Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga 1. Lange Jahre hatte er auf den Moment gewartet. Viel Mühe und Kraft ...
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga 1. Lange Jahre hatte er auf den Moment gewartet. Viel Mühe und Kraft hatte er aufgewendet und zahlreiche Niederlagen und Rückschläge erlitten. Nun jedoch war er seinem Ziel nahe, endlich, nach einer anstrengenden Zeit der Suche und des Wartens. Aber jetzt, da er beinahe erreicht hatte, was er seit Ewigkeiten erstrebte, zögerte er. Nur noch eine einzige Tat trennte ihn von seinem Triumph. Und dies würde die schwierigste Tat seines Lebens werden. Er war gekommen, um zu stehlen. Das, was er suchte, befand sich im Hause eines alten Mannes, eines Menschen, den er seit langer Zeit gesucht und schließlich ausfindig gemacht hatte. Nun näherte er sich dem Ort, wo er finden würde, was er suchte. Die Königin ritt in einigem Abstand hinter ihm und blickte mit großen Augen um sich, betrachtete die Gegend ringsum und ließ aus ihrem Blick doch nicht erkennen, ob sie Gefallen an der lieblichen Umgebung fand oder nicht. Er bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick, sie, die Königin, sein Geschöpf. Stolz und aufrecht saß sie da auf ihrem aschgrauen Pferd, und ihre schlanke und anmutige Gestalt, die von einer unnatürlichen Schönheit war, strahlte eine kühle Herablassung aus, die sich mit einer gelangweilten Eitelkeit mischte. Ihre Gewänder waren ebenso grau wie das Pferd, nur der kostbare, edelsteinbesetzte Schmuck, den sie am Körper trug, verlieh ihr die Hoheit einer reichen, mächtigen Frau. Und ihr hüftlanges, wallendes Haar war fast weiß. Er bemühte sich, sein Lächeln zu verbergen. Sie folgte ihm nach, weil sie sich Dinge davon versprach, die er nicht einmal im Scherz versprechen würde. Er scherzte niemals, und doch amüsierte die Graue Königin ihn in ihrer Naivität und ihrer Selbstsucht. Sein Blick wandte sich wieder der schmalen Straße vor ihm zu, die sich sandig und unendlich lang unter den Hufen seines eigenen, fuchsfarbenen Pferdes erstreckte und die durch eine Gegend führte, die von einer so stillen und heiteren Schönheit war, daß es ihm davor grauste. Der Pfad führte durch einen Olivenhain, der sich in alle Richtungen unendlich weit auszudehnen schien und nur an der einen Seite von den eisblauen Fluten eines gewaltigen Sees begrenzt wurde. Die Ölbaume waren ungewöhnlich hoch und offensichtlich uralt, die silbrig schimmernden Blätter ihrer Wipfel schlossen sich weit oben zu einem luftigen Dach zusammen, das jedoch so licht war, daß es reichlich Sonnenstrahlen durchscheinen ließ, so daß der Olivenwald - denn er war zu groß, um ein von Menschenhand angelegter Garten zu sein - hell und freundlich erschien. Zwischen den knorrigen Baumstämmen bedeckte ein einziger Teppich von Lavendel und anderen duftenden Blumen und Kräutern den weichen, augenscheinlich sehr fruchtbaren Boden. Ein betörender Duft färbte die http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Luft, und ein sanfter Wind ließ die Bäume unablässig wispern. Sanft stieg die Erde seitlich zu einer Hügellandschaft an, und mitten hindurch führte zielstrebig der schmale, helle Sandweg. "Sie nennen es den 'Silbernen Wald'", sagte er zur Königin gewandt, nur um etwas zu sagen. Die Königin schloß an seine Seite auf. "Es ist unheimlich," sagte sie und schüttelte sich. Er lächelte dünn. "Wenn ich am Ziel bin, Herrin, wird dies hier so werden wie Euer Land." Die Königin nickte zustimmend und er erkannte nun, daß ihr der Wald wirklich nicht gefiel. Aber er wußte, daß sie ihn aus einem anderen Grunde verabscheute: während er die stille Schönheit um sich herum kaum billigen konnte, hatte sie Angst davor. Angst vor den Farben und Angst vor Duft und Geräuschen des Lebendigen. Wenn ich habe, was ich brauche, dachte er bei sich, wird das hier aufhören. Und alles wird sein, wie es sein soll. Inmitten dieses Waldes aus silbernen Bäumen sollte er liegen, der Palast, der sein Ziel war. Und in dem der alte Mann seinen Schatz hütete. Er wunderte sich, daß der Greis ihn noch nicht bemerkt und noch keine Diener vorausgeschickt hatte, um ihn zu empfangen. Und in selben Moment, als hätten sie auf ihn gewartet, sah er sie. Auf einem umgestürzten Baumstamm am Rande des Weges saßen zwei Katzen. Abgesehen von den unzähligen Vögeln im Geäst waren sie die ersten Lebewesen, die ihnen in diesem Wald begegneten. Ekel und Unsicherheit überkamen ihn. Er haßte kein Tier mehr als die Katze. Denn die Katze konnte er nicht durchschauen, und sie widersetzte sich seinem Willen. Die Katzen saßen nebeneinander und blickten mit unergründlichen Augen den beiden Reitern entgegen. Die eine von ihnen, die Kätzin, war dreifarbig gescheckt, mager und wirkte mürrisch. Ihre Augen waren stechend grün, und sie ließen den Reiter auf dem Fuchs nicht los. Das andere Tier war ein Kater, größer als die Dreifarbige, schlank und anmutig. Sein Fell glänzte seidig und völlig pechschwarz. Während die Kätzin die Reiter mit einer sprungbereiten Nervosität zu mustern schien, wirkte der Kater völlig ruhig. Er hielt sein Pferd dicht vor den beiden Katzen an und starrte in die Augen der Tiere. Diese erwiderten seinen Blick. Da sträubte die Kätzin plötzlich ihr Fell, stieß ein verärgertes Fauchen aus, sprang herum und verschwand mit geschmeidigen Sätzen zwischen den Kräuterpflanzen am Boden, setzte mit langen Sprüngen davon.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Er lächelte grimmig und wandte sich dann nochmals dem Kater zu. Auch dessen Fell war ein wenig gesträubt, aber er behielt die Nerven, dem Blick des Menschen standzuhalten. Und der erkannte, daß die Augen des Katers nicht etwa grün oder golden glänzten, sondern silbrig zu strahlen schienen. Bist du gewarnt?, dachte er bei sich. Oder bist du wirklich das, was du zu sein vorgibst? Dann griff er blitzschnell in die Luft und schleuderte mit einer heftigen Geste etwas Imaginäres von sich, das unmittelbar neben dem Kater auf dem Baumstamm aufprallte, mit einer Wucht, die die graue Rinde abplatzen ließ. Der Kater hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Aber er blickte auf die Wunde des Baumes und schien verärgert. Der Reiter hob die Brauen und nickte, gegen seinen Willen mit einer gewissen Anerkennung. Der Alte hatte einen mutigen Diener, das mußte man ihm lassen. "Ich suche Meister Askyn vom Schwarzen See", sagte der Reiter fordernd zu dem schwarzen Kater. Der erhob sich, streckte sich und bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. "Hat man Euch nicht gesagt, daß der Gast empfangen wird, so wie er die Tiere des Hauses begrüßt? Wie wollt Ihr empfangen werden?" Die Stimme des Katers war ernst und streng. Der Reiter lächelte gezwungen. "Vergib mir. Ich war mir nicht sicher, ob du der Bote des Meisters bist. Nimm mir die Prüfung nicht übel." Der Kater seufzte und sprang auf den Boden vor dem Baumstamm. Und verwandelte sich. Der Reiter wich gegen seinen Willen zurück und staunte widerwillig. Selten hatte er jemanden mit einer solchen Leichtigkeit und Eleganz die Form ändern sehen. Gleichzeitig keimte erneut Verachtung in ihm auf, als er sein Gegenüber genau betrachtete. Ein Schattentänzer, dachte er abfällig, was habe ich eigentlich anderes erwartet? Die Königin kam näher. Ihr Interesse war geweckt. Und der Reiter sah in ihrer Miene ein Verlangen, das ihm mißfiel. Der Kater war zu einem jungen Mann geworden, der fragend zu ihm und der wunderschönen Frau aufschaute. Er war hochgewachsen und schlank, bewegte sich mit einer selbstverständlichen Anmut und war auf diese sonderbare Art und Weise hübsch, die den jungen Schattentänzern eigen war. Sein Gesicht war jungenhaft und ernst, bartlos und verschlossen, so daß es unmöglich war, sein wirkliches Alter zu schätzen. Pechschwarzes, lockiges Haar fiel über seine Schultern, und seine Augen waren tiefdunkel und unergründlich. Gekleidet war er mit einem eleganten, völlig schwarzen und einfach geschnittenem Gewand. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ich bin Yalomiro, der Schüler Meister Askyns," sagte der junge Mann, "wer seid Ihr?" Der Reiter richtete sich achtunggebietend auf. "Ich bin Meister Gor," sagte er förmlich. "Melde mich deinem Meister." Der junge Mann wandte sich der Königin zu. "Und wer seid Ihr?" Die Königin wollte antworten, aber Meister Gor kam ihr zuvor. "Sie ist meine Herrin, die Königin vom Toten Land. Sie begleitet mich auf meiner Reise. Und ich habe es sehr eilig. Melde mich sofort deinem Herrn!" Überrascht wandte sich der junge Mann dem Reiter zu und Mißtrauen überflog seine Miene. Aber dann nickte er, warf der Königin einen erneuten Blick zu. Die Königin lächelte und bedachte ihn mit einem Lächeln, das gefangennehmen sollte und voller Verlangen war. Der junge Mann lächelte höflich, wandte sich dann um und entfernte sich eilig auf dem sandigen Pfad. Die Königin starrte ihm verblüfft nach und wollte ihr Pferd antreiben, ihm zu folgen. Doch Meister Gor hielt sie zurück. "Wir sollten ihm einen Vorsprung lassen. Es ist nicht gut, dem Meister mit der Tür ins Haus zu fallen." Die Königin hatte ihm kaum zugehört. "Er hat meinem Zauber widerstanden," sagte sie fassungslos und fügte mit anklagender Stimme hinzu: "Läßt die Wirkung Eurer Magie nach, Meister Gor?" Meister Gor lachte säuerlich. "Der Zauber besteht nach wie vor. Aber er ist wirkungslos bei einem Schattentänzer. Verschwendet Eure Mühe nicht an ihn." Die Königin warf dem Meister einen fragenden Blick zu. "Sie können nicht lieben," sagte er verächtlich. "Und sie durchschauen jeden Zauber. Auch ich muß mich hüten." * Yalomiro eilte dem Haus des Meisters Askyn zu und Angst erfüllte ihn, Angst, die er mühsam zurückgedrängt hatte und die ihn jetzt zu erdrücken drohte. Wer war dieser rotgewandete Magier mit der schwarzen Gesichtsmaske, aus dessen Augen jedes Leben gewichen war? Er war kein Schattenmeister und auch kein anderer Meister der Lebendigen Kräfte. Was war das für eine eisige Kälte, die ihn umgab? Und was verbarg er in seinem Inneren, daß er seine Gedanken versiegeln mußte? Und wer war dieses Frau -- diese leere Frau, die keine Seele zu haben schien? Yalomiro war ein guter Zauberer, sein Können übertraf jeden anderen Schattentänzer im Kreis, und seine Fertigkeiten und seine Kraft würde bald vollständig ausgebildet sein. Er war mächtig. Aber die so viel größere
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Macht und das Unheimliche, das von dem Rotgewandeten ausging, entsetzten ihn zutiefst. Er hastete durch den Olivenwald, ohne nach links und rechts zu blicken und schrak gegen seinen Willen zusammen, als das Mädchen vor ihm auf den Weg trat. Sie stemmte die Hände in die Hüften, schaute ihn fragend an und schüttelte sich, daß ihre strohblonden Locken nur so flogen. Hager und ein wenig linkisch stand sie da in ihrem bunten Flickenkleid und versuchte, einen Blick von ihm zu erhaschen. Er eilte weiter, und sie kam mit, versuchte, Schritt zu halten. "Wer ist es?," fragte sie aufgeregt, "was will er?" Yalomiro hastete weiter, ohne sich umzudrehen. "Hast du es auch gespürt?" Sie nickte eifrig. "Ich dachte, es zerreißt mich, als er mich anstarrte. Zum Glück kann anscheinend nicht einmal er in die Katze blicken. Aber er ist stark... so stark. Yalomiro, ich habe Angst! Ich habe es nicht ausgehalten!" "Ich glaube," sagte Yalomiro tonlos, "er... er ist einer von..." Aramau blickte ihn bang von der Seite her an. "Von den goala'ay?," fragte sie dann scheu. Er wich ihrem Blick aus. "Du denkst es auch?" Aramau nickte. "Ich muß den Meister warnen," antwortete Yalomiro und lief weiter. Aramau eilte hinter ihm her. Aber Yalomiro verlangsamte seine Schritte nicht. Die Schattentänzerin schwieg einen Moment und fuhr kleinlaut fort: "Ich habe erneut versagt. Mein Meister wird schelten." Yalomiro schüttelte den Kopf. "Er wird verstehen, sobald er ihn spürt," tröstete er. "Niemand kann dir etwas vorwerfen." Das Mädchen seufzte und zitterte erneut. Arme Aramau, dachte Yalomiro, sie fürchtet immer noch das Versagen. Dabei ist sie stärker als sie denkt. "Aber wer ist er?," fragte sie noch einmal. Yalomiro zuckte die Achseln und hastete weiter. "Er nennt sich Meister Gor. Und er ist mächtig. Er ist... ", er suchte nach Worten, "kalt. Und ich begreife nicht, woher er die Kraft nimmt. Er ist anders als wir. Und er muß einer ihrer Großen Meister sein." Aramau biß sich auf die Lippen. Furcht nahm sie völlig ein. Sie gehörte zum Kreis, sie war als Schattentänzerin geboren worden und lernte seit vielen Jahren, ihre Kräfte zu zügeln. Aber sie war mutlos, denn es fiel ihr schwer, den Regeln zu gehorchen. Und ihr Meister war streng, tadelte oft. Aramau war verbittert über ihr Los und verwünschte es oft, wünschte sich den Verlust ihrer Kraft -- oder ihr Beherrschen. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro war anders als sie. Er beherrschte seine Kräfte mühelos und war geschickt und klug. Niemand zweifelte daran, daß er einst der neue Meister vom Schwarzen See und vielleicht auch des Mondstrahls sein würde. Aramau war bei ihm, so oft sie nur konnte. Von ihm lernte sie leichter und besser als von ihrem Meister. Yalomiro wandte sich Aramau zu. "Lauf zu Meister Gionar," sagte er, "berichte. Und hole ihn her. Ich glaube, wir werden seine Hilfe benötigen." Mit diesen Worten beschleunigte er seine Schritte um ein Weiteres, ließ sie stehen und eilte weiter hinfort. Aramau blieb zögernd zurück. * Meister Askyn hatte Meister Gors Anwesenheit gespürt, lange bevor dieser den Silbernen Wald erreicht hatte. Ihm war nicht wohl dabei gewesen, Yalomiro vorauszuschicken, aber ihm war keine andere Wahl geblieben. Meister Askyn war schwach und gebrechlich -- und uralt. Der Greis saß auf dem schwarzen Steinthron inmitten des Kuppelsaales des Palastes und hüllte sich gegen die Kälte in sein Gewand und zahlreiche Decken. Obwohl der Saal nicht durch künstliches Licht erhellt wurde, blitzten und funkelten die Fragmente des Gestürzten Sternes heiter und bunt wie stets -- und doch glaubte Meister Askyn, daß ihr Leuchten Unheil in sich barg. Lauter als es die Achtung vor dem Meister und dem Saal gebot, kam Yalomiro in den Palast gelaufen, atemlos und verwirrt schien er zu sein. Meister Askyn hastige Schritte näher kommen. Und ein trauriges Lächeln glitt über sein runzliges Gesicht unter der schwarzen Kapuze seines Gewandes. "Meister...," sagte Yalomiro leise und kniete auf den Stufen des Thrones zu Meister Askyns Füßen nieder. "Wer ist es, mein Sohn?," fragte der Greis, und obwohl er leise gesprochen hatte, war seine Stimme noch im hintersten Winkel der Halle zu hören. "Er nennt sich Meister Gor," antwortete der junge Magier. "Und er verlangt nach Euch." Meister Askyn nickte und schloß die Augen. "Ich habe es befürchtet, " sagte der Greis. "Ein Leben lang habe ich es befürchtet. Nun ist es soweit." Yalomiro nahm all seinen Mut zusammen. "Er ist... einer von ihnen? Von den Meistern des Blutes?" Meister Askyn nickte und musterte den jungen Magier mit einer traurigen Zärtlichkeit. Yalomiro schluckte und bemühte ich um eine gleichgültige Miene, aber sein Herz klopfte schmerzhaft und Beklemmung überfiel ihn. "So jung," murmelte er bei sich, "so jung und schon ist die Zeit für dich gekommen." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro blickte besorgt auf. "Ist Euch nicht wohl, Meister?" Meister Askyn lachte leise und bedauernd. Dann richtete er sich energisch auf. "Komm näher." Yalomiro näherte sich auf Knien dem Thron. Meister Askyn griff nach dem Kinn des jungen Mannes und lenkte Yalomiros Blick auf seine Augen. "Ja, mein Sohn," sagte er dann leise, "ich sehe das Zeichen immer noch in deinen Augen, so wie damals, als ich kam, dich zu holen. Ich habe eine gute Wahl getroffen." Yalomiro blickte abwartend, und ihm war unbehaglich zumute. Er erinnerte sich nur vage an den Tag, an dem man ihn an Meister Askyn verkauft hatte, und er hatte sich selten Gedanken darüber gemacht. Es war normal, daß die Meister diejenigen zu sich nahmen, die als Schattentänzer geboren wurden, die Leute in den Dörfern entledigten sich auf diese Weise der Kinder, die sie fürchteten. Und Yalomiro hatte später verstanden, weshalb die Meister die Kinder kauften. Das Silber der Schattentänzer bewahrte die Magischen Kinder vor der Panik ihrer Eltern - und vor dem Tod. Schattentänzer verfügten von Geburt an über sonderbare Kräfte und Fähigkeiten, die die Menschen nicht verstehen konnten. Wenn ein Schattentänzer aufwuchs, ohne darin unterwiesen zu werden, wie seine Kräfte gelenkt werden konnten, wurde er zu einer Gefahr für Mensch und Tier, ohne es zu wollen -- oder willentlich, wenn er der Verführung seiner Macht erlag. Das hatte es gegeben, und die verlorenen Schattentänzer hatten Leid und Elend gebracht, damals, vor undenkbaren Zeiten, in den frühen Tagen des Kreises. Die Meister jedoch konnten Schattentänzer erkennen, noch bevor deren Kräfte erwachten. Und so begannen sie, in die Dörfer zu gehen, und die Eltern zeigten ihnen willig ihre Neugeborenen. Auf diese Weise wurden ihnen die Unverstehbaren abgenommen. Yalomiro erinnerte sich nur nebelhaft an seine leiblichen Eltern, und er hatte Meister Askyn als seinen Vater akzeptiert, einen gütigen und verständnisvollen Vater, der Yalomiro zu einem der mächtigsten Schüler ausgebildet hatte, der je lebte. Meister Askyn lächelte wehmütig und streichelte Yalomiros Locken. "Ich wußte: dieses Zeichen wird vielleicht vollbringen, was uns anderen versagt blieb." Yalomiro blickte überrascht auf. "Ist mein Zeichen anders als das der Anderen?" Meister Askyn neigte sich vor. "Ja," hauchte er und nickte. "Du bist anders als deine Gefährten." Er musterte Yalomiro einen Augenblick. "Du hast Angst, Yalomiro. Das ist recht so. Denn Meister Gor ist ein furchtbarer Gegner."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro blickte in Meister Askyns Gesicht und ertrug seinen durchdringenden Blick. "Ein Gegner? Ihr glaubt also, er kommt in feindlicher Absicht?" "Ja. Sie nähern sich uns nicht in Frieden. Ein schrecklicher Gegner, mein Sohn. Und er wird bald hier sein." Yalomiro schluckte. "Ich bleibe bei Euch." Meister Askyn nickte und blickte in die Tiefe des Saales. "Das ist tapfer von dir." "Seine Aura macht mir Angst," sagte Yalomiro schließlich. Der Meister antwortete nicht sofort. "Was hast du gespürt?", fragte Meister Askyn nach einer Weile. Yalomiros Lippen bebten, während er nach passenden Worten suchte. "Zeit, " sagte er. "Zeit. Schlaf. Meine Seele, weggerissen von meinem lebendigen Körper. Träume, schlimme Träume. Angst, Zweifel und Verrat. Schmerzen. Und... ", es kostete ihn Überwindung, "... die andere Seite. " Meister Askyn nickte. "Du hast Recht. Ich habe lange Zeit auf die Rückkehr des Rotgewandeten gewartet. Noch immer ist er auf der Suche. Wir wollen sehen, auf welche Weise er es verlangt." Yalomiro stand auf. "Ihr kennt ihn? Und Ihr glaubt, er will den Mondstrahl?" Meister Askyn nickte. "Er sucht danach seit undenkbar langer Zeit. Und er will seine Macht für sich." Yalomiro schüttelte den Kopf. "Aber niemand kann den Mondstrahl beherrschen. Es wäre viel zu gefährlich!" Meister Askyn seufzte. "Das wissen die Schattenmeister, denn sie verstehen sich besser auf den Mondstrahl als alle anderen joray. Aber Meister Gor will die Macht für seine Zwecke. Und er ist kein Schattenmeister. Yalomiro -- Meister Gor darf unter gar keinen Umständen den Mondstrahl bekommen. Wenn ich ihn nicht mehr beschützen können sollte, dann mußt du es tun." Der junge Magier nickte. "Aber ich bin sicher, Ihr werdet diesem Meister Gor klarmachen, daß der Mondstrahl gefährlich ist." Kaum hatte er diese Worte gesprochen, erschallten hinter ihm in der Tiefe des Saales heftige Schritte, und die Kälte des rotgewandeten Magiers erfüllte die gewaltige Halle. Meister Gor war allein gekommen. Ehrfurchtgebietend und ohne den Blick von Meister Askyn abzuwenden, kam er rasch auf den Thron zumarschiert und blieb einige Schritte weit entfernt stehen. Yalomiro schauderte vor seiner kalten Aura und war empört über die Respektlosigkeit, mit der der Rotgewandete die Halle des Lebendigen Lichtes betreten hatte. Instinktiv trat er näher an Meister Askyn heran, doch der Alte bedeutete ihm mit einem Wink, Abstand zu halten.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Meister Askyn," sagte Meister Gor endlich mit tonloser Stimme und brach das Schweigen, "ich grüße Euch." Und er zog seinen breitkrempigen Hut vor dem greisen Zauberer. Sein Haar mochte einmal rot gewesen sein, aber die Zeit hatte es gebleicht. Meister Askyn nickte höflich. "Meister Gor," entgegnete er, "ich habe viel von und über Euch gehört. Und ich erinnere mich." Meister Gor lächelte dünn. Seine farblosen Augen blickten lauernd unter der schwarzen Maske, die sein halbes Gesicht bedeckte und nur Mund und Stirn freigab. "Auch Euer Ruhm ist bis weit über die Grenzen hinaus bekannt." Meister Askyn deutete auf Yalomiro. "Meinen Schüler Yalomiro kennt Ihr bereits?" Meister Gor grinste schief und flüchtig und warf Yalomiro einen uninteressierten Blick zu. "Ein sehr begabter und mutiger junger Mann, an dem Ihr sicherlich viel Freude habt." Meister Askyn starrte dem rotgewandeten Magier fest ins Gesicht. Meister Gor starrte zurück. "Laß uns allein, Yalomiro," gebot Meister Askyn dann und warf Yalomiro einen schnellen Blick zu. "Dies hier ist eine Sache zwischen Meistern. Dabei kannst du nichts ausrichten. Du hast andere Aufgaben." Yalomiro wollte zögern und widersprechen, nickte aber dann gehorsam und schickte sich an, den Saal zu verlassen. "Wenn Ihr nach mir verlangt, Meister," wagte er noch, einzuwenden, aber Meister Askyn hieß ihn stumm, zu schweigen und schickte ihn fort. Yalomiro seufzte und schritt dann, in gebührendem Abstand von Meister Gor, hinaus aus der Halle. Als er gegangen war, verschränkte der goala'ay abwartend die Arme. "Ich glaube, ihr kennt den Grund meines Besuches." Der Greis nickte. "Und Ihr wißt genau, was ich dazu sagen werde." Der Rotgewandete lächelte. "Und Ihr wißt, daß Ihr meiner Kraft nicht widerstehen könnt. Ihr seid alt und geschwächt, Meister Askyn. Aber ich bin nicht hartherzig. Gebt mir den Mondstrahl, und ich verschone Euch und Euren Schüler. Oder gebt ihn mir nicht, und ich werde Euch den Weg auf die andere Seite des Schlafes zeigen." Meister Askyn lachte resigniert. "Was erlaubt Ihr Euch? Ich hielt Euch für einen mächtigen Kundigen, mir ebenbürtig, wenn auch von anderer Art. Nun aber sehe ich, daß Ihr nicht mehr seid als ein Straßenräuber." Meister Gor lächelte höflich. "Ihr habt die Wahl, allein zu gehen oder Euch von mir führen zu lassen. Wenn Ihr mir den Mondstrahl nicht im Guten überlaßt, werde ich doch zumindest noch die Möglichkeit finden, von Euch zu erfahren, wo ich suchen muß."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Meister Askyn warf ihm einen wütenden Blick zu. "Drohungen, Gor. Das ist das Wesen Eurer Magie. Aber ich habe keine Angst vor Euch. Vielleicht bin ich stärker, als Ihr annehmt." Meister Gor baute sich vor dem Greis auf, der würdevoll auf dem schwarzen Thron saß. "Ich rate Euch ein letztes Mal: gebt den Mondstrahl freiwillig heraus. Ihr wißt, was meine Mittel sind." Meister Askyn nickte. "Ich werde ihnen standhalten." Einen Moment lang starrten sich die beiden Magier durchdringend in die Augen. Dann begann zwischen ihnen ihr Kampf, ein Kampf ohne Waffen und Worte. Und es war ein harter Kampf. * Yalomiro war in Meister Askyns Wohngemach gegangen und hatte dort, ohne lange zu suchen die Schatulle mit dem Mondstrahl entdeckt. Nun lag das Kästchen aus Ebenholz, unverziert und glatt in seinen Händen, und er spürte die Macht, die aus seinem Inneren ausströmte. Nachdenklich betrachtete er das Objekt der Begierde des Rotgewandeten. Meister Gor darf dies hier nie bekommen, dachte er. Ob es nicht möglich wäre, es in Sicherheit zu bringen? Es einfach zu verstecken? An einem Ort, wo es nicht gefunden werden kann? Dieser Gedanke gefiel dem jungen Zauberer. Er war mächtig genug, um einen Weltenschlüssel zu benutzen und ohne viel Aufhebens zurückzukehren, nachdem er die Schatulle versteckt hatte. Nur wenige Minuten würde es dauern, und der Mondstrahl wäre gut verborgen. Yalomiro barg die Schatulle an seiner Brust und ging damit in sein Gemach, wo er das Kästchen auf den Tisch stellte und es nicht aus den Augen ließ, während er sich umkleidete und seine Alltagsgewänder mit dem Ornat eines Dunklen Magiers vertauschte. Große Zauber verlangten gewisse Förmlichkeiten, und Yalomiro achtete die Formen. Rasch zog er seinen Mantel um die Schultern, setzte seinen Hut auf und griff nach seiner Tasche, in der sich neben einigen kleinen Gebrauchsgegenständen und seiner Violine auch zwei Weltenschlüssel befanden. Yalomiro legte die Schatulle dazu und zog einen der beiden Schlüssel hervor. Er wollte damit gerade die Tür seiner Kammer aufschließen, als er zögerte. Wenn sich der Mondstrahl so leicht verstecken ließe, warum hat Meister Askyn es nicht schon längst selbst gemacht? Verwirrt blickte er einen Moment auf den silbernen Schlüssel in seiner Hand. Weltenschlüssel waren ein Werkzeug, das die Schattentänzer perfektioniert hatten, nützliche Hilfsmittel, wenn es unverhältnismäßigen Aufwand bedeutete, aus eigener Kraft den Raum zu durchschreiten. Nur eine http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Umdrehung in einem beliebigen Türschloß, und die Tür würde ihn an jeden Ort bringen, den erwünschte. Zwar funktionierte dieser Zauber bei diesem speziellen Schlüssel nur ein einziges Mal, aber es würde ausreichen vorausgesetzt er wählte ein kluges Versteck - die Schatulle durch die Tür an den anderen Platz zu werfen. Der Weg hin zu diesem Ort würde sich im selben Moment in Yalomiros Geist einprägen, so daß er ihn jederzeit -- wenn auch ohne Magie -- wiederfinden würde. So hatte er es sich ausgedacht, und er war sich sicher, daß der Meister ihn loben würde für seinen klugen Plan. Nur ich könnte den Mondstrahl wiederfinden, meldete sich ungefragt die Stimme des Zweifels in den Gedanken des jungen Schattentänzers. Yalomiro wog den Schlüssel in der Hand. Ob es recht war, eigenmächtig zu handeln? Ob er nicht gerade das Verkehrte bewirken würde? Es ist keine Zeit, den Meister um Rat zu fragen, entschied er. Energisch steckte er den Schlüssel in das Türschloß und drehte ihn um. "Jorva aimonon," sang er lautlos seinen Zauber, "man'jev, solur gay wa jevgar" Die Tür führte nun hinaus auf eine winzige kleine Insel, kaum größer als ein großer Teppich, die sich in einem sturmgepeitschten grauen Meer erhob und nur aus blankem Felsen bestand, auf dem etwas Geröll sich gelagert hatte, das zu schwer war, um vom Wind fortgeweht zu werden, der salzig und schneidend über Insel und Wellen fegte. Yalomiro nickte. Das war gewiß der verlassenste und sicherste Ort, an dem sich der Mondstrahl verbergen ließ. Eine Felsinsel mitten im Meer des Chaos. Yalomiro ließ sich auf alle Viere nieder und kroch soweit auf die Insel, daß gerade seine Füße in der Kammer verblieben und so ein Zuschlagen der Tür verhinderten. Dann holte er die Schatulle hervor, legte sie auf den blanken Fels und stapelte alle Steine und Schuttstücke darüber, die er mit den Händen aus seiner Lage heraus erreichen konnte. Als er sein Werk vollendet und das Kästchen recht gut verborgen hatte, bereitete er seinen Geist darauf vor, den Weg zu dieser Insel in sich aufzunehmen; ein weiter Weg, wie er wußte, denn das Meer war weit entfernt vom Silbernen Wald. Darüber, wie er je auf die Insel selbst gelangen würde, machte er sich keine Gedanken. Er beherrschte die Formen, und gewiß bot sich die Gelegenheit, in Gestalt des Raben oder des Delphins das Ziel zu erreichen. Für Weltenschlüssel aber sollte dieser Ort verschlossen bleiben, zur Sicherheit des Mondstrahles. * Als Yalomiro wenig später mit von der salzigen Gischt durchnäßten Gewändern seine Kammer verließ, besorgt um seinen Meister und sich sicher, richtig
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga gehandelt zu haben, und um das Haus des Meisters herum in den Palast hinüber eilte, sah er sich unvermittelt der Grauen Königin gegenüber. Die seltsam schöne Frau mit dem vollkommenen, fast künstlich aussehenden Gesicht stand neben den beiden Pferden und schien sich zu langweilen. Als sie den jungen Mann sah, der bei ihrem Anblick mißtrauisch stehenblieb, lächelte sie fein. Schattentänzer, dachte sie bei sich. Ein so hübscher junger Bursche. Du gefällst mir, und du sollst mir gehören. So wie all die anderen, die mir gehörten. Meister Gor denkt vielleicht, du kannst mir widerstehen, aber ich glaube das nicht. Yalomiro nickte der Grauen Königin einen knappen Gruß zu und wollte dann an ihr vorbei in den Palast treten. Doch sie verstellte ihm den Weg. Ein unbehagliches Gefühl überkam ihn, und das lag nicht nur an den vielen goldenen Schmuckstücken, die sie trug. "Du bist Yalomiro?," fragte sie und lachte perlend. "Ich habe mir deinen Namen gemerkt." Er räusperte sich. "Das ist sehr aufmerksam von Euch." Die Königin lächelte, und Begierde lag in ihrem Blick. "Wo hast du dich denn so durchnäßt?" Yalomiro wich zurück, als sie sich ihm näherte und schwieg. Etwas an ihrem Verhalten machte ihn auf unterschwellige Art nervös.Verwirrt versuchte er, ihre Gedanken zu lesen, aber es war ihm, als habe diese Frau gar keine Seele in sich, die für sie sprach. Die Königin griff nach ihm und wollte seinen Ärmel packen, aber er wich ihr aus. Und das viele Gold an ihrer Kleidung strahlte Hitze ab. "Meister Gor verhandelt schon so lange mit deinem Meister und ließ mich hier einfach stehen," beklagte die Königin sich und lächelte verführerisch. Warum sagst du nichts? Warum spüre ich nicht, daß du mich begehrst wie alle anderen auch? Yalomiro tastete verunsichert und beunruhigt nach irgendwelchen Gedanken der Königin, aber er fand keine. Er fühlte sich von ihr bedrängt. Und das Gold war heiß. "Warum kommst du nicht mit mir und Meister Gor," fragte sie und näherte ihr Gesicht dem seinen. "Ich könnte dir Dinge bieten, die deine kühnsten Träume überbieten." Yalomiro blickte sie verständnislos an. Sie verstummte und lachte heiter. "Laß mich dich berühren, schöner Schattentänzer," sagte sie und streckte die Hand nach seinem Gesicht aus. Und das Gold ihrer Fingerringe verbrannte seine Wange. Yalomiro verzog das Gesicht, biß die Zähne zusammen und schluckte den Schmerz. Das Gold hinterließ keine Wunden, aber ein Schmerz wie von glühendem Eisen durchfuhr ihn. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Bitte, hört auf," stieß er hervor, "Ihr ahnt nicht, was Ihr mir antut." "Was denn, schöner Schattentänzer?", gurrte sie. "Gold," zischte Yalomiro zwischen zusammengepreßten Kiefern hervor, "es tut unserer Haut weh!" Die Königin kicherte und ließ ihre Fingerspitzen über seinen Hals an den Ausschnitt seines Hemdes gleiten. Dann zog sie die Hände weg. Wie unschuldig du zu sein scheinst. Sollten meine Künste wirklich wirkungslos auf dich sein? Meister Gor wird überrascht sein, wenn mein Zauber auch dich umfängt und du mir gehören wirst mit deinem Verstand und deinem Körper. Und wenn du bereit wärst, alles für mich zu tun -- auch, das Amulett herzugeben. "Sei ehrlich, hübscher Schattentänzer," flüsterte sie mit einer grotesk gekünstelt wirkenden Zärtlichkeit, "begehrst nicht auch du mich, mich, die schöne Königin vom Toten Land?" Yalomiro wand sich aus dem Griff der Königin. "Nein," sagte er rasch. "Ich begehre niemanden. Und nun verzeiht. Ich muß zu meinem Meister." Er schlüpfte an ihr vorbei in den Palast und ließ sie stehen. Verblüfft blieb die Königin zurück und starrte ihm hinterher. Und dann überkam sie gekränkter Zorn und Wut. "Das wirst du mir büßen," stieß sie hervor. "Niemand widersteht meiner Verführung! Auch du nicht!" * Yalomiro fand die Tür des Saales weit offen stehend vor. Drinnen war es still. Unbehagen überkam ihn. Und dann, einer plötzlichen Eingebung folgend, holte er aus seiner Tasche den zweiten Weltenschlüssel. Ohne genau zu wissen, warum, war ihm, als würde er Hilfe benötigen, Hilfe gegen das, was ihm bevorstand. Ohne nachzudenken, schloß er eine kleine Nebentür auf. "Jorva aimonon," sang er lautlos und blickte sich furchtsam zur Saaltür hin um, "jorva aimonon as jor." und warf, ohne hindurch zu sehen, den Schlüssel an den anderen Ort. "Ich weiß, daß du da bist, Schüler," ertönte plötzlich aus dem Saal die Stimme Meister Gors. "Dein Meister verlangt nach dir. Komm nur hinein." Yalomiro ließ die Tür leise ins Schloß fallen. Wenn es nötig sein würde, würde jemand den Schlüssel finden und damit in den Palast eintreten können. Jemand, der erkannte, wozu der Schlüssel diente. Und das mußte ein mächtiger Zauberer sein. Ein mächtigerer Meister als der Rotgewandete. Yalomiro sah Meister Gor vor Meister Askyns Thron stehen. Der Greis war in sich zusammengesunken und blickte erschöpft und kraftlos in Yalomiros dunkle Augen. Gepeinigter Schmerz zeichnete sich in seiner Miene. "Meister," sagte Yalomiro besorgt und trat näher. "Bleib zurück, mein Junge," flüsterte Meister Askyn. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Meister,"
fragte Yalomiro verunsichert, "was hat er Euch angetan?"
Da griff Meister Gor ins Nichts und hielt plötzlich ein Messer in der Hand, ein Messer mit einer langen, goldenen Klinge. Yalomiro zuckte zusammen. "Wo ist der Mondstrahl, alter Mann," fragte Meister Gor gefährlich leise und respektlos und setzte dem Greis die Klinge an die Kehle. Yalomiro blickte auf seinen Meister und begriff, daß dieser den Kampf verloren hatte, sich nicht mehr wehren konnte. "Wo ist er, Yalomiro," stieß der Alte hinter der Messerklinge hervor und blickte Yalomiro beschwörend an. Yalomiro schüttelte den Kopf und starrte auf Meister Gor. "Mein Meister weiß es nicht mehr," sagte er. "Ich habe ihn versteckt. An einem Ort, an dem Ihr ihn niemals finden werdet." Meister Askyn begann, leise zu lachen, trotz seiner bedrängten Lage. "Das hast du gut gemacht, mein Sohn," sagte er dann. Meister Gor blickte böse auf den alten Meister. Ihr macht euch über mich lustig, dachte er finster. Laßt euch warnen! Auch der Schatten vergeht in der Leere! "Ad'ree," sagte Meister Gor, nein, er spuckte das Wort aus wie einen eklen Geschmack. Und ehe Yalomiro es verhindern konnte, hatte Meister Gor dem alten Meister das goldene Messer ins Herz gestoßen. Meister Askyns Blick brach. Ein schrecklicher Seufzer entfuhr dem alten Zauberer. Dann sank sein Haupt zur Seite. Der Schattenmeister war tot. Yalomiro starrte fassungslos auf den rotgewandeten Magier, der die Klinge aus der Brust des Alten zog. Nie zuvor hatte er einen Mord gesehen, obwohl die Schattenmeister den Schülern davon erzählten. -- Verwirrung und Ohnmacht überkamen ihn. "Gold tötet Euch schnell, nicht wahr, Yalomiro?", fragte Meister Gor beiläufig und säuberte die Klinge nachlässig an Meister Askyns Kragen. "Aber keine Sorge, Schattentänzer -- ich will dich nicht umbringen. Nicht, wenn du tust, was ich sage. Aber ich spüre schon, du bist verstockt und hältst nichts von meinen Wünschen." "Ihr habt ihn getötet!", stieß Yalomiro hervor. "Ja," sagte Meister Gor, und nicht die kleinste Spur von Bedauern lag in seiner Stimme. "Entsetzt dich das?" Er wartete einen Moment und fügte dann spöttisch hinzu. "Verzeih mir. Ich vergaß, daß euer Volk nicht trauern kann. Du hast keine Tränen, Schattentänzer?" Yalomiro wich einige Schritte weit zurück. "Ich verüble es dir nicht, Schattentänzer. Aber du weißt, welcher mein Kreis ist. Und was unser Geschäft ist. Ich war barmherzig mit dem alten Mann, ich kann gnädig sein. Wenn ich es für nötig halte." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro konnte nicht begreifen, was soeben geschehen war, und ein noch nie zuvor gekanntes Gefühl überkam ihn, eine richtungslose Panik in seinem Geist, die ihn hilflos machte und ihn dem Rotgewandeten ausliefern würde, wenn er sich von ihr überwältigen ließ. Meister Gor blickte aus halb geschlossenen Augen zu ihm hinüber. "Schattentänzer," sagte er ruhig, "ich spüre deine Verwirrung. Da ist ein Gefühl, daß dir fremd zu sein scheint." Yalomiro nickte mechanisch und versuchte, Herr seiner Gedanken zu werden. Er wußte, daß der ältere Magier in seiner ungeschützten Seele lesen konnte wie in einem offenen Buch, und es entsetzte ihn, daß er seinen Geist nicht vor der Magie des Anderen abschirmen konnte. Er blickte auf den Körper des Meister Askyn, das Blut, das feucht die schwarzen Gewänder des Alten durchdrang und das goldene Messer in der Hand des Anderen. "Du hast Angst vor diesem Gefühl, " fuhr Meister Gor lockend fort. "Du kannst es nicht verstehen." Yalomiro zitterte unter der Kälte, die von dem rotgewandeten Magier auszugehen schien. Er bemühte sich, die eigene Aura, die ihn vor den Zaubern des Fremden schützen sollte, zu stärken. Aber das war vergeblich. Meister Gor hatte Yalomiros kurze erschrockene Unaufmerksamkeit genutzt, um den jungen Magier in seine eisige Ausstrahlung einzuschließen, eine schreckliche, leere und lähmende Aura, die sich um Yalomiro zusammenzog und ihm die Luft zum Atmen nahm. "Willst du wissen, was du fühlst?," klang die Stimme des rotgewandeten Mannes zu ihm hinüber, seltsam sanft und verlockend. "Was... was ist es?," fragte Yalomiro mit bebender Stimme. Meister Gors Aura würgte den jungen Mann, aber nun gab der ältere Zauberer mit einer raschen Bewegung nach und brachte den Schattentänzer zu Fall. "Es ist Haß," zischte er und blickte mit zufriedenem Ausdruck auf den jungen Magier hinab. "Du haßt mich dafür, daß ich deinen Meister getötet habe." Yalomiro rang nach Luft und bemühte sich, sich aufzurichten. "Dieser Mord war sinnlos!" Meister Gor lachte leise und belustigt. "Nein, das war er nicht, Yalomiro. Es war die erste Prüfung, die ich dir auferlegt habe. Und es wird nicht die letzte sein. Denn ich bin hartnäckig, und ohne das Zeichen werde ich nicht von dir ablassen." Yalomiro stand auf und vergrößerte den Abstand zwischen sich und dem goala'ay. "Von welchen Prüfungen redet Ihr? Ihr habt mich vor einer knappen Stunde zum ersten Male gesehen und konntet nichts von mir wissen. Wozu solltet Ihr einen Mord planen, um mich zu prüfen?" Meister Gor kam mit einigen raschen Schritten auf Yalomiro zu, Gier glänzte in den farblosen Augen unter der Maske. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Aber nun hatte Yalomiro reagiert und ließ seine Aura aufleuchten, ein unsichtbares, silbriges Licht, das seinen Körper umschloß wie ein Schutzschild und an dem Meister Gors Kälte abprallte. Angewidert verharrte der Rotgewandete mitten im Schritt. "Ich habe mich spontan dazu entschlossen, als ich deine Augen sah. Du bist anders als andere von deiner Art. Du trägst den Keim von Gefühlen in dir, die du nicht haben dürftest.-- Vielleicht kann ich das zu meinem Vorteil nutzen, Yalomiro. Du haßt mich, und das habe ich gewollt. Das ist der Beweis dafür, daß du ein Schattentänzer mit -- sagen wir: ungewöhnlichen Anlagen bist. Du kannst hassen." Yalomiro blickte mißtrauisch zu Meister Gor hinüber. "Und was soll das für einen Nutzen bringen?" Meister Gor maß Yalomiro mit einem abschätzenden Blick. "Haß ist mächtig, Yalomiro. Fast so mächtig wie meine Schutzmacht es ist. Und Macht ist das, was deine Fähigkeiten vergrößert. Wie würde es dir gefallen, der mächtigste Zauberer dieser Welt zu werden, Yalomiro?" Yalomiro schüttelte den Kopf. "Ihr wollt mich verwirren. Was hättet Ihr davon?" Meister Gor lächelte fein. "Ich bin kein Meister von Lebendigen Kräften, Yalomiro, meine Macht ist die Vergänglichkeit. Aber ich erkenne Talent und Geschick eines Gegenüber. Warum vergeudest du deine Zeit hier im Palast des Lebendigen Lichtes, als einziger Gesellschafter und Diener eines altersschwachen Hexenmeisters? Langweilt es dich nicht, tagein tagaus hier in dieser Halle zu sitzen, keine anderen Menschen zu Gesicht zu bekommen und das Mondstrahlamulett zu bewachen?" Yalomiro schüttelte den Kopf. "Nein." Meister Gor hob mit gespielter Fassungslosigkeit beide Hände zu einer bedauernden Geste. "Welche Verschwendung von Kraft und Talent! Nun, einem gewöhnlichen Schattentänzer würde ich eine so beschränkte Weltsicht zugestehen, aber ein Mann mit deinen Fähigkeiten... Yalomiro, glaub mir nur, wenn es dir gelingt, die Kräfte des Hasses zu erschließen, könntest du deine Fähigkeiten vervielfachen und Herr dieser Welt werden." Er neigte sich vor und hauchte mit lockender Stimme: "Komm mit mir, Yalomiro. Laß diesen Ort und dein bisheriges Dasein hinter dir und laß mich dich den Haß lehren. Du sollst es nicht bereuen." Yalomiro dachte einen Moment lang nach, aber die Worte des älteren Magiers mißfielen ihm. "Welchen Nutzen könntet Ihr daraus ziehen, wenn ich meine Macht vergrößere? Mit welchem Recht könnt Ihr daran denken, ich könne meine Bestimmung, dem Schatten zu dienen, aufgeben um eigener Ziele willen? Ich will mächtig werden, das ist wahr. Aber ich will es nicht durch den Haß." "Warum?," fragte Meister Gor lauernd. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Weil Haß nicht dem Leben dient," gab Yalomiro zurück, und Meister Gor fuhr triumphierend auf. "Jetzt habe ich dich!", rief er und sein Blick war finster und zufrieden. "Du bist ein Schattentänzer, Yalomiro, und ich bin Meister Gor, der Herr der Großen Leere. Ich bin ein Kundiger der Mächte der Anderen Seite, und du bist ein unbedeutender kleiner Niemand im Dienste der Nacht und des Schattens. Deine Mächte können meinen gegenüber nicht bestehen. Aber ich verachte dich und deinesgleichen nicht ob eurer Mangelhaftigkeit." Yalomiro erwiderte trotzig seinen Blick. "Und warum dann?" "Weil ihr Kundige der Lebendigen Kräfte seid," sagte Meister Gor scharf. "Aber das ist nicht das Schlimmste. Ihr seid so ekelhaft in eurer Art -und ich verabscheue eure Unschuld." Er blickte auf das Messer in seiner Hand und suchte nach Worten. "Ein wahrer Zauberer beherrscht die Dinge und den Geist. Doch ihr seid Sklaven von Geist und Dingen." Yalomiro wartete. Meister Gor lächelte verschlagen. "Hast du dich jemals gefragt, warum Gold euch Schmerzen bereitet? Bestimmt nicht, denn man hat dich gelehrt, dem Gold auszuweichen. Denn nicht allein der Schmerz wird euch gefährlich!" Und mit einer weitausladenden Geste warf er das goldene Messer nach Yalomiro, so unerwartet, daß es kein Ausweichen mehr gab. Die goldene Klinge zerschnitt die schützende Aura, verformte sich in der Luft und legte sich als ein schmales, enges Band um Yalomiros Hals. Yalomiro schrie auf vor Schmerz und versuchte, den Reifen herunterzureißen. Aber es war sinnlos, das Gold verbrannte seine Fingerspitzen und schien nur noch enger zu werden. Im selben Moment brach auch die Aura zusammen, und die Kälte des Rotgewandeten milderte den Schmerz ein wenig. Ein Gefühl von Schwindel überkam den jungen Zauberer, und er verlor das Gleichgewicht. Und fühlte, wie schwach er war. Meister Gor lachte vergnügt und kam näher. "Spürst du es nun, warum ihr euch vor dem Gold hüten sollt? Nicht, weil es verletzt, nein: weil es eure Zauberkräfte blockiert." "Bitte -- nehmt es weg," keuchte Yalomiro. "Du mußt lernen, Yalomiro." Meister Gor wandte sich um und ging wieder auf Meister Askyns Leichnam zu. Einen Augenblick lang zögerte er, dann packte er den Toten beim Arm und zerrte ihn von seinem Thron, um selbst darauf Platz zu nehmen. Die Leiche des Alten blieb achtlos zu seinen Füßen liegen. Yalomiro war sprachlos ob dieser ungeheuren Anmaßung und wollte protestieren, doch Meister Gor fuhr ihm ins Wort.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Du hättest mir nicht so lange zuhören dürfen. Du hättest mit mir kämpfen können. Gewiß, du wärst meiner Magie sehr schnell unterlegen, aber wäre es nicht eine ehrenvollere Art gewesen, sich meiner Herrschaft zu fügen, wenn du mir zuvor noch ein paar kleinere Kunststücke vorgeführt hättest?" Yalomiro zuckte vor Schmerz und Wut. "Was bin ich," stieß er hervor, "ein Taschenspieler, der Euch belustigen soll?" Meister Gor blickte fast mitleidig auf ihn hinab. "Du bist ein Schattentänzer, Yalomiro. Und es ist einfach wider die Natur, daß Schattentänzer hassen können. Daher amüsierst du mich, kleiner Schüler, und vielleicht ist das der Grund dafür, daß ich Dich noch nicht umgebracht habe wie deinen alten Meister. -- Wer weiß, welche Überraschungen du noch für mich bereit hältst? -- Mein Angebot steht noch immer: komm mit mir, werde mein Schüler, gib dich dem Haß hin. Ich kann dich formen." Yalomiro begriff. "So, wie Ihr die Frau dort draußen geformt habt?" Meister Gor stieß einen verächtlichen Ton aus. "Sie war eine naive, sterbliche und einsame Frau. Was habe ich ihr schon gegeben, dafür, daß ich auf ihrer Burg Unterschlupf suchen durfte? Ein wenig Schönheit, ein wenig von einer ganz speziellen Macht, ein wenig Unsterblichkeit..." Yalomiro wollte auffahren, aber seine Kraft versagte ihm ihre Dienste. "Sie hat keine Seele mehr! Ihr habt etwas Unkundiges durch Magie verdorben!" Meister Gor schüttelte mit gespielter Betrübtheit den Kopf. "Ein kleiner Preis für das, was sie wollte. Und sie ist zufrieden damit. Was ist schon eine Seele, Yalomiro -- nicht sehr viel mehr als eine bestimmte Zusammensetzung von Gut und Böse. Eine Menschenseele, Yalomiro, die den Anforderungen meiner Magie nicht standhielt. Aber was ist dagegen eine Schattentänzerseele, Yalomiro, eine starke, kundige Seele? Ich glaube nicht, daß du daran verlieren würdest, den Haß in dir, den ich erwecken konnte, zu deinen Gunsten zu nutzen. Und, nebenbei bemerkt, dein Leben zu retten." Yalomiro schloß die Augen und ertrug den Schmerz. "Aber das bietet Ihr mir nicht ohne Gegenleistung an." Meister Gor nickte bestätigend. "Nein. Aber ich verlange nur eine Kleinigkeit von dir: den Mondstrahl." Yalomiro schwieg einen Moment lang. "Nein," sagte er dann. Meister Gor nickte. "Dann wirst du leiden müssen, bis du es nicht mehr erträgst, bis
der Schmerz deinen Willen bricht und du mir verrätst, wo das
