Die kooperative Dimension der sentha-Methode bezieht sich auf die Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens, der Forschergruppe oder anderer interner Kooperationsnetzwerke, während die partizipative Dimension die externe Zusammenarbeit in den Blick nimmt. Es geht um Verfahren für die Optimierung der Zusammenarbeit verschiedener Partner
Wie kann man nur so leichtsinnig sein und sich auf einen Kredithai einlassen, würde ihr Ricardo vorwerfen. Aber immerhin ist es mein Haus, dachte sie trotzig, es oblag einzig und allein ihrer Entscheidung, was sie damit machte. Sie hatte den Vertrag genau durchgelesen, auch das Kleingedruckte. Und das Haus diente bloß als Sicherheit für den Kredit über 90.000 Euro. Das war weit mehr Geld, als für den Aufenthalt im Privat-Sanatorium verlangt wurde. Aber etwas Spielraum konnte nicht schaden. Vielleicht ließe es sich im Casino vermehren und sie könnte den Kredit vorzeitig zurückzahlen. Sie presste die kalten Handflächen auf die Wangen. Risiko muss sein, redete sie sich ein, zeigte dem Spiegel die Zunge und verließ die Toilette. Charlotte nahm die Füllfeder zur Hand und unterschrieb den Vertrag. Sie solle am nächsten Tag wiederkommen und alle Unterlagen, das Haus betreffend, mitbringen. Das Geld läge dann für sie bereit. Und wenn sie wolle, werde er ihr mit der Überweisung für das Privat-Sanatorium behilflich sein. Das schaffe sie schon allein, entgegnete Charlotte, bedankte sich bei ihm und verließ das Büro. Oskar kehrte ein paar Tage später aus dem Krankenhaus zurück, für eine Nacht, ehe er ins PrivatSanatorium gebracht wurde. Er bat Charlotte, ihn zu begleiten, wollte über den Ku´damm fahren und einen Kaffee im Kranzlereck mit ihr trinken. Sie verwehrte ihm diesen Wunsch nicht. Es war später Nachmittag, als sie sich auf den Weg machten. Eine eigenartige Stimmung hatte sich 129
für die Produktkonzeption, die einerseits eine Kultur der Zusammenarbeit schaffen müssen, andererseits zumeist in ihrem originären Kontext, etwa ihrer disziplinären Arbeitskultur, verhaftet bleiben. In sentha kooperieren Forscher aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen mit je eigenen Forschungskulturen und einer organisatorischen Eigenständigkeit. Die Koordination der Zusammenarbeit angesichts der verschiedenen Organisationen und Forschungskulturen ist Aufgabe des Kooperationsmanagements. Die disziplinären Unterschiede sind zum einen Quelle einer kreativen Spannung, deren Reibung für neue Impulse sorgt, und zum anderen zentrifugale Kraft, welche die Kooperation behindern oder gar unmöglich machen kann. Zentrale Herausforderung an das Kooperationsmanagement ist die Gestaltung der Zusammenarbeit, ohne die kreative Spannung zu gefährden. Eine vergleichbare Ausgangslage kennzeichnet die Produktentwicklung in Unternehmen. Auch hier haben wir verschiedene Orga-
nisationseinheiten und Entwicklungskulturen. Verfahren, wie das betriebliche Vorschlagswesen, entfalten nur eine geringe kreative und motivierende Wirkung für die meisten Mitarbeiter/innen. Sie bieten nur wenig formale Strukturen für die Einbindung des/der Ideengebers/in in die weitere Produktkonzeption. Aus vielen empirischen Untersuchungen zu industrieller Forschung und Entwicklung ist bekannt, dass die für Entwicklung und neue Ideen zuständigen Abteilungen und Personen Anregungen aus dem Unternehmen und von außen oft kritisch gegenüberstehen (»not invented here«) (Braun 1994). Bei neuen kooperativen Verfahren geht es daher auch darum, die Vorbehalte der formal Zuständigen gegenüber Ideen »von außen« zu mildern und Vorgehensweisen zu entwickeln, die das Wachstum zarter innovativer Pflänzchen ermöglichen. Innerhalb der Universität und von Forschungseinrichtungen haben wir ein ähnliches Zuständigkeitsproblem. Hier geht es um die Bereitschaft, Vorschläge von anderen Diszipli-
zwischen ihnen ausgebreitet. Charlotte fühlte Wehmut, als sie neben Oskar einherging. Er, der sonst immer kleine Anekdoten von sich gab, redete kein Wort. Die Sonne schien aus einem wolkenlosen Himmel, sie versuchten, unter den Bäumen ein wenig Schatten zu finden. Charlotte fühlte Erleichterung, als er zu sprechen begann und es war ihr gleich, worüber. Hauptsache, seine Stimme war zu hören. Er habe einmal davon geträumt, auf dem Kurfürstendamm in einer Parade zu marschieren, sagte Oskar, als er auf das Kaffeehaus zufuhr. Ihm voran Natascha, seine Löwin. Jedesmal, wenn er hierherkäme, habe er dieses Bild vor Augen. Man hatte die Straße abgesperrt, sämtliche Tiere, die der Zirkus besaß, würden sich frei und friedlich zwischen den Menschen, die um sie herum liefen, bewegen. Er liebe diese Vorstellung. Charlotte sah Bartstoppeln in seinem Gesicht, er hatte sich heute morgen nicht rasiert. „Unser Formel-1-Fahrer“, rief Nolte, der gerade mit seinem Bodyguard das Kaffeehaus verließ. Oskar bremste sich ein, kam neben Nolte zu stehen. „Das ist ein schöner Tag, um den Löwen zum Fraß vorgeworfen zu werden“, meinte Oskar lapidar. Nolte schirmte mit einer Hand die Augen ab. „Wie meinen?“, sagte er kurz und wendete mit einem eleganten Schwung seinen Rollstuhl, wurde nun nicht mehr von der Sonne geblendet. „Wie kindisch, die Speichen zu bemalen. Was meinen Sie, Gero, ist er schon so senil, dass er nur anhand der Farben erkennt, wo rechts und links ist?“ 130
Gero zuckte mit den Schultern. „Sie sind sein Kindermädchen?“, wandte sich Oskar an ihn. Charlotte konnte erkennen, wie unangenehm Gero dieses Gespräch war. „Braucht er Sie zum Windel wechseln? Oder müssen Sie ihn aufs Pissoir setzen?“ „Hören Sie nicht auf den alten Mann“, sagte Nolte zu Gero. „Meine Herren“, fuhr Charlotte dazwischen, „ich darf doch um etwas Zurückhaltung in ihrer Wortwahl bitten, zum Teufel noch mal!“ Rücken an Rücken, Rollstuhl an Rollstuhl, wurde die Konversation weitergeführt. „In früheren Zeiten haben sich Kavaliere um eine Frau duelliert“, sagte Nolte und warf Charlotte einen charmanten Blick zu. „Sie haben wohl nicht den Mut, sich auf einen Wettstreit mit den Rollstühlen einzulassen“, forderte er Oskar heraus. „Krüppel gegen Krüppel“, entgegnete Oskar. „Gut, ich nehme die Herausforderung an.“ „Ich werde ihnen demnächst einen Vorschlag zukommen lassen.“ Nolte schnippte nach seinem Bodyguard. Gero verbeugte sich vor Charlotte und begleitete seinen Arbeitgeber. „Man müsste ihm einen ordentlichen Denkzettel verpassen“, zischte Charlotte. „Ja, den hätte er schon vor langer Zeit verdient“, murmelte Oskar. Charlotte stutzte. 131
nen und Fachgebieten im eigenen Hoheitsgebiet (Arbeitsbereich) zu akzeptieren, ja aufzugreifen und zu nutzen. Ähnlich wie in der Verwaltung, wird auch in Unternehmen und in der Universität permanent und zeitintensiv über Zuständigkeiten gestritten. Die kooperative Dimension der sentha-Methode beschäftigt sich also mit der Zusammenarbeit in heterogenen Kooperationen. Wie bei den partizipativen Verfahren, lohnt sich auch bei der Weiterentwicklung der Beteiligung nach innen der Blick auf politische und gesellschaftliche Verfahrensentwicklungen zum Kooperationsmanagement. Zu den hier neu entwickelten Verfahren gehört etwa die Appreciative Inquiry (AI). Bei der AI werden Mitarbeiter/innen eingeladen und befähigt, ausgehend von den positiven Erfahrungen eine gemeinsame Teamkultur und gemeinsame Visionen zu entwickeln. Konstitutiv für die AIMethode ist die Konzentration auf die positiven Erfahrungen der einzelnen Teammitglieder in ihrem jeweiligen Arbeitskontext. Nur diese werden ausgetauscht und verstärkt. Das Ver-
fahren dient insbesondere für die Entwicklung gemeinsamer Arbeitsmethoden. Sentha hat verschiedene Formen des Kooperationsmanagements in der Produktkonzeption erprobt und im Forschungsprozess gleichsam im Selbstversuch getestet. Als hochgradig multidisziplinäre Forschergruppe hat sentha ein typisches Kooperations- und Zuständigkeitsproblem. Sentha arbeitet zudem, wie das für viele Forschergruppen üblich ist, räumlich verteilt. Nur eine Minderheit von multidisziplinären Forschergruppen ist räumlich gemeinsam untergebracht. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die räumliche Dimension die Bedingungen für die Zusammenarbeit fundamental verändert, bzw., dass räumliche Rahmenbedingungen eine wichtige Stellschraube für die Kooperation sind (Dienel 2004). Die sentha-Mitarbeiter/innen kamen zweibis dreiwöchentlich in einem der beteiligten Institute zu einem Seminar zusammen. Etwa alle drei Monate gab es eine mehrstündige Sitzung, an der auch die Projektleiter teilnahmen.
„Seit wann kennt ihr euch?“ „Kein Kommentar“, sagte er. In seiner Stimme schwang Verbitterung mit. Er habe keine Lust mehr auf Kaffee. „Lass uns nach Hause fahren“, bat er. Aus der kleinen Überraschung, einem Abschiedsfest, das die Mitbewohner für Oskar am Abend arrangiert hatten, wurde eine übermütige Feier, bei der auch Max, Samira und der Professor, der überraschend wieder auf seinem angestammten Platz in der U-Bahn aufgetaucht war, anwesend waren. Zeitig am nächsten Morgen kam Max mit einem gemieteten Wagen. Gemeinsam mit Ricardo wollte er Oskar in das Privat-Sanatorium in der Schweiz bringen. Man könne sich mit dem Fahren abwechseln, hatte Ricardo vorgeschlagen, und sich so eine Übernachtung sparen. Isolde und Emma verabschiedeten sich in der Knesebeckstraße von Oskar. Charlotte tat es ihnen gleich. Abschiede schmerzten sie und sie wollte gerade diesen nicht unnötig lange hinauszögern. Eine kurze Umarmung, ein rascher, übertrieben fröhlich klingender Gruß und der Wagen setzte sich in Bewegung. Alle drei winkten ihm nach, bis er außer Sichtweite war. Während Isolde und Emma ins erste Stockwerk gingen, blieb Charlotte vor dem Treppenlift stehen. Sie würde in den nächsten Wochen sein Surren, das sie manches Mal störte, vermissen. Sie setzte sich in den Treppenlift und fuhr mit ihm in den ersten Stock. 132
Auf diesen Leitungssitzungen gab es die üblichen Missverständnisse zwischen meist gut präparierten Mitarbeitern und unvorbereiteten Projektleitern, ein Problem, welches auf den Koordinationssitzungen vieler multidisziplinärer Projektverbünde auftaucht. Kurz: Dies waren insgesamt keine guten Rahmbedingungen für die Kooperation. Gute Erfahrungen hat sentha mit drei kooperativen Instrumenten gemacht, die im Laufe des Projekt verfeinert wurden: dem Workend, der Prozessevaluation und dem Learning Home. Diese drei Instrumente werden im Folgenden anschaulich so beschrieben, wie sie in der interdisziplinären Forschergruppe benutzt wurden. Testläufe im industriellen Kontext stehen noch aus. Workend Neben den oben genannten regelmäßigen Arbeitstreffen traf sich die Forschergruppe sentha ungefähr jährlich auf »Workends«, – mehrtägigen Arbeitstreffen mit Übernachtung am Wochenende. Sie wurden als Höhepunkte
der Zusammenarbeit besonders positiv erlebt und waren die Sternstunden des Projekts und der gemeinsamen inhaltlichen Arbeit. Sie waren zugleich die einzigen regelmäßigen Veranstaltungen, die an neutralen Orten, also nicht in den beteiligten Instituten, sondern in der Regel in schönen Landhotels im Brandenburgischen stattfanden. Erst auf den Workends erlebten viele Mitarbeiter/innen die Arbeit der einzelnen Disziplinen innerhalb des Projektes als innerlich zusammenhängend. Zudem hatte der hohe Arbeitsdruck vor den Workends zur Vorbereitung von Präsentationen in der Regel eine koordinierende, ausrichtende und klärende Funktion für die Arbeit im Alltag. Prozessevaluation Ein zweites Verfahren zur Optimierung und Stärkung der heterogenen Zusammenarbeit bei sentha war die Prozessevaluation. Prozessevaluationen können einen positiven Effekt für die Verbesserung der Zusammenarbeit haben (Büttner 2004). Im Gegensatz zur Produktevaluation, die in der Regel besser neutral, d. h.
DREI ... sieben Wochen später ... Oskar fehlte ihr. Um sich abzulenken, setzte sie sich ans Klavier und spielte Melodien, die sie längst vergessen glaubte. Sie konnte kaum erwarten, dass Oskar nach Hause kam. Noch eine Woche, bis sie ihn wieder in die Arme schließen, mit ihm reden konnte. Insgesamt zwei Monate, in denen sie ihn nicht besuchen durfte. Diese Abmachung war Teil der Therapie, die darauf abzielte, Emotionen, die Besuche verursachen konnten, auszuschließen. Telefonate waren nur in Notfällen erlaubt; zum Glück hatte es keine gegeben. Alle paar Tage ein Brief. Stets vermittelten sie ihr Optimismus. Die Fortschritte, die sein Herz machte, würden die Ärzte in euphorische Stimmung versetzen, hatte er geschrieben. Mehrmals am Tag ging Charlotte in sein Zimmer. Hier fühlte sie sich ihm näher, als in den übrigen Räumen. Der Duft seines Aftershaves war längst verflogen, obwohl sie Gertrud gebeten hatte, das Bett nicht neu zu beziehen. Sie hatte ein Aftershave gekauft, dieselbe Marke. Enttäuscht stellte sie fest, dass es anders roch, als sie es in Erinnerung hatte. Einmal war Charlotte in Versuchung geraten, das in Leinen gebundene Büchlein, unter dem Kopfkissen, zur Hand zu nehmen. Sie suchte vergebens. Oskar musste es am Tag seiner Abreise einge133
von außen durchgeführt wird, ist es vorteilhaft, die Prozessevaluation durch ein internes Kooperationsmanagement durchzuführen, weil auf diese Weise intern bekannte Schwachpunkte der Kooperation angesprochen und erörtert werden können. Das sentha-eigene Kooperationsmanagement hat die Prozessevaluation jeweils nach den Produktkonzeptionszyklen durchgeführt. Die Prozessevaluation arbeitete mit semistrukturierten Interviews, Kleingruppendiskussionen und teilnehmender Beobachtung von ausgesuchten Phasen der Produktkonzeptionszyklen, ergänzt durch die Einrichtung von Newsgroups, die es erlauben, den E-Mail-Verkehr innerhalb der Entwicklerteams zentral zu sammeln und auszuwerten. Auf diese Weise wird die Transparenz der Zusammenarbeit und der Entwicklungsprozesse größer. Diese aktivierende Prozessevaluation wurde im Rahmen der Forschergruppe sentha mehrfach testweise durchgeführt. Im Ergebnis haben die Prozessevaluationen erhebliche Auswirkungen auf die Gestaltung der Produktkonzeption gehabt. Sie haben die Gruppe motiviert, neu aus-
gerichtet und Transparenz und Systemvertrauen im Team gestärkt. Weitere kooperative Maßnahmen zur Förderung der Zusammenarbeit in heterogenen Kooperationen sind gemeinsame Logos, Flyer und Homepages. Dieser gemeinsame Auftritt schafft einen gemeinsamen virtuellen Raum, mit ähnlichen Effekten und Funktionen wie der physische Raum. Gemeinsames Briefpapier und gemeinsame Visitenkarten können die Identität weiter steigern, aber anders als beizulegende Flyer die Beteiligten auch in Identitätsprobleme stürzen. Wenn die Gemeinsamkeit von Dritten erkannt und gelobt wird, ist das besonders hilfreich. Ein professionelles Kooperationsmanagement sammelt und präsentiert Außenlob gezielt, zum Beispiel durch die Veröffentlichung der Presseberichte über die Forschergruppe auf der eigenen Homepage. Bei sentha war die erfolgreiche Außenwirkung ein wichtiges Bindeglied für die Forschungsgruppe. Dutzende von Interviews, gemeinsame Konferenzauftritte, das gemeinsame Logo, der gemeinsame Internetauftritt,
packt und mitgenommen, oder an einen anderen Platz gelegt haben. Das war gut so, fand sie. Ihre Neugierde hätte sie einen Vertrauensbruch begehen lassen, den sie sich nie verzeihen könnte. Bei seinen Spaziergängen käme er an einem Bauernhof vorbei, schrieb er im Brief, den sie am Morgen erhalten hatte. Ein Ehepaar mit drei Kindern bewirtschafte ihn. Er wechsle immer ein paar Worte mit ihnen, bevor er weiter in den angrenzenden Wald fahre. Neulich habe man ihn auf einen Umtrunk zu sich eingeladen. Er hätte gerne angenommen, aber Alkohol sei ihm während der Zeit seiner Therapie strengstens verboten. Er würde ihm nicht fehlen. Charlotte gehe ihm ab, mehr, als er sich einzugestehen vermochte. Wie gerne hätte er sie an seiner Seite. Er freue sich auf Kuba, beendete er jedes seiner Schreiben. Zwei fremde Männer gingen vor dem Haus auf und ab, rief Isolde vor Charlottes Tür. Sie stand auf und öffnete. Sie solle sich beruhigen und sich setzen. Trotz Hitze fröstelte Isolde. Sie lief zum Fenster und beugte sich hinaus. Die Fremden, in Jeans und helle Sakkos gekleidet, seien ihr unheimlich, jagten ihr Angst ein. „Sie fotografieren mit ihren Handys das Haus. Und jeden, der rein- und rausgeht.“ Charlotte nahm ihre Brille vom Schreibtisch, lief zum Fenster und beugte sich ebenfalls hinaus. „Jeder von ihnen hat einen Palm bei sich. Darin machen sie sich Notizen“, meinte Isolde. Sie könne keine Männer entdecken, auf die Isoldes Beschreibung passe. Vor dem Haus sei nichts und niemand, ihre Furcht unbegründet. 134
die Flyer und nicht zuletzt der einprägsame Name sentha haben die Identitätsbildung positiv beeinflusst. Learning Home Das Learning Home ist ein Instrument, welches die Anforderungen aus den strategischen Dimensionen operativ aufgreift und umsetzt. Die selbstlernende und synergische Dimension fordern von Produkten, sich in die bestehende Wohnumwelt einzupassen, sie zu nutzen und zu verbessern. Eine Untersuchung der Produkteigenschaften im Sinne einer umfassenden Risikobewertung erfordert daher ein möglichst realistisches Prüfumfeld. Gefährdungen und Gewinne an Lebensqualität werden erst aus dem synergischen Zusammenspiel verschiedener Wohnungskomponenten sichtbar. Das Learning Home als begehbares Wohnelement verdeutlicht die Zusammenhänge leichter als ein zweidimensionaler Bauplan. Die synergische Produktgestaltung erfordert die Zusammenarbeit vieler Experten aus unterschiedlichen Disziplinen. Kommunikation
und Kooperation zwischen den Experten und beteiligten Senioren/innen sind auf der theoretischen Ebene schwierig und missverständlich. Im Learning Home lassen sich Konzepte dagegen praktisch veranschaulichen und leichter evaluieren. Partner, die sich in der Forschungs- und Entwicklungskooperation zusammenfinden, arbeiten teilweise mit ganz unterschiedlichen zeitlichen Vorgaben und Rhythmen. In einem Projekt zur Erarbeitung sicherer digitaler Netze für die Wohnung kann vielleicht ein Zeitraum von drei Jahren angemessen sein, während für die Erarbeitung einer seniorengerechten Heizungssteuerung ein Jahr und für die Erprobung eines Gasherdes nur zwei Monate angesetzt wurden. Ein begehbares Wohnszenario gleicht diese zeitlichen Disparitäten aus. Im Laufe einer Produktentwicklung ist es zweckmäßig, in unterschiedlichen Entwicklungsstufen eine Evaluierung durchzuführen, um frühzeitig Fehlentwicklungen zu erkennen. Dies können erste Produktskizzen sein, Funk-
„Ich weiß doch, was ich gesehen habe!“, empörte sich Isolde. „Habt ihr Geheimnisse?“ Emma erschien im Zimmer. „Was ist los?“ Die beiden Frauen wandten sich vom Fenster ab. Sie solle Emma nicht beunruhigen, flüsterte Charlotte. Ein kurzer Blickwechsel zwischen den beiden. „Nichts ist los“, sagte Charlotte, „wir haben bloß die Frau von gegenüber beobachtet, wie sie mit ihrer Ratte das Haus verlassen hat“. Sie hasse Ratten, sagte Isolde und ging aus dem Zimmer. Emma wollte ihr folgen, Charlotte hielt sie auf. Sie habe sie vor kurzem in den zweiten Stock gehen sehen und wolle wissen, was sie da zu suchen habe. „Du spionierst mir nach?“, fuhr Emma sie an. Das sei nicht Absicht, sondern Zufall gewesen, versicherte Charlotte. Sie gehe nie in den zweiten Stock, was sie ihr da unterstelle! Emma rauschte aus dem Zimmer. Charlotte wandte sich wieder dem Fenster zu. Die Frau von gegenübertrat nun tatsächlich mit der Ratte aus dem Haus und überquerte die Straße. Eine Limousine fuhr schwungvoll aus einer Parklücke und bremste scharf ab. Die Frau musste angefahren worden sein, denn sie fiel auf den Boden. Ein Mann in Jeans und hellem Sakko sprang heraus, beugte sich über sie, half ihr auf. Die Ratte schmiegte sich wie ein Schal um ihren Hals. Die Beifahrertür wurde geöffnet. Ihr entstieg ebenfalls ein Mann. Isoldes vermeintliche Hirngespinste waren real geworden. Die Frau taumelte. 135
tionsmuster, Mock-ups, Prototypen oder Produkte, die bereits Standard sind. Das Learning Home soll flexibel für ganz unterschiedliche Fragestellungen eingesetzt werden können, etwa die Frage nach der Anpassung eines Produktes an unterschiedliche spezielle Zielgruppen (allein lebend, mit Behinderung usw.), oder der Vergleich unterschiedlicher Produkte für die gleiche Zielgruppe (Küchen im Vergleich) oder der Vergleich unterschiedlicher Wohnungsgrundrisse. Das Wohnszenario sollte sich daher an diese verschiedenen Aufgabenstellungen möglichst leicht anpassen lassen. Auf Basis dieser Anforderungen wurde das Learning Home konzipiert. Das begehbare Learning Home ist modular aus 1 qm großen Bodenplatten und 1 m breiten und 2,40 m hohen Wandelementen aufgebaut, die auch Türen und Fenster besitzen. Gebaut wurde eine Konstellation mit drei Räumen (20 qm, 12 qm und 9 qm). Es erfüllt damit die benötigte Variabilität und Veränderbarkeit. Ein digitales Netz ist installiert und ermöglicht die Demonstration
exemplarischer Funktionen wie z. B. das automatische Schließen von Fenstern beim Verlassen der Wohnung. Andere Produktideen sind in Form von Mock-ups integriert. Das Learning Home ist mehr als ein gemeinsames Testlabor, denn es kann auch eine gemeinsame räumliche Identität der Forschergruppe ermöglichen. Hier können unter günstigen Bedingungen die gemeinsamen mehrtägigen Produktkonzeptionen stattfinden. In der Forschergruppe sentha wurden neben dem Wohnszenario als Testfeld ganz gezielt auch Räume integriert, in denen die Wissenschaftler/innen aus den beteiligten sieben Instituten, sowie die ehrenamtlichen Partner, zusammen arbeiten können. Zwar ließ sich dieses ambitionierte Modell für die Zusammenarbeit nur teilweise umsetzen. Dennoch wurde schnell deutlich, dass die gemeinsame räumliche Identität die Zusammenarbeit in der Produktkonzeption fördert und gegenseitige Vorbehalte der einzelnen Arbeitsbereiche abbaut.
„Brauchen Sie Hilfe?!“, rief Charlotte ihr zu. Die Frau hörte sie nicht. Der Fahrer stützte sie und redete auf sie ein. Sie nickte. Dann griff er ins Sakko und zog etwas daraus hervor. Charlotte erkannte, dass er der Frau Geldscheine in die Hand drückte. Die beiden Männer begaben sich wieder in die Limousine. Die Frau setzte mit der Ratte ihren Weg fort und Charlotte ging zum Klavier. Wütend drosch sie auf die Tasten ein. Sie war enttäuscht von der Frau mit der Ratte. Er brauche ihre Unterschrift, sagte der Briefträger und hielt Charlotte ein Einschreiben vor die Nase. Zögernd nahm sie es entgegen. Mit Briefen, außer denen, die Oskar ihr schickte, hatte sie in letzter Zeit keine erfreulichen Erfahrungen gemacht. Sie unterschrieb, nahm auch die Zeitung und das Werbematerial an sich, verabschiedete sich und ging in den Vorraum. Kreditbüro Ebenwald & Partner, stand im Firmenlogo darauf gedruckt. Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen, war auf halber Höhe zum ersten Stock, als Isolde ihr entgegen kam. „Ist Post für mich gekommen?“ Charlotte verneinte. Isolde kniff die Augen zusammen, sah zum Kuvert. „Ein Schreiben, an mich persönlich“, sagte Charlotte reserviert, klemmte es unter ihren Arm, damit der Absender nicht erkennbar war. „Willst du die Zeitung?“ „Nein. Ich habe alles Wichtige im Internet gelesen.“ 136
4.4.3 Empathische Dimension Als Korrektiv und Ergänzung für die partizipativen und kooperativen Verfahren kommt dem empathischen (einfühlenden) Vorgehen für die Produktkonzeption eine ganz zentrale Rolle innerhalb der sentha-Methode zu. Ein bekanntes Defizit der partizipativen Verfahren besteht nämlich darin, das die Befragten nur bewusste Dinge reflektieren und kommentieren können. Doch im häuslichen Alltag laufen viele Handlungsabläufe routiniert und unbewusst ab. Wer denkt schon darüber nach, warum er seinen Kaffee so macht oder warum er beim Duschen welche Handgriffe nacheinander vollzieht? Sie können daher sprachlich nur bedingt der Analyse zugänglich gemacht werden. Der Rest gehört zu dem so genannten ›tacit knowledge‹, ein Wissen, das nicht reflektiert wird, weil es bereits zu selbstverständlich geworden ist. Die empathische Dimension zielt auf die Einfühlung in den Lebenskontext der Zielgruppe. Hierbei geht es darum, Wünsche, Ängste, Lebensstile und Ziele von Senioren durch teilnehmende Beobachtung und qualitative Me-
thoden zu erheben und in Produktkonzeptionen einfließen zu lassen. Bei der empathischen Benutzerbeobachtung geht es also darum, Benutzungspotentiale wie Benutzungsmängel zu identifizieren, die den Benutzern/innen selbst nicht offenkundig sind. Dies geschieht durch Beobachter, die sich bei der Beobachtung des Benutzers in diesen einfühlen, dabei jedoch die ihnen eigene Sichtweise mit einbringen. Wichtigstes Instrument der emphatischen Verfahren ist daher die Teilnehmende Beobachtung, die der Soziologie René König schon vor Jahrzehnten als ›Königsweg‹ der Forschung bezeichnet hat, weil sie in der Lage sei, auch Dinge ins Visier zu nehmen, die durch sprachlich-interrogative Methoden wie Interviews und Gruppendiskussionen nicht exploriert werden können. Wer als sensibler Beobachter an den routinierten Alltagsprozessen teilhaben kann, sieht in der Regel mehr, als der Beobachtete in einem anschließenden Gespräch mitteilen könnte. Dazu gehört die fotografische und filmische Dokumentation der Techniknutzung im Alltag. Die
Charlotte ging auf ihr Zimmer. Das Radio lief, ein Bericht über die diesjährige Love Parade wurde ausgestrahlt. Ein achtzehnjähriger Mann erzählte, dass er vor einem Jahr die Liebe seines Lebens bei dieser Veranstaltung getroffen habe. „Leider stamme ich aus München und sie lebt hier in Berlin“, sagte der junge Mann.“ Aber er habe seine Freundin besucht und sie sei bei ihm in München gewesen. Nun erklang all you need is love aus dem Radio. Ich ging, mit dem erhaltenen Schreiben in der Hand, zum Kamin. „Eine Frechheit ist das.“ Ich berührte die Urne. „Was soll ich bloß machen?“ Typisch, dass Karl-Otto sich schweigend aus der Affäre zog. Ich verstand das Schreiben des Kreditbüros nicht, dachte, dass es sich um ein Missverständnis handeln musste. Dieser Ebenwald behauptete, ich habe ihm mein Haus verkauft und forderte mich auf, es, wie vereinbart, bis zum Monatsende zu räumen. Eine Kopie des Kaufvertrages war dem Brief beigelegt. In ihm war zu lesen, dass ich 900.000 Euro erhalten hatte, in bar. Ich blickte auf meine Unterschrift, die mir vom Blatt entgegenzuspringen drohte. Nie und nimmer stammte sie von mir, es musste sich um eine Fälschung handeln. Ich betrachtete sie genauer. Eine Fälschung, eine ausgezeichnet gute Fälschung. Die Beatles verstummten. „Bei der diesjährigen Love Parade haben wir beschlossen“, sagte der Münchner, „für immer zusam137
Teilnehmende Beobachtung ist also, anders als das Interview, ein sehr brauchbares und sensibles Instrument für die Erforschung des Alltags. Ein möglicher Ablauf für ein empathisches Vorgehen in der Produktkonzeption sind die folgenden fünf Schritte: 1. Beobachtung von typischen Benutzern im wirklichen oder einem möglichst realistischen Benutzungsumfeld durch Experten verschiedener Fachdisziplinen. 2. Datenerfassung durch Video- und Wortprotokolle sowie durch eventuelles Nachfragen, z. B. hinsichtlich nicht erkennbarer Handlungsmotive. 3. Reflexion und Analyse im interdisziplinären Team und in Kooperation mit den Beobachteten. 4. Brainstorming für Lösungen. 5. Entwicklung neuer Prototyplösungen anhand virtueller und realer Modelle. In der sentha-Methode dienen die empathischen Verfahren der Teilnehmenden Beobachtung der Ergänzung oder Korrektur der Ergeb-
nisse der partizipativen Produktkonzeption. Empathische Verfahren werden daher sowohl für die Erfassung der gegenwärtigen Techniknutzung im Alltag als auch für die Beschreibung der Nutzung neuer Produktkonzeptionen eingesetzt. Auch die Arbeit im Learning Home an neuen Produktkonzeptionen profitiert von der Teilnehmenden Beobachtung.
menzubleiben“. In den Morgenstunden habe er seine Freundin aus den Augen verloren. Alles habe er versucht, um sie wiederzufinden. Unendlich viele SMS habe er geschrieben, hunderte Male bei ihr angerufen, ihr MMS seines verzweifelten Gesichtes geschickt, um ihr zu zeigen, wie sehr er sich um sie sorge. In ihrer Wohnung sei sie bis heute nicht aufgetaucht. Sämtliche Krankenhäuser habe er abgeklappert. Von ihr fehle jede Spur. „Keiner ihrer Freunde hat eine Ahnung, wo sie steckt.“ Wieder setzte Musik ein. Sie war einfach verschwunden, ging es mir durch den Kopf. Hatte auf Nimmerwiedersehen die Stadt, das Land verlassen. Ich blickte zur Reisetasche, die unter meinem Bett hervorlugte. Das Nötigste zusammenpacken, die allerletzten Geldreserven an mich nehmen, nach Tegel fahren und den erstbesten Flieger nehmen, ganz gleich, wohin er mich bringen würde. „Das ist feige, Charlotte. Was wird aus deinen Freunden? Und du wirst Oskar nie mehr wiedersehen.“ Karl-Otto hatte endlich zu mir gesprochen! Ich schmunzelte. Jedes Kind weiß, dass ein Toter nicht sprechen kann, schon gar nicht seine Asche. Aber schön finde ich diese Vorstellung schon, auch wenn manche Menschen mich deswegen für schrullig halten. „Bitte, komm zurück, Lisa“, flehte der Münchner aus dem Radio. Er tat mir leid, ich hoffte, dass er sie wiederfindet. „Ich drücke dir die Daumen“, sagte ich laut, obwohl ich wusste, dass er mich nicht hören konnte. Der Spiegel zeigte mir eine Falte an meiner Nasenwurzel, die am Morgen, bevor ich den Brief erhalten hatte, nicht da gewesen war. Meine Bedrücktheit ließ sich aus meinem Gesicht ablesen. 138
„Wenn du nicht augenblicklich den Mund aufmachst und mit der Wahrheit herausrückst, lösche ich sämtliche Daten in deinem Computer.“ Isolde hatte sich wie ein Racheengel neben Charlottes Schreibtisch aufgebaut, bereit, mit ihrem Zeigefinger auf die Tastatur herabzustürzen und ihre Drohung wahr zu machen. Konträr zur angespannten Stimmung erklang Claire De Lune von Debussy aus dem Radio. „Ich lasse mich nicht erpressen!“, rief Charlotte aufgebracht. „Was fällt dir ein!“ Herausfordernd blickte sie Isolde an, dann zu Emma, die beim Kamin stand und weiter zu Ricardo, der neben ihr lehnte. „En garde.“ Ricardo machte einen Ausfallschritt und stellte sich in Position, als habe er einen Degen in der Hand. Debussy konnte die erhitzten Gemüter nicht kühlen. Charlotte ging unerschrocken einen Schritt auf ihn zu. „Rede endlich“, sagte Ricardo sanft und lockerte seine Haltung. Sie wisse doch, dass man zusammenhalten werde. „Aber ohne den genauen Hintergrund zu kennen, ist es schwer, zu reagieren und noch schwerer, dir zu helfen.“ „Ich habe mich wie eine dumme Gans benommen“, platzte es aus Charlotte heraus. Langsam ging sie zum Fauteuil und setzte sich. Sie habe sich Geld geborgt und einen Vertrag unterschrieben, der die Rückzahlungsvereinbarungen festgelegt habe. „Ich habe den Vertrag natürlich ganz genau gelesen. Leider habe ich aufs Klo gemusst.“ „Na und? Jeder von uns muss aufs Klo. Wo ist das Problem?“, fragte Emma. 139
5. Die Produktgestaltung Karin Schmidt-Ruhland, Matthias Knigge, Achim Heine (Interviewerin: Barbara Lang) 5.1 Was heißt eigentlich Design? Frage (F): Wie würdet Ihr das Selbstverständnis der Disziplin Design innerhalb des DFGProjekts sentha beschreiben? Karin Schmidt-Ruhland (KSR): Für uns bedeutet Produktgestaltung und Design nicht nur die Gestaltung der Form. Das heißt, es geht für uns bei Design nicht nur um das Produkt ›an sich‹, sondern Design ist immer in kulturelle und soziale Zusammenhänge eingebettet. Dies bezieht den Umgang mit den Dingen, aber auch das Verständnis für die Zielgruppe – hier die Senioren – mit ein. Damit haben wir die traditionelle Objektfixierung der Designer aufgegeben. Wir verstehen Design als ganzheitliches Konzept, in dem komplexe soziale, ökonomische und kulturelle Kontexte für den Gestaltungsprozess mit reflektiert werden. Dieses Verständnis von Design haben wir auch im Rahmen von sentha verfolgt.