Zeichen ist. Es hat ja wohl kaum Zweck, hier im Silbernen Wald danach zu suchen, wenn dir magische Wege die Welt öffnen können." Yalomiro schüttelte den Kopf. "Nein, Meister Gor. Um keinen Preis der Welt werde ich Euch das Zeichen überlassen, und ebensowenig werde ich auf meine Seele verzichten." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Meister Gor hob mit einer bedauernden Geste die Hände, erhob sich und trat auf Yalomiro zu. "Ich werde den Haß in dir nähren, Yalomiro, und allein das wird dich verändern." Yalomiro blickte ihm entgegen, und seine Augen spiegelten nun Furcht. "Meister Gor," sagte er leise, als der rotgewandete Magier neben ihm niederkniete und die Hand über sein Gesicht legen wollte. Meister Gor zögerte. "Wenn auch Haß in mir ist, wendet sich der Haß nur gegen Euch. Vielleicht gab es wirklich zuvor keinen Schattentänzer, der zu Haß fähig war. Aber auch ihr wißt, daß es ein zweites Gefühl gibt, das uns versagt ist. Und ich hoffe von ganzem Herzen, daß dieses Gefühl genauso in mir verborgen wachsen wird, egal, was Ihr mir antun werdet." Meister Gor lachte spöttisch, aber Yalomiro meinte, Unsicherheit in seiner Stimme wahrzunehmen. "Das ist unmöglich, Yalomiro," sagte er kalt. "Denn auch die Liebe muß in dir erweckt werden. Und ich wüßte niemanden, der das noch für dich tun könnte. Ich weiß, wovon ich rede." * Aramau war Yalomiro langsam und im Verborgenen gefolgt. Sie fürchtete sich, zu ihrem Meister zu gehen, diesem zu gestehen, daß sie einem fremden Kundigen, höchstwahrscheinlich einem goala'ay, einem Todfeind des Kreises, nicht standgehalten hatte. Sie wollte Yalomiro nahe sein, erfahren, was es mit dem unheimlichen Fremden auf sich hatte, und dann erst, wenn sie mehr wußte und so ihre Furcht verstecken konnte, ihrem Meister berichten. Sie sah Yalomiro mit der puppenhaft schönen Frau sprechen, sah, wie diese ihn berührte und streicheln wollte. Ein Anflug von Unwillen und eine Spur Eifersucht überkamen die Schattentänzerin. Unkundige, dachte sie verärgert, ich weiß wohl, was du bezweckst. Aber deine Bemühungen nützen dir bei unseresgleichen nicht. Und tatsächlich, Yalomiro wandte sich ab und ging eilig fort. Aramau verbarg sich unauffällig hinter einem breiten Ölbaumstamm und betrachtete die Königin mißgünstig. Aramau war eine Schattentänzerin, ihr fehlte die Fähigkeit, Liebe und Haß zu empfinden, diese beiden Extreme der menschlichen Seele. Aber gerade das ärgerte sie, und im Stillen beneidete sie die Unkundigen um diese zwei seltsamen Gefühle, die ihr selbst immer verschlossen bleiben würden. Trotzdem, Aramau kannte Eifersucht genauso, wie sie Freundschaft und Vertrauen kannte, und daher paßte es ihr nicht, daß die Fremde sich dermaßen Yalomiro, ihren Freund und Bruder im Kreis näherte. Befriedigt sah Aramau Yalomiro in den Palast eilen -- und fing plötzlich einen direkten Blick der Königin auf. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Aramau war sich für einen Moment nicht sicher, was sie tun sollte. Die Königin hatte sie gesehen, es war also sinnlos, sich leise fortzustehlen. Und dennoch -- es behagte ihr nicht, daß die fremde schöne Frau um ihre Anwesenheit wußte. Die Königin musterte das struppige blonde Mädchen abschätzend. Aramau starrte zurück und biß sich auf die Lippen. "Du da!," rief die Königin endlich, "Komm her zu mir!" Aramau zögerte. Die Leere, die von der Frau in den grauen Gewändern ausging, irritierte und ängstigte sie, andererseits jedoch war ihre Neugierde geweckt. Die Schattentänzerin gab sich einen Ruck und trat auf die Königin zu. "Wer bist du?," fragte die Königin. Aramau warf ihr einen mürrischen Blick zu und fröstelte. "Ich bin Aramau," antwortete sie knapp. Die Königin betrachtete sie forschend. "Bist du auch eine von seiner" - sie deutete auf die Tür - "Art? Oder bist du unkundig?" Das Mädchen nickte beleidigt. "Ich bin eine seiner Schwestern." Obwohl die Graugewandete nicht lächelte, schien sie erleichtert. "Du siehst ihm nicht ähnlich. Du bist ... so gewöhnlich." Aramau blickte finster. Und die Königin schwieg. "Stimmt es, daß euer Volk nicht lieben kann?," fragte sie dann beiläufig. Aramau horchte alarmiert auf. "Warum interessiert Euch das?" Die Königin zuckte die Achseln. Aramau versuchte verwirrt, ihre Gedanken zu erhaschen. Doch die Graugewandete war stumm. "Er gefällt mir," sagte sie nach kurzer Zeit. "Aber ich spüre, daß er mir gegenüber gleichgültig ist, obwohl das nicht sein dürfte." Aramau verbiß sich ein triumphierendes Lächeln. "Yalomiro ist noch sehr jung," gab sie zurück. "Es mangelt ihm an Erfahrung." Die Königin hob die Brauen. "Was heißt das?" Aramau lächelte dünn. "Hört mir zu, wer immer Ihr sein mögt. Ich bin zwar eine von seinem Volk, aber ich bin auch ein Mädchen. Ich spüre, was Euch antreibt, auch, wenn ich es nicht richtig verstehen kann. Yalomiro aber ist die reine Unschuld. Er wird Euer Begehren niemals verstehen können." Der Blick der Königin verfinsterte sich. "Was willst du damit sagen?" Aramau verschränkte die Arme. "Ihr sucht keine Liebe. Und er kann Euch keine geben. Ich rate Euch also: laßt ihn in Ruhe. Es sei denn, Ihr seid Eures Lebens müde." Die Königin blickte das struppige blonde Mädchen einen Augenblick lang verwirrt an. "Sie haben alle mir gehört," murmelte sie dann.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga In diesem Moment drang ein Schrei aus dem Palast nach außen, gedämpft und leise zwar, aber nicht leise genug, um Aramaus feinen Ohren zu entgehen. Und sie erkannte Yalomiros Stimme. "Was ist das?," fragte sie beunruhigt in Richtung der Königin. Die Königin horchte, und nun hörte auch sie. Sie antwortete nicht, aber ihr ohnehin puppenhaft starres Gesicht versteinerte. Aramau wandte sich der Tür zu. Sie erkannte Yalomiros Stimme, aber sie schien ihr erstickt und verzerrt. Das Mädchen gab sich einen Ruck und stieß die Tür auf, blickte aus ihren stechend grünen Augen in die Dunkelheit des langen, finsteren Flures und lauschte. Die Königin trat hinter sie und blickte in den Palast, verharrte erstaunt und runzelte die Stirn. Von außen war der Palast des Lebendigen Lichtes nur ein kleines, einfaches Haus aus weißen Steinen und mit ziegelgedecktem Dach. Doch sein Inneres war nicht das, was sein Äußeres vermuten ließ. Die Tür führte in einen langen, finsteren Korridor, der weit in die Tiefe reichte. auch das war eines der Geheimnisse der Schattenmeister. Der lange, schmale und hohe Gang führte tief in das Innere des Hauses hinein und verlor sich in der Ferne. Links und rechts von ihm zweigten einige Türen ab, hölzerne Türen mit silbernen Beschlägen und kunstvollen Schnitzereien, die Ornamente mit magischer Bedeutung darstellten und von denen keines sinnlos war. Kein künstliches Licht erhellte den Gang, und völlige Finsternis und Stille erfüllten das Innere. Und in diese Stille schnitt Yalomiros Stimme. Aramau fühlte Schmerz und einen Hauch von Gold, fürchtete sich und blickte unsicher zu der Graugewandeten. Und die Kälte des rotgekleideten Magiers kroch langsam durch den Gang und streifte Aramau, als sie ins Freie gelangte. Die junge Schattentänzerin zuckte zurück, und großäugig musterte sie die wunderschöne, leere Frau. "Wer ist Euer Begleiter?", fragte sie mit bebender Stimme. Die Graue Königin lächelte, und in ihren Augen lag eine sonderbare Verklärung. "Er ist der Mächtige. Er ist gekommen, um die Herrschaft zu erlangen. Und ich bin an seiner Seite." Aramau schüttelte sich, horchte, hörte Yalomiros Stöhnen und fuhr herum. Ohne
sich zu besinnen stürmte sie mit eiligen Schritten in den Gang, hin
zur Halle des Lichtes, ohne daran zu denken, daß sie damit die Ruhe des Ortes störte. Ihr Bruder schrie, ihr Bruder war in Not. Sie mußte ihm beistehen. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Die Königin zögerte kurz und folgte dem Mädchen in einiger Entfernung, sich verunsichert und furchtsam die Wände entlangtastend und der vertrauten Kälte des Rotgewandeten zustrebend. Als Aramau in die Halle stürmte, kniete Meister Gor immer noch vor Yalomiro am Boden. Die kräftige Hand des älteren Magiers umschloß die Stirn des jungen Mannes, und seine farblosen Augen waren starr und unnachgiebig auf die nun fast schwarzen Augen des Schattentänzers gerichtet. Yalomiro zitterte und wand sich unter der Hand des Älteren. Sein schwarzer Blick versuchte, dem des Roten standzuhalten, aber die Macht Meister Gors entsetzte und verwirrte ihn. Aramau sah den goldenen Reifen um Yalomiros Hals, blieb erschrocken stehen und starrte, von plötzlicher Panik überwältigt, auf den Älteren. Meister Gor spürte die Anwesenheit der Schattentänzerin, richtete sich auf und drehte sich langsam in ihre Richtung. Aramau wich seinem Blick aus, drehte sich zur Seite und sah Meister Askyns Leichnam zu Füßen des Thrones. "Nein...", stammelte sie leise, als sie begriff, daß die Schüler allein mit dem rotgekleideten Meister waren, aber das Echo des Saales trug ihre Stimme deutlich zu dem Rotgewandeten hinüber. Meister Gor lächelte dünn und wandte sich wieder Yalomiro zu. Yalomiro wollte schreien, Aramau warnen, aber seine Stimme versagte ihm die Dienste. Meister Gor nickte, ließ von ihm ab und erhob sich langsam, ging auf die reglos stehende Aramau zu und betrachtete sie mit interessierten Blicken. Da kam auch die Königin hinzu, trat hinter das Mädchen und betrachtete ungerührt den toten Körper des Greises, und dann, mit leisem Bedauern, den des jungen Zauberers. Yalomiro setzte sich mühsam auf und schnappte nach Luft. Warnend schaute er zu Aramau hin. "Du bist Aramau vom Silbernen Wald," sagte Meister Gor mit einer eigentümlich sanften Stimme. "Du mußt keine Angst vor mir haben, trotz alldem, was du hier siehst. Ich bin nicht dein Feind." Aramau schüttelte verängstigt den Kopf und wich zurück, als er die Hand nach ihr ausstreckte. Meister Gor lachte leise. Die Königin warf ihm einen fragenden Blick zu. Meister Gor wurde schlagartig wieder ernst. "Er hat den Mondstrahl versteckt," sagte er knapp zur Königin. "Und er ist stark, stärker, als ich es gedacht hätte. Seine Gedanken sind versiegelt." Aramau schaute zu Yalomiro hin, der sich unsicher erhob, schwankend stehenblieb und sich am Thron festhalten mußte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Was.. was wollt Ihr von ihm?," fragte die Schattentänzerin. "Was wollt Ihr mit dem Mondstrahl?" Meister Gor antwortete nicht, es schien, als hätte er Aramaus Frage nicht gehört. "Was werdet Ihr nun tun, Meister Gor?," erkundigte sich die Königin ungerührt. Meister Gor warf dem jungen Magier einen Blick zu, aus dem ein gelangweilter Ärger sprach. "Ich hätte Lust, ihn zu töten," sagte er dann in Richtung der Königin. "Aber das kann ich nicht. Er hat das Amulett verborgen, nur er kann es wiederfinden. Ich kann ihn nicht zwingen, es mir zu holen. Noch nicht." Mit einem raschen Schritt trat er an Yalomiros Seite und versetzte ihm einen Stoß, so daß der junge Mann auf dem Thron zu sitzen kam und baute sich dann drohend vor ihm auf. Die Königin kam näher und betrachtete den Schattentänzer. "Willst du ihn für mich holen, Yalomiro?," fragte sie, und in ihrer Stimme lag das gleiche Verlangen, mit dem sie ihn vorher angeredet hatte. "Tu es für mich, und ich werde dir Dinge geben, von denen du nicht zu träumen wagst." Yalomiro schloß erschöpft die Augen und schüttelte schwach den Kopf. Das Gold schmerzte und schien all seine Kräfte von ihm abzuleiten. Es hatte seine Aura nutzlos gemacht, und schutzlos war er den Händen des goala'ay ausgeliefert gewesen, die Schmerzen brachten. Die Miene der Königin wechselte von lockender Süße zu fassungsloser Enttäuschung hin zu plötzlichem Zorn. "Warum willst du es nicht?," fuhr sie ihn an, "warum erliegst du nicht meiner Magie wie alle anderen vor dir auch?" Sie bebte vor Wut, trat dann einen raschen Schritt vor und legte ihm beide goldgeschmückten Hände auf die Wangen, ließ sie heftig über sein Gesicht über seinen Hals hinabgleiten und kümmerte sich nicht um sein Stöhnen. "Laß dich streicheln, schöner Schattentänzer," keifte sie mit sich überschlagender Stimme, "nimm meine Zärtlichkeit für dich an!" Meister Gor begann amüsiert zu lachen, während Aramau entgeistert auf die Szene vor sich schaute. "Ihr verletzt ihn!", rief das Mädchen hilflos und schauderte vor der Kälte des Meisters. Meister Gor schüttelte nachsichtig den Kopf, packte dann die Königin sacht bei der Schulter und zog sie von Yalomiro weg. "Es tut mir leid, Herrin -aber er ist nichts für Euch. Ihr hättet nicht viel Freude an ihm. Seid vernünftig, erstrebt nicht das Unerreichbare -- und überlaßt ihn mir." Die Königin bebte erregt und wandte sich dann heftig ab. Dabei fiel ihr Blick auf Aramau, und ihre Augen verengten sich. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Meister Gor folgte ihrem Blick. "Nein," sagte er dann beruhigend zu der Königin, "sie lieben sich nicht. Es gibt keine Liebe unter den Schattentänzern, und es wird niemals welche geben." Die Königin wandte sich ab und blickte zu Boden, wie ertappt. Meister Gor trat vor Yalomiro hin, verschränkte die Arme und fragte ruhig: "Ich gebe dir die allerletzte Chance, Schattentänzer. Wirst du nun reden?" Yalomiro schluckte seine Angst und fühlte sich hilfloser als je zuvor in seinem Leben. "Nein," sagte er dann leise. "Ihr dürft das Amulett niemals erreichen." Die Königin seufzte. Sie war lange genug mit Meister Gor zusammen, um zu ahnen, daß man sich hier und jetzt nicht einigen würde. "Dann werde ich dich jetzt töten," sagte Meister Gor. "Ich werde andere Wege finden, um den Mondstrahl zu bergen, wenn du dein Geheimnis mit dir nehmen willst, hinter die Träume. Doch auch dort werde ich dich jagen, Yalomiro vom Schwarzen See." Die Königin drehte sich zu Meister Gor um und blickte dann auf Yalomiro. "Laßt die Zeit das Siegel auf seinen Gedanken brechen, Meister Gor. Wir haben die Geduld, auf seine Entscheidung zu warten. Wir haben viel Geduld. Und wir sollten ihm Zeit für eine so wichtige Entscheidung lassen. Es wäre schade, ihn voreilig zu vernichten." Sie lächelte und warf dem goala'ay einen schmeichelnden Blick zu, süß wie ein kleines Mädchen, das um ein Spielzeug bittet. "Verbannt ihn aus der Zeit." Aramau fing einen kurzen, von fassungsloser Panik erfüllten Blick aus Yalomiros dunklen Augen auf. Und sie ahnte, was geschehen würde. Meister Gor betrachte die Königin fast amüsiert und nickte. "Ihr lernt gut von mir," lobte er. "Helft mir dabei." Und bevor Aramau es begreifen konnte, hatte er Yalomiros rechten Arm gepackt und hielt ihn fest, während die Königin nach dem anderen Arm griff. Yalomiro fuhr mit der letzten Kraft seines Körpers hoch und wehrte sich gegen die Hände, die ihn hielten. "Aramau," rief er, "du mußt Hilfe holen! Rufe die Meister! Lauf..." Aramau schlug die Hände vor die Augen, krümmte sich unter der grauenhaften Kälte, die von Meister Gors Zauber ausging. Und sie erschrak bis in die Tiefe ihres Herzens, als Yalomiros Stimme mitten im Laut, ohne ein Echo, abrach und fort war. Erst einige endlose Augenblicke später wagte sie es, aufzublicken. Und der Anblick entsetzte sie.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Meister Gor und die Königin ließen Yalomiros Arme los. Die Königin betrachtete den Körper versonnen und enttäuscht, während Meister Gor zufrieden nickte. Aramau schüttelte den Kopf und suchte nach Worten. "Das... das habt ihr nicht gedurft," stammelte sie sinnlos. "Ihr habt das Gebot der Lebendigen Kräfte gebrochen. Selbst dem mächtigsten aller Meister ist das verboten! Dafür wird man Euch ausstoßen! Auch Eurer Kreis hat sich an das Gebot der Lebendigen Kräfte zu halten!" Meister Gor warf der Schattentänzerin einen verblüfften Blick zu und begann dann, schallend zu lachen. "Die Lebendigen Kräfte? Die sind kein Maßstab für meine Macht." Namenlose Abscheu und Panik überkamen Aramau. Und nun endlich fand sie die Kraft, sich abzuwenden und in kopfloser Panik fortzurennen, hinaus aus dem Saal, durch den Gang, ins Freie. Meister Gor machte keinerlei Anstalten, ihr zu folgen. Belustigt blickte er der Schattentänzerin nach. "Was meint sie?", fragte die Königin überrascht. Meister Gor lächelte dünn und betrachtete Yalomiro. "Sie haben geschworen, niemals etwas Lebendiges in eine tote Form zu zwingen," sagte er. "Wahrscheinlich könnten sie es auch gar nicht." Die Königin nickte verstehend. "Und nun?" Meister Gor wandte sich ab und die Königin folgte ihm. "Wir kehren um und kommen später wieder. Ich habe keine Lust, die gesamte Schattentänzerbrut gegen mich zu haben, sobald das Mädchen die anderen Meister aufgehetzt hat. Nur zwei Dinge sind hier noch zu tun." Er beschrieb eine knappe Geste, und der Leichnam Meister Askyns verschwand im Nichts. Die Königin zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. "Und das zweite?" "Dieses Mädchen wird die Meister herholen," sagte Meister Gor. "Die Schattenmeister dürfen diesen Palast nie wieder betreten. Und ich weiß auch, wie wir das verhindern werden. Ich werde einen großartigen Zauber wirken, der den Schattentänzern den Atem verschlagen wird." Er lächelte höflich und bot der Königin seinen Arm an. "Kommt, Herrin... die Zeit wird für uns das ihre tun." Die Graugewandete und der ältere Magier schickten sich an, den Saal zu verlassen. Meister Gor warf einen letzten Blick auf Yalomiro zurück. "Du hättest mein Schüler sein können, Yalomiro," sagte er in die Stille des Saales hinein. "Warum zogst du es vor, mein Gegner zu sein?" Auch die Königin wandte sich nochmals bedauernd um. Vielleicht wirst du eines Tages doch noch zu mir kommen, dachte sie und lächelte traurig. * http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Dunkelheit, dachte Yalomiro verzweifelt, Dunkelheit, wo ist der Schlüssel? In welcher Welt ist er verborgen, wann wird ein Zauberer ihn finden können? Wann wird jemand mich befreien? Aber um ihn herum war Schweigen. Der Geist des Schattentänzers klammerte sich verzweifelt an der Materie fest, die ihn einschloß, und doch war es nur eine Frage der Zeit, bis er verwehen und verschwinden würde in der Weite des Unbeseelten. Was machte es da für einen Unterschied, ob Sekunden oder Jahrtausende verstrichen? Nimm den Schlüssel, flehte die Schattentänzerseele inbrünstig in die Stille der Zeit, zerbrich das Gold!
2.
Ich zog die Haustür hinter mir zu und seufzte. Eine anstrengende Woche lag hinter mir, voller Streß und Hektik. Das Studium forderte meinen letzten Nerv, und die Prüfungen rückten näher. Wochenende -- nun, ich würde es wie immer allein in meiner kleinen Studentenwohnung verbringen, weit weg von zu Hause und in Gesellschaft vieler dicker Bücher. Draußen war es November, kalt, diesig, unwirtlich. Nicht einmal in die Natur hinaus flüchten würde ich können, und um mich irgendwo in der Stadt in Gesellschaft anderer zu vergnügen, dazu hatte ich keine Lust und auch keinen Anlaß. Ins Wohnheim hätte ich ziehen sollen., seufzte ich. Da wäre bestimmt mehr los als hier. Ich bin ein richtiger Einsiedler. Ich stieg mißgelaunt die Kellertreppe hinab, um mir aus dem winzigkleinen Verschlag dort, der zur Wohnung gehörte, eine Konservendose fürs Abendessen zu holen. Die Glühbirne im Keller funktionierte wie üblich nicht, und so wählte ich blind auf gut Glück eine Dose, wandte mich wieder um und wollte die Brettertür abschließen, als ich auf etwas Hartes trat. Ich bückte mich danach und spürte kaltes Metall zwischen meinen Fingern. Und als ich an die offene Tür zum Treppenhaus trat, um etwas Licht zu haben, erkannte ich einen Schlüssel. Es war jedoch kein normaler Haustür- oder Wohnungsschlüssel, wie ich sie an meinem Schlüsselbund trug, sondern ein sehr großer, schwerer und altertümlich aussehender, der auf keinen Fall zu einer Tür im Haus gehören durfte, sondern eher zu einem sehr alten Schrank, oder, noch wahrscheinlicher, zu einem altmodischen Haustor. Aber wie kam er in meinen geschlossenen Kellerverschlag? Wahrscheinlich ist er jemandem im Dunkeln heruntergefallen, und wurde dann versehentlich unter der Tür hindurch gekickt, dachte ich mir, stieg dabei zur Wohnung hinauf und entdeckte dabei, daß ich eine Büchse mit chinesischer Hühnersuppe erwischt hatte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga In der Wohnung angelangt, legte ich Tasche und Jacke ab, hängte letztere, die regennaß war, im Badezimmer auf einen Haken, stellte die Konserve in die Küche, legte den Schlüssel daneben und wandte mich dann dem Anrufbeantworter zu. Nichts. Das kleine Lämpchen blinkte nicht. Niemand hatte angerufen. Warum sollte jemand, resignierte ich. Ich bin langweilig, und niemand will etwas von mir wissen. Aufblickend sah ich mein Bild im Flurspiegel und musterte mich selbstkritisch. Wie sah ich nur aus mit dem breiten Gesicht, der großen Nase und den strähnigen Haaren! "Nein, warum sollte sich jemand für dich begeistern? Sehen so die aus, denen die Jungs nur so zu Füßen liegen?", tadelte ich mich und warf mir einen bösen Blick zu. "Du solltest endlich mal eine Diät durchhalten und dich etwas besser zurechtmachen." Ich riß mich von meinem eigenen unattraktiven Anblick los und trat in die Küche, um die Suppe - kalorienarm und vitaminreich - aufzuwärmen. Dabei fiel mein Blick wieder auf den Schlüssel, den ich einen Moment lang ganz vergessen hatte. Er lag harmlos und fehl am Platz neben der Konserve und schimmerte – wohl ein Reflex der Lampe auf dem Metall. Das Material des altertümlich geformten Schlüssels war kühl und glatt, und im Schein der Küchenlampe bemerkte ich fein darin eingravierte, hauchdünne und kunstvolle Zeichen, verschiedene geometrische Figuren und stilisierte Darstellungen einer Mondsichel in verschiedenen Stadien. "Was für ein seltsames Ding," sagte ich dabei zu mir selbst, legte den Schlüssel beiseite und kramte in der Schublade nach meinem Dosenöffner. "Wem hier im Haus könnte er wohl gehören?" Ich dachte nach, aber unter meinen zahlreichen Nachbarn - hauptsächlich älteren Ehepaaren, Rentnern und einer modisch und stilsicher eingerichteten Karrierefrau - fiel mir kein einziger ein, zu dem dieser sonderbar antik wirkende Schlüssel gepaßt hätte. Unter meinen unmittelbaren Kellernachbarn schon gar niemanden. Morgen gebe ich ihn beim Hausmeister ab, entschloß ich mich. Denn ich hatte keine Lust mehr, mich am späten Abend endlos lange mit dem redseligen alten Herrn über Politik und Probleme mit den Handwerkern zu unterhalten. Während die Suppe aufkochte, ließ ich mir ein heißes Badewasser ein, aß, während die Wanne sich füllte und versuchte anschließend, mich in einem Lavendel-Schaumbad zu entspannen. Praktisch denkend versuchte ich dabei, Stoff für die nächste Prüfung aufzunehmen und las in einer Taschenbuchabhandlung über mein Thema, das ein Dozent der Mediavistik mir nach einem bei sich bewährten und seit Studentengenerationen unverändert gebliebenem Raster zugeteilt hatte: Zauberglaube im Mittelalter, Alchemie, Schwarzkunst und Hexenverfolgungen. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Mir gefiel das Thema nicht besonders, zumal ich von all diesem abergläubischen Quatsch nichts hielt. Dennoch las ich pflichtbewußt, so lange bis das Badewasser merklich abgekühlt und meine Konzentration und Stimmung am Nullpunkt angekommen war. Immer noch hatte niemand angerufen und so wenigstens ein wenig Interesse an mir demonstriert. Ich wechselte also vom Bad in meinen Wohnraum, kuschelte mich in eine warme Wolldecke vor den Fernseher in die Couch und lenkte meine selbstmitleidigen Gedanken mit einem vermeintlich spannenden Kriminalfilm ab. Die Story spielte im Satanistenmillieu, und es wurde viel über Dämonen und Zauberei gesprochen. Ich fand die Handlung ziemlich albern und an den Haaren herbeigezogen. Dennoch schaute ich den Film bis zum Ende an. "Schwarze Magie," murmelte ich spät in der Nacht, "so ein Blödsinn. Wer denkt sich nur so etwas aus? Wie konnten die Menschen früher nur ernsthaft an so etwas glauben? Und was mutet das Fernsehen dem Publikum zu, einem so einen Schwachsinn auszustrahlen?" Ich schaltete mißmutig den Fernseher ab, und erhob mich, um ins Bett zu gehen. Dabei kam ich an der Küche vorbei, wo der Schlüssel immer noch auf der Anrichte lag und matt schimmerte. Ich nahm ihn nochmals zur Hand und betrachtete ihn, als ich zu Bett ging. Mit einem Mal erschienen mir die eingravierten Zeichen und die Form des Schlüssels geheimnisvoll und nicht nur dekorativ. Ob sie wohl irgendetwas zu bedeuten haben mochten? Du solltest nicht so gruselige Sendungen anschauen, schalt ich mich, legte den Schlüssel auf den Nachttisch und knipste meine Leselampe aus. Doch eigentlich war ich überhaupt nicht müde. Nur enttäuscht und deprimiert über mein ödes Leben und voller Verachtung für mich selbst.
*
Als es mir endlich gelang, für einen Moment einzuschlafen, hatte ich einen beängstigenden Traum. Mir war, als stünde ich in einem grauen, leeren Raum ohne oben und unten, aber alles war unklar und verschwommen. Ich fror, und Beklemmung umgab mich. Eine unbestimmte Angst und Unbehagen beherrschten mich, und ich spürte Panik in mir aufsteigen, langsam und unerbittlich. Da leuchtete irgendwo hinter mir ein Lichtstrahl auf, hell und funkelnd, durchschnitt das Graue um mich herum. Ich drehte mich um, sah aber keine Lichtquelle, nur den Strahl. Dann wandte ich mich wieder zurück und erschrak zutiefst, denn vor mir im Leeren befand sich etwas, etwas Großes, Schwarzes und Nebelhaftes.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich war unfähig, mich zu bewegen und mußte dieses dunkle Etwas einfach anstarren. Und feststellen, daß es ein Schatten war, ein tiefschwarzer Schatten - die Silhouette eines Menschen. "Wer sind Sie?", fragte ich endlich mit bebender Stimme, "Was wollen Sie?" Einen Moment lang geschah gar nichts. Dann jedoch antwortete mir eine Stimme, eine sonore, klare und jung wirkende Männerstimme, aus der Verzweiflung zu klingen schien. "Nutze den Schlüssel," flehte die Stimme, "und zerbrich das Gold!" Ich begriff nicht. "Den Schlüssel? Etwa den alten Schlüssel aus dem Keller? Aber wozu? Und welches Gold?" "Nutze den Schlüssel," wiederholte die Stimme des Schattens. "Ja," antwortete ich verwirrt, "aber wie? Wer sind Sie?" Doch die Stimme schwieg. Aber dort, wo das Gesicht des Schattens sein mußte, glühten plötzlich silberne Augen auf. Ich erwachte durch meinen eigenen Aufschrei und fand mich nicht sofort zurecht. Der Raum war völlig finster, nur die Leuchtziffern meines Weckers waren zu sehen und teilten mir mit, daß es kurz nach zwei Uhr nachts war. Ich tastete nach der Nachttischlampe, knipste das Licht an und griff dann nach dem Schlüssel, den ich dort abgelegt hatte. Ich zögerte. Wie sollte ein solcher Schlüssel unter das Gerümpel im Keller geraten sein? Und wieso beschäftigte dieses nutzlose, weil zu keinem Schloß passende Ding mich so sehr, daß ich nun schon davon träumte? Eben weil es nutzlos ist, wisperte eine innere Stimme. Eben weil es definitiv im Keller nichts zu suchen hat, ohne ein passendes Schloß in seiner Nähe. Ich legte den Schlüssel weg und machte das Licht wieder aus. Zu dumm -- nun beschäftigte mich das alte Ding schon so sehr, daß ich darüber nachgrübelte, anstatt zu schlafen. Ich versuchte, wieder einzuschlafen, aber das mißlang gründlich, da mir der silberäugige Schatten nicht mehr aus dem Kopf ging. Der Traum war sonderbar gewesen -- es hatte sich alles auf eine seltsame Weise so real angefühlt, daß ich mir nicht sicher war, ob ich in diesem Moment nicht wach gewesen war -- trotz der völlig irrealen Umgebung. Als ich schließlich doch noch zurück in den Schlaf fand, blieb dieser traumlos.
*
Am nächsten Morgen weckte mich die Stimme eines Radiosprechers mit den neuesten Nachrichten, die ich nicht mit voller Aufmerksamkeit wahrnehmen konnte. Müde erhob ich mich aus dem Bett, stellte mit einem Blick aus dem Fenster fest, daß immer noch das graue Regenwetter herrschte und nach wie http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga vor steter Nieselregen auf die grauen Straßen fiel. Der erste morgendliche Autoverkehr fuhr unter meinem Fenster vorbei, und das ewige Tönen der Straßengeräusche rauschte in meinen Ohren. Samstagmorgen, dachte ich, und wieder beginnt ein öder neuer Tag. Ich schlurfte in die Küche, setzte die Kaffeemaschine in Gang und holte mir, mich seufzend an meine Diätpläne erinnernd, einen Becher Yoghurt aus dem Kühlschrank. Lustlos nahm ich so mein Frühstück ein und blätterte dabei zerstreut in einer Illustrierten, lauschte mit einem Ohr dem Radioprogramm. In der Zeitung wurde reißerisch über die Vorhersage eines Hellsehers in New York berichtet, der angeblich den Tod einer prominenten Persönlichkeit richtig prophezeit hatte. Das Radio informierte mich über den neuesten Tratsch aus dem Showbiz. „Hier ist City Radio eins mit den neuesten Nachrichten,“ teilte mir der Moderator mit unerträglicher Fröhlichkeit mit. „Es ist sieben Uhr fünfundvierzig, viertel vor acht, und es ist wieder allerlei los gewesen gestern bei der Filmfestspielen. Regisseur Scott Walter wurde mit dem Preis für die beste Literaturverfilmung für „Merlin und Morgana“ ausgezeichnet. In seiner Laudatio sagte der berühmte Schauspieler...“ Ich hörte nicht weiter hin. Wieso war ich dazu verdammt, mich hier in dieser häßlichen Stadt allein zu Tode zu langweilen, wenn alle anderen mit ihren Freunden unterwegs zu irgendwelchen Parties oder ins Kino waren und sich amüsierten? War ich denn wirklich so uninteressant und häßlich, daß ich als Einzige übrigblieb? Der Traum fiel mir ein. "Nutze den Schlüssel, " sagte ich leise. "Aber da war doch noch etwas?" Ich versuchte, mich zu erinnern, aber mir fiel es nicht mehr ein. Ich holte mir den Schlüssel in die Küche, betrachtete verständnislos die Zeichen und die Form und zögerte. "Nutze den Schlüssel -- wozu? Wo ist das Schloß, das dazu gehört? Vielleicht doch im Keller? Dort, wo der Schlüssel lag?" Ich stellte die halbvolle Kaffeetasse auf den Tisch, ging ins Bad, um mich anzukleiden, und stieg dann, den Schlüssel in der Hand, wieder die Treppe zum Keller hinab. Der Hausmeister stand unten in der Haustür und hatte den Postboten in ein Gespräch verwickelt. Der junge Zusteller unternahm vorsichtige Versuche, sich zu entfernen, aber der Hausmeister redete unerbittlich ohne Punkt und Komma und lobte die guten alten Zeiten, in denen die Post noch pünktlich und die Briefmarken noch das Doppelte wert waren. "Post für mich?", fragte ich beim Näherkommen. "Leider nicht," antwortete der Briefträger und lächelte mir dankbar zu. "Das ist aber schade," mischte sich der Hausmeister ein und wandte sich mir zu, "gar keine Liebesbriefe heute?" http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Als ob mir jemand Liebesbriefe schreiben würde, dachte ich grimmig, lächelte aber höflich. "Leider nicht," antwortete ich ihm und bemerkte belustigt, wie der Briefträger die Ablenkung nutzte, um sich unbemerkt am Hausmeister vorbei zu verkrümeln. "Früher war das anders," begann der Hausmeister, "früher, da ..." "Entschuldigen Sie," unterbrach ich ihn, bevor er eine neue Dauerrede beginnen konnte, "ich habe im Keller diesen Schlüssel gefunden. Gehört er wohl zu einer Tür hier im Haus?" Ich zeigte ihm den Schlüssel, und er betrachtete ihn interessiert. "Hochwertige Schmiedearbeit," begeisterte er sich fachkundig, "so etwas wird heute gar nicht mehr hergestellt. Aber zu einer Kellertür gehört er nicht. Da sind moderne Sicherheitsschlösser in den Stahltüren, und vor den Verschlägen nur normale Vorhängeschlösser." Einen Moment lang zögerte ich, ob ich ihm den Schlüssel aushändigen sollte... Nein! ... aber eine plötzliche Eingebung ließ mich mich dagegen entscheiden. "Danke," sagte ich und schickte mich an, an ihm vorbei in den Keller zu gehen, "dann frage ich nachher meine Kellernachbarn." Der Hausmeister wollte weiterreden, aber im selben Moment öffnete sich weiter oben im Haus seine Wohnungstür, und die energische Stimme seiner Frau forderte ihn auf, hinaufzukommen, er würde am Telefon verlangt. Nachdem das Schicksal so ein Einsehen mit mir gehabt hatte, lief ich rasch in den Keller hinunter, der nun im grauen Tageslicht, das durch die kleinen Fensternischen fiel, etwas besser beleuchtet war. Und so stand ich schließlich vom meinem Verschlag. Und ringsum keine Tür, zu der der Schlüssel gepaßt hätte. Aber dennoch überkam mich mit einem Male der unwiderstehliche Zwang, irgendeine Tür zu öffnen. "Vielleicht paßt der Schlüssel nicht zu einer Tür," sagte ich zu mir, "aber das heißt nicht, daß er in kein Schloß paßt!" Nutze den Schlüssel, nutze, nutze... Ich tastete, ohne so recht zu wissen, warum, nach dem Vorhängeschloß meines Verschlages und näherte ihm den Schlüssel. Warum tue ich das? fragte ich mich im selben Moment und begriff mit größter Verwirrung, daß es wie ein innerer Zwang über mich kam... ... komm, komm, du mußt uns helfen, du hast den Schlüssel, du kannst... ...jetzt und gerade jetzt diese Tür aufschließen zu müssen. Es war keinerlei Rationalität hinter dieser Handlung, nur der zwanghafte Wunsch, den Schlüssel zu nutzen. ... Du hast die Macht, ich habe nach dir gerufen, hilf...
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich versuchte, innezuhalten, aber meine Hand und mein Wille gehorchten mir nicht mehr. Der Schlüssel schien in meiner Hand aufzuglühen, als er problemlos in das Schloß glitt. Das Vorhängeschloß sprang mit einem leisen Laut auf, und die Tür schwang auf. ...Tritt ein, komm zu mir, du kannst helfen, mir helfen... Und vor mir lag ein weiter Saal, der nichts mit meinem Vorratsregal zu tun hatte. Ich erschrak bis in die Tiefe meiner Seele, aber gleichzeitig zog irgendetwas mich voran, hinein in den Saal wie ein mächtiger Sog. Ich war entsetzt, kreischte schrill und verlor die Besinnung. *
Als ich wieder zu mir kam, lag ich in dem Saal auf dem Boden. Ich entsann mich, sprang auf und schaute mich um. Die Kellertür war fort. Ich träume, war mir sofort klar, das muß ein irrer Traum sein. Ich wache gleich auf. Aber wo bin ich hier? Ich erhob mich, sicher, zu träumen. Daher begann ich, mich umzusehen, den Traum zu erforschen. Seltsam milchiges und trübes Licht floß durch schmale Fenster hoch oben in den Wänden in den Raum, erhellte ihn etwas, gab ihm aber gleichzeitig etwas sonderbar schmutziges und unbestimmtes. Alles war von Staub bedeckt, grauem Staub, so als sei der Saal schon seit ewigen Zeiten nicht betreten worden. Zögernd setzte ich meinen Weg fort und trat in den gewaltigen Raum ein. Der Staub bedeckte alles, die Wände aus glattem Stein, auf denen ich nicht eine einzige Mauerfuge sah, dafür aber zahlreiche kleine und größere Unebenheiten, die ich mir nicht erklären konnte. Ich zögerte kurz, dann fuhr ich sacht mit der Hand über die Wand, streifte den Staub ab -- und legte auf diese Weise mehrere, nahtlos in die Mauer eingefaßte blitzende Steine frei, die wie facettenreich geschliffenes Glas oder womöglich sogar Edelsteine aussahen. Vom Staub befreit, ging ein kurzer, bunt schillernder Lichtreflex von ihnen aus -- und erstarb mitten im schmutzigen Tageslicht. Der zurückbleibende Stein stak farblos und kalt in der Wand, die unter dem Staub matt schwarz und glatt war. Mir wurde klar, daß die gesamte Wand des Saales übersät sein mußte von diesen glitzernden Steinen, und ich fragte mich, wie prächtig ihr Schimmern wohl unter dem Staub sein würde, wenn anderes, kräftigeres Licht den Saal erhellte. Außer den Wänden gab es nicht viel zu sehen in der verstaubten Halle. Keine Möbel, kein Zierrat, nicht einmal Verzierungen an den Wänden gab es. Die http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Halle war ganz einfach kuppelförmig und oval, mit diesen sonderbaren schmalen Fenstern hoch oben, die am Hochpunkt der Decke zusammenliefen und etwa in deren Mittelpunkt eine kreisförmige Öffnung aussparten, durch die nun eine Säule grauen Lichtes einfiel , in der Staubkörnchen flirrten, die ich mit meinen Schritten aufgewirbelt hatte. Und genau unter dieser Säule stand der einzige Gegenstand , der sich in der Halle befand und dessen Rückseite ich sah. Es war die steinerne, dreieckförmige Rückenlehne einer Art Thron aus glänzend schwarzem Stein. Wie eine Kathedrale, dachte ich ehrfürchtig. Der staubige Raum hatte etwas Ehrfurchtgebietendes, Würdevolles, und ich hätte mich gescheut, hier laut zu sprechen oder Lärm zu machen. Aber es gab keine Anzeichen von religiösen Symbolen, weshalb ich mir sicher war, nicht in einer verlassenen Kirche zu stehen. Ich zögerte, denn etwas an dem Thron schien anders zu sein als im Rest der Halle, und ich bemerkte, daß er als einziges Ding nicht vom Staub verkrustet war. Mein Interesse war geweckt. Ermutigt dadurch, daß sich niemand außer mir in diesem seltsamen Gebäude zu befinden schien, in dieser verlassenen, verstaubten und totenstillen Halle, trat ich neugierig auf den Thron zu und ging um ihn herum, begierig zu wissen, ob auch er so reich verziert war, ob vielleicht eine Inschrift Aufschluß über diesen geheimnisvollen Ort gab. Zumindest wollte ich wissen, wohin mich dieser Traum geführt hatte, bevor ich aufwachen und ihn wieder vergessen würde. Die dicke Staubschicht auf dem Boden dämpfte meine Schritte, und beinahe lautlos trat ich an den Thron heran -- um mit einem erschrockenen Aufschrei die ewige Stille der Halle zu zerstören. Denn da saß jemand. Zumindest glaubte ich dies im ersten Moment, als ich eine Gestalt erkannte, und stolperte hastig zurück. Doch als von der Gestalt keine Regung ausging, blickte ich genauer hin, und erkannte zu meiner Erleichterung, daß es sich bei der Gestalt um eine Statue handelte, um eine Statue aus schwarzem Obsidian oder Onyx. Ich atmete auf und betrachtete die Skulptur nun genauer, die - ebenso wie der Thron - nicht vom Staub bedeckt war. Und ich staunte. Es war das lebensgroße Bildnis eines jungen Mannes -- und der Künstler, der es geformt hatte, mußte ein Künstler von unerreichter Kreativität sein. Denn die Figur war perfekt und wirkte völlig lebensecht. Jede Falte in ihrer Kleidung fiel locker und fließend - sie trug ein elegantes, mittelalterlich wirkendes Männergewand mit enganliegendem Hemd und Hose, aber weitgeschnittenen Ärmeln und einen Mantel um die Schultern sowie einen breitkrempigen Hut -- jeder ihrer Gesichtszüge und die feinen Gliedmaßen der Hände waren detailgetreu und liebevoll ausgeführt, ja, sogar das lange, etwas lockige Haar der Figur schien Strähne für Strähne einzeln gearbeitet http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga zu sein. Noch beeindruckender als die reine Gestalt der Statue erschien mir jedoch die Pose, die Bewegung, in der man sie dargestellt hatte. Denn die war neben ihrer unglaublichen Lebendigkeit mehr als ungewöhnlich. Der Körper des steinernen Mannes schien sich heftig aufzubäumen, während seine Hände sich um die Lehnen des Thrones krampften. Seine Beine und Füße stemmten sich gegen den Boden, sein Oberkörper schien sich heftig aufrichten zu wollen. Ich trat vor die Figur hin und versuchte, in ihr Gesicht zu blicken, ein Gesicht aus kaltem schwarzen Stein. Obwohl die Miene des jungen Mannes in einem Ausdruck maßloser Panik dargestellt war, gefiel mir sein Gesicht sofort. Es war ein schmales, jungenhaftes Gesicht mit feinen Zügen und großen, lebendigen Augen. Aus diesen Augen schien Zorn und Verwunderung, aber auch Angst zu sprechen, seine Lippen waren leicht geöffnet, so als wollte er etwas sagen . Aber der Stein war stumm und leblos. Während ich mich fragte, warum der Bildhauer eine so sonderbare Figur an diesem düsteren Ort aufgestellt haben mochte, bemerkte ich noch etwas an ihr, was mir aufgrund der seltsamen Haltung der Statue einerseits, andererseits durch das dreckige Licht nicht sofort aufgefallen war. Um den schlanken Hals der Figur lag ein schmales Halsband, ein enger Ring. Dieser war aus purem, matt schimmernden Gold. Gold, dachte ich, zerbrich das Gold. Wie sonderbar. Wirklich, ein seltsamer Traum. Ich staunte . Warum wohl hatte man die Statue nachträglich mit einem so kostbaren Ding versehen? Was war das für ein sonderbares Ding, was zwar aus edelstem Metall, aber doch offensichtlich kaum ein Schmuckstück war? Mach schon, nimm es weg... Es reizte mich, das Gold zu berühren, ich streckte meine Hand danach aus und tastete nach dem Reifen. Entferne, entferne, es tut so weh, fort damit... Fast unhörbar schabte der Ring über den Stein, als ich danach griff und ihn ein wenig drehte. Zu meiner Überraschung fand ich eine Art Verschluß an dem Reifen, und so versuchte ich, ihn zu lösen. Es ging leichter, als ich dachte. Der Verschluß öffnete sich, der Reifen sprang auf und glitt vom Hals der Figur, fiel klirrend zu Boden und rutschte die wenigen Stufen des Thrones hinab. Dabei machte sein Scheppern einen Krach, als wäre eine Ladung Altmetall umgekippt. Erschrocken lief ich dem Reifen hinterher, und ein ungutes Gefühl überkam mich. Mir war, als hätte ich eine unerlaubte Veränderung an dem Kunstwerk vorgenommen, und ich war froh, daß niemand mich dabei beobachtet hatte. Ich bückte mich nach dem Reifen und hob ihn aus dem Staub auf, während ich der Statue den Rücken zukehrte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Kaum jedoch hatte ich mich wieder aufgerichtet, ließ mich ein Geräusch herumfahren. Ein heißer Schreck durchfuhr mich, die ich keinen Laut in der Stille der Halle vermutet hatte, außer denen, die ich selber erzeugte. Und noch viel weniger hätte ich mit dem gerechnet, was ich sah. Die Statue war aus dem Thron hochgeschnellt, stand achtunggebietend hoch aufgerichtet da, atmete heftig und blickte sich verwirrt um. Und war nicht mehr aus Stein. Alle Gewänder, die sie am Körper trug, waren nach wie vor schwarz, aber sie schimmerten seidig . Das üppige Haar glänzte nachtschwarz , und die großen Augen waren so dunkel und glänzend, daß sie fast schwarz erschienen. Aber ihr Gesicht und ihre Hände hatten nun die Farbe sonnengebräunter Haut. Desorientiert und hektisch blickte der junge Mann sich um. Dann fiel sein schwarzer Blick auf mich und den Reifen in meiner Hand. Mißtrauen bildete sich auf seiner Miene. Und ich starrte ihn entgeistert an. "Gehörst du zu ihnen?," fragte er dann mit mühsam gezügelter Erregung. „Hat er eine Gehilfin mitgebracht?“ Wen auch immer er meinte, ich war mir sicher, daß ich nicht gemeint war. Ich schüttelte den Kopf. "Was hast du dann mit dem Gold vor?", fragte er weiter, wachsam auf den Reifen schauend. "Ich .. ich habe es mir angeschaut," erklärte ich stammelnd. Er hob in einer unbeschreiblichen Mischung aus Verwunderung, Unglauben und Belustigung die Brauen und schien sich ein wenig zu entspannen. "Ich ... es tut mir leid, daß ich es fortgenommen habe," stotterte ich hilflos, "ich wollte nichts beschädigen. Es ist runtergefallen, und ..." Nun lächelte er, und der Zorn schwand aus seiner Erscheinung. Ohne den Blick von mir zu wenden, ließ er sich wieder auf seinem Thron nieder, nun aber in einer lässigen und ruhigen Haltung. "Zerbrich es," forderte er. Ich verstand nicht. "Zerbrechen?" Er nickte. "Wenn du nicht zu ihnen gehörst und in Freundschaft kommst, mach es kaputt. Zerbrich das Scharnier, das die Hälften verbindet." Ich packte die Enden des Reifens fest an und zog und zerrte mit aller Kraft daran., obwohl ich nicht sicher war, ob ich ihm gehorchen sollte. Es gelang mir endlich, den Reifen zu verbiegen , und schließlich splitterte auch das feine Scharnier. Der junge Mann, der gerade noch ein Stein gewesen war, verfolgte meine Bemühungen mit amüsierten, aber dennoch beunruhigten Blicken. Als das Gold zerbrach, schien er jedoch aufzuatmen und lehnte sich zurück. Ich blickte verwirrt zu ihm auf. Ich wußte nicht, wie ich mich verhalten sollte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Warum sollte ich so etwas Kostbares zerstören?," fragte ich leise. "Es mag kostbar gewesen sein," antwortete er sanft, "aber es war ein Werkzeug der Gewalt. Das Material erhöht nicht den Zweck." Ich wußte nicht so recht, wohin mit dem Gold . Vorerst legte ich die beiden Hälften des Reifens auf den Boden. Der junge Mann lächelte und forderte mich mit einer galanten Geste auf, näher zu kommen. Ich ging einige Schritte auf ihn zu. Er musterte mich von Kopf bis Fuß, was mir ziemlich peinlich war. Plötzlich wünschte ich mir, wenigstens etwas Schickes angezogen zu haben und mir ging auf, daß ich eigentlich dringend eine neue Frisur brauchte. Ich schämte mich meines Anblicks, und erst als ich darüber nachdachte, was mich so verunsicherte, während ich von ihm angeschaut wurde, begriff ich. Er war so... so gutaussehend, so charismatisch. Und ich wünschte mir in diesem Moment nichts sehnlicher, als ihm zu gefallen. "Wer bist du?," fragte ich scheu. "Und wo bin ich hier?" Er warf mir einen forschenden Blick zu, musterte mich einen Moment skeptisch und antwortete dann höflich: "Dies ist der Palast des Lebendigen Lichtes. Ich bin der letzte Schüler des Meisters Askyn vom Schwarzen See. Mein Name ist Yalomiro." Ich blickte mich verdutzt um. Einen Palast des Lichtes hätte ich mir anders vorgestellt, und das Licht hier war schmutzig und grau. Es wollte sich keine Ehrfurcht vor diesem Ort einstellen. „Palast des Lebendigen Lichtes?“, fragte ich einfältig. „Ist das eine Sekte oder...“ "Hast du eine Tür benutzt oder kamst du von draußen?", fragte er dann. Ohne daß mir das Seltsame dieser Frage bewußt wurde, antwortete ich automatisch. "Ich habe einen Schlüssel im Keller gefunden," erklärte ich. "Und der Schlüssel paßte zufällig ins Schloß meiner Kellertür --- und als ich die Tür aufschloß, war ich plötzlich hier." "Und wo ist der Schlüssel jetzt?," fragte er interessiert. "Ich ließ ihn im Schloß," gab ich zu, und hatte ein schlechtes Gewissen deshalb, ohne zu wissen, warum. Der Mann, der sich mir als Yalomiro vorgestellt hatte – was war das eigentlich für ein verrückter Name? - hob mit einer bedauernden Geste die Hände. "Ich hatte damals gehofft, daß der Weltenschlüssel mir Hilfe senden würde," sagte er. "Aber sei unbesorgt -- sein Zauber wirkt nur ein einziges Mal. Er wird niemanden mehr aus deiner Welt herbringen -- er dient jetzt nur noch deiner Kellertür. Ich habe gehofft, daß mein Traum in die Nähe des Schlüssels finden würde." Er erhob sich, seufzte und sah sich in der Halle um. "Aus meiner Welt?", fragte ich, und mir wurde schwindelig, als ich den Sinn dieser Worte erfaßte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Er wandte sich mir zu, sah mich schwanken und trat eilig hinzu, um mich zu stützen. Als er mich berührte, überwogte mich für eine Sekunde eine angenehme Wärme. "Setz dich," forderte er mich auf und bot mir den Thron an. Dann aber schien er zu stutzen, runzelte die Brauen und berührte meine Stirn, als wolle er fühlen, ob ich fieberte. Ich blickte unsicher zu ihm auf, und seine Augen weiteten sich erschrocken. "Du bist eine Unkundige?", fragte er, und Entsetzen klang in seiner Stimme. Ich wußte nicht, darauf zu antworten. „Ich ... ich verstehe gar nichts mehr,“ bestätigte ich dann lahm. "Du armes, unwissendes Wesen", sagte er mit anteilnehmender Stimme. "Nun begreife ich, wie verwirrt und hilflos du sein mußt. Dies ist ein Ort, den du nicht verstehen kannst." "Das hier ist also gar kein verrückter Traum?," fragte ich ziemlich dämlich, und wartete darauf, daß das Team von der „Versteckten Kamera“ endlich aufkreuzen mochte, "das hier ist -- sowas wie eine andere Dimension? Das -- das kann es doch gar nicht geben! Das ist doch alles – Fantasy
-- wie im Märchen!"
Ich sank zusammen und bemühte mich, meine Gedanken zu ordnen. Aber in meinem Kopf herrschte wildes Chaos. Yalomiro beobachtete mich eine Weile mit fassungslos-verwirrtem Blick. Meine Reaktion schien ihn zu bestürzen. "Du hattest doch meinen Traum geteilt," sagte er dann leise. "Wie ist dir das gelungen, wenn du unkundig bist? Wie konntest du den Schlüssel finden und benutzen, wenn ... wenn du keine mächtige Zauberin bist?" Mir fiel keine Antwort darauf ein. Aber der Ernst, mit dem er sprach, machte mir eines gnadenlos klar: er scherzte nicht, und er war auch nicht verrückt. Er meinte all dieses Gerede von einer anderen Welt und Zauberei vollkommen ernst. „Ich... ich will hier raus,“ wisperte ich sinnlos. Und begann, zu schluchzen. Er schaute mir einige Zeit lang beim Weinen zu, ohne Anstalten zu machen, mich zu beruhigen. Er schien vielmehr seltsam fasziniert und interessiert an meinen Tränen zu sein, so als beobachte er ein seltenes Schauspiel. Aber als er begriff, daß ich unglücklich war, räusperte er sich und ich versuchte, mich zusammenzureißen. "Kannst du mir zuhören?," fragte er nach einiger Zeit. Ich nickte und verwünschte die Verwirrung und Angst, die sich erst jetzt lösten, gegen meine Überraschung durchsetzten, und schämte mich, zu weinen. "Du bist eine Unkundige," begann er sanft. "Ich habe es erst gespürt, als ich dich berührte. Ich hatte angenommen, daß du ein Kundiger seist, wie ich einer bin. Denn du warst entweder aus dem Silbernen Wald gekommen, an ihm http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga vorbei -- oder mit dem Schlüssel, meinem Ruf folgend. Und ich habe nicht gewollt, daß der magische Weltenschlüssel durch Zufall von einem ... einem Menschen benutzt wird. Ich habe nicht erwartet, daß ein unkundiger Mensch ihn überhaupt benutzen kann." Ich blickte ihn durch Tränen an. "Du bist – also kein Mensch?" Yalomiro lachte leise. "Doch, ujora. Ich bin eine lebendige Seele in einem Menschenkörper. Aber ich verfüge über Kräfte, die die eines unkundigen Menschen übersteigen. Ich bin etwas, das ihr Unkundigen einen Magier nennt. Und meine Magie grenzt mich aus aus der Welt der Unkundigen." Ich schluckte. "Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten", fuhr er sanft fort. "Ich kann mit Unkundigen umgehen. Zumindest werde ich mir Mühe geben. Es ist so lange her, seit ich zuletzt mit deinesgleichen verkehrte, aber es wird schon gehen. Keine Angst, es wird dir in dieser Welt nichts geschehen. Und wir werden einen Weg finden, um dich wieder in deine Welt zu bringen. Du hast mich erlöst, indem du das Gold weggenommen hast. Und ich bin dir dafür dankbar." Ich zitterte und fühlte gleichzeitig dieses warme, beruhigende Etwas, das von ihm ausging. "Warum," brachte ich mühsam hervor, "warum warst du versteinert?" Denn das war er gewesen – er hatte sich von einer Steinfigur in einen Menschen verwandelt. Das ließ sich einfach nicht leugnen oder mit einem Illusionistentrick erklären. Es war absurd und sinnlos, und daher um so glaubhafter. Yalomiros Blick wurde hart. "Er wollte den Mondstrahl an sich reißen," sagte er rätselhaft, "aber nur ich weiß, wo er ist. Er wollte es erfahren, mit allen Mitteln. Er tötete meinen Meister. Sie versuchte, mich zu verführen. Ich widerstand ihr. Sie kamen schließlich beide über mich und er versuchte, mich zum Reden zu bringen. Ich widerstand seiner gräßlichen Magie, wie ich ihrer Verführung und Falschheit widerstand. Und als sie sahen, daß ich schwieg, sperrten sie mich in den Stein. Denn töten konnten sie mich nicht, solange ich das Geheimnis barg." Er hielt inne und blickte mich an. Seine Worte erklärten mir nichts -- nur, daß er Feinde hatte, die mächtiger waren als er. "Du trägst Gold an deiner Hand," sagte er plötzlich unvermittelt. Ich blickte auf meine rechte Hand und einen schmalen, goldenen Schmuckring , an den ich mich so gewöhnt hatte, daß ich kaum noch daran dachte. "Würdest du den Ring bitte wegnehmen?," bat er. Ich streifte den Ring ab und steckte ihn in die Tasche meines Rockes. "Warum," fragte ich dennoch. Yalomiro verfolgte, wie ich den Ring verbarg und nickte dankbar, "Das mußt du wissen," erklärte er. "Es ist die einzige Schwäche, die meine Magie hat. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich kann die Berührung von Gold nicht ertragen. Es bereitet mir Schmerzen, und es hindert mich daran, meine Kräfte zu nutzen." Ich verstand. "Daher das goldene Halsband? Jemand hat dich versteinert und dann das Halsband angelegt?" Yalomiro lächelte. "So konnte ich mich nicht selbst aus dem Stein befreien. Steine sind nicht unbeseelt -- sie schlafen nur. Es ist ein sonderbares Gefühl, ein Stein zu sein ... es ist wie in den Momenten, in denen der Schlaf dem Tod am nächsten ist, und nur ein winziger Rest von Bewußtsein daran hindert, ganz hinüber zu gleiten. Und dieser Funken von Bewußtsein, der war immer in der Statue. Du hast ihn erweckt, als du das Gold fortnahmst." Ich dachte nach und wischte mir die letzten Tränen aus dem Gesicht. "Wer sind sie?," fragte ich. Yalomiro schüttelte den Kopf. "Der goala’ay und die Königin. Ich mag nicht an sie denken. Und vielleicht ist das auch nicht mehr nötig. Ich sehe, daß viel Zeit vergangen ist -- womöglich ein paar Jahrzehnte. Sie wird eine Greisin sein, in der Zwischenzeit ... oder sie ist tot. Und er... wenn er sterblich ist, dann könnten wir eine Chance haben, falls er hinter die Träume gegangen ist. Aber die goala’ay... ich weiß nicht, wie der Tod mit ihnen umgeht. Sie sind seine Diener, so hat man es mich gelehrt. Wenn das so ist, muß ich mich auf den Weg machen, um den Mondstrahl aus seinem Versteck zu holen und diesem Saal hier wieder das Licht zurück zu geben. Und mit der Kraft, die der Mondstrahl dem Saal geben wird, finden wir einen Heimweg für dich." Ich blickte mich in der Halle um. Das scheußliche graue Licht überzog die Staubschicht mit einem schimmeligen Farbton. "Wie wird es dann sein?," fragte ich leise. „Ich meine – hier drin?“ Yalomiro schloß die Augen . "Dunkel," sagte er, "dunkel und warm. Und das Lebendige Licht der Sterne und des Mondes werden dem Gestürzten Stern Leben verleihen, und sein Licht und seine Farben geben uns die Kraft, die uns erhält." Ich schaute ihn befremdet an und er lachte leise. Dann beschrieb er mit einer weit ausholenden Geste einen Bogen in die Luft und summte zwei, drei Töne. Um mich herum war Dunkel, eine feierliche Stille und eine angenehme Wärme. Und im Dunkel glommen überall funkelnde Lichter, in tausendfachem Farbenspiel, warfen blitzende Strahlen in die Schwärze, reflektierten an anderer Stelle und kehrten vielfach gespiegelt zurück. Bizarre Muster bildeten sich so im Dunkel und verloschen gleich wieder. Ein wunderschönes Schauspiel war es -- und plötzlich war da noch etwas anderes, ein leises und fernes Klingen, wie filligrane Musik. Ich begriff, daß ich die Farben und das Licht hörte! http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Und Yalomiro stand neben mir, blickte unverwandt zu mir hinüber. Seine Miene war ernst und abwartend. Ebenso schnell, wie es gekommen war, verschwand das schillernde Dunkel wieder, und das schmutzige Tageslicht umgab uns. "Das war nur ein Bild aus meiner Erinnerung," sagte er entschuldigend. "Ich habe leider nicht die Macht, das, was hier geschehen ist, mit meinen bescheidenen Kräften zu reparieren. Dazu brauche ich das Licht selbst -und die Hilfe derer, die so sind wie ich." Ich versuchte, ihm zuzulächeln. "Ich verstehe." Yalomiro schaute sich im Saal um und griff dann nach einer sehr verstaubten Tasche, die auf der anderen Seite des Thrones im Schmutz gelegen hatte. Er klopfte den gröbsten Dreck fort und hängte sie sich dann über die Schulter. "Laß uns gehen," sagte er, "laß uns die anderen suchen." Yalomiro bot mir galant seinen Arm an, um mich zu führen. Aber ich schämte mich und lehnte seine Führung ab. Er akzeptierte das mit einer knappen Geste und wandte sich dann der
breiteren Rundung des Saales zu, der
Richtung, der der, aus der ich gekommen war, entgegen gesetzt lag. Ich wunderte mich, da es dort keine Tür zu sehen gab. Aber ich entschloß mich, mich allem zu fügen, was Yalomiro tat. Das hier war seine Welt -- und was mich betraf, so würde ich mich wohl für die nächste Zeit mit solchen Dingen abfinden müssen. Beim Näherkommen entdeckte ich, daß zwar keine Tür in der Wand zu finden war, dafür aber eine schmale Treppe hinab führte, der Ausgang des Saales somit wohl durch einen Tunnel zu erreichen war. Also folgte ich Yalomiro in die Tiefe. Erstaunlich weit führte die Treppe herunter -- aber dennoch wurde es nicht völlig finster, das milchige, schmutzige Licht hatte sich wie Nebel auch in diesem Gang festgesetzt, obwohl es keinerlei Einfallquelle gab. Ich schauderte und fragte mich, ob es sich bei dem Grauen im Tunnel wohl wirklich um Licht handeln mochte. Ich wunderte mich über die Selbstverständlichkeit, mit der Yalomiro sich bewegte und all das Sonderbare akzeptierte, beschloß aber, meine Neugier zumindest so lange zu zügeln, bis wir im Freien sein würden. Und tatsächlich, Yalomiro beschleunigte seine Schritte beträchtlich. Ich hatte Mühe, ihm durch den grauen Lichtnebel zu folgen. Am Ende des Dunstes erschien nach kurzer Zeit eine große Tür aus massivem, dunklen Holz, die Yalomiro öffnete, indem er sacht mit der Hand dagegen drückte, denn die Tür hatte weder Knauf noch Klinke. Sie schwang auf und gab die Sicht ins Freie preis. Es bot sich mir ein Anblick, den ich mein Leben lang nicht vergessen sollte.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Dort draußen vor der Tür war eine einzige graue Einöde. So weit das Auge blicken konnte, ragten schmale und unregelmäßig geformte Säulen meterhoch in einen trüben, diesigen Himmel. Der Erdboden stieg dabei in Blickrichtung sacht an und berührte in weiter Ferne den Horizont. Und er war grau und kahl, wie spröde aufgeplatzter trockener Lehm. Keine Pflanze, kein grünes Blatt war zu sehen, und keine andere Farbe außer grau, alles grau in feinen Schattierungen. Der junge Mann trat hinter mir aus dem Haus und erstarrte mitten im Schritt, als er seiner Umwelt gewahr wurde. Dann riß er sich los, rannte ins Freie auf die Säulen zu, blieb bei der nächstliegenden stehen und streckte die Hand danach aus, zögerte aber, sie zu berühren. Ich folgte ihm, unsicher, was ich tun sollte. "Dunkelheit, Mächte - meine Bäume," hörte ich ihn dann tonlos sagen, und seine Fingerspitzen berührten so vorsichtig die Oberfläche der Säule, als fürchtete er, sie sei glühendheiß. Ich blickte nach oben und erkannte überrascht, daß das, was ich für Steinpfeiler gehalten hatte, rauh und knorrig war, wie Rinde. "Deine Bäume?", fragte ich staunend. Er nickte, ohne sich umzudrehen, und sank in sich zusammen. „Das ist Euer Werk,“ murmelte er. „Ihr habt gemordet, wo es Euch gelang, Meister...“ Ich blickte auf die seltsamen Gebilde, die sich bis in kilometerweite Entfernung erstreckten und konnte den Gedanken nicht erfassen. Wenn dies hier Baumstämme waren - oder vielmehr das, was davon geblieben war, mußte es sich um ein gewaltiges Waldgebiet gehandelt haben. "Was ist geschehen?," fragte ich scheu, "ein Waldbrand?" Er antwortete nicht, blieb weiterhin kraftlos stehen und streichelte wortlos und mit beherrschter Erregung den grauen Baumstamm. „Ich war verantwortlich,“ flüsterte er, „für diese Bäume. Ich war... ich war der Gärtner...“ Ich wandte mich um und schaute zu der kleinen Hütte hinüber, die wir gerade verlassen hatten. Ihre wohl ehemals weißen Außenmauern waren ebenso wie alles andere von klebrigem grauen Staub bedeckt. Aber Dach und Wände sowie die verschmutzten Fenster waren völlig unbeschädigt. Nein, dachte ich, ein Feuer hätte auch das Haus zerstört. Yalomiro machte keine Anstalten, sich wieder mit mir zu befassen oder auch nur Antworten zu geben. Betreten beschloß ich, ihn stehen zu lassen und einige Schritte um das Haus herum zu gehen. Ich hatte mich etwa hundert Meter von der Hütte entfernt, als ich vor mir eine freie Fläche wahrnahm, deren Grau sich von dem der Umgebung
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga unterschied, es war dunkler und füllte eine weite Ebene hinter den Bäumen aus. Neugierig näherte ich mich -- und fand mich an einem niedrigen Abhang wieder. Darunter erstreckte sich ein riesiger See, Wasser, das links und rechts meinen Blicken entschwand und auf der gegenüberliegenden Seite, weit fort, von einem hohen Bergkamm abgegrenzt wurde. Davor befand sich ein breites Uferband, auf dem - soweit es sich erkennen ließ - auch graue Baumstümpfe aufragten. Ich schauderte, als ich die Wasserfläche anblickte. Spiegelglatt und grau wie flüssiges Blei lag der gespenstische See da. Keine einzige Welle brandete ans Ufer. Bewegungslos und still bedeckte Wasser die Ebene. Mein erster Gedanke war, daß sich hier eine furchtbare Naturkatastrophe abgespielt haben mußte, etwas, was die Bäume zerstört und das Wasser verfärbt hatte. Aber der Gedanke befriedigte mich nicht, denn ich konnte mir keine Ursache vorstellen, die eine derartige Wirkung hervorgerufen haben konnte. Der graue Himmel und das schmutzig wirkende Tageslicht trugen nicht dazu bei, den Anblick erträglicher zu machen. Es war windstill, und kein Laut war zu hören. Nachdem ich minutenlang wortlos auf das Panorama gestarrt hatte, näherten sich eilige Schritte, und Yalomiro trat an meine Seite und blieb stehen. Ich blickte verstohlen zu ihm hinüber. Er hatte sich gefangen und trug eine Miene der Verbitterung . Ich wollte ihn nicht anstarren und schaute wieder auf das Wasser. Da hob er seine rechte Hand und führte sie mit einer sachten Bewegung einmal an meinen Augen vorbei, ohne ein Wort zu sagen. Und im nächsten Moment lag der See vor mir, bewegt und in hellem Sonnenlicht gleißend wie ein Silberspiegel. Am Ufer und um mich herum spendeten silbrigschimmernde Olivenbäume kühlenden Schatten und ein betörender Duft ging von Lavendel und anderen wohlriechenden Kräutern aus, die den Boden bedeckten wie ein dichter, weicher Teppich. Ich tat einen überraschten Ausruf des Entzückens über die paradiesische Landschaft - und bemerkte dann entsetzt, daß mit jedem meiner Wimpernschläge das Bild langsam verblaßte und wieder von der grauen Alptraumszenerie überlagert wurde. Yalomiro seufzte und verschränkte die Arme, traurig auf das Wasser schauend. Ich wagte nicht, ihm ins Gesicht zu sehen. "So war es einmal?", fragte ich dann ganz leise. Er nickte. "Es war einer der schönsten Orte dieser Welt. Bevor er es kaputt machte." Mit einem letzten bedauernden Blick betrachtete er nochmals das Ufer und ging dann wieder zurück in Richtung des Hauses. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich beeilte mich, ihm nachzulaufen. "Aber was ist geschehen? Wer... wer ist dieser er?" Yalomiro zuckte die Achseln. "Es verblaßt," sagte er dann. "Die Leere zersetzt es. Und es wird sterben. Alles stirbt, was er anfaßt." Ich schwieg und wußte, daß die Zeit für Erklärungen noch nicht gekommen war. "Wir müssen fort hier," redete er weiter. "Wir dürfen nicht zu lange hier sein." Damit war ich nur allzu einverstanden. "Und wohin willst du gehen?" Er schien einen Moment nachzudenken. "Ich habe leider keinen Weltenschlüssel mehr," entgegnete er. Ich ahnte, das dies nichts Gutes für mich bedeuten mochte. "Wir müssen aus diesem Wald hinaus," wiederholte er. "Aber er hat es uns nicht leicht gemacht. Schau, was ich gefunden habe." Und er deutete auf eine Stelle hinter dem Haus. "Was ist da?", fragte ich. Er zögerte verwirrt und lächelte dann für einen Sekundenbruchteil. "Entschuldige," sagte er dann, "natürlich siehst du es nicht. Es ist eine Mauer aus Schweigen." "Eine was?" Er hielt an und drehte sich zu mir um. "Eine Mauer aus Schweigen. Ein Ring, den er um den Palast des Lebendigen Lichtes gelegt hat, und innerhalb dessen völlige Stille herrscht. Wir können nicht darüber hinweg." Ich schüttelte verwirrt den Kopf. "Du meinst, da ist eine Fläche, wo es keine Geräusche gibt?" Er nickte. "Aber das ist doch keine richtige Mauer. Ich sehe nichts, was den Weg versperrt. Eine Mauer, die nicht aus Steinen ist, kann doch nicht den Weg versperren." "Unsinn," sagte er tadelnd. "Eine Mauer ist eine Mauer, egal, woraus sie besteht. Und wir können nicht einfach hindurchgehen." Ich verstand nicht. "Warum nicht?" Yalomiro dachte kurz nach, dann bückte er sich, hob einen faustgroßen Stein auf, der zu seinen Füßen lag und warf ihn mit Schwung in die Richtung, wo die Mauer sein sollte. Der Stein flog durch die Luft -- und zerfiel zu Staub, der sich spurlos auflöste und fort war. Ich war verblüfft und schwieg erschrocken. "Das war ein Stein," erklärte er. "Kannst du dir vorstellen, was mit dir geschehen würde, wenn du versuchtest, das Schweigen zu durchschreiten?" Ich schwieg und blickte zu Boden. Beim Gedanken, daß es mir ergehen könne wie dem Stein, verursachte mir Übelkeit. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Wie kommt das?", fragte ich heiser. Yalomiro suchte nach Worten. "Hast du jemals völlige Stille erlebt? Bestimmt nicht, denn es gibt sie nicht. Du bist stets umgeben von Geräuschen und Klängen, auch wenn du sie manchmal nicht mehr bewußt wahrnimmst. Immer klingt etwas in dir und um dich herum: ferne Geräusche, der Wind in den Blättern, der Widerhall deines eigenen Herzschlages. Irgendwelche Töne, und seien sie noch so leise. Aber wo die Mauer aus Schweigen ist, kann kein Geräusch sein. Das Schweigen dieser Mauer verdrängt jeden Ton. Und kein Wesen kann die völlige Stille ertragen -nicht einmal die Steine. Ich versichere dir: der Versuch, hindurch zu gehen bedeutet einen scheußlichen Tod." Er schwieg einen Moment und murmelte dann bitter: "Scheußlich wie alles, was von der anderen Seite kommt. Aber raffiniert. Ein wirkungsvoller Käfig. Sie sind genial in ihrer Bosheit." "Und er hat diese Mauer errichtet?," fragte ich, " der, der dich in die Statue verwandelt hat?" Yalomiro nickte und schaute auf die Stelle, wo die Mauer, die unsichtbare Mauer verlaufen mochte. "Er ist mächtig, viel, viel mächtiger als ich. Ich beginne langsam, mich zu fragen, wieso er sich solche Mühe mit mir gibt." Er ließ sich auf dem kahlen und glatten Erdboden nieder, schlug die Beine untereinander und lud mich mit einer knappen Geste ein, es ihm nachzutun. Ich setzte mich ebenfalls. "Ich glaube," fuhr er fort, "daß es ihm nicht mehr nur um den Mondstrahl geht. Er hat Interesse an mir als Person." Ich verstand kein Wort, aber ich traute mich nicht, ihn zu unterbrechen. "Wenn er mächtig ist," redete er weiter, "dann muß ich klug sein, um dieses Hindernis zu überwinden." "Warum erklärst du mir nicht einfach, wer er ist?,“ fragte ich dann doch. Aber Yalomiro antwortete nicht. Seine dunkelbraunen Augen starrten einen Moment ins Leere und er nagte nachdenklich an seiner Unterlippe. Dann sprang er wieder auf und öffnete die Tasche, die er immer noch über der Schulter trug. "Was glaubst du," fragte er mich, "wenn einer eine Mauer baut, um jemanden einzusperren, von der er weiß, daß sie sich nicht überklettern läßt - wie hoch wäre diese Mauer wohl?" Ich überlegte. "Nicht besonders hoch. So hoch, daß man nicht darüber hinwegspringen kann." Yalomiro nickte. "Das denke ich auch. Nun, diese Mauer war wohl weniger dazu gedacht, mich einzusperren als etwaige Helfer auszusperren. Aber das bleibt sich gleich. Und einer Mauer des Schweigens sollte ich etwas entgegensetzen können." Er lächelte und zog aus seiner Tasche etwas hervor, was ich beim besten Willen nicht erwartet hätte: eine Geige aus pechschwarzem Holz samt Bogen. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich war verwundert, ließ ihn aber gewähren, als er das Instrument ansetzte und in aller Seelenruhe begann, es zu stimmen, indem er an den Saiten zupfte und das Gewinde festzog. "Warum hast du eine Geige bei dir?", fragte ich, als er mit dem Ergebnis zufrieden zu sein schien und sich mir wieder zuwandte. Er lächelte flüchtig. "Ich bin zwar ein Magier," sagte er, "aber ich bin auch ein Musiker. 'Yalomiro' bedeutet soviel wie der dessen Stimme die Nacht trägt. Die meisten von uns Schattentänzern haben sich irgendeiner Kunst neben der Magie hingegeben. Unsere Kunst ist magisch, und unsere Magie zeugt von Kunst. Und ich habe mir die Musik gewählt." Er wandte sich der Mauer zu und versank einen Moment lang in ein konzentriertes Schweigen, während er das unsichtbare Hindernis anschaute. Dann strich er auf seinem Instrument einen langen, sehr tiefen Ton an. Es geschah überhaupt nichts, und ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Ich beobachtete jedoch gespannt, wie er mehrmals noch den selben Ton spielte, plötzlich einen Schritt nach vorne tat - und einige Handbreit in der Luft über dem Erdboden stehen blieb. Ich starrte dieses Wunder verblüfft an und es verschlug mir die Sprache. Da verklang der Ton, und Yalomiro stolperte, konnte den kleinen Sturz jedoch abfangen. Leise lachend, kam er dann wieder zu mir. Die Wirkung seines Tricks schien ihn zu amüsieren. "Wie hast du das gemacht?", wollte ich aufgeregt wissen. Er zuckte die Achseln und lächelte. "Ein kleiner Zauber, eine einfache Idee. Eine Treppe aus Tönen gegen die Mauer aus Schweigen. Wir können die Töne hinaufsteigen wie Treppenstufen, und auf der anderen Seite bequem wieder hinab." "Ich kann das nicht glauben," sagte ich verwundert. "Und er hat nicht an eine solche Möglichkeit gedacht," fügte Yalomiro zufrieden hinzu. Dann verstummte er und blickte mich besorgt an. "Aber es ist gefährlich. Für dich mehr als für mich." Ich wartete verunsichert. "Schau," erklärte er vorsichtig, "es ist eine Treppe aus Tönen. Das heißt, du kannst sie nur hören, nicht sehen. Und außerdem ist der Klang flüchtig und vergänglich. Sobald der Ton verklungen ist, ist auch die Stufe fort. Wir könnten in die Mauer stürzen." Ich schauderte, und sofort wurde ich wieder ängstlich. "Gibt es keinen anderen Weg?", wollte ich wissen. Yalomiro schüttelte den Kopf. "Nein." "Was würde geschehen, wenn wir hier blieben?" Er antwortete nicht, reichte mir aber seine Hand und half mir, aufzustehen. "Hör mir zu," sagte er dann. "Du hast mich befreit. Dafür bin ich dir dankbar. Und mir ist klar, daß du wieder dorthin zurück willst, woher du http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga gekommen bist. Dabei werde ich dir behilflich sein, aber ich kann es nicht von hier aus. Wenn wir es nicht wagen, werden wir langsam verblassen und vergehen, wie es mein Wald tat. Wenn wir es wagen, fortzugehen, besteht die Chance, daß wir alles zu einem guten Ende bringen. Dazu ist aber eines nötig: Du mußt mir vertrauen. Du darfst weder vor mir Angst verspüren noch vor dem, was ich tue. Wenn du bereit bist, mir Vertrauen zu schenken, dann werden wir alles vollbringen, was wir wollen." Ich schaute ihn an, blickte in seine sanften dunklen Augen und das ernste schmale Gesicht. "Ich vertraue dir," sagte ich dann. Diesen Augen nicht zu vertrauen – das wäre absurd gewesen.
*
Der Rotgewandete hatte es gespürt. Der Schattentänzer hatte sich befreit, und es würde nicht lange dauern, und er würde bemerken, was er, Meister Gor, der Herr der Leere, ihm und seinem Volk und ihrem Land angetan hatte. Und dann, so wußte der Rotgewandete, dann würde Yalomiro so schnell wie möglich versuchen, das Zeichen an sich zu bringen, um das Ende zu verhindern. Er, Meister Gor, würde warten. Er würde Yalomiro verfolgen und jagen und wenn er dann endlich im Besitz des Zeichens sein würde ... Tausend Pläne hatte er sich zurechtgelegt, unzählige Ideen, wie er Yalomiro das Zeichen fortnehmen konnte. Verschiedenste Pläne dafür hatte er sich ausgedacht, wie er Yalomiro am Ende vernichten wollte, wenn er nicht mehr gebraucht würde, zahllose Methoden der Tortur schwebten ihm vor, mit der er seinen Gegner zerbrechen wollte. Wenn, ja wenn Yalomiro ihm das Zeichen gebracht haben würde. Yalomiro sollte Qualen erdulden müssen, die keiner der anderen Schattentänzer erfahren hatte, die er vernichtet hatte, einen nach dem anderen. Yalomiro sollte schreien und um die Gnade eines raschen Todes flehen. Und er, Meister Gor, würde sein Vergnügen daran haben. Solchen Gedanken ging Meister Gor nach, als der Goldreifen zerbrach. Aber als er neugierig in die Leere tastete, dorthin, wo hinter der Ebene und den Bergen der Palast des Lebendigen Lichtes war, spürte er zwei Seelen. Die Schattentänzerseele, und eine andere, eine unkundige, eine weibliche Seele. Eine Seele aus einer äußeren Welt. Meister Gor horchte überrascht auf. Eine Unkundige, dachte er. Eine Unkundige trifft auf einen Schattentänzer. Auf einen Schattentänzer mit sonderbaren Anlagen zu Haß -- und dem Anderen. Ich glaube, es mag interessant sein, diese Begegnung zu beobachten.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga
Yalomiro spielte mehrere aufeinanderfolgende Töne, und ich horchte dorthin, wo ich den Ton deutlich hören konnte, und stieg die Tonleiter hinauf, versuchte, nicht daran zu denken, daß ich auf etwas stand, was mir eigentlich keinen Halt bieten konnte. Yalomiro redete beruhigend auf mich ein, während er spielte. Er hatte mir mit einem schwarzen Seidentuch aus seinem Gepäck die Augen verbunden, mit der Behauptung, das würde mich davor bewahren, mit den Augen nach dem Klang zu suchen, und ging nun Ton für Ton, Schritt für Schritt mit mir die tönenden Stufen hinauf. Ich horchte auf die Violine, hörte mein Herz laut pochen und seine sonore Stimme, die versuchte, mich von meiner Angst abzulenken. Aber ich verstand gar nicht, was er zu mir sagte. "Wir sind nun am höchsten Punkt angelangt," hörte ich irgendwo seine Worte, "wir müssen nun abwärts." "Wie hoch sind wir?", fragte ich und tastete mit dem Fuß nach dem etwas tieferen Ton, den er spielte. "Wenn du drei, vier Schritte tust und dann fehltreten solltest, " beruhigte er mich, "stürzt du auf sicheren Boden ab." "Wie schön," gab ich sarkastisch zurück. "Vorsichtig," warnte er und spielte den gleichen Ton mehrmals hintereinander, bis ich sicher stand. "Ruhig bleiben und keine Angst haben." Dann schwieg er wieder und ich konzentrierte mich auf die Töne. Blind eine steile Treppe hinunterzugehen, die kein Geländer hat, ist eine seltsame und beunruhigende Erfahrung. Obwohl ich begriff, daß die Klänge, soweit sie es sein konnten, stabil und fest waren und seine Stimme mich stützen und führen wollte. Ich war heilfroh, als die Tonleiter immer weiter abstieg. Dennoch gelangte ich nicht unbeschadet hinab -- bei einem der tieferen Töne glitt ich aus und landete unsanft auf dem steinharten Erdboden, knickte schmerzhaft um und stieß einen Wehlaut aus. Über mir erklang in rascher Folge der Rest der Tonleiter, und Yalomiro lief schnell hinunter. Ich zog mir die Augenbinde ab und umfaßte mit der anderen Hand das furchtbar schmerzende Fußgelenk. "Hast du dich verletzt?", fragte er und kniete neben mir nieder. Ich biß die Zähne zusammen und nickte. "Darf ich?," fragte er und streckte seine Hände nach dem verstauchten Knöchel aus. Ich ließ es geschehen und hoffte, er verstünde etwas von Erster Hilfe.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro streifte meinen Jeansrock über mein Knie nach oben und umschloß das wahnsinnig schmerzende Glied mit beiden Händen. Der Schmerz im Knöchel hörte schlagartig auf, und eine angenehme, betäubende Kühle ging von seinen Händen aus. Yalomiro warf mir einen kurzen aufmunternden Blick zu. "Du warst sehr mutig," sagte er. "Du hast es gewagt, mir zu vertrauen. Ich bin dir dafür sehr dankbar." Ich lächelte verlegen. "Und nun? Wohin willst du gehen?", fragte ich ihn. Er ließ mein Bein los und deutete in eine unbestimmte Ferne. "Ein weiter Weg," sagte er. "Über die Berge." Ich bemerkte überrascht, daß der Schmerz völlig verschwunden war. Wahrscheinlich war auch das... nun ja, Hexerei. "Es wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben, als ein Stück des Weges mit dir zu gehen," sagte ich dann beiläufig. "Solange, bis du mich heimbringen kannst." Er stand wieder auf. "Ich werde mein Bestes geben, dich so schnell wie möglich wieder dorthin zu bringen, wohin du gehörst," sagte er freundlich. "Aber bis dahin möchte ich dich irgendwie anreden können." "Ich heiße ...," wollte ich sagen, aber er unterbrach mich. "Nein. Hör mir gut zu: was auch immer geschieht, dein wahrer Name darf hier niemals gesagt werden. Es könnte deine Heimkehr zunichte machen. Dies ist eine magische Welt mit magischen Regeln. Bitte traue dem, was ich dir darüber zu sagen weiß." Ich nickte betroffen. "Ich werde dich Ujora nennen," sagte er dann sanft. "Gefällt dir der Klang des Wortes?" Ich überlegte. "Ujora ... ja, das klingt hübsch." Er lachte leise, und auch ich stand auf. "Dann laß uns gehen, Ujora. Ein weiter, weiter Weg liegt nun vor uns, und es ist schon ziemlich spät." Ich ging an seiner Seite hinein in den Wald aus Baumstümpfen und grauer Erde. Auf seltsame Weise wurde mir klar, daß das Schwarz seiner Gewänder die einzige Farbe um mich herum war. Ich fühlte mich auf sonderbare Weise davon etwas getröstet.
3.
Ich hatte in meinem Leben schon viele langweilige Dinge erlebt. Aber was ich nun erlebte, war gar kein Vergleich dazu.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro führte mich durch den Wald aus zerbröselnden Baumstümpfen, und der Weg nahm kein Ende. Ich begann, mich zu fragen, ob mein sonderbarer Begleiter eigentlich wußte, wohin er gehen mußte, denn die graue Landschaft ringsum war so eintönig und trostlos, daß alles völlig gleich aussah, egal, in welche Richtung man blickte. Aber er schritt unbeirrt und zielstrebig voran und schwieg. Da der Boden völlig eben und glatt war und weder Unterholz noch Laubhaufen zu übersteigen waren, war das Laufen nicht besonders anstrengend, aber sehr langweilig. Hätte sich nicht die Gefahr ergeben, vor einen Baumstamm zu laufen, hätte ich es gern gewagt, die Augen für einen Moment zu schließen. "Yalomiro," rief ich ihm schließlich zu, und er drehte sich zu mir um. Mir waren viele Gedanken durch den Kopf gegangen. Ich hatte mittlerweile den Gedanken akzeptiert, in eine Art Parallelwelt verschlagen worden zu sein -- etwas, was sonst nur den Figuren in Fantasy- Romanen zustieß. Aber diese Figuren fanden sich für gewöhnlich in irgendwelchen abenteuerlichen Ambienten wieder und erlebten aufregende Dinge. Ich meinerseits lief durch eine menschenleere, staubbedeckte Einöde. Irgendwie passte das zu mir -selbst meine Besuche in Märchenwelten waren sterbenslangweilig. "Wie heißt dieses Land," fragte ich ihn, "und was leben hier für Leute?" "Das hier ist der Silberne Wald," antwortete er. "Wir entfernen uns vom Schwarzen See und werden bald in die Heide vor den Himmelsbergen kommen. Da müssen wir hinüber -- in die Große Ebene und hin zum Meer des Chaos." "Das klingt aufregend," sagte ich matt. "Gibt es Städte oder Dörfer auf diesem Weg?" "Natürlich," sagte er. "Aber die werden ebenso verlassen sein wie all das hier. Wenn du Menschen treffen willst, wirst du vermutlich bis hin zu den Bergen keinen begegnen." Ich musterte ihn nachdenklich und versuchte, seine Gewänder zu analysieren. Ich hatte viele Abbildungen von mittelalterlicher Mode gesehen, vermochte aber seine Kleidung nirgends zuzuordnen. Sie sah aus wie eine Mischung aus höfischer Renaissancekleidung und der Verkleidung eines Zauberers aus dem Märchenbuch. Ich versuchte, geschickt zu fragen. "Yalomiro -- weißt du etwas über meine Welt?" Er zuckte die Achseln. "Ich bin nie in einer äußeren Welt gewesen," sagte er dann. "Nur die Meister dürfen zwischen den Welten springen. Aber mein Meister Askyn hat mir viel über die äußeren Welten erzählt. Auch über deine." Ich zögerte. "Wie ähnlich ist diese Welt meiner?" Yalomiro blieb stehen. "Dies ist eine Welt," sagte er sanft, "in der Magie nichts Ungewöhnliches ist. Unsere Welt war der deinen ähnlich, aber sie suchte andere Wege. Eure http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Welt hat geforscht und erfunden. Dabei wurde sie sich selbst fremd. Meine Welt hat gewartet und gefühlt. Und verstanden. Du wirst sie kennenlernen." Damit wandte er sich wieder ab und lief eilig weiter. Und ich folgte ihm, verwirrter als zuvor.
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Irgendwann -- meine Füße brachten mich um und ich war zu Tode erschöpft, lichteten sich die Baumstümpfe, und steileres, bergiges Land lag vor uns. Irgendwo, ganz weit in der Ferne, ragte ein gewaltiges, schiefergraues Bergmassiv auf und berührte den sich indes dunkelgrau färbenden Himmel. Über den Bergen war eine große Lücke in der Wolkendecke, und ich sah, daß eine honigfahle Mondsichel an tintenblauem Nachthimmel über dem höchsten Gipfel stand. Yalomiro führte mich einen steilen Hang hinauf und blickte dann zum Mond. "Als ich ein Kind war," sagte er nachdenklich, "dachte ich, daß man, auf dem Gipfel stehend, den Mond mit der Hand berühren kann. Ich war ziemlich enttäuscht, als ich erkannte, daß das nicht stimmte." Ich konnte nicht mehr laufen und ließ mich erschöpft auf dem kahlen Erdboden nieder. Meine Füße pochten schmerzhaft, und sie waren zerschunden. Ich hatte keine bequemen Schuhe gewählt, um so weite Strecken damit zu laufen. "Du warst mal ganz da oben?", fragte ich mit ehrfürchtigem Blick auf den unbegreiflich hohen Berg. Er nickte. "Es ist nicht sehr steil dorthin. Es täuscht, wie vieles hier die Augen Unkundiger verwirrt. Aber der Gipfel durchstößt die Wolken und bietet uns ein Stück vom Himmel." "Ich bin müde," sagte ich. Der Gipfel des Gebirges interessierte mich nicht allzu sehr. "Dann versuche, zu schlafen," riet er mir. "Wir müssen noch sehr viel weiter laufen." "Schlafen?", fragte ich, "einfach so? Hier auf der Erde?" Er nickte. "Ich kann dir kein Bett anbieten," gab er zurück und klang trotzdem nicht, als ob er mich verspotten würde. "Aber dir wird niemand etwas antun." Ich legte mich zögernd auf den kahlen Boden, der zu meiner Überraschung jedoch nicht allzu hart war, sondern sich ein wenig wie weicher Sand anfühlte. Dann schloß ich die Augen und machte den sinnlosen Versuch, einzuschlafen, ohne noch weiter über irgendetwas nachzudenken. Denk daran: du träumst!, versuchte ich mir einzureden. Wenn du jetzt schläfst und morgen aufwachst, bist du wieder zu Hause. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga
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Irgendwann war ich doch wohl etwas eingedöst, sonst wäre ich nicht so plötzlich aufgeschreckt. Um mich herum war dunkle Nacht, nur der Mondschimmer, der hinabdrang, erleuchtete die Umgebung etwas. Ich war hochgefahren, denn mir war, als habe mich etwas berührt, etwas Kaltes und Durchdringendes. Und tatsächlich -- ohne, daß ich begründen könnte, was geschehen war, spürte ich die Gegenwart von einer körperlosen Kälte ganz nahe bei mir. Mit einem unbesonnenen Aufwimmern sprang ich auf die Füße und blickte mich nach Yalomiro um. Aber die Kälte umschloß mich augenblicklich wie ein Tuch, das sich um mich schlang. Yalomiro saß in einiger Entfernung auf der Erde, mir den Rücken zukehrend, den Blick zum Mond. Er war ganz ruhig. Und ich ging rasch zu ihm hin. Ich war mir nicht sicher, ob er mich gehört hatte, denn er bewegte sich nicht. Erst als ich bis auf wenige Schritte herangekommen war, wandte er sich um und verharrte abwartend. Ich entschloß mich, ebenfalls zu schweigen. Der schwarze Stoff seiner Kleider schimmerte unbestimmt unter dem milchigen Mondlicht, und er schien sehr ruhig und entspannt zu sein, atmete sacht und seine Augen waren geschlossen. "Was tust du hier? Warum schläfst du nicht? ", fragte er schließlich leise. "Ich habe Angst," sagte ich. „Da ist irgendwas.“ "Ich weiß," antwortete er. "Aber du bist nicht in Gefahr. Nicht, solange ich hier bin." Ich wartete ab. "Wenn du dich fürchtest, komm ruhig näher," sagte er nach einiger Zeit. Ich tat es und setzte mich zu seinen Füßen auf die Erde. Er schwieg, und die kühlende Dunkelheit der Nacht umgab mich und ließ mich frösteln. Es war hier jedoch keine unangenehme Kälte, sie war klar und rein. Und das uralte Licht der Sterne erhellte schemenhaft die Berggipfel und duftige Wolkenschleier darüber. In die Tiefe des Tals drang es nicht vor. Und hoch darüber stand schweigend und fahl der Mond. "Das Licht ist gut," sagte er nach einiger Zeit. "Und es ist sogar hier." "Ich friere," entgegnete ich. Ich spürte, daß Yalomiro lächelte. Seltsam – er schien ständig zu lächeln. Irgendwie wirkte das sehr beruhigend in dieser sonderbaren Situation. "Ich würde dir gerne meinen Mantel geben. Aber ich darf ihn nicht ablegen. Nicht jetzt." Ich nickte. "Das ist auch nicht nötig." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Einen Moment lang war wieder kein Laut zu hören. Ich dachte nach. Zu viele seltsame Dinge waren in den letzten Stunden geschehen, und das Meiste davon konnte ich immer noch nicht begreifen. Aber das bedrückende Angstgefühl von vorhin war fort, und stattdessen spürte ich nun eine beruhigende Wärme von ihm ausgehen. "Die Leere weicht vor mir zurück," erklärte er unvermittelt. "Daher fühlst du dich in meiner Nähe getröstet." Ich schaute verblüfft zu ihm auf. "Woher weißt du das?" Er lachte leise. "Ich spüre es. " Ich schwieg auffordernd. Er setzte sich bequemer zurecht, die Augen immer noch geschlossen, und wandte sich erneut dem Mond zu. "Ich bin lebendig," sagte er. "Und die Leere weiß das. Wo Leben ist, kann keine Leere sein. " "Ich lebe auch," gab ich zurück. „Warum spüre ich die... die Leere stärker als du?“ Wieder dieses sanfte, erheiterte Lachen. "Die Leere ist stärker als du es erträgst. Du mußt dich von meiner Aura schützen lassen. Meine Aura ist stark und mächtig genug, um die Leere zu verdrängen." Er schwieg einen Moment. "Das Licht ist auch da," ergänzte er dann leise und klang plötzlich sehr ernst. "Das Licht und die Nacht. Erst, wenn die Leere die Nacht verschlingt, wird Meister Gor sein Ziel erreicht haben." Er blickte in meine Richtung und öffnete die Augen. Ich unterdrückte einen Aufschrei, denn seine sonst fast schwarzen Augen leuchteten silbrig und schienen fast metallisch. Ich sprang auf und wich von ihm zurück, aber schon wenige Schritte entfernt war wieder dieses beklemmende Gefühl von Furcht und Verzweiflung. Yalomiro streckte die Hand nach mir aus. "Nein, du mußt dich nicht davor fürchten. Bleib bei mir -- es wird gleich vorbei sein." Ich blieb unentschlossen zwischen ihm und der Angst stehen und beobachtete unruhig, wie mit jedem seiner Lidschläge das Silber verblaßte und schließlich bis auf ein mattes Schimmern verschwand. „Ich habe geahnt, daß es Unkundige erschreckt, in meine Augen zu sehen, wenn die Kraft fließt,“ erklärte er. „Die Kraft spiegelt sich durch unsere Augen nach außen. Es ist keine Gefahr darin.“ Er erhob sich von seinem Platz und kam langsam auf mich zu. Ich wich seinem Blick scheu aus und schämte mich für meine Unbeherrschtheit. Er betrachtete mich einen Moment lang, und ich wußte, daß er meine Gedanken spürte. "Ich brauche das Licht," sagte er und klang fast entschuldigend. "Ich war müde und sehr hungrig danach. Nun bin ich wieder satt." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich sah ihn verwirrt an und konfuse Gedanken durchzuckten mich. Er lachte wieder leise. "Was bist du?," fragte ich endlich, bevor er meine Fragen erahnen konnte. "Was für eine Art von Zauberer bist du, Yalomiro?" Yalomiro seufzte und bedachte mich mit einem verständnisvollen Blick. "Ich bin ein Schattentänzer," sagte er dann ruhig. "Wir sind Magier, Diener des Lebendigen Lichtes und des Schattens. Aber es wäre mir lieber, wenn du in mir einen Freund sehen würdest. Und nicht nur ein absonderliches Zauberwesen." Ich dachte an die Treppe aus Tönen und die Statue in dem verlassenen Saal. Und an all das Sonderbare, von dem mir langsam und gnadenlos klar wurde, daß es sich nicht um einen absurden Traum handelte. Ich schwankte zwischen Hilflosigkeit und Hingezogenheit zu seiner wärmenden Nähe. Er schaute mir prüfend in die Augen, und seine Miene verriet nichts über seine Gedanken. "Ich bin einer der mächtigsten Zauberer meines Volkes," fuhr er dann fort. "Du kannst unbesorgt sein, dir wird nichts geschehen, solange du in meiner Nähe bleibst. Die Leere kann dir nichts anhaben. Aber wir müssen durch sie hindurch." Wenn du so mächtig bist, dachte ich, kannst du mich dann nicht nach Hause bringen? "Nein, das kann ich nicht," antwortete er auf meine Gedanken. "Zunächst muß ich das erfüllen, das ich begonnen habe. Erst dann kann ich einen Weg für dich suchen. Ich habe eine Aufgabe begonnen, und nun muß ich sie beenden." Zauberer – Leere – Aufgaben, die zu erfüllen waren – was ging mich das eigentlich an? "Du hast mich doch auch hergeholt!", entfuhr es mir, und ich schämte mich, da es ziemlich barsch klang. "Das wollte ich nicht," gab er ruhig zurück. "Ich hätte nie gewollt, daß ein Unkundiger von Außerhalb diese Welt betritt. Es ist gefährlich für euch." Ich versuchte, die plötzlich aufkeimende Wut zu unterdrücken. Aber das gelang mir nicht. "Aber nun bin ich hier," fauchte ich, "ich habe den Reifen weggenommen, ich habe dich aus deiner Versteinerung erlöst. Du bist mir etwas schuldig! Und ich verlange, daß du mich wieder dorthin zurückbringst, wo ich hergekommen bin!" Er reagierte nicht. Ich ballte zornig die Fäuste. "Ich gehöre nicht hierher! Ich habe nichts mit deiner Aufgabe zu
tun! Und wenn du wirklich so mächtig bist, wie du
sagst, dann mußt du mich auch wieder zurückbringen können!" http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ungebremster Zorn ergriff mich, wie eine Hysterie, die endlich ein Ventil gefunden hatte, bevor ich zerbarst vor Wut,
und ich wollte ihm noch
einiges mehr sagen. Aber mit einem Male war das Angstgefühl um mich herum übermächtig geworden, umhüllte mich und nahm mir den Atem. Gleichzeitig spürte ich auch seine Wärme nicht mehr, und ich sah, wie er sich zurückzog. Die Angst vervielfachte sich und ich spürte sie wie ein steinernes Gewicht auf mir ruhen und sie drohte, mich zu erdrücken. Yalomiro blickte aus großen Augen zu mir hin. Er schien erschrocken, ob wegen meines Wutanfalls oder wegen der Kälte, ich wußte es nicht zu deuten. Ich sank auf die Knie, kauerte mich zusammen und konnte die Angst doch nicht abschütteln. Ein schreckliches Zerren riß an meinem Herzen. Nein, das war keine schlichte Beklommenheit, da war etwas, etwas anderes, das nach mir griff, etwas, das Intelligenz besaß. Verzweifelt blickte ich zu ihm hinüber. "Hilf mir, " wimmerte ich und verfluchte meine Schwäche. Yalomiro zögerte. Dann trat er energisch an meine Seite und nahm mich in die Arme, breitete seinen Mantel über mich und hüllte mich darin ein. Ich zitterte vor Panik, denn sein Mantel schützte mich nicht vor der Angst um mich herum. Yalomiro blickte auf, starrte ins Dunkel und schien dort auf etwas Unsichtbares zu schauen. "Es ist kein Haß gegen mich gerichtet," sagte er dann plötzlich ins Nichts. "Sie ist zornig, weil sie nicht verstehen kann. Aber sie haßt mich nicht dafür. Merkt Euch das! " Natürlich hatte ich nicht damit gerechnet, daß irgendjemand ihm antworten würde. Aber womöglich war es gerade das, was mich erschauern ließ -- die Eindringlichkeit, mit der er zu etwas nicht vorhandenem sprach. Yalomiro wandte sich mir zu. "Ich begreife deinen Zorn und deine Verwirrung. Aber du mußt mir vertrauen. Ich kann dir helfen und werde es tun -- nachdem ich meine vor langer Zeit begonnene Aufgabe beendet habe. Du mußt verstehen, daß ohne dies nichts ausrichten kann, was dir helfen könnte." Ich schluckte und nickte dann. "Was auch immer geschieht," sagte er beinahe beschwörend, "du darfst mich niemals hassen." "Ich hasse dich nicht," sagte ich und zitterte. "Aber ich habe Angst. Angst, nicht mehr zurückkehren zu können." "Das brauchst du nicht," sagte er tröstend, und mir wurde langsam wärmer, das Entsetzen lichtete sich. "Es wird einen Weg für dich geben, und wenn ihn jemand finden kann, dann bin ich es. Aber im Augenblick ist meine Suche wichtiger."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ein seltsames Erschauern überlief meine Haut, silbrig und warm. Yalomiro richtete sich auf, und die Leere um ihn herum schwand wieder vor der angenehmen Nacht. Ich wagte kaum, ihn anzublicken, denn ich spürte, das er mich betrachtete. Ich schämte mich, ohne zu wissen, warum. "Entschuldige," bat ich schließlich. "Ich war ungerecht. Ich urteile über Dinge, von denen ich nichts verstehe." Ich spürte sein Lächeln. Auch ich erhob mich wieder auf die Füße. "Es war alles sehr verwirrend für mich in der letzten Zeit," sagte ich, nur um zu reden. "Verstehst du ... dort, wo ich herkomme, ist es nicht normal, mit Zauberei umzugehen." Er verzog wie beleidigt kurz das Gesicht. "Ich bin kein Hexenmeister, wenn du dir das darunter vorstellst," sagte er vorwurfsvoll. Ich wußte ihm nicht zu antworten, blickte verwirrt in seine Richtung und zögerte. Er schwieg einen Moment und lachte plötzlich leise und ohne ersichtlichen Grund. "Vergib mir," sagte er schließlich. "Aber das, was du dir vorstellst, hat mit meinen Kräften wenig zu tun." Ich begann, zu ahnen, was das bedeutete, was er damit angedeutet hatte. "Du kannst meine Gedanken lesen?," fragte ich fassungslos. "Nein," gab er ruhig zurück. "Ich kann sie hören. Wenn ich es will. Wenn ich meinen Geist dir zuwende und mich darauf einlasse." Ich nickte verwirrt und überlegte, was er wohl auf diese Weise erfahren hatte und ob Gedanken dabei gewesen waren, derer ich mich schämen müßte. Dabei fiel mir ein, daß er vermutlich auch diese Überlegungen wahrnahm, neugierig auf mein Innerstes lauschend. Dummerweise gelang es mir nicht, gerade nun meinen geheimsten Gedanken zu verdrängen, je mehr ich mich darauf konzentrierte, ihn zu verleugnen, desto hartnäckiger war er da und blamierte mich vor ihm. Ausgerechnet jetzt jagte mir durch den Kopf, wie attraktiv ich ihn empfand, und wie gern ich ihm gefallen wollte. Yalomiro verharrte abwartend. Und aus seiner Miene vermochte ich keine Emotion zu deuten. Ich seufzte unsicher. Yalomiro lächelte wieder. "Ich spüre, daß du es nicht magst, wenn ich dir zuhöre. Ich wollte dich nicht aushorchen. Aber ich konnte nicht verhindern, Einiges zu erfahren. Du mußt lernen, deine Seele zu verschließen. Es ist nicht gut, wenn alle sofort wissen, was du denkst." "Das werde ich nicht lernen können," erwiderte ich. Er nickte. "Für den Augenblick mag es reichen, wenn ich nicht hinhöre." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich wagte keine Entgegnung, begriff aber, daß es ihm schwerfallen würde, meine Gedanken zu ignorieren. Ich schätzte ihn als ziemlich neugierig ein, aber sein Interesse hatte etwas Diskretes, Beobachtendes. "Was ist das für eine Aufgabe, die du beenden mußt?," fragte ich endlich. Er schien einen Moment lang zu zögern und blickte prüfend zu mir hinüber. Dann ließ er sich wieder auf seinem Stein nieder, faltete die Hände und stützte sie auf seinen Knien ab. Er holte tief Luft und neigte sich in meine Richtung. "Ich habe etwas versteckt, das meinem Feind nicht in die Hände fallen durfte. Es befindet sich weit fort von meiner Heimat, an einem Ort, der für Unkundige unerreichbar ist und den nur ich allein wiederfinden und bergen kann. Dieses Ding muß ich nun suchen und an mich nehmen." Ich nickte und zögerte dann verdutzt. "Aber wenn du es so gut versteckt hast, ist es dann nicht sicher vor dem Feind?" Er zuckte die Achseln. "Im Grunde ist es das. Aber dort, wo es nun ist, nützt es auch meinem Volk nichts mehr. Du hast gesehen, was mit meiner Heimat geschehen ist -- sie stirbt. Das, was ich suche, muß zurück an seinen Platz, zurück zu meinen Leuten. Nur so können wir die Leere aufhalten. Wenn es versteckt bleibt -- und ich habe nicht geahnt, daß es so lange Zeit fort sein würde -- ist der Schaden größer als die Gefahr." Ich hörte ihm aufmerksam zu und kam näher, unbewußt zu seiner Wärme strebend. Yalomiro schwieg einen Moment lang. "Wenn ich versage, dann wird der Feind es womöglich eines fernen Tages doch finden, denn womöglich sucht er es nun schon seit hundert Jahren. Ich muß es haben, bevor er auch nur die Richtung ahnt. Und es ist ein gefährlicher Weg, den nur ich gehen kann." Ich ließ mich wieder zu seinen Füßen nieder und ignorierte die Kühle der Nacht. "Wäre es nicht besser, deine Freunde würden dir helfen?" Er schüttelte den Kopf. "Ich habe Magie benutzt, um es in Sicherheit zu bringen," sagte er nach einiger Zeit. "Der Weg, der zum Versteck führt, ist in mir. Nur, wenn ich ihm folge, nur, wenn ich ihn allein gehe, werde ich an mein Ziel gelangen. Es würde nicht einmal etwas nützen, wenn ich einem anderen von meinem Volk das Versteck verrate -- niemand außer mir kann den Weg gehen. Abgesehen davon, daß ich nicht weiß, wohin meine Kreisgefährten gegangen sind. Der Weg besitzt mich, und ich muß ihn laufen." Ich nickte, obwohl ich kaum verstand. "Du meinst, so ähnlich, wie eine Brieftaube immer nach Hause findet?" Ein Lächeln überflog sein Gesicht. "Ja, ganz ähnlich." Dann war es wieder eine Weile still.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ich habe große Angst," sagte er plötzlich. "Wenn ich mein Ziel nicht erreiche, wird es verloren sein für alle Zeiten. Der Weg wird mit mir sterben." Das Wort hing in der Luft und löste eine unbestimmte Furcht aus, die aber in meinem Inneren aufkeimte und anders war als die, die uns umgab. Ich kannte ihn nun erst seit wenigen Stunden, aber ich spürte eine Zuneigung zu ihm, die durch seine schlichten Worte erschüttert wurde. Daß er sterben und mich in dieser Fremde allein lassen könnte – daran mochte ich nicht denken. Er lachte leise. "Nur, weil ich hundert Jahre lang ein Stein war, heißt das nicht, daß ich unsterblich bin. Ich altere und sterbe, genauso wie ihr." "Ich scheine sehr geräuschvoll zu denken," gab ich zurück und fühlte mich ertappt. Er lächelte amüsiert. "Entschuldige. Ich muß besser auf mich achtgeben. Ich bin nicht an Unkundige gewöhnt, die ihre Gedanken nicht versiegeln." Ich blickte ihn an und versuchte, an gar nichts zu denken. Das mißlang aber völlig, und immer wieder drängten Gedankenfetzen hervor, für die ich mich schämte. "Was ist das für ein Ding, daß du suchst?," riß ich mich von meinen Bemühungen los, um ihn abzulenken. Er suchte nach Worten. "Es ist ein magisches Amulett," sagte er dann leise. "Aber damit ist es nur vage beschrieben. Es ist ein Amulett, in dem lebendiges Licht, unsterbliches und ewiges Licht des Mondes ruht. Ein einziger Funke Mondlichtes, eingeschlossen in Kristall, unzerstörbar und unendlich mächtig." "Licht?", fragte ich verständnislos. "Du meinst -- ein Lichtstrahl? Aber wie kannst du Licht verstecken?" Er nickte nachdrücklich. "Es ist ein Lichtfunke, eingeschlossen in einer kleinen Kristallkugel. Er kann den Kristall nicht verlassen und liegt darin, geschützt und geborgen vor der Zeit. Und in diesem Licht wohnen Kräfte, die unvorstellbar sind. Kräfte, die erschaffen und zerstören können. Kräfte des Lebens und des Wachsens und Kräfte der Vernichtung und des Zerfalls. Kräfte, die von meinem Volk, von den Schattentänzern bewacht und gehütet wurden." Ein Schaudern überlief mich, als ich versuchte, die Bedeutung seiner Worte zu erfassen. "Und diese gewaltigen Kräfte machten euch zu den mächtigsten Zauberern dieser Welt? Zu den Herrschern über alles, was euch umgab?" Yalomiro hob abwehrend beide Hände. "Wo denkst du hin? Kein Schattentänzer hätte es jemals gewagt, die Kräfte des Mondstrahles zu benutzen, allein der Gedanke daran wäre ein schrecklicher Verstoß gegen die Regeln des Kreises. Der Mondstrahl gehört nicht den Schattentänzern, und wir bedienten uns nie seiner Macht." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich rückte noch näher zu ihm hin. "Erzähl mir mehr darüber," bat ich, und meine Neugier war geweckt. Er suchte nach Worten und fuhr fort, zu sprechen. "Der Mondstrahl ist älter als die Schattentänzer und vielleicht auch älter als diese Welt. Niemand weiß, welcher Magier ihn eingefangen hat und warum. Aber eines steht fest: es ist das mächtigste, herrlichste und auch gefährlichste magische Zeichen, das existiert. In früheren Zeiten, als es noch nicht zu den Schattentänzern gefunden hatte, gab es schreckliche Kriege und Kämpfe darum, die mächtigsten Zauberer und die törichtsten Fürsten und Könige brachten sich und ihre Völker gegenseitig um, um in seinen Besitz zu gelangen. Denn sie wollten seine Macht benutzen und erhofften sich davon sonderbare Dinge -- Reichtum, grenzenlose Stärke und Verehrung ihrer Untertanen, die Weltherrschaft -- Unsterblichkeit ..." Er zuckte die Achseln und lächelte bedauernd. "Nun, die, die überlebten und das Zeichen für sich eroberten, hatten nicht viel Freude daran. Denn das Lebendige Licht dient niemals der Gewalt und der Selbstsucht. Und doch hörten die Menschen nie auf, danach zu streben und um das Zeichen zu kämpfen. Es wurde viel Leben ausgelöscht für und durch den Mondstrahl." "Ein Unglücksbringer," warf ich ein. "Nein," entgegnete er. "Das Licht ist gut und seine Mächte dienen der Ewigkeit und dem Vergänglichen gleichermaßen. Unheilvoll ist nur das, was wofür die Menschen es nutzen wollten. Auch der grausamste Tyrann," ergänzte er sanft, "tut nur das, was er aus seiner Sicht für gut und richtig hält. Wer will darüber richten, wenn noch nicht einmal mit Sicherheit feststeht, wo die eine Seite aufhört und die andere anfängt? Wo die Grenzen des Dunklen sind?" Diese Ansicht fand ich etwas verwegen, aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr sah ich ein, daß er Recht hatte. Ich blickte ihn an, wie er da saß, schwarz gekleidet und von einer silbrigen Wärme umgeben. "Ihr Schattentänzer," sagte ich leise, " seid ihr gute oder böse Magier?" Er schwieg einen Moment lang ernst. "Du wirst darüber anders denken als wir. Du hast andere Werte, nach denen du richtest -- für deine Seite." Ich erwiderte nichts und verdrängte Gedanken über all das, was ich in meinem Leben über das Gute, das Böse, schwarze und weiße Magie und Hexerei gehört hatte. Aber mir war klar, daß er wußte, was mir durch den Kopf ging. "Wir dienen der Dunkelheit," sagte er ruhig. "Der Nacht und dem Schatten und dem Licht der Nacht. " Diese Antwort bereitete mir Unbehagen und ließ mich an die bösen Hexenmeister aus den Erzählungen meiner Kindheit denken, an meine Mediavistik-Bücher und den Krimi mit den Satanisten. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Wir dienen dem Lebendigen," fuhr er sanft fort. "Wir sind stark. Und wir sind weise. Denk dir darüber, was du willst. - Eines Tages nun gelangte der Mondstrahl in die Hände eines Schattentänzer-Meisters. Und dieser Meister erkannte die wahre Macht des Mondstrahles und wußte, was damit zu tun war. Das Licht mußte bewahrt und beschützt werden vor der Dummheit und der Gier der Unkundigen und der anderen Zauberer. Und so wurde es zur Aufgabe der Schattentänzer, das Zeichen zu bewachen. Niemals hätte sich ein Schattentänzer angemaßt, das Zeichen besitzen zu wollen oder seine Macht für sich zu nutzen. Das Amulett blieb in den Händen der Schattentänzer, und in ihrer Obhut änderte es sich. Es gab ihnen freiwillig von seiner Kraft ab und erhielt die Schattentänzer und ihre eigene Magie. Nur durch die Nähe des Zeichens wurden wir stärker, verständiger und unsere Heimat lebte auf unter dem heilenden Licht des Amuletts, das sich ausruhen konnte von dem Kampf und Tod, das um es entbrannt war." Diese Wendung gefiel mir wiederum. Ich wandte mich seiner silbrigen Aura zu und blickte in sein freundliches Gesicht. Nein, entschloß ich, er ist nicht böse. Ob es auch Gutes in der Dunkelheit gibt? "Die Dunkelheit ist nicht böse," entgegnete er ruhig, "sie ist lebendig, wie der Tag auch. Nicht Hell und Dunkel sind die Feinde, Ujora, sondern etwas anderes." "Lebendiges und Totes?", riet ich. Er schüttelte den Kopf. "Entstehen und Vergehen sind untrennbar und Teil der Veränderung und des ewigen Kreises. Es ist die Leere. Die Leere ist das, was das Veränderliche, die Vielfalt, die Hoffnung und das, was du unter Leben verstehst, bedroht. Und aus dieser Bedrohung kommt auch der Feind, der das Zeichen sucht." Ich schauderte wieder. "Die Leere ist die andere Seite, Ujora. Nicht der Tod. Der Tod ist die Tür zu der Welt hinter den Träumen. Doch die Leere kennt weder Tod noch Traum." Ich begann langsam und vage, das Ausmaß seiner Worte zu begreifen. Das sonderbar blasse Wasser des Sees hinter dem Hügel fiel mir ein und die langsam zu Staub zerfallenden Bäume, das schmutzige Licht im Saal und die Mauer des Schweigens. Und, daß all das von jemandem verursacht worden sein mußte, ein langsam voranschreitendes, unerbittliches Zerfallen und Verschwinden. Ein namenloses Entsetzen durchfuhr mich, als ich zum ersten Male begriff. "Wer ist dein Feind?," fragte ich und hatte Angst. Yalomiro schien seine Kraft sammeln zu müssen, um antworten zu können. "Er heißt Meister Gor," sagte er dann. Meister Gor. Es war ein so kurzer Name, aber der Klang des Wortes war unheimlich und barg ein unbestimmtes Gefühl von Unruhe in sich. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Wer .. wer ist das?," zwang ich mich, weiter zu fragen. Yalomiro erhob sich und blickte in die Ferne. "Ich weiß es nicht genau. Ich weiß nicht, woher er kam und wohin er gegangen ist. Er ist ein großer Meister mit unglaublich starker Magie, aber kein Schattentänzer. Er ist ein goala’ay, ein Meister des Todes, aber er ist es auch wieder nicht, denn er hat sich einer fremden Macht angeschlossen. Er ist ein Zauberer, der nun der Leere dient. Und er will das Zeichen. Er tötete meinen Meister dafür, und er verwandelte mich in einen Stein." Yalomiro schluckte und schüttelte den Kopf. "Er ist unglaublich mächtig. Und er ... er tat noch etwas anderes mit mir." Der junge Zauberer bebte und schien gegen etwas anzukämpfen. Es schien mir fast, als würde er von Tränen geschüttelt, aber seine Augen blieben trocken und bodenlos. Ich blickte fragend zu ihm hinüber. "Ich habe ihm nicht verraten, wo das Zeichen ist, und ich war nicht bereit, ihm auf seine Seite zu folgen. Er konnte mich nicht töten, also mußte ich zu Stein werden." Ich blickte immer noch fragend in seine Augen und wartete. "Weil die Zeit langsamer durch Steine geht," erklärte er hilflos, "weil die Zeit und die Einsamkeit meinen Willen brechen sollten und ..." Ich schüttelte den Kopf. "Aber das ist nicht das, was dich so aus der Fassung bringt, nicht
wahr?"