Achim Heine (AH): Natürlich können wir die Dinge auch ›schön machen‹, sie gestalten – und das haben wir im Rahmen von sentha ebenfalls gemacht. Aber sich ausschließlich auf Form und Gestaltung zu konzentrieren, ist ein Designverständnis, das wir an der Universität der Künste eigentlich als zu kurz gefasst sehen. Für uns ist Design ein umfassendes Phänomen und ein vielschichtiger Prozess des Umgangs mit Dingen und technischen Systemen. Alltagskultur, Verbrauchergewohnheiten, Lebensstile – und damit auch: die Pluralisierung von Lebensstilen und entsprechenden Produktwelten –, all dies wird von uns in das Ziel der Formgebung mit einbezogen. KSR: Dies impliziert einen holistischen, fächerübergreifenden Zugang: Wir haben nicht gesagt, »du machst jetzt die Sicherheit und du bist die Kompetenz für Konstruktion und wir sind dann fürs ›Schön machen‹ zuständig«, sondern wir haben immer gesagt, »man muss das ganzheitlich sehen« und haben uns entsprechend in alle Arbeitsschritte eingeklinkt. Insofern waren wir per se interdisziplinär
„Wenn du nicht augenblicklich den Mund aufmachst und mit der Wahrheit herausrückst, lösche ich sämtliche Daten in deinem Computer.“ Isolde hatte sich wie ein Racheengel neben Charlottes Schreibtisch aufgebaut, bereit, mit ihrem Zeigefinger auf die Tastatur herabzustürzen und ihre Drohung wahr zu machen. Konträr zur angespannten Stimmung erklang Claire De Lune von Debussy aus dem Radio. „Ich lasse mich nicht erpressen!“, rief Charlotte aufgebracht. „Was fällt dir ein!“ Herausfordernd blickte sie Isolde an, dann zu Emma, die beim Kamin stand und weiter zu Ricardo, der neben ihr lehnte. „En garde.“ Ricardo machte einen Ausfallschritt und stellte sich in Position, als habe er einen Degen in der Hand. Debussy konnte die erhitzten Gemüter nicht kühlen. Charlotte ging unerschrocken einen Schritt auf ihn zu. „Rede endlich“, sagte Ricardo sanft und lockerte seine Haltung. Sie wisse doch, dass man zusammenhalten werde. „Aber ohne den genauen Hintergrund zu kennen, ist es schwer, zu reagieren und noch schwerer, dir zu helfen.“ „Ich habe mich wie eine dumme Gans benommen“, platzte es aus Charlotte heraus. Langsam ging sie zum Fauteuil und setzte sich. Sie habe sich Geld geborgt und einen Vertrag unterschrieben, der die Rückzahlungsvereinbarungen festgelegt habe. „Ich habe den Vertrag natürlich ganz genau gelesen. Leider habe ich aufs Klo gemusst.“ „Na und? Jeder von uns muss aufs Klo. Wo ist das Problem?“, fragte Emma. 139
5. Die Produktgestaltung Karin Schmidt-Ruhland, Matthias Knigge, Achim Heine (Interviewerin: Barbara Lang) 5.1 Was heißt eigentlich Design? Frage (F): Wie würdet Ihr das Selbstverständnis der Disziplin Design innerhalb des DFGProjekts sentha beschreiben? Karin Schmidt-Ruhland (KSR): Für uns bedeutet Produktgestaltung und Design nicht nur die Gestaltung der Form. Das heißt, es geht für uns bei Design nicht nur um das Produkt ›an sich‹, sondern Design ist immer in kulturelle und soziale Zusammenhänge eingebettet. Dies bezieht den Umgang mit den Dingen, aber auch das Verständnis für die Zielgruppe – hier die Senioren – mit ein. Damit haben wir die traditionelle Objektfixierung der Designer aufgegeben. Wir verstehen Design als ganzheitliches Konzept, in dem komplexe soziale, ökonomische und kulturelle Kontexte für den Gestaltungsprozess mit reflektiert werden. Dieses Verständnis von Design haben wir auch im Rahmen von sentha verfolgt.
Achim Heine (AH): Natürlich können wir die Dinge auch ›schön machen‹, sie gestalten – und das haben wir im Rahmen von sentha ebenfalls gemacht. Aber sich ausschließlich auf Form und Gestaltung zu konzentrieren, ist ein Designverständnis, das wir an der Universität der Künste eigentlich als zu kurz gefasst sehen. Für uns ist Design ein umfassendes Phänomen und ein vielschichtiger Prozess des Umgangs mit Dingen und technischen Systemen. Alltagskultur, Verbrauchergewohnheiten, Lebensstile – und damit auch: die Pluralisierung von Lebensstilen und entsprechenden Produktwelten –, all dies wird von uns in das Ziel der Formgebung mit einbezogen. KSR: Dies impliziert einen holistischen, fächerübergreifenden Zugang: Wir haben nicht gesagt, »du machst jetzt die Sicherheit und du bist die Kompetenz für Konstruktion und wir sind dann fürs ›Schön machen‹ zuständig«, sondern wir haben immer gesagt, »man muss das ganzheitlich sehen« und haben uns entsprechend in alle Arbeitsschritte eingeklinkt. Insofern waren wir per se interdisziplinär
„Man hat mir offenbar einen anderen Vertrag als den, den ich gelesen habe, untergeschoben, mich betrogen!“ „Ein Bankinstitut ist ein seriöses Unternehmen“, warf Isolde ein. Nie und nimmer glaube sie Charlotte, dass sie hereingelegt worden sei. „Den Vertrag habe ich nicht mit der Bank geschlossen“, sagte Charlotte und erzählte vom Kreditbüro Ebenwald. „Ich habe zuerst geglaubt, dass meine Unterschrift gefälscht ist.“ Aber Herr Ebenwald müsse, während sie auf der Toilette war, die Verträge ausgetauscht haben. Er könne sich schwer vorstellen, dass ausgerechnet sie betrogen worden sei. Ricardo fuhr sich durchs Haar. „Haben die Männer, die ich vor dem Haus gesehen habe, mit dem Kreditbüro zu tun?“, wollte Isolde wissen. „Ich habe keine Ahnung.“ Charlotte verschränkte die Arme vor der Brust. „Welche Männer meinst du?“, fragte Emma. Isolde erzählte, was sie beobachtet hatte. „Ich habe gleich ein mulmiges Gefühl gehabt. Bestimmt waren das schon Käufer für das Haus. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass sich jemand ernsthaft dafür interessiert“, schloss sie ihre Ausführung. „Wir werden unsere sieben Sachen packen müssen, aus der My Fair Lady vertrieben werden“, jammerte Emma. Man werde bald die Zelte beim Professor aufschlagen. 140
orientiert: stets mit Blick auf angrenzende Felder, Disziplinen und Fragen, und eben nicht nur auf die uns eigentlich zugedachte Aufgabe, nämlich die letztendliche Gestaltung der Gegenstände fokussiert. Konkret bedeutete dies, dass wir – im Unterschied zu anderen Disziplinen, die im Forschungsprojekt sentha mitarbeiteten und die immer sehr konkrete Fragen hatten und auch konkrete Arbeitsschritte – die engen Fragen aufgeweitet haben. Zum Beispiel ging es uns nicht nur um die optimierte seniorengerechte Gestaltung eines Videorecorders, sondern wir haben immer auch die Bedeutung von Video und Fernsehen allgemein, Sehgewohnheiten von Senioren usw. in unsere Arbeit mit einbezogen. 5.2 Seniorengerechtes Produktdesign Mathias Knigge (MK): Nichtsdestotrotz haben wir unsere Aufgabe, das muss vielleicht nochmals klar gesagt werden, auch in der Gestaltung im engeren Sinne gesehen. Das heißt, wir haben uns natürlich auch mit Fragen der
Formgebung beschäftigt, etwa damit, wie man eine neue Produktsprache finden und entwickeln kann, die weniger stigmatisierend ist und die marginalisierende Formsprache von seniorengerechten Produkten transzendiert. Also: Wie muss ein Produkt und seine adäquate Vermarktungsstrategie (Stichwort: Image) aussehen, damit es zwar den Bedürfnissen von Senioren gerecht wird, aber nicht auf den ersten Blick als ›Produkt für ältere Menschen‹ erkannt und decodiert wird? Wenn man schon die Dinge, die ältere Menschen im Sinne von Hilfsmittel brauchen, nicht hip und trendy machen kann, dann muss man das Design der Dinge so verändern, dass sie normal aussehen. Und das ist dann Gestaltung im engeren Sinne, das heißt Formgebung und in einer spezifischen, eben nicht stigmatisierenden Art und Weise auch ›schön machen‹. KSR: In diesem Zusammenhang war es konzeptionell wichtig, das Thema zu öffnen. Das bedeutete, dass wir nicht nur Hilfsmittel für Senioren im Blick hatten, dass also nicht ausschließlich die älteren Menschen im Fokus
„Warum nicht? Er kann uns sicher eine Luxussuite unter der Schlossbrücke einrichten“, antwortete Charlotte. Emma solle nicht schwarzgallig sein. Weich bewegten sich die Finger des Interpreten über die Klaviertastatur. Die letzten Klänge ertönten. Charlotte hatte sich einigermaßen gefangen. Ein Nachrichtensprecher erhob seine Stimme. Sie schaltete das Radio aus. „So einfach kann man uns nicht aus dem Haus vertreiben, wir werden darum kämpfen.“ Sie werde den besten Anwalt, den Berlin zu bieten habe, um Beistand bitten. „Und womit willst du sein Honorar bezahlen?“ Isolde ließ sich auf den Schreibtischsessel sinken. „Wir könnten Führungen durch das Haus veranstalten. Bei der Neugier der Menschen bringt das sicher einen Batzen Geld.“ „Untersteh dich!“, rief Emma. „War ja nur ein Scherz.“ „Es ist Zeit, Charlotte“, schnorrte die Pillendose. Sie ignorierte seine Aufforderung. Wieso sie 90.000 Euro aufgenommen habe, wollte Ricardo wissen. Die Kosten fürs Privat-Sanatorium seien nicht so hoch. Isolde lachte süffisant. Sie wette, Charlotte habe mit der Differenz ordentlich den Black Jack gefüttert. „Seit wann wettest du?“, entgegnete Charlotte. Dann gab sie zu, dass sie im Casino gewesen sei, sie habe den Rest des Geldes verloren, Isolde mit ihrer Vermutung gewonnen. „Umgekehrt wäre es mir ausnahmsweise lieber“, sagte Isolde verschnupft. Sie sollten ihre Sticheleien beenden, verlangte Ricardo. Man müsse einen klaren Kopf behalten. 141
standen. So haben wir zwar Patenschaftsmodelle gehabt, bei denen die Studierenden einen älteren Menschen beobachteten und dadurch Ideen für neue Produkte entwickelten. Aber es war für unsere Herangehensweise an seniorengerechtes Design konstitutiv, immer darauf zu achten, dass die Ergebnisse genauso für andere brauchbar und zweckgemäß waren. Das heißt, die älteren Menschen waren nur der Indikator für Defizite im häuslichen Alltag. Aber die Produktgestaltung sollte über diese spezifische Zielgruppe und deren Handicaps hinausreichen. AH: Das Teilprojekt Design innerhalb des Forschungszusammenhangs sentha konzeptualisierte seinen Problemgegenstand also von Anfang an nicht so abgeschlossen, nur für eine Altersgruppe von so bis soviel Jahren. Und dies hängt wiederum mit unserem generellen Verständnis von Design zusammen: Für einen Designer ist jedes Produkt ein Hilfsmittel. Denn Menschen können generell ganz, ganz vieles nicht. Und sie bedienen sich daher verschiedener Hilfsmittel, um es zu können: Sie
können keine Blechdose aufmachen mit dem Mund oder den Fingern – also gibt es Dosenöffner. Sie können nicht fliegen – also gibt es Flugzeuge. Man kann nicht ganz viel tragen, deshalb gibt es Kräne. Von Geburt an hat man Hilfsmittel. In diesem Sinne ist jeder Mensch eine ›disabled person‹ und das Design entwickelt gewissermaßen Prothesen für jeden. Zwar ist diese Perspektive nicht neu, da schon Sigmund Freud in den 20er Jahren den sich selbst körperlich ungenügenden Menschen als »Prothesengott« bezeichnete. Allerdings war diese Perspektive gerade im Rahmen von Sentha besonders wichtig. Denn wenngleich das Projekt natürlich den Fokus auf die älteren Menschen und deren Bedürfnislagen hatte, ging es uns immer darum, den problemzentrierten Blick auf Senioren im Sinne von ›behinderten‹ Menschen zu überwinden. Und dies gelang uns konzeptionell, indem wir den Blick auf die gesamte Gesellschaft ausgeweitet haben. Denn: Was älteren Menschen Erleichterung verschafft, kann auch für jüngere Menschen hilfreich und nützlich sein. Gerade im Bereich ›se-
Wenn er die Situation genau betrachte, finde er sie nicht aussichtslos. „Neunzigtausend Euro für das Grundstück und das Haus“, das sei eine läppische Summe. Kein Gericht der Welt würde glauben, dass die Immobilie um diesen Betrag zu kaufen wäre. Ein wichtiger Punkt, um zu argumentieren. Charlotte räusperte sich. Es handle sich nicht um 90.000 Euro, sondern um eine Summe mit einer Null mehr, sagte sie kleinlaut. „Neunhunderttausend Euro?!“ Entsetzt schlug Emma zweimal ihre Hände über dem Kopf zusammen. Beethovens Neunte erklang. Charlotte nahm ihr Handy vom Schreibtisch und wählte eine Nummer. „Kreditbüro Ebenwald, guten Tag“, meldete sich eine Männerstimme. Charlotte nannte ihren Namen und verlangte Herrn Ebenwald zu sprechen. Sein ehemaliger Chef habe seine Anteile am Kreditbüro an seinen Partner übergeben, der Name Ebenwald werde nur weitergeführt, sagte der Mann, bis sämtliche Formalitäten geregelt seien. Herr Axel Klose sei ab nun für alle geschäftlichen Angelegenheiten zuständig. „Wollen Sie mit ihm reden?“ Charlotte überlegte. „Hallo! Sind Sie noch dran?“, wollte der Mann wissen. Gut, er solle sie mit Herrn Klose verbinden. Ein Klicken in der Leitung, dann drang Musik aus dem 142
niorengerechte Produkte‹ gibt es sehr viele Dinge, die nicht nur ältere Leute haben wollen, sondern die im Prinzip für viele interessant sind. Es gibt viele Dinge, die man machen kann ohne Probleme, aber man fragt sich immer wieder: Warum mache ich das eigentlich? Warum schleppe ich das so umständlich? Gibt es dafür keine bessere Lösung? Auch einem 40-Jährigen tut der Rücken weh, wenn er etwas umständlich tragen muss. Und der ältere Mensch kann es eben gar nicht mehr schleppen. Von daher hatten wir uns für die Öffnung des Themas entschieden. Wir haben immer gesagt: ›Das sind einfach Hilfsmittel‹, nie haben wir gesagt: ›Das sind spezifische Hilfsmittel für Senioren.‹ Diese Herangehensweise hat geholfen, die Altersproblematik als eine ganz normale Problematik zu sehen. Damit konnten wir gegen die kulturelle Marginalisierung von Senioren anarbeiten. Zugleich haben wir mit den Entwürfen und durch das altersübergreifende Design die Stigmatisierung durch die Produktgestaltung überwinden können. Denn natürlich hat sich dieses Verständnis – senio-
rengerecht heißt nicht seniorenspezifisch, sondern meint: ein Hilfsmittel für Senioren und andere – auch in der Form und im Design der seniorengerechten Helfer im häuslichen Alltag niedergeschlagen. 5.3 Methodologie: Design als empirischexperimenteller Prozess F: Welche Konsequenzen hat dieses Verständnis von seniorengerechten Hilfsmitteln für das methodische Vorgehen im Rahmen von sentha? KSR: Also ich will das mal ex negativo, im Vergleich zu anderen Disziplinen und deren Vorgehen verdeutlichen. Innerhalb der Soziologie ist es ja sehr häufig so, dass man – zum Beispiel aufgrund von vorhergehenden Forschungen – eine bestimmte Hypothese hat, die in der aktuellen Forschung verifiziert (bzw. falsifiziert) wird. Dadurch bleibt die Soziologie sehr eng an ihrer eigentlichen Frage- oder Problemstellung. Allerdings kann sich dadurch der Blick auch schwerer für Phänomene oder Erkenntnisse öffnen, die innerhalb des For-
Handy. Charlotte fühlte sich in der Warteschleife gefangen. Sie ging zum Fenster und beobachtete, wie die Frau von gegenüber mit ihrer Ratte auf der Schulter und einer Tasche, aus der ein Baguette schaute, die Straße überquerte, sich zwischen parkenden Wagen durchschlängelte und auf das grün gestrichene Haus zuging. Die Musik verstummte. Axel Klose meldete sich. Charlotte nannte ihren Namen. Was sie wünsche, fragte er. Aufgebracht unterbreitete sie ihm ihr Anliegen, ihr Ton legte mit jedem Satz an Schärfe zu. Klose schien dies in keiner Weise zu irritieren, sie hörte seine gleichmäßigen Atemzüge, während sie nach Luft schnappte. „Sie haben für das Haus 900.000 Euro erhalten, cash. Es ist bekannt, dass Sie Spielerin sind. Wahrscheinlich haben Sie längst alles verwettet.“ Charlotte blieb die Luft weg. „Das ist eine Lüge! Alles erfunden!“ Man habe sie im Casino spielen sehen, er habe Zeugen. „Mieser, kleiner Gauner!“, rief sie ins Handy. „Passen Sie auf, was Sie sagen. Vertrag ist Vertrag. Und Sie werden doch nicht leugnen, dass die Unterschrift darauf Ihre ist“, fuhr er unbeeindruckt fort. Jedes Gericht wäre auf seiner Seite. Es werde ihr nichts nützen, auf ihr Alter zu pochen, ihn zu verunglimpfen und Unwahrheiten zu verbreiten. Er habe einen ausgezeichneten Anwalt.
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schungsansatzes nicht angelegt sind. Ein solches Vorgehen ist relativ verschlossen gegenüber neuen, überraschenden, vorher nicht bedachten Einflussfaktoren und Fragen. Und ich denke, genau hier liegt die Stärke der Designer: Im Unterschied zu dem skizzierten Vorgehen verfährt das Design bewusst explorativ und auch experimentell. Das heißt, wir stellen uns auf den naiven Standpunkt: ›Ich tu jetzt mal so, als wüsste ich nichts und als hätte ich keine Vorahnung oder Hypothese und schau dann mal, was für Antworten ich auf meine Fragen bekomme.‹ F: Was heißt das konkret? MK: Das Design arbeitet empirisch-experimentell heißt, dass wir im Grunde genommen wissenschaftliche Methoden der Erhebung und der Analyse mit eher künstlerisch-experimentellen Methoden verbinden. Das heißt, die Teilnehmende Beobachtung und qualitative Sozialforschung, die hermeneutische Interpretation – und damit das Verstehen bestimmter Prozesse oder Phänomene spielt bei unserem Vorgehen eine ebenso bedeutsame Rolle wie
das Experiment und die Assoziation. Wobei alle Ebenen – Beobachtung, Interview, wissenschaftliche Analyse, Assoziation und Experiment ineinander greifen. KSR: Es handelt sich hier um einen mehrstufigen, eher zyklischen und dialogischen denn stringent linearen Forschungsprozess. Ausgangspunkt war die Bestandsanalyse in Form einer Dokumentenanalyse. Zu Beginn des Projekts fragten wir also: Welche Produkte gibt es gegenwärtig? Wie funktional und seniorengerecht sind diese Angebote wirklich? Mit welchem Image werden diese Produkte werblich inszeniert und kommuniziert? 5.4 Dialogisch-partizipatives Prinzip der Forschung MK: Bereits in dieser Phase war uns jedoch das dialogische Prinzip unserer Forschung ein zentrales Anliegen. Ähnlich wie in der modernen Ethnologie, in der die Forschungsobjekte zunehmend in den Forschungsprozess integriert werden – zum Beispiel indem sie die eigenen Interviews bzw. die konkreten For-
„Ich auch“, hielt Charlotte ihm entgegen. Sie wandte sich vom Fenster ab und ging zum Klavier. „Das Grundstück und das Haus ist viel mehr wert, als Sie vorgeben, mir bezahlt zu haben.“ „Schon möglich“, sagte Klose gelassen. Er lachte gehässig. Für das Haus habe er keine Verwendung. Es werde abgerissen werden. Aber er wolle nicht hartherzig sein. Wenn sie bis Ende des Monats das Geld zurückerstatte, würde er mit sich reden lassen. Andernfalls müsse sie das Haus räumen. Sie setzte sich auf den Klavierhocker. Für ein Ersatzquartier werde er sorgen, er sei ja kein Unmensch. Charlottes Finger tasteten nach der Plastiktüte, die auf dem Klavier lag. Abrupt beendete sie das Gespräch. Jetzt nur nicht hyperventilieren! Sie setzte die trichterförmige Öffnung an ihre Lippen. Wie hatte sie sich so dumm anstellen können, sich auf so hinterlistige Art und Weise übertölpeln lassen! Langsam beruhigte sie sich. Ein Knacken vor der Tür, sie warf die Nylontüte in den Abfalleimer und öffnete. Ricardo, Isolde und Emma standen davor. Was sie in Erfahrung gebracht habe? Charlotte zuckte ratlos mit den Schultern. Sie erzählte, dass Klose auf die Rückzahlung der 900.000 Euro bestehen würde. „Andernfalls werden wir in eine dieser Plattenbauwohnungen am Rand von Berlin verfrachtet, stimmt´s?“, beendete Emma die Ausführung. „Noch schlimmer“, sagte Charlotte. Man werde sie in eine der Plattenbauten in Frankfurt an der Oder stecken. „Ich liebe diese Dominosteinbauten“, meinte Ricardo sarkastisch. „Wenn man einen Stein anschubst, fällt ein ganzer Stadtteil zusammen.“ 144
schungsergebnisse des Ethnologen kommentieren –, so wollten auch wir die Senioren aktiv in den Forschungsprozess mit einbeziehen. Das heißt aus dem Forschungsobjekt – den Senioren – wurden Subjekte und mithin Experten unserer Forschung. In mehreren Dialogphasen haben die Senioren eines sogenannten Seniorenbeirats unsere Arbeitsschritte begleitet, diskutiert, geprüft und kommentiert. In der ersten Phase bedeutete dies, dass wir neben der Repräsentation von Senioren in der Werbung auch die Binnensicht unserer Zielgruppe erforschten: Wie sehen sich Senioren selbst bzw. wie wollen sie sich sehen? Hierbei operierten wir nicht nur mit qualitativen Interviews, sondern ebenso mit nonverbalen Techniken, wie etwa Collagen, anhand derer die Senioren darstellen sollten, wie sie sich selbst sehen bzw. gesehen werden wollen.
5.5 Projekte an der Universität der Künste Berlin Auf diesen Seiten werden exemplarisch einige Inszenierungen und Modelle aus Projekten vorgestellt, die im Rahmen des Forschungsprojektes am Institut für Produkt- und Prozessgestaltung der Universität der Künste Berlin entstanden sind. Ziel der Entwurfsarbeit war die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen, die die selbstständige Lebensführung im häuslichen Alltag unterstützen. (Projektbeschreibungen, Betreuung und Teilnehmer S. 219-221) Digitale Inszenierung – Geschichten vom Altern und von Dingen In diesem Projekt wurden ältere Menschen mit den ihnen wichtigen Gegenständen fotografisch in Beziehung gesetzt. Ziel war es, neue Bilder vom Alter aufzudecken. Die bei der Recherche entdeckten »Geschichten« bildeten die Grundlage für eine fotografische Inszenierung der Personen.
Sie habe keine Folge von Domino-Day ausgelassen, meldete sich Isolde. „Halt den Mund. Halte ausnahmsweise einmal den Mund!“, fuhr Charlotte sie an. „Ich will nicht nach Frankfurt an der Oder.“ Emmas Stimme klang weinerlich. „Das war ein Scherz“, beruhigte Charlotte. „Sie haben mich noch nie eingeladen“, sagte Charlotte zu Jürgen Nolte. Sie wedelte sich mit einem Federfächer Luft zu. Dann nahm sie die Brille ab und blickte durch ihr Fernglas auf die Pferderennbahn. „Raus mit der Sprache. Was wollen Sie von mir?“ „Sie sind misstrauisch“, lachte Nolte und zog an seiner Zigarre. Das dunkelblaue Kleid und der dazu passende Hut würden ihr gut zu Gesicht stehen. „Ein Kompliment aus Ihrem Mund?“ Charlotte legte das Fernglas vor sich auf den Tisch und schob die auf die Sessellehne gerutschte Stola über die Schultern des ärmellosen Kleides. „Sie überraschen mich schon wieder.“ Nolte wurde ernst. Er habe erfahren, dass sie in finanziellen Schwierigkeiten stecke. „Woher wissen Sie das?“ Von seinen Freunden vom BKA. Souverän lehnte er sich in seinem Rollstuhl zurück und schnippte nach Gero, der Champagner nachfüllte. Wie hoch die Summe ihrer Verbindlichkeit sei? „Sieh einer an. Sind Ihre Freunde lückenhaft informiert?“ 145
Er habe munkeln hören, dass es sich um 900.000 Euro handle. Sie hob das Glas. Reserviert prostete sie ihm zu. Das Ergebnis des vierten Rennens wurde durchgegeben. Charlotte blinzelte auf ihren Wettschein. Wieder hatte sie verloren. Sie nahm ihre Verluste als ein schlechtes Omen für das Gespräch mit Nolte. „Besitzen Sie noch zwanzig Euro?“ Charlotte nickte. „Wirbelwind oder Anastasia. Welches der beiden Pferde zuerst seinen Darm entleert?“ Sie tippe auf Anastasia. Nolte streckte ihr seine Hand entgegen und Charlotte schlug ein. Dann schickte er Gero zu den Pferdeboxen. Nolte lehnte sich gemütlich in seinem Rollstuhl zurück. „Ich will Ihnen und Oskar einen Vorschlag unterbreiten, von dem ich meine, dass Sie ihn nicht ablehnen können.“ „Ich bin darauf gespannt.“ Charlotte griff nach dem breitkrempigen Hut und nahm ihn ab. Es gehe um eine Wette mit sehr hohem Einsatz, sagte er. „Aber wenn Sie gewinnen, sind Sie ihre Schulden los.“ „Das hört sich geradezu so an, als wären Sie ein Menschenfreund. Wenn das die Runde macht, ist Ihr Ruf als knallharter Geschäftsmann im Arsch, mein Guter.“ „Die Meinung anderer interessiert mich nicht, Gnädigste. Für mich sind Wetten, in welcher Form auch immer, der Ersatz für zwei gesunde Beine.“ Er setze eine Million Euro. Charlotte schluckte. 146
Was sie als Einsatz zu bieten habe? „Langsam, Sie alter Fuchs. Zuerst will ich wissen, worum es bei der Wette geht.“ Gero kehrte auf die Tribüne zurück. „Es tut mir leid“, sagte er zu Nolte, Anastasia sei die schnellere gewesen. Gerührt blickte Charlotte zur Schneiderpuppe. Wann sie das Kostüm repariert habe?, wollte sie von Emma wissen. „Ich habe Gertrud um den Zimmerschlüssel gebeten. Während du dich am Nachmittag mit Nolte getroffen hast, habe ich mich daran zu schaffen gemacht.“ Alle wüssten, wie sehr Charlotte an ihrem Bühnenkostüm hänge. Mit vereinten Kräften habe man es wieder so hergerichtet, wie es vor dem Überfall ausgesehen habe. Charlotte bedankte sich. Eine Melodie war aus ihrer Tasche zu hören. Emma stutzte. „Was hast du?“, wollte Charlotte wissen. „Du kennst doch meine Pillendose.“ „Ja, aber ich habe nicht gewusst, dass sie dich auch musikalisch unterhält.“ Das sei doch ein Song aus der Rocky Horror Picture Show. Charlotte bestätigte es. Emma trippelte von einem Bein aufs andere. Ricardo und Isolde würden im Gemeinschaftsraum vor dem Fernseher sitzen, sich mit einer Talkshow die Zeit vertreiben, sich von ihrer Nervosität ablenken. „Sie sind neugierig und wollen wissen, wie dein Treffen mit Nolte war.“ 147
Er habe ihr einen absurden Vorschlag gemacht, den anzunehmen sei ein Hasardspiel, purer Unsinn. „Er will ein Rollstuhlwettrennen veranstalten. Ich habe ihm gesagt, dass er das gleich wieder vergessen kann.“ „Hier sind meine Ersparnisse.“ Samira öffnete ihren Schulrucksack und entnahm ihm eine kleine Tasche. Aus ihr zog sie 1.500 Euro hervor und legte sie gefächert auf das Klavier. Woher sie das Geld habe? Charlotte richtete sich im Schreibtischsessel auf. Zu ihren Geburtstagen und zu Weihnachten bekäme sie von der Verwandtschaft stets Bares, das habe sie immer zur Seite gelegt. Sie habe es sparen wollen, um einmal ins Ausland zu gehen. In London gäbe es eine Klavierschule, die einen ausgezeichneten Ruf besäße. Aber die könne warten, erklärte sie überzeugt. Außerdem habe sie eine hervorragende Lehrerin, die ihr schon so manches beigebracht habe. Und sie wolle nicht, dass diese Lehrerin traurig sei. Vielleicht könne sie mit ihrem Geld etwas Abhilfe schaffen. „Dein Angebot ehrt mich außerordentlich“, meinte Charlotte, um Fassung bemüht, aber sie werde das Geld nicht annehmen. Sie erhob sich aus dem Schreibtischsessel, nahm die Scheine vom Klavier und reichte sie Samira.
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Entwurfsprojekte: living longer – Wandlungen im Wohnbereich Eines für alle – Produkte und ihre verborgenen Reize Wer rastet der rostet – über das Suchen und Finden von Kurzzeitrastplätzen Mein wunderbarer Waschsalon – neue Bäder für alte Nutzer Ich geh am Stock – Hilfsmittel für den alltäglichen Bedarf In diesen Projekten ging es um die Entwicklung von Produkten und Konzepten, die die Bedürfnisse älterer Menschen aufgreifen, aber auch für andere Altersgruppen attraktiv sind. Die Modelle auf den folgenden Seiten wurden u. a. auf der Salone Satellite in Mailand gezeigt.
Seit dem Morgen wartete Charlotte, bei offener Eingangstür im Sessel des Treppenliftes sitzend, auf Oskar. Ricardo und Max hatten sie in der Früh aus dem Motel, in dem sie mit ihm übernachtet hatten, angerufen. Nach Charlottes Berechnung mussten die Drei am späten Vormittag eintreffen. Sie las unkonzentriert einen Artikel über das Hotel Adlon, schon zum siebenten Mal. Es war Mittag, vom Mietwagen und seinen Insassen noch immer keine Spur. Mehrmals versuchte sie, Ricardo und Max auf Handy zu erreichen. Beide hatten es ausgeschaltet. Isolde gesellte sich zu Charlotte. Es vergingen zwei Stunden. Dann schreckte ein Hupen die beiden auf. Charlotte sprang aus dem Sessel und lief auf den Wagen zu, der in eine Parklücke fuhr. Oskar winkte durchs geöffnete Fenster. Ein Bellen und gleich darauf eine Hundeschnauze, die sich an der Unterkante ins Freie schob. „Was zum Teufel ist das?“, rief Charlotte. „Es ist unschwer zu erkennen, dass es sich um einen jungen Hund handelt,“ sagte Isolde. „Darauf wäre ich nun wirklich nicht gekommen.“ Charlotte zwinkerte Oskar zu. Er lachte. Wie ihr sein neuer Gefährte gefalle? Sie beäugte das überdimensionale Wollknäuel skeptisch. „Darf ich vorstellen.“ Oskar öffnete die Wagentür und der Hund sprang auf den Boden, „Das ist Gottschalk.“ Er wieselte um Charlottes Waden, sie bückte sich und strich über sein Fell. Ricardo und Max stiegen aus, gingen zur Rückseite und hievten den Rollstuhl aus dem Heck. 149
Ein Hund habe in der My Fair Lady gerade noch gefehlt, sagte Isolde abfällig. „Willkommen zu Hause, ihr zwei.“ Charlotte erhob sich, ging auf Oskar zu und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Der Hund bellte. Ein reinrassiger Bernhardiner, erklärte Oskar stolz. Er habe das Tier, es sei ein Jahr alt, von den Besitzern des Bauernhofes geschenkt bekommen, zum Abschied. Max und Ricardo hoben Oskar in den Rollstuhl, Charlotte trat zur Seite. Wie er auf den Namen Gottschalk gekommen sei? „Sieht man doch gleich. Weil er eine so große Schnauze wie der im Fernsehen hat“, meinte Isolde bissig und raunte Charlotte zu, wie sie sich denn das vorstelle, ein Hund in einer Plattenbausiedlung! „Sind solche Riesenhunde da überhaupt erlaubt?“ Oskar wandte sich zu den beiden, blickte irritiert auf Isolde. Was sie da eben gesagt habe? Er solle erst einmal ins Haus kommen, sagte Charlotte, sie werde ihm alles erklären. „Das ist purer Wahnsinn“, empörte sich Charlotte. Er müsse sich schonen, Aufregungen vermeiden. „Ich werde nicht zulassen, dass du deine Gesundheit aufs Spiel setzt.“ „Endlich! Ich habe genug davon, mich ständig zu schonen“, rief er. Seit er aus dem Privat-Sanatorium zurück sei, fühle er sich hervorragend. Es gehe ihm blendend, das müsse sie doch sehen. Sie könne ihn nicht abhalten, er habe längst beschlossen, sich auf diese Wette einzulassen. „Aber es ist unmöglich, in der Nacht den Reichstag zu betreten, er wird zu streng bewacht“, versuchte Charlotte ihn umzustimmen. 150
Oskar zuckte mit den Schultern. Gottschalk hockte auf dem Boden vor dem Kamin und bellte die Urne an. Oskar klopfte auf seinen rechten Oberschenkel, der Hund verstummte und trottete zu ihm. Das Wettrennen sei Noltes Idee gewesen, diesen Austragungsort habe er allein bestimmt. Im Reichstag!, faszinierend. „Die Idee hätte von mir stammen können“, schmunzelte er. „Der Reichstag ist geradezu ideal für ein Rollstuhlwettrennen“, schwärmte er. Es gäbe wohl keinen besseren Ort, um sich zu messen, da müsse er Nolte zustimmen. „Nolte ist, bis er seine Beine verloren hat, ein hohes Tier beim Bundeskriminalamt gewesen und hat bis heute seine Beziehungen gepflegt.“ Welcher Art die seien, habe er ihm nicht verraten. Ja, das wisse sie, er brüste sich geradezu, für das BKA gearbeitet zu haben. „Aufgrund dieser alten Beziehungen ist es ihm möglich, außerhalb der Öffnungszeit, den Reichstag zu betreten.“ Und die Kosten für das Personal, das alles überwacht, würde Nolte tragen. „Du meinst wohl die Bestechungsgelder, die man benötigt, um hineinzukommen“, sagte Charlotte. „Mein Rollstuhl im Wettstreit gegen seinen.“ Oskar rieb sich die Hände. Unsicher sah Charlotte ihn an. „Nolte ist ein geübter Fahrer, sein Rollstuhl ist mit allen Raffinessen ausgestattet.“ Was für eine Chance er sich dabei für einen Sieg ausrechne? Sie solle abwarten und ruhig bleiben, tröstete Oskar. „Ich möchte zu gerne das Gesicht von Nolte sehen, wenn er verliert. Was meinst du, Gottschalk?“ 151
Der Hund bellte. Er sei ebenfalls einverstanden, übersetzte Oskar. „Ich werde das Rennen absagen.“ „Das Training hat beste Resultate gezeigt“, versuchte er, Charlotte umzustimmen. Der Rennrollstuhl, den er vom Behindertenverband ausgeborgt habe, würde jedem Leichtathleten zur Ehre gereichen. „Vielleicht melde ich mich für die nächsten Paralympics an.“ Er vertraue auf die letzten Tage, in denen er mit Max von morgens bis abends geübt habe. „Jetzt hab dich nicht so, Charlottchen!“ Wo ihr Sinn für das Wagemutige bleibe? „Hierbei hört sich meine Risikofreude auf“, meinte sie. „Du hast keine Kondition. Und denk an dein Herz. Du wirst zusammenbrechen und...“, Charlotte verstummte. „Ich habe nichts zu verlieren“, sagte Oskar bestimmt. „Aber wir können gewinnen!“ Charlottes Haus, das Nolte als Wetteinsatz verlange, gehöre sowieso dem Kredithai. „Wenn Nolte das herausfindet, lässt er sich ohnehin nicht auf das Rennen ein“, meinte sie. Sie müsse es darauf ankommen lassen. Nolte sei ein Spieler, ihm ginge es nicht um das Haus, war er überzeugt. Nein! Sie bleibe dabei, kein Rennen im Reichstag. „Gut, dann werde ich jetzt die anderen im Gemeinschaftsraum informieren.“ „Warte“, hielt Charlotte ihn auf.