Er verstummte überrascht und nickte dann kraftlos. "Nein. Es ist die Macht eines mehr als mächtigen Zauberers, etwas Lebendiges gegen dessen Willen in eine unbelebte Form zu zwingen, aber das war nicht der Grund, weshalb ich ihn so fürchtete." Ich schwieg auffordernd. "Er brachte mich dazu, ihn zu hassen," sagte Yalomiro dann, und es kostete ihn sichtlich Überwindung, diese Worte auszusprechen. Ich blickte ihn verwirrt an. "Das ist doch kein Wunder," sagte ich, "ich hätte ihn wohl auch gehaßt." "Aber du bist eine Unkundige. Du gebietest dem Haß, wenn du es willst." Er verstummte und blickte dann zu mir hinüber. "Und du weißt, wie du mich zum Sprechen bringst, nicht wahr? Ich werde wohl keine Geheimnisse vor dir bewahren können." Ich wich seinem Blick aus. "Willst du denn kein Vertrauen zu mir haben?" Yalomiro seufzte tief und wirkte mit einem Male recht hilflos. "Ich muß das Zeichen finden und aus dem Versteck holen, bevor Meister Gor es finden kann. Ich weiß nicht, wie weit seine Macht reichen mag, aber vielleicht ist er stark genug, um das Zeichen zu beherrschen. Und das wäre das Ende des Kreises." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Er schüttelte sich, wie um eine unangenehme Vorstellung abzustreifen, und wandte sich dem fahlen Mond zu. "Wenn ich das Zeichen zurück an seinen Platz gebracht habe, wenn die Schattentänzer es wieder bewachen können -- dann wird es für dich einen Heimweg geben." Ich dachte an zu Hause und nickte. "Ich begleite dich auf deiner Suche, so weit ich es kann," sagte ich dann leise. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, als er antwortete, aber ich war mir sicher, daß er schon wieder lächelte. "Das ist riskant für dich. Wir werden Gefahren begegnen, denen du dich nicht stellen kannst." "Ist es ungefährlicher, hier zu warten? Hier -- inmitten der Angst und der Auflösung?" Er drehte sich abrupt zu mir um. Seine Augen glommen silbrig auf und verloschen wieder. "Laß uns gehen," entschied er bestimmt. „Wenn du ohnehin nicht ruhen kannst, ist es sinnlos, Zeit zu vergeuden.“ Er wandte sich in Richtung des Mondes und ging einige Schritte voraus. "Wohin?," fragte ich und folgte ihm. "Über die Berge," antwortete er. Ich blickte zu dem gewaltigen Gebirge in der Ferne und mir wurde bewußt, wie weit diese Reise sein mochte. "Das ist... weit weg," sagte ich unsicher. „Ein weiter Weg!“ "Das ist erst der erste Schritt," entgegnete er trocken, blieb stehen und schien nachzudenken. Dann legte sich ein fast schelmisches Lächeln auf seine Lippen. "Kannst du reiten?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein. Ich mag Pferde wirklich sehr gerne, aber ich habe mich nie auf eines gewagt." "Dann wird es heute Nacht dein erster Ritt werden," sagte er unbekümmert. "Und du sollst ein Reittier bekommen, wie du nie zuvor eines gesehen hast." Ich blickte ihn verwundert an. "Willst du ein Pferd herbeizaubern?" "Nicht ganz," gab er zurück. "Du wirst es sehen." Er warf einen raschen Blick zum Mond und dann wieder zu mir. "Schließe die Augen für einen Moment. Ich will nicht, daß du dich erschreckst." Ich schluckte, erwartete etwas Unangenehmes und gehorchte ihm. Nichts schien zu geschehen. Die Nacht war lautlos, und kühl, aber noch immer spürte ich seine Silberaura die Angst zurücktreiben. Ich fühlte mich sicher und wagte es schließlich, als gar nichts passierte, wieder zu schauen.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Dann stieß ich einen erschrockenen Laut aus und wich überrascht einen Schritt zurück. Vor mir stand das schönste Pferd, das ich jemals zu Gesicht bekommen sollte. Es war ein Hengst, sehr groß, schlank und feingliedrig. Das milchige Licht des Mondes schimmerte auf einem pechschwarzen, seidig glänzenden Fell, nicht ein einziger heller Fleck war darauf zu finden. Mähne und Schweif waren üppig und wallend, und die großen sanften dunklen Augen schienen silbrig widerzuscheinen. "Yalomiro?", fragte ich überrascht. Das Pferd schnaubte zustimmend. Wieso überrascht mich das? Warum sollte sich ein Zauberer nicht in ein Tier verwandeln können? Ich sah Yalomiros Tasche auf dem Boden liegen und hob sie auf meine Schulter. Dann näherte ich mich staunend dem Tier. "Ich bin der Schattenhengst," sprach das Pferd plötzlich mit seiner Stimme, was mich doch erschreckte, da ich es nicht erwartet hatte. "Mein Galopp ist schneller als der Zug der Wolken des Herbstes, und sanft wie die Wellen auf dem Meer. Ich bin der Unzähmbare, den nie ein Mensch berühren durfte und der niemanden auf seinem Rücken duldet." Ich zögerte. Das Pferd schüttelte den Kopf, daß die Mähne nur so flog, und scharrte ungeduldig mit den Vorderhufen. Als diese auf dem kahlen Gestein aufschlugen, sprühten Funken darunter, wie von Feuersteinen. Ich drückte die Tasche an mich und starrte das Tier verunsichert und ängstlich an. Das Pferd schnaubte auffordernd. "Ich bin der schwarze Hengst des Schattens, der gejagt wird von denen, die ihn besitzen wollen und die ihn nie besitzen werden. Ich bin die Schönheit und ich bin die Gefahr." Ich wußte nicht so recht, was ich nun tun sollte. Sein Verhalten ängstigte mich, obgleich seine Eleganz und seine Anmut mich faszinierten. Er blieb ruhig stehen, verharrte einen Moment und knickte dann in den Vorderbeinen ein. "Steig auf, Ujora. Es ist an der Zeit, daß der Schattenhengst eine Herrin findet. Steig auf und hab Vertrauen in ein Wesen der Lebendigen Nacht." Ich traute ihm nicht. "Du wirst mich auch nicht abwerfen?", fragte ich mißtrauisch. Er antwortete nicht darauf. "Du mußt mir vertrauen." Ich trat an das herrliche Pferd heran und schickte mich an, seinen Rücken zu erklimmen. Obwohl Yalomiro sich schon klein gemacht hatte, gelang es mir erst mit einiger Mühe, sicher aufzusitzen. Und erst, als er sich wieder aufrichtete, erkannte ich, wie groß das schwarze Pferd sein mußte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Halte dich gut fest," empfahl er mir, "ich bin wirklich sehr schnell. Wir werden die Berge bis zum Morgen erreicht haben." Ich blickte zum Gebirge, schätzte die Entfernung, begriff, was das bedeutete. Und Yalomiro galoppierte an, mit einem gewaltigen Ruck, der mich fast von seinem Rücken geschleudert hätte. Ich griff hastig nach der langen schwarzen Mähne und krallte mich besinnungslos darin fest, so heftig, daß es ihn gewiß schmerzte. Mit den Beinen umklammerte ich den schlanken Leib und versuchte verzweifelt, mich irgendwie oben zu halten, was sich aber als sehr anstrengend erwies. Eisiger Gegenwind schlug mir ins Gesicht, ich schloß die Augen und unterdrückte Tränen der Panik, als mir klar wurde, daß Yalomiro bei diesem Tempo vermutlich gar nicht bemerken würde, wenn er seine Last verlor. Und unter seinen Hufen stoben die Funken. Die kalte Zugluft verschlug mir den Atem, und immer tiefer grub ich meine Hände in die Mähne des Pferdes. Nur nicht stürzen, war mein einziger Gedanke in diesem Moment. "Du solltest dich entspannen," hörte ich seine Stimme im Wind. Ich versuchte, meine Furcht zu ignorieren und horchte auf das gleichmäßige Schlagen der Hufe auf den kahlen Boden. "Folge meinen Bewegungen", hörte ich ihn, "und vertraue mir!" Ich nickte verstört und lockerte ein wenig meine verkrampften Beine. Und stellte überrascht fest, wie geschmeidig und rhythmisch er sich bewegte und wie sanft sein Lauf trotz der halsbrecherischen Geschwindigkeit war. Die graue und sterbende Landschaft um uns herum flog nur so vorüber. Was blieb, war der schneidende Wind, und ein monotones Trommeln der Pferdehufe unter mir. Das hier ist ein Traum, versicherte ich mir immer und immer wieder, während sein Galopp mich wiegte und in unglaublichem Tempo den grauen Bergen näher und näher brachte.
*
Als ich wieder zu mir kam, umgab mich unbestimmt graues und naßkaltes Morgenlicht. Im ersten Moment fand ich mich nicht zurecht, blickte auf graue Felsen um mich herum und hörte einen dumpfen Widerhall von Hufschlägen. Ich fuhr auf und entdeckte, daß ich lang vorüber auf dem Hals des schwarzen Pferdes hingesunken gelegen hatte, das nun in gemächlichem Schrittempo dahertrottete. "Guten Morgen," sagte der Schattenhengst.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Guten Morgen," erwiderte ich verwundert. Dann sah ich mich genauer um und erkannte, daß der Hengst einem schmalen Pfad folgte, der an beiden Seiten von steilen Felswänden gesäumt war, die schwindelerregend hoch aufragten, ein Pfad, der unwirklich und beklemmend wirkte. Es schien, als seien die Berge links und rechts von einem gewaltigen Axtschlag gespalten worden, und durch diese Spalte führte nun der Weg. Irgendwo hoch oben war das Tageslicht, von dem nur wenig hinabdrang. "Was ist passiert?", fragte ich, mit einem Male hellwach. "Du bist eingeschlafen," sagte er ruhig, "und das, während ich rannte. Siehst du nun, wie du mir vertrauen kannst?" Mir wurde schwindelig bei diesem Gedanken. Auf einem galoppierenden Pferd einzuschlafen, erschien mir absurd. Oder verhext. Das Pferd blieb stehen. "Bitte steig ab. Ich möchte wieder ein Mensch werden." Ich rutschte gehorsam von seinem Rücken hinab, erinnerte mich zu spät an die Höhe, in der ich mich befand und fiel unsanft tiefer zu Boden, als ich beabsichtigt hatte. Als ich mich mit schmerzenden Gliedern erhob, streckte mir Yalomiro seine Hand entgegen. Ich ließ mir aufhelfen. Er war wieder in seiner menschlichen Gestalt und wirkte ein wenig müde, aber zufrieden. "Verwandelst du dich öfter in ein Tier?," fragte ich. Er tat eine unbestimmte Geste. "Wenn mir die Tierform für den Moment nützlicher ist als mein eigener Körper, dann schon. Aber ich bin nicht immer ein Pferd. Ich beherrsche außerdem die Katze, den Raben und den Delphin." Ich begriff. "Land, Wasser und Luft." Er nickte zustimmend. "Und das Rätsel." Das verstand ich nun wiederum nicht, aber ich wollte nicht zu neugierig wirken. Er ging auf dem schmalen Pfad weiter und ich versuchte, auf seiner Höhe zu bleiben. Denn auch hier spürte ich die Angst, die nur in seiner unmittelbaren Nähe zurückwich. Kurze Zeit später jedoch blickte er besorgt zu mir hinüber. "Du bist hungrig?" Ich nickte verlegen. "Denke ich schon wieder zu laut?" Yalomiro ging weiter und zeigte eine nachdenkliche Miene. "Das ist ein Problem. Ich selbst esse selten, da ich meine Kraft aus dem Licht schöpfe und keine Nahrung brauche. Daher führe ich auch keine Vorräte mit mir." "Kannst du nicht irgendetwas herbeizaubern?", entfuhr es mir .
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro lachte. "Du stellst dir immer noch einen Hexenmeister aus den Geschichten deiner Kinderzeit vor. Nein, Ujora. Ich kann Dinge nur verändern, aber nichts erschaffen. Ich bin nicht allmächtig." "Dann werde ich versuchen, nicht daran zu denken." Ich ignorierte meinen protestierend knurrenden Magen und blickte schaudernd zu den Felswänden auf. "Wohin führt dieser Weg?" "Hinauf," antwortete er, "hinauf zu den Gipfeln der Himmelsberge. Und auf ihrer anderen Seite beginnt das Tote Land, über das die Graue Königin herrschte. Ich muß zum Meer, und das liegt jenseits der Grenzen ihres Reiches." Ich spürte wieder Furcht in mir, die sich gegen die Beklemmung um mich drängte. "Das Tote Land?" Yalomiro zuckte die Achseln. "So nannte sie es. Und ich ahne, wie es ist. Es ist so, wie der Schwarze See und der Silberne Wald bald sein werden. Die Leere frißt die Veränderung auf, und alles wird stumm und kalt." "Ist dort gar nichts mehr?", fragte ich und versuchte, mir völlige Leere vorzustellen, was aber nicht gelang. Yalomiro verharrte einen Moment und schaute blicklos, wie in sich horchend, dorthin, wo der Pfad in der seltsamen nebelhaft unklaren Dämmerung der Schlucht verschwand. "Nur noch sie -- und ihr Gefolge. Alles andere ist fort." Ich schauderte. "Ich habe Angst," sagte ich. Yalomiro nickte. "Du wärest töricht, wenn du dich nicht fürchten würdest. Ich habe auch Angst." Und er setzte mit eiligen Schritten seinen Weg fort, und ich lief ihm nach, um nicht von der Angst eingeholt zu werden.
4.
Die Graue Königin erwachte aus einem Zustand traumlosen Schlafes und richtete sich verwundert auf. Sie lag angekleidet auf dem Bett in ihrem Gemach, um sie herum trostloses graues Tageslicht und völlige Stille. Als sie sich aufsetzte, fiel ihr Blick auf den Spiegel, und ihr bleiches, puppenhaft starres und makelloses Gesicht blickte ihr entgegen. Ein Gefühl, das einer Mischung aus Verzweiflung, Zorn und Bedauern glich, überkam sie, aber sie fühlte sich zu lustlos und matt, um ihre Verärgerung zu zeigen. Sie stand daher schließlich widerwillig auf und trat an das Fenster, das auf den Burghof zeigte.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Dort draußen war nichts. Graue, schmucklose Steinwände umgaben den geräumigen Hof, aber dieser lag in völliger Stille da. Niemand hielt sich dort auf, um irgendwelchen Beschäftigungen nachzugehen, und kein Tier zeigte sich, keine lärmenden Hühner oder kläffenden Hunde, kein Pferd befand sich im Freien, wie es in jeder anderen Burg der Fall gewesen wäre. Die Königin seufzte und versuchte, sich an jene Tage zu erinnern, in denen noch Farben und Geschäftigkeit die Burg und das Land ringsum erfüllt hatten. Aber die Gedanken entglitten ihr, ohne, daß sie sie fassen konnte, und als sie sich umdrehte, blickte sie wieder nur die bleiche Frau im Spiegel an -- wunderschön und kalt. Die Königin wischte verärgert die letzten Fasern von Erinnerung beiseite und beeilte sich, ihre Kemenate zu verlassen und den Rotgewandeten aufzusuchen.
*
Meister Gor befand sich in seinem Zimmer, hoch oben im der Hauptgebäude der Grauen Burg, hatte sich an einem Tisch niedergelassen, so daß auch er zum Fenster hinblicken konnte, und schaute geistesabwesend zu den bewegungslosen grauen Wolkenbergen hin, die am Himmel standen. Abgesehen von Stuhl, Tisch und Bett war der Raum völlig leer - der Rotgewandete besaß keine persönlichen Dinge, nur einige wenige magische Werkzeuge hatte er bei sich gehabt, als er vor vielen Jahren auf der Grauen Burg erschienen war. Die Graue Königin erinnerte sich noch recht gut an jene Zeit, und als sie nun das Zimmer betrat, lautlos und vorsichtig, fragte sie sich, weshalb der Rote Zauberer ausgerechnet sie erwählt haben mochte, damals. "Ihr langweilt Euch wieder," stellte der Magier fest, ohne sich zu ihr umzudrehen, und sie wunderte sich darüber, daß er sie bemerkt hatte. "Es geschieht nichts mehr," sagte sie knapp. Meister Gor erhob sich und trat zum Fenster. Die Lippen unter seiner schwarzen Maske waren starr, und seine farblosen Augen schienen in den Wolken nach etwas zu suchen. "Ihr sollt schon sehr bald ein wenig Abwechslung bekommen," sagte er knapp. Die Graugewandete schwieg fragend. "Der Reifen wurde zerbrochen," sagte der Magier, "der Stein wurde wieder belebt." Er drehte sich um und schenkte der Königin einen starren Blick. "Der Schattentänzer ist unterwegs, und er wird unsere Straße kreuzen." Die Königin nickte langsam. "Wie ist das möglich? Wie konnte er sich befreien und die Mauer überqueren?" Meister Gor lächelte ungeduldig. "Er wurde befreit, von jemandem, der von außen kam." Die Königin entgegnete nichts darauf, und Meister Gor fuhr fort. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Die Leere hat das Land seines Volkes noch nicht ganz ergriffen. Daher macht er sich auf die Suche nach dem Zeichen. Und das ist unsere Chance. Wir müssen ihn finden und ihn dazu bringen, das Amulett uns zu überlassen. Und zwar, bevor er es in Händen hält." Die Graue Königin nickte. "Wo ist er jetzt?" Meister Gor wies in die Ferne, hin zu den Bergen. "Er überquert das Gebirge," sagte er. "Und dort werden wir ihm begegnen." Die Königin wandte sich ab. "Ich werde den Reitern befehlen, daß wir sofort aufbrechen." Der Rotgewandete nickte zufrieden, und die Königin schickte sich an, fortzugehen. "Herrin," hielt er sie nochmals zurück. Die Graue Königin blieb stehen und warf ihm einen fragenden Blick zu. "Er ist nicht allein," sagte Meister Gor schlicht.
*
Viele Stunden waren vergangen, und Yalomiro hatte nicht ein einziges Mal angehalten. Schier unermüdlich war er dem Pfad durch die Schlucht gefolgt, der sanft anstieg, kerzengerade war und mir nicht den Eindruck vermittelte, daß er ein Gebirge durchschnitt, dessen Gipfel durch die Wolken brachen. Mit meinen eigenen Kräften hingegen sah es nicht besonders gut aus. Der Hunger, den ich seit den Morgenstunden verspürte, war indes kaum mehr auszuhalten, und dazu gesellte sich quälender Durst. "Können wir denn keine Pause machen?," fragte ich schwach, "Es wird bald schon wieder dunkel werden!" Yalomiro wandte sich zu mir um. "So spät ist es noch nicht. Aber wenn es Nacht ist, kannst du wieder reiten," versprach er. Ich seufzte. "Wirst du nie müde?" Yalomiro blieb stehen. "Ich bin müde. Aber ich möchte nicht länger als nötig hier in der Schlucht bleiben." Ich schleppte mich einige Schritte weiter. Er betrachtete mich mit einer Mischung aus Besorgnis und Ratlosigkeit im Blick. "Zu Füßen der Berge, auf der anderen Seite, gibt es ein Tal, das noch lebt," versuchte er, mich aufzumuntern. "Das fühle ich mit Sicherheit. Ich spüre Leben jenseits des Berges, Fülle und Kraft. Dort können wir rasten." Ich seufzte und blieb stehen, lehnte mich an die spiegelglatte Felswand und ergab mich einigen Sekunden der Ruhe. „Du spürst, was hinter diesem Gebirge ist?“, fragte http://home.tiscalinet.de/lamaga
ich überrascht.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga „In dem Schweigen, das die Leere verursacht, höre ich die Stimmen der Bäume bis hierher,“ antwortete er und bemerkte, daß ich stehen geblieben war. Yalomiro kam näher und musterte mich mit einer interessierten Neugier, und ich fragte mich, ob es für ihn wohl aufregend war, jemandes Erschöpfung zu beobachten. "Wir werden nicht mehr lange unterwegs sein," versprach er. "Das Pferd ist schnell, und morgen früh werden die Berge hinter uns sein." Ich nickte ergeben. Er wartete einen Moment lang ab und lächelte dann. "Es gibt leider keinen anderen Weg." "Aber was liegt hinter diesem Tal," sagte ich, "was wird uns im Toten Land erwarten?" Yalomiros Lächeln schwand. "Denk daran noch nicht." Ich rutschte zu Boden, den Rücken immer noch an den kalten Fels gelehnt und setzte mich entkräftet hin. Yalomiro zögerte einen Augenblick, tat es mir dann nach und ließ sich mit untergeschlagenen Beinen mir gegenüber nieder auf den kahlen Boden. Einen Moment lang sagte niemand etwas. "Ich habe außer dir in dieser Welt noch keine anderen Menschen gesehen," sagte ich. "Was ist mit ihnen geschehen?" Yalomiro hob unentschlossen die Hände. "Der Silberne Wald war nie von Unkundigen bewohnt," sagte er, "nur ich und mein Meister und einige andere Schattentänzer waren dort. Die Unkundigen sind jenseits des Sees -- und noch hält der See die Leere zurück. Du mußt dich nicht um sie sorgen. Sie werden vor der Leere geflohen sein, hinter die Berge zur anderen Seite – in die heißen Länder. Die Leere löscht nicht sofort aus -- sie zersetzt nur, was zu lange in ihr ist. Man kann vor ihr fliehen, wenn man es will." "Und die anderen Schattentänzer?", fragte ich. Yalomiro zuckte die Achseln. "Einige werden zu den Unkundigen gegangen sein. Aber ich befürchte, daß viele sich gegen Meister Gor gewandt haben. Aber selbst, wenn das geschehen ist – alle die, die ich kannte, müssen zwischenzeitlich am Alter gestorben– oder uralt geworden sein. Ich hoffe dennoch, daß ich meinesgleichen im Tal finden werde, daß man sie dort aufgenommen hat." "Was ist das für ein Tal?" Yalomiro lächelte flüchtig. "Du wirst schon sehen. Ich kenne es auch nur aus Erzählungen. Aber es soll sehr schön sein." Ich schloß müde die Augen. All das Neue, Fremde und Beängstigende um mich herum überforderte mich, und der Durst machte meine Lage nicht angenehmer. Yalomiro betrachtete mich unverwandt, und ich ahnte, daß er wieder meinen Gedanken zuhörte.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich versuchte, seinen Blick möglichst gleichgültig zu erwidern, aber es gelang nicht. Schließlich senkte er den Blick wieder. "Es hätte dir gefallen, wärest du gekommen, bevor all das geschah. Der Wald war von einer heiteren Schönheit und Stille, und der See gab Leben und Kraft. Nun ist von unserem Reich nicht viel übrig -- außer mir." Ich antwortete ihm nicht darauf. "Du bist rein," sagte er unvermittelt. Ich zuckte irritiert zusammen und warf ihm einen raschen Blick zu. Er lächelte. "Du mußt dich nicht fürchten. " "Ich habe Angst vor all dem hier," sagte ich scheu. "Ich kann das nicht begreifen. Dies ist nicht die Welt, die ich kenne. Bei mir ist alles ganz anders." Yalomiro nickte bedauernd. "Du bist anders als wir, und deshalb ängstigt dich unsere Art und das Seltsame um uns." Er schwieg einen Moment lang nachdenklich und fuhr dann fort: "Du bist unberührt, du hast nie Zauber gespürt. Es fällt mir schwer, deine Gefühle zu begreifen, denn der Zauber in mir war vorhanden, seit ich meinen ersten Atemzug tat. Ich kann nicht verstehen, wie Unkundige diesen Kräften begegnen." Ich schüttelte den Kopf. "Ich kann es dir nicht beschreiben. Es ist schrecklich verwirrend, und es macht mir Angst." Sein tiefdunkler Blick musterte mich noch eine Weile, dann erhob Yalomiro sich wieder. Schwach und todmüde tat ich es ihm nach. "Wie lange willst du noch laufen?," fragte ich ihn. Yalomiro hob die Hände zu einer unbestimmten Geste. "Wir sollten nicht zu lange hier in den Bergen sein. Es ist nicht ungefährlich." Ich schritt kraftlos einige Schritte weit hinter ihm her. "Ich bin durstig," klagte ich. Yalomiro blieb stehen und horchte ins Leere. Verunsichert zögerte auch ich. Dann hob er langsam die Hand und streckte sie nach mir aus. Erschrocken wich ich einen Schritt zurück, aber er schüttelte den Kopf. "Ich kann kein Wasser erschaffen," sagte er, "aber ich kann dir den Durst nehmen. Zumindest soweit kann ich ihn lindern, bis wir Wasser finden. Laß mich dich berühren." Ich nahm all meinen Willen zusammen und blieb steif stehen. Es war mir unangenehm, daß er mich antasten wollte, aber andererseits spürte ich, daß er mir helfen wollte. Er blickte mich fest mit seinem schwarzen Blick an und legte dann sacht seine Fingerspitzen auf meine Lippen. Ein seltsames Gefühl überkam mich, wie ein leises, aber nicht unangenehmes Erschauern. Ich zuckte überrascht zusammen. Dann war das Gefühl weg, und Yalomiro ließ die Hand sinken. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Komm," sagte er dann knapp. Er wandte sich ab und ging dann mit eiligen Schritten weiter voran durch die Schlucht. Ich folgte ihm rasch, und stellte zu meiner Überraschung fest, daß ich kein Durstgefühl mehr verspürte. Es war nicht so, als hätte ich mich gerade sattgetrunken, sondern eher wie dann, wenn man einfach keinen Durst hat -- kein Sattsein, sondern Gleichgültigkeit gegenüber dem Verlangen nach Wasser. "Warum hast du eigentlich Angst vor mir?", fragte er nach einer Weile. "Ich habe keine Angst," behauptete ich. Er schwieg abwartend. "Fürchtest du dich vor den Kräften, die in mir sind?," fuhr er dann fort. "Das brauchst du nicht. Ich habe sie völlig unter Kontrolle. Ich würde nie Schaden mit ihnen bewirken wollen." Ich sagte nichts darauf. "Oder fürchtest du dich vor mir, weil du allein mit mir bist?" Ich blieb stehen und er drehte sich zu mir um. "Ich spüre deine Furcht," sagte er sanft. „Aber ich verstehe sie nicht.“ "Ich weiß nicht," sagte ich. "Ich kann dir nicht erklären, was es ist." Er nickte und wirkte irgendwie traurig. "Ich will nicht, daß du Angst vor mir hast. Niemand braucht sich vor uns zu fürchten." Ich antwortete nicht, und er ging mit einem leisen Seufzer weiter. Ich folgte ihm in einigen Schritten Abstand. "Damals, bevor die Leere kam," fuhr er nach einer Weile fort, "da war der Silberne Wald voller Leben, und das stille Wasser des Schwarzen Sees erfüllte die Welt mit Kraft und Fruchtbarkeit. Damals hättest du diese Welt gemocht. Und damals war ich anders als heute." Ich blickte auf. "So?" Er nickte. "Heute bin ich ein mit Unruhe und Zweifeln erfüllter Magier, der eine schreckliche Suche vollbringen muß. Damals war ich ein von Frieden und Weisheit erfüllter Schüler, behütet von meinem Meister. Ich lernte, schaute und verstand. Ich begeisterte mich für die Schönheit, das Wachsen und die Kunst. Ich war ein Gärtner und ein Musiker. Doch das ist lange her." Ich ging etwas rascher, so daß ich an seine Seite aufschloß. Und schaute scheu zu ihm hinüber. Yalomiro sah ernst aus. Und ich suchte nach Worten. "Ich bin einsam gewesen -- in meiner Welt," sagte ich dann leise. "Warum?", fragte er neugierig. Ich zuckte die Achseln. "Ich weiß nicht. Ich habe -- niemanden gefunden, der sich wirklich für mich interessiert hätte." Er schwieg, aber ich wußte, daß er mir zuhörte. "Es ist albern," sagte ich rasch und hoffte, das Thema sei damit beendet. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Du bist nicht bereit gewesen für die, die dir begegnet sind," ergriff er plötzlich das Wort. "Bereit?" Er lächelte. "Manche erwachsen langsam für die, die ihnen etwas bedeuten sollen. Und du warst noch nicht bereit, dich dem Leben zu öffnen. Ich spüre, daß du etwas Besonderes bist, Ujora. Du hast viel Wärme in dir, zuviel, um sie an das Alltägliche zu vergeuden. Du warst verschlossen." Ich wußte nichts darauf zu entgegnen. Yalomiro streckte die Hand sacht nach mir aus und berührte mich an der Schulter. Ich zuckte zusammen, ließ es aber geschehen. "Du bist mutlos und traurig, Ujora. Du willst deine Wärme teilen, aber niemand scheint sie zu brauchen. Und doch ist deine Wärme heilend und tröstend. Deine Welt weiß nicht, was sie zurückweist." Es war mir peinlich, daß er so zu mir redete, obwohl ich spürte, daß er es gut meinte und mich trösten wollte. "Vermutlich bin ich selber schuld daran," sagte ich. Er schüttelte den Kopf. "Warum meinst du das?" Ich mußte daran denken, wie dumm ich mich oft verhalten hatte, dumm und ungeschickt. Daran, wie ich aussah. Alle anderen waren ausnahmslos viel attraktiver als ich. Und alle anderen hatten bereits Freunde gefunden. "Vorsicht, Ujora," mahnte er mit besorgter Stimme, "das, was du für Schönheit hältst, ist es nicht. Du strebst nach einem vergänglichen und wertlosen Gut." Ich errötete, weil er meine Gedanken belauscht hatte. "Dort, wo ich herkomme, ist Schönheit der Maßstab für das Leben," erklärte ich leise. Yalomiro lachte belustigt. "Das ist unter den Unkundigen dieser Welt genauso. Aber dadurch wird es nicht richtig. Es gibt zwei Arten von Schönheit, Ujora: die Makellosigkeit und die Wahrheit. Die Makellosigkeit ist flüchtig und vermag zu täuschen. Nichts Lebendiges ist von ewiger Perfektion. Alles verfällt und welkt. " Ich lächelte traurig. "Ist das nicht eine sehr bittere Sichtweise?" Yalomiro blieb stehen und in seinen tiefen Augen stand ein Ausdruck, den ich nicht deuten konnte. "Eine Blume, und sei sie noch so welk, ist schön, weil sie eine Blume ist. Das ist die Schönheit des Wahren. Und es ist die einzige Schönheit, die meine Augen und meine Seele erkennen können." Ich wußte nicht, was ich darauf antworten sollte. Yalomiro lachte leise und ging dann weiter. Ich folgte ihm. "Du bist schön," sagte er plötzlich unvermittelt.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich errötete und wußte nicht, wie ich reagieren sollte. Ein so direktes Kompliment war mir peinlich und beschämte mich. Zumal ich annahm, daß er einfach nur etwas Nettes sagen wollte. "Danke," entgegnete ich mechanisch. Yalomiro drehte sich wieder zu mir um und blieb stehen. Seine Augen waren tiefdunkel und musterten mich schweigend. Und sein Gesicht gab keinen Aufschluß über seine Gedanken. Ich versuchte, seinem Blick auszuweichen, aber das glückte mir nicht. "Du bist schön, weil du ein Mädchen bist," sagte er dann. "Und weil du rein bist. Und Wärme in dir trägst." Ich wäre am liebsten im Boden versunken, so verlegen machten mich seine Worte. Aber er lächelte nur mit einem nachdenklichen Zug um die Lippen. Dann wandte er sich wieder ab und ging weiter den schmalen Pfad entlang. Ich folgte ihm erst, als ich die Angst wieder spürte. "Yalomiro," sagte ich endlich zaghaft, und als er sich nach mir umblickte, verließ mich augenblicklich wieder der Mut, ihm zu sagen, was ich schon seit einiger Zeit krampfhaft in Worte zu verpacken versuchte. "Es stimmt," stieß ich schließlich entschlossen hervor, "ich habe Angst vor dir. Angst, weil du anders bist als alle, die ich kannte. Angst, weil ich dich nicht verstehen kann." Ich zögerte mit meinen Worten und schloß tapfer: "Und Angst, weil ich beginne, dich lieb zu haben." Yalomiro wandte sich ab, und zu meiner größten Überraschung wirkte er ernsthaft betroffen. "Mich lieb zu haben?", fragte er tonlos. Ich nickte scheu und verwirrt durch seine Reaktion. Ich hatte seinen Spott befürchtet. Aber ich sah nur eine seltsame Traurigkeit in seinem Blick. Er wirkte mit einem Male kraftlos und müde. Eine Weile sagte niemand etwas. Dann blickte er wieder auf. Und seine Augen waren beinahe schwarz und sahen ins Leere. Auf sonderbare Weise wurde mir klar, daß ich etwas unternehmen mußte, in irgendeiner Weise auf seine plötzliche Hilflosigkeit reagieren mußte. Ich biß auf meine Lippen und zögerte. Von dem, was ich nun tat, würde vielleicht mehr abhängen, als ich es im Moment abschätzen konnte. Gleichzeitig hatte ich unsagbare Angst, ihm zu nahe zu treten. Und sein Blick war bodenlos. „Niemand,“ sagte er leise, „niemand hat mich bisher – lieb gehabt. Nicht auf diese Weise.“ Ich nahm meinen Mut zusammen und ging einen Schritte auf ihn zu. Und legte sacht beide Arme um ihn. Yalomiro erstarrte, als beängstigte ihn die Berührung. Aber er duldete es, daß ich ihn umarmte und an mich drückte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich spürte seinen schlanken, warmen Körper und schmiegte mich an ihn. Yalomiro war ein gutes Stück größer als ich, und meine Wange berührte seinen Hals. Und ich spürte die schützende Silberaura um ihn herum intensiver als je zuvor. Zögernd und fast scheu legte auch er beide Arme um mich, und ich bemerkte, wie er bebte. "Warum zitterst du?", fragte ich und schluckte Tränen, die hervorbrechen wollten. Er antwortete nicht sofort. "Wärme," sagte er dann mit seltsam heiserer Stimme, "von dir geht so viel Wärme aus, und du richtest sie auf mich. Ich ertrage deine Wärme kaum. Es ist Wärme, die ich nicht erwidern kann." Ich blickte zu ihm auf und sah in ein Gesicht voller Verwirrung und Furcht. Doch ich begriff, daß ich ihn auf keinen Fall loslassen durfte. "Willst du, daß ich gehe?", fragte ich dennoch und fürchtete, ihm weh zu tun. Er schluckte und schüttelte dann den Kopf. "Nein," sagte er. "Deine Wärme ist gut. Deine Wärme gibt Kraft und Leben, auch, wenn sie mich verbrennen wird." Ich lockerte erschrocken meinen Griff, aber er umfaßte mich fester. "Nein," sagte er. "Laß mich nicht los. Der Schmerz wird mich stärken. Und ich spüre bereits, wie er sich wandelt, zu etwas Mächtigem und Heilendem." Und so blieb ich stehen und umarmte ihn weiter. Und ich fragte mich, ob es richtig war, was ich tat.
*
Die Graue Königin betrachtete die Szene mit ausdruckslosem Blick. Meister Gor beobachtete, wie sie den Anblick, den ihr der magische Kristall, den er mit sich führte, ihr bot, mit einer Mischung aus Zorn und Fassungslosigkeit besah, die ihn faszinierte. "Eine Unkundige," sagte sie dann leise. Meister Gor blickte selbst in den roten Edelstein, ein simples Werkzeug, daß ihm zeigte, was in weiter Entfernung geschah. Er selbst benötigte diesen Tand nicht, ihm sagten seine Instinkte und seine innere Magie, was auf dem Paß zwischen den Himmelsbergen geschah. Aber er hatte sich das boshafte Vergnügen nicht nehmen lassen, es der Königin auch vor Augen zu führen. "Eine Unkundige, ganz recht," sagte er dann. "Sie weiß nicht, was sie tut. Ihm antut." Die Graue Königin starrte verärgert auf das Bild im Kristall. "Sie berührt ihn zärtlich, und er läßt es geschehen." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Meister Gor lächelte fein. "Sie will ihm zeigen, daß sie ihn mag," entgegnete er vergnügt. "Sie kommt von einer Äußeren Welt und hat wahrscheinlich noch nie Erfahrungen mit den Dunklen Magiern gemacht. Ihr müßt bedenken, Königin, daß Schattentänzer-Männer auf Unkundige auf eine ganz besondere Weise wirken. Ihr Charme und ihr Charisma verlocken alle Unkundigen. Aber natürlich weiß sie nicht, auf was sie sich einläßt. Und wie gefährlich das für sie und ihn ist." Die Königin blickte flüchtig zu Meister Gor hin. "Sagtet Ihr nicht, Schattentänzer könnten nicht lieben?" Meister Gor nickte und nahm den Kristall wieder an sich. Augenblicklich verdunkelte er sich. "Das ist das Gefährliche. Erinnert Ihr Euch an damals, als ich in Yalomiro den Haß erweckte? Erinnert Ihr Euch an den Schmerz und den Wahnsinn in seinen Augen? Nun, Liebe ist genauso schmerzhaft für die Schattentänzer: eine Emotion, die ihnen fremd ist und die sie mit ihrem Verstand nicht erfassen können. Das weiß die Unkundige nicht, und so versucht sie, ihre Liebe mit Askyns Schüler zu teilen. Doch sein Geist ist zu schwach, um verstehen zu können. Das, was sie ihm zumutet, ist für ihn eine Marterung." Die Königin lachte verächtlich. "Er scheint sie zu genießen. Ein süßer Schmerz." Meister Gor schwieg und dachte nach. Es war wahrlich eine riskante Sache, die sich dort zwischen der Unkundigen und dem Schattentänzer abspielte. Denn Yalomiro war anders als die anderen Schattentänzer. Er hatte Haß empfunden, und der Haß hatte ihn nicht umgebracht. Was nun, wenn Yalomiro sich auch als fähig erweisen sollte, Liebe zu ertragen? Und – zu erwidern? Das, was Meister Gor so an Yalomiro fasziniert hatte, sein Geist, der mehr Gefühle begreifen konnte als der anderer Schattentänzer, stellte sich gerade den Qualen, die die Liebe einer törichten Unkundigen für ihn bereithielten. Sollte Yalomiro sich diesen Schmerz nutzbar machen, machte ihn das gefährlich. Oder, so lächelte Meister Gor, verwundbar und schwach. "Laßt uns weiterziehen, Königin," sagte er dann. "Schon morgen früh werden wir triumphieren können." 5.
Wir waren viele Stunden gelaufen. Yalomiro war unermüdlich und ohne seine Geschwindigkeit zu verringern dem schmalen Pfad zwischen den Felswänden gefolgt. Er mußte sich sichtlich beherrschen, zuweilen Rücksicht auf meine Anstrengung und Müdigkeit zu nehmen. Mehrfach versprach er, sich bei Einbruch der Nacht wieder in ein Pferd zu verwandeln, damit ich mich wenigstens etwas ausruhen könne. Aber ich schleppte mich tapfer hinter ihm her und versuchte, nicht zu murren.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Gegen Nachmittag fiel mir auf, daß Yalomiro immer wortkarger wurde und auch sein Tempo verlangsamte. Ich gewann zunehmend den Eindruck, er zögere, weiterzugehen. Schließlich blieb er tatsächlich stehen und blickte starr vor sich hin. "Stimmt etwas nicht?", fragte ich beklommen. Yalomiro biß sich auf die Lippen und blickte unruhig in Richtung des Pfades. Ich bemerkte mit Entsetzen, daß er sich zu fürchten schien. Ich wagte kaum, ihn anzusprechen. "Da ist etwas, nicht wahr?" Er nickte. "Er ist es. Und er kommt näher." Ich schauderte. "Der, von dem du dauernd geredet hast?" Yalomiro nickte und warf mir einen Blick zu, der so betrübt und mutlos war, daß ich mich davor erschreckte. "Können wir vor ihm weglaufen?", fragte ich ängstlich. "Nein," gab er knapp zurück, und in seiner Stimme lag etwas Resigniertes. Das hatte ich befürchtet. Und durch die Schlucht schien ein kalter Windzug zu strömen, der vorher nicht da gewesen war. Er ballte die Fäuste und fuhr mit einem wütenden Laut herum. "Ich spüre Euch, Meister Gor!", schrie er ins Leere. "Versteckt Euch nicht!" Seine Stimme hallte hohl von den Felswänden wider. Yalomiro schaute finster in die Dunkelheit der Schlucht und schien auf Antwort zu warten. "Yalomiro," sagte ich leise und wußte wirklich nicht, wie ich mich nun verhalten sollte. Er wandte sich mir zu und wich meinem Blick aus. "Ujora," sagte er tonlos, "du mußt mich vergessen. Du darfst dich nicht an meine Seite stellen, was auch immer geschehen mag. Ich muß dir vollkommen gleichgültig werden." Ich antwortete ihm nicht, betrachtete ihn nur verwirrt. "Er kann dir nichts anhaben," sagte er. "Du bist keine von uns. Aber du darfst niemals sein Interesse erregen. Sobald sich die Möglichkeit bietet, wende dich ab und lauf, so schnell und so weit weg wie du kannst. Er wird sich nicht die Mühe machen, dich zu verfolgen. Seinesgleichen gibt sich nicht mit ujoray ab." "Meister Gor?", fragte ich sinnlos, und er nickte. "Aber du,“ erkundigte ich mich nervös, „was wird aus dir?" Yalomiro seufzte. "Er wird mich töten," antwortete er. "Aber es soll ihm nicht leicht werden." Ich trat näher und versuchte, in sein Gesicht zu blicken. "Du bist doch ein mächtiger Zauberer," sagte ich verunsichert. "Kannst du dich denn nicht wehren?" Yalomiro blickte auf. Seine Augen waren silbern und seine Miene wie versteinert. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ich bin ein Niemand gegen seine Magie und die Macht, der er dient." Ich wich zurück. Mir wurde langsam klar, daß ich bislang nie richtig hatte nachvollziehen können, was sich hier, in dieser Welt, in die ich gestolpert war, eigentlich abspielte. Ich hatte nie richtig erfaßt, was Yalomiro gesagt hatte, als er berichtete, sein Meister sei ermordet worden, aber nun, nun fühlte ich intensiv, daß er Angst hatte, und daß er von jemandem bedroht wurde, der gefährlich und unüberwindlich sein mußte. Jemand, der keine Skrupel haben würde, ihn umzubringen. Und ich – ich stand unverhofft mitten drin in der Gefahrenzone. "Ich werde ihn ablenken können," fuhr Yalomiro kurz darauf fort und lächelte flüchtig. "Und du, lauf weg." Ich wagte keinen Widerspruch und nickte. Aber mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Es war nicht die richtige Zeit, um Fragen zu stellen. So viele Fragen ... und wer außer ihm konnte mir Antwort geben? Und wer sollte mir helfen, wenn er mich nicht mehr begleitete? "Wohin soll ich laufen?," fragte ich daher nur. "Wohin kann ich gehen?" Der Silberschein in Yalomiros Augen erlosch schlagartig. Er schien einen Moment zu brauchen, um meine Frage zu begreifen. "Was habe ich getan?," murmelte er dann fassungslos und erschüttert. Der Eishauch wurde noch kälter, und ich schauderte. "Ich kann nirgendwohin laufen, nicht wahr?," flüsterte ich. Yalomiro antwortete mir nicht. Dann sank er kraftlos zusammen. "Wie konnte ich nur denken, er würde mich nicht bemerken?", sagte er tonlos. "Wie konnte ich annehmen, ich könnte mich an ihm vorbeistehlen? Ich hätte dich nicht mitnehmen dürfen. Denn hier sind wir in der Falle." Ich blickte zu den Felswänden an beiden Seiten hoch, spiegelglatt und beinahe rechtwinklig. Und dazwischen unser Weg, der von der Kälte wegführte, wenn wir umkehrten -- oder direkt auf sie zu, wenn wir weiter gingen. Ich erstarrte, als ich von weither Hufschläge auf dem kahlen Granitboden hörte, die sich in Schrittempo, aber mit einem bedrohlich wirkenden Stampfen näherten. Ich schloß die Augen und spürte, wie Yalomiro sich neben mich stellte. Er blickte dem Geräusch entgegen. Das Stampfen kam heran, und die klappernden Tritte des Pferdes wurden hohl schallend von den Felsen reflektiert. Mir war, als steigerten sie sich zu einem unerträglich lauten Dröhnen, das unmöglich vom Schritt eines normalen Pferdes hervorgerufen werden konnte. Auf dem Pfad kam in gemächlicher Geschwindigkeit ein Reiter näher, tauchte zwischen den Felsen auf und schien, wie aus einem dichten Nebel hervortretend, an Substanz zu gewinnen, je mehr er auf uns zu kam. Und dann war plötzlich Stille. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich nahm allen Mut zusammen und schaute hin. Der Reiter versperrte uns den Weg, und ein Kältehauch, eisig und furchtbar schlug mir entgegen. „Oh, Mächte,“ stöhnte Yalomiro fast unhörbar, und er war bleich vor Furcht. Der fremde Reiter saß auf einem fuchsfarbenen Pferd, das sehr groß und stämmig wirkte. Er war Mann von gebieterischer und stolzer Haltung, etwa so groß wie Yalomiro, aber älter und kräftiger. Gekleidet war er ganz ähnlich wie der junge Zauberer, mit einem weiten Mantel, einem enganliegenden schlichten Gewand und einem breitkrempigen Hut. Aber im Gegensatz zu Yalomiros kunstvoll besticktem Anzug war das seine einfarbig, in einem so grellen Rot, daß es in den Augen schmerzte. Das Sonderbarste war jedoch eine unverzierte schwarze Maske, die sein Gesicht verdeckte und nur Stirn, Mund und Augen freiließ. Und diese waren hart und von seltsam unbestimmter Farbe. Der Fremde blickte auf uns herab, schwieg und lächelte dann plötzlich leise. "Schattentänzer," sagte er, und seine Stimme war auf seltsame Weise sanft, aber lauernd, "du bist zurückgekehrt in die Welt der lebendigen Formen?" Yalomiro wich dem Blick des Reiters aus. "Ihr habt mich schnell gefunden, Meister Gor." Der Reiter nickte höflich.