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... das große Rennen ... Es war etwa vier Uhr morgens, als sich eine kleine Gruppe, ihnen voran ein Hund und zwei Rollstuhlfahrer, über die Behindertenrampe, seitlich des Besuchereinganges zum Reichstag, auf Glastüren zubewegte. Es täte ihm leid, sagte einer der zwei Wachmänner, die dahinter standen und sie in Empfang nahmen, um den Sicherheitscheck kämen sie, auch wenn es sich um eine „private Veranstaltung“ handle, nicht herum. Man durchsuchte Charlottes Handtasche, dann durchschritt sie den Bogen, der Metallstücke laut reklamiert. Bei ihr blieb er stumm, ebenfalls bei Isolde. Ricardo übergab einem Wachmann den Spazierstock mit Silberknauf, erhielt ihn auf der anderen Seite angekommen, zurück. Oskar, neben ihm Gottschalk und Nolte, auf dessen Oberschenkeln ein Metallkoffer lag, rollten seitlich am Bogen vorbei. „Also das ist ihr Ersatzgefährt. Ist es nicht ein bisschen kindisch, wenn ein alter Mann in so einem Rennrollstuhl sitzt?“, meinte Nolte mit einem Blick auf Oskars edles Gefährt. „Haben Sie etwa Angst vor einem Alten in einem Rennstuhlporsche?“ Nolte schüttelte verneinend den Kopf. „Was ist schon eine schnittige Karosserie, wenn keine Power drinsteckt.“ Sie rollten zum offenstehenden Lift. „Sie akzeptieren also meinen Ersatzwagen?“ 153
Nolte nickte gönnerhaft. Der Professor trat durch den Bogen, es schrillte. Das sei wohl seine Begleitung, der Flachmann, den habe er glatt vergessen, meinte er verschmitzt und reichte ihn einem Wachmann. Gleich darauf bekam er die Flasche wieder. Samira und Gero gingen als letzte. Die Schiebetür des Liftes schloss sich, einer der Wachmänner drückte auf einen Knopf. Oskar hatte seine Hände, nervös ineinander verkrampft, im Schoß liegen. Charlotte griff auf seine Schulter, zwinkerte ihm aufmunternd zu. Als sie aufsah, merkte sie, dass Gero sie beobachtete, rasch den Blick von ihr abwandte und ihn auf den Boden senkte. Die Lifttür öffnete sich, wurde begleitet von einem „Hicks“ Charlottes. Aus einem Reflex heraus griff sie auf ihren Mund. Nicht immer hatte sie eine Flasche Whisky dabei, um ihren Schluckauf wirksam zu bekämpfen. Man müsse an Elefanten denken, um ihn loszuwerden, hatte sie, nachdem sie sich beim Ratgeber im Internet beschwert hatte, zugeschickt bekommen. Wieso an Elefanten?, hatte sie zurückgeschrieben. Einerseits würde der Elefant, ein mächtiges Tier, den meisten Menschen Angst einjagen. Andererseits beruhige die Farbe grau, wurde ihr geantwortet. Eine ganze Kolonne dieser Tiere zog an ihren Augen vorbei, im Hintergrund die idyllische Kulisse eines Nationalparks. „Hicks.“ Sie mochte Elefanten, hatte keine Furcht vor ihnen und langweiliges Grau löste in ihr höchstens Depressionen aus. Vielleicht lag es an dieser Konstellation, dass dieser Rat nicht wirkte. Sie wollte sich wieder beschweren. 154
Charlotte verließ den Lift. Es war ruhig, keiner der Anwesenden sagte etwas, alle schienen dem gleichen Zauber ausgeliefert zu sein wie sie. Sie hob ihren Kopf zur Kuppel. Weiches Licht spiegelte sich auf der Mittelstütze, Handläufe schlängelten sich wie silbrige Lianen nach unten. „Hicks.“ Eine eigenartige Welt, dachte Charlotte und stellte sich vor, dass die Kuppel eine Raumfähre sei, die jeden Moment mit ihnen von hier abheben könne und ferne Ziele im Universum anfliegen würde. Eine wunderbare Vorstellung, fand sie. Nolte klatschte in die Hände, schien damit auch Charlottes Schluckauf vertrieben zu haben. Nein! Mit Nolte wollte sie nicht ins Weltall aufbrechen. Der Zauber war verflogen. Er übergab den Metallkoffer Gero. Max hatte sich neben Oskar gestellt. „Es geht um sehr viel Geld“, sagte Nolte. Ricardo reichte Oskar den Spazierstock mit dem Silberknauf. Er griff danach und erhob sich geschickt aus dem Rollstuhl. Was das solle? Irritiert fuhr Nolte auf Oskar zu, der etwas wackelig vor ihm stand. Max hatte es sich im Rollstuhl bequem gemacht, krempelte die Ärmel kampfbereit bis zu den Oberarmen hoch und setzte eine ferrarirote Kappe auf. „Rollstuhl gegen Rollstuhl“, sagte Charlotte. „Genauso, wie ausgemacht.“ Sie merkte, dass sich Noltes Gesicht dunkel verfärbte und eine Ader an der Schläfe pulsierte. Er rieb mit den Zähnen derart heftig aufeinander, dass die Backenmuskeln und Wangen zuckten. Gero war an seine Seite getreten. Unwirsch deutete Nolte ihm, zu verschwinden und er ging einige Schritte zurück. Charlotte sah ein Aufblitzen in Geros Augen, um die Lippen ein verräterisches Schmunzeln. 155
„Contenance, mein Herr“, versuchte Ricardo Nolte zu beruhigen. Gottschalk bellte und Oskar rief ihn zu sich. „Das haben Sie sich schlau ausgedacht.“ Dann, als wollte Nolte sich vor Charlotte keine Blöße geben, lenkte er ein. Es sei gleich, gegen wen er kämpfe, mit seinem Rollstuhl sei er unbezwingbar. Er lachte und die Kuppel gab sein Lachen zurück. Dann schnippte er mit Daumen und Zeigefinger. Gero eilte wieder herbei, unter seinen Arm den Metallkoffer geklemmt, den er auf Noltes Oberschenkel legte. Hier sei sein Wetteinsatz, sagte Nolte, drehte an den Rädchen der Zahlenkombination und klappte den Koffer auf. Packenweise Fünfhundert-Euro-Scheine. Eine Million, ob sie nachzählen wolle? „Sie sind ein Ehrenmann, ich glaube Ihnen.“ Er verschloss den Koffer wieder und reichte ihn einem der Wachmänner. Charlotte nickte Isolde zu, die aus ihrer Tasche ein Kuvert zog und es Nolte übergab. Alles oder nichts, hatte Charlotte gemeint. Entweder wir gewinnen, oder Nolte lässt mich, wenn er den Betrug bemerkt hat, bei lebendigem Leibe mit Betonschuhen in die Spree versenken. Also steckte nicht, wie ausgemacht, eine Schenkungsurkunde, die ihn als neuen Besitzer der My Fair Lady ausweisen würde im Kuvert, sondern ein Aquarell Emmas. Oskars und ihre Augen trafen sich. Nolte griff ins Kuvert, hielt inne. „Ich vertraue auf Ihre Ehrlichkeit“, meinte Nolte. Er reichte das Kuvert dem Wachmann. Oskar zwinkerte Charlotte zu. Nolte hielt Max seine ausgestreckte Hand entgegen. 156
Folgende Seiten: Ausschnitte aus zwei Kurzzeitprojekten in Kooperation mit der Bauhaus-Universität Weimar. Empathie als Ansatz – sich in den späteren Nutzer hineinversetzen Ein Kurzzeitprojekt in Kooperation mit der Bauhaus-Universität Weimar mit dem Titel »Handicappen, spekulieren und manipulieren mit Sinnen«. Was bedeutet es, wenn ich mich nicht mehr aufrichten kann, alles verschwommen sehe oder mir die Hand zittert. In diesem Projekt ging es um experimentelle Versuchsanordnungen, um diese Gefühle am eigenen Leib zu erleben. Über Nacht beige werden … lifting und ageing von Dingen Wie wirkt ein Produkt auf uns, wie ist seine Anmutung, seine Semantik – sein Zeichen. Was kann uns ein Gegenstand sagen? Ist das Produkt alt oder jung, und was muss ich tun, damit es zur anderen Seite gehört?
„Auf einen fairen Kampf.“ Nolte kniff die Augen zusammen, als Max einschlug und Charlotte beschlich Misstrauen. Ein Wachmann und der Professor begaben sich mit den Rollstuhlfahrern auf den Weg zum Start, zum höchsten Punkt der Kuppel. Der Professor sollte ein Zeichen, das Knallen einer entkorkten Champagnerflasche, für den Start des Rennens geben. Samira nahm mit Gero beim Ziel Aufstellung. Die beiden, so war man übereingekommen, sollten als Schiedsrichter fungieren. Während Nolte mit seinem elektrisch betriebenen Rollstuhl leise über die, gleich dem gewundenen Inneren eines Schneckenhauses ansteigende Bahn surrte, mühte sich Max, der die Räder händisch in Schwung bringen musste, ordentlich ab, um nach oben zu kommen. Der Professor schob ihn schließlich an. Charlotte packten Zweifel. Vielleicht war das Training, das Max absolviert hatte, zu kurz? Aber er hatte einen Rollstuhl, der dem seines Herausforderers ebenbürtig war, tröstete sie sich. Nolte war, vor Max und beider Begleitung, am Ausgangspunkt angekommen. Er fuhr knapp ans Geländer heran, beugte seinen Oberkörper darüber und winkte siegessicher den unten Stehenden zu. Charlotte kramte in ihrer Tasche, nahm die Brille heraus und setzte sie auf. Noltes Kopf hatte die Größe eines Weintraubenkerns, unmöglich, Gesichtszüge darin auszumachen. Aber sie konnte sich seinen hämischen Ausdruck vorstellen. Irgendetwas hat er vor. Emma drückte sich an ihre Seite. Jetzt nur nicht hyperventilieren! Charlotte atmete mehrere Male tief ein und aus. Max, sie konnte seine ferrarirote Kappe erkennen, war an Noltes Seite angekommen. 157
„Rollstühle an den Start“, forderte der Professor. „Wir sind bereit“, rief Nolte. „Die Rollstühle stehen vor der Kreidelinie.“ Der Professor und der Wachmann nahmen hinter den beiden Aufstellung und hielten gemeinsam die Champagnerflasche in die Höhe. Stille. Absolut nichts war zu hören. Man kann Stille nicht nur spüren, man kann sie auch sehen, war Charlotte in diesem Moment überzeugt. Stille kann mir Angst einjagen, sich wie eine Mauer vor mir aufbauen und sie kann auch schmerzhaft sein, indem sie mich umschlingt und mir den Boden unter den Füßen wegzureißen vermag. Sie fuhr mit der Hand zum rechten Ohr, bedeckte es. Der Knall des Korkens würde ein unangenehmes Dröhnen in ihrem Hörgerät auslösen. Gottschalk stimmte bellend ein, als das Startsignal gegeben wurde. „Auf der Innenseite fährt Nolte, eine Rollstuhllänge hinter ihm Max“, rief Samira. Charlotte verlor die beiden aus den Augen. Dann sah sie den ferrariroten Punkt auf der Außenbahn. Wo Nolte sich befand, konnte sie nicht erkennen. Orangefarbene Arbeitsmäntel, in denen drei Männer und zwei Frauen vom Putzpersonal steckten, bewegten sich auf die Gruppe zu. Was hier los sei, wollte einer der Männer wissen. Ricardo, der angespannt die Rollstühle verfolgte, erklärte knapp, dass es sich um ein Wettrennen handle. Jetzt waren die Geräusche der Räder zu hören, ein leises Quietschen, das sich die Kurven hinabzog. „Nolte hat einen gewaltigen Vorsprung“, schrie Gero. „Nolte? Etwa Jürgen Nolte?“, fragte ein Mann vom Putzpersonal. 158
Silver Generation – Bekleidungsentwürfe für die »Generation 50+« Ein Kooperationsprojekt mit dem Institut Bekleidungs- und Textildesign der Universität der Künste Berlin. Im Projekt setzten sich die Studierenden mit den Bekleidungsbedürfnissen und -gewohnheiten der »Generation 50+« auseinander. »Eine Generation, die sich auf einen äußerst aktiven dritten Lebensabschnitt vorbereitet und nicht daran denkt, alles für Kinder und Enkel zu sparen.«
Charlotte bestätigte es. Er habe einmal für diesen Halsabschneider gearbeitet, erklärte er einer Kollegin. Nolte müsse den Motor seines Rollstuhles ordentlich aufgemotzt haben, war Charlotte überzeugt. Oskar stimmte ihr zu. Die letzte Kurve vor dem Ziel. Zehn Rollstuhllängen hinter Nolte mühte sich Max ab, ihm zu folgen. Aus! Vorbei! Er hatte keine Chance. Kein Geld, kein Haus! Alles verloren! Und dann gab es einen Knall, ähnlich jenem des Champagnerkorkens, wenn auch heftiger. Charlotte sah eine kleine Rauchwolke. Noltes Rollstuhl blieb abrupt stehen. „Rien ne va plus!“, rief Max ihm zu. Er solle abhauen, brüllte Nolte ihn an. Das Putzpersonal, Charlotte und die anderen, mit Ausnahme von Gero und Samira, waren unter die letzte Kurve gelaufen, blickten zu ihnen hinauf. Sein Wunsch sei ihm Befehl, meinte Max und zwängte sich an Nolte vorbei, der nun versuchte, seinen Rollstuhl mit den Händen voranzutreiben. Langsam bewegte sich Noltes Rollstuhl vorwärts, während Max schwungvoll ins Ziel fuhr. „Max hat gewonnen!“ Samiras Stimme überschlug sich vor Begeisterung. Nun lief Gero Nolte entgegen und schob ihn auf das Plateau hinunter. Das Putzpersonal begann zu applaudieren, begleitet von Gottschalks Bellen. Mittlerweile waren der Professor und der Wachmann ebenfalls unten angelangt. Der Wachmann überreichte Max den Champagner. 159
„Sabotage“, ereiferte sich Nolte. Jemand müsse sich am Motor seines Rollstuhles zu schaffen gemacht haben. „Sie wollen einfach nicht wahrhaben, dass Sie nicht immer Erster sein können“, sagte Charlotte trocken. Wette sei Wette. Wie hätte einer von ihnen seinen Rollstuhl manipulieren können? Niemand sei auch nur in seiner Nähe gewesen. Er müsse schon handfeste Beweise vorlegen oder solle sofort mit diesen infamen Unterstellungen aufhören. „Sie sind ein miserabler, wirklich schlechter Verlierer!“ Zornig blickte Nolte zu ihr. Um ihn zu versöhnen, reichte ihm Max die Flasche Champagner. Nolte nahm sie aufgebracht entgegen und schmetterte sie auf den Boden. „Tschüss, edler Schampus“, meinte der Mann vom Putzpersonal. „Das kostet extra fürs Putzen.“ Der Mann hielt die Hand auf. Gero griff in die Tasche und warf ihm einen 50-Euro-Schein zu. „So leicht kommen Sie damit nicht durch, ich werde ihnen schon noch auf die Schliche kommen.“ Sie solle jetzt den Koffer nehmen und verschwinden. „Rasch! Bevor ich es mir anders überlege“, drohte Nolte. Gottschalk leckte an einer Champagnerlacke. Der Wachmann stand unschlüssig mit dem Koffer und dem Kuvert in den Händen neben Gero. Der nahm ihm beides ab und übergab es Charlotte. Ein kurzes Aufblitzen in seinen Augen. Sie bedankte sich bei ihm. Während der Mann vom Putzpersonal die Scherben der Flasche beseitigte, folgte Charlotte den anderen zum Lift.
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„Diese moderne Technik hat Nolte nichts gebracht“, lachte Oskar und gratulierte Max, mindestens schon zum fünften Mal. Nun habe sie doch eine Million ergattert!, freute sich Isolde. Charlotte umklammerte den Metallkoffer. Sie kenne ein nettes kleines Kaffeehaus, in dem man frühstücken könne, schlug sie vor, als die Gruppe etwas ratlos vor dem Reichstag stand, den Rücklichtern der davon brausenden Limousine Noltes nachblickend. Wie unhöflich von ihm, dass er uns keine Mitfahrgelegenheit angeboten hat, empörte sich Emma. Sie wundere sich nicht darüber, lachte Isolde und Ricardo stimmte ein. Sie müsse nach Hause, erklärte Samira, ihr Vater habe ihr nur ausnahmsweise erlaubt, einen Babysitter-Job in der Nacht anzunehmen, sie wolle ihn nicht unnötig verärgern, indem sie zu lange wegblieb. Er könne auf die Idee kommen und nachfragen, ob sie tatsächlich bei der Familie gewesen sei. „Aber die würde dicht halten“, meinte Charlotte, „dafür habe ich gesorgt. Ich habe sie angerufen und um ihr Schweigen gebeten“. Sie steckte Samira einen Euro-Schein zu. Sie solle ein Taxi nehmen. „Es ist eine aufregende Nacht gewesen“, verabschiedete sich Samira. Der Professor griff nach Charlottes Hand und deutete einen Kuss an. Er wolle sie nun ebenfalls verlassen. Das Kaffeehaus hatte gerade aufgesperrt, sie waren die ersten Gäste, die es betraten. Eine junge Frau kam an ihren Tisch, begrüßte sie und fragte nach ihrer Bestellung. Übermütig bestellte Oskar das amerikanische Frühstück, nach einem kurzen Blick in die Runde, für sechs Personen. 161
Es habe sich tatsächlich gelohnt! Oskar rieb sich die Hände. Allein der säuerliche Gesichtsausdruck, der Nolte zu zerfressen schien, sei die ganze Sache wert gewesen. Die junge Frau brachte Kaffee. Charlottes Augen funkelten unternehmungslustig. „Wir haben hoch gespielt und hoch gewonnen!“ Sie schenkte sich Kaffee ein, reichte das Kännchen weiter. „Auf die frischgebackene Millionärin!“ Ricardo hob seine Tasse zuprostend in die Höhe. „Auf uns alle!“, winkte Charlotte ab. Die junge Frau jonglierte mehrere Teller mit scrambled eggs und Würstchen auf ihren Unterarmen, stellte sie auf den Tisch. Der Cholesterinspiegel würde jubeln, bemerkte Emma süffisant und wickelte das Besteck aus der Serviette. Sie könne doch nach dem Essen eine dieser Anticholest-Pillen zu sich nehmen, fuhr Isolde sie an, häufte scrambled eggs auf ihre Gabel und kaute genüsslich, während Charlotte sich über ein Würstchen hermachte. Nun brachte die junge Frau Speck, Toast und Butter, wünschte einen guten Appetit und ging gähnend hinter den Tresen zurück. Er habe kein gutes Gefühl, hier mit diesem prall gefüllten Koffer zu sitzen. Ricardo klopfte aufs Metall. „Du befürchtest wohl, dass das Kaffeehaus überfallen wird“, kicherte Charlotte. Vielleicht hatte sie Gero verfolgt und würde ihnen, im Auftrag Noltes, das Geld abluchsen. „Ja, mit einer George-Bush-Junior-Maske über den Kopf gezogen“, witzelte Isolde. Sie sähe schon die Schlagzeile in der Berliner Zeitung. Ricardo warf ihr einen verächtlichen Blick zu und sie schwieg. 162
Alternativen – Produkte für eine neue alte Generation Der Wettbewerb wurden im Rahmen des Forschungsprojektes zwei Mal ausgelobt. Mit diesen Wettbewerben soll der Designnachwuchs für die Bedürfnisse älterer Menschen und die eigene Zukunft sensibilisiert werden. Auf den folgenden Seiten: Modelle der Preisträger
Er wischte sich mit der Serviette über den Mund. Die junge Frau brachte einen Napf Wasser und stellte ihn vor Gottschalk auf den Boden. Oskar bedankte sich. „Wissen Sie, wann das Kreditbüro öffnet?“ In etwa einer halben Stunde, gab sie ihm Auskunft. Gut, dann wolle er Kuchen bestellen, die ganze Runde darauf einladen. „Mit einer Extraportion Sahne“, verlangte er. Max erhob sich und trat zum Tresen, unterhielt sich mit der jungen Frau, die aus der Glasvitrine Kuchenstücke nahm. Charlotte trommelte auf den Metallkoffer. „Man könnte das Geld verdoppeln“, sagte sie, „dann hätten wir finanziell für immer ausgesorgt“. „Wage ja nicht, ins Casino zu gehen!“ Ricardo schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, rief nach Max und verlangte, dass er den Metallkoffer an sich nehmen, ihn solange bewachen solle, bis man ihn im Kreditbüro abgeliefert habe. „War doch nur ein Scherz“, meinte Charlotte. Alle sahen sie böse an. „Ja, ja. Deine Scherze kennen wir“, rief Max und stellte den Metallkoffer hinter den Tresen, flüsterte der jungen Frau etwas ins Ohr. Sie lachte. Er half ihr, die Teller mit Kuchen und Sahne zum Tisch zu bringen. „Gerade sperrt ein Mann die Tür des Kreditbüros auf“, sagte Emma. Charlotte verlangte nach dem Metallkoffer, Max brachte ihn ihr. Die junge Frau solle alles zusammen163
rechnen. Ob sie einverstanden seien? Alle stimmten zu und sie stellte die Rädchen der Zahlenkombination auf Noltes Geburtsdatum ein. Wie einfallslos, fand Charlotte. Sie öffnete. „Hat schon jemand von euch einen solchen Haufen Geld auf einmal gesehen?“ Ehrfürchtig strich Charlotte über die 500-Euro-Scheine, die sich geordnet nebeneinander stapelten. „Wow.“ Die junge Frau stand mit offenem Mund da. Die Eingangstür des Kaffeehauses öffnete sich. Rasch griff Charlotte nach einer Banknote und klappte den Koffer zu. Zwei Männer grüßten und setzten sich an einen Tisch neben dem Tresen. Charlotte überreichte der jungen Frau einen Schein und rundete die geforderte Summe großzügig auf. Sie würde selten einen 500-Euro-Schein sehen. Die junge Frau hielt ihn gegen das Licht, fuhr mit den Fingern über das Wasserzeichen. „Besitzen Sie denn keine Prüfmaschine?“, fragte Max. Die würde sich für das kleine Kaffeehaus nicht lohnen. Außerdem befände sich zwei Häuser weiter eine Bank. Wenn sie Zweifel an der Echtheit eines Scheines habe, könne sie ihn fachkundig untersuchen lassen. Die junge Frau drückte Charlotte das Retourgeld in die Hand. Sie kenne diese Bank, sei Kundin dort gewesen, erklärte Charlotte. „Lasst uns jetzt gehen.“ Sie stand auf. „Der gute Kuchen“, seufzte Emma, erhob sich, fuhr mit dem Zeigefinger in die Sahne und schleckte ihn ab. Sie griff zu einer Serviette und legte ihr Stück darauf. Ein Blick auf die Kuchen der anderen. Blitzschnell packte sie auch diese ein. 164
Dann folgte sie den anderen zum Ausgang. Die junge Frau wünschte ihnen viel Glück und ging zu den neu eingetroffenen Gästen. Man müsse sich ein wenig gedulden, bis Herr Klose erscheinen werde, sagte der Mann, nachdem Charlotte ihr Anliegen vorgebracht hatte. „Leider bin ich hier erst seit kurzem angestellt und besitze deshalb noch nicht die Kompetenz, um mit Ihnen die Rückzahlung des Kredites abzuwickeln.“ Er deutete auf die Sitzecke und bot ihnen Platz an. Charlotte setzte sich neben Ricardo und Isolde. Emma blieb neben Oskars Rollstuhl stehen. Er blickte durch die Stores auf die Straße. Gottschalk hatte es sich auf dem Boden bequem gemacht. Er könne ihnen, um die Wartezeit zu verkürzen, Kaffee anbieten, meinte der Mann. Alle lehnten ab. Der Mann setzte sich hinter seinen Schreibtisch und fuhr den Computer hoch, gab vor, zu arbeiten. Aber er blickte immer wieder zur Sitzecke und zum Fenster. Er wirkte unkonzentriert. Bestimmt weiß er über die üblen Machenschaften von Klose Bescheid, war Charlotte der Meinung. An der Wand, hinter dem Schreibtisch, hing eine digitale Uhr. Charlotte beobachtete etwas müde, wie die Zeit verstrich. Blaues Licht zuckte, von der Straße kommend, durch die Fensterscheiben über den Boden des Büros. Der Hund sprang auf und bellte, Oskar beruhigte ihn. Emma schob die Stores zur Seite. „Ein Einsatzwagen der Polizei ist vor dem Kaffeehaus vorgefahren“, rief sie. „Hoffentlich ist der jungen Frau nichts passiert!“ Die Eingangstür öffnete sich. Der Mann sprang auf, begrüßte Axel Klose, der sich irritiert umblickte. 165
Charlotte erhob sich und nannte ihren Namen. „Sie sind also der Mann, der mich am Telefon so unhöflich behandelt hat.“ Dann trat Charlotte vor ihn hin und hielt ihm den Koffer entgegen. Sie wolle ihre Schulden begleichen. Axel Klose fuhr sich durchs Haar und schloss die Tür hinter sich, der Hund lief auf ihn zu, schnupperte neugierig an seinen Hosenbeinen. Über die Gesichter von Oskar und Emma zogen die blauen Lichtkreise des Einsatzwagens. Es wirkte gespenstisch, fand Charlotte, auch das Metall des Koffers funkelte blau, einem überdimensionalen Saphir gleich. Zögernd nahm Axel Klose diesen Edelstein aus ihrer Hand und legte ihn auf den Schreibtisch. Charlotte verriet ihm die Zahlenkombination. Der Deckel sprang auf, gleichzeitig verebbte das blaue Licht, als habe man einen Lichtschalter umgelegt. Axel Klose grinste, legte Besitz ergreifend seine Handflächen auf die gebündelten Scheine. „Nehmen Sie das Geld und geben Sie mir den erschlichenen Vertrag!“, forderte Charlotte. „Neunhundertneunundneunzigtausendachthundert Euro. Zählen Sie nach.“ Ein plötzlicher Luftzug, der Rahmen der Eingangstür stieß mit einem lauten Knall gegen die Wand. Zwei Männer, in Anzug und Krawatte, standen im Raum. Einer stellte sich als Hauptkommissar Berger vor, der andere, ein Schwarzhaariger, nuschelte, dass er Bergers Assistent sei. Isolde stieß einen spitzen Schrei aus. Charlotte lehnte sich gegen den Schreibtisch, befürchtete, in Ohnmacht zu fallen. Hauptkommissar Berger trat vor den Schreibtisch, blickte in den Koffer, nahm ein Bündel heraus. Genau betrachtete er mehrere Scheine. Wem das Geld gehöre? Niemand antwortete. Er wiederholte seine Frage, dieses Mal laut und drohend. Gottschalk war zu ihm gelaufen und knurrte. 166
senior/life/style Nicht nur Mick Jagger, sondern jeder dritte Europäer ist bald über 60 Jahre alt. Und die »neuen Alten« sind anders: nicht nur rüstiger und reicher, sondern auch mit ausgeprägtem Bewusstsein für persönlichen Lifestyle, Komfort und Ästhetik. Neue Produkte und Nutzungsweisen sind gefragt. Die Modelle der Studierenden wurden in einer Sonderschau auf der Konsumgütermesse Tendence in Frankfurt am Main in Zusammenarbeit mit den Partnerunternehmen Koziol, Mono und Rosenthal gezeigt.
Warum er das wissen wolle? Charlotte sah ihm fest in die Augen. Er sei vom Falschgeld-Dezernat. Er griff in die Jackentasche und nahm einen Ausweis heraus. Ernst Berger, Hauptkommissar, las Charlotte. Der Koffer sei ihrer, sagte sie mit dünner Stimme. Der Hauptkommissar blickte sich um, wandte sich an Ricardo. Was er hier zu suchen habe? Sie würde die Menschen hier im Raum nicht kennen, sagte Charlotte rasch. Wenn das der Wahrheit entspräche, könnten sie gehen. Oskar wollte etwas sagen, Charlotte sah ihn abweisend an. Sie habe diese Menschen noch nie zuvor gesehen, wiederholte sie. Oskar pfiff nach Gottschalk und rollte widerwillig, vom Schwarzhaarigen begleitet, hinter der Gruppe aus dem Büro. Der Hauptkommissar wandte sich an die beiden Männer hinter dem Schreibtisch. „Können Sie mir einen Platz für ein Verhör zur Verfügung stellen?“ Klose bejahte. Er führte Charlotte und den Hauptkommissar über einen schmalen, mit Notlichtern versehenen Korridor, der sich dem Büro anschloss, in einen fensterlosen Raum und schaltete das Deckenlicht ein. Bis auf einen Tisch und zwei Stühle war er leer. Der Hauptkommissar setzte sich, forderte Charlotte auf, ebenfalls Platz zu nehmen. Er tastete nach der kleinen Lampe, die vor ihm stand und drückte auf den Knopf. Charlotte lachte auf. Was sie habe? Hier gehe es um eine ernste Sache. „Man wird Sie anklagen, Falschgeld in Umlauf gebracht zu haben“. Es gäbe für sie keinen Grund, sich zu amüsieren. Wie in einem dieser Krimis, fand Charlotte, gleich wird er die Lampe in Richtung meines Gesichtes drehen, um mich zu blenden. „Ich soll Falschgeld in Umlauf gebracht haben? Ich habe bloß die Rechnung im Kaffeehaus mit 167
einem 500-Euro-Schein bezahlt. Wie hätte ich ahnen können, dass es sich um Blüten handelt?“ Der Hauptkommissar verlangte, dass Klose die Deckenbeleuchtung ausschalten und gehen solle. „Woher haben Sie das Falschgeld?“ Der Hauptkommissar hatte sich erhoben und ging um den Tisch herum. Charlotte verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Wie oft muss ich Ihnen noch sagen, dass das Geld von Jürgen Nolte stammt“, sagte sie matt. Sie überlegte, ob sie das Hörgerät entfernen sollte, um die sich ständig wiederholenden Fragen nicht mehr in dieser Deutlichkeit hören zu müssen. Aber dann siegte die Neugier, etwas zu verpassen, und sie ließ es an seinem Platz. Herr Nolte sei ein angesehener Mann, sie solle sich hüten, diese Unwahrheit über ihn zu verbreiten, sonst habe sie eine Verleumdungsklage am Hals. Und was das Treffen in der Kuppel des Reichstages und diese Wette anbelange, er glaube ihr diese absurd anmutende Geschichte nicht. Solange sie nicht die Wahrheit sage und Licht in diese Angelegenheit brächte, werde er sie hier festhalten. „Ich will sofort mit einem Anwalt sprechen“, forderte Charlotte. Der Hauptkommissar antwortete nicht. Er werde ihr Gelegenheit geben, ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen und sie eine Weile allein lassen. Er durchquerte das Zimmer. Charlotte wunderte sich über seine weißen Sportschuhe. Die Tür fiel ins Schloss. Sie lauschte. Sie hörte seine Schritte, die sich entfernten. Ihre Füße schmerzten, sie schlüpfte aus den Schuhen, bewegte ihre Zehen. Dann griff sie zu ihrer Tasche und zog das Handy heraus. Sie wählte Oskars Nummer. Ein Knacken in der Leitung. Wortfetzen drangen an ihr Ohr. 168
„Hallo, Oskar? Kannst du mich hören?“ Die Verbindung riss ab. Sie blickte aufs Display. Der Empfang war zu schwach, es war sinnlos, aus diesem Raum zu telefonieren. Von weit her konnte sie Stimmen hören, zu undeutlich, um etwas zu verstehen. Sie schob die Riemen ihrer Tasche über die Schulter, schnappte sich die Schuhe, durchquerte bloßfüßig den Raum und drückte die Klinke der Tür herunter. Sie war unversperrt. Der Hauptkommissar war sich wohl sicher, dass sie nicht flüchten würde. Charlotte öffnete und blickte ins matte Licht der Notbeleuchtung. Sie waren von der linken Seite des Korridors gekommen, orientierte sie sich und wandte sich nach rechts. Ihre Zehen stießen gegen einen spitzen Gegenstand, sie konnte sich gerade noch einen Schrei verkneifen. Eine schmale Tür zeichnete sich durch die Eisenverstrebungen von der Wand, in die sie eingelassen war, ab. Es quietschte leise, als sie die Tür öffnete. Ein heller Sonnenstreifen blendete ihre Augen. Hitze schlug ihr entgegen. Sie befand sich in einem kleinen, geschlossenen Innenhof. Eine schwarzweiß gefleckte Katze saß auf einem Müllcontainer, miaute, als Charlotte auf den erdigen Boden trat, auf dem vereinzelt Grashalme in die Höhe schossen und sie sich ihr näherte. Sie klopfte mit den Schuhsohlen vier Mal auf den Boden, ein Tick von ihr. Selbst Kleidungsstücke schüttelte sie aus, bevor sie hineinschlüpfte. Spinnenfrei, dachte Charlotte erleichtert und zog die Schuhe an. Links und rechts von ihr erhob sich eine Häuserfront mit schmalen Fenstern. Ihr gegenüber eine etwa zwei Meter hohe Mauer, die offenbar in einen anderen Hof führte. Teilweise verdeckte Gerümpel das mit Efeu überwucherte Gemäuer. Die Katze sprang auf den Boden. Charlotte zuckte zusammen, presste ihr rech169
tes Ohr gegen die Tür. Sie konnte nichts Verdächtiges hören, keine Schritte, keine Stimmen. Die Katze rieb ihren Kopf an Charlottes Wade. Sie bückte sich und kraulte das Tier. Sein Schnurren beruhigte sie. Ein lautes Krachen, jemand schloss unsanft eines der schmalen Fenster zum Innenhof. Die Katze lief zu einer Kiste, kletterte auf den Efeu und gelangte von dort weiter auf die Mauer. Sie miaute wieder, blickte zu Charlotte, als wolle sie sie auffordern, ihr zu folgen. Charlotte zog eine Kiste zum Müllcontainer, stapelte eine zweite darauf. Die Tasche rutschte über ihre Schulter, fiel auf den Boden. Sie hob sie auf und warf sie über die Mauer. Die Katze sprang ihr hinterher. Was machst du für Sachen, schalt sich Charlotte, als sie den Müllcontainer erklommen hatte. Stolz breitete sich in ihr aus. Dann blickte sie mutlos auf die Mauer. Sie hatte es noch nicht geschafft. Langsam zog sie sich auf den mit Efeu überwucherten Vorsprung und sah in den angrenzenden Garten. Ein etwa fünfjähriger Junge saß in einem Sandkasten vor einer Terrasse, die an ein mehrstöckiges Wohnhaus grenzte und schaufelte eine Grube aus. Die Katze lief auf ihn zu, er begrüßte sie. Charlotte keuchte, fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Was machst du da oben?“ Der Junge war zu ihr gelaufen, hatte seinen Kopf in den Nacken gelegt und blickte sie an. „Hast du keine Angst, dass du herunterfällst?“ Charlotte meinte, sie könne fliegen. „Bist du Superman oder ein Engel?“ Weder noch, rief sie ihm zu. 170
„Kannst du mir helfen?“ „Warum machst du es nicht so, wie meine Katze?“ Die würde an den Efeuranken herabklettern. Sie sei nicht Spiderman, entgegnete sie. Dann solle sie doch auf den Gartentisch springen. Charlotte entdeckte unterhalb der Mauer einen aus Holz gefertigten Tisch. Vorsichtig schob sie ihre Beine über die Kante der Mauer. Ihre Schuhspitzen tasteten über Blätter, der Rock verfing sich in Ranken. Charlotte schwitzte. Das schöne Kostüm würde sie wegwerfen müssen. Ein Schuh flog polternd auf den Boden. Ihre Zehen berührten die Holzplatte. Die Unterarme würden Schrammen davontragen. Aufatmend rutschte sie vom Tisch und stand mit beiden Beinen auf festem Untergrund. Erschöpft setzte sie sich. Der Junge brachte ihr den Schuh und die Tasche. Er hockte sich zu ihr auf den Boden. „Willst du mit mir spielen?“ Ihm sei langweilig. Sie habe keine Zeit. Der Junge blickte sie traurig an. Charlotte griff zur Tasche und zog die sprechende Pillendose hervor. Sie öffnete sie und die Stimme grüßte. „Eine ganz besondere Dose. Ich schenke sie dir.“ Sie leerte die Vitamintabletten in ein Seitenfach und überreichte den Behälter dem Jungen. Was für ein wunderschöner Vogel, rief er begeistert und strich über die emaillierte Vorderseite. Er habe eine ähnliche Dose in der Fernsehwerbung gesehen. Er wolle sie gleich seiner Mutter zeigen, rief er und sprang auf. Charlotte schnappte ihn am Hosenbein. Zuerst solle er ihr verraten, wie sie auf die Straße komme, ohne dass seine Mutter sie bemerke. „Hast du etwas ausgefressen?“ Charlotte nickte. Gut, er werde ihr einen Tipp geben. Sie müsse nur durch die blau gestrichene Tür, 171
sagte er listig, dahinter sei ein Parkplatz, den müsse sie überqueren und gelange von dort auf die Straße. Charlotte erhob sich, strich Grashalme vom Rock und ging auf die Tür zu. Sie war versperrt. Der Junge war ihr nachgegangen. „Meine Mama lässt sie nie offen. Sie hat Angst, dass ich abhaue.“ Er sei doch ein kluger Junge und wisse sicher, wo seine Mutter den Schlüssel verstecke. „Du brauchst mir nicht zu schmeicheln“, sagte er keck, er werde ihr auch so helfen. Rasch bückte er sich zu einem porzellanenen Frosch und hob ihn an. „Sebastian!“ Eine Frauenstimme war aus einem Fenster, das an die Terrasse grenzte, zu hören. „Das ist Mama.“ Der Junge legte seinen Zeigerfinger an die Lippen. Dann steckte er den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um. „Danke“, flüsterte ihm Charlotte zu und lief zum Parkplatz. „Ich könnte platzen vor Wut!“ Charlotte blickte zu ihren Mitbewohnern, die mit ihr um den Tisch im Gemeinschaftsraum saßen. Tonlos lief Isoldes Lieblingskrankenhausserie über den Bildschirm. Ricardo stand auf, ging durch den Türbogen in die Küche zum Kühlschrank. Gottschalk folgte ihm. Isolde blickte kurz zum Fernseher und tupfte dann mit einem Wattebausch, auf dem sich ein Desinfektionsmittel befand, über Charlottes aufgeschürfte Wade. Sie habe den erstbesten Polizisten aufgehalten, ihm erzählt, was geschehen sei und ihn angefleht, 172
mit ihr zum Kreditbüro zu gehen. Klose und sein Mitarbeiter behaupteten, nichts von einem Metallkoffer zu wissen. Klose habe nicht geleugnet, dass sie hier gewesen sei. Frau Ruhland habe um Aufschub für die Räumung gebeten, den er ihr leider nicht gewähren könne, sagte er. Vom Falschgeld und den Polizisten wisse er nichts. Ricardo füllte den Fressnapf, Gottschalk machte sich hungrig darüber her. Dann öffnete er eine Dose Cola light. „Soll ich euch etwas zu Trinken bringen?“ Emma bat um Mineralwasser, die anderen wollten nichts. Der Nachspann der Folge lief, Isolde ging zum Fernseher und schaltete aus. Sie wandte sich wieder Charlotte zu. Die junge Frau aus dem Kaffeehaus sei ebenfalls befragt worden, fuhr Charlotte fort. Die Frau behaupte, sie habe die Polizei nicht verständigt. Warum hätte sie das tun sollen? Der 500-Euro-Schein war in Ordnung. Schon möglich, dass ein Einsatzwagen der Polizei in der Straße vorgefahren sei. Sie habe ihn nicht bemerkt. Es täte ihr leid, ihr nicht helfen zu können, entschuldigte sie sich bei Charlotte. „Der Polizist muss glauben, dass ich nicht ganz richtig im Kopf bin.“ Sie könne ihm das nicht verübeln. Wahrscheinlich habe er vermutet, sie sei einer Irrenanstalt entsprungen und es sich deshalb nicht nehmen lassen, sie nach Hause zu begleiten, um zu kontrollieren, ob sie tatsächlich hier wohne. Er sei erschrocken, als er das Haus gesehen habe und sei rasch verschwunden. 173
„Kannst du mich endlich in Ruhe lassen?“, fuhr sie Isolde an, die mit dem Wattebausch ihren Unterarm bearbeitete. Isolde ließ von ihr ab, ging zur Spüle und drehte den Wasserhahn auf. Gottschalk lief zu ihr und sie füllte seinen Wassernapf. „Über den Polizisten habe ich herausgefunden, dass es gar keinen Hauptkommissar Berger gibt“, sagte Charlotte. Isolde drehte den Wasserhahn zu und trocknete ihre Hände mit einem Stück Küchenpapier. „Wir sind betrogen worden.“ „Nicht schon wieder“, schnaufte Emma. Sie habe allmählich die Nase voll, pflichtete ihr Charlotte bei. Sie sei überzeugt, dass Nolte hinter all dem stecke, sie werde zu ihm fahren und ihn zur Rede stellen. „Ich begleite dich“, bot Max an. Charlotte wehrte ab. Gottschalk könne mitkommen und sie beschützen. Das sei wohl ein Witz, sagte Isolde, niemand würde sich von diesem verspielten jungen Spund Angst einjagen lassen. „Ob es dir passt oder nicht, ist mir gleich, ich komme mit“, sagte Max mit Nachdruck. Er werde sich den Wagen seines Chefs ausleihen.
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»Sesam öffne dich ... über das Handling von Verpackungen & Co« Ein Projekt in Kooperation mit der Grünenthal GmbH. Erforscht wurde der Umgang älterer Menschen mit Arzneimitteln und insbesondere mit deren Verpackungen. Auf Basis einer genauen Untersuchung der Bedürfnisse und Wünsche, die ältere Menschen an Verpackung, Portionierung, Zugriff und Darreichungsform von Medikamenten stellen, wurden von den Studierenden neue Produkte und Konzepte entwickelt, die zu einer entscheidenden Verbesserung der Lebensqualität älterer Menschen beitragen sollten. Die Ergebnisse wurden in einer Ausstellung öffentlich präsentiert und sind in der von Karin Schmidt-Ruhland herausgegebenen gleichnamigen Publikation dokumentiert.
Es dämmerte. Im Radio liefen Abendnachrichten. Ich erhob mich aus dem Schreibtischsessel und ging zum Fenster. An einer Hand konnte ich die Tage abzählen, bis wir die My Fair Lady räumen mussten. Wehmut stieg in mir auf. Ich zog die Vorhänge zu. Der vertraute Blick auf die Knesebeckstraße würde mir fehlen. Ich setzte mich in den Fauteuil und blickte zum Klavier. Ich wollte es Samira schenken. Gottschalk bellte. Armer, kleiner Kerl. Er spürt, dass da etwas im Busch ist. Karl-Otto wird seinen Platz auf dem Kaminsims vermissen. Jetzt werde nicht sentimental auf deine alten Tage, schalt ich mich. Unsere Suche nach Nolte war ergebnislos geblieben. In keinem der Lokale, in denen er sich üblicherweise aufhielt, konnten wir ihn finden. Ich hatte bereits aufgegeben, als wir, ausgerechnet in der Bar, in der Max öfter jobbte, auf Gero, Noltes Bodyguard, trafen. Als Gero uns sah, wollte er durch den Hinterausgang verschwinden, aber Max stellte sich ihm in den Weg und hinderte ihn daran, zu flüchten. Im schmalen Gang vor den Toilettentüren nahmen wir Gero in die Mangel. Anfangs gab er vor, nicht zu wissen, wo sein ehemaliger Chef steckte. Gleich nach dem Rollstuhlwettrennen sei er von ihm fristlos gekündigt worden. Max nahm seine Hand von Geros Hals. Gero lockerte seine Krawatte. Keine Sekunde trauere er diesem Job nach. 175
Frank Sinatras Strangers in the Night ertönte aus der Bar. Nach und nach, als habe sich ein verstopftes Ventil geöffnet, brach es aus Gero heraus. Er habe Noltes Schikanen nicht mehr ertragen. Um sich an ihm zu rächen, habe er den Rollstuhl manipuliert. Unglücklicherweise entdeckte Nolte das Werkzeug im Kofferraum des Wagens und kombinierte, wer für den Motorschaden verantwortlich sei. Ein Gast, begleitet von einem Schwall That´s Life, betrat den Gang, blickte irritiert zu uns und verschwand rasch hinter der Toilettentür. Er wolle etwas trinken, meinte Gero. Man könne doch die Unterhaltung an der Bar fortsetzen, er habe nicht mehr vor, abzuhauen. Es war später Nachmittag, die Bar hatte vor kurzem geöffnet, noch herrschte wenig Betrieb. Der Barbesitzer nickte uns zu, begrüßte Max freundschaftlich und fragte, was wir trinken wollten. Wir ließen uns auf den runden, gepolsterten Hockern vor dem Tresen nieder. Sämtliche Wände des Raumes, selbst der Plafond, waren mit Spiegelfliesen ausgelegt. Trotz des schummrigen Lichtes, das im Raum herrschte, erkannte ich mein blasses Gesicht, das zwischen den Flaschen hinter der Bar hervorstach. Bei der Hitze machte mir der Kreislauf zu schaffen. Ich hätte Rouge auflegen sollen. Während ich an einem Whisky nippte, nahm Gero einen großen Schluck Ginger Ale. Max wartete auf einen exotischen Drink, ein Palmen-Kindl, den der Barbesitzer mixte. Ich erzählte, was im Kreditbüro passiert war, beschrieb die beiden Männer, von denen einer sich als Hauptkommissar Berger ausgegeben hatte. Er kenne sie, es seien Freunde Noltes, zwielichtige Kumpane, meinte Gero. 176
„Nolte hat das ganze Spektakel mit dem Hauptkommissar und dem Assistenten für den Fall, dass er verliert, geplant?“ „Das schaut Nolte ähnlich“, sagte Gero. Außerdem glaube er, dass die Männer für den Überfall in der Knesebeckstraße, nach der Pokernacht, in der Nolte verloren habe, verantwortlich seien. Ich dachte an die weißen Sportschuhe. Die beiden Männer hatte man bis jetzt nicht gefasst. Der Barbesitzer stellte ein Glas in der Form einer Palme vor Max auf die Theke. „Vor ein paar Tagen hat der Regierende Bürgermeister die Spezialität des Hauses bestellt“, rief er mir stolz zu. Max steckte einen Strohhalm ins Glas und trank. „In den Kreisen, in denen Nolte sich bewegt, munkelt man, dass er, gemeinsam mit seinem unehelichen Sohn, nach Südamerika abgehauen ist“, sagte Gero. Ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Doch nicht wegen dieses Coups?“ „Nein, sicher nicht.“ Nolte hätte einige krumme Sachen laufen, die ihn für mehrere Jahre hinter Gitter bringen würden. Eine Schale mit Erdnüssen stand vor mir, ich griff hinein und angelte ein paar heraus. Max schubste mit dem Strohhalm die Eiswürfel an den Glasrand. Nolte habe früher beim BKA gearbeitet, dort noch immer Freunde, die würden ihn bestimmt nicht im Stich lassen. Gero lachte auf. Dieses Märchen glaube Max? 177
5.6 Teilnehmende Beobachtung AH: Dieses kritische Feedback durch die prospektive Zielgruppe, also unseren Seniorenbeirat, ist letztlich eine klassische Vorgehensweise, die man zum Beispiel auch in der gängigen Produktentwicklung und Marktforschung verfolgt. Auch hier werden ja neue Produktideen nie auf den Markt gebracht, ohne sie vorher mit der Zielgruppe getestet und diskutiert zu haben. Man denke etwa an neue Autos, die, bevor sie in die Produktion gehen, in CarKliniken getestet werden: Sitzt der Blinker an der richtigen Stelle? Hat er die richtige Höhe? Wie fühlt sich der Griff der Schaltung an? Wie überschaubar sind die Armaturen? etc. Problematisch an dieser Methodik ist jedoch, dass die Befragten letztlich nur bewusste Dinge reflektieren und kommentieren können. Nun ist es ja aber gerade im häuslichen Alltag so, dass die meisten Handlungsabläufe vollkommen routiniert und damit unbewusst ablaufen. Wer denkt schon darüber nach, warum er seinen Kaffee so macht oder warum er beim Duschen welche Handgriffe nacheinan-
der vollzieht? Anders formuliert: Gerade im häuslichen Alltag vollziehen sich zu viele Dinge unbewusst und unreflektiert – sie können daher sprachlich nur bedingt der Analyse zugänglich gemacht werden. Man kann nur über Dinge reflektieren und Auskunft geben, die man selbst bewusst zur Kenntnis nimmt. Der Rest bleibt unerforschtes ›tacit knowledge‹, Know-how, das man hat, über das man aber nicht reflektieren kann, weil es bereits so selbstverständlich geworden ist, dass man nicht mehr darüber nachdenkt, ja, dass es einem gar nicht mehr als besonderes Knowhow auffällt. Vor diesem Hintergrund kam der Teilnehmenden Beobachtung bei der Forschung für sentha eine ganz zentrale Bedeutung zu. Die Teilnehmende Beobachtung hat den Vorteil, dass sie sensibel ist auch für die unreflektierten, habitualisierten Handlungsmuster im Alltag. Nicht von ungefähr hat der Soziologe René König die Teilnehmende Beobachtung als ›Königsweg‹ der Forschung bezeichnet: Weil sie in der Lage ist, auch Dinge ins Visier zu nehmen,
„Nolte ist niemals beim BKA gewesen. Er hat sich diesen Lebenslauf zusammengedichtet, weil er ihm seriös erschien.“ Nancy Sinatra sang mit ihrem Vater Something stupid im Duett. Ich zerbiss die Erdnüsse. „Mich würde interessieren, ob Nolte und dieser Kredithai Ebenwald sich kennen“, sagte ich zu Gero. „Dieter Ebenwald ist Noltes unehelicher Sohn.“ Er nahm einen Schluck aus seinem Glas. Ein Gast an einem Tisch rief seine Bestellung Richtung Tresen, hinter dem der Barbesitzer stand und telefonierte. Ich mochte Sinatra, aber nun hatte ich die Ohren voll von ihm. „Lass uns gehen“, meinte ich zu Max. Mit dem letzten Rest Whisky spülte ich den Salzgeschmack hinab. Er werde die Rechnung begleichen, sagte Gero. „Bedauerlich, dass Sie Ihren Gewinn verloren haben.“ Ich wünschte ihm Erfolg auf seiner Suche nach einem neuen Job. Max und ich verabschiedeten uns von ihm. Der Barbesitzer legte den Hörer in die Ladeschale und kam hinter dem Tresen hervor, begleitete uns zur Tür. Er könne seinen Wagen vorläufig behalten, sagte er zu Max, aber er habe eine Bitte an ihn. Einer seiner Barkeeper sei zur verabredeten Zeit nicht aufgetaucht, ein anderer habe sich gerade krank gemeldet. So kurzfristig könne er niemanden auftreiben, der ihn in der Bar unterstütze. Er wisse, dass es hier bald rundgehen werde und er sich vor Arbeit nicht retten könne. Er brauche heute und in den nächsten Tagen dringend Max´ Hilfe. 178
die durch sprachlich-interrogative Methoden wie Interviews und Gruppendiskussionen nicht exploriert werden können. Wer als sensibler Beobachter an den routinierten Alltagsprozessen teilhaben kann, sieht in der Regel mehr, als der Beobachtete in einem anschließenden Gespräch mitteilen könnte. Die Teilnehmende Beobachtung ist also, anders als das Interview, ein sehr brauchbares und sensibles Instrument für die Erforschung des Alltags. Und zwar denke ich insbesondere an die Beobachtung ›zwischen den Zeilen‹. Beobachtungen, bei denen man feststellt, wie jemand by the way Bewegungen oder Handgriffe macht, aus denen wir als Forscher etwas herauslesen können. KSR: Da beobachtet man dann so Tricks im Alltag. Zum Beispiel eine angeschlossene Glühbirne als Stopfpilz, die von innen beleuchtet ist – weil die ältere Person nicht mehr so gut in der Dämmerung sehen konnte. Oder man erlebt häufig Leute, die sehr vergesslich sind und sich Post-its an ihre Tür kleben, wenn sie rausgehen. Das sind so Kleinigkeiten, die den
betreffenden Gewährspersonen gar nicht mehr auffallen und über die sie daher auch gar nicht reden. Das sind unreflektiere, routinierte Handlungen, die sich völlig unbewusst abspielen. Die kann man eben nur mitkriegen, wenn man gezielt hinschaut. Und erst dann kann man wiederum gezielte Nachfragen stellen. 5.7 Assoziation als Methode F: Ihr habt also zunächst eine Art Desk-Research gemacht: Welche seniorengerechten Produkte gibt es? Wie funktional und seniorengerecht sind diese Angebote wirklich? Welches Image haftet diesen Produkten respektive ihrer Präsentation in der Werbung an? Diese Fragen habt ihr zusätzlich mit Hilfe von qualitativen Methoden – Teilnehmende Beobachtung, qualitative Interviews, Collagetechniken usw. – exploriert. Aber wie kommt man dann als Designer vom Stand des empathischen Verstehens zu neuen Ideen und Produktinnovationen für Senioren? KSR: Aufbauend auf den Ergebnissen der Dokumentenanalyse, der Teilnehmenden Beob-
„Ich nehme die U-Bahn“, schlug ich vor. Das käme nicht in Frage, sagte Max, er werde mich nach Hause fahren und dann in die Bar zurückkommen. „Du bist meine Lieblingstante.“ Er drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Keine Widerrede!“ Er schnappte nach meiner Hand und zog mich ins Freie. „Ich habe morgen einen Termin bei einem Rechtsanwalt“, sagte ich. Er drücke mir die Daumen, sagte Max, öffnete mir die Wagentür und ich stieg ein. „Noch immer keine Spur von der jungen Frau, die seit der Love Parade spurlos verschwunden ist“, sagte die Männerstimme aus dem Radio. „In der Nacht ist kaum mit Abkühlung zu rechnen, für morgen erwarten wir in Berlin wieder Temperaturen um 32°C.“ Ich schaltete das Radio ab und stellte mich vor den Spiegel. „Na, alter Freund? Ganz gleich, was kommen wird“, sagte ich, blickte in sein trübes Gesicht und berührte vorsichtig mit den Fingerspitzen seine glatte Fläche, „ich verspreche dir, dass ich mich nicht von dir trenne.“
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achtung und den Interviews, haben wir dann konkrete gegenständliche Vorschläge und Ideen für seniorengerechte Produkte entwickelt. MK: Und hier kommen wir zu einem weiteren zentralen Punkt unseres methodischen Vorgehens: Das Design arbeitet empirisch-experimentell. Heißt: empirisch-explorativ und experimentell: Die Teilnehmende Beobachtung, die wissenschaftliche Deutung und damit das Verstehen bestimmter Prozesse oder Phänomene bildet bei unserem Vorgehen nur einen Schritt. Den anderen, vielleicht fast noch wichtigeren Schritt bilden die Assoziation und das Experiment. F: Was habe ich mir darunter vorzustellen? AH: Oft ist es ja so, dass eine Idee gar nicht unbedingt geplant, am Schreibtisch entsteht, während man sich konkret mit einer Fragestellung oder Problemstellung beschäftigt. Sondern häufig hat man eine Idee, während man sich vordergründig mit etwas ganz anderem beschäftigt. Zum Beispiel mit Einkaufen. Aber man hat natürlich seine Arbeit, in diesem Fall das Projekt sentha, immer im Kopf. Und
so werden Verknüpfungen und Verbindungslinien gezogen zwischen dem, was man unbewusst im Kopf mit sich trägt – die Fragen des Projekts sentha –, und dem, was man aktuell sieht oder macht, wenn man durch die Stadt geht. Auch wenn man die Currywurstbude sucht, hat man trotzdem einen Teil der Aufmerksamkeit immer bei den Fragestellungen, mit denen man sich gerade auseinander setzt. Und plötzlich sieht man etwas – hat eine Assoziation zu sentha – und dann macht es klack, klack, klack!, wie bei Dominosteinen. Plötzlich ist dann die Idee für etwas da, von der man gar nicht so genau sagen kann, wie, unter welchen Bedingungen und vor welchem Hintergrund (zum Beispiel Theorien, Wissensbestände etc.) sie entstanden ist. 5.8 Visualisierung als Ideengenerator KSR: Damit verbunden ist ein weiterer wesentlicher Schritt innerhalb des Gestaltungsprozesses, nämlich der der Visualisierung. Damit unsere Erkenntnisse und Ideen nicht nur auf der theoretischen Ebene bleiben, reicht es
VIER ... 11h 30, im Gemeinschaftsraum ... „Wo steckt Emma? Ich habe Sie seit gestern abend nicht mehr gesehen“, meinte Charlotte, die am Türbogen zur Küche lehnte. Isolde zuckte mit den Schultern, sie habe keine Ahnung. „Nachdem du mit Max zurückgekommen bist, ist sie auf ihr Zimmer gegangen. Emma hat bedrückt gewirkt. Und das ist ja auch kein Wunder, wenn man bedenkt, dass wir das Haus verlassen müssen.“ Isolde schloss den Kühlschrank und ging mit einem Teller, auf dem eine Scheibe Wassermelone lag, an Umzugskisten vorbei in den Gemeinschaftsraum. Sie setzte sich an den Tisch. „Du warst doch bei einem Rechtsanwalt. Was hat er gesagt?“ „Genau das, was ich mir gedacht habe, dass ich gar nichts beweisen kann. Außerdem hat Ebenwald unser Haus an eine Immobilienfirma verscherbelt, bevor er untergetaucht ist.“ Ricardo trat ein. Gertrud habe ein Schreiben Emmas auf der Kommode ihres Zimmers gefunden. Seine Stimme überschlug sich. Er fuchtelte mit einem Blatt Papier durch die Luft. „Hier steht, dass Emma die Knesebeckstraße nicht verlassen will, lieber ...“ Charlotte lief zu ihm, er reichte ihr das Blatt und sie las. „Sie wird doch keinen Blödsinn machen“, schrie Charlotte entsetzt auf. 180
nicht aus, nur zu beobachten und zu analysieren und Ideen zu spinnen, sondern irgendwann muss man auch einmal etwas konkret machen, um dann wiederum kritisch zu prüfen, ob das Produkt zu gebrauchen ist und ob es Sinn macht. AH: Wobei Visualisierung damit beginnt, dass man ans Flipchart geht und Gedanken sichtbar macht. Aber nicht nur das: Ich entwickle meine Gedanken auch mit dem Stift in der Hand. Das heißt, ich brauche die Visualisierung, um auf neue Ideen zu kommen. Das geht dann weiter über Pappmodelle, die man entwickelt und anhand derer man dann wieder diskutieren und weiterdenken kann, und reicht bis zur Messe in Mailand, auf der wir ebenfalls präsent waren und wo wir – durch die visuelle Präsenz unserer Ideen – wiederum Feedback, Anregungen und Ideen sammeln konnten. KSR: Im Rahmen der Visualisierung war auch die enge Verzahnung von Forschung und Lehre von großer Bedeutung. So haben wir den Wettbewerb »Alternativen – Produkte für eine neue alte Generation« ausgelobt, in dem junge
Designer sich dem Thema ›seniorengerechte Helfer für den häuslichen Alltag‹ mit Blick auf eine neue Generation von Senioren stellten. Ein anderes Projekt war das Kurzzeitprojekt »Handicappen«, das wir zusammen mit Studierenden der Bauhaus-Universität Weimar organisiert haben. Hier ging es darum, Tools zu konzipieren, mit denen die fünf Sinne geschwächt, verrückt, beschränkt, getauscht etc. wurden. Auf diese Weise sensibilisierte das Kurzzeitprojekt »Handicappen« unsere Studierenden auf experimentelle Weise für die Bedarfe der Senioren. Ein anderes Beispiel ist das Kurzzeitprojekt »Digitale Inszenierungen«, das an der Universität der Künste in Berlin stattgefunden hat. Hier wurden ältere Menschen mit den ihnen wichtigen Gegenständen fotografisch in Beziehung gesetzt. MK: Wichtig war auch in dieser Phase des Design-Prozesses, dass sich unsere Ideen und Modellvorschläge nicht vom Kontext ihres Gebrauchs und ihrer Benutzer abhoben. Sondern auch in dieser Phase spielte das Prinzip der partizipativen Gestaltung eine wichtige Rolle.
Oskar kehrte mit Gottschalk von einer ausgedehnten Runde durch die Knesebeckstraße zurück. Charlotte nahm ihn beim Treppenlift im ersten Stock in Empfang. „Ich kann es deinem Gesicht ablesen“, meinte sie resigniert, „du hast Emma nicht gefunden“. Nicht die geringste Spur von ihr. „Samira und Frau Gulcem haben sich an der Suche beteiligt“, sagte er und setzte sich in die Rostlaube. Er selbst sei die Knesebeckstraße von der Lietzenburger Straße bis hinauf zur Hardenbergstraße abgefahren, auf der linken und der rechten Seite. „Jede Toreinfahrt habe ich inspiziert, jeden, den ich getroffen habe, nach Emma gefragt.“ Gottschalk legte seinen Fang auf Oskars Oberschenkel. Herr Gulcem höre sich im Laden bei seinen Kunden um. „Vielleicht hat einer von ihnen Emma gesehen.“ Gottschalk jaulte. Er müsse nach dem langen Marsch durstig und hungrig sein, meinte Charlotte zerstreut. „Lass uns in die Küche gehen.“ Im Gemeinschaftsraum nachdenkliche Gesichter. Tonlos flimmerte eine Werbung für ein Cabrio über den Bildschirm. Charlotte berichtete, dass sie eine Personenbeschreibung ins Internet gestellt und viele Antworten erhalten habe. Leider war keine dabei, die auf eine Spur von Emma schließen ließ. Sie füllte Gottschalks Fressnapf. Ricardo war auf der Polizeiwache gewesen, wollte eine Vermisstenanzeige aufgeben. Man habe ihn auf den nächsten Tag vertröstet, Emma werde bis dahin sicher wieder auftauchen. Als er von ihrem 181
Das heißt, wir haben die konkreten gegenständlichen Ergebnisse, Entwürfe und Modelle abermals von unserem Seniorenbeirat prüfen und kommentieren lassen. KSR: Letztlich ging es sowohl bei den Projekten mit Studierenden, als auch im Dialog mit den Senioren um einen wechselseitigen Feedback-Prozess: Aus dem Themenfeld heraus wurde ein Briefing für die Studierenden formuliert. Die jungen Designer und Designerinnen entwickelten dann konkrete Ideen und innovative Lösungen, die wiederum als Stimulus und Input in das Forschungsprojekt sentha eingegangen sind und mit den Senioren diskutiert wurden. Dieser Pingpong-Effekt ist sehr wichtig, weil gerade durch das Feedback von anderen, von außen neue Impulse für sentha generiert werden konnten, die letztlich Innovation und Kreativität ausmachen. Ohne diese Öffnung hätten wir bei sentha innerhalb unseres eigenen geschlossenen Horizonts argumentiert, gedacht und entwickelt und es wären bestimmt weniger interessante Ideen entstanden.
5.9 Interdisziplinarität als Methode und Programm F: Ihr sprecht die Anregungen von jungen Designern und Studierenden an, die außerhalb des Forschungszusammenhangs von sentha standen. Wie sieht es denn mit Anregungen durch die anderen Disziplinen aus, die im Forschungszusammenhang von sentha beteiligt waren? AH: Damit ist ein ganz zentrales Stichwort angesprochen: Interdisziplinarität. In der Tat könnte man sagen, dass der Projektzusammenhang von sentha, bestehend aus Arbeitsund Sozialwissenschaftlern, Konstruktions-, Kommunikationstechnikern und Biomedizinern inklusive des Senioren- und Industriebeirats, dem genuinen Selbstverständnis von Designern bereits Rechnung trägt. Ein Designer bedient sich im Rahmen des Design-Prozesses letztlich immer eklektizistisch am Wissensbestand anderer fachlicher Disziplinen: Von der Wahrnehmungspsychologie über die Kulturwissenschaften bis zu den Ingenieurswissenschaften. Insofern gehört die interdisziplinäre
Abschiedsbrief erzählte, sei man hellhörig geworden und habe ihre Personenbeschreibung aufgenommen. Isolde hatte mit sämtlichen Krankenhäusern Berlins telefoniert. Sie habe sich den Mund fusselig geredet, aber ohne Erfolg. Niemand, auf den Emmas Beschreibung passe, sei in den letzten Stunden eingeliefert worden. Ein kurzer Blick Charlottes zum Bildschirm. Jürgen Noltes Gesicht war zu sehen. Sie schrie auf, griff nach der Fernbedienung und schaltete den Ton ein. „Der wegen mehrfachen Betrugs gesuchte Jürgen Nolte konnte heute an der holländischen Grenze gefasst werden. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm mehrere Jahre Haft. Und nun die Börsenberichte.“ Charlotte schaltete aus. „Und ich dachte, er ist in Südamerika“, meinte Ricardo. „Ich bin sicher, dass Nolte seinen Kopf aus der Schlinge ziehen wird“, vermutete Charlotte. Schade, dass man sich an einer Klage wegen Betrugs nicht beteiligen könne. „Aber vielleicht schnappt man auch seinen unehelichen Sohn, diesen Dieter Ebenwald.“ Gegen ihn würde sie nur allzu gern vor Gericht ziehen. Gottschalk hatte seinen Napf leer gefressen und lief aus dem Gemeinschaftsraum. Bestimmt ist er müde, mutmaßte Oskar. Er wolle ihm die Zimmertür öffnen, damit er auf seinen Schlafplatz könne, einen aus Stroh geflochtenen Korb, den Samira ihm geschenkt habe. Oskar rollte durch die Tür.
182
Herangehensweise zum Selbstverständnis von Designern. Und es versteht sich fast von selbst, dass wir von der interdisziplinären Anlage des Forschungsprojekts sentha profitiert haben. F: Und wie sah diese interdisziplinäre Zusammenarbeit aus? MK: Wir haben zum Beispiel ein Projekt mit den Arbeitswissenschaftlern gemacht, das hieß »Über Kreuz entwerfen«: Im Zeitraum von einer Woche, von Montag bis Freitag, haben wir uns der Aufgabe ›seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag‹ ganz konkret gestellt. Wir hatten vier archetypische Produkte – z. B. ein Bügeleisen, ein Besteck, eine Mineralwasserflasche, eine Steckdose, die wir im Hinblick auf zuvor definierte Produktqualitäten (anspruchsvoller, sicherer, einfacher und unterhaltsamer) seniorengerecht optimieren wollten. Dann bildeten wir Zweier-Teams, bestehend aus einem Arbeitswissenschaftler und einem Designer, die jeweils eine spezifische Produktqualität reflektieren und umsetzen sollten. Die Teams wanderten jeden Tag zum
nächsten Produkt, um dieses in Bezug auf ihre Produktqualität zu verbessern. Das heißt, jeder Archetyp wurde von jedem Team mit seiner Produktqualität weiterentwickelt. Am letzten Tag wurden alle Produkte präsentiert. Im Rahmen des Projekts fand natürlich die Diskussion und Auseinandersetzung zwischen Arbeitswissenschaftlern und Designern statt: Was bedeutet eigentlich ›sicherer‹? Wieso muss das überhaupt ›anspruchsvoller‹ für ältere Leute sein? Was meinen wir, wenn wir von ›einfacher‹ sprechen? AH: Wobei wir Interdisziplinarität auch noch in einem weiteren Sinne verstehen. Nicht immer müssen alle Perspektiven und Ergebnisse zu einem harmonischen, interdisziplinären Ganzen integriert werden. Dabei würde sicherlich auch viel verloren gehen, weil man sich dann auf einen sehr kleinen gemeinsamen Nenner beschränken müsste. Das heißt, wir begreifen Interdisziplinarität nicht in dem Sinne, dass man Texte und Ideen, die in verschiedene Richtungen weisen, unterschiedlich argumentieren und entsprechend unterschied-
„Wir wollten doch heute zum ersten Mal mit der Reality Soap auf Sendung gehen“, sagte Isolde enttäuscht. „Wie kannst du jetzt an die Soap denken! Du bist herzlos“, fuhr Charlotte sie an. „Es gibt wahrlich Wichtigeres. Wir werden die Soap entfallen lassen und einen besseren Zeitpunkt für den Start finden“, beschloss sie. „Hat jemand von euch Hunger?“ Sie wolle nichts, sagte Isolde. Ein dumpfes Bellen. Ricardo erhob sich und ging zur Tür. Er wolle keinen Bissen. Etwas frische Luft täte ihm nicht schlecht. „Kommt! Sofort!“, rief Oskar vom Gang her. Charlotte war hinter Isolde und Ricardo vor dem Aufgang in den zweiten Stock angelangt. Aufgeregt deutete Oskar nach oben. Gottschalk habe nicht in sein Zimmer gewollt, er sei hinaufgelaufen, habe mehrmals gebellt. „Ist jemand von euch auf die Idee gekommen, oben nach Emma zu suchen?“ Alle verneinten. Sie habe lediglich im ersten Stock nachgesehen, sagte Isolde. Charlotte drückte auf den Lichtschalter. Die Lampen, die über den Stufen hingen, blieben dunkel. „Eine Taschenlampe, rasch!“, bat Isolde. Oskar fuhr in sein Zimmer. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Emma ins zweite Stockwerk geht. Sie ist doch viel zu ängstlich.“ Isolde schlich über die Stufen, wandte sich um. „Vielleicht traut sie sich nicht in den zweiten oder dritten Stock, dafür aber auf den Dachboden. Gib mir die Taschenlampe“, verlangte Charlotte. 183
liche Gedanken formulieren, am Ende mit einer Art Pürierstab zusammenquirlt. Vielmehr geht es darum, gerade aus dieser Polyphonie wieder neue Anregungen zu bekommen von anderen Stimmen. Parallel zwei und mehr Sichtweisen sehen, darüber nachdenken können – und daraus dann wieder neue Ideen schöpfen. Letztlich entsteht gerade aus dieser Gemengelage aus unterschiedlichen Texten und Gedanken etwas, ein Punkt von Erkenntnis oder Innovation, was aber aus jeder Einzeldisziplin heraus nicht hätte entstehen können. KSR: Hier lässt sich auch wieder eine Querverbindung zu der für Designer und Designerinnen so wichtigen Assoziation herstellen: Alles, was die Gedanken anregt, was Ideen assoziativ auslösen und neue Impulse geben kann, dient dem Design-Prozess. Erkenntnisse und Wissensbestände aus angrenzenden oder auch fachfernen Disziplinen können in diesem Sinne sehr stimulierend wirken und neue Impulse geben. MK: Und dieser Überzeugung trägt auch die Visualisierung unserer Forschungsergeb-
nisse, also die Publikation, Rechnung. Auch hier hatten wir die Idee, dass man die unterschiedlichen Ansätze, Ideen und Ergebnisse nicht linear präsentieren kann. Einerseits weil die Inhalte bereits sehr heterogen sind, andererseits weil wir sehr unterschiedliche Zielgruppen ansprechen: Entscheidungsträger in Unternehmen ebenso wie Produktentwickler und Designer, aber auch Senioren, Bauträger von Seniorenheimen, Pflegedienste etc. Wir haben dann relativ schnell entschieden, dass dies so unterschiedliche Leute sind, die wir mit einem Medium gar nicht erreichen können. Und so kamen wir auf die Idee, auf mindestens zwei Ebenen zu kommunizieren: einerseits auf einer sehr allgemeinen Ebene, nämlich der des Romans. Hier stehen ältere Menschen auf einer ganz alltäglichen Handlungsebene im Zentrum der Rezeption. Andererseits vermitteln wir unsere Ergebnisse auch in einer wissenschaftlichen Diskursform: Die Darstellung unserer Forschungsergebnisse kann analog zu Pop-up-Menus begleitend und ergänzend auf der anderen Seite des Buches mit verfolgt
Sie blieben stehen und lauschten. Von Gottschalk war nichts zu hören. Charlotte zog den Atem ein. „Es riecht nach Firnis.“ Man solle jeden Raum durchsuchen, schlug Ricardo vor. Isolde zögerte. Sie wolle lieber im Gemeinschaftsraum warten. „Feigling“, meinte Charlotte. Nichts und niemand würde sich hier befinden, was ihnen gefährlich werden könnte. „Da bin ich mir nicht so sicher“, blieb Isolde skeptisch. Charlotte bestand darauf, sich zuerst ganz oben umzusehen. Vom dritten Stockwerk aus führte eine Wendeltreppe auf den Dachboden. Im Gänsemarsch schoben sie sich Stufe um Stufe voran. Oben angelangt blieben sie stehen. Charlotte leuchtete auf eine geschlossene Holztür. Gottschalk saß davor, kniff geblendet die Augen zusammen und winselte. Ricardo drückte die Türklinke herunter. Er könne nicht öffnen, flüsterte er, sie sei versperrt, möglicherweise von innen. „Du meinst tatsächlich, dass Emma sich hier versteckt?“, flüsterte Isolde zurück. „Geh zur Seite“, verlangte Charlotte, „lass es mich versuchen“. Wenn er es nicht schaffe, sie zu öffnen, werde es auch ihr nicht gelingen, meinte er. Charlotte presste ihre rechte Schulter gegen die Tür, die linke Hand ließ sie auf die Klinke schnellen. Ein leises Klack und sie schob sich auf. „Ein alter Trick, der bei verzogenem Holz hilft“, lächelte sie Ricardo an, der säuerlich dreinschaute. 184
werden. Beide Seiten sind durchaus getrennt lesbar. Und doch: Wer den Roman: »Knesebeckstraße oder: Einmal Kuba und zurück« liest, sieht auf der anderen Hälfte des Buches Bilder oder Textausschnitte, die vielleicht auch neugierig machen, und man wird nachlesen, was im Forschungsbericht sentha geschrieben steht. Und vice versa: Wer nur an den Forschungsergebnissen interessiert ist, sieht auf der anderen Seite den Text des Romans und wird vielleicht neugierig auf dessen Inhalt. AH: So wird eine Rezeption erzeugt, die eigentlich der Idealfall unseres interdisziplinären Forschungsprojekts war: Verschiedene Kontexte, Inhalte, Schreibweisen etc. mischen sich – und zwar nicht als Püree, als Mix, sondern als separate Bestandteile. Und der Leser muss dann den Sprung zwischen den Disziplinen mit seinem eigenen Kopf machen und so wiederum einzelne Synthesen herstellen. KSR: Diese Form der Ergebnispräsentation trägt auch der Perspektive Rechnung, dass der Rezipient nicht nur passiver Empfänger einer Botschaft ist, sondern selbst seine eigene
›story‹, seine eigenen Ideen und Gedanken entwickelt – inspiriert natürlich durch die textliche Vorlage. Das heißt, das lineare ›SenderEmpfänger-Verhältnis‹ wird hier ganz bewusst, auch in der Form der Publikation aufgebrochen und damit tragen wir wiederum unserem zentralen Standpunkt Rechnung: nämlich, dass sich Forschung und Design stets dialogisch, assoziativ und partnerschaftlich mit anderen vollziehen. 5.10 Fazit und Ausblick F: Mit der Publikation habt ihr das Projekt sentha also sehr stimmig zum Abschluss gebracht – oder geht es danach noch irgendwie weiter? KSR: Es wird sicher weitergehen. Was wir in der Publikation dargestellt haben, ist letztlich unser Impuls, unser Ansatz und unsere Ideen für sentha: In einem mehrstufigen, nicht linearen, sondern zyklischen Prozess der qualitativen Bedürfnisforschung durch Dokumentenanalyse, Interviews und teilnehmender Beobachtung sowie der Hypothesengenerierung in Form von gegenständlichen Vorschlägen
Sie betraten den Dachboden. Vor Jahren hatte Charlotte im linken Teil Wäschestücke aufgehängt. Im Schein der Taschenlampe konnte sie Plastikschnüre erkennen, die sich wie dünne Stromleitungen von einem Giebel des Satteldaches zum anderen spannten. Noch immer baumelten vergessene hölzerne Wäscheklammern darauf, die wie schlafende Fledermäuse wirkten. Seit sie einen Wäschetrockner besaßen, konnten sie sich den Weg über die vielen Stufen sparen. Isolde zupfte sie am Ärmel, deutete zur rechten Seite. Den dahinter befindlichen Raum verhüllten mehrere grob gewebte Vorhänge, die auf einem Seil befestigt waren. Sie legte ihren Zeigefinger an die Lippen und schlich näher. Langsam schob sie einen der Vorhänge zur Seite. Der Boden war mit breiten Alufolienstreifen ausgelegt, in der Form des fünften Buchstabens. Auf ihm standen etwa einhundert Kerzen in Tongefäßen. Kleine, mit bunter Klarsichtfolie beklebte Schirme spannten sich darüber. Charlotte dachte an die E-Dur-Tonleiter. „Emma?“, rief sie. Die Kerzen flackerten unruhig. Gottschalk hatte sich an Charlottes Seite gedrückt und hechelte. Am Kopfende des Schriftzeichens stand eine große, aus Holzbrettern gezimmerte Kiste. In einem weiten Bogen um die Kerzen ging Charlotte näher. Es würgte sie in ihrer Kehle. Isolde schrie auf. Die Taschenlampe fiel auf den Boden. Ricardo bekam einen Hustenanfall. Die Kiste war mit einem weißen Laken ausgelegt. In einem mit Organzaspitzen verzierten Nachtgewand lag Emma. Ihr hüftlanges, graues Haar spannte sich, einem Strahlenbündel gleich, über ein 185
und experimentellen Inputs und schließlich durch das Probehandeln und das Feedback der Senioren konnten wir unsere eigenen Ideen immer wieder optimieren, ergänzen und weiterentwickeln. MK: Zentral innerhalb dieses Vorgangs sind letztlich zwei Punkte: der Dialog und die assoziative Öffnung und Verknüpfung zu anderen Feldern. Dialog meint zum Beispiel Gespräche und Auseinandersetzungen mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen, mit der Zielgruppe, aber auch mit Entscheidungsträgern im Marketing, mit Designern usw. AH: Assoziative Öffnung und Verknüpfung bedeutet, dass sich unsere Impulse nach einer Art Schneeballprinzip weiterentwickeln und in andere Bereiche und Disziplinen diffundieren sollen. Wir haben versucht, über die Implementierung von kleinen Kondensationskeimen in den Köpfen von Studierenden, über Denkanstöße bei Senioren und im Industriebeirat, über Ausstellungen und natürlich auch über die Publikation Impulse und Anregungen zu liefern. Diese müssen sich nun schneeball-
mäßig, als Kettenreaktion weiter fortsetzen. Nur dadurch kann sich das Projekt wirklich weiterentwickeln. Allein durch ein neues Unterprojekt innerhalb der Disziplin Design an der UdK würde ich diese Weiterentwicklung nicht gewährleistet sehen. Dafür wäre der Kreis in sich zu abgeschlossen. Die Öffnung nach außen und für andere Felder ist – neben dem Dialog – ein zentrales Postulat unseres Designverständnisses. Und dies kann eben nur gelingen, indem die Projektidee über verschiedene Multiplikatoren weitergereicht wird. Und dieser Prozess kommt letztlich nie zum Stillstand, ist nie wirklich ›abgeschlossen‹. Damit wird sentha – ob in unseren oder in anderen Köpfen – auch irgendwie weiterwirken, davon bin ich überzeugt.