"Es sind nicht mehr viele Schattentänzer in der
Gegend. Genaugenommen, es gibt keine Schattentänzer mehr in dieser Welt. Es war kein Kunststück, dich zu finden." Yalomiro entgegnete nichts, blickte nun aber zu Meister Gor auf. In seiner Miene stand Fassungslosigkeit. Der Blick der rot gekleideten Mannes schwenkte zu mir hinüber, und seine farblosen Augen musterten mich abschätzend und scheinbar gleichgültig. "Eine Unkundige," stellte er dann fest, "ein Menschenwesen ohne Magie. Wie heißt du, Mädchen?" Einen Augenblick lang zögerte ich. Mein richtiger Name lag mir auf der Zunge, aber etwas hinderte mich daran, ihn zu nennen. Ein Instinkt, der mich warnte und den ich nicht begriff. Ich erinnerte mich an Yalomiros Anweisung, meinen eigenen Namen in dieser Welt niemals auszusprechen. "Ich bin Ujora," antwortete ich dann sehr leise und fürchtete mich. Eine sonderbare Bedrohung ging von dem Reiter aus, ohne daß ich sagen konnte, wieso. Er war allein und trug keinerlei Waffen bei sich -- aber ihn umgab eine Art Aura, ähnlich der Silberwärme Yalomiros. Nur, daß die seine von einer verletzenden Kälte war und nicht auf unsichtbare Weise leuchtete. Meister Gor lachte leise, aber nicht unfreundlich. "Das sehe ich, daß du eine Ujora bist. Den Namen hat er dir gegeben, nicht wahr? Ein wirklich einfallsreicher junger Schüler." Ich schwieg betroffen und wandte meinen Blick wieder dem Rotgewandeten zu. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga „Mir gefällt das Wort,“ sagte ich leise und erntete einen warnenden Blick von Yalomiro. Der Rotgewandete lächelte, runzelte dabei aber ärgerlich die Stirn. "Du hast viel gelernt, bei deinem Meister, Yalomiro. Erinnerst du dich auch noch an das, was ich dich lehrte, Schattentänzer?" Yalomiro bedachte den Rotgewandeten mit einem Blick, der unruhig, trotzig und erzürnt zu gleichen Teilen schien. "Ich vergesse nie, Meister Gor," sagte er dann reserviert. „Ich habe Lehren gezogen aus Eurer Lektion.“ Meister Gor lachte erheitert und stieg dann vom Pferd ab. Das Tier blieb reglos und still stehen, und der Reiter kam langsam auf uns zu. Aus einem Reflex heraus trat ich einige Schritte zurück. Das war vermutlich unklug von mir, denn Meister Gor konzentrierte augenblicklich seine Aufmerksamkeit auf mich, trat näher heran und taxierte mich von Kopf bis Fuß mit seinem maskierten Blick. "Ujora," sagte er dann, und seine Stimme klang freundlich und umgänglich, "du fürchtest dich vor mir, und ich kann mir denken, weshalb. Bestimmt hat Yalomiro dir furchtbare Dinge über mich erzählt, nicht wahr?" Ich nickte hilflos und spürte die Kälte, die er abstrahlte. "Aber wer sagt dir, daß Yalomiro dich nicht belügt?", fragte er und musterte mich prüfend. Ich stutzte und schüttelte dann den Kopf. "Das glaube ich nicht," sagte ich dann mutig. Meister Gor lachte erheitert. "Nun, ich wette, Yalomiro ist bislang der einzige Mensch, dem du in dieser Welt begegnet bist. Du kennst also nur seine Sicht der Dinge, und von seiner Warte aus mag er Recht haben, ich bin sein Gegner. Aber du weißt bestimmt auch, worum es uns geht, stimmt es nicht? Wir beide sind auf der Suche nach einem magischen Zeichen. Und großer Macht." Ich schluckte und suchte Yalomiros Blick. Doch noch bevor ich ihn fand, fügte Meister Gor hinzu: "Warum nimmt er dich mit auf diese gefährliche Suche, anstatt sich dir dankbar zu erweisen und dich nach Hause zu bringen?" Ich schüttelte verwirrt den Kopf. "Ich weiß es nicht," stammelte ich. „Er sagt, er könne es nicht.“ „Aber er hat dich doch wohl hergeholt,“ fuhr Meister Gor fort und kam näher. Seine Gegenwart begann, mir körperliches Unbehagen zu bereiten. Yalomiro beobachtete meine Reaktion unruhig. Meister Gor stand nun ganz dicht vor mir, und ich sah ihn gewinnend lächeln. "Ich kenne den Grund, und ich will ihn dir sagen: Weil er dich benutzen will," sagte er dann. "Weil er deine Kraft braucht." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich wußte keine Entgegnung darauf und verstand nicht, was Meister Gor damit andeuten wollte. "Ich kann es," fuhr Meister Gor fort. "Ich kann dich nach Hause bringen. Und ich meine es gut mit dir. Du möchtest doch nach Hause?" Ich blickte ihn verwirrt an und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Meister Gors Miene war durchaus freundlich, als er mich anblickte. Und dann streckte er seine Hand nach mir aus. "Komm, Ujora," sagte er. "Laß dich von mir führen." Seine Stimme klang verlockend, und für einen Moment spürte ich auch seine Kälte nicht mehr. Ich wandte mich ihm zu. „Nach Hause?“, fragte ich und wagte kaum, zu hoffen, „Sie ... Ihr könntet mich nach Hause bringen?“ Meister Gor nickte und hielt mir seine Hand entgegen. „Komm, Ujora,“ forderte er mich auf. „Komm, ich bringe dich über die Grenze, die dich in dieser Welt hält.“ Doch bevor er mich berühren konnte, war Yalomiro nähergetreten und stellte sich zwischen mich und den Rotgewandeten. "Laßt sie in Ruhe," sagte er energisch, und seine Stimme war scharf. Ich staunte über seinen plötzlichen Sinneswandel und sein unverhofftes heftiges Auftreten. Meister Gor zog die Hand zurück und schüttelte bedauernd den Kopf. "Siehst du es, Ujora? Er will dich behalten, nicht zulassen, daß du glücklich heim findest." „Yalomiro,“ wandte ich mich an den jungen Magier, „wenn er mich heimbringen kann ... dann...“ „Sei nicht töricht,“ wies der Schattentänzer mich zurecht. „Er hat keine Ahnung von den Weltengrenzen. Die Grenze, die er meint, ist die zu den Träumen und der Welt dahinter. Das ist seine Magie, das ist alles, was er vollbringt.“ Yalomiro verschränkte die Arme und blickte Meister Gor fest entgegen. "Ich werde nicht zulassen, daß Ihr das Mädchen verführt," gab er entschlossen zurück. "Eure List mag grenzenlos sein, aber Ihr vergeßt, daß ich Eure Absichten erahnen kann. Ich habe gesehen, wie Ihr tötet." Ich wußte nicht, wie ich mich verhalten sollte, aber ich schauderte und zog meine Hand zurück. Meister Gor zog sich einen Schritt weit zurück und betrachtete Yalomiro spöttisch. "Was soll das, Schattentänzer? Was versprichst du dir davon? Ich habe die Ewigkeit zur Verfügung, es macht mir nichts aus, hier zu stehen und zu warten, daß du mir aus dem Weg gehst." "Nichts wird mich von hier fortbewegen," zischte Yalomiro. "Ich lasse nicht zu, daß Ihr dem Mädchen zu nahe kommt."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Meister Gor hob die Augenbrauen. "Geh beiseite, Yalomiro, ich rate es dir im Guten." Yalomiro schüttelte den Kopf. "Ihr werdet keine Macht über das Mädchen erlangen." Meister Gor zuckte bedauernd die Achseln. "Schau Ujora: er will um jeden Preis dich von mir fernhalten. Dafür muß er wohl einen guten Grund haben, denkst du nicht auch?" Ich wußte nichts darauf zu entgegnen. Aber ich spürte eine gewisse Verlockung, die trotz der Kälte von ihm ausging. "Yalomiro ist ein Dunkler Magier," fuhr Meister Gor fort, "ein Diener von Nacht und Schatten.
Bist du auch ein Schattenwesen, Ujora? Oder zieht es
dich eher hin zu den Strahlen der Sonne und der Farbenpracht von Blumen und Schmetterlingen?" Yalomiro warf mir einen mahnenden Blick zu. "Der Tag ist nicht mein Feind," sagte er dann. "Sei aufrichtig, Ujora," lockte Meister Gor, und Freundlichkeit klang aus seiner Stimme. "Du sehnst dich nach der Wärme und den Farben des Tages. Das Dunkel macht dir Angst und bedroht dich." Ich schaute zwischen dem Rotgewandeten und Yalomiro hin und her. Verwirrung überkam mich, und es war schwierig, klare Gedanken zu fassen. "Komm mit mir, Ujora," raunte Meister Gor, "folge mir, und ich bringe dich zurück in deine Welt. Erliege nicht der Versuchung des Schattentänzers. Was immer er dir erzählt hat, es war eine List, um dich zu täuschen. Denn die Schattentänzer stärkt nur Eines: die Kraft und das Leben anderer Wesen. Wenn du bei ihm bleibst, wird es dein Tod sein. " "Meister Gor," sagte Yalomiro scharf, "warum versucht ihr, ein unkundiges Wesen auf Eure Seite zu ziehen? Warum bezichtigt Ihr mich der Lüge und verwirrt doch selbst ihren Geist mit Eurer Falschheit? Wieso wollt Ihr sie täuschen und manipulieren? Wieso gebt Ihr Euch so viel Mühe um die Gunst einer ujora?" Meister Gor antwortete nicht darauf. "Laß sie selbst entscheiden," gab er dann zurück. Ich zog mich einen weiteren Schritt zurück und fühlte mich mit dem Rücken an den Felsen gedrängt. Yalomiro und Meister Gor standen vor mir, und eine sonderbare Anziehung ging von dem fremden Magier aus. Hatte ich mich vorhin noch vor ihm gefürchtet, weil Yalomiro Angst gehabt hatte, machte er mir nun Hoffnung, meinen Alptraum zu beenden. Doch Yalomiro wollte das nicht, und das irritierte mich. "Ujora," hörte ich Yalomiros Stimme, "ich bin ein Diener der Nacht und des Dunklen, das ist wahr. Aber das Dunkel ist Teil des Lebens wie der Tag. Ohne das Licht gäbe es das Dunkel nicht, und ohne die Nacht wäre kein Tag. Ich diene nicht dem, was du für das Böse hältst. Vergiß das nicht." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich schaute zu ihm hin. Er war freundlich zu mir gewesen, so gutaussehend und charmant, aber er wollte nicht, daß ich heimging, wenn es doch die Möglichkeit dazu gab. Meister Gor aber war auch freundlich und besorgt um mich, und obwohl ich mich dagegen wehrte, war ich versucht, ihm Glauben zu schenken. Obwohl ich die gnadenlose Kälte in ihm wahrnahm, war ich doch fasziniert von ihm. Es war seltsam – da war etwas an ihm, etwas Böses, Gefährliches. Aber seine wenigen Worte hatten mir doch bislang mehr Hoffnung bereitet als Yalomiros Vertrösterei. "Ujora," sagte Meister Gor, "komm zu mir! Wende dich von dem Schattentänzer ab. Rette dein Leben!" Ich schloß die Augen und schluckte. "Ich weiß nicht, was richtig ist!" Yalomiro sagte mit leiser, eindringlicher Stimme: "Ujora ... warum hast du mir von deiner Wärme gegeben, nur um dich jetzt von seiner Kälte verlocken zu lassen? Wenn du ihm folgst, wendest du dich der Leere zu, und in der Leere ist weder Tageslicht noch Schatten." Meister Gor lachte leise. "Seine List ist grenzenlos, Ujora. Wende dich dem Schatten zu, und dein Leben wird erfüllt sein von den Schrecken, die die Nacht deiner Seele bereitet. Die Nacht birgt schreckliche Träume, und sie werden für dich zur Realität werden, sobald Yalomiro sein wahres Gesicht zeigt." "Das sagt dir einer, der sein Gesicht hinter einer Maske verbirgt," erwiderte Yalomiro verächtlich in Meister Gors Richtung und schwieg dann. Ich öffnete die Augen und schaute in Yalomiros tiefen, dunklen und beinahe flehenden Blick. "Die Leere wird dir Schrecklicheres antun als der Schatten", fügte er hinzu. Meister Gor lächelte nun nicht mehr. Mit verärgerter Miene drehte er sich zu Yalomiro um. "Ist das die Größe und Gewalt Eurer Magie, Meister Gor?," fragte Yalomiro ernst. "Ihr verblendet den Geist einer Unkundigen? Was erhofft Ihr Euch? Amüsiert Euch die Schwäche ihres Willens und ihrer Kraft? Was verlangt ihr für einen Preis von ihr, wenn sie Euch folgt? Habt Ihr nicht schon genug Spaß mit der Grauen Königin gehabt, Euch nicht genug daran erfreut, wie Eure falsche Magie Unkundige zerbricht und verändert? Oder wollt Ihr sie gleich umbringen wie meinen guten Meister Askyn, weil das Töten Euch zu einer amüsanten Angewohnheit geworden ist?" Meister Gor zuckte die Achseln. "Was kümmert es dich, Yalomiro? Du wirst mir gehören, noch bevor dieser Tag endet, und du solltest dir keine Gedanken um die Seele einer Unkundigen machen. Du hast genügend eigene Probleme, wenn ich erst einmal damit beginne, mich für dich zu interessieren. Die Unkundige ist wertlos für deine Pläne." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich zuckte zusammen, als ich ihn so reden hörte, und wandte mich verblüfft in Yalomiros Richtung. Yalomiro schüttelte den Kopf und blickte zu Boden. "Ihr begreift es nicht. Es ist wahr, ich will sie bei mir behalten. Aber ich will, daß sie freiwillig zu mir hält, auch, wenn ich sie um Geduld bitten muß, um ihren Wunsch nach Heimkehr zu erfüllen.“ Meister Gor lachte spöttisch auf. „Was bildest du dir ein, Schattentänzer? Glaubst du, eine Unkundige, ein unwissendes, einfältiges Wesen ist in der Lage, eine Wahl zu treffen, wie du sie verlangst?“ Yalomiro schüttelte den Kopf. „Nein, Meister Gor. Aber eines sehe ich: Ihr wollt sie mir wegnehmen. Wenn sie so nutzlos und unwissend wäre, wie Ihr es mich glauben machen wollt – warum verschwendet Ihr so viele Worte? Warum gebt Ihr Euch so viel Mühe? Die Unkundige ist wertvoll, Meister Gor. Und ich werde nicht kampflos zulassen, daß Ihr Euch etwas Wertvollem bemächtigt.“ „Kampflos?“ Meister Gor lachte, und sein Gelächter klang kalt und schneidend. „Du nimmst mir gegenüber das Wort Kampf in den Mund? Mit welchen Waffen gedenkst du, mir entgegenzutreten, du lächerlicher kleiner Zauberlehrling? Ich...“ Yalomiro warf mir ein aufmunterndes Lächeln zu, fuhr mit einer flinken Bewegung zu Meister Gor herum und warf eine knappe Geste in die Luft, begleitet von einem wütend klingenden kurzen Wort. Meister Gor, der sich in Hitze geredet hatte, wurde von etwas Unsichtbarem fortgestoßen und prallte unsanft mit dem Rücken gegen die gegenüber liegende Felswand. Ich kreischte auf, so sehr erschreckte ich mich. Meister Gor schnappte verwirrt nach Luft. Doch augenblicklich rappelte der Rotgewandete sich auf, und die farblosen Augen blitzten vor Zorn. Im selben Moment hatte Yalomiro mich an sich gerissen und drückte mich mit dem linken Arm fest an sich, bedeckte meinen Körper mit einem Ende seines Mantels und richtete eine abwehrende Geste in Meister Gors Richtung, die rechte Hand ihm gebieterisch entgegengestreckt. Und auch seine Augen glommen, strahlten wieder in klarem Silber. Ich schmiegte mich an ihn und fühlte mich etwas sicherer in seiner Gegenwart. "Habt ihr gesehen, Meister Gor?“, fragte Yalomiro grimmig, „Habt ihr gesehen, daß ich zu kämpfen weiß?" Der Rotgewandete trat nahe an Yalomiro heran. Ich spürte, wie die Kälte um ihn herum sich verdichtete. "Du hast mich überrascht, Yalomiro," spottete er. "Ich habe dich wohl unterschätzt, du bist flink und erstaunlich stark. Du hättest versuchen http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga können, mich zu töten, unaufmerksam, wie ich war. Nicht, daß es dir gelungen wäre. Aber ich sehe erfreut, daß das Potential dazu vorhanden ist in deinem,“ er zögerte und ließ das folgende Wort auf der Zunge zergehen: „Haß." Yalomiro zuckte zusammen und lachte dann ärgerlich auf. "Meister Gor, meine Macht ist unübertroffen unter den Schülern des Kreises. Aber ich werde nicht töten. Denn kein Schattentänzer richtet seine Magie jemals gegen etwas Lebendiges. Auch nicht gegen Euresgleichen.“ Meister Gor schüttelte bedauernd den Kopf. "Es wundert mich nicht, daß die Schattentänzer niemals zu echter Macht gelangt sind." Yalomiro spürte, wie ich zitterte und legte mir beruhigend die Hand auf den Rücken. "Macht," sagte er leise, "Eure Macht besteht in Angst und Verzweiflung. Und in Resignation." Meister Gor antwortete nicht. So schwiegen wir alle eine Zeit lang. "Ich habe keine Lust mehr, zu warten, Yalomiro," begann er dann. "Hier ist mein Angebot, und du wirst spüren, daß ich nicht lüge. Gib auf und liefere mir dein Geheimnis aus. Und das Mädchen wird leben." Yalomiro schwieg einen Moment lang. „Dann sagt Ihr es nun also unverblümt. Ihr wollt mich mit dem Leben des Mädchens erpressen.“ Meister Gor seufzte geduldig. „Yalomiro – du beginnst, mich zu langweilen. Das ist gefährlich – für dich und die Unkundige.“ Ich schluckte und wußte vor lauter Angst nicht mehr, was ich denken sollte. Also bildete ich mir ein, ich befände mich immer noch inmitten eines irren Alptraumes. Yalomiro musterte sein Gegenüber abschätzend. "Ich traue Euch nicht," sagte er dann. Meister Gor schnaubte belustigt. "Dann laß es mich anders sagen, Schattentänzer. Du kannst nicht ewig dort stehenbleiben, wo du gerade bist. Früher oder später wirst du das Mädchen loslassen müssen, spätestens, wenn deine Kräfte aufgebraucht sind. Und du weißt, daß ich nicht zögern werde, meine Fähigkeiten an ihr zu demonstrieren." Er lachte leise und fügte hinzu: "Du sitzt in der Falle, Schüler von Askyn, und es kann nicht mehr lange dauern, bis du schwach wirst." "Vielleicht," sagte Yalomiro fest." Aber ich werde Euch nicht kampflos entgegentreten. Wie Ihr bemerkt haben werdet." "Wenn wir ernsthaft kämpfen," gab Meister Gor zurück, "wird von diesem Ort nicht viel übrig bleiben. Du weißt, daß deine Macht ebenso Vernichtung in sich birgt wie meine. Willst du riskieren, das deine unkundige Freundin verletzt wird, nur weil du nicht einsiehst, daß du nicht mehr siegen kannst?" http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro gab einen Laut von sich, der wie ein erschöpfter Seufzer klang. "Ihr wißt, daß ich Euch das Zeichen nicht ausliefern kann und darf, Meister Gor. Tötet mich, wenn Ihr wollt
Aber verschont die Unkundige, die nicht in
unsere Welt gehört und außerhalb unseres Kampfes steht." Meister Gor kam näher und musterte uns wortlos. Yalomiro legte seinen Arm fest um mich. Ich zitterte vor Angst. "Laß sie los, Yalomiro. Ich werde ihr nichts antun. Und du solltest spüren, daß ich nicht lüge. Es gibt nur noch dich und mich – und unsere Sache. Das Mädchen ist – unwichtig." Yalomiro zögerte und blickte lange in Meister Gors schwarze Maske. Dann ließ er mich wirklich los. Erschrocken sah ich, wie er tief einatmete, die Augen schloß und einen Schritt näher an Meister Gor herantrat. "Yalomiro," wimmerte ich und drückte mich mit dem Rücken an den Felsen. Yalomiro zögerte und wandte sich langsam zu mir um. "Laßt sie gehen, Meister Gor. Es ist das Beste für sie, diese Welt zu verlassen. " Der ältere Magier lächelte. "Das sehe ich auch so, Schattentänzer. Es wäre allerdings noch besser für sie gewesen, wenn sie niemals hierher gekommen wäre, sich niemals in unsere Angelegenheiten eingemischt hätte. Doch es ist nun einmal geschehen, Yalomiro." Der junge Zauberer senkte den Blick. Und dann geschah alles Weitere sehr schnell. Meister Gor fuhr mit einer unvermittelten Bewegung zu Yalomiro herum, packte der jungen Mann und stieß ihn zu Boden. Yalomiro schien einen Moment lang so verblüfft, daß er keine Anstalten machte, sich zu wehren. Und Meister Gor war mit einem Satz über ihm, umklammerte mit beiden Händen Yalomiros Hals und kniete sich auf ihn, so daß er die Arme des jungen Mannes zu Boden drückte. Einen Moment lang rangen die beiden miteinander, aber Meister Gor war kräftiger und schwerer als der junge Magier, und so konnte Yalomiro nur wirkungslos strampeln und nach Luft schnappen. Ich hatte überrascht aufgeschrien und mich so weit es eben ging , zu der Felswand zurückgezogen. Ich mußte mich dazu zwingen, nicht fortzulaufen. Meister Gor schien über beachtliche Körperkräfte zu verfügen, Yalomiro wand sich und versuchte, sich zu befreien, ohne daß der ältere Magier seinen Griff auch nur gelockert hätte. "Du bist unvorsichtig geworden, Schattentänzer," sagte Meister Gor scheinbar betrübt, ohne sich mir zuzuwenden. "Du wußtest, ich würde keinen Zauber gegen dich richten. Aber dennoch steckst du in einem Körper. Ein
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga schwächlicher, zarter Körper eines Mannes, dem die Bücher näher sind als die Kraft." Yalomiro keuchte unter den würgenden Händen des Älteren, und ich befürchtete, Meister Gor wolle ihn ersticken. "Was tut Ihr?," rief ich daher ängstlich und kam unentschlossen wieder näher. Mir war klar, daß ich Yalomiro nicht helfen konnte, aber ich wollte nicht tatenlos zusehen, wie der Rotgewandete ihn mißhandelte. Meister Gor reagierte nicht auf mein Rufen, und Yalomiros Bewegungen wurden kraftloser. Ein Silberschimmer überflog seine Augen, leuchtete aber nicht auf. Meister Gor lachte belustigt und löste seinen Griff, blieb jedoch auf Yalomiro sitzen. "Ich will dich nicht töten, Yalomiro. Der Weg und das Wissen, das du in dir trägst, sind zu kostbar für mich, ich will es nicht mutwillig zerstören. Aber ich will sicher sein, daß du mir gehorchst. Und ich will, daß du mich unterhältst." Er griff mit einer lässigen Geste in die Luft und es überraschte mich kaum, als er aus dem Nichts einen goldenen Halsreifen hervorzauberte, genau so einen wie den, den ich im Palast zerbrochen hatte. Yalomiro wimmerte beim Anblick des Goldes, konnte dem Rotgewandeten aber nicht entgehen. Mit einer raschen Bewegung legte Meister Gor ihm das Halsband um und schloß es. Dann erhob der Rotgewandete sich und klopfte sich lässig den Staub von den Gewändern. Ich blieb ratlos stehen und beobachtete verunsichert, wie Yalomiro sich aufsetzte. Er biß sich fest auf die Lippen und sah so aus, als wolle er sich Schmerz nicht anmerken lassen. Gleichzeitig bemerkte ich, wie die Angst mich einschloß, obwohl ich nur Schritte von ihm entfernt stand. Und ich fühlte, wie mein Herz begann, zu rasen und sinnlose Panik mich ergriff. Meister Gor wandte sich mir zu und streckte eine Hand nach mir aus. "Unkundige," sagte er, und seine Stimme klang freundlich, "komm zu mir." Ich war zu keiner Entgegnung fähig und starrte ihn verwirrt an. Dann lief ich zu Yalomiro und kniete neben ihm nieder. Doch die Silberwärme war fort. Yalomiro atmete mühsam und vergrub das Gesicht in den Händen. "Das Gold bannt seine Magie," sagte Meister Gor. "Weißt du das nicht, Unkundige? Du suchst seine Aura, aber die ist zu schwach, solange er Gold am Körper trägt. Meine Aura kann dich schützen, wenn auch auf andere Weise als die seine." Ich zitterte vor Furcht und unter der Angst um mich herum. Yalomiro schaute zu ihm hinüber, und ich sah, daß er Schmerzen hatte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ihr wolltet sie gehen lassen," sagte er anklagend. "Wollte ich das?," gab Meister Gor zurück. "Ich habe dir versprochen, ihr nichts anzutun. Und ich halte Wort, ich werde sie nicht antasten. Sie ist auch nicht meine Gefangene, sie kann gehen, wohin es ihr beliebt. Die Frage ist, wie weit sie käme, allein und schutzlos. Wenn sie klug ist, bleibt sie in meiner Nähe." Yalomiro erhob sich, sein Blick war angewidert. Dabei hatte er Mühe, aufrecht stehenzubleiben. Meister Gor lachte erheitert. "Vergiß es, Schattentänzer, es hat keinen Sinn. Von dem Gold kannst du dich nicht befreien, und du hast keine andere Wahl als die, mir zu folgen." Yalomiro sank in sich zusammen. „Ich.. ich bin Euer Gefangener,“ sagte er dann tonlos. Meister Gor lächelte zufrieden. "Und du, Unkundige -- du hast mich gehört. Geh fort oder folge mir. Wenn du klug bist, vertraust du dich meiner Magie an, die dir helfen kann, den Weg zu finden, den du wirklich suchst. Aber du wirst einsehen, daß ich zuvor Wichtigeres zu tun habe." "Wichtigeres," sagte ich tonlos und staunte über den Trotz, der in mir erwachte. "Alles in dieser Welt scheint wichtiger zu sein, als daß jemand mir den Weg nach Hause zeigen könnte. Wer weiß, ob Ihr dazu tatsächlich in der Lage seid." Meister Gor hob überrascht die Brauen, sagte aber nichts. Ich blickte zu Boden und dann verstohlen zu Yalomiro hinüber. Er lehnte an dem Felsen und schien Mühe zu haben, das Gleichgewicht zu halten. Er hielt sich den Kopf und schien gegen ein mächtiges Schwindelgefühl anzukämpfen. Meister Gor näherte sich uns rasch und griff nach Yalomiro, gerade als der die Balance verlor und auf die Knie sank. Ich erschauerte. Yalomiros Augen waren blank und pechschwarz, das Silber war völlig fort. Aber sein Blick war ausdruckslos und blind. Einen Moment lang zitterte er unter Meister Gors Berührung. Dann erschlaffte sein Körper völlig, sein Haupt kippte zur Seite und ein jämmerlicher Seufzer entfuhr ihm. Meister Gor lächelte, zerrte den Ohnmächtigen hoch und schleifte ihn dann mit sich zu seinem Pferd, das immer noch reglos wartend und seltsam unwirklich dastand, ohne sich um mich zu kümmern. Ich zögerte und folgte dem Rotgewandeten unentschlossen zu seinem Reittier. Ich wunderte mich. Ich hätte wütend sein sollen, schreien und schimpfen und in Panik geraten. Aber ich fühlte nur eine unbestimmte Furcht vor dem Rotgewandeten und eine Ohnmacht gegenüber dem, was er tat, die sich in mir ausbreitete wie eine Betäubung. Ich war nicht dazu in der Lage, etwas zu sagen oder zu tun, was sein Handeln kommentiert hätte. Ich wünschte mir http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga sehnlichst, als endlich aus meinem Alptraum zu erwachen und alles vorzufinden, wie es gewesen war, damals, bevor ich diesen verdammten Weltenschlüssel fand. Meister Gor fesselte Yalomiros Hände und Füße mit golddurchwirkten Kordeln und warf den immer noch leblosen Körper achtlos über den Rücken des roten Pferdes. Dann wandte er sich endlich wieder mir zu. "Du machst dir Sorgen seinetwegen," stellte er nüchtern fest. "Das ist überflüssig, Unkundige." "Was habt Ihr mit ihm gemacht?", gab ich unsicher zurück. Der Rotgewandete faßte das Pferd beim Zügel und wandte sich ab, in die Richtung, aus der er kam. Ich bemühte mich, ihm zu folgen. "Schattentänzer," sagte Meister Gor abfällig. "Sie sind verwundbar. Ein Schattentänzer spürt eine Goldmünze auf hundert Meter Entfernung. Gold, das sie direkt berühren, schmerzt sie wie glühendes Eisen. Gold, das irgendein Körperteil umschließt, bannt ihre Zauberkräfte." Ich blickte erschrocken auf Yalomiros Halsband. Das Gold schien ihn nicht zu verwunden, aber vermutlich hatte der Schmerz ihn besinnungslos gemacht. "Es wird ihn nicht umbringen," fuhr Meister Gor fort. "Sorge dich nicht darum. Es liegt fern meiner Interessen, den Schattentänzer nun schon zu verlieren. Gewiß, wenn ich habe, was ich brauche, werde ich ihn töten. Aber das hat noch Zeit." Meister Gor schaute prüfend mit seinem farblosen Blick zu mir hinüber. "Er gefällt dir." Ich antwortete nicht darauf. "Es ist leichtsinnig von Unkundigen, sich mit Schattentänzern abzugeben," bemerkte er. Gegen meinen Willen horchte ich auf. "So?" Meister Gor lächelte, und er sah auf absurde Weise fast sympathisch aus, als er weiter redete. "Du kannst mir nichts vormachen, Ujora. Du begehrst ihn für dich, auch wenn du es vielleicht im Moment nicht wahrhaben willst. Aber du bist unkundig. Yalomiro weiß, wie verletzlich du dadurch bist und wie er das für sich nutzen kann. Es ist besser für dich, wenn du dich von ihm fernhältst. Ich bin mir bewußt, daß du Angst vor mir hast, und ich wäre gekränkt, wenn dem nicht so wäre. Aber dennoch gebe ich dir einen guten Rat: es ist unklug, unseresgleichen zu lieben. Denn Liebe und Magie bringen immer den Tod. Ihr sollt uns verehren oder fürchten. Aber, kleine Unkundige, seid niemals so dumm, uns zu lieben." Ich wollte nicht glauben, was ich da hörte, also schwieg ich dazu. "Ich bringe dich zu meiner Herrin," sagte der Rotgewandete, und ich konnte nicht einsehen, wie seine sachliche Freundlichkeit zu seiner eiskalten Aura passen mochte und zu dem, was er mir über Yalomiro sagte. Dennoch mußte ich http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga zugeben, daß ich keine Beweise dafür hatte, daß er log. Und Yalomiro im Unrecht war, so sehr mir diese Möglichkeit mißfiel. Was, wenn Yalomiros Güte und Freundlichkeit sich als pure List erweisen sollten? Als raffinierte Schauspielerei eines charmanten Schurken? Ich erschrak vor diesem mißtrauischen Gedanken. Der junge Magier war immer noch besinnungslos und stumm. "Und was werdet Ihr mit ihm machen?", fragte ich. Meister Gor zuckte die Schultern. "Er wird sich dazu bequemen müssen, mir zu gehorchen und mir zu bringen, wonach ich suche." "Und was wollt Ihr damit tun?", nahm ich alle Tapferkeit zusammen. Der Rotgewandete lachte leise und amüsiert, antwortete aber nicht. So lief ich schweigend neben seinem Pferd her und war allein mit meinen Zweifeln.
*
Der Weg stieg an, immer höher hinauf, und langsam, langsam wurden die Felswände an beiden Seiten des Pfades niedriger. "Ich werde dich nun meiner Herrin vorstellen," sagte Meister Gor und riß mich aus meiner Starre. Ich nickte unsicher und sah in weiter Ferne etwas auf dem Weg stehen, was sich beim Näherkommen als eine Gruppe graugewandeter Gestalten entpuppte, die eine geschlossene Kutsche umringten, die ebenfalls von grauer Farbe war. Einige der Personen saßen auf aschgrauen Pferden. Menschen. Es gab also doch noch Menschen in dieser Welt. Das weckte in mir ein wenig Hoffnung, und ich betrachtete die Gruppe neugierig beim Näherkommen. Die Gestalten trugen schlichte Kittel und wirkten unbeteiligt. Die Gegenwart des Rotgewandeten schien sie nicht im geringsten zu interessieren. Reglos und ohne etwas zu tun standen sie einfach nur herum. Ein ungutes Gefühl überkam mich, denn abgesehen von dem sonderbaren Gebaren schien mir irgendetwas an diesen Leuten nicht zu stimmen. Aber erst in einigen Metern Entfernung sah ich, was es war. Ich hörte mich einen hysterischen Schrei der Panik ausstoßen, und ich wollte fliehen, konnte mich aber nicht rühren. Die Gestalten hatten allesamt kein Gesicht. Ebene, graue und vollkommen unmenschliche Flächen waren dort, wo sich ein menschliches Gesicht hätte befinden sollen. Das Entsetzen, daß in mir aufwallte, vermengte sich mit der Angst, die von außen auf mich einstürzte. Ich verlor die Besinnung vor Entsetzen und um mich herum wurde alles dunkel.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga *
Eine Stimme redete, und ich kam langsam zu mir. Es war eine Frauenstimme, hell und klar, die redete, in einem Plauderton, der vielleicht etwas zu aufgekratzt wirkte. Ich war so benommen, daß ich Mühe hatte, die Augen zu öffnen. "Glaubt Ihr wirklich, es wird gar keine Chance bestehen, daß mein Zauber wirkt?", fragte die Frauenstimme gerade beiläufig. "Nein, Herrin," hörte ich Meister Gor. "Euer Zauber hat Grenzen, die ich nicht aufheben kann und die Ihr tolerieren müßt. Akzeptiert das endlich und bedrängt mich nicht weiter." "Schaut nur," sagte die Frau aufgeregt und wischte so seine Worte fort, so als wolle sie gar keine Antwort hören, "sie wacht auf." Ich schlug die Augen auf und blickte in ein wunderschönes Frauengesicht, das sich über mich beugte. Ebenmäßig und feingeschnitten war das Gesicht, schön geschwungene Brauen wölbten sich über grauen Augen mit langen Wimpern. Eine schmale Nase und volle, schön geformte Lippen ergänzten das Gesicht, und es wurde umflossen von endlos langen, weißblonden Haaren. Ich starrte dieses wunderschöne Gesicht an und setzte mich dann auf. Die Frau lächelte freundlich. "Ich bin die Königin vom Toten Land," sagte sie umgänglich und setzte sich wieder auf die Bank mir gegenüber, an Meister Gors Seite. Ich bemerkte nun, daß ich mich wohl im Innern der Kutsche befand, und diese fuhr in zügigem Tempo. Hinaus schauen konnte ich nicht - die Fenster waren mit grauen Vorhängen zugezogen, und auch das Innere der Kutsche - weich gepolsterte Bänke und Wände - waren völlig grau. Trotzdem war es erstaunlich hell, ohne, daß eine Beleuchtung da gewesen wäre. "Wo bin ich?", stammelte ich verwirrt. Die Königin lachte ein perlendes Lachen und schlug dann die Beine übereinander, lange, schlanke Schenkel, um die sie jedes Fotomodell beneidet hätte. Überhaupt war der Körper der jungen Frau von einer unglaublichen Schönheit und Perfektion -- sie war gertenschlank, ohne mager zu wirken, von mittlerer Größe und bewegte sich elegant und geschmeidig. Ihr graues Kleid betonte die Vorzüge ihrer Weiblichkeit nahezu demonstrativ und der fein gearbeitete Goldschmuck dazu war äußerst geschmackvoll, auch wenn ich bemerkte, daß sie übertrieben viele Ringe an ihren schmalen Händen trug. Die Graue Königin war die verführerische Schönheit in Person -- vielleicht verwunderte es mich daher, daß Meister Gor völlig unbeeindruckt neben ihr saß und ergeben und beinahe gelangweilt dreinschaute.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Du befindest dich in Sicherheit," sagte sie dann. „Wir sind auf dem Weg in meine Burg. Dort bist du in Sicherheit vor allen Gefahren. Du bist unser Gast. Ich freue mich, deine Bekanntschaft zu machen, Ujora aus der anderen Welt." "Danke," entgegnete ich verdutzt. Dann wandte ich mich dem Rotgewandeten zu. "Wo ist Yalomiro?", fragte ich scheu. Meister Gor lächelte höflich. "Er ist ganz in der Nähe. Aber er sollte dich nicht mehr interessieren -- zu deinem eigenen Besten." Ich schwieg und suchte den Blick der schönen Königin. Sie lachte erneut. "Ich weiß, was du denkst, Ujora. Aber du denkst das Falsche. Der Schattentänzer ist für dich weder der richtige Freund noch ein zuverlässiger Begleiter. Es ist gefährlich für Unkundige, sich mit seinem Volk einzulassen. Denn sie sind grausam und verschlagen." Ich blickte zu Boden. "Das hat Meister Gor mir auch schon gesagt. Es fällt mir schwer, das zu glauben." Die Königin nickte verständnisvoll. "Ich weiß. Ich kenne die List und die Verführung, die von den Schattentänzern ausgeht. Aber nun sollst du die Wahrheit erfahren." Ich glaubte, ein flüchtiges Grinsen auf Meister Gors Lippen zu erspähen, aber seine Augen waren unverändert starr und ausdruckslos. Ich entschloß mich, zunächst abzuwarten. "Was weißt du über das Zeichen?", fragte die Königin dann, „über den Mondstrahl? Weißt du vielleicht sogar, wo er ist?“ "Nicht viel," gestand ich. "Yalomiro sagte nur, daß er gefährlich und mächtig sei, und möglichst keinem Magier in die Hände fallen sollte." Die Königin lächelte und musterte mich aus forschenden Augen. "Du glaubst, es sei Zufall, daß du in diese Welt geraten bist, die so sonderbar und fremd für dich ist?" Ich nickte scheu. "Als wir Yalomiro in einen Stein verwandelten," fuhr die Königin fort, "da wußten wir nicht, daß er einen Weltenschlüssel verborgen hatte. Der Stein erschien uns als das sicherste Gefängnis, das seine unheilvollen Kräfte halten konnte. Und auch wir glauben, daß das Zeichen keinem Magier, und schon gar nicht einem Schattentänzer in die Hände fallen sollte. Yalomiro darf das Zeichen niemals erreichen -- es wäre das Ende dieser Welt." "Warum?", fragte ich, und Neugier erwachte in mir. "Weil Yalomiro der Dunkelheit dient," antwortete sie. "Yalomiro will den Sieg der Finsternis, des Schattens und der Furcht. Er ist ein Diener dessen, was du als das Böse empfindest- und wir auch." Ich hatte den Eindruck, daß sie von ihrer Rede überzeugt war, und doch zweifelte ich. Zu glatt, zu eingeübt klangen ihre Worte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Und was für Ziele verfolgt Ihr?", fragte ich. Die Königin lächelte. "Wir wollen das Ende von Schmerz und Trauer, Ujora. Und das ist richtig so. Du wirst mein Reich kennenlernen, und ich versichere dir, jeder meiner Untertanen ist zufrieden und ohne Sorgen auf meiner Burg. Du wirst kein Leid und keine Tränen dort sehen." Ich schauderte. "Sind diese grauen ... Leute da draußen Eure Diener?" Sie nickte und strahlte über das ganze bildhübsche Gesicht. Meister Gor richtete sich etwas auf. Bevor die Königin etwas sagen konnte, ergriff er das Wort. "Du hast Angst davor, Ujora, weil du es nicht kennst, es dir fremd ist. Sie sind -- nun ja, für ein Unkundiges aus der leidenden Welt scheinen sie häßlich zu sein. Aber etwas Häßliches muß nicht schlecht sein. Zu leicht täuscht der äußere Anschein über die Essenz der Sache." Ich sah ein, daß Wahrheit in diesen Worten lag, auch wenn es etwas abgedroschen klang. Ich schämte mich ein wenig, ohne zu wissen, weshalb. "Unkundige achten viel zu sehr auf Äußerlichkeiten," merkte die Königin an. "Daher zieht dich auch Yalomiro so sehr an. Ich verstehe dich gut, Ujora: er ist ein hübscher Bursche. Aber in ihrer Schönheit liegt Verderben, denn sie nutzen sie, um Unkundige zu verführen und an sich zu binden." Ich sagte nichts darauf und war verwirrt. "Warum denkst du, hat Yalomiro dich mit sich genommen, anstatt dich wieder zurückzuschicken?" "Er sagt, er könne es nicht, bevor er das Zeichen gefunden hat," antwortete ich ihr zögernd. "Falsch," entgegnete die Königin. "Er nimmt dich mit sich, weil er seine Energie aus der Lebenskraft eines anderen Wesens speisen muß. Er verzehrt dein Leben, Ujora. Vielleicht bemerkst du es noch nicht, aber je länger du mit ihm zusammen bleibst, desto schwächer und müder wirst du werden, bis du am Ende all deine Kraft und deinen Willen verloren hast. Er aber wird gestärkt und mächtig sein." Ich schwieg. "Ich sehe ein, daß du verwirrt und mißtrauisch bist, Ujora. Aber ich fordere nichts von dir und lasse dir Zeit, über all das nachzudenken. Wir sind dir freundlich gesonnen, Ujora -- anders als er." Meister Gor nickte bekräftigend und fügte hinzu: "Du bist müde und erschöpft, Ujora. Wir werden dich nun verlassen und außerhalb der Kutsche mitreiten. Schlafe und versuche, den Schattentänzer zu vergessen. Und du solltest dich auch etwas stärken." Während er dies sagte, formte sich aus dem Nichts neben mir auf der Bank ein Tablett, auf dem ein Krug mit einer goldfarbenen Flüssigkeit und ein Zinnbecher sowie ein Korb mit geschnittenem Brot und ein Teller mit verschiedenen Wurst- und Käsesorten stand. Zwei Äpfel und eine Apfelsine ergänzten das Arrangement. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich starrte verblüfft auf das Essen. "Ich bin mächtig," sagte der Rotgewandete und klopfte gegen die Wand der Kutsche, die daraufhin anhielt. "Ich kann Dinge erschaffen, anders als der Schattentänzer. Iß und trink -- und dann ruh dich aus. Wir haben eine lange Fahrt vor uns." Ich nickte gehorsam und die Königin lachte ihr perlendes Lachen. Dann öffnete sich der Wagenschlag, und Meister Gor und die schöne Frau stiegen aus. Als sich die Tür der Kutsche wieder schloß, war ich allein. Wie schön sie ist, dachte ich mit einem Anflug von Neid. Makellos und perfekt, beinahe unnatürlich. Wie eine Puppe -- eine Porzellanpuppe. Ich griff nach dem Brot und stürzte mich hungrig darauf. es war frisch und schmeckte mir nach den Strapazen der Reise hervorragend. Das Getränk sah aus und roch wie Apfelwein, war aber milder und schmeckte wie ein leicht bitterer Saft, jedoch nicht unangenehm. Wie eine Puppe, ging es mir jedoch
nicht aus dem Kopf.
Nachdem ich endlich satt war, stellte ich das Tablett auf den Boden, streckte mich müde auf der bequemen Bank aus und schloß die Augen. Und eine bleierne Müdigkeit überkam mich, die mir nicht einmal die Zeit ließ, über die Worte der Königin und des Rotgewandeten nachzudenken, über das, was sie von Yalomiro gesagt hatten. Ich dämmerte hinüber in einen tiefen Schlaf ohne Träume. Und nur ein leicht bitterer Geschmack, ein Überrest des goldenen Getränkes, haftete noch einige Zeit auf meinen Lippen.
6.
Als Yalomiro wieder zu sich kam, waren die glänzend grauen Augen der Königin der erste Anblick, der sich ihm bot. Sie stand versonnen lächelnd vor ihm und nickte ihm freundlich zu. Er blickte sich um und stellte fest, daß er gefesselt war, eine hölzerne Wand im Rücken und straff gezogene Schnüre um seine Gelenke, die in sein Fleisch schnitten und ihn in einer völlig wehrlosen Position hielten. Wenn der schmerzende Goldreifen nicht gewesen wäre, hätte er nur mitleidig gelächelt über diese unangenehme Situation, aber seine Magie war durch das Metall gebannt und wirkungslos. Seinen Blicken bot sich ein atemberaubendes Panorama dar: der Troß hatte den höchsten Gipfel der Himmelsberge erreicht, eine grünbewachsene gigantische Klippe über den Gipfelzügen, und unterhalb des Plateaus, wo man nun lagerte, erstreckte sich duftig und watteweiß eine einzige gewaltige Wolkendecke, über der ein tausendfach gefärbter, bunter Abendhimmel mit einer gewaltigen roten Sonne leuchtete. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Die Königin räusperte sich und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. "Schattentänzer," sagte sie mit zuckersüßer, schmeichelnder Stimme, "auf diese Weise begegnen wir uns wieder." Er senkte höflich kurz den Blick. "Hoheit, hundert Jahre haben Euch nicht verändern können," sagte er kühl. Sie lachte perlend und trat näher auf ihn zu. "Ein schönes Kompliment. Auch du bist noch so jung und hübsch, wie ich dich in Erinnerung hatte." "Wo ist die Unkundige?", fragte er unbeirrt, und die Königin verharrte in der Bewegung. "In der Kutsche," sagte sie dann verärgert. "Sie schläft, und sie wird noch einige Zeit schlafen. Wir sind unter uns, Schattentänzer -- und diesmal kannst du nicht einfach weglaufen." Yalomiro seufzte, und sie kam so nah an ihn heran, daß er ihren Atem spürte. "Machen wir uns nichts vor, Yalomiro," sagte sie. "Du weißt, was ich von dir will." "Ja, das weiß ich," entgegnete er. "Aber dieser Wunsch beruht nicht auf Gegenseitigkeit. Und ich nehme an, Meister Gor hat Euch darüber unterrichtet, daß ich nicht bin wie ein normaler Mann." Sie lachte leise. "Eben das fasziniert mich so an dir, Yalomiro. Du bist der erste, der meinem Zauber widerstanden hat. Du bist nicht so leicht zu erobern wie alle anderen es waren." Der junge Magier schüttelte den Kopf. "Königin, Ihr gebt Euch einer Illusion hin. Ich kann nicht lieben, und ich bin immun gegen die Verlockung, die Eure Magie aussendet und die Unkundige betört. Ich kann Euch nicht das geben, was Ihr Euch erhofft." Die Königin blickte ihn prüfend an. "Liebe ...", fragte sie dann, "was heißt das schon? Wer braucht das? Yalomiro, es ist viel leichter ohne die dumme Liebe, die doch nur Schmerzen bereitet." Er schwieg. Die Königin wartete einen Moment. "Ich bin schön," sagte sie dann. "Schön und begehrenswert. Doch keiner konnte bisher meine Begierde stillen. Ich war stärker als sie alle, denn ich liebte sie nicht. Ich war nur hungrig nach ihnen." Yalomiro schaute sie stumm einen Moment lang an. "Sie sind alle tot," sagte sie bedauernd und zuckte die Achseln. "Du aber, Yalomiro, bist stark. Du könntest meine Begierde stillen und ertragen." Der Schattentänzer schüttelte wieder den Kopf. "Nein, Königin. Ich habe kein Verlangen nach Eurer Verführung." Sie zögerte. "Begehrst du die Unkundige mehr als mich?", fragte sie dann. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ich kann nicht lieben," wiederholte er, "und ich darf nicht danach hungern. Denn unsere Lust ist ebenso tödlich wie die Eure. Doch nicht aus dem selben Grund." "Aber du bist fasziniert von der Unkundigen," stellte die Königin unzufrieden fest. "Du weißt, daß sie dich ebenso begehrt wie ich." "Ich ahne das," gab er zurück. "Aber ich fühle Zuneigung und Achtung zu ihr. Und ihr Vertrauen in mich. Ich werde diese unkundigen Gefühle niemals ausnutzen, um meine Begierde zu befriedigen. Dazu ist die Unkundigen-Wärme viel zu kostbar." "Kostbar," sagte die Königin verächtlich, und er schwieg. "Unser beider Lust bringt Unkundige um," fuhr sie nach einer Weile fort. "Aber wir beide wären stark genug für den Anderen. Ich verlange nicht von dir, daß du mich liebst, Yalomiro. Aber ich wünschte mir, du würdest dich vor Hunger nach mir verzehren wie die anderen, und wie ich es nach dir tat, hundert lange Jahre. Du weißt, daß ich dich begehre, weil dein schöner Körper meine Lust entfacht hat. Und ich bin gewohnt, zu bekommen, was ich haben will." Yalomiro wandte sich ab. "Nein," sagte er dann. „Mich bekommt Ihr nimmer.“ Sie nickte langsam. Dann griff sie mit einer unerwarteten Bewegung nach seinem Kragen und zerrte mit beiden Händen das Hemd über seiner Brust auseinander. Dann löste sie ein graues Tuch von ihrem Gürtel. Yalomiros Miene versteinerte. Er ahnte, was sie tun würde.
* Ich erwachte, als ich gedämpfte Stimmen hörte, die von draußen in das Innere der Kutsche drangen. Und in die sich plötzlich gellende Schreie mischten. Ich richtete mich auf, schob den Vorhang beiseite, sah aber draußen nichts als die Rücken der zwei grauen Diener, die das Fahrzeug bewachten. Auf der anderen Seite der Kutsche war noch weniger zu sehen -- dort fiel ein Felsplateau steil und fast rechtwinklig ab, und das Gefährt stand so nahe an einem unglaublich tiefen Abgrund, daß ich mich unwillkürlich fragte, wie der Kutscher es fertiggebracht hatte, hier zu parken. Unentschlossen, und beunruhigt klopfte ich an das Fenster, um die Grauen auf mich aufmerksam zu machen. Und tatsächlich, auf mein Klopfen hin drehte sich einer von ihnen um. Ich wandte mich ab, um sein fehlendes Gesicht nicht sehen zu müssen. "Darf ich bitte aussteigen?", fragte ich möglichst harmlos, "ich bin nun ausgeschlafen." Zu meinem größten Erstaunen nickte der Gesichtslose wortlos und öffnete mir die Tür.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich nickte ihm dankbar und ohne hinzusehen zu und kletterte umständlich ins Freie. Als ganz in der Nähe jemand aufschrie, zuckte ich zusammen. „Erbarmen!“, wimmerte er, wenige Schritte entfernt. Und ich erkannte Yalomiros Stimme. Ich mußte mich sehr zusammennehmen, um unbeteiligt zu wirken, als ich in einiger Entfernung Meister Gors Blick auffing. Er saß auf dem Boden, lächelte freundlich und winkte mich heran. Auf dem ganzen Plateau verteilt hielten sich die graugewandeten Gesichtslosen auf und saßen und standen unbeteiligt wirkend und ohne irgendetwas zu tun herum. Die Szene wirkte gespenstisch, und das bunte Farbenspiel des Abendhimmels über der Wolkenebene tief unter uns machte die düstere Stimmung nicht freundlicher. Aber alle blickten sie in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war, und das monotone Murmeln schien von ihnen auszugehen, so, als kommentierten sie das Geschehen. Und ich schaute hin, obwohl ich Angst hatte vor dem, was dort geschah. Yalomiro war wieder bei Bewußtsein. Mit ausgespreizten Armen und Beinen hatte man ihn an die Eckpunkte der Wagenrückseite gebunden, so daß er in einer sehr unbequemen Haltung bewegungsunfähig dahing. Womöglich war er die ganze Strecke lang in dieser Stellung mitgereist, nur durch eine dünne Wand von mir getrennt. Seine Augen waren mit einem grauen Tuch verbunden, das Goldhalsband umschloß nach wie vor seinen Hals. Und sein Hemd war vorn geöffnet, Brust und Bauch waren nackt. Vor ihm stand die Graue Königin und betrachtete ihn versonnen. Ich schaute Yalomiro verstohlen an. Die Haut unter seinen Gewändern war von derselben bronzenen Farbe wie sein Gesicht, sein Körper war schlank. Durch die qualvolle Fesselung war sein Brustkorb vorgewölbt, die Rippen zeichneten sich ab. Aber das war nicht der Grund dafür, daß er schrie. Die Königin lächelte fast liebevoll, hob die Hand und streichelte zärtlich über Yalomiros nackte Brust. Und Yalomiro wand sich vor Schmerzen. Ich sah die goldberingten Finger der Königin, das Gold gleißte in der Abendsonne, und ich begriff, daß ihr Streicheln ihm weh tat. Ich trat rasch auf Meister Gor zu, ignorierte die Kälte und hockte mich neben ihn auf den Boden. Die sonderbare Szene gab mir Rätsel auf. Die Königin bedachte Yalomiro mit zärtlichen Gesten, die ihn jedoch schmerzten. Ich fragte mich, welchen Grund sie dafür haben mochte und was sie erreichen wollte. Aber sie sprach nicht, lächelte nur versonnen und streichelte ihn. "Warum?," fragte ich Meister Gor, „Warum macht sie das?“. Der Rotgewandete wandte sich mir zu. "Das wirst du noch nicht verstehen können." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich schüttelte den Kopf, blickte auf Yalomiro und die Königin und fröstelte. Die Königin wurde auf mich aufmerksam, blickte zu mir hinüber, lächelte dann entwaffnend und winkte mir mit einer knappen Geste zu. Ich nickte verwirrt grüßend in ihre Richtung. Aber es war mir unbehaglich, ihr weiter zuzuschauen. Mit eiligen Schritten entfernte ich mich. Meister Gor sah mir nach und hinderte mich nicht. Wahrscheinlich wußte er, daß ich nicht weit gehen würde. Und Yalomiros Wimmern und Stöhnen unter ihren Händen klang hinter mir her, als ich mich ganz an den Rand des Plateaus begab, mich dort niedersetzte und angestrengt auf das atemberaubende Panaroma starrte, während die Sonne sank. Während Yalomiro litt.