Kissen. Die Finger waren zum Gebet ineinander verschlungen. Die Augen geschlossen, ihre Mundwinkel angehoben. Um ihren Hals hing eine Silberkette mit einem Kreuz. Es sah aus, als würde Emma schlafen. „Ist sie ... tot?“, wisperte Isolde. Charlotte presste die linke Hand vor Mund und Nase, atmete mehrere Male aus und ein. Jetzt nur nicht hyperventilieren! Gottschalk war in den dunklen Teil des Dachbodens gelaufen, scharrte mit seinen Pfoten und kläffte. „Sei still“, kam es verhalten von Ricardo. Charlotte hatte sich ein wenig beruhigt. Vorsichtig tastete sie nach Emmas Handgelenk. Sie konnte ihren Puls nicht fühlen. Langsam strich sie über Emmas Wange. Charlotte stutzte. Sie bückte sich nach der Taschenlampe und richtete den Strahl auf Emmas Gesicht. „Das ist sie nicht. Das ist nicht Emma“, keuchte Charlotte. Gottschalk winselte. „Ich habe euch nicht erschrecken wollen“, hörten sie Emmas Stimme aus dem dunklen Teil des Dachbodens. Isolde gab einen spitzen Schrei von sich und taumelte auf Ricardo zu. Ohnmächtig fiel sie in seine Arme. „Isolde hat ein Beruhigungsmittel genommen.“ Erschöpft sank Charlotte auf die Couch im Gemeinschaftsraum. Oskar rollte zu ihr, gab ihr ein mit Whisky gefülltes Glas. Er habe mit den Gulcems telefoniert, ihnen erklärt, dass die Suchaktion beendet sei. Auch die Polizei habe er benachrichtigt. 186
Ricardo lehnte sich an den Türrahmen, fuhr sich durchs Haar. Charlotte nahm einen Schluck aus dem Glas. „Hast du Max verständigt?“ Ricardo bejahte. Sobald er in der Bar entbehrlich sei, werde Max zu ihnen kommen. Wie auf Stichwort hörten sie ein sich näherndes Gepolter über die Stufen in den ersten Stock. Keuchend tauchte Max neben Ricardo auf. „Was ist denn passiert? Der Lärm in der Bar, ich habe am Telefon kaum etwas verstanden. Heraus mit der Sprache!“ Er könne das nicht glauben. Max schüttelte den Kopf. Dann solle er auf den Dachboden gehen und sich selber davon überzeugen. Emma habe die Wachsfigur bis ins kleinste Detail nach ihrem Abbild modelliert. „In dem diffusen Licht ist mir erst auf den zweiten Blick aufgefallen, dass es sich nicht um Emma, sondern um eine lebensgroße Wachsfigur handelt“, erklärte Charlotte. „Warum hat Sie sich nachgebildet?“, wollte Max wissen. Damit uns eine Erinnerung an sie bleibe, wenn sie einmal gestorben sei, wiederholte Charlotte Emmas Worte. Isolde betrat den Gemeinschaftsraum, begrüßte Max. „Niemandem von euch ist aufgefallen, dass Emma auf den Dachboden geht?“ „Was ist mit dir, Max?“, sagte Charlotte scharf. „Du hast ihr doch immer Berge von Wachs besorgt. Hast du dich nie gewundert, was Sie damit anstellt?“ 187
6. Produktentwicklung mit Senioren Tamara Reinicke, Lucienne Blessing Die Integration von Nutzern in den Produktentwicklungsprozess wird für viele Unternehmen, die sie noch nicht praktizieren, eine Notwendigkeit werden müssen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen. Obwohl schon in den 50er Jahren die Berücksichtigung des Kunden gefordert wurde, war noch zu Beginn der 70er Jahre in der Literatur zu lesen, wie Produkte geplant und entwickelt werden können, ohne dass das Wort »Kunde« oder »Nutzer« fiel. Die Kunden galten lediglich als interessante allgemeine Quelle für Anregungen. Der Begriff Kundennähe rückte erst in den frühen 80er Jahren in den Fokus von Forschung und Praxis als Erfolgsfaktor. Heutzutage spielt das Verständnis der Kunden- und Nutzeranforderungen eine Schlüsselrolle bei der Produktentwicklung. Viele Instrumente wurden entwickelt, die den Nutzer- oder Kundenfokus unterstützen, insbesondere zur Erfassung der Kundenwünsche, die in der Re-
gel aber im Bereich Marketing eingesetzt werden. Jedoch fehlt hier die Schnittstelle zu den Produktentwicklern, welche mit den Instrumenten der Produktentwicklung arbeiten. Es wurde festgestellt, dass sich traditionelle Marktforschungsmethoden in dieser Hinsicht als ineffektiv erwiesen haben, gerade was die von den Ingenieuren benötigten Detailinformationen angeht [Engelbrektsson 2000]. In der Beschreibung und Lehre der diversen Instrumente in der Produktentwicklung werden die Informationen über Nutzer meist als vorhanden vorausgesetzt, was leider nicht der Fall ist. Die Realisierung einer wirklichen Nutzerintegration in den Produktentwicklungsprozess, die über die Einbindung von Nutzern vor (Anforderungsgewinnung) und nach (Prototypenevaluation) der Entwicklung hinausgeht, ist notwendig. Ein reiner Nutzerfokus reicht nicht mehr aus. Der Nutzer kann auch als Quelle neuer Ideen und Verbesserungsvorschläge einen wichtigen Beitrag im Entwicklungsprozess leisten und auf diese Weise Kundenzufriedenheit und Produkterfolg erhöhen.
Ricardo lehnte sich an den Türrahmen, fuhr sich durchs Haar. Charlotte nahm einen Schluck aus dem Glas. „Hast du Max verständigt?“ Ricardo bejahte. Sobald er in der Bar entbehrlich sei, werde Max zu ihnen kommen. Wie auf Stichwort hörten sie ein sich näherndes Gepolter über die Stufen in den ersten Stock. Keuchend tauchte Max neben Ricardo auf. „Was ist denn passiert? Der Lärm in der Bar, ich habe am Telefon kaum etwas verstanden. Heraus mit der Sprache!“ Er könne das nicht glauben. Max schüttelte den Kopf. Dann solle er auf den Dachboden gehen und sich selber davon überzeugen. Emma habe die Wachsfigur bis ins kleinste Detail nach ihrem Abbild modelliert. „In dem diffusen Licht ist mir erst auf den zweiten Blick aufgefallen, dass es sich nicht um Emma, sondern um eine lebensgroße Wachsfigur handelt“, erklärte Charlotte. „Warum hat Sie sich nachgebildet?“, wollte Max wissen. Damit uns eine Erinnerung an sie bleibe, wenn sie einmal gestorben sei, wiederholte Charlotte Emmas Worte. Isolde betrat den Gemeinschaftsraum, begrüßte Max. „Niemandem von euch ist aufgefallen, dass Emma auf den Dachboden geht?“ „Was ist mit dir, Max?“, sagte Charlotte scharf. „Du hast ihr doch immer Berge von Wachs besorgt. Hast du dich nie gewundert, was Sie damit anstellt?“ 187
6. Produktentwicklung mit Senioren Tamara Reinicke, Lucienne Blessing Die Integration von Nutzern in den Produktentwicklungsprozess wird für viele Unternehmen, die sie noch nicht praktizieren, eine Notwendigkeit werden müssen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen. Obwohl schon in den 50er Jahren die Berücksichtigung des Kunden gefordert wurde, war noch zu Beginn der 70er Jahre in der Literatur zu lesen, wie Produkte geplant und entwickelt werden können, ohne dass das Wort »Kunde« oder »Nutzer« fiel. Die Kunden galten lediglich als interessante allgemeine Quelle für Anregungen. Der Begriff Kundennähe rückte erst in den frühen 80er Jahren in den Fokus von Forschung und Praxis als Erfolgsfaktor. Heutzutage spielt das Verständnis der Kunden- und Nutzeranforderungen eine Schlüsselrolle bei der Produktentwicklung. Viele Instrumente wurden entwickelt, die den Nutzer- oder Kundenfokus unterstützen, insbesondere zur Erfassung der Kundenwünsche, die in der Re-
gel aber im Bereich Marketing eingesetzt werden. Jedoch fehlt hier die Schnittstelle zu den Produktentwicklern, welche mit den Instrumenten der Produktentwicklung arbeiten. Es wurde festgestellt, dass sich traditionelle Marktforschungsmethoden in dieser Hinsicht als ineffektiv erwiesen haben, gerade was die von den Ingenieuren benötigten Detailinformationen angeht [Engelbrektsson 2000]. In der Beschreibung und Lehre der diversen Instrumente in der Produktentwicklung werden die Informationen über Nutzer meist als vorhanden vorausgesetzt, was leider nicht der Fall ist. Die Realisierung einer wirklichen Nutzerintegration in den Produktentwicklungsprozess, die über die Einbindung von Nutzern vor (Anforderungsgewinnung) und nach (Prototypenevaluation) der Entwicklung hinausgeht, ist notwendig. Ein reiner Nutzerfokus reicht nicht mehr aus. Der Nutzer kann auch als Quelle neuer Ideen und Verbesserungsvorschläge einen wichtigen Beitrag im Entwicklungsprozess leisten und auf diese Weise Kundenzufriedenheit und Produkterfolg erhöhen.
„Warum Schuldzuweisungen verteilen? Seid froh, dass Emma nichts passiert ist“, versuchte Ricardo zu schlichten. „Ende gut, alles gut“, erhob Isolde ihre Stimme. „Wie passend“, funkelte Charlotte sie an. Sie nerve wie immer mit einem munteren Sprüchlein. Eine nachgebildete Wachsfigur! Emma habe Todessehnsucht, vermutete Max. „Ihr könnt sie unmöglich hier behalten. Sie braucht ärztliche Hilfe“, redete er ihnen ins Gewissen. „Niemals würde sie Hand an sich legen, dazu ist sie zu gläubig. Das hat Emma mir geschworen“, sagte Ricardo. Sie sei nicht mit der Absicht, Selbstmord zu begehen, auf dem Dachboden verschwunden. „Und aus welchem dann? Redet schon!“, forderte Max. Emma habe eine Redakteurin einer Zeitung kontaktiert und wollte ihr eine Geschichte über den Betrug bei einer Quizshow verkaufen. Sie verlangte dafür viel Geld. Max pfiff durch die Zähne. Die Redakteurin habe ihr gesagt, dass ihr Chef nicht bereit sei, die geforderte Summe zu bezahlen. „Da hat Emma das Treffen mit der Redakteurin absagen wollen. Aber die hat sich nicht abwimmeln lassen.“ Daraufhin habe Emma es vorgezogen, einfach zu verschwinden, damit sie nicht mit ihr reden müsse. „Kennt die Redakteurin die ganze Geschichte und weiß Sie, um wen es sich dabei handelt?“, erkundigte sich Max. Emma habe gesagt, sie habe nur vage Andeutungen gemacht. „Vielleicht können wir verhindern, dass alles aufgedeckt wird“, sagte Charlotte. 188
1
Klären und Präzisieren der Aufgabenstellung
2
Ermitteln von Funktionen und deren Strukturen
3
Suchen nach Lösungsprinzipien u. deren Strukturen
Arbeitsergebnisse
Anforderungsliste
Funktionsstrukturen
Prinzipielle Lösungen 4
Gliedern in realisierbare Module
5
Gestalten der maßgebenden Module
Modulare Strukturen
Vorentwürfe 6
Gestalten des gesamten Produktes Gesamtentwurf
7
Ausarbeiten der Ausführungsund Nutzungsunterlagen Produktdokumentation Weitere Realisierung
Abb. 6.1: Generelles Vorgehen beim Entwerfen und Konstruieren nach Pahl& Beitz 1997
Erfüllen und Anpassen der Anforderungen
Iteratives Vor- oder Rückspringen zu einem oder mehreren Arbeitsschritten
Aufgabe
„Wir stecken bis zum Hals in der Scheiße“, empörte sich Max. Wenn er nicht augenblicklich eine andere Wortwahl träfe, könne er verschwinden, fauchte ihn Charlotte an. Gottschalk bellte. „Ich sehe eine Möglichkeit, wie wir aus dem Schlamassel unbeschadet herauskommen“, sagte sie überzeugt. Das glaube er nicht, blieb Max pessimistisch. Sie habe die Post mitgebracht, sagte Samira, betrat Charlottes Zimmer und überreichte ihr die Zeitung und eine Postkarte. „Ich habe die Klavierstunde völlig vergessen“, entschuldigte sich Charlotte und vertröstete sie auf einen der nächsten Tage. Aber sie müssten doch das Haus räumen, meinte Samira irritiert. „Darüber brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen.“ „Ich habe im Internet nachgesehen. Da steht eine ganze Menge über das, was sich vor einem Jahr da oben abgespielt hat.“ Angeekelt blickte Samira auf den Plafond des Zimmers. Charlotte habe recht gehabt, es sei besser, nichts darüber zu wissen. „Dann bis bald“, verabschiedete sich Samira, bot ihre Hilfe für den Umzug an und ging rasch weiter auf den Gang. Charlotte nahm die Postkarte in die Hand. Ein kitschiger Sonnenuntergang war darauf zu sehen. Sie drehte die Karte um. 189
Die Produktentwickler benötigen dazu mehr und bessere Anleitungen hinsichtlich des Auffindens von Methoden und der Anpasssung von existierenden Methoden, um Nutzer in den Entwicklungsprozess zu integrieren. Die Entwicklung solcher Anleitungen im Rahmen der systematischen Entwicklung seniorengerechter Produkte war eines der Ziele des senthaProjekts. Das vorliegende Kapitel stellt eine Zusammenfassung der Ergebnisse [Reinicke, 2004] dar. 6.1 Produktentwicklung nach Pahl-Beitz Die Entwicklung seniorengerechter Produkte ist eine Produktentwicklung, bei der neben allgemeinen Anforderungen auch die besonderen Bedürfnisse der Zielgruppe Senioren – Stichwort ›Seniorengerechtheit‹ – berücksichtigt werden müssen. Der Gesamtprozess kann deshalb formal in die Teilaspekte Produktentwicklung und Seniorengerechtheit unterteilt werden. Im Verlauf des sentha-Projekts wurden verschiedene Ansätze verfolgt, um diesen Gesamtaspekt abzubilden. Als Konsequenz der
gewonnenen Erfahrungen ist für die praktische Umsetzung der Entwicklung seniorengerechter Produkte ein integrierter Ansatz zu bevorzugen, der die Aspekte der Seniorengerechtheit in den Ablauf der allgemeinen methodischen Produktentwicklung (Pahl & Beitz 1997; VDI 2221; VDI 2222) im Sinne der integrierten Produktentwicklung (Ehrlenspiel 1995, Andreasen & Hein 2000) einbezieht. Prinzipiell kann für die Einbindung der Senioren als Zielgruppe auf primäre und sekundäre Quellen zurückgegriffen werden, d. h. die Zusammenarbeit mit Senioren und die Verwendung von Daten über Senioren. Dabei liefern primäre Quellen hochwertigere Resultate, sind jedoch zugleich mit deutlich höheren Kosten verbunden. Abhängig von den geplanten Gesamtkosten der Produktentwicklung und dem zur Verfügung stehenden Budget ist deshalb insbesondere für Neuentwicklungen die direkte Zusammenarbeit mit Senioren in den verschiedenen Stadien der Produktentwicklung das zu bevorzugende Procedere.
Ich habe einen wunderbaren Mann kennengelernt. Bleibe bis auf weiteres in Bali. Herzliche Grüße an alle Knesebecker. Euer Professor. „Viel Glück.“ Charlotte lächelte und klemmte die Postkarte in eine Ritze des Rahmens vom Spiegel. Dann ging sie zum Schrank, nahm ein schwarzes Kleid vom Haken, schüttelte es aus und schlüpfte hinein. Der Reißverschluss, auf dem Rücken angebracht, klemmte. In akrobatischen Verrenkungen mühte sie sich ab, ihn zu schließen. Sie war froh, als sie Oskar vor der Tür hörte, der fragte, wann sie denn endlich fertig sei, die Zeit sei knapp. Sie rief ihn zu sich und bat ihn, ihr zu helfen. Oskar trug ein schwarzes Sakko, darunter ein weißes Hemd. Um seinen Hals hatte er eine schwarze Krawatte gebunden. Von den Hüften abwärts bis zum Fuß spannte sich eine dünne Decke, ebenfalls in schwarz. Sie solle sich beeilen, verlangte Oskar. Die anderen würden bereits im Gemeinschaftsraum sitzen und auf sie warten, um eine letzte Lagebesprechung abzuhalten. Charlotte schlängelte sich zwischen Umzugskisten auf den Gang. Ein düsteres Bild bot sich Charlottes Augen, als sie in den Gemeinschaftsraum kam. Isolde trug ein schwarzes, bodenlanges Samtkleid. Sie hatte den Schleier, der auf ihrem Hut angebracht war, in die Stirn gezogen. Mit einem Spitzentaschentuch fächerte sie sich Luft zu. Tränen liefen über ihre Wangen. „Meinst du nicht, dass du deine Trauer übertreibst?“, sagte Charlotte mit einem Blick auf Isolde. Ricardo, in einem Frack, verneigte sich galant vor Charlotte. 190
6.2 Verlauf der Produktentwicklung Zur direkten Einbindung von Senioren bietet die Produktentwicklungsmethodik verschiedene Ansatzpunkte in unterschiedlichen Phasen des Entwicklungsprozesses. Der Prozess soll hier zunächst im Kontext der Darstellung eines optimalen Verlaufes der Produktentwicklung in zwölf Schritten aufgezeigt werden. Schritt 1: Anhand von eigenen empirischen Untersuchungen und Befragungen, den Ergebnissen von Forschergruppen wie sentha und dem Sachverstand des jeweiligen Unternehmens wird ein Bereich ausgewählt, in dem ein Produkt entwickelt werden soll. Hier muss natürlich von den Kompetenzbereichen eines Unternehmens ausgegangen werden. Schritt 2: Für diesen Aufgabenbereich werden mögliche Produktideen aufgestellt. Schritt 3: Die Produktideen werden den Senioren vorgestellt. Anhand einer Diskussion und einer Punktebewertung werden Vor- und Nachteile und mögliche Ausprägungen des Produktvorschlages diskutiert und Prioritäten gesetzt. Dabei kann es auch zur Entwicklung
neuer Ideen kommen, die den Ideenpool erweitern und bei der Prioritätenbildung mit berücksichtigt werden. Schließlich werden ein bis zwei Produktideen zur Weiterentwicklung ausgewählt. Schritt 4: Die ausgewählte Produktidee wird vom Produktentwicklungsteam aufbereitet (Marktanalyse, Wirtschaftlichkeitsanalyse, Prüfung, ob im Unternehmen grundsätzlich realisierbar) und in einer erneuten Sitzung den Senioren vorgestellt. Ziel dieser weiteren Sitzung ist die Ermittlung von Anforderungen an das zu entwickelnde Produkt. Dabei können auch zusätzliche Funktionen oder schon aufkommende Wirkprinzipien zur Sprache kommen. Schritt 5: Das Produktentwicklungsteam entwickelt einige Konzeptvarianten des Produktes. Zur Vorbereitung einer Bewertung werden Bewertungskriterien aufgestellt. Diese werden unterteilt in Kriterien, die die Benutzbarkeit des Produktes betreffen – hier sollen die Senioren ihre Wertung abgeben –, und Kriterien, welche Fertigung, Montage etc. betref-
„Er passt dir vorzüglich.“ „Danke, meine Liebe. Deine Kleidung ist auch nicht zu verachten.“ Er solle mit dem Gesülze aufhören, beschwerte sich Isolde. „Gertrud hat am Vormittag Kuchen vorbeigebracht, ein Abschiedsgeschenk“, meinte Max. Er steckte etwas verloren in einem zu großen Anzug. Die breiten Umschläge verrieten, dass es sich um ein älteres Modell handelte. „Den hat dir wohl dein Chef geliehen. Darauf wette ich“, schmunzelte Charlotte. Max bestätigte ihre Vermutung mit einem Grinsen. Es roch nach Kaffee. Eine Schüssel mit Sahne, um sie herum mehrere Tassen und Teller drapiert, stand in der Mitte des Tisches. Aus dem CD-Player drang klassische Musik. Gottschalk, um sein Halsband war ein schwarzes Tuch geschlungen, lag vor dem Kühlschrank und schlief. Es war brütend heiß. Emma betrat den Gemeinschaftsraum, blieb abrupt stehen, sah von Isolde zu Charlotte, dann weiter auf Oskar und Max. Ihr Blick blieb bei Ricardo hängen. Sie schlug die Hände vors Gesicht. Ihre Schultern bebten. Charlotte lief zu ihr. „Beruhige dich!“ Emma ließ die Hände sinken und begann schallend zu lachen. „So adrett gekleidet werdet ihr zu meinem Begräbnis erscheinen! Wunderbar!“ Sie schnappte nach Luft. „Einfach wunderbar. Ich danke euch!“ Emma umarmte Charlotte ungestüm und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. 191
fen (Kriterien, die nur von dem Unternehmen, aber nicht von den Senioren beurteilt werden können). Schritt 6: Die Konzeptvarianten werden in verständlicher Form (3D-Modell, Modell) mit ihren Vor- und Nachteilen den Senioren vorgestellt. Technische Details interessieren nur insoweit, wie sie die Bedienbarkeit und den Funktionsumfang betreffen. Die die Benutzbarkeit betreffenden Bewertungskriterien werden den Senioren vorgestellt und eventuell durch weitere von den Senioren stammende Kriterien ergänzt. Senioren und Produktentwicklungsteam legen gemeinsam die Gewichtung der Kriterien fest. Dann wird die Erfüllung der Kriterien anhand eines einheitlichen Bewertungsschemas (z. B. 0 – 4 oder 1 – 10 Punkte) von den Senioren beurteilt. Die Bewertungsergebnisse (für den Bereich der Benutzbarkeit) werden zusammengefasst und deren Gültigkeit noch einmal von den Senioren überprüft. Schritt 7: Die Ergebnisse der Bewertung durch Senioren und Unternehmensmitarbeiter werden nach einem unternehmensinternen
Gewichtungsschema zusammengefasst. Daraus ergibt sich die tatsächlich zu entwickelnde Variante. Nach erfolgter Markt- und Wirtschaftlichkeitsanalyse wird die Gestaltung des Produktes angegangen. In dieser Phase können vom Design unterschiedliche, aber vom Konzept gleichartige Produktmodelle entwickelt werden, die zunächst als 3D-Modell und/ oder Rapid-Prototyping Modell realisiert werden. Schritt 8: Die Modelle (keine Funktionsmodelle) können jetzt wieder einzelnen Senioren oder einer Gruppe von Senioren vorgestellt werden. Dabei ist eine Mischung aus Senioren, die bereits an der Produktentwicklung beteiligt waren, und Senioren, die noch nicht mit der Produktidee in Berührung gekommen sind, von Vorteil. Bei dieser Produktvorstellung sollen noch Feinheiten verbessert werden. Schritt 9: Die Produktentwickler nehmen – sofern machbar und wirtschaftlich – die letzten Vorschläge für das Produkt auf und erstellen einen Prototypen (Funktionsmodell). Schritt 10: Dieser Prototyp wird Senioren, die bereits beteiligt waren, und Senioren, die
„Schon gut. Hoffentlich macht uns die Hitze keinen Strich durch die Rechnung.“ Er habe einen Ventilator in Emmas Zimmer aufgestellt, sagte Max. „Das ist aber ein dürftiger Leichenschmaus“, mokierte sich Emma und nahm ein Stück vom Kuchen. Man wolle noch einmal alles rekapitulieren, erinnerte Ricardo. Es läutete. Emma warf Gottschalk in hohem Bogen den Rest ihres Kuchens zu und sprang auf. Sie solle sich von ihrem Computer fernhalten, verlangte Charlotte. Emma versprach es. Er werde die Videokameras aktivieren, sagte Max, dann wolle er den Besuch in Empfang nehmen. Er deutete ihnen, ihre Sitze beizubehalten und ging mit Emma auf den Gang. Ricardo blickte nervös auf seine Armbanduhr. „Was für ein Einstieg in unsere Reality Soap“, freute sich Isolde. „Die Redakteurin ist eine halbe Stunde zu früh dran“, kommentierte Ricardo. „Jetzt nur die Nerven nicht verlieren!“, verlangte er. Max erschien mit einer leger gekleideten Frau im Gemeinschaftsraum. Sie trug Jeans, ein weißes, kurzärmeliges T-Shirt und hatte den Riemen einer großen Ledertasche um ihre Schulter geschoben. Das schulterlange dunkle Haar hatte sie mit einem bunten Band im Nacken zusammengefasst. Charlotte erkannte das Objektiv einer Kamera, das sich durch einen Spalt der Tasche zwängte. Max stellte die Frau vor. Höflich bot er ihr Platz an. Nacheinander nickten die Bewohner, mit versteinerter Miene, als Max ihre Namen nannte. Verunsichert blickte die Redakteurin von einem zum ande192
noch nicht beteiligt waren, vorgestellt. Dabei soll das Produkt auf Herz und Nieren getestet werden. Schritt 11: Für eine erfolgreiche Vermarktung kann eine weitere Seniorenbefragung zusammen mit der Marketingabteilung durchgeführt werden. Dabei geht es vor allem um eine für Senioren ansprechende Produktbeschreibung und einen verkaufsfördernden Produktnamen. Ebenso werden die ansprechendsten Vertriebswege für diese Art von Produkt gemeinsam mit Senioren besprochen. Schritt 12: Falls nötig, werden letzte Fehler beseitigt. Das Produkt wird in Serie hergestellt und dem Markt zur Verfügung gestellt. Je nach Produktart, zeitlichem Rahmen und Verfügbarkeit von Probanden können einzelne Schritte auch wegfallen oder zusammengefasst werden.
6.3 Ansatzpunkte zur Nutzerintegration Für eine Einbindung von Senioren bieten sich insgesamt sieben der zwölf Schritte als Ansatzpunkte an (siehe Tabelle 6.1). Je nach Situation können dabei unterschiedliche Methoden eingesetzt werden. (Für eine Kurzbeschreibung der genannten Methoden siehe Kapitel 6.4). In jedem Ansatzpunkt spielen mehrere der im Kapitel 4 formulierten sieben Dimensionen eine Rolle. Die Dimensionen sind komplementär zu den Ansatzpunkten und sollten als ein Art »Mindset« für den Entwickler betrachtet werden. Ansatzpunkt 1: Der erste Ansatzpunkt ist bereits die Auswahl des Aufgabenbereichs, für den das Produkt entwickelt werden soll. Neben externen Sekundärquellen sowie dem Rückgriff auf unternehmensinterne Daten – beispielsweise aus dem Vertrieb – kommt eine mündliche oder schriftliche Befragung von Senioren mit offenen Fragen in Betracht. Sollen bestehende Produkte weiterentwickelt werden, so bietet sich auch eine Beobachtung von Se-
ren. Gottschalk hatte seinen Platz vorm Kühlschrank verlassen und lief auf die Redakteurin zu. In seinem Fang hingen Kuchenkrümel. Sie habe eine Allergie, Tierhaare würden ihr zu schaffen machen, sagte sie, ob man den Hund nicht von ihr fernhalten könne? Oskar rief ihn zu sich. Die Frau blickte in die Runde. Wo sich Emma Schmitz befände? Isolde begann zu heulen, griff nach einer Papierserviette und schnäuzte sich. „Was ist passiert?“, wandte sich die Redakteurin an Max. Er bat sie, mit ihm zu kommen. Die Bewohner erhoben sich und folgten schweigend den beiden auf den Gang, zwängten sich zwischen Umzugskisten bis zu Emmas Zimmer. „Ich kann den Anblick nicht ertragen“, sagte Oskar, „ich will lieber mit Gottschalk vor der Tür warten“. Sie betraten Emmas Zimmer. Es war abgedunkelt. Der Geruch nach Firnis schlug ihnen entgegen. Umzugskisten standen vor den Fenstern. Emmas Wachsfigur lag im Bett. Die Redakteurin blieb bei der Tür stehen. „Ist das Emma Schmitz?“, fragte sie Max. Er nickte. Charlotte sah zur Redakteurin. Ihr Gesicht wirkte blass, ähnlich der Wachsfigur. Ihre Hände zitterten, fiel ihr auf. „So schnell. Vor zwei Tagen haben wir uns getroffen.“ „Frau Schmitz ist heute früh von uns gegangen“, sagte Ricardo leise. 193
PE-Schritt
Ansatzpunkt
Benennung
1
1
Aufgabenbereich auswählen (Seniorenbefragung oder Sekundärquellen)
3
2
Produktideen den Senioren vorstellen auswählen
4
3
Aufbereitete Produktidee wieder Senioren vorstellen und Anforderungen ermitteln
6
4
Konzeptvarianten als Modell Senioren vorstellen und bewerten
8
5
Entwickelte Konzepte den Senioren erneut z.B. anhand eines Funktionsmodells vorstellen
10
6
Prototyp Senioren vorstellen und testen
11
7
Vor der Vermarktung weitere Seniorenbefragung (zu Marketing/Vertrieb)
Abb. 6.2: Kurzübersicht der Ansatzpunkte für die Seniorenbeteiligung
„Hängt ihr Tod etwa mit dem Ereignis, das hier vor einem Jahr passiert ist, zusammen?“ „Nein.“ Ricardo verneigte sich ehrfürchtig vor der Wachsfigur. „Beim Aufhängen eines ihrer Lieblingsbilder ist sie von der Leiter gestürzt und hat sich das Genick gebrochen.“ Die Silberkette mit dem Kreuz funkelte vom Hals der Wachsfigur. Charlotte befürchtete, dass sie aufgrund der Hitze im Wachs versinken könnte und der Schwindel auffliegen würde. „Wollen Sie vielleicht einen Schluck Wasser?“, bot Charlotte der Redakteurin an und zog sie hastig von der Tür weg. Sie ging mit ihr in den Gemeinschaftsraum zurück. Max, Isolde und Ricardo folgten ihnen, während Oskar seine Zimmertür öffnete, damit Gottschalk in seinen Strohkorb konnte. Nein, Kuchen könne sie keinen essen, sagte die Redakteurin. Die Situation habe sie doch etwas überfordert. „Was haben Sie denn von Frau Schmitz gewollt?“, fragte Charlotte scheinheilig. „Das ist nun nicht mehr wichtig.“ Sie sei von Anfang an skeptisch gewesen, habe nicht wirklich geglaubt, dass an der Geschichte etwas Wahres dran sei. Und ihre Recherche hätte nichts ergeben, was sie eines Besseren belehrt hätte. „Wovon sprechen Sie?“ Nun, meinte sie verlegen wirkend, Frau Schmitz habe von einem Betrug in einer Quizshow gesprochen, den sie mit ihren Freunden, die in der Knesebeckstraße wohnten, ausgeheckt habe. 194
nioren bei der Nutzung der Geräte an. Abbildung 6.2 zeigt einen Auszug aus einer Anforderungsliste für die Entwicklung einer seniorengerechten Kaffeemaschine, welche nach der Auswertung eines Usability-Tests mit lautem Denken entstanden ist. Probleme bei der Handhabung können in einer Fokusgruppe diskutiert werden. Es hat sich gezeigt, dass eine abstrakte und sehr allgemein formulierte Aufgabenstellung Senioren Probleme bereitet. Eine Fokussierung auf einen klar abgegrenzten Bereich wird hier dringend empfohlen, damit sich die Ergebnisse einer Senioreneinbindung nicht in unüberschaubar viele Richtungen mit geringem Konkretisierungsgrad verlaufen. Eine zwingende Notwendigkeit zur direkten Einbindung besteht nicht, da das Produktfeld durch die Unternehmensausrichtung oft schon vordefiniert ist und sich dieser Schritt in der Regel gut mit den intern und extern verfügbaren Sekundärdaten darstellen lässt. Sofern bereits ein konkreter Anwendungsbereich für das geplante Produkt ermittelt wurde, kann der Kon-
takt zu Senioren jedoch auch genutzt werden, um gezielt Produktideen zu entwickeln. Dafür eignen sich verschiedene Kreativtechniken, beispielsweise die Galeriemethode. Ansatzpunkt 2: Aus den Ergebnissen der Sekundärrecherche bzw. Befragung oder der Kreativtechniken lassen sich Produktideen ableiten. Diese können in einem zweiten Schritt auf dem Weg zum seniorengerechten Produkt Senioren vorgestellt werden und zusammen mit ihnen kann die erfolgversprechendste Produktidee ausgewählt werden. Um hierbei optimale Ergebnisse zu erreichen, bietet sich der gezielte Einsatz von Methoden an, die bei der Auswahl zwischen verschiedenen Ideen helfen. Mögliche Methoden sind eine Befragung mit geschlossenen Fragen, eine einfache Punktebewertung oder eine abgespeckte Variante der Nutzwertanalyse. Ansatzpunkt 3: Nach interner Aufbereitung kann die Produktidee in einem dritten Schritt wiederum Senioren vorgestellt werden, um
„Wir waren ihre Freunde und hätten darüber Bescheid wissen müssen. Uns so zu verunglimpfen!“, empörte sich Charlotte. „Wie hat sie uns das antun können, uns als Betrüger hinzustellen!“ Ricardo stoppte ihren Redefluss. Sie wisse doch, dass Emma eine blühende Fantasie gehabt habe. Sie wolle niemandem etwas unterstellen, beruhigte die Redakteurin. „Sieht es hier so aus, als hätten wir eine Million gewonnen?“, sagte Isolde herausfordernd. Nein, pflichtete sie ihr, nach einem kurzen Blick durch den Gemeinschaftsraum, bei. Aber Frau Schmitz habe nicht behauptet, dass es sich bei dem Gewinn um eine Million handle. „Bei allem Respekt Ihnen gegenüber, junge Frau, das entbehrt jeder Logik. Vorausgesetzt, wir hätten den Betrug begangen, dann sicher nicht nur wegen ein paar tausend Euro“, redete sich Charlotte in Rage. So genau wolle die Redakteurin das sicher nicht wissen, bremste Ricardo sie ein. Aus Emmas Zimmer war lautes Gekläffe zu hören und Oskars Stimme, die den Hund zur Ordnung rief. Bis morgen müsse sie einen Artikel fertig schreiben und habe es eilig. Da sie erst seit kurzem für diese Zeitung arbeite, müsse sie sich profilieren. Sie verabschiedete sich von den Bewohnern, stieß mit ihrer Tasche gegen einen Umzugskarton. „Die vielen Kartons hier und auf dem Gang. Gehören sie Frau Schmitz?“, fragte die Redakteurin. „Nein, uns allen. Wir müssen unser Heim verlassen“, sagte Charlotte geknickt. Sie begleitete mit Max die Redakteurin aus dem Gemeinschaftsraum. „Müssen? Wie meinen Sie das?“ 195
Festforderung/ Wunsch
Anforderung Signal
W
Signal geben, wenn Kaffee fertig ist
W
Betriebsgeräusche für Rückmeldungen nutzen
F
Ein-/Ausschalter klar erkennbar
F
Rückkopplung bei Bedienelementen .... Ergonomie
F
Wasserstandsanzeige gut lesbar
F
Betriebszustand eindeutig erkennbar
F
Keine Piktogramme
W
Individuelle Kannenwahl
W
Bedienung soll Spass machen
F
Große Wassereinfüllöffnung ... Gebrauch
W
Kaffeeduft soll verströmt werden
W
Angenehmes Betriebsgeräusch
W
Vertraute Handlungsabläufe berücksichtigen ...
Abb. 6.3: Auszug aus einer Anforderungsliste an Kaffeemaschinen
Gottschalk stürmte ihnen entgegen, in seinem Fang Emmas Silberkette mit dem Kreuz. Die Redakteurin wich zurück, nieste. Ihre Nasenschleimhäute würden durch Tierhaare gereizt. „Das haben Sie bereits gesagt“, meinte Oskar und rollte aus Emmas Zimmer. Die Redakteurin blieb stehen, schien zu überlegen, wollte hineingehen. Er schloss hastig die Tür. „Achten Sie die Totenruhe. Es hat heute schon genug Aufregung gegeben.“ Berufliche Neugier, entschuldigte sie sich und musste wieder niesen. Sie wandte sich an Charlotte. „Darf ich Sie in den nächsten Tagen anrufen? Ich würde mich gerne mit ihnen unterhalten.“ „Tun Sie, was Sie nicht lassen können“, sagte Charlotte. Die Redakteurin lief niesend mit Max die Stufen ins Erdgeschoss hinunter. Gottschalk habe sie zerstört, klagte Emma Oskar an und beugte sich über die im Bett liegende Wachsfigur. Ihr Hals sei durchtrennt worden, als der Hund die Kette heruntergerissen habe. Sie solle froh sein, dass sie bei dieser Hitze nicht geschmolzen sei, tröstete Charlotte. Und, dass die Redakteurin sie nicht genauer betrachtet habe, sonst wäre der Schwindel aufgeflogen. „Ich will euch etwas zeigen“, sagte Emma und ging zur Leinwand, die mit dem Laken bedeckt war und hob es von den chinesischen Essstäbchen. Sie habe das Bild fertiggestellt. Sie sollten sich aufs Sofa setzen. Max half ihr, die Staffelei in Richtung der Betrachter zu drehen. „Roy Lichtenstein lässt grüßen“, sagte Charlotte und begann zu lachen. „Aus meinen Falten sind rote Punkte geworden, gerade so, als hätte ich Röteln oder Masern.“ 196
Anforderungen an das Produkt zu ermitteln und mögliche Schwachstellen frühzeitig auszuschließen. Dafür bieten sich verschiedene Methoden an, welche die kreative Einbindung der Senioren in den Prozess ermöglichen. Ein breites Spektrum an Methoden aus dem Qualitätsmanagement steht hierfür zur Verfügung. Bei der Arbeit mit Senioren haben sich dabei Fokusgruppen, die Metaplan-Technik und verschiedene Varianten von Usability-Tests und Tätigkeitsanalysen, ergänzt durch lautes Denken, bewährt. Tätigkeitsanalysen, bei denen mit den Senioren das schrittweise Vorgehen bei der Nutzung der Produkte analysiert wird, können dabei helfen, Problemstellen hinsichtlich der notwendigen Humanfunktionen zu erkennen und Wege zur Kompensation dieser zu finden (Abb. 6.3). Ansatzpunkt 4: Aus den ermittelten Anforderungen entwickeln die Produktentwickler des Unternehmens Konzeptvarianten, die als einfache zwei- oder dreidimensionale Modelle den Senioren vorgestellt werden. Die Senioren
bewerten die Konzepte z. B. mittels einer Punktbewertung und unterstützen damit die Auswahl der am besten geeigneten Variante. Anschließend findet eine technisch-wirtschaftliche Bewertung z. B. mittels der Nutzwertanalyse durch das Produktentwicklungsteam statt. Die zuvor von den Senioren vorgenommene Bewertung hinsichtlich Nutzerfreundlichkeit, Funktionalität und Design findet dabei besondere Berücksichtigung. Die ermittelten Anforderungen bilden die Grundlage für die Bewertungskriterien. Die Rolle der Senioren besteht vor allem in der Ermittlung von Fragen zur Aufstellung der Bewertungskriterien und weniger die Durchführung der Bewertung selbst. Ansatzpunkt 5: Nachdem die Auswahl für eine Variante getroffen wurden, kann diese als funktionsloses Modell den Senioren vorgestellt werden, um Feinheiten zu verbessern. Die Vorschläge der Senioren hierfür lassen sich gut mit verschiedenen Kreativtechniken wie Brainstorming und Galeriemethode sowie insbesondere der Methode 635 ermitteln. Abbil-
„Ist doch herrlich. Aus unseren Gesichtern kann man kein Alter ablesen“, meinte Ricardo. „Wie schön, wenn mein Herz ebenfalls zeitlos wäre und damit kein Ablaufdatum hätte“, sagte Oskar und streichelte Gottschalk. „Unsere nackten Körper wirken sehr jugendlich“, grinste Charlotte. „Da hängt nichts.“ „Ich frage mich bloß, warum wir dir Modell sitzen mussten. Soviel verschwendete Zeit!“, beschwerte sich Isolde. Immer habe sie für die wöchentlichen Sitzungen ihr hübschestes Outfit getragen. „Diese nackten Comic-Figuren hättest du auch ohne uns malen können.“ „Das Bild gefällt mir “, sagte Max. Charlotte erhob sich und ging auf die Staffelei zu. Über Charlottes Kopf erhob sich eine Sprechblase. In ihr war der Satz: Kuba, jetzt oder jetzt zu lesen. „Ich muss gehen“, verabschiedete sich Max. „Drück mir die Daumen, Tante Charlotte.“ Er verschwand auf den Gang. „Was soll das wieder heißen. Mir schwant Schreckliches“, mutmaßte Ricardo. „Was habt ihr ausgeheckt?“ „Nichts“, beschwichtigte Charlotte, „Max hofft, dass der erfolgreiche Anwalt, der oft in die Bar kommt, heute abend auftaucht. Er will ihn um Hilfe für uns bitten.“
197
Funktionsbereich
Ernährung
Körperreinigung
Einzelfunktionen
Wasser erhitzen
Produkte
Mikrowelle
Humanfunktionen
Parameter
Halten
Ausdauer
Kraft
Kommunikation
Mobilität
Trinken
Essen
Saft zubereiten
Gesundheitserhaltung
Tee zubereiten
Flüssigkeit umfüllen
Wasserkocher
Heben
Koordination
Kaffee kochen
Abfälle entsorgen
Kochtopf
Kippen
Teekessel
Greifen
Beweglichkeit
Gefäß transportieren
Statuskontrolle
Sehen
Abb. 6.4: Beispiel einer einfachen Tätigkeitsanalyse am Beispiel des Tee Kochens
Hören
Tasten
...Countdown... „Du redest nicht.“ „Worüber soll ich reden?“ „Am Tag, bevor Emma verschwunden ist, warst du bei Doktor Rubinstein zur Untersuchung.“ „Ja.“ „Was hat er über deinen Gesundheitszustand gesagt?“ Oskar fuhr mit dem Rollstuhl zum Fenster. Langsam folgte ihm Charlotte. Sie blickte auf das Haus auf der gegenüberliegenden Seite. Licht fiel aus einigen Fenstern. Menschen, die entweder spät zu Bett gingen, oder zeitig aufstanden. „Ich habe einen Roman gelesen, im Privat-Sanatorium.“ Er schwieg. „Und?“ „Er hat mich nachdenklich gemacht.“ Nachrichten liefen im Radio, eine Meldung über einen Feuerwehreinsatz in der Liebknecht Straße, Ecke Spandauer Straße, wurde durchgegeben. „Die gestundete Zeit.“ „Was?“ Charlotte lehnte sich aufs Fensterbrett. „Der Name des Romans, den ich gelesen habe.“ 198
Abb. 6.5: Modelle eines Sicherheitsliftes
Oskar stützte seinen rechten Ellenbogen auf die Armlehne, fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel. Eine Nummer der Beach Boys lief im Radio. „Und?“ Oskar schien sie nicht zu hören. Er verharrte in dieser Stellung und ängstigte Charlotte. Seine Haltung drückte für ihr Empfinden Resignation aus. „Man muss den Inhalt nicht kennen, um Bescheid zu wissen.“ „Worüber?“, hakte sie nach. „Dass wir alle nur eine begrenzte Zeit auf dieser Welt haben.“ Er fuhr sich übers Gesicht und Charlotte dachte, er würde weinen. „Soviel“, er hob die Hand und deutete mit Daumen und Zeigefinger einen Abstand von gerade einem Millimeter an, „fehlt uns, um dort oben zu sein.“ „Bitte, Oskar, lass diese düsteren Gedanken, du machst mir Angst.“ „Die hat Doktor Rubinstein mir auch gemacht.“ Die Musik klang aus. Eine übertrieben muntere Frauenstimme trat an ihre Stelle, wünschte den Zuhörern einen guten Morgen. Charlotte stieß sich vom Fensterbrett ab und hockte sich neben Oskars Rollstuhl. „Und hier good news und bad news der vergangenen Stunden“, plärrte die Frau. „Das Rätsel über das Verschwinden von Lisa ist gelöst. Gleich folgt ein Bericht über den jungen Münchner und seine Freundin, die er bei der Love Parade aus den Augen verloren hat.“ 199
dung 6.4 zeigt das Modell eines Sicherheitsliftes, Abbildung 6.5 gibt einen Lösungsvorschlag des Seniorenbeirates zu der Frage der Möglichkeiten der Integration des Gerätes in das häusliche Umfeld wieder. Ansatzpunkt 6: Aus der verfeinerten Variante entwickelt das Unternehmen einen Prototyp des Produkts und stellt diesen Senioren vor, damit sie ihn testen können. Hierfür eignen sich insbesondere Usability-Tests. Ansatzpunkt 7: Nach der Fertigstellung des Produkts können die Senioren auch bei der Vermarktung eingebunden werden, indem Sie wertvolle Hinweise für erfolgreiche Marketingstrategien geben. Dazu zählen beispielsweise die Entwicklung der Produktbeschreibung und die Findung eines ansprechenden Produktnamens, wobei die Namensvorschläge direkt von den Senioren kommen können (Abb. 6.6). Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Ermittlung des optimalen Marketing-Mix (Preispolitik, Distributionspolitik, Kommunika-
tionspolitik – die Produktpolitik als viertes Element ist durch die Produktentwicklung vorbestimmt). Für die Einbindung bei der Vermarktung eignen sich vor allem die schriftliche und die mündliche Befragung sowie der Einsatz von Markttests. 6.4 Kurzbeschreibungen der dargestellten Methoden Befragung: Eine Befragung kann mündlich (Interview) oder schriftlich (Fragebogen) erfolgen. Auch eine Mischform, bei der ein Interviewer einen Fragebogen abfragt, ist möglich. Für kreative Prozesse – beispielsweise die Entwicklung neuer Produktideen – werden offene Fragen (= freie Antwortmöglichkeit) verwendet, während geschlossene Fragen (= vorgegebene Antworten zur Auswahl) vor allem für die Ermittlung von Anforderungen oder die Bewertung von Produktkonzepten eingesetzt werden können. Beobachtung: Bei der Beobachtung werden Senioren unter realitätsnahen Bedingungen
Charlotte richtete sich auf und ging zum Radio. Applaus erklang. „Die gute Nachricht ist“, sagte die Frau, „der Münchner hat seine Freundin wiedergefunden. Sie ist gesund und munter. Die schlechte, dass sie nichts mehr von ihm wissen will. Sie hat sich in einen anderen Mann verliebt und ist deshalb untergetaucht.“ Charlotte schaltete das Radio aus. „Wie lange noch?“ Oskar blickte zu Karl-Ottos Urne, dann von ihr weiter zu Charlotte. „Ohne ein Spenderherz?... Doktor Rubinstein gibt mir noch zwei Wochen, oder vierzehn Tage, oder dreihundertsechsunddreißig Stunden.“ Charlotte setzte sich auf den Klavierhocker. Ihr schien, als habe jemand mit dem Finger geschnippt und damit ihre kleine Welt verändert, schlagartig, nachhaltig. „Es ist nur geborgt, dieses Leben.“ Oskar griff in seine Jackentasche und zog das in Leinen gebundene Büchlein hervor. Sie habe doch über den Streit mit seinem Sohn Eric Bescheid wissen wollen. „Es steht auf den letzten drei Seiten.“ Er reichte Charlotte das Büchlein. Es habe seine Wichtigkeit verloren, jetzt, nachdem Eric nicht mehr am Leben sei. „Du weißt es?“ „Ich habe gehört, wie du es Isolde erzählt hast. Ich wollte es verdrängen. Hat nicht funktioniert.“ Die Lichter im gegenüberliegenden Haus verloschen. Charlotte stand vor dem geöffneten Fenster. Wie sehr musste Oskar Jürgen Nolte hassen. Sie klappte das Büchlein zu. 200
Ein heißer Luftzug bauschte die Vorhänge um sie herum auf. Eine Eintragung, drei Tage, bevor Oskars Frau ums Leben gekommen war, beschrieb eine Auseinandersetzung der beiden. Seine Frau wollte sich von ihm trennen und zu ihrem Geliebten ziehen. Eine genaue Beschreibung des Rivalen folgte, der bis zu diesem Zeitpunkt ein guter Freund Oskars war. Sofort erkannte Charlotte, um wen es sich bei dem Mann handelte. Es war Jürgen Nolte, der damals noch beide Beine besaß. In knappen Sätzen beschrieb Oskar seinen Gemütszustand und die Enttäuschung, vor dem Scherbenhaufen seiner Ehe zu stehen. Am meisten traf ihn jedoch, dass seine Frau mit Eric und Nolte nach Kanada auswandern wollte. Oskar würde seinen Sohn kaum mehr sehen können. Wenige Tage nach dem Tod seiner Frau Eintragungen, in denen er die letzten Stunden mit ihr beschrieb. Es kam zu einem heftigen Streit zwischen seiner Frau und ihm, der jäh beendet wurde, als Eric auftauchte. Sie warf Oskar vor, aufgrund seiner Eifersucht an der Trennung Schuld zu sein. Türe zuschlagend verließ sie die Wohnung. Eric wollte wissen, was los war. Von der Straße hörten sie ein Quietschen und einen dumpfen Aufprall. Sie liefen aus dem Haus. Oskars Frau war von einem LKW angefahren worden. Wenig später erlag sie im Krankenhaus ihren schweren inneren Verletzungen. Eric gab Oskar die Schuld am Tod seiner Mutter. Hätte er sie an diesem Abend nicht zur Rede gestellt, wäre der Unfall nicht passiert. Eric wollte mit seinem Vater nichts mehr zu tun haben. „Ich kann den Zorn, den Eric auf mich hat, verstehen. Ich selbst mache mir die größten Vorwürfe. 201
originell
realistisch Abb. 6.6: Ein Lösungsvorschlag der Senioren und die Bewertung eigener Vorschläge durch die Senioren
bei der Bedienung von Geräten beobachtet. Ziel ist es, Probleme bei der Benutzung und Ansatzpunkte für Modifikationen abzuleiten. Die Beobachtung kann auch mit einer parallelen oder anschließenden Befragung gekoppelt werden.
Punktebewertung: Bei der Punktebewertung werden die Probanden mit einer definierten Anzahl von Klebepunkten ausgestattet, die sie nach ihrem Gutdünken auf die vorgestellten Varianten verteilen. Je besser eine Idee gefällt, desto mehr Punkte werden ihr gegeben.
Ich hätte Sie mit Nolte ziehen lassen sollen“, war die letzte Eintragung. Charlotte legte das Büchlein aufs Fensterbrett. Müde verließ sie ihr Zimmer. Im Haus war es noch ruhig. Ein letztes Frühstück mit ihren Freunden im Gemeinschaftsraum, sie wollte sie damit überraschen. Aus dem Gästezimmer hörte sie lautes Gepolter und hielt inne. „Max?“ Sie näherte sich der Tür. „Max!“ Er antwortete nicht und sie öffnete. Die Deckenbeleuchtung brannte. Die Vorhänge waren zugezogen. Max lag auf dem Boden, neben ihm ein Mann. Um die Hände und Füße der beiden waren Seile geschlungen, in ihren Mündern steckten Knebel. „Was um alles in der Welt ist passiert!“ Sie näherte sich den beiden. „Keinen Schritt weiter!“ An der Wand lehnte ein Mann. Seine Hand umklammerte einen Revolver, den er auf Charlotte richtete. Sie hielt mitten in der Bewegung inne. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns so bald wiedersehen“, grinste er. „Dieter Ebenwald?“ „Höchst persönlich.“ Er verneigte sich vor ihr, hielt die Mündung des Revolvers weiter auf sie gerichtet. Max strampelte, gab unverständliche Laute von sich. „Was haben Sie hier zu suchen!“, fuhr sie Ebenwald an. „Binden Sie die beiden Männer sofort los.“ Er denke nicht daran. Seit Tagen warte er auf diese Chance. Nacht für Nacht sei er in der Bar gesessen und habe gewartet. 202
Nutzwertanalyse: Die Nutzwertanalyse dient zur Bewertung verschiedener Lösungsvarianten und unterstützt somit die Auswahl der am besten geeigneten Variante eines Lösungsfeldes. Verschiedene, voneinander unabhängige Bewertungskriterien werden durch die Vergabe von Punkten bewertet. Jedem der Bewertungskriterien wird außerdem eine Gewichtung zugeordnet. Der Gesamtwert einer Lösungsvariante ergibt sich aus der Summe der für jede Frage berechneten Produkte aus Punktwert und Gewichtung. Galeriemethode: Die Galeriemethode ist eine visuelle Kreativtechnik, bei der die Senioren Bilder zu einem bestimmten Themenbereich – beispielsweise spontanen Lösungsmöglichkeiten für Probleme ihres häuslichen Alltags – anfertigen. Diese Bilder werden wie in einer Galerie aufgehängt und diskutiert. In einem zweiten Durchgang können die Anregungen, die aus der ersten Runde gewonnen wurden, von den einzelnen Teilnehmern weiterentwickelt werden. Grundsätzlich wird die Galeriemethode nur mit Papier und Stift durchgeführt.
Im Projekt sentha hat sich jedoch für Senioren die Arbeit mit vorgefertigten Bildern und das Anfertigen von Kollagen bewährt. Brainstorming: Das Brainstorming ist eine der bekanntesten Methoden überhaupt. Bei ihm trägt in einer Gruppe von bis zu 12 Teilnehmern jeder Teilnehmer uneingeschränkt Ideen zu einem gegebenen Thema vor. Die Brainstorming-Sitzung soll frei von Kritik und Zwängen ablaufen. Diese Methode ist für den Einsatz mit Senioren gut geeignet, da sie hier Gelegenheit zum Reden bekommen und – anders als in stark hierarchisch geführten Unternehmen – keine Bedenken haben, ihre Meinung frei zu äußern. Metaplan-Technik: Die Metaplan-Technik ist auch als Kartenabfrage bekannt. Es handelt sich um eine schriftliche Variante des Brainstormings, d. h. jeder Teilnehmer schreibt zu einem gegebenen Thema seine Gedanken einzeln auf Karteikarten auf. Diese werden anschließend an eine Pinnwand geheftet und gemeinsam nach Oberbegriffen gruppiert. Methode 635: Die Methode 635 ist eine wei-
„Auf ihn.“ Er deutete auf den Mann, der neben Max lag. Charlotte sah zu ihm. Das Tuch über dem Knebel verdeckte das halbe Gesicht und sie konnte nicht erkennen, um wen es sich handelte. Die Augen des Mannes waren geschlossen. Es schien, als schliefe er. Aus Gesprächen in der Bar, die er mit Max geführt hatte, wisse er, dass sie seine Tante sei. Alles passe wunderbar zusammen. „Hören Sie auf, in Rätseln zu sprechen. Sie haben mich um mein Haus betrogen. Was wollen Sie noch?“. „Das werden Sie früh genug erfahren.“ Wie viele Menschen sich im Haus befänden? Charlotte sagte es ihm. Sie solle alle zusammentrommeln, mit ihnen in den Raum mit den Videokameras gehen und dort auf ihn warten. „Und sollte einer von ihnen versuchen zu telefonieren, das Haus zu verlassen, oder irgendjemanden um Hilfe zu bitten, muss ihr Neffe daran glauben.“ „Was soll die Drohung?!“ Ebenwald hob die Waffe, zielte auf einen Lampenschirm und drückte ab. Mit einem lauten Knall zerbarst die Glühbirne. „Nein! Nicht schon wieder!“ Ist ja fürchterlich! Mein Haus zieht Ganoven förmlich an. „Los, gehen Sie!“, befahl er. Charlotte verließ das Zimmer. Auf dem Gang stand Ricardo, Emma trat durch ihre Tür. „War das ein Schuss?“ 203
Namen
Attribute
Vitalift
Benutzerfreundlich
Trittomatik
Helfend
Quick-Lift
Passend für jede Altersstufe
Hausfreund
Universell
Sicherheitslifter (Bsp. v. TPC
Sitzfreundlich
Leichtlift
Variabel
Hauslift
Trittsicher
Trittlift
Zusammenklappbar
Himmelsstürmer
Sicher
Liftboy
Sicher aufwärts
Lotus-Lift
Vielseitig
Seniorensprung
Leicht
Lotusblüte
Platzsparend
Hebehilfe
Einfach bedienbar Praktisch
Abb. 6.7: Auswahl von Produktnamen und werbewirksamen Attributen für den Sicherheitslift
Sie solle Isolde und Oskar wecken und mit ihnen in den Gemeinschaftsraum kommen, bat Charlotte. Ricardo nahm ihre Hand. „Was ist passiert?“ Sie betraten den Gemeinschaftsraum. Charlotte ließ sich auf einen Sessel fallen. Jetzt erst merkte sie, dass ihre Beine zitterten. Isolde zog die Vorhänge zu. Die anderen saßen um den Tisch im Gemeinschaftsraum. Ebenwald lehnte bei der Tür. In seiner Hand der Revolver. „Ich brauche den Rollstuhl“, sagte Ebenwald. Oskar erhob sich und wechselte in einen Sessel. Ebenwald deutete Ricardo, ihm zu folgen. „Keiner bewegt sich!“, sagte Ebenwald und verließ mit Ricardo den Gemeinschaftsraum. „Wer ist dieser schreckliche Mensch ?“, schluchzte Emma. „Das ist Dieter Ebenwald, der Mann, der mich hereingelegt hat.“ Gottschalk lief zu Oskar. Charlotte erzählte in knappen Sätzen, was vorgefallen war. „Ich habe keine Ahnung, was er von uns will.“ Max, mit Knebel und am Rücken zusammengebundenen Händen, hinter ihm der gefesselte Mann im Rollstuhl, den Ricardo schob und Ebenwald, der sie mit dem Revolver in Schach hielt, kamen in den Gemeinschaftsraum. „Es wird Ihnen nichts nützen, wenn Sie schreien“, sagte Ebenwald zum Mann im Rollstuhl. „Aus die204
tere schriftliche Variante des Brainstormings, die jedoch weitergeht und daher insbesondere zur Weiterentwicklung bestehender Ansätze verwendet werden kann. Bei ihr werden von sechs Teilnehmern jeweils drei Lösungsansätze entwickelt. Diese werden in 5 Runden an den jeweils nächsten Teilnehmer weitergegeben und von ihm weiterentwickelt, so dass jeder Teilnehmer die Lösungsvorschläge aller anderen Teilnehmer sehen und bearbeiten konnte. Die Senioren des sentha-Seniorenbeirates empfanden diese Form einer Kreativtechnik als sehr anstrengend. Lautes Denken: Das laute Denken ist eine methodische Ergänzung zur Beobachtung, bei der die Senioren während der Bedienung der Geräte oder der Betrachtung von Modellen ihre Gedanken laut aussprechen. Dadurch werden auch die von den Senioren zwar bemerkten, aber kompensierten Bedienprobleme erkennbar. Usability-Test: Beim Usability-Test soll die Benutzbarkeit eines Produkts im Zusammenspiel von Nutzer und Produktentwickler er-
mittelt werden. Dabei werden die Senioren mit den Produkten konfrontiert. Markttest: Ein Markttest untersucht, ob Verbraucher unter realen Bedingungen – beispielsweise in einem eigens aufgebauten MiniWarenhaus – das neue Produkt gegenüber Wettbewerbern bevorzugen. 6.5 Allgemeine Empfehlungen Die wichtigsten Empfehlungen zur Integration von Senioren im Entwicklungsprozess sind folgende. – Gruppensitzungen mit Senioren sollen geistig abwechslungsreich gestaltet sein. – Körperliche Aktivitäten wie z. B. viel Laufarbeit oder langes Stehen sollten vermieden werden. – Planen Sie viel Zeit ein. Ältere Menschen diskutieren gerne. Schenken Sie diesem Bedürfnis Beachtung. – Stellen Sie immer etwas zum Trinken und zum Essen bereit. Dies hält ihre Probanden nicht nur bei Laune, sondern kann auch einen medizinischen Effekt haben (z. B. bei
sem Raum wird Sie niemand hören.“ Er band ihm das Tuch vom Kopf und nahm den Knebel aus dem Mund. Benommen öffnete der Mann die Augen. Charlotte erschrak. Vor ihr im Rollstuhl saß Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister Berlins. Ebenwald grinste. „Sind Sie wahnsinnig?!“, rief sie entsetzt. Sofort richtete Ebenwald die Waffe auf Charlotte. Er sei noch nie bei so klarem Verstand gewesen, wie heute. Es läutete an der Eingangstür. „Das werden die Männer von der Speditionsfirma sein“, sagte Charlotte. „Schicken Sie sie weg. Sagen Sie, dass Sie sich weigern, dass Haus zu verlassen.“ Ebenwald beugte sich zu Wowereit und hielt ihm den Revolver an die Schläfe. „Versuchen Sie nicht, mich hereinzulegen. Ein falsches Wort von ihnen und er muss dran glauben.“ Sie solle sich kurz halten. Charlotte ging die Stufen hinunter. Jemand pochte an die Eingangstür. „Ja?“ Eine Männerstimme nannte den Namen der Speditionsfirma, die die Umzugskisten abholen sollte. „Frau Ruhland! Bitte öffnen Sie!“ „Verschwinden Sie“, rief sie. „Ich werde mein Haus nicht verlassen!“ Auf der anderen Seite war es ruhig. „Seien Sie doch vernünftig!“, redete ihr die Männerstimme dann zu. 205
–
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–
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Menschen, die aufgrund einer Erkrankung des Magen-Darm-Traktes häufiger am Tag kleinere Mahlzeiten zu sich nehmen müssen). Geben Sie den Befragten ein Feedback. Sie kommen gerne wieder, wenn sie wissen, dass ihre Bemühungen fruchten. Nehmen Sie die Probanden ernst und trauen Sie ihnen etwas zu. Viele jüngere Menschen neigen dazu, ältere Menschen zu unterschätzen. Sorgen Sie für eine gute Akustik und stellen Sie sicher, dass auch Hörgeschädigte alles mitbekommen. Planen Sie in Zahl und Länge ausreichende Pausen ein, damit ihre Probanden sich stärken und austauschen können.
Details der Nutzerintegrationsmethodik und deren Einsatz für unterschiedliche Nutzergruppen sind der Veröffentlichung des Erstautors [Reinicke 2004] zu entnehmen.
„Verschwinden Sie auf der Stelle“, rief Charlotte erneut. „Wir werden wiederkommen“, drohte der Mann. „Nehmen Sie dem Regierenden die Handfesseln ab“, befahl Ebenwald Ricardo. Er löste den Knoten. „Sie wollten doch eine Reality Soap aus der My Fair Lady übertragen. Dann los!“ Man wolle dem Publikum spannende Live-Unterhaltung bieten. „Sind die Videokameras ans Internet angeschlossen?“ Max nickte, gab grunzende Laute von sich. „Setz dich.“ Max nahm neben Charlotte und Ricardo Platz. Ebenwald zog ein Blatt Papier aus seinem Sakko und überreichte es Wowereit. „Lesen Sie Wort für Wort genauso vor, wie ich es geschrieben habe, sonst sind nicht nur Sie dran, sondern auch die anderen.“ Ebenwald stellte sich hinter die Videokameras und aktivierte sie. „Los“, verlangte er. Wowereit blickte zur Gruppe, die um den Tisch saß. Emma weinte, Isolde hatte ihre Arme vor der Brust verschränkt. Oskar umklammerte die Armlehnen. „Man hält mich gefangen“, las Wowereit zögernd. „Die Entführer verlangen binnen der nächsten zwölf Stunden die Freilassung von Jürgen Nolte. Weiters zehn Millionen Euro in gebrauchten Scheinen, nicht fortlaufend nummeriert, und einen Helikopter.“ Wowereit räusperte sich. „Andernfalls werden die Entführer jede Stunde, die über dem Ultimatum liegt, einen der Menschen, die hier im Raum sind, erschießen.“ 206
Ebenwald schaltete die Videokameras aus. „Wer ist Jürgen Nolte?“, fragte Wowereit. „Das geht Sie nichts an“, antwortete Ebenwald patzig. „Niemand wird das ernst nehmen“, flüsterte Emma. Ebenwald grinste. Man werde schneller mit ihm in Verbindung treten, als sie rülpsen könne. „Lassen Sie Klaus Wowereit gehen, Sie haben uns“, verlangte Charlotte. Ebenwald lachte. „Was soll ich mit einem Haufen alter Spinner? Ihr liegt ohnehin nur den Krankenkassen auf der Tasche.“ Er band dem Regierenden die Handfesseln wieder um. Zwanzig Minuten waren vergangen. Charlottes Handy läutete. Es lag in der Mitte des Tisches. Sie solle das Gespräch annehmen, verlangte Ebenwald. „Hallo“, sagte sie mit zittriger Stimme. Sie lauschte. „Ja, was Sie gesehen haben, ist in der My Fair Lady aufgenommen worden“, bestätigte sie. „Nein, wir haben uns keinen Scherz erlaubt!“ Wieder lauschte sie. „Einen Moment.“ Charlotte überreichte das Handy Ebenwald, der den Revolver auf den Regierenden gerichtet hatte. „Im Haus befindet sich Sprengstoff. Wenn sie es stürmen, jage ich alles in die Luft. Erfüllen Sie meine Forderungen. Wenn Sie sich daran halten, wird niemandem etwas geschehen.“ Er beendete das Gespräch. Sie solle zu heulen aufhören, fuhr er Emma an. Mit dem Sprengstoff bluffe er doch nur, meinte Ricardo, aber so weit er es beurteilen könne, sei die Waffe echt. Ebenwald schaltete den Fernseher ein, zappte durch die Programme, auf der Suche nach 207
7. Schlusswort Wolfgang Friesdorf Wir hoffen, dass Sie durch dieses Buch – durch die Kombination von Forschungsbericht und Roman – ein umfassendes Verständnis für die Situation von älteren Menschen in unserer Gesellschaft entwickeln konnten und dass Sie die Möglichkeiten erahnen, die Technik und Dienstleistungen eröffnen. Wichtig ist für uns vor allem, den demographischen Wandel nicht als Gefahr zu begreifen, sondern als Chance! Presse, Radio und Fernsehen bringen uns dabei großes Interesse entgegen – diese Themen sind medienwirksam: Senioren werden zunehmend aktiv. Die Politik erkennt die Relevanz der Forschung. Die Industrie entdeckt einen neuen Markt. Für uns ist die Aktivität mit diesem Buch nicht abgeschlossen, sondern unsere Forschung wird in vielerlei Hinsicht weitergeführt: Die Leiter des Projekts sentha gründen den sentha-Verein (www.sentha.org), der die Ergebnisse diskutieren und weiterentwickeln
wird. Parallel dazu ist die Seniorforschergruppe »Senior Research Group« aktiv, testet Produkte, entwirft Anforderungskataloge und präsentiert sich auf Veranstaltungen und in den Medien (www.srg-berlin.de). Darüber hinaus werden die Themen des sentha-Projekts in die Lehre an der Technischen Universität Berlin und der Universität der Künste Berlin übernommen. Wenn Sie Kritik, Fragen oder Ideen haben, wenn Sie dem sentha-Verein beitreten möchten, wenn Sie als Senior selbst forschen wollen oder einen Partner bei der Entwicklung von seniorengerechten Produkten suchen – wenden Sie sich an uns! Denn für uns ist dieses Buch nicht allein durch die Veröffentlichung gelungen oder dadurch, dass Sie es lesen, sondern erst dadurch, dass Sie Ihr neu gewonnenes Wissen anwenden.