*
Erst als die Sonne endgültig am Horizont verschwunden war und das Farbenspiel den kühl funkelnden und glühenden Sternen gewichen war, kehrte ich zum Lager zurück. Die Grauen Diener saßen abseits des Wagens, in dem sich die Königin gewiß schon zur Ruhe begeben hatte, zumindest war sie nirgends zu sehen. Meister Gor befand sich ebenfalls nicht im Widerschein der Lagerfeuer. Wahrscheinlich war er bei seiner Herrin. Da niemand mir Beachtung schenkte, fiel es mir nicht schwer, zu Yalomiro hinzugehen. Fahl und mild leuchtend stand eine erstaunlich große Mondsichel am Himmel und erhellte schwach den Körper des jungen Schattentänzers. Er hing in den Fesseln, atmete kaum merklich, und ich konnte nicht zu sagen, ob er schlief oder ohnmächtig war. "Yalomiro," sagte ich leise. Eine sehr schwache Bewegung zeigte mir, daß er den Kopf hob. Schweigen. "Du bist noch da," sagte er dann mit rauher Stimme. Ich wich dem aus, was ich als seinen Blick spürte, trotz der verbundenen Augen und der Dunkelheit. "Warum hat sie dich so gequält?," fragte ich dann. Yalomiro antwortete mir nicht. "Ich spüre den Mond," sagte er dann. "Das Licht ist gut." Ich nickte. "Vermutlich." Für einen kurzen Moment zögerte ich. Dann streckte ich meine Hand nach ihm aus und tastete nach ihm. Er zuckte zurück, als ich ihn berührte. Und ich zog erschrocken meine Finger weg. Wieder Stille. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Entschuldige," sagte er dann leise. "Das war der Sinn ihrer Lektion. Ich soll mich vor euren Händen fürchten." "Ich trage kein Gold am Körper," entgegnete ich. "Meine Hände sind ungefährlich." Er reagierte nicht, also griff ich wieder nach ihm, diesmal noch vorsichtiger. Ich langte entschlossen in die Höhe und zog ihm die Augenbinde ab. Die Mondsichel spiegelte sich in tiefdunklen Augen wie eine weiße Pupille. Seine Miene war ernst und abwartend. "Glaubst du ihnen oder mir?," wollte er dann wissen. “Wer sagt dir wohl die Wahrheit, der Schatten oder die Leere?“ "Ich weiß es nicht," entgegnete ich. "Meister Gor will mich heimbringen." Er lachte bitter. "Das will ich auch." Ich schüttelte den Kopf. "Ich weiß gar nicht, was gut ist. Ich weiß nur, daß dies alles mich nichts angehen sollte. Daß das hier nicht meine Welt ist." "Das hier ist gut," sagte er und deutete mit einem Nicken zum Mond. "Das Dunkel und das Licht darin. Das sagt dir ein Schattentänzer. Wärst du einem Licht-Magier, einem Regenbogenritter begegnet, wie sie jenseits des Sees ihre Stadt haben, würde der dir antworten, der Tag und die Sonne seien gut. Und ich gestehe ihm das zu. Aber kein Kundiger würde das da -" er nickte in Richtung der Grauen " - für gut befinden. Denn das ist die Starre und das Ende der Veränderung." Ich zögerte. "Ujora," sagte er dann fast beschwörend, " ich weiß nicht, was sie dir erzählt haben. Aber glaube mir: es ist mehr Betrug im Leeren als im Leben. Denn das Leere kennt weder Glück noch Trauer." "Wieso gibst du dich wirklich mit mir ab?", fragte ich dann. "Was versprichst du dir davon? Ist es wahr, daß du Kraft aus meinem Leben beziehst, wie Meister Gor sagt?" Er antwortete nicht sofort. "Ja und nein," hörte ich dann seine Stimme im Dunkel. "Nicht so, wie sie es dich glauben machen wollen. Deine Kraft stärkt mich auf eine Weise, die ich nicht begreife, die aber der ähnlich ist, mit der meine Aura dich schützt, wenn die Kälte kommt. Ich verzehre deine Kraft nicht, nehme sie dir nicht weg. Es ist wahr, ich könnte es tun, ich weiß wie ich etwas Lebendem die Kraft fortnehmen kann, um sie für mich zu nutzen. Aber das ist verbotenes Wissen, etwas, was nur in allergrößter Not getan werden darf und auch nur mit Einwilligung des Gebenden. Die Kraft, die du mir verleihst, ist anders. Du gibst sie freiwillig ab, und dadurch vermehrt sie sich noch zusätzlich. Und ich nehme sie nicht durch Magie an, sondern mit dem, was ich fühle." Ich dachte nach. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Bitte," flehte er, "wenn du dich fürchtest, dann laß mich nur hier hängen und geh fort. Ich verüble es dir nicht. Es wäre Torheit, wenn du dich in die Geschäfte der Magier einmischtest. Aber gib mir zu verstehen, daß du mir glaubst. Vielleicht kannst du mir nicht helfen Aber wenn ich weiß, daß du mir vertraust, werde ich jede Folter ertragen können, die sie für mich bereithalten. Wenn du mir nicht glaubst, quält mich das mehr als das Gold der Königin. Denn es wäre Meister Gors Triumph." Ich gab mir einen Ruck. "Wenn ich dir den Reifen abnehme und dich losbinde," fragte ich, "wäre dir damit geholfen?" "Nimm den Reifen fort," raunte er. "Dann ist meine Magie frei und wir hätten eine Chance. Dann könnte ich dich beschützen." Ich nickte und überlegte, wie ich am besten zu ihm hochreichen würde. Schließlich setzte ich den linken Fuß in die Speichen des Hinterrades, zog mich an der Karosserie hoch und langte ungeschickt nach seinem Hals. Das Gold mußte ihm wehtun, als ich den Reifen drehte und nach dem Verschluß suchte. Aber er gab keinen Laut von sich, blickte nur unruhig zu mir hinüber. Ich drehte den Reifen in der Hand und tastete und wurde zunehmend nervöser, als ich das glatte, fugenlose Metall unter den Fingern spürte. Als ich hinter mir Schritte auf dem glatten Erdboden näherkommen und dann verstummen hörte, erstarrte ich und hielt den Atem an. Ich hoffte von ganzem Herzen, daß es einer der Grauen war, die die Königin begleiteten, aber von nichts Notiz nahmen. In Gedanken flehte ich, daß man mich nicht bemerkt habe. "Das Gold ist massiv," sagte Meister Gor stattdessen ruhig. "Ohne Werkzeug kannst du es nicht öffnen. Ich habe geahnt, daß du mich betrügst, Unkundige." Schlagartig berührte mich seine Kälte. Ich schauderte und stieg wieder zu Boden, ohne mich umzudrehen. Der Rotgewandete lachte leise. Und Yalomiro seufzte enttäuscht. "Beinahe wäre es dir gelungen, die Unkundige wieder auf deine Seite zu ziehen," fuhr Meister Gor fort. "Aber ich habe mit ihrer Schwäche gerechnet." "Was wollt Ihr eigentlich?," fragte Yalomiro bitter. "Was erhofft Ihr Euch durch meine Anwesenheit? Selbst wenn ich Euch verriete, wo der Mondstrahl ist, müßte ich ihn doch mit eigenen Händen aus dem Versteck holen. Ein Geständnis von mir wäre nutzlos für Euch. Ist es Vergnügen für Euch, mich als Gefangenen zu haben? Oder ist es ...", er zögerte eine Sekunde und fragte dann provozierend: "... Angst? Fürchtet Ihr Euch vor mir?" Meister Gor schien sich köstlich zu amüsieren. "Angst? Vor einem Schattentänzer? Vor einem Schüler? Du machst dich lächerlich, Yalomiro."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Dann sagt mir, weshalb Ihr meine Magie fesselt," beharrte Yalomiro, und ein Trotz schwang in seiner Stimme mit, der mir Angst machte. Meister Gor kam näher, und ich zog mich einige Schritte weit zurück. "Hüte dich, Schattentänzer," sagte er mit gefährlich ruhiger Stimme. "Du bist nicht in der Lage, in der du dir Frechheit erlauben könntest." "Nehmt das Gold fort," forderte Yalomiro. "Nehmt es fort und meßt Eure Kräfte mit mir." Der Rotgewandete schüttelte den Kopf, und ich wußte nicht zu entscheiden, ob er sich ärgerte oder Belustigung empfand. "Warum willst du, daß ich dich verletze, Schattentänzer? Warum willst du den Beweis meiner Macht?" "Warum löst Ihr nicht meine Fesseln und findet es selbst heraus?" Meister Gor schüttelte den Kopf und zuckte die Achseln. Dann richtete er beide Hände gegen Yalomiro und rief einen knappen Befehl. Die Fesseln lösten sich in Nichts auf, und Yalomiro stürzte unsanft zu Boden. Doch noch bevor er sich aufrappeln konnte, streckte Meister Gor seine Handflächen zu ihm hin, und Yalomiro krümmte sich mit einem Wehlaut zusammen. Meister Gors linke Hand schien ihn mit dieser Geste zu Boden zu drücken, obwohl er weit entfernt stand. Die rechte Hand holte aus und schleuderte etwas Unsichtbares auf Yalomiro hin. Und der zuckte wie unter einem Peitschenhieb. Ich wich zurück und prallte mit der Königin zusammen, die, vermutlich von dem Gespräch geweckt und angelockt, die Kutsche verlassen hatte. Sie schenkte mir einen verwirrten, beinahe orientierunglosen Blick und schaute dann zu Yalomiro hin. Als sie die Situation begriff, lächelte sie leise. Yalomiro wankte unter Meister Gors unsichtbaren Schlägen. Gedemütigt und kraftlos versuchte er, aus der Reichweite des älteren Zauberers zu kriechen. "Sieh ihn dir an", sagte die Graue Königin zu mir, "sieh ihn dir an, den Schattentänzer." Ich sah ihn an, sah einen gepeinigten Körper und namenlose Verzweiflung in spiegelnden Augen. "Nun, Schattentänzer," rief Meister Gor, und ich hörte aus seiner Stimme, wie er sich an Yalomiros Qualen erfreute, "spürst du meine Macht? Ist sie der deinen nicht überlegen? Steh auf, Schattentänzer, wehre dich gegen meine Kraft!" Yalomiro sank zusammen. "Nehmt das Gold fort!," stieß er hervor, "nehmt es fort und laßt mich Euch mein Können beweisen!" Meister Gor blickte die Königin an. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga „Sollen wir ihm den Spaß gönnen, Herrin?,“ fragte er launig. Die Graue Königin lachte heiter und nickte. Auf ein Wort des Rotgewandeten verschwand das Gold. Yalomiro sprang auf die Füße, und seine Silberaura glühte auf. Aber ich sah mit Entsetzen, wie schwach er zu sein schien, denn in schneller Folge schlug Meister Gor auf ihn ein, und er wich zurück. "Wehre dich," spottete Meister Gor," wehre dich gegen deinen Schmerz und deine Wut." Yalomiro schwieg, und Meister Gor warf eine weitere Geste in die Luft. Yalomiro keuchte und zitterte. Ich war hilflos, wußte nicht, ob und wie ich reagieren sollte. Ich dachte an bunt glitzerndes Licht, den Duft von Lavendel und silberne Bäume. Ich sah die Graue Königin und entsetzte mich vor dem Vergnügen, mit dem ihr unheimlicher Gefolgsmann den jungen Zauberer peinigte. "Sieh ihn dir an," wiederholte die Königin, "kein Schattenzauber rettet ihn vor Meister Gor. Seine Magie ist lächerlich und schwach." Ich schaute zu ihr, in ihr kaltes Puppengesicht und mir war klar, daß ich ihr nie wieder vertrauen durfte. Ich riß mich los, war mit wenigen Schritten bei Yalomiro, kniete vor ihm nieder. "Yalomiro," fragte ich, "Was ist los mit dir?“ „Ich bin verletzt,“ keuchte er. „Meine Aura ist instabil! Sie haben mich verwundet mit dem Gold, und ich brauche Zeit, um die Kraft neu zu bündeln. Nur ... nur ein paar Sekunden...“ „Kannst du zwischenzeitlich meine Kraft nehmen?" Meister Gor hielt in seinem grausamen Vergnügen inne. "Geh weg von ihm," forderte er barsch. Ich ließ mich nicht beirren. "Kannst du es?" Yalomiros Augen waren dunkel, tief und schmerzverblendet. "Ich kann es," keuchte er. Ich zögerte. "Du bist zu geschwächt, um dies hier allein zu bestehen," sagte ich, und er nickte. "Weg von ihm!", rief nun auch die Königin. "Ich gebe mich dir hin," sagte ich zu Yalomiro. „Nimm, was du von meiner Energie brauchst.“ Yalomiros Augen starrten fassungslos. "Du weißt nicht, was du da sagst." "Geh weg!", brüllte Meister Gor aufgebracht. "Nimm meine Kraft," sagte ich, "wenn es nur eine winzige Chance bietet." Yalomiro richtete sich unter Schmerzen auf. "Es könnte dich töten," warnte er. „Ich habe das nie zuvor gemacht!“ Meister Gor kam mit raschen Schritten auf uns zu.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Bitte," beschwor ich Yalomiro. "Wenn es dich nur ein wenig stärken kann, dann nutze es, um uns hier herauszubringen." Yalomiro blickte in meine Augen, und ich spürte den letzten Funken Licht in den seinen. Dann legte er seine Hand auf mein Herz. "Ich nehme nur die Kraft deines Körpers," sagte er ruhig. Ein seltsames, betäubendes Erschauern durchfuhr meinen Körper. Und ich konnte keinen Gedanken mehr erfassen. Und ich fiel hinab, in eine sanfte, warme Dunkelheit.
*
Von ferne drangen Geräusche zu mir, wie durch Nebel und dumpf. Die Dunkelheit um mich veränderte sich, und ich spürte, daß ich irgendwo zwischen Schlaf und Erwachen war, unentschieden, ob ich auf die Klänge hören oder mich der Dunkelheit überlassen sollte. Und ich war zu keiner Bewegung fähig. Doch die Geräusche wurden deutlicher, es waren Stimmen. Ich hörte Meister Gors unbestimmte, kalt schneidende Stimme. Und ich verstand nicht, was er sagte, aber er war aufgebracht und brüllte. Entschlossen riß ich mich von der Dunkelheit los und öffnete die Augen, überrascht, wie schwer mir das fiel. Yalomiro stand neben mir, hoch aufgerichtet und umgeben von einer seltsamen Ausstrahlung, die nichts mehr mit seiner silbernen, schützenden Aura zu tun hatte. Es war etwas, das mich ängstigte und zugleich anzog. Von Yalomiro ging nun Gefahr und Macht aus. Und ich wußte, daß er nie zuvor so stark gewesen war wie in diesem Augenblick. Meister Gor mußte ganz in der Nähe sein, denn von der anderen Seite strömte Kälte und ein Gefühl von Leere. Eine Kraft, die mich ebenso entsetzte wie die, die ich an Yalomiro spürte, und die sich doch mit der seinen im Gleichgewicht zu halten schien. Aber ich konnte mich ihm nicht zuwenden. Ich konnte mich überhaupt nicht regen, so sehr ich es mir wünschte. Mein Körper schien völlig erstarrt zu sein, und ich entsetzte mich davor. Doch nicht einmal meine Stimme hatte noch Kraft. 'Yalomiro,' hörte ich dann deutlich die Stimme der Grauen Königin, die seltsam sanft und beschwörend klang, 'Wohin willst du gehen? Du wirst diese Stärke bald verbraucht haben, und dann wirst du dich uns nicht mehr widersetzen können. Gib es auf. ' Yalomiro atmete heftig und blickte mit gesenkten Lidern in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. 'Nein,' sagte er, und in seiner Stimme lag eine gefährliche Ruhe. Meister Gor redete wieder. 'Du hast sie getötet,' sagte er langsam. Yalomiro blickte rasch zu mir herab. 'Nein,' entgegnete er. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Dann sagte eine Weile niemand mehr etwas. 'Du kannst uns nicht entkommen,' sagte die Graue Königin nach einiger Zeit. Yalomiro blickte schweigend in ihre Richtung. 'Komm mit uns,' fuhr sie fort, und ihre Stimme wurde sanft und einschmeichelnd. 'Du könntest dich uns anschließen. Und wir können gemeinsam unsere Ziele verfolgen.' Yalomiro lächelte mit einem Ausdruck grausamer Belustigung. 'Ihr fürchtet mich.' Die Königin antwortete nicht. 'Ihr fürchtet mich, weil ich nun stärker bin als ihr,' fuhr Yalomiro fort. 'Und ihr wißt, daß ihr diesmal verloren habt.' Es dauerte einen Moment, bis die Königin wieder sprach. 'Meister Gor,' sagte sie, und ihre Stimme war von einer furchtbaren Ruhe, 'tötet ihn.' Yalomiro wandte sich wieder der Richtung zu, in der Meister Gor stehen mochte. 'Wenn ihr mich tötet,‘ sagte er, und die Ruhe in seiner Stimme war noch entsetzlicher als die in der der Königin, 'werdet ihr den Mondstrahl nie finden.' 'Wir haben unendlich viel Zeit, Schattentänzer,' gab Meister Gors Eisesstimme zurück. 'Und wenn wir Jahrtausende brauchen, um jede einzelne Welt zu durchsuchen, wir werden ihn finden.' Yalomiro verschränkte die Arme, und blieb in abwartender, lässiger Haltung stehen. 'Ich bin nicht bereit, zu sterben,' gab er unbewegt zurück. 'Dann kämpfe,' entgegnete Meister Gor mit fast vergnügter Stimme. 'Zeig mir, wie stark du bist. Aber laß mich die Form wählen.' Yalomiro blickte abwartend zu ihm hinüber. Und plötzlich erklang Lärm aus der Richtung, in der Meister Gor stand. Es war ein grauenhaftes, metallisches Klirren und Scheppern, in das sich ein unglaublich lautes Brüllen mischte, ein Brüllen, wie ich es nie zuvor von irgendeinem Tier gehört hatte und es nie wieder hören sollte. Es war ein Schrei wie das Bersten von Stahl und das Toben von Flammen. Und dazwischen die wahnsinnigen Schreie der scheuenden und panikerfüllten Pferde. Yalomiro zuckte zusammen und trat einige Schritte weit zurück. Und ehe ich verstand, was vor sich ging, sah ich einen riesigen Körper über mir, den Körper eines gewaltigen Tieres. Gewiß wäre ich vor Angst gestorben, wäre Leben in meinem Körper gewesen. Es war ein Drache. Ein nachtschwarzer, riesiger Drache, und ich lag zwischen seinen vorderen Klauen. Über mir erblickte ich die schuppengepanzerte Brust des Tieres, und mein Kopf lag so, daß ich seine rechte Klaue sehen konnte. Sie war schwarz, bedeckt mit unendlich vielen zierlichen Schuppen und glich einer Hand, die etwa so lang war wie mein ganzer Körper. Und ihre Glieder liefen in Krallen aus, die wie die eines http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Vogels schienen, aber messerscharf und drohend gebogen waren. Ihre Spitzen konnten nicht feiner sein als die einer Nadel. Richtungsloses Entsetzen durchfuhr mich und mein Geist wollte schreien, aber ich war gelähmt, von Panik und durch das Fehlen meiner Kraft. Da neigte der Drache seinen Kopf zu mir herab, der auf einem schlanken, biegsamen Hals saß und schaute mich an, aus spiegelnden, silbrigen Augen in einem Haupt, das dem einer Eidechse ähnelte, jedoch umrahmt war von spitzig abstehenden Schuppen, die über sein Genick und seinen Hals führen und sich auf seinem Rücken fortsetzen mochten, und versehen mit spitzen, weiß glänzenden Zähnen wie denen einer Schlange. Und seine aus Millionen von Schuppen gepanzerte Haut glänzte schwarz und schien zu glitzern. 'Ich bin es', hörte ich Yalomiros Stimme in meinen Gedanken, und der riesige Kopf näherte sich mir. Meine Gedanken standen plötzlich einfach still. Und ich wurde ruhig. Der schwarze Drache hatte trotz seiner gewaltigen Größe etwas elegantes, eidechsenhaftes an sich, er war schlank und schien sehr beweglich zu sein. Seine schwarze, scharfgeschuppte Haut strahlte eine silbrige Wärme ab, und in seiner wehrhaften, todbringenden Gestalt lag eine wilde Schönheit und Stolz. 'Yalomiro?', dachte ich leise. Doch da ertönte wieder das grauenhafte Brüllen, und der schwarze Drache zuckte zusammen. Und ich hörte die Königin sprechen, gegen den allgemeinen Tumult aus wahnsinniger Angst unter ihrem Gefolge. Sie sprach zu Meister Gor, und ihre Stimme vibrierte. 'Er beherrscht die Form des Drachen', herrschte sie den älteren Magier an. 'Wie konntet Ihr das zulassen? Wie kann das möglich sein? Ein... ein einfacher Schüler...' Noch bevor Meister Gor antworten konnte, fühlte ich mich plötzlich in die Höhe gehoben. Mit einer blitzschnellen und doch unglaublich sachten Bewegung hatte der schwarze Drache seine Pranke unter meinen Körper geschoben und mich aufgehoben, so geschickt, daß die spitzigen Krallen mich kaum berührten. Geborgen lag ich in seiner Klaue, sicher und fest zwischen den schlanken Gliedern der einzelnen Finger. Nun konnte ich Meister Gor ebenfalls sehen. Und das Entsetzen, das ich eben noch empfunden hatte, war wieder da, um ein Vielfaches gesteigert. Auch Meister Gor hatte sich in einen Drachen verwandelt, einen, der noch größer war als Yalomiro. Doch was Yalomiro an Eleganz und Anmut in seiner Gestalt realisiert hatte, fehlte bei Meister Gor völlig. Die Form, die er für sich geschaffen hatte, wirkte grob und plump. Er war feuerrot, und seine Haut schien aus sich heraus zu glühen wie ein Stück Kohle. Sein Körper war bedeckt von Schuppen, von denen zahlreiche spitzig und lang http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga ausliefen und die er abspreizte wie ein Igel seine Stacheln. In groteskem Kontrast zu seinem kurzbeinigen Körper, der entfernt an eine dicke Kröte mit Löwenpranken erinnerte, stand ein langer Schlangenhals, ebenfalls spitz bestachelt, und ein Kopf, wie einer mißlungenen Mischung aus einem Pferd und einem Krokodil . Der lange Schwanz dieser abscheulichen Kreatur lief in drei Spitzen aus, die an Messerschneiden erinnerten. Und um den roten Drachen herum eilten die Bediensteten der Königin, in der sinnlosen Bemühung, die in Panik geratenen Pferde zu beruhigen, und die Königin selbst, winzig, grau und fassungslos. Im selben Moment klappte Meister Gor seine Flügel aus, weit ausladende fächerartige rote Flügel, ähnlich denen einer Fledermaus. Ein Geräusch erklang, das war, als stieße unvermittelt der Wind in das Segelwerk eines großen Schiffes. Da fuhr der schwarze Drache mit einer plötzlichen Drehung herum, tat einen überraschend geschmeidigen, katzenhaften Satz und sprang, hinab von der Erhöhung über den Wolken, hinein in den Abgrund. Und der Schreck lähmte meine Sinne. Daß auch der schwarze Drache kräftige Fledermausflügel hatte, bemerkte ich erst, als er diese ausspannte und mit atemberaubenden Geschwindigkeit durch die Wolkenbank pflügte, ein schwalbenhafter, eleganter Segelflug durch die weiße, federleichte und kühle Wolkenebene. Mit seiner Pranke hielt er mich schützend gegen seinen Körper. Ich glaubte, den Schlag seines gewaltigen Herzens zu spüren. Und dann ertönte weit, weit unter uns der Wutschrei des roten Drachens. Yalomiros Stimme lachte in meinen Gedanken. 'Er hat die Wolken durchbrochen,' hörte ich ihn. 'Er hat nicht damit gerechnet, daß ich mich abfangen konnte.' 'Er wird uns verfolgen,' schickte ich ihm meine Gedanken und hoffte, er würde es hören. 'Nein,' antwortete Yalomiros Stimme fröhlich. 'Hier in den Wolken kann er uns nicht entdecken. Ich werde ihn abschütteln.' Und pfeilschnell stieg Yalomiro auf und durchbrach die Wolken oberhalb ihrer Grenzen. Er flog mit raschem Flügelschlag durch den sternenübersäten Nachthimmel. Schutz und Vertrauen ging nun wieder von Yalomiro aus, auch, wenn er diese schreckliche Form angenommen hatte. Ich konnte es nun wieder deutlich spüren. 'Ich sehe ihn', hörte ich ihn dann. 'Er sucht uns in den Wolken. Er pflügt sie auf wie Wellen im Wasser.' Und er stieß im Sturzflug herab, tauchte durch die Wolken und flog unter ihnen ein gutes Stück weiter.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich war froh darüber, meinen Körper nicht zu spüren. Yalomiros Flugkünste wären mir wahrscheinlich schlecht bekommen. Unter uns lag das graue, zerklüftete Gebirge, über uns undurchdringliche Wolken. Und der dröhnende Flügelschlag Meister Gors. Hinter uns stürzte der rote Drache aus der Wolkendecke. Im selben Moment zog der schwarze Drache wieder in den Schutz der Wolken. Und weiter hinauf, zurück zu den Sternen. Einige Male ging es so hinauf und hinab in kraftvollem Sturz- und Steigflug., Yalomiro schien Gefallen an den Fähigkeiten seines neuen Körpers zu finden, vollzog waghalsige Flugmanöver und schien sein volles Selbstvertrauen zurückerlangt zu haben. Und war immer ein wenig schneller als Meister Gor. Bis der rote Drache plötzlich unvermittelt direkt vor uns durch die Wolken brach. Wieder erklang sein metallischer, markerschütternder Schrei. Nun schrie auch Yalomiro. Auch seine Drachenstimme war kräftig und gellend, aber nicht unangenehm. Es klang ein wenig wie der Ruf eines Raubvogels. Meister Gors Krokodilmaul klaffte auf und schnappte nach Yalomiro, aber der beschleunigte seinen Flug und Meister Gor biß ins Leere. Doch er gab nicht auf, und drohend schnaubend und brüllend versuchte er, an Yalomiros Seite zu bleiben. Und wieder schnappte er zu, diesmal nach der Klaue, mit der Yalomiro mich trug. Noch einmal gelang es Yalomiro, auszuweichen. Aber der Gor-Drache schien an Kraft und Gewandtheit zu gewinnen. Und der nächste Biß zielte nach Yalomiros Hals -- und traf. Mit einem schmerzerfüllten Laut befreite Yalomiro sich. Warmes Blut rann aus einer Wunde, die Meister Gors Zähne geschlagen hatten, einige Tropfen sprühten im Wind in mein Gesicht. Mit den Krallen seiner freien Hand schlug Yalomiro nach dem roten Drachen, aber der entging dem Stoß und schien zu lachen. Yalomiro schnellte vor und biß zu. Und sein Schlangengebiß fuhr in Meister Gors Schulter. Der rote Drache zuckte und fauchte verärgert. Yalomiro ließ los, und mit seiner Pranke fühlte der rote Drache nach der kaum sichtbaren Wunde. Einer der Stacheln von Meister Gors Panzer hatte Yalomiros Stirn verletzt, Blut floß rot und feucht über das Eidechsengesicht. Dennoch schien ein feines Lächeln auf seinen monströsen Zügen zu liegen. Der Drache Gor starrte aus kalten, farblosen Augen. 'Du ...', knurrte er dann gefährlich leise. Yalomiro begann, leise zu lachen.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga 'Spürt Ihr mein Gift bereits, Meister Gor?', klang seine Stimme heiter und fast ein wenig spöttisch. Meister Gor bleckte seine todbringenden Zähne. 'Hinterlist ,' zischte er. Yalomiro lachte vergnügt. 'Keine Sorge, Meister Gor. Es wird Euch nicht töten. Aber es wird Euch müde machen, sehr müde.' Und schlagartig verschwand jede Erheiterung aus seiner Stimme. 'Kehrt um, Meister Gor. Geht zu Eurer Herrin zurück. Gebt auf. Ihr habt mich gefangen, aber ihr konntet mich nicht halten. Geht, bevor der Schlaf Euch lähmt. Denn auch der rote Drache der Leere überlebt nicht den Sturz aus der Höhe des Wolkenmeeres.' Meister Gor schnappte nach Luft und zögerte einen Moment. Dann wendete er in der Luft. 'Wir werden dich jagen, Schattentänzer,' fauchte er, leise und zornig. 'Und eines Tages, werden wir dich wieder vor uns haben. Dann werden wir unsere Fehler nicht wiederholen. Du kannst nicht ewig auf die Kraft vertrauen, die man dir heute nacht geliehen hat.' Yalomiro wandte sich wortlos ab, während Meister Gor sich der Gegenrichtung zuwandte, einsehend, verloren zu haben. Da durchschnitt ein pfeifender Laut die Luft und Yalomiro brüllte gequält auf, und verlor den Halt in der Luft. Mit einem Schlag seines messerscharfen Schweifes hatte Meister Gor von hinten zugeschlagen und die feine Haut von Yalomiros linkem Flügel zerfetzt. 'Auch der schwarze Drache des Schattens stürzt nicht unbeschadet aus dem Wolkenmeer,' hallte die Stimme des roten Drachen hohl und höhnend aus den Wolken. Und Yalomiro trudelte steuerlos und verzweifelt die Balance suchend durch die Luft wie ein welkes Blatt. Jetzt endlich entglitt auch mein Geist wieder in die schützende Schwärze des Schlafes.
7.
Natürlich war das alles nur ein schlimmer Alptraum gewesen, zumindest erwachte ich mit diesem Gedanken. Der wärmende Sonnenschein, der Duft von Blumen und das muntere Gezwitscher von Vögeln um mich herum bestätigten mich in diesem Gedanken, als ich mich aufrichtete, mit schmerzenden Gliedern, aber ausgeruht und gestärkt. Ich gähnte und öffnete dann die Augen. Ich befand mich auf einem Schlachtfeld. Durch die blühende Wiese, auf der ich mich befand, zog sich eine breite, tiefe Furche aufgewühlter Erde wie eine häßliche Narbe. Brocken von grasbewachsenem Erdreich waren achtlos links und rechts aufgeworfen, und längs der Furche sah ich entwurzelte oder schlicht abgebrochene blühende Bäume und Buschwerk liegen. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Etwas Gewaltiges mußte diese Vernichtung angerichtet haben. Doch um diese seltsame Furche in der Erde schien die Sonne, gaukelten Schmetterlinge und Bienen über ein Meer von bunten Blumen und üppig blühenden Obstbäumen, und der liebliche Gesang der Vögel erschallte. Ratlos richtete ich mich auf und klopfte mir den Schmutz von den Kleidern, die mir zerrissen und verknüllt am Leib saßen. Dann sah ich Yalomiro. Er lag am äußersten Ende der Furche und schien ohnmächtig zu sein. Auch er war schmutzig und seine prächtigen Gewänder waren arg mitgenommen. Er lag kraftlos in das Erdreich geschmiegt da, seine Finger umkrampften fest einige Büschel Gras und Blumen. Verkrustetes Blut beschmutzte sein Gesicht, seinen Hals und hatte an seiner linken Schulter seine Kleidung durchdrungen. "Yalomiro!", rief ich aus und eilte an seine Seite. Hilflos berührte ich ihn und versuchte, ihn wachzurütteln. Yalomiro regte sich schwach und stöhnte dann auf. Ich sah auf die Zerstörung und erinnerte mich an meinen wirren Traum. Ernsthafte Zweifel überkamen mich darüber, ob das alles wirklich nur geträumt gewesen war. Er schlug endlich die Augen auf, verharrte einen Moment und richtete sich dann mühsam auf. "Es .. es war kein Traum, oder?", fragte ich zaghaft, als er sich umgesehen hatte. Er schüttelte den Kopf. "Nein. Aber es war gut, daß unter uns keine Ortschaft war." Ich blickte ihn auffordernd an. "Ich konnte nicht mehr steuern," entschuldigte er sich, "ich konnte nur noch versuchen, uns abzubremsen. Das hier tut mir leid." Ich schüttelte sprachlos den Kopf. "Yalomiro --- du warst ein Drache!", erinnerte ich ihn. Er lächelte schwach. "Das habe ich dir zu verdanken. Du hast mich gerettet. Mit deiner Lebenskraft konnte ich diese mächtigste aller Formen annehmen. Und ich versichere dir, es war ein berauschendes Gefühl." Er setzte sich hin, und für einen Moment stand ein jungenhaftes, schelmisches Grinsen auf seinen Lippen. „Tatsächlich,“ sagte er zu sich selbst, „ich war ein Drache. Ich habe es geschafft. Mein Meister würde mich loben, hätte er das sehen könne. Was für ein Gefühl!“ Ich erinnerte mich an seine Flugkunststücke und mir wurde nachträglich schwindelig. "Danke," sagte er plötzlich sehr ernst. "Wofür?," entgegnete ich. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Er blickte mich ernst aus seinen bodenlosen dunklen Augen an. "Meister Gor war nahe daran, mich zu töten. Du hast mir das Leben geschenkt. Und das, obwohl sie Zweifel in dir gesät hatten." Ich blickte zu Boden. "Sie sagten, daß ihr von Lebendigem lebt. Und daß ihr eure Kraft aus der Dunkelheit bezieht. Das ihr ...", ich zögerte, "daß ihr böse seid." Yalomiro lachte leise. "Aus ihrer Sicht ist das, was ihren Plänen entgegensteht, das Böse, das Falsche. Die Dunkelheit, die uns stärkt, ist weder gut noch schlecht. Sie ist das Gegenteil, das, ohne das auch die Helligkeit und die Sonne nicht sein kann. Das Dunkle ist stark -- aber es ist nicht schlecht. Es schützt uns und wärmt. Und das Lebendige, was wir hüten und das uns kräftigt, das, Ujora -- ist das Licht. Das ewige Licht der Sterne und des Mondes. Das mächtige und stille Licht, das auch noch sein wird, wenn alle Welten vergangen sind. -- Magst du den Anblick der Sterne, Ujora?" Ich nickte. "Es ist schön. Schön und so gewaltig, daß keine Worte es beschreiben können." "Und wie kannst du dann glauben, daß dieser Glanz etwas für das Böse ist?" Ich blickte zu Boden. Und er nickte stumm. "Sie wissen nicht, was sie reden," sagte er verächtlich. Dann gab er sich einen Ruck und stand auf. "Laß uns weiter gehen und etwas Wasser suchen," sagte er. "Du bist durstig und ich möchte mich ein wenig waschen." Ich sah an mir hinab und mußte lächeln. "Du hast wohl recht." Ich beeilte mich, ihm nachzulaufen und folgte ihm dann über die wunderschöne Blumenwiese. Ich staunte, daß ich mich wieder so ausgeruht und kräftig fühlte, nachdem ich die ganze Nacht zu keiner Bewegung fähig gewesen war. "Ich hätte dich töten können," sagte er plötzlich. "Es war gefährlich, von deiner Kraft zu nehmen. Ich habe noch nie zuvor die Kraft eines anderen Wesens in mir gehabt. Und schon gar nicht die Kraft von etwas ... Weiblichen." Ich antwortete ernst: "Ich habe dir vertraut." Er blickte unverwandt zu mir hinüber. "Ich weiß. Ich habe etwas in deiner Seele gespürt, über das ich lange nachgedacht habe. Du hast keine Geheimnisse mehr vor mir, nun, da du deine Kraft mit mir teiltest." Ich wagte nicht, ihn anzusehen.
Es war mir unangenehm, daß er Gedanken
hören konnte. "Wenn ich dich beleidigt habe, vergib mir bitte," sagte ich hastig. Er blieb stehen.
Als ich bemerkte, daß er anhielt, wandte ich mich zu ihm
um.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Seine Augen waren dunkler und tiefer als je zuvor. Ein fast unmerkliches Lächeln lag auf seinem Gesicht. Er streckte seine Hand nach mir aus, und ich zögerte einen Moment, bevor ich danach griff. Und dann war da wieder dieses warme, silberne Gefühl von Licht und Schutz, wie ich es gespürt hatte, als ich bei ihm Schutz vor Meister Gor gesucht hatte. Und nun, da ich ihn berühren konnte, war dieses Gefühl viel stärker, legte sich um mich und ihn und hüllte uns ein. Er umarmte mich, und ich ließ es geschehen, schmiegte mich an ihn und ergab mich dem silbernen unsichtbaren Licht. Und hoffte, er würde mich nie wieder loslassen. Yalomiro schloß die Augen und atmete sacht. Und auch er schien dieses Gefühl von Schutz und Wärme zu genießen. Er lächelte. „Es tut mir nicht mehr weh,“ sagte er dann schlicht. Ich begriff, was das bedeutete, und ich war glücklich darüber. "Ujora," sagte er sanft, "unsere Suche ist noch nicht vollendet, und die Gefahr noch lange nicht gebannt. Aber dies hier ist das Lebendige Tal, das, das ich in den Bergen erahnt habe. Hier können wir uns ausruhen, bevor wir den gefährlichsten Teil der Reise antreten müssen." Ich nickte und betrachtete entzückt die liebliche Landschaft. Hier war alles so, wie es sein sollte, und die Welt um uns herum schien vor Kraft nur so zu strotzen. Ich versuchte, mir vorzustellen, daß einst dieses ganze seltsame Reich diesem Tal am Fuße der Himmelsberge ähnlich gewesen sein mochte. Yalomiro ging voran, aber er schien nicht besonders auf die Landschaft achtzugeben. Ich wurde nachdenklich. Yalomiros Gedanken waren für mich unergründlich, und ich fragte mich, was in ihm wohl vorgehen mochte. "Warum hat die Königin dir wehgetan?", fragte ich ihn schließlich. Er wandte sich mir zu. "Du willst mich fragen, warum sie mich auf diese Weise verletzen wollte." Ich nickte scheu, aber neugierig. Er seufzte, antwortete aber nicht sofort. "Weil sie zornig darüber ist, mich nicht erreichen zu können," sagte er dann, "auf die Weise, die sie sich wünscht." Ich entschied mich, nicht weiter zu fragen. Und Yalomiro sagte vorerst gar nichts mehr. Er ließ seine Blicke über die wunderbar blühende Landschaft schweifen, aber aus seiner Miene sprach nach kurzer Zeit kein Gefallen mehr an dem, was er sah. Er schien mir mit jedem Schritt viel eher mißtrauisch zu werden, und sein Blick wurde zunehmends verschlossener und irritierter. "Ist wirklich das Tal, von dem du mir erzählt hast?," fragte ich nach einer Weile und betrachtete mit Blüten überdeckte Obstbäume, die sich in sanftem Wind wiegten und lauschte den Vögeln ringsum im Geäst. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ja," sagte er knapp. "Aber hier stimmt etwas nicht. Etwas ist ganz anders, als es sein sollte." "Es ist wunderschön," redete ich weiter, ohne zu begreifen, was er da gesagt hatte. "Ich habe selten etwas so Bezauberndes gesehen. Die Blumen, das Licht, die Sonne ..." "Etwas stimmt nicht mit Blumen, Licht und Sonne," unterbrach er mich. "Ich spüre Gefahr." Ich blieb stehen, aber er schritt eilig weiter. "Es ist wie ein Paradies," rief ich ihm nach. "Warum freust du dich nicht daran? Es ist, als ob Meister Gor es nicht zerstören kann. Sonst wäre es doch auch schon grau und staubig geworden, nicht wahr?" Er hörte mir nicht zu, und ich beeilte mich, ihn einzuholen. "Es ist wunderbar," fuhr ich ärgerlich fort, "es gefällt mir. Warum magst du es nicht? Meister Gor hat es verschont." Yalomiro schüttelte den Kopf. "Woher willst du das wissen?" Vor uns teilten sich die Bäume, und von einem Hügel aus eröffnete sich mir der Blick in einen gewaltigen Talkessel, der von riesigen Bergrücken umschlossen wurde und sich in der Ferne in Blickrichtung öffnete. Was hinter dem Ausgang des Tales lag, war zu weit fort, um es zu erkennen, aber zwischen den Bergen links und rechts stachen die grellweißen Mauern einer großen, eindrucksvollen Burg ab. Davor erstreckten sich in vollem Korn stehende Felder und gewaltige Plantagen von Obstbäumen und Weinberge. Dazwischen glaubte ich, aus der Entfernung Schafherden und Rinder auf fetten Weiden sehen zu können. Ein blauer Fluß bahnte sich seinen Weg quer durch das Tal. In der Nähe schlängelte sich ein Weg vorbei, und Yalomiro ging wortlos darauf zu. Verärgert über sein plötzliches mürrisches Benehmen blieb ich einige Schritte hinter ihm. Es verdarb mir das Glücksgefühl, das ich eben noch empfunden hatte.
Etwa zwei Stunden später - der Weg führte nun an eingezäunten Weiden und Gärten vorbei, und etwas abseits davon erkannte ich Bauernhöfe und kleine Dörfer -- kamen wir in der Talsohle in eine Gegend, die ein sehr großer Park zu sein schien. Die frühlingsgrünen Bäume und Büsche standen in lichtem Abstand, und dazwischen waren immer wieder bunte Blumenbeete angelegt. Yalomiro hatte kein Wort mehr gesagt, seit wir weitergegangen waren, und sein Blick war finster. Ich begriff das nicht. Die Landschaft war von einer solchen Herrlichkeit daß alles, was ich jemals zuvor gesehen hatte, daneben karg und langweilig erschien.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Nur eines fehlte: Menschen. Ich hatte immer noch keine anderen Menschen gesehen, und dennoch wußte ich, es mußte welche geben. Irgendjemand mußte doch in den Häusern und Höfen wohnen und sich um die Tiere kümmern. Dann hörte ich etwas: ziemlich weit entfernt erklangen Stimmen, viele Stimmen und mir war, als dränge auch Musik dazwischen hervor. "Wir werden bald die Bewohner dieses Tales treffen," sagte Yalomiro unvermittelt. "Ich bin sicher, du wirst dann deinen Hunger und deinen Durst stillen können." Er sagte das mit sehr ernster, fast strenger Stimme, und ich wunderte mich immer noch über seine Ablehnung der Schönheit gegenüber. "Yalomiro," sagte ich, "mußt du immer so mißtrauisch sein? Kann dies hier nicht ein ganz harmloses Stück heiler Welt sein?" Yalomiro zuckte die Achseln. "Vielleicht ist es das. Aber ich halte es für klüger, es nicht unbesehen zu glauben." Wir näherten uns den Stimmen, die immer lauter wurden. Schließlich sah ich auch aus der Entfernung Bewegung zwischen den Bäumen, Leute, die sich bewegten, sangen und lachten. Eine Feier. Leute feierten in diesem parkähnlichen Wald ein Fest. Ich wurde unruhig. Die Feiernden würden die ersten Personen sein, denen ich hier begegnete -- abgesehen von Yalomiro und den Leuten um Meister Gor. Vielleicht waren diese Menschen keine Magier, vielleicht waren es einfache, ganz normale Leute, mit denen ich sprechen konnte und die uns weiterhelfen konnten. Vielleicht würde diese Begegnung uns Glück und neue Freunde bescheren. Meine Anspannung wuchs, und gleichzeitig fragte ich mich, ob Yalomiros Mißtrauen begründet sein mochte. Ich glaubte es nicht. Doch Yalomiro blickte dem Fest skeptisch und reserviert entgegen. Ich überlegte, was er wohl spüren mochte, das sein Mißtrauen derart erregte. Wir waren endlich nah genug herangekommen, um genau zu sehen, was vor sich ging. Und ich fand meine Vermutungen voll und ganz bestätigt, während Yalomiro stehen blieb und die Arme verschränkte. "Siehst du -- es ist keine Gefahr", sagte ich überzeugt davon. "Vielleicht," gab er zurück. Es war eine Schar fröhlich feiernder Leute, die sich unter den Bäumen versammelt hatte. Ihr Gelächter und Klang einer munteren Musik erreichte uns und die Gruppe bewegte sich ausgelassen durcheinander, wobei ich nicht sagen konnte, ob sie tanzten oder Fangen spielten. Ich schaute zu Yalomiro hinüber und erschrak über seine finstere Miene. "Stimmt etwas nicht?", fragte ich leise. Er nickte. "Nein. Das hier darf so nicht sein." Ich blickte zu der Festgesellschaft hinüber. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Aber sie sind doch fröhlich und scheinen viel Spaß zu haben," warf ich ein. Er lächelte bitter. "Um sie herum zerfällt das Leben. Ist das Grund, ein Fest zu feiern?" Ich seufzte auf. "Du meinst also, wir sollten nicht zu ihnen gehen?" Yalomiro schüttelte den Kopf. "Doch. Du bist hungrig, und sie haben etwas zu essen. Und ich bin neugierig, was sie zu feiern haben." Er winkte mir, ihm zu folgen, und ich lief hinter ihm her, als er sich mit energischen Schritten der Gruppe näherte. Beim Näherkommen sah ich mir die Leute genauer an und wunderte mich. Es handelte sich um Menschen, ausgelassen feiernde Menschen. Sie alle waren in weite, schneeweiße Gewänder gekleidet. Die Frauen unter ihnen hatten sich zudem mit Blumen geschmückt, und alle trugen ihr Haar offen. Ich sah einige von ihnen tanzen, andere laut lachend und plaudernd beieinander sitzen und wieder andere mit verschiedenen Instrumenten musizieren. Sie tranken aus großen Bechern und aßen Obst, das sie in großen Schalen bei sich stehen hatten und aussah, als sei es gemalt, sowie andere Speisen, die Süßigkeiten zu sein schienen. Offensichtlich bevorzugten sie diese Art von Essen, denn alle Anwesenden waren recht wohlgenährt, einige regelrecht fett, schienen sich dessen aber nicht bewußt zu sein. Dazwischen waren auch einige Männer, die Teile aus Metall an ihren Gewändern hatten, die Einzelelemente von Rüstungen zu sein schienen, und manche von ihnen waren mit kurzen Schwertern bewaffnet. Ein paar wohlgenährte Pferde grasten zwischen den Bäumen, und im Hintergrund waren mehrere prunkvolle Sänften abgestellt. Die Szene erinnerte mich an eine Darstellung eines antiken Gelages und verwunderte mich. Scheu versuchte ich, möglichst unauffällig hinter Yalomiro zu bleiben. Erst als Yalomiro dicht bei den Feiernden war, bemerkte man ihn. Einer der Anwesenden, ein sehr korpulenter älterer, in eine Art weiße Toga gekleideter Mann, erhob sich vom Boden, wo er mit einigen anderen plaudernd gesessen hatte, und wandte sich Yalomiro zu. Er hielt einen gefüllten Becher in der Hand und schien dem jungen Mann damit zuprosten zu wollen. "Schaut," rief er seinen Freunden dann mit einer volltönenden, lauten Stimme zu, "wir bekommen Besuch. Ein Fremder." Die übrigen Feiernden unterbrachen ihr Spiel und Gespräch, und alle wandten sich Yalomiro zu. "Schaut nur, er ist verletzt!", rief eine der Frauen besorgt, stand auf und wollte sich Yalomiro nähern. Doch Yalomiro hob mit einer abwehrenden Geste die Hand, und die Frau blieb stehen. "Ich bin Yalomiro vom Schwarzen See," sagte er dann, "der letzte Schüler des Großen Meisters Askyn." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Der dicke Mann mit dem Becher zögerte. Dann grinste er freundlich. "Sei uns gegrüßt, Yalomiro. Du bist nicht aus dieser Gegend, das sieht man dir an. Genauso wenig wie deine entzückende Begleiterin. Willst du sie uns nicht vorstellen?" Yalomiro blickte sich nach mir um, und in seinen Augen stand eine stumme Ermahnung. "Das ist meine Freundin," sagte er dann. "Sie kommt noch von viel weiter her." "Dann seid ihr bestimmt müde und wollt rasten," sagte der Mann. "Kommt, gesellt euch zu uns und greift zu." Yalomiro kam seiner Aufforderung nicht nach und blickte sein Gegenüber stumm an. Der Mann zögerte und lachte dann plötzlich belustigt auf. "Wie unaufmerksam von mir," sagte er. "Man nennt mich Benjus. Ich bin der König des Lebendigen Tales." Ich war verblüfft. Einen König hatte nicht erwartet und mir immer ganz anders vorgestellt, ernst und würdevoll und ehrfurchtgebietend. Dieser seltsame Zecher und seine Gesellschaft waren nicht so, wie ich einen König mit seinem Gefolge erwartet hätte. Yalomiro schien nicht weniger verwundert zu sein als ich. "Ich grüße Euch, König Benjus," sagte er steif. "Erwartetet Ihr eine bestimmte Form der Ehrbezeugung von uns? Oder geht es hier immer so formlos und fröhlich zu?" Der dicke König schien nachzudenken und kratzte sich zerstreut am Kopf. „Ehrbezeugung,“ murmelte er. "Was bist du von deinem Stande?," fragte er dann. "Ich bin ein Magier," antwortete Yalomiro, und er sagte es so trocken und ernsthaft, daß ich es gegen meinen Willen komisch fand. Ich bemühte mich, ein Kichern zu unterdrücken, und Yalomiro schaute verdutzt zu mir hin. "Nun, Magier Yalomiro," antwortete der König. Er war weder verwundert noch belustigt – er schaute den jungen Mann unbeeindruckt an. "Einen Zauberer hatten wir noch nicht unter uns. Also gibt es für dich keine vorgeschriebene Form der Etikette." Nun lachte die ganze Gesellschaft erheitert auf. Nur Yalomiro und der König blieben ernst. "Ihr seht aus, als ob ihr eine weite Reise hinter Euch hättet," sagte der König, und auch sein Lächeln wich einer mißtrauischen Aufmerksamkeit. "Wir suchen eine Unterkunft für diese Nacht," sagte Yalomiro. "Dann lade ich Euch ein, auf meiner Burg zu übernachten," entschied König Benjus. "Kommt -- wir bringen Euch dorthin. Wir werden wohl auch neue Kleidung für deine Freundin und dich finden."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Die fröhlichen Leute begannen unaufgefordert unter heiteren Gesprächen und Scherzen, ihre Sachen zusammenzupacken. Der König musterte Yalomiro nochmals skeptisch und half dann selbst bei den Aufbruchsvorbereitungen mit. "Warum bist du so unfreundlich?", raunte ich Yalomiro zu, während ich mich ein wenig fehl am Platz fühlte. "Das hier ist nicht richtig," gab er leise zurück. "Der dicke König hat gelogen, als er sagte, keine Zauberer bewirtet zu haben. Ich weiß nicht, warum er das nötig hat.
Du darfst dem Schein nicht trauen. Aber vielleicht
sind wir für den Moment so in Sicherheit."