Ebenwald schaltete die Videokameras aus. „Wer ist Jürgen Nolte?“, fragte Wowereit. „Das geht Sie nichts an“, antwortete Ebenwald patzig. „Niemand wird das ernst nehmen“, flüsterte Emma. Ebenwald grinste. Man werde schneller mit ihm in Verbindung treten, als sie rülpsen könne. „Lassen Sie Klaus Wowereit gehen, Sie haben uns“, verlangte Charlotte. Ebenwald lachte. „Was soll ich mit einem Haufen alter Spinner? Ihr liegt ohnehin nur den Krankenkassen auf der Tasche.“ Er band dem Regierenden die Handfesseln wieder um. Zwanzig Minuten waren vergangen. Charlottes Handy läutete. Es lag in der Mitte des Tisches. Sie solle das Gespräch annehmen, verlangte Ebenwald. „Hallo“, sagte sie mit zittriger Stimme. Sie lauschte. „Ja, was Sie gesehen haben, ist in der My Fair Lady aufgenommen worden“, bestätigte sie. „Nein, wir haben uns keinen Scherz erlaubt!“ Wieder lauschte sie. „Einen Moment.“ Charlotte überreichte das Handy Ebenwald, der den Revolver auf den Regierenden gerichtet hatte. „Im Haus befindet sich Sprengstoff. Wenn sie es stürmen, jage ich alles in die Luft. Erfüllen Sie meine Forderungen. Wenn Sie sich daran halten, wird niemandem etwas geschehen.“ Er beendete das Gespräch. Sie solle zu heulen aufhören, fuhr er Emma an. Mit dem Sprengstoff bluffe er doch nur, meinte Ricardo, aber so weit er es beurteilen könne, sei die Waffe echt. Ebenwald schaltete den Fernseher ein, zappte durch die Programme, auf der Suche nach 207
7. Schlusswort Wolfgang Friesdorf Wir hoffen, dass Sie durch dieses Buch – durch die Kombination von Forschungsbericht und Roman – ein umfassendes Verständnis für die Situation von älteren Menschen in unserer Gesellschaft entwickeln konnten und dass Sie die Möglichkeiten erahnen, die Technik und Dienstleistungen eröffnen. Wichtig ist für uns vor allem, den demographischen Wandel nicht als Gefahr zu begreifen, sondern als Chance! Presse, Radio und Fernsehen bringen uns dabei großes Interesse entgegen – diese Themen sind medienwirksam: Senioren werden zunehmend aktiv. Die Politik erkennt die Relevanz der Forschung. Die Industrie entdeckt einen neuen Markt. Für uns ist die Aktivität mit diesem Buch nicht abgeschlossen, sondern unsere Forschung wird in vielerlei Hinsicht weitergeführt: Die Leiter des Projekts sentha gründen den sentha-Verein (www.sentha.org), der die Ergebnisse diskutieren und weiterentwickeln
wird. Parallel dazu ist die Seniorforschergruppe »Senior Research Group« aktiv, testet Produkte, entwirft Anforderungskataloge und präsentiert sich auf Veranstaltungen und in den Medien (www.srg-berlin.de). Darüber hinaus werden die Themen des sentha-Projekts in die Lehre an der Technischen Universität Berlin und der Universität der Künste Berlin übernommen. Wenn Sie Kritik, Fragen oder Ideen haben, wenn Sie dem sentha-Verein beitreten möchten, wenn Sie als Senior selbst forschen wollen oder einen Partner bei der Entwicklung von seniorengerechten Produkten suchen – wenden Sie sich an uns! Denn für uns ist dieses Buch nicht allein durch die Veröffentlichung gelungen oder dadurch, dass Sie es lesen, sondern erst dadurch, dass Sie Ihr neu gewonnenes Wissen anwenden.
einem Nachrichtensender. Keines der Programme war durch eine Sondersendung unterbrochen worden. „My Fair Lady. Hier ist doch vor einem Jahr diese schreckliche Geschichte passiert“, sagte Klaus Wowereit zu Charlotte, die nickte. „Sie waren sehr mutig.“ „Mit Mut hat das wenig zu tun gehabt. Glauben Sie mir, noch einmal möchte ich nicht in dieser Situation stecken.“ Er wolle nichts darüber hören, rief Ebenwald, Charlotte solle den Mund halten. Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen. Und bis heute kann ich weder in Schuhe noch in Kleidungsstücke schlüpfen, ohne sie vorher auszuschütteln. Es war etwa sechs Uhr abends, ich verließ mein Zimmer und wollte in die Küche zu Oskar, der Aprikosen zu Konfitüre einkochte, als ich jemanden verzweifelt um Hilfe schreien hörte. Ich lief die Stufen in das zweite Stockwerk hinauf. Die Hilferufe wurden lauter. Ich rüttelte an der Tür der jungen Frau, die hier mit ihrem drei Jahre alten Sohn wohnte. „Machen Sie auf!“, brüllte ich. Stille. Dann wurde geöffnet. Die junge Frau, hochrot im Gesicht, deutete hilflos auf ihren kleinen Sohn, der mitten im Zimmer auf dem Boden lag. Er wimmerte vor Schmerzen. Ich beugte mich über ihn. Eine Stelle am Hals war stark gerötet. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, Speichel floss aus seinem Mund. Auf seinem T-Shirt klebte Erbrochenes. Sein kleiner Körper verkrampfte sich, er rang nach Atem und ich befürchtete, dass er ersticken würde. 208
8. Literatur Zu Kapitel 2: Die Senioren Alterssicherungsbericht 2001: Ergänzender Bericht der Bundesregierung zum Rentenversicherungsbericht 2001 über die Leistungen der ganz oder teilweise öffentlich finanzierten Alterssicherungssysteme, deren Finanzierung, die Einkommenssituation der Leistungsbezieher und das Zusammentreffen von Leistungen der Alterssicherungssysteme gemäß § 154 Abs. 3 SGB VI. Deutscher Bundestag, Drucksache 14/7640. Berlin (23.11.2001). ARD/ZDF-Online-Studie 2002: Entwicklung der Onlinenutzung in Deutschland, Media Perspektiven 8/2002. Baltes, P. B. (1996): Über die Zukunft des Alterns: Hoffnung mit Trauerflor. In: Baltes, M. M.; Montada, L. (Hg.): Produktives Leben im Alter. Schriftenreihe der ADIA-Stiftung zur Erforschung neuer Wege für Arbeit und soziales Leben, Bd. 3. Frankfurt/Main/ New York: Campus-Verlag, S. 63–68. Baltes, M. M.; Carstensen, L. L. (1996): Gutes Leben im Alter: Überlegungen zu einem
prozeßorientierten Metamodell erfolgreichen Alterns. In: Psychologische Rundschau, Jg. 47, H. 4, S. 199–215. Bellach BM (1999): Editorial: Der BundesGesundheitssurvey 1998 – Erfahrungen, Ergebnisse, Perspektiven. In: Gesundheitswesen (Sonderheft 2), S. 55–222. Bickel, H. (2001): Demenzen im höheren Lebensalter: Schätzungen des Vorkommens und der Versorgungskosten. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, H. 34, S. 108–115. Blinkert, B.; Klie, T. (2001): Zukünftige Entwicklung des Verhältnisses von professioneller und häuslicher Pflege bei differierenden Arrangements und privaten Ressourcen bis zum Jahr 2050. Expertise im Auftrag der EnquêteKommission Demographischer Wandel des Deutschen Bundestages. Berlin. Böhm, U.; Röhrig A. (2003): Intelligentes Wohnen – Nichts für Ältere? Akzeptanz der Zielgruppe 50+. In: BUSSysteme, H. 3. Böhm, U.; Röhrig, A.; Meyer, S. (2003): Telemonitoring und Smart Home Care – Akzeptanz, vorbehalte und Nutzungsabsichten der
einem Nachrichtensender. Keines der Programme war durch eine Sondersendung unterbrochen worden. „My Fair Lady. Hier ist doch vor einem Jahr diese schreckliche Geschichte passiert“, sagte Klaus Wowereit zu Charlotte, die nickte. „Sie waren sehr mutig.“ „Mit Mut hat das wenig zu tun gehabt. Glauben Sie mir, noch einmal möchte ich nicht in dieser Situation stecken.“ Er wolle nichts darüber hören, rief Ebenwald, Charlotte solle den Mund halten. Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen. Und bis heute kann ich weder in Schuhe noch in Kleidungsstücke schlüpfen, ohne sie vorher auszuschütteln. Es war etwa sechs Uhr abends, ich verließ mein Zimmer und wollte in die Küche zu Oskar, der Aprikosen zu Konfitüre einkochte, als ich jemanden verzweifelt um Hilfe schreien hörte. Ich lief die Stufen in das zweite Stockwerk hinauf. Die Hilferufe wurden lauter. Ich rüttelte an der Tür der jungen Frau, die hier mit ihrem drei Jahre alten Sohn wohnte. „Machen Sie auf!“, brüllte ich. Stille. Dann wurde geöffnet. Die junge Frau, hochrot im Gesicht, deutete hilflos auf ihren kleinen Sohn, der mitten im Zimmer auf dem Boden lag. Er wimmerte vor Schmerzen. Ich beugte mich über ihn. Eine Stelle am Hals war stark gerötet. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, Speichel floss aus seinem Mund. Auf seinem T-Shirt klebte Erbrochenes. Sein kleiner Körper verkrampfte sich, er rang nach Atem und ich befürchtete, dass er ersticken würde. 208
8. Literatur Zu Kapitel 2: Die Senioren Alterssicherungsbericht 2001: Ergänzender Bericht der Bundesregierung zum Rentenversicherungsbericht 2001 über die Leistungen der ganz oder teilweise öffentlich finanzierten Alterssicherungssysteme, deren Finanzierung, die Einkommenssituation der Leistungsbezieher und das Zusammentreffen von Leistungen der Alterssicherungssysteme gemäß § 154 Abs. 3 SGB VI. Deutscher Bundestag, Drucksache 14/7640. Berlin (23.11.2001). ARD/ZDF-Online-Studie 2002: Entwicklung der Onlinenutzung in Deutschland, Media Perspektiven 8/2002. Baltes, P. B. (1996): Über die Zukunft des Alterns: Hoffnung mit Trauerflor. In: Baltes, M. M.; Montada, L. (Hg.): Produktives Leben im Alter. Schriftenreihe der ADIA-Stiftung zur Erforschung neuer Wege für Arbeit und soziales Leben, Bd. 3. Frankfurt/Main/ New York: Campus-Verlag, S. 63–68. Baltes, M. M.; Carstensen, L. L. (1996): Gutes Leben im Alter: Überlegungen zu einem
prozeßorientierten Metamodell erfolgreichen Alterns. In: Psychologische Rundschau, Jg. 47, H. 4, S. 199–215. Bellach BM (1999): Editorial: Der BundesGesundheitssurvey 1998 – Erfahrungen, Ergebnisse, Perspektiven. In: Gesundheitswesen (Sonderheft 2), S. 55–222. Bickel, H. (2001): Demenzen im höheren Lebensalter: Schätzungen des Vorkommens und der Versorgungskosten. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, H. 34, S. 108–115. Blinkert, B.; Klie, T. (2001): Zukünftige Entwicklung des Verhältnisses von professioneller und häuslicher Pflege bei differierenden Arrangements und privaten Ressourcen bis zum Jahr 2050. Expertise im Auftrag der EnquêteKommission Demographischer Wandel des Deutschen Bundestages. Berlin. Böhm, U.; Röhrig A. (2003): Intelligentes Wohnen – Nichts für Ältere? Akzeptanz der Zielgruppe 50+. In: BUSSysteme, H. 3. Böhm, U.; Röhrig, A.; Meyer, S. (2003): Telemonitoring und Smart Home Care – Akzeptanz, vorbehalte und Nutzungsabsichten der
„Er muss sofort ins Krankenhaus.“ Die junge Frau schien mich nicht zu hören. Vor Schreck gelähmt stand sie bei der Tür. Ich sah ein Handy auf der Ablage und wählte den Notruf. Ricardo betrat das Zimmer. „Ist der Junge an Putzmittel oder an Medikamente gelangt?“, fragte ich behutsam. „Nein“, stammelte sie. „der Medikamentenschrank ist abgeschlossen. Und der mit den Putzmitteln auch.“ Mittlerweile drängten sich vier weitere Bewohner des zweiten Stocks ins Zimmer. Eine Frau erzählte hektisch, dass das Mädchen aus dem dritten Stockwerk auf der Treppe zusammengebrochen sei und das Bewusstsein verloren habe. „Mein Mann hat bereits Hilfe angefordert.“ Zuerst das Mädchen, dann der Junge! Der kleine Junge verdrehte die Augen, lallte Unverständliches. Emma erschien mit einer Ärztin und zwei Sanitätern. Wir wurden aufgefordert, das Zimmer zu verlassen. Die Mutter des Jungen weigerte sich. Ich umfasste ihre Schulter und schob sie durch die Tür. „Alles wird gut“, tröstete ich, war aber von meinen Worten keineswegs überzeugt. Das Mädchen, es war an eine Infusion angehängt, wurde von Sanitätern auf einer Trage abtransportiert. Die junge Frau schrie auf und begann zu weinen. Die Ärztin, in ihrem Gefolge die Sanitäter, die den Jungen ebenfalls auf eine Trage gelegt hatten, verließ das Zimmer. „Er muss sofort ins Krankenhaus“, sagte die Ärztin knapp und die junge Frau bettelte, sie wolle mit kommen. 209
Generation 50+. In: Health Academy, H. 2, S. 148–165. Buck, H.; Dworschak, B. (2003): Ageing and work in Germany – Challenges and solutions. In: Buck, H.; Dworshcak, B. (2003): Ageing and work in Europe – Strategies at company level and public policies in selected European countries. Stuttgart. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Sonderschrift 2002): Kreileder, M.; Holoczek, M.: Unfallverletzungen in Heim und Freizeit – Repräsentativbefragung in Deutschland 2000. Dortmund/Berlin. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (1998): Zweiter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland: Wohnen im Alter und Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Sachverständigenkommission. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (2001): Dritter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland: Alter und Gesellschaft und Stellungnahme der Bundesregierung.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (2002): Vierter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland: Risiken, Lebensqualität und Versorgung Hochaltriger unter besonderer Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen und Stellungnahme der Bundesregierung. Carstensen, L.; Isaacowitz, D. M.; Charles, S. T. (1999): Taking time seriously: A theory of socioemotional selectivity. In: American Psychologist, Jg. 54, H. 3, S. 165–181. Deutsche Gesellschaft für Freizeit (Hg.) (1998): Agricola, S.: Senioren und Freizeit – Aktuelle Daten und Fakten zur Altersfreizeit. Düsseldorf. Deutsches Zentrum für Altersfragen (Hg.) (2002): Zur Lebenssituation älterer Menschen in Deutschland. Ausgewählte Daten und Kurzinformationen: DZA – Diskussionspapier, Nr. 37, zusammengestellt und bearbeitet von Adolph, H.; Heinemann, H. Deutsches Zentrum für Altersfragen (Hg.) (1996): GeroStat – Basisdaten Alters-Survey
„In Ordnung. Beeilen Sie sich.“ Ratlos standen wir auf dem Gang. Es hatte den ganzen Tag über geregnet. Die meisten Mieter waren um diese Zeit zu Hause. Die Tür des Australiers war angelehnt. Ich rief seinen Namen. Der Mann um die fünfzig, er stammte aus Sydney, hatte vor einem Jahr das Zimmer über meinem bezogen. Einer der Bewohner verabschiedete sich leise und ging auf sein Zimmer. Nach und nach verschwanden auch die anderen, schienen Zuflucht in ihren vier Wänden zu nehmen. Ich rief noch einmal den Namen des Australiers, klopfte, und die Tür schob sich auf. Geblendet kniff ich die Augen zusammen. Ich tastete nach meiner Brille in der Jackentasche. Mehrere Terrarien standen auf einem länglichen Bord an der linken Wand. Auf dem Boden, in der Mitte des Zimmers, lag der Australier. Ich wich einen Schritt zurück, stieß gegen Ricardo, der mir gefolgt war. Der Australier bewegte sich nicht. Kein Anzeichen von Leben. Langsam näherte ich mich, blieb einen halben Meter vor ihm stehen. Eine Stelle an der Schläfe war stark gerötet. Über die geschlossenen Augen des Australiers lief etwas Schwarzes in der Größe einer Edelkastanie. Aus dem Halsausschnitt sah ich behaarte Beinpaare eines Tieres hervorlugen. Es würgte mich. Aus seinem Hosenbein krabbelte etwas Schwarzes. „Spinnen“, krächzte ich und bewegte mich, rückwärts gehend, langsam aus dem Zimmer. „Hol mir ein leeres Konfitüreglas“, wisperte ich Ricardo zu. Wie gebannt sah ich auf die Spinnen, die vom Australier Besitz ergriffen hatten. Ich zählte fünfzehn Stück. Eine von ihnen krabbelte auf mich zu. Der Kopf und der Vorderkörper war lackschwarz und nicht behaart. Der hintere Körper wies 210
1996, www.dza.de (05.06.2003). Empirica (2003): Bultmann, S. J.; Feddersen, E.; Krings-Heckemeier, M. T.: Wohnen im Alter – Teil 3: Betreutes Wohnen / Service-Wohnen – aktueller Marktüberblick. In: empirica paper, H. 77. Filipp, S.-H.; Mayer, A. K. (1999): Bilder des Alters. Altersstereotype und die Beziehungen zwischen den Generationen. Stuttgart/ Berlin/Köln: Kohlhammer. Glatzer, W.; Fleischmann, G.; Heimer, T. et al. (1998): Revolution in der Haushaltstechnologie. Frankfurt am Main: Campus Verlag. Health Academy (2002): Niederlag, W.; Bolz, A.; Lemke, H. U. (Hg.): Telemonitoring – Tele Home Care: Methodische Grundlagen, technische Voraussetzungen, organisatorische Konzepte, praktische Erfahrungen, medizinische Produkte. H. 1. Dresden. Heinze, R. G.; Eichener, V.; Naegele, G.; Bucksteeg, M.; Schauerte, M. (1997): Neue Wohnungen auch im Alter. Folgerungen aus dem demographischen Wandel für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft. Darmstadt:
Schader-Stiftung. Kasper, R.; Becker, St.; Mollenkopf, H. (2002): Technik im Alltag von Senioren – Arbeitsbericht zu vertiefenden Auswertungen der BIS-Repräsentativerhebung (sentha: Senioren und Technik). Heidelberg. Katz, S. (1983): Assessing self-maintenance: Activities of daily living, mobility and instrumental activities of daily living. In: Journal of the American Geriatrics Society, H. 31, S. 721– 727. Kistler, E.; Hilpert, M. (Hg.) (2001): Auswirkungen des demographischen Wandels auf Arbeit und Arbeitslosigkeit. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3–4/2001, S. 5–13. Kohli, M.; Künemund, H. (Hg.) (2000): Die zweite Lebenshälfte. Gesellschaftliche Lage und Partizipation im Spiegel des Alters-Surveys. Opladen: Leske + Budrich. Kohli, M. (2000): Generationenbeziehungen. In: Kohli, M.; Künemund, H. (Hg.): Die zweite Lebenshälfte. Gesellschaftliche Lage und Partizipation im Spiegel des Alters-Surveys. Opladen: Leske + Budrich.
ebenfalls eine dunkle Färbung auf. Ich zog meinen Schuh vom Fuß und wollte mich gegen das Tier zur Wehr setzen. Wie auf Kommando verließen nun die anderen Spinnen den Australier und bewegten sich blitzschnell auf mich zu. Panisch rannte ich aus dem Zimmer und schloss die Tür. Mein Herz raste. Ich kontrollierte, ob die Spinnen durch eine Ritze des Holzes das Zimmer verlassen konnten. Erleichterung, als ich feststellte, dass das nicht möglich war. Ricardo tauchte schnaufend neben mir auf, drückte mir das Konfitüreglas in die Hand. „Gleich kommt Hilfe für den Australier“, sagte er. „Ihm ist nicht mehr zu helfen.“ Aber dem kleinen Jungen und dem Mädchen, hoffte ich und legte meine Hand auf die Türklinke. „Was hast du vor?“ „Eine dieser Spinnen fangen, damit den Kindern geholfen werden kann.“ „Das lässt du schön bleiben! Wir werden Fachleute rufen.“ Ich war überzeugt, dass die Zeit drängte, jede Minute zählte, um das Leben der Kinder zu retten. „Sorg dafür, dass alle das Haus verlassen“, verlangte ich von ihm. Er zögerte, nickte dann. Ich schloss die Augen, konzentrierte mich auf mein Vorhaben. Im Haus war es ungewöhnlich still, bis auf das übliche Knacken und Knarren aus allen Ecken. Es ekelte mich, als ich öffnete. Dieses Mal war ich auf das grelle Licht vorbereitet. Der Australier lag auf dem Boden, seine Haltung unverändert. Keine Spinne war zu sehen. Verkrampft hielt ich das Konfitüreglas und den Verschluss in der Hand. „Komm sofort heraus, Tante Charlotte!“, rief Max. Ich erschrak, wandte mich zu ihm. Auf dem Tür211
Koller, B.; Bach, H.-U.; Brixy, U. (2003): Ältere ab 55 Jahren – Erwerbstätigkeit, Arbeitslosigkeit und Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit, IAB Werkstattbericht, Ausgabe Nr. 5. Künemund, H. (2000): Gesundheit. In: Kohli, M; Künemund, H. (Hg.): Die zweite Lebenshälfte. Gesellschaftliche Lage und Partizipation im Spiegel des Alters-Surveys. Opladen: Leske + Budrich. Künemund, H.; Hollstein, B. (2000): Soziale Beziehungen und Unterstützungsnetzwerke. In: Kohli, M.; Künemund, H. (Hg.): Die zweite Lebenshälfte. Gesellschaftliche Lage und Partizipation im Spiegel des Alters-Surveys. Opladen: Leske + Budrich. Marshall, M. (1996): Dementia and technology: some ethical considerations. In: Mollenkopf, H. (Hg.): Elderly people in industrialized societies: social integration in old age by or despite technology? Berlin: edition sigma, S. 207–215. Mayer, K.U.; Baltes, P. B. (Hg.) (1996): Die Berliner Altersstudie. Berlin: Akademie Verlag. Meyer, S.; Schulze, E.; Müller, P. (1997):
Das intelligente Haus – selbstständige Lebensführung im Alter – Möglichkeiten und Grenzen vernetzter Technik im Haushalt älterer Menschen. Frankfurt/Main: Campus. Meyer, S.; Schulze, E.; Helten, F.; Fischer, B. (2001): Vernetztes Wohnen. Die Informatisierung des Alltagslebens. Berlin: edition sigma. Meyer, S.; Röhrig, A.; Gerbich, C.; Schmidt, S. (2002): Multimediales Wohnen im Cohnschen Viertel. Evaluationsbericht. Berlin. Meyer, S.; Böhm, U.; Röhrig, A. (2003): Smart Home – Smart Aging. Akzeptanz und Anforderungen der Generation 50+. Vierter Smart Home Survey des BIS. Berlin. Meyer, S.; Mollenkopf, H. (2003): Home technology, smart home, and the aging user. In: Schaie, K.-W.; Wahl, H.-W.; Mollenkopf, H.; Oswald, F. (Hg.): Aging in the community: Living arrangements and mobility. New York: Springer Publ. Meyer, S. (2003): Alltag im Intelligent Home – attraktiv, nicht nur für smarte Mieter. Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Eva-
rahmen saß rund ein Dutzend Spinnen, sie bewegten sich nicht. Sie schienen darauf zu warten, sich auf mich stürzen zu können. „Verschwinde, Max“, flüsterte ich und ging auf die Terrarien zu. Bei allen fehlten die Abdeckungen, sie lehnten seitlich an der Wand. In einem Terrarium saß eine Spinne. Ich bewegte mich wie in Zeitlupe darauf zu. Gerade als ich das Konfitüreglas über das Tierchen herabsinken lassen wollte, rannte es los. Ich verlor das Gleichgewicht und stieß gegen das Terrarium. Die Spinne hielt inne, stellte die zwei vorderen Beinpaare als Abwehrhaltung auf. Dazwischen stachen Giftklauen hervor. „Ganz ruhig“, befahl ich mir und stülpte das Konfitüreglas über die Spinne. Nach einer Schrecksekunde kletterte sie nach oben und ich konnte den Verschluss unter die Öffnung schieben. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete ich die Spinnen auf dem Türstock. Noch immer bewegten sie sich nicht. Mir graute davor das Zimmer zu verlassen. Millimeter um Millimeter zog ich das verschlossene Konfitüreglas aus dem Terrarium. Die Spinne schabte gegen das Glas. Max wartete auf dem Gang. Aus dem Hemdkragen des Australiers kroch eine Spinne, setzte sich auf seinen Handrücken und schien mich zu beobachten. Kurz vor der Tür krochen drei fette Spinnenexemplare aus dem Rucksack, der auf dem Boden lag. Sie krabbelten auf mich zu. Kreischend lief ich aus dem Zimmer. Ich merkte, wie etwas auf meine Haare fiel. Ich kreischte noch lauter. Max war sofort zur Stelle, griff in mein Haar, riss mit einem Büschel zwei Spinnen daraus hervor und warf sie gegen die Wand. Wir stolperten die Stufen hinunter. „Ist alles in Ordnung?“ 212
luation des Cohnschen Viertels. In: BUSSysteme, H. 3. Meyer, S. (2001): Silbermedia – fit für die esociety. Ein Bildungs- und Kommunikationsangebot für ältere Menschen. In: Eberspächer, J.; Hertz, U. (Hg.): Leben in der e-Society. Schriftenreihe des Münchner Kreises. Heidelberg. Mix, S.; Borchelt, M.; Nieczaj, R.; Trilhof, G.; Steinhagen-Thiessen, E. (2000): Telematik in der Geriatrie. Potentiale, Probleme und Anwendungserfahrungen. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Jg. 33, Heft 3, S. 195–204. Mollenkopf, H.; Hampel, J. (1994): Technik, Alter, Lebensqualität. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie und Senioren, Bd. 23. Stuttgart: Kohlhammer. Mollenkopf, H.; Gäng, K.; Mix, S.; Kwon, S. (1998): Alter und Technik. Expertise im Auftrag der Sachverständigenkommission »3. Altenbericht der Bundesregierung«. Heidelberg/Berlin. Mollenkopf, H.; Flaschenträger, P. (Hg.) (2001): Erhaltung von Mobilität im Alter: Endbericht des vom Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
geförderten und unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Zapf am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) durchgeführten Projekts »Erhaltung von Mobilität zur sozialen Teilhabe im Alter«. Stuttgart/Berlin/Köln: Kohlhammer. Naegele, G. (2001): Demographischer Wandel und »Erwerbsarbeit«. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 3-4/2001, S. 3–4. Nordheim, F. von (2003): EU policies in support of Member State efforts to retain, reinforce and reintegrate older workers in employment. In: Buck, H.; Dworshcak, B. (2003): Ageing and work in Europe – Strategies at company level and public policies in selected European countries. Stuttgart. Pieper, R.; Riederer, E. (1998): Home care for the Elderly with dementia. A social shaping approach to a muliti-media-PC-application. In: Studies in Health Technology and Informatics, H. 48, S. 324–330. Robert-Koch-Institut (Hg.) (2002): Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Gesundheit im Alter. H. 10. Berlin.
„Ich glaube schon“, sagte ich atemlos. Wir rannten hinaus. Ein Mann nahm mir das Konfitüreglas ab und sprang in einen Wagen. Weiß gekleidete, völlig vermummte Gestalten bewegten sich in das Haus hinein. Wie eine Szene aus einem futuristischen Film. Ich musste hysterisch lachen. Max nahm mich in den Arm. Weitere vermummte Männer stiegen aus einem Wagen, gingen auf das Haus zu. Ich begann zu weinen. „Sie haben das Leben des kleinen Jungen gerettet“, sagte Klaus Wowereit. Charlotte nickte. Das Mädchen und der Australier waren gestorben. Anhand der Spinne, die Charlotte gefangen hatte, konnte man dem Jungen gerade noch rechtzeitig ein Gegenmittel verabreichen. Ein Jahr lang hatte der Australier im Haus gewohnt und keinem der Bewohner war seine Spinnenzucht aufgefallen. Charlotte hatte bis dahin noch nie von einer Gattung namens „Atrax robustus“ gehört. Seit 1927 hatte sie insgesamt dreizehn Menschen getötet, erfuhr sie aus dem Internet. Charlotte konnte den Australier nicht mehr fragen, warum er das Bedürfnis gehabt hatte, mit den tödlichen Spinnen ein Zimmer zu teilen. Es war zu genauen Untersuchungen gekommen. Der Australier hatte die Atrax robustus von Sydney nach Berlin geschmuggelt. Insgesamt fand man im Haus siebenundvierzig Spinnen. Warum die Abdeckungen nicht auf den Terrarien lagen, wurde nie geklärt. Spekulationen reichten von Fahrlässigkeit, bis hin zu Selbstmordabsichten des Australiers. Es dauerte mehrere Tage, bis das Haus frei von Spinnen war und sie wieder in die My Fair Lady 213
Röhrig, A. (2002): Selbstständige Lebensführung und Technik im Alter. Arbeitsbericht zu ausgewählten Ergebnissen der qualitativen sentha-Befragung. Berlin. Sackmann, R.; Weymann, A. (1994): Die Technisierung des Alltags. Generationen und technische Innovationen. Frankfurt/Main: Campus. Schader Stiftung (Hg.) (1997): Forschungsprojekt: Umzugswünsche und Umzugsmöglichkeiten älterer Menschen. Handlungsperspektiven für Wohnungspolitik, Wohnungswirtschaft und Dienstleistungsanbieter. Tagungsdokumentation mit Stellungnahmen aus der Praxis. Darmstadt: Schader Stiftung. Schlussbericht der Enquête-Kommission Demographischer Wandel (2002): Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik. Deutscher Bundestag, Drucksache 14/8800 (28.03.2002). Berlin. Schneekloth, U.; Potthoff, P. (1993): Hilfeund Pflegebedürftige in privaten Haushalten. Stuttgart.
Schulze, E.; Meyer, S. (2003): Kinderbetreuung in Tagespflege – Forschungsstand und Forschungsdefizite. Forschungsbericht des Berliner Instituts für Sozialforschung. Statistisches Bundesamt (2003a): Informationstechnologie in Haushalten, Ergebnisse einer Pilotstudie für das Jahr 2002. Wiesbaden. Statistisches Bundesamt (2003b): Pflegestatistik 2001. Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung. Bonn. Topo, P. (1998): Technology in every day life and care of elderly living at home and suffering from dementia. In: Graafmanns, J.; Taipale, V.; Charness, N. (Hg.): Gerontechnology – a sustainable investment in the future. Amsterdam: IOS Press, S. 320–323. Wahl, H. W.; Mollenkopf, H.; Oswald, F. (Hg.) (1999): Alte Menschen in ihrer Umwelt. Beiträge zur Ökologischen Gerontologie. Opladen. Wurm, S. (2000): Technik und Alltag von Senioren. Arbeitsbericht zu den Ergebnissen der BIS-Repräsentativerhebung (sentha: Senioren und Technik). Berlin.
ziehen konnten. Aber im Gegensatz zu ihren Freunden im ersten Stock, wagten es die Mieter aus dem zweiten und dritten Stockwerk nicht mehr, zurückzukehren. Und irgendwie konnte Charlotte auch verstehen, dass Wohnungssuchende Abscheu davor hatten, hierherzuziehen, wenn sie vom Geschehen erfuhren. Womöglich lauert da noch ein Pärchen in einer Ritze. Dabei sind Spinnen niedliche Tiere, redete sich Charlotte in schlaflosen Nächten ein. Das Handy läutete wieder. Ebenwald nahm das Gespräch an. „Die Zeit läuft ab!“, brüllte er. Dann lauschte er. Sein Gesicht lief rot an. „Warum die Verzögerung?“ Er nickte. „Gut, ich gebe ihnen noch genau zwei Stunden.“ Gottschalk bellte. Ebenwald richtete den Revolver auf ihn, legte das Handy zur Seite. „Sperren Sie den verdammten Köter in eines der Zimmer“, verlangte er. Der Hund rannte auf Ebenwald zu und sprang hoch. Ein Schuss löste sich aus dem Revolver, Gottschalk sackte auf den Boden.
214
Wurm, S.; Drewes, J. (2001): Körperpflege – Vertiefende Auswertung der BIS-Repräsentativbefragung (sentha: Senioren und Technik) zum Thema Bad und Körperpflege von Senioren. Berlin. Zapf, W.; Mollenkopf, H.; Flaschenträger, P. (1997): Erhaltung von Mobilität zur sozialen Teilhabe im Alter. Projekt des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Unveröffentlichter Endbericht des Projekts. Berlin: WZB. Zu Kapitel 3: Digitale Vernetzung Smart-Home Allen, B.; Dillon, B. (1997): Environment Control and Field Bus Systems. Central Remedical Clinic, Dublin, Ireland. Böhm, U.; Röhrig, A.; Hampicke, M. (2003): Smart Home für den älteren Nutzer – Akzeptanz, gewünschte Features und Bedienung. In: Zeitschrift Elektrobörse, H. 11. Buxton, W.; Baecker, R. (1987): HumanComputer Interaction. A multidisziplinary approach. Morgan Kaufmann Publishers. Fellbaum, K. et al. (2001): Elektronische Sprachverarbeitung-Technik und Anwendun-
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... sechzehn Tage später ...
„Aus gegebenem Anlass wird die Sendung Stern-TV heute von einem anderen Ort, nämlich aus Berlin, aus dem Theater des Westens, übertragen. Einer unserer Gäste heute Abend ist Frau Charlotte Ruhland.“ Sie blickte von einem Seitengang auf die Bühne, sah Günther Jauch, der von Scheinwerfern beleuchtet wurde. Sie müsse jetzt raus, raunte Flora ihr zu. „Toi, toi, toi.“ Sie spuckte Charlotte über die Schulter und nahm ihr das leere Whiskyglas aus der Hand. Langsam setzte Charlotte einen Fuß vor den anderen. Die Bühne vor ihr schien groß wie ein Fußballfeld. Unmöglich, ohne zu stolpern oder auszurutschen, die Distanz bis zur Sitzgarnitur, auf der Jauch wartete, zu bewältigen. Sie kam ins Schwitzen. Ihr Gesangslehrer hatte ihr vor langer Zeit zwei Tipps gegeben. Der erste besagte, man solle nie einen vollen Magen haben, wenn man eine Vorstellung spiele. Nun, sie hatte heute kaum etwas zu sich genommen, dafür war sie zu aufgeregt. Der zweite lautete, wenn sie eine Bühne überquere und nichts mit ihren Füßen anzufangen wisse, solle sie sich an ihrem Ziel etwas Essbares, zum Beispiel einen Apfel, vorstellen und dass sie hungrig sei, sehr hungrig. Ihre Füße würden von ganz allein über die Bühne schweben. Rot leuchtete ein Apfel in Charlottes Vorstellung auf, über Günther Jauchs Haupt. Sie schmunzelte. Wo bleibt denn meine Armbrust? 215
gence in 2010. European Commission Community Research. Zu Kapitel 4: Die sentha-Methode Bourdieu, P. (1982): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt/Main: Suhrkamp. Braun, C. F. von (1994): Der Innovationskrieg. Ziele und Grenzen der industriellen Forschung und Entwicklung. München/Wien: Hanser. Büttner, T.; Schophaus, M. (2004): Definitionen. In: Schophaus, M. et al (Hg.): Transdisziplinäres Kooperationsmanagement. Neue Wege in der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. München: Oekom. Castells, M. (1998): The power of identity. Malden, Mass.: Blackwell. Dienel, H.-L. (2004): Räumliche Bedingungen heterogener Forschungskooperationen. In: Strübing, J. et al (Hg.): Kooperation im Niemandsland. Neue Perspektiven auf Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technik. Opladen: Leske und Budrich, S. 210–231.
Goldratt, E. M. (2002): Die kritische Kette. Ein Roman über das neue Konzept im Projektmanagement. Frankfurt/Main: Campus. Kersig, H.-J. (1961): Die nivellierte Mittelstandsgesellschaft. Köln. Ley, A.; Weitz, L. (Hg.) (2003): Praxis Bürgerbeteiligung. Ein Methodenhandbuch. Bonn: Stiftung Mitarbeit. Maurer, H. (2000): Xperten 0: Der Anfang. Graz: Freya Verlag. Zu Kapitel 6: Produktentwicklung Engelbrektsson, P. (2000): Effects of product experience and product representations in focus group interviews. In: Sivaloganathan, S.; Andrews, P. T. J. (Hg.): Design for Excellence – Engineering Design Conference 2000 Brunel University, Professional Engineering Publishing, S. 525–532 Reinicke, T. (2004): Möglichkeiten und Grenzen der Nutzerintegration in der Produktentwicklung – eine Systematik zur Anpassung von Methoden zur Nutzerintegration. Dissertation TU Berlin.
Ein Schritt, ein nächster. Als sie ein Kind war und in Wien lebte, fuhr sie gerne mit Schlittschuhen auf einem zugefrorenen Teich in einem Park in der Nähe ihrer Wohnung. Und wieder ein Schritt. Sie glitt langsam durch das Bühnenbild, das einem verzauberten Wald glich und in dem seit Wochen, mit Ausnahme von heute, die Proben für ein Musical liefen, das in ein paar Tagen Premiere hatte. Günther Jauch erhob sich von der Couch, streckte ihr seine Hand entgegen, begrüßte sie und bot ihr an, sich an seine Seite zu setzen. „Hicks.“ Nein, Karl-Otto, nicht jetzt! Ihr Schluckauf versank im Applaus. Charlotte ließ sich nieder. Staubteilchen flirrten durch die Luft, schlängelten sich wie urzeitliche Lebewesen vor ihrer Nase. Sie musste niesen, vertrieb damit den Schluckauf. Auf einem großen Bildschirm erkannte Charlotte Ricardo und Max, neben ihnen Emma und Isolde. Sie saßen in einer der vorderen Reihen des Theaters. Zwischen den beiden Frauen ein leerer Sitz. Charlotte hatte darum gebeten. Anstelle von Oskar lehnte der Spazierstock mit Silberknauf auf dem Platz. Der Applaus ebbte ab. Nur vereinzelt ein Husten. „Es ist ja noch nicht allzu lange her, dass wir uns kennengelernt haben. Da haben Sie um eine Million gespielt.“ Günther Jauch lächelte sie an. „Also ehrlich. Nie und nimmer hätte ich gedacht, dass wir uns so bald wiedersehen.“ Wie sie sich fühle, nach so vielen Jahren wieder an den Ort zurückzukehren, der einmal für sie von großer Bedeutung war? Einerseits empfinde sie Wehmut, andererseits sei sie aufgeregt, gestand Charlotte. „Das Publikum ist sehr daran interessiert, wie es gelungen ist, den Geiselnehmer zu überwältigen. 216
Pahl, G.; Beitz, W. (1997): Konstruktionslehre. Berlin: Springer. VDI-Richtinie 2221 (1993): Methodik zum Entwickeln und Konstruieren technischer Systeme und Produkte. Düsseldorf: VDI-Verlag. Ehrlenspiel, K. (1995): Integrierte Produktentwicklung – Methoden für Prozessorganisation, Produkterstellung und Konstruktion. München/Wien: Carl Hanser Verlag. Andreasen, M. M.; Hein, L. (2000): Integrated Product Development. Copenhagen Institute for Product Development, Technical University of Denmark.