*
König Benjus Burg war wie ein Märchenschloß. Die Mauern waren schneeweiß und von bunten Blumen überrankt, und es wimmelte von fröhlichen und wohlgelaunten Leuten zwischen den trutzigen Mauern. Alle trugen schöne, weiße Gewänder und schienen sich ausgezeichnet zu fühlen. Ich konnte kaum einen Unterschied zwischen Bediensteten und Angehörigen des Königs ausmachen. Yalomiro und ich wurden freundlich begrüßt und herzlich aufgenommen, von besorgten, hilfsbereiten Leuten umringt und sofort mit allem Komfort versorgt und bemuttert. Es ärgerte mich, daß Yalomiro zu alledem finster und mürrisch blieb. "Warum bist du nicht ein wenig freundlicher?," hielt ich ihm in einem unbewachten Augenblick vor, "sie sind nett und haben bestimmt nichts Böses im Sinn." Yalomiro seufzte, antwortete aber nicht. König Benjus beobachtete uns verwundert, wie wir etwas abseits standen. Dann kam er mit weit ausgebreiteten Armen auf uns zu. "Ihr seht müde aus," sagte er, "ich glaube, ihr habt keine rechte Lust, heute abend an einem großen Festbankett zu Euren Ehren teilzunehmen. Ich lasse Euch Euer Abendessen auf Eure Zimmer bringen, und morgen reden wir über alles Weitere." Damit legte er mir den Arm um die Schulter, zog mich vom Yalomiro weg und erging sich in einer ausführlichen Beschreibung der Architektur der Burg und der Freudenfeste, die täglich abgehalten wurden. Yalomiro machte keine Anstalten, uns zu folgen. Er warf mir einen traurigen Blick zu, wandte sich ab und ging dann ins Innere der Burg. Mit schlechtem Gewissen blickte ich ihm nach, hatte aber nicht viel Zeit zum Nachdenken, da der König redete und redete. Sein Geplapper wirkte einschläfernd und hypnotisch.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga
Yalomiro wartete. Man hatte ihm ein luxuriös ausgestattetes Zimmer zugewiesen, ihm ein verschwenderisches Nachtmahl serviert, seine verletzte Schulter versorgt und ein Bad bereitet. Aber Yalomiro saß nur schweigend auf seiner Bettkante, starrte blicklos auf die Nahrung, die er nicht angerührt hatte und ignorierte seine Umgebung. Die Bediensteten des Königs, ausgelassen fröhliche, unbekümmerte junge Männer, hatten versucht, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, ihm Witze zu erzählen und ihn zum Essen zu drängen. Aber Yalomiro hatte zu alledem geschwiegen und finster vor sich hin gestarrt. Nach und nach waren dann auch die Diener verwirrt verstummt und hatten sich irritiert und leise tuschelnd zurückgezogen. Nun war Yalomiro allein -- und doch fühlte er sich beobachtet, wußte, daß der ganze Hofstaat des Königs lauerte und ihn mißtrauisch begutachtete, genau notierte, was immer er tun würde. Yalomiro griff nach einer Obstschale und ergriff einen Pfirsich, tastete nach der samtigen Schale. Die Frucht duftete süß und reif, aber der Schattentänzer zögerte. "Zu köstlich", murmelte er und legte den Pfirsich zurück, betrachtete den Teller mit dem Abendessen - Unmengen von Obst, zartem Käse und kaltem Fleisch und langte dann nach einem kristallenen Trinkbecher, der bereit stand und mit einer farblosen, herb riechenden Flüssigkeit gefüllt war. Aber er trank nicht. Schließlich stellte er auch den Becher zurück, erhob sich seufzend und wandte sich dem im Fußboden eingelassenen Badebecken zu, tauchte zögernd die Fingerspitzen in das warme Wasser und atmete den schweren Duft einer Badeessenz ein. Er war betörend und intensiv, und Yalomiro ahnte, daß er auf ujoray wirken mußte wie eine schläfrig machende Droge. Warum tut König Benjus das?, dachte er, das hier ist nicht echt. Warum will er sein Volk verwirren und ruhig halten? Der junge Magier wandte sich schaudernd von dem Badebecken ab, schaute sich im Raum um und fand nach einiger Zeit einen Krug, der mit normalem Wasser gefüllt war. Yalomiro schüttete das Obst aus der Obstschale auf den Tisch, füllte sie mit dem Inhalt des Kruges, um es als Waschbecken zu nutzen. Dann legte er seine Gewänder ab und säuberte sich nachdenklich. Ist das hier gefährlich für die Unkundige? Wie schnell wirken diese Zauber?, überlegte er beunruhigt. Einen Moment lang war er unentschlossen. Doch als er seine Toilette beendet hatte, hatte er auch den Entschluß gefaßt, nach dem Befinden der Unkundigen zu sehen. Mit einem kurzen Zauber brachte er den Zustand seiner Kleidung in Ordnung, streifte sie sich wieder über und schickte sich an, den Raum zu verlassen. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Draußen auf dem Gang zuckte ein junger Page sichtlich erschrocken zusammen, als Yalomiro die Tür öffnete, bemühte sich jedoch um betont gelassenes Gehabe. Er hatte offensichtlich die Aufgabe gehabt, unauffällig Wache vor Yalomiros Raum zu stehen, und sah sich nun dem eingetretenen Ernstfall gegenüber. "Guten Abend," sagte der junge Mann hilflos, "benötigt Ihr etwas? Habt Ihr einen Wunsch?" "Ja," antwortete Yalomiro. "Ich wünsche, meine Begleiterin zu sehen." "Das ... das ist nicht möglich," gab der Page verwirrt zurück. Yalomiro trat näher und musterte seinen Wächter prüfend. "Was soll das heißen? Verweigert ihr mir den Zugang zu ihr?" "Ja," antwortete der Junge tapfer. "Warum? Habt ihr uns etwa eingesperrt?" "Ja," bestätigte der Junge konfus und ergänzte hastig ,"nein -- das heißt, nicht so, wie Ihr denkt. Es ist nur ... nachts darf niemand in die Frauenkemenaten der Burg und umgekehrt. Das ist ein Gesetz hier." Yalomiro nickte. Die tapfere Verwirrung des Pagen amüsierte ihn, und er wollte die Furcht des Jungen vor sich nicht noch weiter schüren. Außerdem spürte er, daß der Junge log. "Dann entschuldige ich mich für die Störung," sagte er beiläufig. "Ich gehe wieder schlafen." Er zog sich wieder in den Raum zurück, schob von innen den Riegel vor und löschte wenige Minuten später das Licht.
*
Den Raben, der kurz darauf über der Burg aufstieg, mehrere bedächtige Kreise über dem nur noch von wenigen einzelnen Menschen bevölkerten Innenhof zog und schließlich wieder irgendwo auf den Simsen landete, beachtete niemand. Nur König Benjus schaute von seinem Fenster zu dem prächtigen Vogel vor dem fahlgelben Mond auf und schauderte, ohne zu wissen, warum. Yalomiro brauchte nicht lange nach der Unkundigen zu suchen, er spürte ihre Wärme schon von weitem. Er sprang durch das mit zarten Schleiern gegen Insekten verhängte Fenster in ihr Gemach hinab und änderte seine Gestalt, wobei er sich in den Netzen verhedderte und sich vorsichtig davon befreien mußte, um nichts zu zerreißen. Erst dann konnte er sich der Unkundigen zuwenden. Verlegen erkannte er, daß die Unkundige nackt war, und er wandte rasch taktvoll seinen Blick beiseite. Da sich aber nichts bei ihr rührte, wagte er es schließlich doch verstohlen, zu ihr hinzuspähen. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Die Unkundige schlief traumlos und tief, hatte ihn nicht bemerkt. Man hatte ihr ein ähnliches Mahl serviert wie ihm selber, aber sie hatte davon gegessen, aber auch das Getränk genommen. Der Kelch stand geleert auf dem Tisch. Und die Laken, auf denen sie lag, waren feucht. Der schwere Duft des Badewassers lag noch zart in der Luft. Sie hat den Wein getrunken, dachte er, und dann gebadet. Der Duft und der Wein haben sie müde gemacht, und sie ist eingeschlafen, bevor sie sich etwas anziehen konnte. Er schaute sich um und suchte nach einem unbenutzten Laken, mit dem er sie hätte bedecken können, aber außer jenen, auf denen sie lag, gab es nichts dergleichen im Zimmer. Yalomiro seufzte. Der Unkundigen schien keine unmittelbare Gefahr zu drohen, aber die betäubenden Zauber des Königs blieben nicht wirkungslos auf sie. Yalomiro kam näher und gab seiner Neugier nach, sie anzuschauen, obwohl er sich dafür schämte. Sie hätte sich gewiß nicht freiwillig so seinen Blicken dargeboten, und er beschloß, ihr nichts davon zu sagen, daß er nachts in ihrem Gemach gewesen war. Wie schön und weiblich ihr Körper ist, dachte er und betrachtete sie fasziniert. Wie weich und wärmend sie sein muß. Leise ging er um ihr Lager herum und ging davor in die Hocke, um sie aus der Nähe anzusehen. Mit scheuem Interesse erforschten seine Blicke die Attribute ihrer Weiblichkeit, und ein Gefühl von Bewunderung und Verlangen überkam ihn. Der Mädchenkörper war so anders als sein eigener, und er spürte die Schönheit, die sich darin barg, völlig anders als die Makellosigkeit der Grauen Königin und im Gegensatz dazu wirklich und wahr. Yalomiro schloß die Augen und seufzte. In mir ist Zärtlichkeit, dachte er, Zärtlichkeit und Lust. Ich weiß, womit ich dir Freude machen könnte. Aber ich darf meiner Gier nicht nachgeben. Ich darf zu dir nicht sein wie ein ujoray, ein unkundiger Mann. Ich würde dir weh tun. Sie regte sich im Schlaf, war aber immer noch fernab eines Traumes. Yalomiro schüttelte bedauernd den Kopf und sah die weiche Haut des Mädchens im Mondlicht schimmern. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, sachte mit den Fingerspitzen danach zu tasten. Und er streichelte sie vorsichtig, spürte ihre Haut und schließlich auch die Knospen ihrer Brüste. Das Mädchen schien zu erschauern, ein leises Zittern überlief sie, ohne sie zu wecken. Doch die Berührung schien ihr zu behagen. Yalomiro zog die Hand zurück. Er wollte es nicht riskieren, die ujora zu wecken und sie in Verlegenheit zu bringen. Ihre Schenkel waren leicht geöffnet und gaben den Blick auf ihr Geheimnis preis. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Der Schattentänzer erhob sich und dachte einen Moment lang nach. Ich will dir ein Geschenk machen, entschloß er sich, indem er seine Schultertasche öffnete und seine schwarze Geige hervorholte. Dann wandte er sich dem schlafenden Mädchen zu und vertiefte ihren Schlaf mit einem vorsichtigen Zauber, um sie antasten zu können, ohne daß sie aufschreckte. Dann bereitete er einen Zauber vor, der heikler und gefährlicher war als alles, was er je zuvor getan hatte.
*
In dieser Nacht erwachte ich gegen Morgen für einen Augenblick. Ich hatte einen schweren Schlaf geschlafen und schreckte nun daraus auf. Doch draußen war es noch fast dunkel. Ich drehte mich um und erschrak unwillkürlich, als ich in die leuchtenden Augen einer großen schwarzen Katze blickte, die auf dem Bettvorleger saß und mich anblinzelte. "Wie bist du denn hier hereingekommen?," fragte ich dann zu dem Tier hinab und neigte mich über die Bettkante zu ihm hinab und hielt ihm meine Hand hin, damit es daran schnuppern konnte. Ich hatte Katzen sehr gern und konnte der Versuchung nicht widerstehen, sie zu berühren. Die Katze - es war ein sehr großer schwarzer Kater - erhob sich und schien abzuwarten, was geschah. Riesige, schimmernde Augen blickten zu mir empor. Ich setzte mich auf die Bettkante, griff nach dem Tier, daß dies zu meinem Erstaunen ohne Murren geschehen ließ und hob es zu mir aufs Bett. Der Kater setzte sich und schaute unergründlich in mein Gesicht. Ich kraulte den Kater im Genick, und er schloß wohlig schnurrend die Augen. Nach einer Weile legte ich mich wieder hin und dachte nach. Zu viele sonderbare Dinge waren geschehen, und nach der Begegnung mit der Grauen Königin und Meister Gor erschien mir diese Burg und ihre zufriedenen, fröhlichen Bewohner und der verschwenderische Luxus fast ebenso seltsam wie die bedrückende Kälte des Landes vor den Bergen und die verwischende Landschaft an dem See, wo ich Yalomiro begegnet war. Da setzte der Kater plötzlich die Vorderpfoten auf meinen Bauch, sprang mit einem kleinen Hopser auf mich und kuschelte sich auf meinem Körper zusammen. Sein Köpfchen lag an meiner Brust, und die schimmernden Augen blickten erwartungsvoll. Ich lächelte über das zutrauliche Tier und fuhr fort, das seidige Fell zu streicheln. Das Katzenfell war weich und wärmte meine nackte Haut. Meine Gedanken wandten sich wieder Yalomiro zu, und ich seufzte. Wie gerne wäre ich jetzt bei ihm gewesen, und ich fragte mich, was er wohl in diesem Moment tat. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Vermutlich schläft er in seinem Zimmer, dachte ich, oder er denkt über das Zeichen und Meister Gor und die Königin nach. Und über die Gespenster, die er hier in diesem herrlichen Königreich zu sehen meint. Ich stellte mir Yalomiro vor, und ich fragte mich, was die Königin von ihm gewollt haben konnte, an jenem Abend auf dem Plateau. Seine Schmerzensschreie unter ihren Händen gingen mir nicht aus dem Kopf. Und obwohl es mich beschämte, mußte ich daran denken, auf welche sonderbare Weise mich der Anblick seines Körpers fasziniert hatte. In meiner verstohlenen Fantasie hatte ich mir vorgestellt, wie es sein mochte, Yalomiro als Geliebte zu begegnen und ich gestehe, daß mich der Gedanke beschäftigte, wie Yalomiros Hände sich anfühlen würden, wenn er mich berühren und auf welche Weise er sich mir wohl nähern würde, wenn es zu dem Einen käme. Aber das waren Gedanken, für die ich mich insgeheim schämte und die ich nur zu denken wagte, weil ich wußte, daß er nicht in der Nähe war. Weiterhin den Kater streichelnd, schloß ich die Augen und war bald darauf wieder fest eingeschlafen. Wann der Kater sich entfernte, weiß ich nicht zu sagen. Am nächsten Morgen war er verschwunden.
*
Eine wohlgenährte Dienerin brachte mir am nächsten Morgen ein traumhaft schönes Kleid und neue Schuhe, beides wie für mich geschneidert, denn es paßte wie angegossen. Das Gewand war aus einem elfenbeinfarbenen Stoff gemacht, der sich anfühlte wie Seide, aber fester und wärmender war, halblange weite Ärmel hatte und einen weiten Rock, der mir bis zu den Knöcheln reichte. Die Schuhe waren hellbraun und aus weichem Leder und trugen sich bequem wie Pantoffeln. Dazu gehörte ein breiter, aus dünnen Lederschnüren gewebter Gürtel, an dem eine praktische kleine Börse befestigt war. Ich zog mir die neuen Gewänder an und räumte den Inhalt meiner alten Rocktasche - unter anderem den Goldring - in die Börse hinein. Die Dienerin betrachtete mich aufmerksam und nahm schließlich meine alten Sachen an sich, von denen genau genommen nur noch Fetzen geblieben waren, die sich auch mit viel gutem Willen nicht hätten flicken lassen. Als sie den Raum verlassen wollte, stieß sie mit Yalomiro zusammen. Das junge Mädchen starrte ihn mit geöffnetem Mund an, und in ihrem Blick erkannte ich unverhohlenes Interesse und sprachloses Gefallen. Er verneigte sich mit kühler Höflichkeit und trat beiseite, um sie an sich vorbei zu lassen. Dann kam er einige Schritte näher und betrachtete kritisch meine neue Bekleidung. In der Hand hielt er einen Kristallkelch. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Guten Morgen," sagte ich verlegen. "Man hat mir das hier gebracht. Ein Geschenk des Königs." Er erwiderte nichts darauf, und als ich ihn näher anschaute, stellte ich ohne große Überraschung fest, daß er reisefertig aussah. Es mußte wohl an seiner förmlichen Haltung liegen, und an dem endgültigen Ausdruck in seinen Augen. "Darf ich mich setzen?", fragte er schließlich, und ein Anflug von Ungeduld klang aus seiner Stimme. "Bitte," entgegnete ich verlegen und bot ihm einen Stuhl an. Er stellte seine Tasche neben sich ab und ließ sich am Tisch nieder, wo er den Becher absetzte. Seinen Hut behielt er auf dem Kopf. Seine Miene bot einen Ausdruck der Verärgerung dar. "Habe ich etwas falsch gemacht?", fragte ich. "Nein," sagte er, "du nicht. Aber heute morgen hat jemand versucht, mich umzubringen. Zum Frühstück hat man mir dieses Getränk hier gebracht." Ich setzte mich zu ihm und er schob den Kelch zu mir hinüber. Es schien etwas Ähnliches zu sein wie Apfelsaft, gelblich und klar. "Was ist das?", fragte ich, denn die Flüssigkeit roch nach gar nichts Auffälligem. "Wein," sagte er. "Aber jemand hat ihn gewürzt. Es ist Goldstaub darin gelöst." "Goldstaub?" Yalomiro nickte. "Ich habe es rechtzeitig gespürt und den Burschen, der es mir brachte, zur Rede gestellt. Er behauptet, das sei ein ganz normaler Zusatz im Wein für hohe Gäste -- eine Demonstration von König Benjus Reichtum und Großzügigkeit." "Aber das glaubst du nicht?", fragte ich. "Ich glaube, daß der Diener es glaubt. Nicht er war es, der mir schaden wollte." Ich schwieg verwirrt und betroffen. Yalomiro schüttelte den Kopf. " Eine geringere Menge an Gold hätte ich übersehen -- es ist auch nur eine winzige Spur in diesem Becher, weniger als ein Sesamkorn wiegt. Trotzdem habe ich es bemerkt. Doch wenn ich aus Höflichkeit davon getrunken hätte ..." Er verstummte und murmelte dann: "Aber wie kann König Benjus nur davon gewußt haben? Wer hat ihm das beigebracht?" "Was?", forschte ich begriffsstutzig. „Ujora,“ fragte er seufzend, „willst du es nicht begreifen? Was glaubst du, was Gold, das mir auf der Haut schmerzt, in meinem Körper anrichten würde, wenn ich es verschluckte?“ Ich biß mir auf die Lippen und dachte schaudernd darüber nach.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga „Aber wenn es doch Landesbrauch ist,“ sagte ich entschuldigend und weigerte mich, zu glauben, daß der freundliche dicke König Böses mit Yalomiro im Schilde führen könnte. Yalomiro schnaubte abfällig und starrte dann das Wandgobelin hinter mir an. Es zeigte einen schwertschwingenden Ritter, der auf einem geflügelten Einhorn saß. Das Einhorn war sonderbarerweise rosa, ansonsten zeigte der Teppich eine ganz normale Märchenszene. Der Ritter kämpfte gegen unheimliche Gestalt in einem schwarzen Mantel mit einer Art Lanze oder Stecken in der Hand. Yalomiro betrachtete den Teppich eine Weile zerstreut. „Vergoldeter Wein,“ sagte er dann nebenbei, „war bei den goala’ay eine beliebte Exekutionsmethode, die sie mächtigen Schattenmeistern vorbehalten haben. So überliefert mein Volk es sich seit Jahrhunderten.“ Ich trat unbehaglich von einem Bein aufs andere. „Du denkst, jemand hat den König angewiesen, das zu tun?“ Yalomiro wollte etwas sagen, aber im selben Moment trat die Magd wieder ein und brachte ein Tablett mit Obst und zwei Tellern mit einem kalten, körnigen Gericht hinein, das sie vor mir auf dem Tisch abstellte. Ratlos betrachtete ich den Teller vor mir. Das Gericht erinnerte mich entfernt an Milchreis, aber ein angenehmer Geruch ging davon aus, der mich an Knoblauch denken ließ, nur würziger war. Yalomiro beobachtete mich abwartend. Die Frau stellte auch vor ihm einen Teller ab, aber er schob ihn achtlos von sich weg. Die Frau schüttelte verständnislos den Kopf, setzte einen Krug auf den Tisch und entfernte sich dann wortlos. Einen Moment lang schwiegen wir. "Du bist unfreundlich zu ihnen," sagte ich dann leise. „Aber sie können doch nicht alle Böses wollen.“ Er zuckte die Achseln. "Und du bist hungrig. Also iß." Ich blickte auf die Körner und seufzte. Mit einem Male war mir der Appetit vergangen. "Ich kann nicht. Ich habe keinen Appetit mehr." Yalomiro antwortete nicht. "Warum ißt du niemals?", fragte ich nach einer Weile. Er lehnte sich zurück und schloß erschöpft die Augen. "Ich bin niemals hungrig nach so etwas. Ich brauche keine Nahrung" Ich wartete, aber er schwieg. "Sie sind freundlich zu uns," sagte ich dann. "Sie haben uns eine Unterkunft gegeben, etwas zu essen und wir können uns nun ausruhen. Und deine Schulter haben sie auch verarztet." "Jemand hat versucht, mich zu vergiften," sagte er, "das heißt, jemand fürchtet sich vor mir." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Und wenn es wirklich nur eine Methode ist, mit dem Reichtum hier zu protzen?", gab ich zu bedenken. „Gut, es mag ein sonderbarer Umstand und ein makabrer Zufall sein, aber...“ Yalomiro schwieg und blickte nachdenklich in meine Richtung. "Warum mißfällt dir dies alles hier so? Kann man denn nicht mit dem König sprechen? Es scheint doch alles ganz harmlos..." Er schien einen Moment nach Worten zu suchen, deutete dann auf die Blumen, die in der Zimmerecke standen und einen süßlichen Duft verströmten, wie ein schweres Parfum. "Was ist das?" "Blumen," antwortete ich. "Blütenzweige. Ich glaube, es sind Apfelblüten." Er nickte. "Es sind Apfelblüten. Und es ist später Herbst." Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was das bedeutete, und er nickte. "Das sind Blumen, die jetzt nicht sein dürfen. Ebensowenig wie dieser ewige Frühling dort draußen und die Früchte und die Wärme und das Licht." Ich versuchte, zu verstehen, was er da behauptete. "Du meinst, in diesem Tal sind die Naturgesetze außer Kraft?" Er lachte bitter und erhob sich. "Ich meine, daß König Benjus zu weit gegangen ist mit dem, was seine - oder jemand anderen - Magie bewirken konnte. Dieses Tal konnte er schützen -- aber er verschwendet das Leben, das dieser Boden und dieses Wasser der Leere entreißen konnten. Dieses Tal wird sterben und Teil des Toten Landes werden, ohne daß Meister Gor sich dessen annehmen müßte." Ich dachte nach. "Warum tut König Benjus das?" Yalomiro war zu den Apfelzweigen hin getreten und berührte sie sacht mit den Fingerspitzen. "Um zu täuschen," sagte er dann. "Ich glaube nicht, daß sein Volk weiß, was jenseits des Tales geschieht. Aber er – er weiß es. Und jemand hat es ihm gesagt." Er verstummte einen Augenblick, dann summte er leise einige ruhige Töne. Und unter seinen Fingern verwandelten sich die Zweige, Blattwerk und Blütenkelche verfärbten sich zu einem samtigen Schwarz, und das Aderwerk der Blätter schimmerte silbrig. Augenblicklich verschwand auch der drückend süße Blütenduft und ein sehr viel dezenterer Geruch ging von den schwarzen Blumen aus, ein dunkler, kühler und fast weinartiges Aroma. Er wandte sich wieder mir zu und lächelte verlegen, als er meine Verwunderung erkannte. "Entsetzen dich schwarze Blumen? Leider kann ich nichts Buntes formen." Ich schüttelte den Kopf. "Es ist besser so. " Yalomiro kam wieder zurück und setzte sich. "Kein Zauber kann mich täuschen," sagte er sanft. "Ich spüre deutlich, wie dieses Tal schwächer wird." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich suchte nach Worten. "Ist König Benjus auf Meister Gors Seite?" Yalomiro schüttelte den Kopf. "König Benjus sieht nur seine eigenen Interessen. Letztlich dient Meister Gor das. Ich denke, König Benjus hat sich verkauft." "Sind wir hier sicher?" Yalomiro zögerte. "Nein," sagte er dann. "Meister Gor weiß, daß wir hier sind, und es ist unmöglich, sich vor ihm zu verstecken. Und ich muß weiter, darf meine Suche nicht abbrechen. Und der König weiß mehr, als er zugibt." Ich blickte auf die Tischplatte. "Ich habe Angst. Ich habe nun gesehen, wer Meister Gor ist, und wenn ich auch seine Macht nicht begreifen kann, verstehe ich trotzdem, daß sie schrecklich ist." Ich schwieg einen Augenblick, und es kostete mich Überwindung, hinzuzufügen: "Und diese Graue Frau ängstigt mich auch." Er schaute fragend. "Was genau macht dir an ihr Angst?" Ich versuchte, seinem Blick auszuweichen. "Sie ist so wunderschön und vollkommen. Sie war freundlich zu mir und schien sehr klug zu sein. Aber irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Ich kann nicht sagen, was es ist." Ich nahm meinen Mut zusammen und fragte dann. "Wieso haßt sie dich?" Er zuckte die Achseln. "Sie haßt mich nicht. Sie begehrt mich. Aber weil ich ein Schattentänzer bin, kann ich ihr nicht geben, was sie verlangt, und sie erkennt, daß sie nicht vollkommen ist." "Und was verlangt sie?", hakte ich nach. Yalomiro lächelte amüsiert. "Das, was auch du dir wünscht, seit wir uns begegnet sind. Aber dein Wunsch ist rein und unschuldig. Ihrer ist es nicht." Ich spürte förmlich, daß ich errötete und verfluchte meine Gedanken. Er lachte leise. "Entschuldige. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen." "Schon gut," sagte ich mechanisch und wollte im Boden versinken. Doch bevor die Situation noch peinlicher wurde, klopfte es energisch an die Tür, und ohne eine Antwort abzuwarten, trat König Benjus breit lächelnd ein. Er hielt immer noch den großen Weinkelch in der Hand und schien bester Laune zu sein. Dann fiel sein Blick auf Yalomiro. Das Lächeln des Königs fror für einen Sekundenbruchteil ein -- er hatte wohl nicht mit Yalomiros Anwesenheit gerechnet. Aber er fing sich schnell wieder. "Nun," rief er mit seiner dröhnenden Stimme, "da haben wir ja beide beisammen. Wie gefällt euch mein kleines Reich?" "Es ist wunderschön," beeilte ich mich, höflich zu entgegnen.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Es ist beeindruckend," fügte Yalomiro hinzu. Er sagte es in einem recht kühlen Tonfall. König Benjus lachte schallend und verschüttete dabei etwas von seinem Wein auf den Boden. "Warum immer noch so mißtrauisch, mein schwarzgewandeter Freund? Dies kann auch euer Zuhause werden. Legt eure alten Gewänder ab, eßt, trinkt und amüsiert euch ! In meinem Königreich gibt es keinen Hunger und keine Sorge." "Das glaube ich euch," entgegnete Yalomiro frostig. "Aber wie lange wird das so bleiben? Bestimmt ist es nicht einfach, so viel Wohlstand für das Volk zu sichern." König Benjus grinste über das ganze breite Gesicht, aber es sah gekünstelt aus. Dann wandte er sich an mich. "Ist dein Begleiter immer so skeptisch?" Ich wußte nicht, darauf zu antworten. Yalomiro verschränkte die Arme und musterte den König mit einem eisigen Blick, der gar nicht zu seinen sanften dunklen Augen passen wollte. "König Benjus," sagte er dann, "ihr seid alt. Sehr, sehr alt." Der König nickte. "Ich bin einhundertundvierzig Jahre alt. " Er schmunzelte und zwinkerte mir zu. "Dafür habe ich mich gut gehalten, nicht wahr?" Ich lächelte höflich, und er wandte sich wieder Yalomiro zu. "In meinem Reich gibt es weder Krankheit noch Tod," sagte er spröde. Der junge Zauberer nickte. "Vor langer Zeit, König Benjus, damals, als die Jahreszeiten noch wechselten -- hattet ihr da einen Gast? Einen Mann mit roten Gewändern und großer Macht?" Die Miene des Königs versteinerte. "Woher weißt du das?" "Und dieser Mann, König Benjus -- ist er der Grund für Euren Wohlstand?" Der König nickte langsam. Offensichtlich erkannte er, daß er durchschaut war. Yalomiros Blick wurde noch härter. "Und dieser Mann, König Benjus -- was verlangte er für seine Dienste? Verlangte er von euch die Auslieferung von Menschen, die mir ähnlich waren? Menschen, die bei Euch Zuflucht suchten?" Er zögerte einen Augenblick und fragte dann zornig: "Habt Ihr an ihn andere Schattentänzer verraten?" König Benjus wich zurück und der Weinkelch entglitt seinen Händen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Yalomiro an. "Aber ... wie .. du bist doch viel zu jung, um davon zu wissen ! " Yalomiro sprang von seinem Stuhl auf und zitterte erregt. "Ich habe es geahnt ! Ihr habt Meister Gor geholfen, um ihn zu besänftigen. Und um Eure Gier zu stillen. Habe ich Recht?" König Benjus stammelte einige unverständliche Worte. Dann schüttelte er panikerfüllt den Kopf.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga „Nein!,“ stieß der König hervor. „So war das nicht! Es war keine Gier! Aber das Land wurde grau, und die Hungersnot ... und mein Volk...“ Yalomiro zögerte. "War ein Mädchen bei ihnen? Ein dünnes Mädchen mit einem bunten Kleid und strohigen, blonden Haaren?" Er zögerte und fragte leise: "Ein Mädchen namens Aramau vom Silbernen Wald?" Ich horchte überrascht auf und blickte zu ihm hin. Ein Mädchen? Yalomiro sorgte sich ... um ein Mädchen? Der König schluckte mehrfach. "Ja," hauchte er dann fast unhörbar. „An die erinnere ich mich.“ Mit einem wütenden Laut fuhr Yalomiro herum. Seine Augen gleißten silbern, und er richtete eine Geste gegen den König. „Was habt Ihr mit den Schattentänzern gemacht?,“ fragte Yalomiro mit mühsamer Stimme, versuchte, den König nicht anzuschreien. „Er... er hat sich mitgenommen,“ flüsterte der König. „Ich habe sie doch nur festgehalten, bis er sie holen kam...“ „Ihr habt sie... Ihr habt meine Gefährten an Meister Gor ausgeliefert,“ sagte Yalomiro tonlos. „Ihr habt meine Kreisgefährten ihrem Henker überantwortet. Dafür sollt Ihr bezahlen.“ Ich holte erschrocken Luft und zuckte zusammen. König Benjus hingegen warf sich verängstigt auf die Knie und kauerte sich zusammen, verbarg das Gesicht in den Armen. "Gnade," wimmerte er. "Tu mir nichts !" Yalomiro senkte die Hände, aber das Silber in seinen Augen blieb. "Er ... er hat mir gesagt, ihr alle wäret tot," stieß der König hervor. „Er hat gesagt, er hätte Euch alle ausgerottet, und er sei zufrieden mit mir...“ Ein Hauch von Entsetzen überflog Yalomiros Gesicht, aber gleichzeitig schien er ungerührt und kalt zu bleiben. "Ich bin noch da," sagte er dann kalt. "Ich lebe noch." Der König schluchzte auf, und ich fragte mich, ob er weinte. "Der Rotgewandete wird zurückkehren," fuhr Yalomiro fort. "Noch bevor es wieder Nacht wird, wird er in Euer Reich eintreten. Er ist auf der Suche nach mir und meiner Gefährtin. Doch wir werden Euch nun verlassen." König Benjus wagte es, flüchtig aufzublicken. "Der Rotgewandete wird mich nicht bei Euch antreffen. Wie ihr ihm erklärt, wo ich hingegangen bin, ist Eure Sache. Aber ich werde keine Minute länger unter Eurem Dach bleiben." König Benjus stand vorsichtig auf und schaute unsicher zu mir hinüber. "Wie kannst du davon wissen?", fragte er kleinlaut und verängstigt. "Du bist ein junger Mann, und es ist so lange her." Yalomiro zögerte. "Warum wolltet Ihr mich töten?" http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Der König schwieg einen Augenblick lang. "Ich darf nicht zulassen, daß Schattentänzer das Tote Land betreten," gab er dann kleinlaut zu. „Er darf doch nicht sehen, daß ich versagt habe...“ Yalomiro lächelte mitleidig. "Es wird Euch trösten zu wissen, daß Meister Gor sehr viel an meinem Leben gelegen ist, König Benjus. Es ist gut, daß Euer Plan mißlungen ist. Ich bin der einzige meines Volkes, den er lebend will." Ich erhob mich und folgte ihm eilig und erschüttert, als er sich der Tür zuwandte. Aber Yalomiro schaute sich im Gehen nochmals zu König Benjus um. "Solltet Ihr uns verfolgen lassen -- und ich werde das bemerken, König -dann werdet Ihr meine Zauberkräfte zu spüren bekommen. Und mein Zorn ist nicht angenehmer als der des Rotgewandeten." Kummervoll und zerknirscht blieb König Benjus zurück. Und es stellte sich uns niemand in den Weg, als wir die Weiße Burg verließen.
*
Als König Benjus in sein eigenes Gemach zurückkehrte, erschrak er nicht besonders, den Rotgewandeten dort lässig und erwartungsvoll in einem Sessel sitzend anzutreffen. Der maskierte Magier kam und ging, wie es ihm passte. "Ihr habt den Schattentänzer entkommen lassen?", fragte er ruhig. König Benjus schaute zu Boden. "Das wißt Ihr also schon?" Meister Gor zuckte die Achseln. "Ich brauche mich nicht abzumühen, ihn zu verfolgen. Er wird mir nicht entgehen können. Euer Versagen macht mir keine Sorgen." König Benjus ahnte nichts Erfreuliches. Aber der Rotgewandete erhob sich nur wortlos und schritt an König Benjus vorbei durch die Tür. Kaum hatte er den Raum verlassen, bemerkte der König entsetzt wie das strahlende Weiß der Raumwände einen grauen, matten Schimmer annahm, und als er den Blick auf den großen Blumenstrauß neben der Obstschale auf dem Tisch warf, war beides, Blumen und Obst, zu einem grauen Häuflein Staub zerfallen.
9.
Wir waren lange Zeit gelaufen, und gegen Abend begann der heitere Frühlingswald um uns herum mit einem Male, sich zu lichten, Gras und Blumen wurden spärlicher, blankes Gestein trat aus den Wiesen hervor, und langsam, langsam ging das Lebendige Tal in eine spiegelglatte, leblose Karstlandschaft über.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga „Siehst du es nun?“, fragte Yalomiro. „Das Lebendige Tal ist eine Insel inmitten der Vernichtung. Und König Benjus weiß es und nimmt es in Kauf.“ Ich sagte nichts dazu, wußte nach wie vor nicht wirklich, was ich von meinem Erlebnis in der Weißen Burg halten sollte. Ich war nachdenklich geworden, als ich gesehen hatte, wie zornig Yalomiro geworden war – und welche Angst der König ausgestanden hatte. Im Grenzgebiet zwischen überquellendem Leben und Nichts rasteten wir. Ich saß neben ihm im struppigen Gras und schaute unbehaglich hinab auf die Einöde, die sich hügelabwärts erstreckte, eine platte, fast baumlose Fläche, so weit das Auge reichte. Vereinzelt erhoben sich darauf die Silhouetten ferner Gebäude „Yalomiro,“ wagte ich nach einiger Zeit, ihn anzureden, „was genau ist das magische Amulett eigentlich, um das du mit Meister Gor streitest? Wozu ist es nütze?“ Yalomiro dachte nach und suchte offenbar nach Worten, die meinem Verständnis gerecht wurden. "Ich hatte dir von dem Zeichen erzählt -- damals," sagte er abwesend. „Aber seine Geschichte kannst du natürlich nicht kennen.“ "Ja," gab ich zurück. "Du sagtest, daß es nicht immer im Besitz deiner Leute war." Yalomiro überlegte einen Augenblick.. "Nein," sagte er dann. Ich schwieg auffordernd und fragte mich, warum er sich so lange bitten ließ, mich aufzuklären. "Du willst wissen, wie das Zeichen in den Besitz der Schattentänzer kam," stellte er dann fest. Ich nickte ungeduldig. "Ich will wissen, wo es herkam, wieso ihr es gehütet habt und was Meister Gor damit vorhat." Yalomiro legte sich auf den Rücken und schaute zu den Sternen hinauf. Ich tat es ihm nach, und mir wurde bewußt, wie klein ich gegen den Anblick des wolkenlosen Himmels war. Weite und Stille breiteten sich über uns aus, aber diese Stille erschien nicht tot, so wie sie es in den Bergen gewesen war. Die Sterne flimmerten und ganz hoch oben strahlte elfenbeinfarben und fahl die Mondsichel. Am Horizont stand übergangslos eine dicke Wolkenwand am Himmel. "Ich weiß nicht, wo das Zeichen herkam, wer es erschaffen hat. Und das, was ich darüber weiß, wie es zu uns kam, damals, vor undenklicher Zeit, das weiß ich auch nur aus sehr alten Geschichten." Yalomiro seufzte und blickte flüchtig zu mir hinüber. Ein Silberschimmer glühte kurz in seinen Augen auf, und ich schauderte. "Vor langer, langer Zeit muß ein Magier den Mondstrahl gefangen haben, der sehr viel mächtiger war als Meister Gor," begann er dann seine Erzählung. "Es muß ein Magier gewesen sein, der um die Kräfte des schweigenden Lichtes http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga wußte und sie für seine Zwecke nutzen wollte. Er schloß das Licht in den Kristall und erlangte auf diese Weise gewaltige Macht -- aus welchen Gründen auch immer. Niemand weiß, ob es ein guter oder ein böser Zauberer war, und im Grunde ist das auch nicht mehr von Bedeutung. Doch durch seine Hand entstand das allermächtigste magische Amulett, das in dieser Welt je existierte." Er verstummte einen Augenblick und schien nach Worten zu suchen. "Du erwähntest furchtbare Kriege, die wegen des Zeichens ausbrachen," erinnerte ich ihn. "Macht ist verlockend," sagte er. "Und dabei spielt es keine Rolle, ob ein Mächtiger sie für Gutes oder Böses einsetzt. Ein guter Zauberer besaß das Zeichen -- ein böser trachtete danach, es an sich zu bringen. Wer immer im Besitz des Zeichens war, es wurde ihm geneidet. Hatte ein Böser das Zeichen erbeutet, wollte ein Guter es ihm wieder abjagen -- und so eskalierten die Dinge. Zumal es sich bald nicht mehr um die schrecklichen Kämpfe von Magiern handelte, sondern sich machtgierige Könige und Krieger in das ewige Streben nach dem Besitz des Zeichens einmischten, und mit ihnen ihre Völker. Und die Gründe, die sie dazu antrieben, das Zeichen zu erlangen, wurden immer nebulöser und verworrener. In jedem Falle war es am Ende so, daß Tod und Zerstörung über das Land kamen und kaum ein Stein auf dem anderen verblieben war. Niemand interessierte sich schließlich
mehr für
die Namen der Könige. Das Zeichen jedoch bestand weiter und barg Gefahr in sich." Ich hörte zu. "Ein unsterblicher, schweigender und unschuldiger Mondstrahl," sagte Yalomiro bitter. "Heilend und voller Kraft. Die Menschen machten ihn zu einem Objekt der Unvernunft und der Zerstörung." Ich richtete mich wieder auf und blickte zu ihm hinüber. "Und dann?" Yalomiro lächelte flüchtig. "Man sagt, daß das Zeichen am Ende der Kriege in den Händen eines sehr weisen und vernünftigen Zauberers gewesen sein soll, der die Gefahr erkannte, die von der bloßen Existenz des Mondstrahlamuletts ausging. Jener Zauberer war verzweifelt, denn er wußte, solange das Amulett sich in seinen Händen befand, war er seines Lebens nicht sicher, und nach seinem Tod würde der Kampf um den Lichtstrahl im Kristall weitergehen. Es mußte etwas geschehen, um das Zeichen unschädlich zu machen. Und der Zauberer beschwor die Nacht-Mutter und flehte um ihren Rat." Ich neigte mich erstaunt zu ihm hin. "Wer ist die Nacht-Mutter?" Yalomiro biß sich nachdenklich auf die Lippen und suchte nach einer Erklärung. "Das ist sehr schwer zu sagen, Ujora. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, ohne billige und schwache Bilder zu verwenden. Schau --", http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga er setzte sich auf und wies auf sich selbst, "-- ich bin ein Magier. Ich bin ein Mensch, der Kräfte und Wissen in sich trägt, die andere Menschen nicht haben. Aber abgesehen davon bin ich eine Seele in einem sterblichen Körper. Begreifst du das?" Ich nickte. "Die Nacht-Mutter," fuhr Yalomiro fort, "ist pure Macht und Kraft. Sie ist wie Magie ohne Körper und Seele, und doch viel mehr und ganz etwas anderes. Sie ist die eine der Kräfte, die den ewigen Kreis formen und erhalten. Und sie gebietet über die Kräfte der Dunkelheit." Ich schüttelte den Kopf und dachte nach. Die Nacht-Mutter war demnach wohl ein Mittelding aus einer Fee, einer Göttin und einer Elementarkraft. Dieser Gedanke verwirrte mich. Yalomiro lächelte und wandte seinen Blick wieder dem Mond zu. "Die Nacht-Mutter verstand die Ängste des weisen Magiers, und sie handelte. Es mußten Hüter für den Mondstrahl gefunden werden, die in der Lage waren, ihn vor dem Zugriff und dem Mißbrauch durch törichte Menschen und Magier zu schützen, denn da das Licht ewig ist, war das Amulett nicht zerstörbar. Und die Nacht-Mutter gebar die Magie des Schattens und der Lichter des Sternenhimmels, die meinem Volk innewohnt. Und die Magie suchte sich Körper, in denen sie wirken konnte. Die Magie ergriff die Körper von Neugeborenen, die stark genug waren, um sie zu ertragen. Und so entstand das Volk der Schattentänzer." "Das klingt sehr mythisch," warf ich ein. "Das ist ein Mythos," gab er zu. "Aber ich fand ihn schon immer recht überzeugend." Ich mußte unwillkürlich lächeln. "Und was geschah mit dem alten Magier?" Yalomiro schloß die Augen. "Er wurde der erste Schatten-Meister und Lehrer derer, die geboren wurden und deren Magie seither ewig nach Körpern sucht. Es war schwierig für die Schattentänzer, zu bestehen. Denn sie waren anders als die anderen Magier und Menschen. " Er seufzte. "Die Wächter des Mondstrahls sollen weise und klug sein, soll die Nacht-Mutter gesagt haben. Freundlich und gütig. Sie sollen sich vom Licht des Sternenhimmels ernähren und ihre Kraft aus der Dunkelheit schöpfen. Rein und unschuldig sollen sie sein. Doch damit sie niemals in die Versuchung kommen, den Mondstrahl besitzen zu wollen, sollen sie drei Schwächen ertragen, die sie abgrenzen von den Übrigen." Ich begriff. "Das Gold," sagte ich leise. Yalomiro schüttelte sich. "Ja. Kein Schattentänzer erträgt die Nähe von Gold. Kein Reichtum kann uns verlocken, denn er bereitet uns Schmerzen." "Haß und Liebe," fuhr ich bedrückt fort.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro nickte. "Keine Emotion könnte so stark sein, uns zum Mißbrauch der Macht zu treiben. Unsere Seele ist unvollständig -- und das schützt unsere Unschuld." Ich schwieg einen Augenblick. "Und das Dritte?" Yalomiro antwortete mir nicht, und ich fragte mich, warum er schweigen wollte. "Schau den Mond an," sagte er schließlich. "Schau und hör ihm zu. Er erzählt bessere Geschichten als ich." Ich legte mich wieder hin. "Und Meister Gor?," fragte ich "Was will er mit dem Mondstrahl anfangen? Ist er nicht mächtig genug mit all dem, was er schon angerichtet hat?" Yalomiro schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht genau. Aber ich spüre, solange er den Mondstrahl nicht in Händen hält, sieht er seine Macht gefährdet. Vielleicht will er den Mondstrahl gar nicht selbst benutzen -er will womöglich nur, daß kein anderer ihn bekommt." Ich wartete. „Die goala’ay sind seit undenkbaren Zeiten die Todfeinde meines Volkes,“ sagte er dann. „Aber in den letzten Generationen haben sie mehr und mehr Abstand zu uns gehalten. Sie gehörten zu denen, die am hartnäckigsten versucht haben, das Zeichen wieder in ihren Besitz zu bringen, aber unsere Gemeinschaft war so stark, daß wir es beschützen konnten. Sie erheben Anspruch auf den Besitz des Zeichens, aber sie dienen der Vernichtung. Es wäre verantwortungslos, es ihnen zu überlassen. Dafür hassen sie uns.“ Wir schwiegen beide einen Moment. "Was mich am meisten aufregt," sagte er dann mit einem Hauch Ärger in seiner ruhigen Stimme, "ist, daß ich mir so hilflos vorkomme, wenn ich ihm gegenüber stehe. Ich bin mächtig, Ujora, sehr, sehr mächtig. Aber ich komme nicht gegen seine leere Magie an. Er ist viel stärker als ich. " Ich hörte zu. "Ich habe nie eine Magie gespürt, die der seinen auch nur ähnlich war," sprach Yalomiro weiter. "Seine Magie ist irgendwie -- wie nicht von dieser Welt. Es ist noch nicht einmal mehr reine goala’ay-Magie, denn der könnten wir begegnen, kommt sie doch im Grunde aus der selben Quelle wie die unsere. Er ist so fremdartig und scheint besser über meine Fähigkeiten Bescheid zu wissen als ich selbst. Als ob etwas in ihm steckte, das außerhalb der Wirklichkeit steht." "Du hast ihn überlistet und besiegt," versuchte ich, ihn aufzumuntern. "Ich bin ihm entkommen, indem ich dich beinahe umgebracht hätte," sagte er aufgeregt. "Ich habe mich in meiner Angst vor ihm dazu verleiten lassen, verbotenes Wissen zu nutzen."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ich habe dir freiwillig meine Kräfte angeboten," bemühte ich mich, ihn zu beruhigen, denn seine Augen strahlten plötzlich silbern und erregt. "Du hast nichts Unrechtes getan und brauchst kein schlechtes Gewissen deshalb zu haben." Er setzte sich auf und wirkte mutlos. "Doch, das habe ich. Ich habe ein schlechtes Gewissen bei allem, was dich betrifft. Ach, Ujora ... ich weiß nicht, wie gut ich dich vor all dem hier beschützen kann, wenn ich nicht einmal auf mich selbst aufpassen kann. Ich bin ein Schattentänzer, und ich bin ein Versager." Ich richtete mich auf und blickte stumm zu ihm hinüber. "Du bist kein Versager," sagte ich dann. "Weshalb machst du dir Vorwürfe? Du bist stärker, als du es vielleicht annimmst." Yalomiro schwieg einen Moment. "Ujora," ergriff er dann wieder das Wort, "ich muß dir etwas gestehen. Als wir bei König Benjus waren ... da war ich nachts in deinem Zimmer. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist ... aber ich hatte es allein in meinem Raum nicht ausgehalten. Ich bin zu dir gegangen, nur um in deiner Nähe zu sein. " Ich wartete. "Ich habe es nicht ertragen, dich nicht in meiner Reichweite zu wissen. Also bin ich bei dir gewesen. Du hast geschlafen, und ich saß an deinem Bett und habe deinen Traum bewacht." Ich lächelte scheu. "Das war nett von dir. Ich habe mich auch nicht wohlgefühlt, allein in der fremden Umgebung." "Ich habe deine Träume gehört," sagte er unvermittelt. "Oh," entgegnete ich und versuchte verstohlen, mich daran zu erinnern, was ich in jener Nacht an König Benjus Hof geträumt hatte. Aber mir fiel nichts ein, und es beunruhigte mich, daß ich gerade diesen Traum vergessen hatte. "War es -- ein -- unschicklicher Traum?," fragte ich dann vorsichtig. Yalomiro lächelte. "Nein. Ich hatte ähnliche Träume, wenn ich schlief," sagte er. Dann wandte er sich ab, öffnete seine Gepäcktasche und warf mir einen flüchtigen Blick zu. "Ich möchte dir ein Geschenk machen, Ujora," hörte ich ihn sagen. "Wenn du es möchtest." Ich war überrascht. "Wenn ich was möchte?", fragte ich. Yalomiro stand auf. Er hatte seine Geige aus der Tasche geholt und setzte den Bogen auf die Saiten. "Das hier," sagte er und strich einen leisen, klaren Ton an. Ich zuckte zusammen und holte überrascht tief Luft. Ich weiß nicht, wie ich am treffendsten beschreiben kann, was geschehen war, aber ich begriff, daß ich den Ton gespürt hatte, wie eine körperliche Berührung, wie ein
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Streicheln, das über meine Haut fuhr und eine angenehme Spur hinterließ. Yalomiro ließ die Geige sinken und schaute auf mich hinab. Ich schüttelte verwirrt den Kopf. "Was ist das?" "Das ist ein Schattentänzer-Lied," sagte er sanft. "Eines, nur für dich erdacht. Wenn du es hören - und spüren - willst." Ich spürte, wie ich errötete und beeilte mich, wegzuschauen. Ich begriff, daß der Klang seiner Geige eine sehr intime Geste darstellen mochte, und das es sich vermutlich um eine wunderliche Art handelte, ein anderes Wesen indirekt zu liebkosen. "Was mußt du von mir denken," sagte ich kleinlaut. Yalomiro ließ sich neben mir auf ein Knie sinken. "Nein, Ujora, nicht, was du glaubst. Ich habe mir das für dich ausgedacht, um dir eine Freude zu machen. Und du mußt dich nicht für das schämen, was du dir im Innersten wünscht." Ich blickte scheu zu ihm hin. "Das ist etwas, was die Graue Königin nicht begriffen hat," erklärte er und seine Stimme war ganz ruhig. "Ich begehre nicht das, was sie anbietet. Meine Begierde strebt nach etwas anderem, etwas, was du in dir trägst und sorgsam hütest. Aber das ist gefährlich, Ujora, für dich und für mich auch. Doch meine Lieder, die sind für dich da und warten nur darauf, zu erklingen." Ich antwortete nicht und war betroffen. Eine Mischung aus Scham und Verlangen überkam mich. Yalomiro beobachtete mich eine Weile und erhob sich dann wieder. "Willst du mir zuhören?", fragte er leise dabei. Ich zögerte noch. In mir widerstritt mein Gewissen mit meinem Verlagen. Ich war dem, das ich erhofft hatte, so nahe – sollte ich nun darauf verzichten, angesichts der ohnehin völlig befremdlichen Umstände? "Ja," hauchte ich dann und ein seltsames Erschauern überkam mich. Er lächelte und hob sein Instrument wieder. "Dann entspann dich und vergiß die Welt um dich herum. Nur der Klang ist jetzt wichtig, der Klang und die Melodie. Öffne deine Seele für mich und vergiß deine Angst." Ich nickte und spürte, wie ich mich nervös verkrampfte. Yalomiro warf mir einen zärtlichen Blick zu. "Es soll dir Vergnügen bereiten, Ujora. Hab keine Angst -- ich höre sofort auf, wenn du es wünscht." Ich schluckte und schloß die Augen. Und Yalomiro begann, zu spielen, eine sonderbar sanfte und doch kraftvolle Melodie mit warmen, vollen Tönen.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Sehr viel später in der Nacht erwachte ich für einen Augenblick. Ich schlug die Augen auf und spähte ins Dunkel. Yalomiro lag neben mir und hatte beide Arme um mich gelegt, seinen Mantel um mich gehüllt und hielt mich umarmt. Er schlief und atmete ruhig und tief. Ich bemerkte, daß ich warm und sicher in seinen Armen lag und das Haupt auf seine Schulter gebettet hatte. Die Luft der Sternennacht war kalt und ein leiser Wind strich über das Gras. Ich erinnerte mich nicht, so eingeschlafen zu sein. Doch Yalomiros Lied war mir im Gedächtnis geblieben, und ich entsann mich der zärtlich streichelnden Töne und derer, die kraftvoll und fordernd, jedoch nie schmerzhaft gewesen waren, als sie mich berührten. Yalomiros Melodie hatte mir Empfindungen geschenkt, nach denen ich mich gesehnt hatte und die mir bislang fremd gewesen waren. Sein entrücktes Geigenspiel schien ähnliche Wirkungen auf ihn selbst gezeigt zu haben. Ich lächelte und kuschelte mich fest an Yalomiros Körper. Und küßte ihn sacht auf die Stirn, bevor ich wieder in den tiefen, entspannten Schlaf hinüber glitt.