9. Bildnachweise: Titelbild: Foto: Gisa Wilkens, Model: Monika Kaschke, S. 4: Foto: Karin Schmidt-Ruhland; S. 7: Foto: Anna Bormann, Lucie Grünzig; S. 8: Abb. 1.1: Grafik: sentha; S. 16: Foto: Andreas Velten; S. 21: Foto: Charlotte Kaiser; S. 22: Foto: Stefanie Redes; S. 24: Abb. 2.1: BIS, Datenquelle: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2000.; S. 26: Abb. 2.2: BIS, Quelle: GeroSat – Deutsches Zentrum für Altersfragen, Berlin. Basisdaten: Alsters-Survey 1996, Forschungsgruppe Altern und Lebenslauf (FALL), Freie Universität Berlin. Gewichtete Ergebnisse. Alle Rechte vorbehalten.; S. 30: Abb. 2.3: BIS, Datenquelle: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2002.; S. 32: Abb. 2.4: BIS, Datenquelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2001.; S. 34: Abb. 2.5: BIS, Datenquelle: SOEP 1001; Berechnung des DIW, DIW-Wochenbericht 12/03.; S. 39: Foto: Anna Bormann, Lucie Grünzig; S. 40: Foto: Sebastian Glende; S. 49: Abb. 2.6: Quelle: sentha-survey, BIS, DZFA, 2000, N=1417.; S. 51: Abb. 2.7: Quelle: sentha-survey, BIS, DZFA, 2000,
Ein Schritt, ein nächster. Als sie ein Kind war und in Wien lebte, fuhr sie gerne mit Schlittschuhen auf einem zugefrorenen Teich in einem Park in der Nähe ihrer Wohnung. Und wieder ein Schritt. Sie glitt langsam durch das Bühnenbild, das einem verzauberten Wald glich und in dem seit Wochen, mit Ausnahme von heute, die Proben für ein Musical liefen, das in ein paar Tagen Premiere hatte. Günther Jauch erhob sich von der Couch, streckte ihr seine Hand entgegen, begrüßte sie und bot ihr an, sich an seine Seite zu setzen. „Hicks.“ Nein, Karl-Otto, nicht jetzt! Ihr Schluckauf versank im Applaus. Charlotte ließ sich nieder. Staubteilchen flirrten durch die Luft, schlängelten sich wie urzeitliche Lebewesen vor ihrer Nase. Sie musste niesen, vertrieb damit den Schluckauf. Auf einem großen Bildschirm erkannte Charlotte Ricardo und Max, neben ihnen Emma und Isolde. Sie saßen in einer der vorderen Reihen des Theaters. Zwischen den beiden Frauen ein leerer Sitz. Charlotte hatte darum gebeten. Anstelle von Oskar lehnte der Spazierstock mit Silberknauf auf dem Platz. Der Applaus ebbte ab. Nur vereinzelt ein Husten. „Es ist ja noch nicht allzu lange her, dass wir uns kennengelernt haben. Da haben Sie um eine Million gespielt.“ Günther Jauch lächelte sie an. „Also ehrlich. Nie und nimmer hätte ich gedacht, dass wir uns so bald wiedersehen.“ Wie sie sich fühle, nach so vielen Jahren wieder an den Ort zurückzukehren, der einmal für sie von großer Bedeutung war? Einerseits empfinde sie Wehmut, andererseits sei sie aufgeregt, gestand Charlotte. „Das Publikum ist sehr daran interessiert, wie es gelungen ist, den Geiselnehmer zu überwältigen. 216
Pahl, G.; Beitz, W. (1997): Konstruktionslehre. Berlin: Springer. VDI-Richtinie 2221 (1993): Methodik zum Entwickeln und Konstruieren technischer Systeme und Produkte. Düsseldorf: VDI-Verlag. Ehrlenspiel, K. (1995): Integrierte Produktentwicklung – Methoden für Prozessorganisation, Produkterstellung und Konstruktion. München/Wien: Carl Hanser Verlag. Andreasen, M. M.; Hein, L. (2000): Integrated Product Development. Copenhagen Institute for Product Development, Technical University of Denmark.
9. Bildnachweise: Titelbild: Foto: Gisa Wilkens, Model: Monika Kaschke, S. 4: Foto: Karin Schmidt-Ruhland; S. 7: Foto: Anna Bormann, Lucie Grünzig; S. 8: Abb. 1.1: Grafik: sentha; S. 16: Foto: Andreas Velten; S. 21: Foto: Charlotte Kaiser; S. 22: Foto: Stefanie Redes; S. 24: Abb. 2.1: BIS, Datenquelle: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2000.; S. 26: Abb. 2.2: BIS, Quelle: GeroSat – Deutsches Zentrum für Altersfragen, Berlin. Basisdaten: Alsters-Survey 1996, Forschungsgruppe Altern und Lebenslauf (FALL), Freie Universität Berlin. Gewichtete Ergebnisse. Alle Rechte vorbehalten.; S. 30: Abb. 2.3: BIS, Datenquelle: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2002.; S. 32: Abb. 2.4: BIS, Datenquelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2001.; S. 34: Abb. 2.5: BIS, Datenquelle: SOEP 1001; Berechnung des DIW, DIW-Wochenbericht 12/03.; S. 39: Foto: Anna Bormann, Lucie Grünzig; S. 40: Foto: Sebastian Glende; S. 49: Abb. 2.6: Quelle: sentha-survey, BIS, DZFA, 2000, N=1417.; S. 51: Abb. 2.7: Quelle: sentha-survey, BIS, DZFA, 2000,
Darüber hat man die unterschiedlichsten Berichte gehört und gelesen.“ Sie räusperte sich, nahm einen Schluck Wasser. Es war drei Uhr morgens. Wieder war ein Ultimatum, das Ebenwald gestellt hatte, verstrichen. Sichtlich nervös schaltete er die Videokameras ein und ging online. Seine Geduld sei nun zu Ende! Er drohte, Oskar als ersten zu erschießen. Isolde hatte Gottschalks Pfote, die von dem Schuss gestreift wurde, verbunden. Die Lage war äußerst angespannt. Um sie zu lockern, bot Charlotte Tee an und etwas zu essen. Er misstraue ihr, sagte Ebenwald. „Haben Sie Angst, dass ich Sie vergifte?“ Er wolle Kaffee. Sie bedauere, die Kaffeemaschine stecke bereits in einer der Umzugskisten. „Wollen Sie einen Whisky?“ Er lehnte ab. Die Videokameras waren eingeschaltet, ebenfalls der Fernseher. Ebenwald zappte wieder durch die Programme. Auf einem liefen Nachrichten. Eine Redakteurin, mit einem Mikrofon in der Hand, stand hinter einer Absperrung und deutete auf ein Haus. Charlotte sah die Vorderfront der My Fair Lady. „Wie wir bereits berichtet haben, ist eine der Geiseln herzkrank und wartet auf ein Spenderorgan.“ Die Redakteurin wandte sich zu einem Mann an ihrer rechten Seite. Charlotte erkannte Doktor Rubinstein. 217
N=1417.; S. 52: Abb. 2.8: BIS, Quelle: Zahlen nach ARD/ZDF-Online-Studie 2002.; S. 54: Abb. 2.9: Quelle: Statistisches Bundesamt 2002, Pilotstudie Informationstechnologie in Haushalten.; S. 55: Abb. 2.10: Quelle: sentha-survey, BIS, DZFA, 2000, N=1417.; S. 58: Abb. 2.11: Quelle: sentha-survey, BIS, DZFA, 2000, N=1417.; S. 60: Abb. 2.12: Quelle: sentha-survey, BIS, DZFA, 2000, N=1417.; S. 62: Abb. 2.13: Quelle: sentha-survey, BIS, DZFA, 2000, N=1417.; S. 64: Abb. 2.14: BIS, Quelle: DZA, Alters-Survey 1996.; S. 67: Foto: Sebastian Glende; S. 68: Foto: Sebastian Glende; S. 74: Abb. 2.15: Quelle: Hampicke, M.; Rossdeutscher, W. et al (2002): Personennotrufsysteme auf Basis menschlicher vital- und systemtechnischer Parameter in einer Smart-Home-Umgebung, in: Zeitschrift für Biomedizinische Technik, Bd. 47, H. 11.; S. 77, Abb. 2.16: Quelle: sentha-survey, BIS, DZFA, 2000, N=1417. S. 79: Abb. 2.17: Quelle: sentha Evaluation II, BIS, 2003, N=91.; S. 81: Abb. 2.18: Quelle: sentha Evaluation II, BIS, 2003, N=91.; S. 83: Abb. 2.19: Quelle: sentha Evaluation II, BIS, 2003,
N=91.; S. 85: Abb. 2.20: Quelle: sentha Evaluation II, BIS, 2003, N=91.; S. 92: Abb. 3.1: Quelle: Fellbaum, K.; Hampicke, M. (2001a): Einsatz von Smart-Home-Technologie im Wohnbereich von Senioren. In: BUSSystem, H. 4.; S. 94: Abb. 3.2: Quelle: Fellbaum, K.; Höpfner, D.; Hampicke, M. (2001): Classification of Communication Terms and Services. In: Roe, P. R. W. (Hg.): Bridging tha Gap-Access to Telecommunications for all People, COST 219bis Guidebook, European Commission.; S. 96: Abb. 3.3: Quelle: Hampicke, M.; Fellbaum, K. (1999): Smart Home – ein vernetztes Informations-, Kommunikations- und Steuerungssystem für den Wohnbereich älterer Menschen. Forum für Forschung Nr. 9, Wissenschaftsmagazin der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus.; S. 98: Abb. 3.4: Quelle: Hampicke, M.; Fellbaum, K. (1999).; S. 100: Abb. 3.5: Quelle: Hampicke (2004): Optimierung von Smart-Home-Umgebung für den Wohnbereich unter besonderer Berücksichtigung der elektronischen Sprachkommunikation, Bd. 31, Dresden: w.e.b. Verlag.; S. 102: Abb. 3.6: Quelle: Hampicke
„Ich appelliere an die Entführer, den kranken Mann sofort freizulassen. Wir haben ein Spenderorgan für ihn.“ „Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie das gehört haben?“, fragte Jauch. Zwiespältig, sagte Charlotte. Einerseits war die Freude über ein Spenderherz groß, andererseits aber auch die Angst, die Geiselnahme könne eine Transplantation verhindern. Oskar musste rasch ins Krankenhaus. Aber Ebenwald weigerte sich, ihn gehenzulassen. „Wie es scheint, hat Klaus Wowereit ein ordentliches Stück zur Befreiung beigetragen.“ Charlotte nickte. „Heißen Sie nun mit mir den Regierenden Bürgermeister von Berlin willkommen.“ Von einem Lichtkegel und Applaus begleitet, schritt Klaus Wowereit über die Bühne. Er setzte sich neben Charlotte. „War Ihnen bewusst, dass bereits halb Deutschland im Internet das Geschehen mitverfolgt hat?“ Nein, meinte Wowereit. Er habe den Geiselnehmer beobachtet und überlegt, wie er ihn überlisten könne. Er müsse auf die Toilette, habe er zu Ebenwald gesagt und ihn gebeten, ihm die Fesseln abzunehmen. Ebenwald habe Charlotte erlaubt, den Knoten zu lösen. Als Jugendlicher habe er die Gebärdensprache gelernt, sagte Wowereit. Er kannte ein taubstummes Mädchen. 218
(2000).; S. 105: Abb. 3.7: Quelle: ABS-Jena S. 108: Abb. 3.8: Quelle: Fellbaum, K.; Höpfner, D.; Hampicke, M. (2001).; S. 110: Abb. 3.9: Quelle: Fellbaum, K.; Höpfner, D.; Hampicke, M. (2001).; S. 113: Foto: Andreas Velten; S. 114: Foto: Sebastian Glende; S. 116: Abb. 4.1: Grafik: sentha; S. 121: Fotos: sentha; S. 130: Fotos: sentha; S. 138: Foto: Andreas Velten; S. 145: Foto: Karen Olze; S. 146 (li): Foto: Julia Kunkel; S. 146 (re): Foto: Gisa Wilkens; S. 147 (li): Foto: Oliver Diem; S. 147 (re): Foto: Alexander Augsten; S. 148: Foto: Andreas Velten; S. 149: Foto: Andreas Velten; S. 150: Foto: Andreas Velten; S. 151: Fotos: Wilm Fuchs, Kai Funke; S. 152: Foto: Edgar Rodtmann; S. 153: Foto: Silke Blimetsrieder, Tanja Krüger; S. 154: Foto: Andreas Velten; S. 155: Foto: Andreas Velten; S. 156/157: Fotos aus »Handicappen, spekulieren und manipulieren mit Sinnen«; S. 157: Zeichnung: Felix Almstadt; S. 158/159: Foto: Andreas Velten, Model: Heidi Gläser; S. 160/ 161: Fotos: Andreas Velten; S. 162: Foto: Antonia Roth; S. 163: Foto: Max Neumeyer; S. 164: Foto: Ctirad Kotoucek; S. 165: Foto: Harald
Kollwitz; S. 166/167: Fotos: Andreas Velten; S. 168: Foto: Andreas Velten; S. 169: Foto: Andreas Velten; S. 170: Foto Andreas Velten; S. 171: Foto: Andreas Velten; S. 172: Foto: Andreas Velten; S. 173: Foto aus »senior/life/style«; S. 175: Fotos aus »Sesam öffne Dich«; S. 176: Fotos: Andreas Velten; S. 186: Foto: Kinga Eisenbarth; S. 188: Abb. 6.1: Pahl & Beitz 1997; S. 193: Abb. 6.2: Reinicke, 2003; S. 195: Abb. 6.3: Reinicke, 2003; S. 197: Abb. 6.4: Reinicke, 2003; S. 198: Abb. 6.5: Reinicke, 2003; S. 200: Abb. 6.6: Reinicke, 2003; S. 201: Abb. 6.7: Reinicke, 2003; S. 203: Abb. 6.8: Reinicke, 2003; S. 206: Foto: Anna Bormann, Lucie Grünzig;
Die Videokameras waren eingeschaltet. Er konzentrierte sich darauf, Informationen über den Geiselnehmer in Gebärdensprache nach draußen weiterzugeben. Dass der Geiselnehmer keine Komplizen habe und mit dem Sprengstoff nur bluffe. „Dann ist alles sehr rasch gegangen“, sagte Charlotte. Eine Sondereinheit der Polizei stürmte in den Gemeinschaftsraum. Ebenwald wurde überwältigt, bevor er einen Schuss abgeben konnte. „Aber die Aufregung war für Oskar zuviel. Er ist zusammengebrochen. Den Rest kennen Sie.“ „Aber unser Publikum noch nicht“, meinte Jauch. „Wir wollen nun live ins Krankenhaus schalten, in dem Herr van Horn liegt.“ Auf dem großen Bildschirm hinter Charlotte tauchte Oskars Gesicht auf. Dann konnte man ihn im Krankenbett liegen sehen. Neben ihm saß Doktor Rubinstein. Unsicher winkte Oskar. „Ich möchte Sie herzlich begrüßen, Herr van Horn. Es freut uns, dass Sie wohlauf sind.“ Wie er sich mit seinem neuen Herzen fühle? „Bereit, um eine Reise nach Kuba anzutreten“, schmunzelte Oskar. Applaus setzte ein. Die Kamera schwenkte auf Jauch und Charlotte. Mit lautem Bellen stürmte Gottschalk auf die Bühne, hinter ihm Flora, die ihn einzufangen versuchte. Er sei aus der Garderobe entwischt, rief sie. Gottschalk bremste sich vor Charlotte ein. „Du bist aber ein schöner“, meinte Jauch und kraulte Gottschalk hinterm Ohr. „Lassen Sie unseren Zufallsgast ruhig hier.“ Der Hund hechelte und Jauch verlangte von Flora, dass sie ihm einen Napf mit Wasser bringen solle. 219
10. Projekte an der Universität der Künste Berlin Alter im Alltag, betreut von den Fotografen Wolfgang Zurborn und Andreas Velten, sowie Mathias Knigge, Karin Schmidt-Ruhland, Inszenierungen: Anna Bormann und Lucie Grünzig, S. 7, S. 39, S. 206; Charlotte Kaiser, S. 21; Stefanie Redes, S. 22; Kinga Eisenbarth, S. 186 Digitale Inszenierung – Geschichten vom Altern und von Dingen, betreut von den Fotografen Martin Pudenz und Andreas Velten, sowie Mathias Knigge, Karin Schmidt-Ruhland und Judith Seng. Inszenierungen: Karen Olze, S. 145; Julia Kunkel, S. 146 (links); Gisa Wilkens, S. 146 (rechts); Oliver Diem, S. 147 (links); Alexander Augsten, S. 147 (rechts) living longer – Wandlungen im Wohnbereich, betreut von Mathias Knigge und Karin Schmidt-Ruhland, Entwürfe: Lucie Grünzig und Sandra Hirsch, »time to read« – konfortable Buchstütze mit integriertem Leselicht,
S. 148; Nicola Moebius und Karen Olze, »upside-down« – Hilfsmittel für alltägliche Handlungsabläufe in der Küche, S.149; Gabriel Bensch und Silke Bierwolf, »upset« – Sitzmöbel als Steighilfe, S. 150 Eines für alle – Produkte und ihre verborgenen Reize, betreut von Achim Heine, Katrin Laville und Karin Schmidt-Ruhland Entwurf: Wilm Fuchs und Kai Funke, »Kippel« – Stuhl, der sich in einen bequemen Schaukelstuhl verwandeln lässt, S. 151 Wer rastet der rostet – über das Suchen und Erfinden von Kurzzeitparkplätzen, betreut von Katrin Laville und Karin Schmidt-Ruhland Entwurf: Andreas Bergmann, »Die Bank« – Der Bauzaun als Sitzgelegenheit, S. 152. Mein wunderbarer Waschsalon – neue Bäder für alte Nutzer, betreut von Mathias Knigge und Karin Schmidt-Ruhland, Entwurf: Silke Blimetsrieder und Tanja Krüger, »seasaw« – Badewanne und Dusche in einem, S. 153.
Die Videokameras waren eingeschaltet. Er konzentrierte sich darauf, Informationen über den Geiselnehmer in Gebärdensprache nach draußen weiterzugeben. Dass der Geiselnehmer keine Komplizen habe und mit dem Sprengstoff nur bluffe. „Dann ist alles sehr rasch gegangen“, sagte Charlotte. Eine Sondereinheit der Polizei stürmte in den Gemeinschaftsraum. Ebenwald wurde überwältigt, bevor er einen Schuss abgeben konnte. „Aber die Aufregung war für Oskar zuviel. Er ist zusammengebrochen. Den Rest kennen Sie.“ „Aber unser Publikum noch nicht“, meinte Jauch. „Wir wollen nun live ins Krankenhaus schalten, in dem Herr van Horn liegt.“ Auf dem großen Bildschirm hinter Charlotte tauchte Oskars Gesicht auf. Dann konnte man ihn im Krankenbett liegen sehen. Neben ihm saß Doktor Rubinstein. Unsicher winkte Oskar. „Ich möchte Sie herzlich begrüßen, Herr van Horn. Es freut uns, dass Sie wohlauf sind.“ Wie er sich mit seinem neuen Herzen fühle? „Bereit, um eine Reise nach Kuba anzutreten“, schmunzelte Oskar. Applaus setzte ein. Die Kamera schwenkte auf Jauch und Charlotte. Mit lautem Bellen stürmte Gottschalk auf die Bühne, hinter ihm Flora, die ihn einzufangen versuchte. Er sei aus der Garderobe entwischt, rief sie. Gottschalk bremste sich vor Charlotte ein. „Du bist aber ein schöner“, meinte Jauch und kraulte Gottschalk hinterm Ohr. „Lassen Sie unseren Zufallsgast ruhig hier.“ Der Hund hechelte und Jauch verlangte von Flora, dass sie ihm einen Napf mit Wasser bringen solle. 219
10. Projekte an der Universität der Künste Berlin Alter im Alltag, betreut von den Fotografen Wolfgang Zurborn und Andreas Velten, sowie Mathias Knigge, Karin Schmidt-Ruhland, Inszenierungen: Anna Bormann und Lucie Grünzig, S. 7, S. 39, S. 206; Charlotte Kaiser, S. 21; Stefanie Redes, S. 22; Kinga Eisenbarth, S. 186 Digitale Inszenierung – Geschichten vom Altern und von Dingen, betreut von den Fotografen Martin Pudenz und Andreas Velten, sowie Mathias Knigge, Karin Schmidt-Ruhland und Judith Seng. Inszenierungen: Karen Olze, S. 145; Julia Kunkel, S. 146 (links); Gisa Wilkens, S. 146 (rechts); Oliver Diem, S. 147 (links); Alexander Augsten, S. 147 (rechts) living longer – Wandlungen im Wohnbereich, betreut von Mathias Knigge und Karin Schmidt-Ruhland, Entwürfe: Lucie Grünzig und Sandra Hirsch, »time to read« – konfortable Buchstütze mit integriertem Leselicht,
S. 148; Nicola Moebius und Karen Olze, »upside-down« – Hilfsmittel für alltägliche Handlungsabläufe in der Küche, S.149; Gabriel Bensch und Silke Bierwolf, »upset« – Sitzmöbel als Steighilfe, S. 150 Eines für alle – Produkte und ihre verborgenen Reize, betreut von Achim Heine, Katrin Laville und Karin Schmidt-Ruhland Entwurf: Wilm Fuchs und Kai Funke, »Kippel« – Stuhl, der sich in einen bequemen Schaukelstuhl verwandeln lässt, S. 151 Wer rastet der rostet – über das Suchen und Erfinden von Kurzzeitparkplätzen, betreut von Katrin Laville und Karin Schmidt-Ruhland Entwurf: Andreas Bergmann, »Die Bank« – Der Bauzaun als Sitzgelegenheit, S. 152. Mein wunderbarer Waschsalon – neue Bäder für alte Nutzer, betreut von Mathias Knigge und Karin Schmidt-Ruhland, Entwurf: Silke Blimetsrieder und Tanja Krüger, »seasaw« – Badewanne und Dusche in einem, S. 153.
„Es ist noch zu sagen, dass Sie ihr Haus in der Knesebeckstraße behalten können.“ Ebenwald habe den Betrug gestanden. Mittlerweile habe man auch zwei Handlanger festgenommen, sagte Charlotte in die Richtung, in der Ricardo saß. Sie verschwieg, dass die Männer ihnen nicht nur einmal Angst eingejagt und Geld abgeluchst hatten. Spät aber doch, hatte Ricardo seine Wettschuld einlösen müssen. „Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?“ „Wir haben vor, endlich das Haus zu renovieren. Sie sind herzlich eingeladen, uns beim Tapezieren zu helfen.“ „Wer könnte schon einer so charmanten Aufforderung widerstehen?“ Charlotte bedankte sich kokett. Gottschalk lief zu einem künstlichen Baum, der neben der Couch stand, hob das Bein und begoss ihn. „Na, kamerascheu ist er nicht, Ihr Hund“, lachte Jauch. „Das hat er wohl von seinem berühmten Namenskollegen“, erklärte Charlotte in den anschwellenden Applaus hinein.
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Ich geh am Stock – Hilfsmittel für den alltäglichen Bedarf, betreut von Achim Heine, Jan Hofmann, Katrin Laville, Entwurf: Pauline Zerrahn, »Flaschedrehen« – Anschraubbarer Griff für Flaschen, der das Einschenken erleichtert, S. 154; Andreas Bergmann, »Der rollende Einkaufskorb«, S. 155. Handicappen – spekulieren und manipulieren mit Sinnen, Über Nacht beige werden – lifting und ageing von Dingen, betreut von Mathias Knigge, Axel Kufus, Gregor Sauer, Karin Schmidt-Ruhland, mit Studierenden der Bauhaus Universität Weimar und der Universität der Künste Berlin, S. 156/157. Silver Generation – Bekleidungsentwürfe für die 50+-Generation, ein Kooperationsprojekt mit dem Institut Bekleidungs- und Textildesign, betreut von Christoph Becker (Entwurf), Silvia Schüller (Konstruktion), Dorotheé Warning (Realisation), Gisela Otto (Textildruck), Mathias Möver (Strick), Andreas Velten (Fotos), Patrick Backfisch (Make-up), Entwürfe: Verena
Ott, S. 158; Lea Goal, S. 159 (links); Sibylle Elsässer, S. 159 (rechts); Susanne Willax, S. 160/161 Wettbewerb »Alternativen« – Produkte für eine neue alte Generation, Preisträger: Antonia Roth, »A-Knopf« – Knopf, der sich mit nur einer Hand schließen lässt, S. 162; Max Neumeyer, »Schuhwerk« – Schuh mit Federmechanik, den man ohne sich zu bücken an- und ausziehen kann, S. 163; Ctirad Kotoucek, »Kleingeschriebenes groß projiziert« – Kleiner Beamer zum Vergrößern, S. 164; Harald Kollwitz, »Zeitung hören« – Barcodes unter Zeitungsartikeln werden gescannt und die entsprechenden Artikel via Internet vorgelesen, S. 165. senior/life/style, Sonderschau auf der Tendence Frankfurt, betreut von Achim Heine, Karin Schmidt-Ruhland, Frank Steinert; verschiedene Entwürfe zum Thema »trendige« Seniorenprodukte S. 166 (von oben nach unten): Ralf Schröder, Jan-Patric Metzger; S. 167 (von links
EPILOG Etwas kitzelte meine Nase. Ich öffnete die Augen. Oskar saß neben meinem gepolsterten Korbsessel und grinste. Er fächerte mir mit einem Palmenblatt Luft zu. Max, in Badehose und T-Shirt, servierte eiskalte Getränke. Er reichte uns einen Kuba Che Libre, einen Drink, den er eigens für Kubanische Sonnenuntergänge kreiert hatte. Ich prostete Oskar zu. Gottschalk lag neben dem Rollstuhl und schlief. Es roch nach Barbecue. Isolde drehte die Stereoanlage lauter und Emma begann, Salsa zu tanzen. Ricardo hielt die Videokamera auf uns gerichtet. Er solle das lassen, sagte ich. Er wolle diese Momente festhalten, für später. Oskar nahm meine Hand. Wellen schlugen gegen das Ufer. Die Sonne versank hinter einem bunten Schirm. „Wie kitschig“, meinte er leise. Es begann kühl zu werden. Oskar reichte mir eine Decke, streifte dabei mit seinen Fingerspitzen meine Wange. Schön, dass Oskar bei mir ist, dachte ich. Oskar und ich in Kuba. Nein, nicht ganz. Nach seiner Herztransplantation war an einen Flug nicht zu denken. Unsere Freunde haben alles arrangiert und den Wannsee und sein Ufer für Oskar und mich zu einem unvergesslichen kubanischen Erlebnis werden lassen. 221
oben nach rechts unten): Sandra Donner; Sonja König; Martin Schmid; Luisa Finke; Anna Bormann; Philip Paul, »ajo3001« – mit geringem Kraftaufwand handhabbare Knoblauchpresse, S. 168; Jan-Patric Metzger, »pillbox« – bunte Tablettenbox, S. 169; Björn Bernt, »loop« – Leselupe, S. 170; Christine Bruns, »Tablett« – Tablett auf dem nichts verrutschen kann, S. 171; Sonja König, »Zweiteiler« – Schüsselset für Hund und Frauchen/Herrchen, S. 172. Model: Evelyn Hetzer) Sesam öffne Dich, sentha-Folgeprojekt in Zusammenarbeit mit der Grünenthal GmbH, initiiert und betreut von Karin Schmidt-Ruhland, Entwürfe: Bernhard Schwarzbauer, S. 176 (links, unten rechts); Tina Kisseberth und Ute Sickinger, S. 176 (oben rechts)
Noch immer kontrolliere ich meine Falten im Spiegel. Eine neue ist, nachdem wir wieder in die Knesebeckstraße zurückgekehrt sind, dazugekommen. Sie ist noch namenlos. Das wunderbare Gefühl, das ich bei ihrem Anblick empfinde, kann man nicht beschreiben und soll unser Geheimnis bleiben. Ich hoffe, dass doppelt so viele Falten dazukommen. Sie erzählen meine Geschichten. Und fast keine davon möchte ich missen!
Für die Zusammenarbeit danke ich: Frau Prof. Dr.-Ing. Lucienne Blessing, Herrn Prof. Dr.-Ing. Ulrich Boenick, Herrn Dr.-phil. Hans-Liudger Dienel, Herrn Prof. Dr.-Ing. Klaus Fellbaum, Herrn Prof. Dr. med. habil. Wolfgang Friesdorf, Frau Julia Gärtner, Herrn Dr.-Ing. Matthias Göbel, Herrn Prof. Achim Heine, Frau Dr. Sybille Meyer, Frau Dr. Heidrun Mollenkopf, Herrn Dipl.-Ing. Des. Kai-Uwe Neth, Herrn Dr.-Ing. Wolfram Roßdeutscher, Frau Dipl.-Des. Karin Schmidt-Ruhland, Frau Dr. Eva Schulze, Frau Silke Blimetsrieder. Frau Judith Leopold danke ich fürs Lektorat. Und ein besonderer Dank geht auch an die Stadt Berlin, die mich inspiriert hat. Gewidmet meiner Mutter 222
11. Teilprojekte Teilprojekt A Sozialwissenschaften Leiterinnen: Dr. Sibylle Meyer Dr. Eva Schulze BIS Berliner Institut für Sozialforschung GmbH Dr. Heidrun Mollenkopf Deutsches Zentrum für Alterforschung an der Universität Heidelberg Projektbearbeitung: Dr. Stefanie Becker(DZFA) 2000 - 2003 Dipl.-Soz. Uta Böhm (BIS) 2000 - 2003 Dipl.Soz. Anne Röhrig (BIS) 2001-2003 Dipl.-Soz. Heidi Stuhler 1997 - 2000 Dipl.-Psych. Susanne Wurm1997 - 2001
Teilprojekt B Arbeitswissenschaft Leiter und Sprecher der Forschergruppe (1998-2003) Prof. Dr. med. habil. Wolfgang Friesdorf Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft und Produktergonomie (AwB), TU-Berlin Dr.-Ing. Matthias Göbel von 1998 bis 2004 Oberingenieur am Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft und Produktergonomie (AwB), TU-Berlin Teilprojekt C Konstruktionstechnik TU-Berlin Initiator und Leiter der Forschergruppe: Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Wolfgang Beitz (bis 1998) Leiter: Dr.-Ing. Oliver Tegel (1998-2000) Prof. Dr.-Ing. Lucienne Blessing (ab 2000) Projektbearbeitung: Dipl.-Ing. Tamara Reinicke (1997-2003)
Noch immer kontrolliere ich meine Falten im Spiegel. Eine neue ist, nachdem wir wieder in die Knesebeckstraße zurückgekehrt sind, dazugekommen. Sie ist noch namenlos. Das wunderbare Gefühl, das ich bei ihrem Anblick empfinde, kann man nicht beschreiben und soll unser Geheimnis bleiben. Ich hoffe, dass doppelt so viele Falten dazukommen. Sie erzählen meine Geschichten. Und fast keine davon möchte ich missen!
Für die Zusammenarbeit danke ich: Frau Prof. Dr.-Ing. Lucienne Blessing, Herrn Prof. Dr.-Ing. Ulrich Boenick, Herrn Dr.-phil. Hans-Liudger Dienel, Herrn Prof. Dr.-Ing. Klaus Fellbaum, Herrn Prof. Dr. med. habil. Wolfgang Friesdorf, Frau Julia Gärtner, Herrn Dr.-Ing. Matthias Göbel, Herrn Prof. Achim Heine, Frau Dr. Sybille Meyer, Frau Dr. Heidrun Mollenkopf, Herrn Dipl.-Ing. Des. Kai-Uwe Neth, Herrn Dr.-Ing. Wolfram Roßdeutscher, Frau Dipl.-Des. Karin Schmidt-Ruhland, Frau Dr. Eva Schulze, Frau Silke Blimetsrieder. Frau Judith Leopold danke ich fürs Lektorat. Und ein besonderer Dank geht auch an die Stadt Berlin, die mich inspiriert hat. Gewidmet meiner Mutter 222
11. Teilprojekte Teilprojekt A Sozialwissenschaften Leiterinnen: Dr. Sibylle Meyer Dr. Eva Schulze BIS Berliner Institut für Sozialforschung GmbH Dr. Heidrun Mollenkopf Deutsches Zentrum für Alterforschung an der Universität Heidelberg Projektbearbeitung: Dr. Stefanie Becker(DZFA) 2000 - 2003 Dipl.-Soz. Uta Böhm (BIS) 2000 - 2003 Dipl.Soz. Anne Röhrig (BIS) 2001-2003 Dipl.-Soz. Heidi Stuhler 1997 - 2000 Dipl.-Psych. Susanne Wurm1997 - 2001
Teilprojekt B Arbeitswissenschaft Leiter und Sprecher der Forschergruppe (1998-2003) Prof. Dr. med. habil. Wolfgang Friesdorf Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft und Produktergonomie (AwB), TU-Berlin Dr.-Ing. Matthias Göbel von 1998 bis 2004 Oberingenieur am Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft und Produktergonomie (AwB), TU-Berlin Teilprojekt C Konstruktionstechnik TU-Berlin Initiator und Leiter der Forschergruppe: Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Wolfgang Beitz (bis 1998) Leiter: Dr.-Ing. Oliver Tegel (1998-2000) Prof. Dr.-Ing. Lucienne Blessing (ab 2000) Projektbearbeitung: Dipl.-Ing. Tamara Reinicke (1997-2003)
Doris Mayer geboren am 1.10. 1958 in Eisenstadt, Österreich mit sechszehn Jahren an das Max-Reinhardt-Seminar in Wien zwei Jahre Schauspielhaus Graz ein halbes Jahr am Actor´s Studio bei Lee Strasberg in New York Engagements u. a. am Theater in der Josefstadt und am Wiener Volkstheater Zahlreiche Rollen in Film- und Fernsehproduktionen Seit 1997 freischaffende Autorin
Werkregister: Machalan, Roman, erschienen 2000 bei Deuticke VaterMorgana, Roman, erschienen 2001 bei Deuticke Revolution der Steine – eine israelisch palästinensische Liebesgeschichte, Roman, erschienen 2002 bei Kremayr&Scheriau – Random House, Bertelsmann Schuh-Schuh und Gänseblümchen, Kinderbuch, erschienen 2005 bei Picus 223
Teilprojekt D Design Universität der Künste Berlin Leiter: Prof. Achim Heine Projektbearbeitung: Dipl.-Ing. Dipl.-Des. Jan Hofmann (1997-1998) Dipl.-Ing. Dipl.-Des. Mathias Knigge (1998-2003) Dipl.-Des. Karin Schmidt-Ruhland (1998-2003) Teilprojekt E Biomedizinische Technik Leiter: Prof. Dr.-Ing. Ulrich Boenick Projektbearbeitung: Dr.-Ing. Wolfram Roßdeutscher Dipl.-Ing. Bert Schadow (1997-2003)
Teilprojekt F Kommunikationstechnik Leiter: Prof. Dr.-Ing. Klaus Fellbaum Projektbearbeitung: Dipl.-Ing. Maik Hampicke (1997-2003) Teilprojekt Koordination Zentrum Technik und Gesellschaft TU Berlin Leiter: Dr. Hans-Liudger Dienel Prof. Dr. med. habil. Wolfgang Friesdorf Projektbearbeitung: Dr. Harald Schnur (1997-1999) Dr. Christine von Blanckenburg (1999-2003) Dr. Birgit Böhm (1999-2000) Dipl.-Psych. Sabine Gottwald (2000-2001) Dipl.-Pol. Dörte Ohlhorst (2000) Dr. Alexander Peine (2001-2003) Dr. Heather Cameron (2002-2003)
sentha – seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag Ein Forschungbericht Herausgeber: Professor Wolfgang Friesdorf Technische Universität Berlin Institut für Arbeitswissenschaften Fasanenstraße 1, Eingang 1 10623 Berlin Professor Achim Heine Universität der Künste Berlin Institut für Produkt- und Prozessgestaltung Straße des 17. Juni 118 10623 Berlin
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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN-10 ISBN-13
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