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Yalomiro spähte vorsichtig zu der Unkundigen hinüber und dachte nach. Das süße Mondlicht erhellte geheimnisvoll ihren Körper. Er spürte, daß sie fest schlief. Er wandte sich dem Mondlicht zu und seufzte lautlos. War es richtig? Oder habe ich nun alles noch viel schlimmer gemacht? Aber der Mond schwieg, fahl und ewig. Yalomiro schüttelte den Kopf und schloß die Augen. Wie gerne würde ich dir nahe sein auf die Weise, die du dir wünscht, dachte er bitter. Ich habe deine Gedanken gespürt und ich sah die Schönheit deiner Weiblichkeit. Ich wünschte, ich dürfte dich berühren, dir näher sein und dir dein Verlangen erfüllen. Auch ich begehre dich, Ujora, und es fällt mir nicht leicht, darüber zu schweigen. Aber wir dürfen es nicht tun. Dein unkundiger Körper könnte die Lust eines Schattentänzers nicht ertragen. Du bist nicht stark genug. Ich würde dir Qualen bereiten mit meiner Begierde, eine furchtbare Mischung aus Vergnügen und Schmerzen. Ich würde dir eine nie zuvor erträumte Erfüllung deiner geheimsten Wünsche bereiten, aber der Höhepunkt würde dich umbringen. Das ist das dritte, was unser Volk schwächt -- wir dürfen unserer Begierde nicht nachgeben. Denn der Akt unserer Vereinigung birgt den Tod für euch. Wir können nicht lieben und wir dürfen nicht begehren, was uns nicht ebenbürtig ist.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga *
Am nächsten Tag redeten wir nicht viel miteinander. Aber seit ich Yalomiros Schattentänzer-Lied gehört hatte, ahnte ich daß eine sehr viel stärkere Bindung zwischen uns entstanden war, stärker als alles, was vorher bestanden hatte. Vielleicht machte das die Leere Ebene, das Tote Land erträglicher, das um uns herum in unendliche Weiten erstreckt lag und auf dem wirklich gar nichts mehr zu sehen war. Nur die Graue Burg, die sich mit einem Male klein und weit, weit entfernt am Horizont erhob, seltsam geformt - wie eine Konstruktion aus perfekt symmetrischen Bauklötzen, nicht wie von Menschenhand gebaute Mauern. Ich schüttelte mich und blickte zu Yalomiro hin, der ernst und gefaßt hinüberschaute. "Yalomiro," fragte ich nach einer Weile, "was wirst du eigentlich tun, wenn du das Zeichen gefunden hast?" Er ließ sich unentschlossen auf der Erde nieder und mied meinen Blick. "Ich weiß es nicht," sagte er dann. "Wahrscheinlich werde ich in den Silbernen Wald zurückkehren - dahin, was von ihm noch übrig ist. Ich glaube, ich würde hoffen, daß das Zeichen ihn heilt und alles einmal wieder so sein wird, wie früher." Ich wandte mich von ihm ab und blickte zu der Burg hinüber, die gewaltig, grau und grob mitten in der Ebene stand und dort überhaupt nicht hinzugehören schien. Wie ein unformiger, riesiger Klotz stand sie mitten auf der spiegelglatten Fläche und ließ mich schaudern. Yalomiro erhob sich wieder, und ich spürte, wie unruhig er schon seit einer ganzen Weile war. "Ich bin der letzte," sagte er dann unvermittelt. "Der letzte aller Schattentänzer. Selbst wenn ich das Zeichen finde, selbst wenn ich es vor Meister Gor in Sicherheit bringen kann ... wenn ich einmal tot bin, wird niemand mehr auf das Zeichen achtgeben. Und Meister Gor wird warten. Ich glaube nicht, daß er sterblich ist. " Ich schaute verstohlen zu ihm hinüber. Er hatte sich ebenfalls der Burg zugewandt und krampfte nervös beide Hände in den schwarzen Stoff seines Mantels. "Gibt es niemanden, der dir helfen kann?", fragte ich dann scheu. Er schüttelte den Kopf. "Nein. Nur meinesgleichen kann das Zeichen beschützen. Und es gibt keine mehr von uns. Meister Gor hat es gesagt, und ich glaube nicht, daß er in dieser Angelegenheit lügen würde." "Warum? Warum müssen es unbedingt Schattentänzer sein, die das Zeichen bewachen?," fragte ich weiter, und er setzte sich wieder. Für einen kurzen Moment fing ich einen Blick von ihm auf, müde und traurig.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ich habe mir nicht ausgesucht, ein Magier zu sein, Ujora. Die Magie ist kein Talent, das mir eigen ist -- sie benutzt mich nur. Die Magie braucht einen Körper, um wirken zu können. Den meinen konnte sie nutzen, als ich geboren wurde. Die Magie ist in mir wie eine zweite Seele. Ich kann nichts dagegen tun." Ich blickte betreten zu Boden. "Wenn ein Schattentänzer stirbt, verläßt auch die Magie wieder den Körper," fuhr er fort. "Aber aus irgendeinem Grund hat die Magie meines Volkes sich keine neuen Körper gesucht oder suchen können. Ich bin sicher, daß Meister Gor die Antwort auf dieses Rätsel hat." Er sprang wieder auf, schüttelte sich und lief unruhig einige Schritte weit hin und her. "Du bist so nervös," konnte ich meine Zunge nicht im Zaum halten. Er blieb stehen, warf mir einen verdutzten Blick zu und lächelte dann flüchtig. "Ich mache mir Gedanken darüber, warum Meister Gor uns noch nicht entgegengetreten ist. Er ist dort hinten in der Burg, und er muß längst gemerkt haben, daß wir da sind." Ich erhob mich ebenfalls und trat näher an ihn heran. "Du meinst, er weiß, daß wir hier sind?" "Sicher. Es ist unmöglich, sich vor ihm zu verstecken. Ich frage mich, was er plant." Ich seufzte und dachte mit Unbehagen an das, was kommen mochte. Yalomiro stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf. "Es führt kein Weg an der Burg vorbei -- wir müssen die Ebene durchqueren. Und es ist nur unsicher, ob Meister Gor uns jetzt in den Weg tritt -- oder ob er uns an sich vorbei läßt und wartet, bis ich das Zeichen in der Hand habe." Ich nickte. "Und was denkst du?" Yalomiro lachte freudlos. "Ich denke, er kann nicht riskieren, zu warten, bis ich es in Händen halte. Nicht auf diese Weise." Ich dachte einen Moment lang nach. "Es ist so leer hier," sagte ich dann, nur, um zu sprechen. Er seufzte und blickte dann wieder zu mir hinüber. "Ich will verhindern, daß es sich noch weiter ausbreitet", hörte ich dann wieder leise seine Stimme. "Aber ich bin nicht mächtig genug." "Du bist der Mächtigste deines Volkes," gab ich zu bedenken. Er schloß müde die Augen und ließ die Schultern hängen. "Das will nicht mehr viel heißen. Du siehst, die Leere ist mächtiger geworden als der Kreis, und ich bin einer der wenigen Überreste dessen., was einmal Wirklichkeit war. Ich bin anders als die Leute aus dem Tal, anders als die Unkundigen dieser Welt. Ich bin keiner von ihnen." Ich schwieg auffordernd. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ich trage schwer an meiner Macht," fügte er fast unhörbar hinzu. "Und manchmal zweifle ich daran, ob es richtig ist, daß ich darüber verfüge. Ich habe mir die Magie nicht gewünscht, sie wurde mir geschenkt. Doch ich zahle einen schrecklichen Preis dafür." Ich blickte zu Boden. „Ein Preis für ein Geschenk?“ "Kannst du dir vorstellen, nicht lieben zu können?," fragte er dann unvermittelt, wartete aber keine Antwort ab. "Es ist ein Fluch, Ujora, ein Fluch, der mir große Macht schenkt und mich ausschließt von den Unkundigen. Solange ich mich erinnere, haben die Unkundigen mich gemieden, meine eigenen Eltern hatten Angst vor mir! Nur die Schattentänzer konnten mich akzeptieren, und Meister Askyn war ein guter Herr für mich. Aber ich habe nie erfahren, wie es ist, zu denken und zu fühlen wie ein echter Mensch. Wie ein ujoray, der sich um die Mächte und Kreisgesetze nicht zu kehren braucht und tun kann, wonach ihm der Sinn steht." "Ich habe keine Angst mehr vor dir," versuchte ich, ihn zu trösten. "Ich habe gesehen, daß deine Magie freundlich und gut ist. Und ich glaube auch nicht, daß du andere Gefühle hast als ich." Er schüttelte den Kopf. "Du irrst dich. Kein Haß, Ujora, keine Liebe und keine Trauer. Die Unkundigen haben uns gefürchtet, wo immer wir waren, und sie suchten unsere Nähe nur, wenn sie uns brauchten, weil unsere Kräfte ihnen dienlich waren. Aber sie haben nie unsere Freundschaft gesucht. " "Kein Haß?", fragte ich, "keine Liebe und keine Trauer? Aber Freundschaft?" "Ja. Freundschaft, Ujora, Furcht und Weisheit. Wir leben, um zu heilen, zu beschützen und für die wahre Schönheit. Wir sind nicht eure Feinde." "Du bist der letzte deines Volkes," erinnerte ich ihn vorsichtig. „Können die Gesetze deines Volkes denn da noch für dich etwas bedeuten?“ Er öffnete die Augen, und flüchtig blitzte das Silber darin auf. "Ich bin der letzte. Der Einzige. Und von meinem Erfolg wird abhängen, ob es einen Neubeginn geben wird." "Und wenn du versagst?", erkundigte ich mich zaghaft und wollte die Antwort gar nicht hören. Er deutete mit einer weit ausholenden Geste über die Ebene. "Schau selbst," forderte er mich auf. Ich blickte auf den spiegelglatten, kahlen Erdboden, das triste Grau der Felsen und die in der Bewegung am Himmel erstarrten Gewitterwolken hoch über uns. "Es ist beängstigend," sagte ich. Er nickte. "Das sind die Zeichen der anderen Seite. Dessen, was außerhalb des Kreises liegt. Und Meister Gor ist der, der diese Zeichen anbringt." Einen Moment lang schwiegen wir. Mir war äußerst unbehaglich zumute, und der einzige Fortschritt, den das Gespräch ergeben hatte, war der, daß
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro nicht mehr so nervös hin und her lief, sondern sich in einen Zustand gefaßten Ernstes hineingeredet hatte. Nun setzte er sich wieder, blickte zur Burg hinüber und schien zu warten. Ich hatte das Bedürfnis, zu ihm zu gehen und ihn in den Arm zu nehmen, aber eine unbestimmte Scheu hielt mich davon ab. Obwohl mir langsam klar wurde, daß ich Yalomiro womöglich in gewisser Hinsicht überlegen war. Er schien mich um das zu beneiden, was wohl am Ehesten den Begriff ‚Menschlichkeit‘ verdiente. Etwas, das er in dieser Form nicht kannte und beherrschte. Er seufzte und sah mich dann mit fast schwarzen, blanken Augen an. "Ich muß an der Burg vorbei. Aber der Rotgewandete weiß, daß ich da bin, und ich bin auch nicht zu übersehen in der Leere." Er lächelte bitter. "Es ist nicht fair, sich vor einem Gegner nicht verbergen zu können, nicht wahr?" Ich wußte nichts darauf zu entgegnen. Yalomiro nickte und richtete seinen Blick dann wieder auf den unheimlichen monströsen Gebäudeklotz in der Ferne. "Es sind seine Regeln," fuhr er fort. "Ich wurde nicht gefragt, ob ich sein Spiel mitspielen will. Ich komme mir vor wie ein Idiot." "Das bist du nicht," beeilte ich mich, ihm zu widersprechen. "Oh doch, das bin ich," beharrte er. "Dumm bin ich gewesen. Als ich ihm zum ersten Male begegnete, da hätte mir mein Verstand sagen müssen, daß Meister Gor mächtiger war als der ganze Kreis zusammen. Und daß es töricht war, zu glauben, ich könne das Zeichen sicher verstecken." Ich zögerte und ging näher zu ihm hin. "Hättest du etwas anderes tun können?" Er nickte. "Ja. Ich hätte es vor ihm verteidigen können, in einem direkten Kampf zwischen zwei Magiern." "Was wäre daran klug gewesen? Das erschiene mir eher wie Selbstmord." Er wandte sich mir zu und lächelte traurig. "Ich wäre für das Zeichen gestorben," antwortete er ruhig. "Das hätte womöglich all dies hier zu einem rascheren und gnädigeren Ende gebracht. Nun aber bewege ich mich auf einem schmalen Grat zwischen zwei ausweglosen Alternativen. Was auch immer ich tue, er wird am Ende der Sieger sein. Und ich kann es nicht verhindern." "Das klingt sehr pessimistisch," bemerkte ich. "Das ist lediglich der Stand der Dinge," stellte er fest. Ich gab mir einen Stoß und setzte mich vor ihm auf den Boden, so daß ich zu ihm aufblicken konnte. Er suchte meine Augen und seufzte erneut. "Es tut mir nur leid, dich in dieses Unglück mit hineingezogen zu haben. Ich wünschte, ich könnte wenigstens dich in Sicherheit bringen."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Mach dir darum keine Gedanken," hörte ich mich sagen und fragte mich, ob ich das wirklich so meinte. "Ich kann mir vorstellen, daß ich für dich eine Behinderung darstelle. Ich wünschte, ich könnte dir helfen." Yalomiro lächelte sanft. "Das tust du, Ujora. Auf deine Weise." Ich schaute beiseite, und wieder war da die graue Burg. "Wer ist die Königin eigentlich?," fragte ich, um das Thema zu wechseln. Er antwortete nicht sofort. "Sie ist eine Maske," sagte er dann. "Eine wunderschöne Maske, die ein leeres Inneres verbirgt. Aber sie begreift das nicht." "Sie ist böse," entfuhr es mir. "Böse und grausam." Yalomiro schüttelte den Kopf. "Grausam, ja, das ist sie. Aber nichts, was leer ist, ist von echter Bosheit." Ich drehte mich verwirrt zu ihm um. Er starrte blicklos in die Ferne, und ich erinnerte mich daran, wie die Königin ihn gequält hatte, ihn mit ihren goldberingten Fingern streichelnd, so daß er schrie. Und an das zornige Glänzen ihrer Augen. "Sie glaubt, " sagte er dann sehr leise, "daß alle Männer ihr zustehen. Aber ich kann ihr nicht gehören. Ich kann keine Liebe empfinden und meine Begierde ist von anderer Art als ihre. Sie versucht, einen Schattentänzer zu verführen. Aber das wird ihr niemals gelingen." Er erhob sich wieder und zupfte sein Gewand zurecht. "Sie ist verletzt, weil ich ihrem Zauber widerstehe. Aber ich glaube nicht, daß sie wirklich begreift, was für Pläne Meister Gor verfolgt." Ich beobachtete ihn verstohlen, und er lächelte wieder. "Komm, Ujora," sagte er dann. "Es hat keinen Sinn, hier länger zu warten. Wir müssen den Schritt in das Tote Land wagen." Ich nickte, kam auf die Füße und hob Yalomiros Tasche auf, die immer noch auf dem Boden lag. Als ich mich wieder umdrehte, hatte er wieder die Gestalt des schwarzen Pferdes angenommen, und ich fragte mich, wie ihm das so rasch und lautlos gelingen konnte. "Je schneller wir uns bewegen," sagte das Pferd, "desto größer ist unsere Chance." Ich seufzte, erinnerte mich an den anstrengenden Ritt durch die Berge und schickte mich dann an, auf seinen Rücken zu klettern. Und mir wurde klar, was mir bevorstand.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Der Schattenhengst rannte mit funkensprühendem Hufschlag über die graue Ebene und spürte, wie sich die Unkundige krampfhaft bemühte, nicht den Halt zu verlieren. Ihre Hände verkrampften sich beinahe schmerzhaft fest in der wallenden Mähne, und ihre Schenkel umklammerten verzweifelt seinen Leib. Yalomiro war trotz der Gefahr, die ihm begegnen würde, erfüllt von einer zärtlichen Belustigung über die tapferen Bemühungen der Unkundigen, sich bei der rasenden Geschwindigkeit seines Laufes aufrecht zu halten. Zwar waren die Sprünge des Pferdes von einzigartiger Ruhe und Geschmeidigkeit, aber dennoch wußte er, wie sehr ihr der Gegenwind und die Kraft seines Galopps zu schaffen machten. Ich bin die Schönheit und ich bin die Gefahr, dachte er und lachte innerlich, mein Lauf ist schneller als der Zug der sturmgetriebenen Wolken des Herbstes und sanfter als die Wellen auf dem Meer. Und ich trage meine Herrin, die einzige Sterbliche, die mich jemals in dieser Gestalt berühren durfte. Er horchte auf den Schlag seines Herzens und den seiner Hufe, und fand, daß beides zusammen einen seltsamer Rhythmus ergab. Was gefällt dir mehr, dachte er in Richtung des Mädchens, der Klang meines Liedes oder der Takt meiner Sprünge? Er horchte in die Gedanken des Mädchens, fand dort aber nur einen Gedanken, von unterdrückter Panik. Yalomiro lachte in Gedanken und versuchte, sich sanfter zu bewegen. Die graue Burg rückte mit jedem Atemzug näher, und Yalomiro wußte, daß der Rotgewandete ihn beobachtete. Aber die Besorgnis des Abends war nun einem trotzigen Stolz und besinnungsloser Entschlossenheit gewichen. Schaut, Meister Gor, Yalomiro vom Schwarzen See ist gekommen, in der Form des Schwarzen Pferdes der Dunkelheit. Ich bin unsterblich in der Form, und ich werde Euch entkommen! Doch niemand antwortete ihm. Das aber beunruhigte Yalomiro schließlich doch ein wenig. Und als die graue Burg schließlich ganz nahe war und bedrohlich und stumm vor den Wolkenbergen aufragte, überkam ihn schleichend das Gefühl gespannter Erwartung. "Yalomiro," hörte er irgendwo im Wind die Stimme des Mädchens," stimmt etwas nicht?" Er antwortete nicht, aber er wußte, daß Meister Gor nicht mehr lange zögern würde. Verbissen rannte er weiter. Doch mit einem Male schien sich die Entfernung zur Burg kaum noch zu verringern. Sie rückte nicht näher und schien ihn nicht an ihren Mauern vorbeizulassen.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga
"Er kommt," sagte Meister Gor und wies aus dem Fenster, an dem er mit der Königin stand. "Er ist gekommen, und die Unkundige begleitet ihn." "Der Narr," kommentierte die Königin kalt. "Er läuft direkt in unsere Arme." Der Rotgewandete nickte und rieb sich gespannt die Hände, während der farblose Blick unter der Maske ausdruckslos blieb. "Wenn er das tut, bedeutet das, daß kein anderer Weg an und vorbei führt. Er muß das Tote Land durchqueren, um an sein Ziel zu gelangen. Er wird uns so verraten, wo er das Zeichen verborgen hat." Die Graue Königin ging vom Fenster zurück in den schmucklos eingerichteten Raum und lehnte sich dann nachdenklich an die Kante eines Tisches in der Raummitte. "Was wollt Ihr tun, Meister Gor? Er wird uns nicht freiwillig verraten, wo das Versteck des Zeichens ist." Meister Gor nickte. "Es würde uns auch nichts nützen, es zu wissen. Er allein muß das Zeichen bergen, mit seinen eigenen Händen. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, daß er es uns umgehend ausliefert. Und zwar ohne Betrügereien." Die Königin seufzte. "Und das wird der Haken an der Sache sein, habe ich Recht?" Der Rotgewandete bestätigte dies mit einer knappen Geste. "Es wäre in der Tat einfacher, wenn man ihn überreden könnte, uns zu dienen, sei es mit Geschenken, sei es durch den Schmerz. Aber er ist ein Kundiger. Er ist unbestechlich." Die Graue Königin lächelte fein. "Aber die Unkundige ist verletzlich. Daran denkt Ihr doch?" Meister Gor hob unentschlossen die Schultern. "Vielleicht. Vielleicht aber wäre gerade dies ein Fehler." Die Königin lachte ihr wohltönendes perlenhaftes Lachen. "Ihr scherzt!" Unwillig wandte sich der Meister wieder dem Fenster zu und blickte ins Dunkel. "Ihr versteht mich nicht. Ich bin mir noch nicht darüber im Klaren, wie der Schattentänzer für die Unkundige empfindet. Wenn alles mit rechten Dingen zuginge, müßte sie ihm vollkommen gleichgültig sein. Aber offensichtlich genießt er ihre Gegenwart, und das nicht nur um ihrer Lebenskraft willen." Die Königin verstummte und wartete. Meister Gor versuchte, seine Beherrschung zu wahren, auch, wenn die Königin im lästig war mit ihrer unverständigen Neugier. "Yalomiro ist anders als all die Schattentänzer, die Ihr gesehen habt, Herrin. Als ich ihm das erste Mal begegnete, da habe ich sofort bemerkt,
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga daß etwas ihn von den anderen unterschied. Und ich spürte den Haß in ihm aufglühen, als ich seinen Meister tötete." Die Königin richtete sich auf und blickte verwundert. "Ihr meint ..." "Er hat die Fähigkeit, zu hassen," unterbrach der Rotgewandete. "Ein Vorzug, der ihn hätte retten können, wäre er mir gefolgt. Aber wo Haß ist, könnte auch das Andere Platz haben. Genau dessen bin ich mir noch nicht sicher. Ist es eine freundliche Zuneigung zu der Unkundigen - oder das Andere?" Die Königin nickte stumm. "Wenn es reine Sympathie ist," fuhr Meister Gor fort, "könnte es pure Zeitverschwendung sein, die Unkundige zu benutzen. Aber wenn es," er schüttelte sich und zischte, "Liebe ist, die im Herzen des Schattentänzers aufgegangen ist, dann können wir mit ihm machen, was uns beliebt. Die Wurzeln der Liebe werden sein Herz durchdringen und ihre Ranken seinen Verstand umwinden und ersticken. Ein liebender Magier, Königin, ist ein tölpelhafter Narr -- oder ein gefährlicher Besessener. Das gebietet uns Vorsicht." "Vorsicht?", fragte die Königin unsicher. Meister Gor starrte in die Nacht hinaus. "Der Mondstrahl in der Hand eines Kundigen, der seine Geliebte beschützen will, ist selbst für mich unberechenbar. Er könnte die totale Vernichtung hervorrufen -- unsere wie auch die seine. Niemand, Herrin, niemand weiß das besser als ich."
*
Das Pferd rannte, und nur sehr langsam gelang es mir, mich an seine Bewegungen sicher anzupassen. Ich fragte mich, ob der Flug des schwarzen Drachen, den ich ohne meinen Körper zu spüren, miterlebt hatte, ebenso rasant gewesen war wie das Rennen des Pferdes. "Yalomiro," versuchte ich, zu ihm zu sprechen, "ich habe Angst!" "Vor mir oder der Burg?," wehte seine Stimme an mir vorbei. Ich seufzte und krallte mich fester in seine Mähne. "Es ist absurd. Wir sind Meister Gor gerade eben erst entkommen, und nun laufen wir geradewegs auf ihn zu!" Ruckartig stoppte der Schattenhengst seinen rasenden Galopp, und der Stoß warf mich fast von seinem Rücken. Yalomiro kümmerte sich nicht darum, starrte ins Leere und verharrte reglos. "Du hast recht. Es ist soweit," sagte er dann mit entsetzlicher Ruhe in der Stimme. "Steig ab." Das hatte ich mir schon seit längerer Zeit sehnlichst gewünscht, aber nun, da er es verlangte, keimte Panik in mir auf. Dennoch gehorchte ich sofort. Wir standen mitten auf einer freien Fläche, auf der abgesehen von etwas http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga graugefärbtem Gestrüpp nichts wuchs. Schemenhaft gewahrte ich weit links von uns so etwas wie die Baumgerippe eines Wäldchens, und die Burg lag etwas rechts vor uns. Aufgrund des einförmigen, platten Geländes war es nicht einfach, eine ungefähre Entfernung abzuschätzen, aber es waren nur noch wenige Kilometer. "Ich kann meine Zauber nicht nutzen, solange ich nicht in meinem Menschenkörper bin," erklärte Yalomiro leise. "Wenn ich meine Form wechsle, dann komm zu mir und weiche mir nicht mehr von der Seite." Ich versuchte, im grauen, nebligen Licht, dort, wohin er schaute, etwas zu erkennen, aber erfolglos. Und er, wieder ein Mensch, stand neben mir und berührte mich sacht an der Schulter. Im selben Moment spürte ich wieder die grauenhafte Kälte. Yalomiros Hand schloß sich fest um meine Schulter, und die Kälte aus dem Finstern wurde etwas erträglicher. "Danke," hauchte ich. Er streichelte sacht über meinen Arm und griff dann nach meiner Hand. "Was immer geschieht," raunte er, "geh niemals aus meiner Reichweite. Und zeige ihm nicht, daß du ihn fürchtest." Ich faßte nach seiner Hand. „Das letzte Mal,“ erinnerte ich ihn, „hast du mir geboten, schnell und weit fortzulaufen.“ „Nun nicht mehr. Nun gehen wir zusammen,“ sagte er. „Hab keine Angst.“ Er verlangte Unmögliches von mir. Die Kälte steigerte sich ins Unermessliche. Es war wie eine Erlösung, als Meister Gor aus der Dunkelheit auf uns zutrat. Wieviel Angst hatte ich vor diesem Moment gehabt, und wie sonderbar nun, ihn zu erleben. Ich sah den Mann in dem roten Ornat und atmete beinahe auf. Das Furchtbare war geschehen. Er war wieder da. "Yalomiro," grüßte der Rotgewandete höflich. "Du kommst also doch als Gast zu uns, und du bringst deine Begleiterin mit auf unsere Burg?" "Was wollt Ihr, Meister Gor?", fragte Yalomiro zurück. "Ich habe den Mondstrahl noch nicht, und nichts zwingt mich, danach zu suchen. Erkennt mich als Gegner an und laßt mich vorbeiziehen." Meister Gor lächelte und wandte sich mir zu. Sein farbloser Blick bohrte sich in den meinen, bevor ich ihm ausweichen konnte, und ein Schwindelgefühl ergriff mich. "Deine Begleiterin ist müde, hungrig und aufgeregt," stellte er dann fest. "Du hast ihr seit ihr das Tal von König Benjus verlassen habt, kaum eine Pause gegönnt, ihr unnötig mit Schauermärchen über mich und die Königin Angst gemacht, von ihrer Kraft genommen und ..." er stockte, runzelte erstaunt die Stirn und verstummte. „Du hast dich ihr genähert?“, fragte er dann verblüfft. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro legte mir rasch die Hand auf die Augen. Seine Hand war kühl und das Schwindelgefühl verschwand. "Ihr wißt, daß es sie schmerzt, wenn Ihr mit Gewalt ihre Gedanken schauen wollt," tadelte er. „Und außerdem geht Euch das gar nichts an.“ Meister Gor lächelte unterkühlt. "Es schmerzt sie nur, weil sie versucht, Gedankensiegel zu erschaffen. Aber sie ist unkundig, es wird ihr nicht gelingen. Laß dir raten, Ujora: wehre dich nie gegen einen Kundigen." Ich nickte mechanisch. "Hat es dir gefallen?", fragte Meister Gor. "Ich meine .. sein -- Lied." Yalomiro warf ihm einen verärgerten Blick zu, und ich schämte mich, daß der Rotgewandete davon wußte. Der Rotgewandete lächelte dünn. "Wieso, Yalomiro?" Der junge Zauberer antwortete nicht. Der Rotgewandete nickte zufrieden, als würde Yalomiros Schweigen seine Frage hinreichend beantworten. "Laßt Ihr uns nun vorbei oder nicht?", fragte Yalomiro schließlich. "Willst du immer noch nach Hause, Unkundige?", fragte Meister Gor stattdessen in meine Richtung zurück. Nun machte ich vermutlich einen entscheidenden Fehler: ich bejahte seine Frage nicht sofort. "Ich werde sie heimbringen, sobald ich es kann," versicherte Yalomiro, als ich zögerte. "Und wann kannst du das, Schattentänzer? Wenn du ihre Lebenskraft völlig aufgebraucht haben wirst?" Ich nahm meinen Mut zusammen. "Es hat keinen Zweck, Meister Gor. Ich vertraue Yalomiro nun bedingungslos, und ich werde nicht auf die Zweifel hören, die Ihr zu säen trachtet." Meister Gor zuckte die Achseln. "Das ist schade, Unkundige. Du solltest besser auf das hören, was dir Freunde anraten. Doch nun zu dir, Yalomiro: du fragst dich, warum ich erst jetzt zu euch gekommen bin. Nun, es ist ganz einfach: ich habe nachgedacht und bin zu dem Entschluß gekommen, daß ich mit dir verhandeln möchte. Da du dich als so zäher Gegner erweist, wäre es doch vielleicht den Versuch wert, einander auf halbem Wege entgegen zu kommen." Yalomiro lachte spöttisch auf. "Ich bitte Euch, Meister Gor: worüber solltet Ihr mit mir verhandeln?" Meister Gor hob unentschlossen die Hände. "Was wünscht du dir, Yalomiro? Macht, Unsterblichkeit, das Einzige Wissen ... ich kann dir bieten, was du dir nur wünscht." Yalomiro schüttelte den Kopf. "Nein." "Dann biete ich dir etwas anderes," schlug der Rotgewandete vor und warf eine Geste in die Dunkelheit. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Und aus dem Nichts traten von allen Seiten graue Diener auf uns zu, jene furchtbar anzuschauenden, in graue Kittel gehüllte Menschen ohne Gesicht. Ich hörte mich einen spitzen Schrei ausstoßen und flüchtete mich zu Yalomiro, der mich in die Arme nahm. Ich vergrub mein Gesicht in seinem Hemd und schloß fest die Augen vor dem Anblick der Grauen, den ich kaum ertragen konnte. "Was soll das, Meister Gor," hörte ich Yalomiros Stimme. "Wollt Ihr mir Angst machen mit Euren Kreaturen?" "Ihr werdet mich nun zur Burg begleiten," antwortete Meister Gor, und seine Stimme duldete keinen Widerspruch. "Du spürst, daß ich nicht lüge, Schattentänzer -- ich bin bereit, mit dir zu verhandeln. Komm und laß uns reden." Yalomiro zögerte. Dann löste er sacht seinen Griff, packte wieder meine Hand und setzte sich in Bewegung. Ich schaute hin und sah, daß er nun hinter Meister Gor herlief und mich mit sich führte. Um uns herum eskortierten diese entsetzlichen grauen Gestalten jeden unserer Schritte.
*
Stunden später, schwach drang Tageslicht, abgestanden und grau durch die Wolkendecke, durchschritten wir die Tore der Burg. Aus der Nähe betrachtet, wirkte sie zwar nicht mehr so sonderbar fremdartig, aber nicht weniger bedrohlich. Eine gewaltige Mauer umschloß das klotzförmige Hauptgebäude, aus dessen Mitte ein riesenhafter Turm aufragte, eine sonderbare Architektur, die mich an eine Bauklotzkonstruktion eines wenig kreativen Kindes denken ließ. Noch sonderbarer war jedoch, daß wirklich alles um uns herum grau war. Nirgends war eine andere Farbe, und sei es nur ein Braunton oder eine grünliche Moosfläche. Und obwohl ein Großteil der Grauen sofort beim Eintritt in die Burg ausschwärmte und anderen Beschäftigungen nachging, wirkte die Burg seltsam unbewohnt. Ich blickte hinauf zu den Fensterreihen in den hohen, glatten Mauern. Eine Borte aus Stuck umlief die einzelnen Stockwerke, und ich erkannte die Darstellungen von Drachen und einigen geflügelten Pferden sowie Fratzen von dämonischen Gestalten und menschlichen Figuren. Aus einem der Fenster guckte eine Katze hinab auf den Hof, aber ich sah sie nur für einen winzigen Moment, denn sie sprang vom Fensterbrett hinab, kaum daß ich sie entdeckt hatte und verschwand aus meiner Sicht. All das nahm ich wahr, als ich, tapfer, aber völlig übermüdet an Yalomiros Seite laufend, Meister Gor durch ein schmales Tor in das Hauptgebäude
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga folgte, durch eine kleinere Halle hinein in das, was der Thronsaal sein mochte, und in dem die Graue Königin lächelnd und wartend gestanden hatte. "Hier sind sie, Herrin," sagte Meister Gor. Yalomiro verneigte sich steif in Richtung der Königin, und sie lächelte. "Guten Morgen, Königin," grüßte er knapp. "Euer Hofzauberer hat uns in überzeugender Weise hierher gebeten und ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft. Aber ich will sie nicht lange in Anspruch nehmen. Meine Begleiterin und ich wünschen, diesen Ort schnellstmöglich hinter uns zu lassen." Vermutlich war es das Wort "Hofzauberer", das Meister Gor beleidigte, das Yalomiro aber gewiß mit Bedacht gewählt hatte. In jedem Fall reizte er den älteren Magier damit erheblich. Meister Gor trat vor Yalomiro hin, und unter der schwarzen Maske funkelten die Augen farblos und kalt. "Schattentänzer," zischte er. „Was für Frechheiten erlaubst du dir?“ Die Graue Königin hatte abwartend im Hintergrund gestanden und kam nun näher. Meister Gor wandte den Blick von Yalomiro ab und mir zu. Ich stand an Yalomiros Seite, verging vor Angst und wunderte mich doch, daß es mir gelang, halbwegs beherrscht zu scheinen und nicht in Panik zu geraten. "Diesmal entkommst du uns nicht," knurrte Meister Gor kalt in Yalomiros Richtung, ohne den Blick von mir zu wenden. Die Graue Königin stand nun dicht bei uns. Sie blickte Yalomiro an und sprach doch zu mir. "Unkundige," fragte sie mit fast sanfter Stimme, "bist du immer noch freiwillig bei ihm?" Ich nickte. Sprechen konnte ich nicht, meine Stimme versagte. "Was willst du mit der Unkundigen," fragte Meister Gor Yalomiro. "Ich bringe sie heim," antwortete er, und wieder war da diese schreckliche Ruhe in seiner Stimme. Meister Gor lächelte dünn. "Nein, Yalomiro. Ich werde dir sagen, was du willst, und dir, Unkundige, sage ich es auch. Er behält dich an seiner Seite, um von deiner Kraft zu zehren, um deine Lebensenergie für sich selbst zu nutzen, wie er es tat, als er sich in einen Drachen verwandelte." Ich suchte Yalomiros Blick, aber er schaute nur auf den Rotgewandeten. "Ihr wißt, daß ihr lügt," entgegnete er. "Ist es nicht wahr, daß du dir durch sie eine Kraft erhoffst, die dir vorenthalten ist, Schattentänzer?" Yalomiro schwieg. "Ich habe dir die andere Kraft angeboten, Yalomiro. Ich bin ein Magier, von mir hättest du sie bekommen. Doch diese Kraft war dir zuwider, du strebtest
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga nach der Macht, die du niemals beherrschen solltest. Wieso glaubst du, daß diese Macht von ihr ausgeht?" Yalomiro senkte den schwarzen Blick vor Meister Gor. "Weil ich diese Macht bei ihr spüre. Und weil ich ahne, daß ich sie erwidern kann." Das Gesicht der Königin verzog sich zu einer Miene von Ärger und Unwillen. Von welcher Macht redet er?, fragte ich Yalomiro, aber er antwortete nicht. Meister Gor verschränkte die Arme und bedachte Yalomiro mit einem kritischen Blick. Dann streckte er seine rechte Hand in meine Richtung aus. "Wie weit geht deine Erwiderung, Yalomiro? Laß es mich sehen." Und er hob die Hand, als hole er zu einem Schlag aus. Yalomiro trat blitzschnell vor mich hin, riß mich an sich und hüllte mich mit seinem Mantel ein. Seine Silberaura legte sich völlig um mich, er umarmte mich so fest, daß es mir fast die Luft nahm, und ich umschlang ihn verwirrt ebenfalls mit beiden Armen. Meister Gor warf eine leere Geste in die Luft, dann eine weitere und eine dritte, wieder und wieder. Yalomiro zuckte und holte mit einem unterdrückten Aufseufzen Luft. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Meister Gor warf noch einige weitere unsichtbare Gesten in unsere Richtung, und Yalomiro wand sich unter imaginären Peitschenhieben, die so stark zu sein schienen, daß sie ihn schließlich zu Boden warfen. Er riß mich mit zur Erde, und ich lag unter ihm, durch seinen Körper geschützt vor Meister Gors Schlägen. Die Königin sah dies mit deutlichem Mißfallen. "Haltet ein, Meister Gor," sagte sie unwillig. "Es hat keinen Sinn." Meister Gor verharrte und schüttelte dann den Kopf. "Warum nimmst du Schmerzen auf dich?" Yalomiro ließ mich los und setzte sich auf. "Weil Ihr sie getötet hättet mit euren Schlägen. Die Unkundigen ertragen die Zauber der anderen Seite nicht." Ich blieb am Boden liegen, verwirrt und bebend vor Furcht. Meister Gor blickte zu mir hin und tat plötzlich einen raschen Schritt auf mich zu. Yalomiro schleuderte ihm eine heftige Geste entgegen, die er mit einem knappen Wort begleitete, das ich nicht begriff. Meister Gor taumelte und verlor das Gleichgewicht. Der ältere Magier stolperte unsanft zu Boden. Als er sich aufrappelte, glommen die farblosen Augen zornig und sein Blick schien Yalomiro aufspießen zu wollen. Yalomiro lächelte finster und erhob sich ebenfalls.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Du bist schwach gegen meine Magie, Schattentänzer," fauchte Meister Gor. „Du kannst dich mit mir prügeln, aber du wirst mich niemals ernstlich verwunden!“ "Ich bin schnell," gab Yalomiro scharf zurück. „Ich kann Euch entwischen, wenn ich es will.“ Ich blickte zwischen ihm und Meister Gor hin und her. Und ich schauderte. Meister Gor, älter, kräftig und rotgewandet, ein ehrfurchtgebietender Zauberer mit unglaublicher Macht und einer Aura von Kälte und Grausamkeit. Ihm gegenüber Yalomiro, ein junger Mann in pechschwarzen Gewändern, von dem nun eine Ruhe und Gefährlichkeit auszugehen schien, die mich ängstigte, da sie gar nicht zu ihm zu passen schien. Yalomiro und Meister Gor starrten sich einen Moment lang an. Schließlich ergriff die Graue Königin das Wort. "Vielleicht haben wir dich wirklich unterschätzt, Yalomiro. Aber dennoch, du wirst dich uns auf die Dauer nicht widersetzen können. Du weißt, daß wir dich nicht gehen lassen können. Nicht, bevor du unser Gefolgsmann geworden bist." Meister Gor warf mir einen Blick zu, der mich frieren ließ, obgleich er nicht direkt unfreundlich war. "Unkundige," sagte er dann, "wir sind nicht deine Feinde. Du stehst außerhalb unseres Kampfes, bist keine Gefahr für uns und auch kein Konkurrent. Aber du befindest dich zwischen uns, und das ist gefährlich. Ich rate dir, uns zu verlassen und fortzugehen. Ich gebe dir mein Wort, das Ehrenwort eines großen Meisters, daß wir dir nichts antun werden." Ich spähte zu Yalomiro, und er sah mich aus ernsten, bodenlosen Augen an. "Meister Gor sagt die Wahrheit," sagte er dann. "Wenn du nun gehst und dich von uns abwendest, wird dir kein Leid geschehen. Es ist deine freie Entscheidung." Die Graue Königin lächelte mir beinahe freundlich zu. "Verschwinde, solange du es kannst, Unkundige. Denn wenn du dich zwischen den Schattentänzer und Meister Gor stellst, wirst du durch beider Kräfte Schaden nehmen." Ich nahm allen Mut zusammen. "Ich gehöre nicht hierher. Wohin sollte ich gehen?" Meister Gor blickte mich an, und seine Augen waren farbloser als je zuvor. "Du würdest sicher einen Ort finden, der dir behagt, hier, in dieser Welt." "Einen Ort, der schon bald stumm und leblos sein wird, wie alles, was Meister Gor berührt," fügte Yalomiro hinzu. Ich nickte. "Ich glaube nicht, daß mir die Leere gefällt." Die Königin trat näher an mich heran, und ihre Stimme war lockend und einschmeichelnd. "Die Leere wird dir deine Furcht nehmen," sagte sie, "und dich von allem befreien, was dir Schmerzen bereitet. Dein Leben wird ohne Leid sein." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro kommentierte ihre Worte verächtlich. "Die Leere wird dich gleichgültig und gefühllos machen, Ujora. Du wirst sie ertragen können, weil sie dir Furcht und Trauer nehmen wird, aber genauso wird sie in dir Freude und Gefallen auslöschen. Was sich der Leere ergibt, verliert seine Seele. Vergiß das nicht." "Nie mehr Schmerzen," lockte die Königin unbeeindruckt, "nie mehr Enttäuschung und Verzweiflung." Ich schloß die Augen und versuchte, ihre Stimme abzuschütteln. "Ich will das nicht!" "Schau mich an," fuhr die Königin fort. "Siehst du, wie schön und mächtig ich bin? Ich bin unsterblich, und ich kann alles haben, was ich begehre. Ich habe keine Angst mehr, vor nichts und niemandem, keine Tränen mehr und ewiges Wohlergehen. Das alles hat mir die Macht gegeben, der Meister Gor dient." "Schau sie dir an," hörte ich Yalomiros sanfte Stimme hinter mir. "Sie ist nur noch eine Puppe, eine leere Hülle dessen, was sie einmal gewesen sein mag. Sie jagt Träumen hinterher, die sie nicht mehr verstehen kann, und sie verlangt nach Dingen, die ihr fern bleiben werden. Sie hat beinahe nichts mehr in sich, das sie zu einem beseelten Wesen machen würde." Die Königin fuhr auf und ihr bleiches Puppengesicht verzerrte sich. "Schweig!", fuhr sie ihn an. Aber Yalomiro schüttelte den Kopf. "Nein, Königin, ich werde nicht schweigen, und ich wünschte, ich hätte schon viel früher geredet. Ich weiß, wie alt Ihr seid und daß ihr nicht immer das wart, was Ihr nun darstellt. Ich maße mir nicht an, zu urteilen, ob Ihr eine gute oder eine böse Königin wart, aber ich bin mir sicher, Ihr wart eine lebendige Herrscherin über das Tote Land, da einst die Ebene war, ein lebendiges, fruchtbares Land voller braver Menschen, ehe Meister Gor sich hier niederließ. Ich weiß nicht, wieso Ihr Euch ihm anvertraut habt, aber ich sehe, es geschah zu Eurem Nachteil." Die Königin ballte die Fäuste und zitterte erregt. "Hast du keine Augen, Schattentänzer? Ich bin mächtig, und ich bin die schönste Frau, die je gelebt hat!" Yalomiro blickte ihr in die Augen, und ich sah, wie sie wankte. "Eure Hülle mag schön sein," sagte er hart, "aber es ist nichts mehr darin, daß Gefallen erregen könnte. Für niemandes Augen. Und schon gar nicht für die eines Schattentänzers. Ich durchschaue jede Illusion, und meine Augen können diese Art von Schönheit nicht erkennen. Ich sehe nur das, was gut und wahr ist. Und wenn ich Euch anblicke, dann sehe ich etwas anderes als Eure makellose Maske." Die Königin stieß einen gequetschten Wutschrei aus, und ehe ich es mich versah, hatte sie Yalomiro wütend ins Gesicht geschlagen. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro zuckte zurück, trat einen Schritt von ihr weg und legte die Fingerspitzen auf seine Wangen. Und die Königin wandte sich schluchzend ab. Aber ihre Augen blieben trocken. "Es ist noch Wut in Euch, Königin?", fragte er, und es klang zu meiner Überraschung sehr sanft und fast mitleidig. "Dann seid Ihr noch nicht ganz der Leere verfallen." Meister Gor hatte Yalomiros Worte der Königin gegenüber mit unverhohlener Belustigung verfolgt. Nun aber versteinerte seine Miene wieder. Die Dinge schienen sich in eine Richtung zu entwickeln, die ihm mißfiel. "Was ist nun," fragte er barsch in meine Richtung. "Wirst du gehen?" Ich verharrte verwirrt und wußte nicht zu antworten. "Nein," sagte ich dann leise. „Ich laufe nicht feige weg. Dies hier ist zwar eine Welt, die mich nichts angeht, aber es ist eine Welt, zu deren Teil ich zumindest vorübergehend geworden bin.“ Meister Gor schwieg. "Ich will nicht werden wie Ihr," nahm ich all meinen Mut zusammen, "ich will mit Yalomiro gehen." Meister Gor wollte etwas sagen, zögerte aber. Yalomiro nickte ernst. "Ihr hört es, Meister Gor. Die Unkundige wendet sich dem Kreis zu, der Veränderung und dem Leben. Euer Reich scheint zu mißfallen." "Nun gut, Schattentänzer," sagte Meister Gor nach einiger Zeit. "Ich akzeptiere ihre Entscheidung, und sie soll sie tragen, mit allen Folgen. Nun aber zu dir -- du wirst mir nicht mehr so leicht entkommen wie zuvor." Yalomiro richtete sich würdevoll auf. " Ihr wißt, daß ich mich nicht Eurem Willen fügen werde. Ich bin stärker geworden, als ich es je zuvor war." Meister Gor lächelte fein. "Das werden wir sehen." Er warf Yalomiro einen raschen Blick zu, griff dann in seine Tasche und holte etwas daraus hervor, daß er in der Hand verbarg. "Unkundige," sagte er dann, "du stehst zu den Schattentänzern. Und so werde ich dich auch behandeln, nun, da ich weiß, auf wessen Seite du dich befindest." Er warf etwas in die Luft, und ein feinmaschiges Netz aus rotloderndem Feuer schnellte auf mich zu. Ich war starr vor Schreck. Und Yalomiro packte mich beim Arm und stieß mich beiseite. Das Netz traf ihn an meiner Stelle, berührte seine Aura, glomm blendendhell auf und wurde zu Gold. Yalomiro schrie, sank zu Boden und krümmte sich. In dem sinnlosen Bemühen, das Goldnetz abzustreifen, verhedderte er sich darin und ich ahnte, wie das Metall auf seiner Haut brannte und selbst durch seine Kleider drang. Ich wollte ihm zu Hilfe eilen, aber Meister Gor hob drohend die Hand.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Zurück, Unkundige. Er gehört mir. Es scheint, daß seine Prahlerei ihm nicht wohl bekommen wird." Ich blieb unentschlossen stehen und sah hilflos zu, wie Meister Gor sich Yalomiro näherte. Yalomiro zappelte und trat um sich. Meister Gor schaute einen Moment lang zu und warf dann eine knappe Geste über das Netz. Dies verwandelte sich in ein stabiles Gitter, das sich Yalomiros Körper anpaßte und ihn bewegungsunfähig auf dem Boden hielt, in der unbequem verdrehten Stellung, in der er sich gerade befunden hatte. Aber wenigstens lag das Metall nicht mehr auf seiner Haut auf. Yalomiro wagte kaum zu atmen, und seine tiefdunklen Augen glommen zornig, als er Meister Gors Blick suchte. "Du gehörst mir, Yalomiro," stellte der Rotgewandete nochmals fest. "Und es liegt an dir, wie es nun weitergeht." Er ging neben Yalomiro in die Hocke, griff durch das Gitter und legte die Hand auf Yalomiros Brust. Der junge Zauberer erschauerte. "Ich könnte das Netz zusammenziehen, bis es dich langsam zerquetscht," sagte Meister Gor ungerührt. "Das könntet Ihr," gab Yalomiro zurück, "aber das werdet Ihr nicht. Denn wenn Ihr mich tötet, bleibt der Mondstrahl für ewig verborgen." Meister Gor lächelte spöttisch. "Da hast du Recht, Yalomiro. Aber schau, deine Aura ist zerbrochen durch das Gold. Du bist nicht mehr unverwundbar. Es sollte leicht sein, dich zum Reden zu bringen." Yalomiro schloß die Augen. "Ihr könntet mich foltern," sagte er dann, "aber selbst, wenn ich reden würde, wäre es unklug von Euch, mich zu verletzen. Denn ich selbst muß das Zeichen bergen." Meister Gor runzelte die Stirn. "Vielleicht nützt es bereits, wenn ich dich von der Unkundigen trenne?" Yalomiro schwieg. "Denke darüber nach, Schattentänzer," sagte Meister Gor und erhob sich. "Wenn die Unkundige zu dir steht, ist sie ein wertvolles Pfand für deine Hilfe." Die Königin trat an meine Seite. "Komm, Unkundige," sagte sie, "ich will dir dein Gemach zeigen. Es scheint, als würdest du längere Zeit unser Gast sein." Sie reichte mir die Hand, aber ich griff nicht danach. Hilfesuchend blickte ich Yalomiro an. "Dir soll kein Leid geschehen," sagte die Königin. Yalomiro wandte den Kopf in meine Richtung. "Sie lügen nicht," sagte er leise. "Es ist wohl das Beste, wenn du tust, was sie dir anbieten. Du bist nicht in Gefahr." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Und was geschieht mit dir?", fragte ich verzweifelt. Yalomiro lächelte flüchtig. "Sie können es sich nicht leisten, mich zu verlieren." Die Königin hielt mir immer noch ihre Hand hin. "Geh," forderte Meister Gor. Ich griff zögernd nach der Hand der Königin. Diese war kalt und irgendwie hart, wie künstlich. Die Königin lächelte, und ich bildete mir ein, einen fast dankbaren Ausdruck in ihren Augen zu sehen, der jedoch sofort wieder schwand. Meister Gor winkte die gesichtslosen, graugewandeten Diener heran, die die ganze Zeit über untätig und reglos an den Wänden gestanden hatten. Und Yalomiro blickte mir traurig hinterher, als ich an der Hand der Grauen Königin den Saal verließ.
11.
Die Königin führte mich aus dem Saal, durch einen kurzen Flur hin zu einer Treppe, die sich im Inneren eines Turmes zu befinden schien, der einen beträchtlichen Durchmesser hatte. Die Stufen wanden sich in einer offenen Galerie um die Innenmauer des Turmes und stieg dabei in schwindelnde Höhe auf. Das trübe graue Licht drang durch schmale Fensterspalte in der Wand und tauchte die Treppe und den Turm in trostloses Zwielicht. Ich blickte in die Höhe und staunte über das Bauwerk. Ich hatte im Rahmen meines Studiums zahlreiche historische Burgen besucht, aber das, was ich hier sah, war einfach verrückt. Es sah aus wie eine alptraumhafte, skurrile Überzeichnung einer Burgkulisse, unwirklich und irgendwie... irgendwie falsch. Die Königin blickte mich einen Moment lang mit unbewegter Miene an und bedeutete mir dann, ihr zu folgen. Ich stieg hinter ihr die Treppe hinauf, bemüht, nicht nach unten zu blicken. "Wir müssen nicht ganz hinauf," sagte sie. Ich nickte stumm, und tatsächlich bemerkte ich, wie sich etwas weiter oben die Windung der Treppe zur Turmmitte hin verengte. Offensichtlich befanden sich hier nun Räume, die ringförmig angeordnet den Turm umfaßten und nur noch in Zwischengeschossen Platz für Fenster ließen. Dies alles war aber so gebaut worden, daß es erst bei näherem Hinsehen zu erkennen war und mir rätselhaft blieb, wie der Baumeister es vollbracht hatte, das Turminnere auszubauen. Die Graue Königin wies auf eine Tür aus schiefergrauem Holz, die auf der linken Seite der Treppengalerie lag. "Das wird dein Zimmer sein," sagte sie und öffnete die Tür.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Es war eine geräumige, sehr einfach eingerichtete, aber saubere und komfortable Kammer, in die ich eintrat. Es gab einen Tisch mit zwei Stühlen, ein schlichtes Bett und einen mit weichen Kissen gepolsterten Sessel, der unter einem schmalen Fensterbogen stand, durch den das Tageslicht floß. Eine geöffnete, aber leere Kleidertruhe und ein Waschtisch mit Spiegel ergänzten die Ausstattung. Alle Gegenstände im Raum waren grau, kein einziger Farbtupfer belebte das Zimmer. Ich trat ans Fenster und blickte hinaus. Zu meiner Überraschung war das Gebäude von außen auf der Etage, in der das Zimmer lag, kein Turm, sondern gehörte zum viereckigen Hauptgebäude der Burg, in der sich auch der Saal befand. Ich erinnerte mich, daß der mächtige Hauptturm aus dem Gebäudekomplex des Haupthauses aufgeragt hatte und begriff, daß er vermutlich das Grundgerüst der Burg dargestellt hatte und die übrigen Gebäude erst später um ihn herum errichtet worden waren, was die sonderbare Innenarchitektur erklären würde. Dennoch – die Anordnung der Räume war unmöglich, und ich runzelte verwirrt die Stirn. Der Blick fiel auf einen mit hohen grauen Mauern umfriedeten Innenhof, in dem kein Mensch zu sehen war. Und die Stille schmerzte beinahe. "Warum ist bei Euch alles grau?," fragte ich die Königin, als ich mich wieder zu ihr umwandte. „War das schon immer so, oder hat Meister Gor es so gemacht?“ "Grau ist die wahre Farbe," entgegnete sie, und ich wunderte mich über den Ernst, mit dem sie sprach. "Im Grau verwischen Schwarz und Weiß, und alles wird gleich und angenehm." Ich seufzte auf und mein Blick fiel auf den aufwendigen Goldschmuck, mit dem die Königin sich behängt hatte. Sein Glanz hellte ihre grauen Gewänder etwas auf und ich begriff, daß ihr solchermaßen zur Schau gestellter Reichtum alles war, was sie noch als Königin auszeichnen mochte. "Was wird mit Yalomiro geschehen?," fragte ich. Die Königin schwieg einen Moment. "Alles an ihm ist dunkel und silbern," sagte sie dann. "Er wird sich nicht in das Grau einfügen wollen." Ich nahm allen Mut zusammen. "Wenn das Graue die Wahre Farbe der Leere ist -- warum ist Meister Gor dann rot gekleidet? Und warum trägt er eine Maske?" Die Königin blickte mich verwirrt an. Ich fragte mich, ob sie mir nicht antworten konnte oder wollte. "Meister Gor will das Amulett von Yalomiro," sagte ich leise. "Aber was wolltet Ihr von ihm?"
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Die Königin sank in sich zusammen. Dann wandte sie sich eilig ab, verließ mit wehenden Kleidern den Raum, zog die Tür hinter sich zu. Ich hörte, wie sie von außen mit einem Schlüssel den Raum verriegelte. Ich setzte mich kraftlos auf die Bettkante und begann, zu begreifen daß ich nun die Gefangene einer sonderbaren Königin und des Großen Meisters der Leere war. Und daß mich die Stille der Burg und das völlige Fehlen von Farben um mich an den Rand des Wahnsinns bringen würde. Und ich hoffte von ganzem Herzen, daß Yalomiro eine Lösung einfallen würde.
*
Die Katze schrak aus ihrem traumlosen Schlummer auf und blickte, noch benommen vom Schlaf, aus der sicheren Höhe ihres Ruheplatzes - der Fensterbank eines nicht bewohnten Raumes des Hauptgebäudes - hinunter auf den Hof. Hierhin hatte sie sich zurückgezogen, als der Rotgewandete zurückgekehrt war, und hier hatte sie so lange gewartet, bis die Monotonie ringsum sie wieder ein wenig eingeschläfert hatte. Die grauen Diener, stumm und gesichtslos, führten einen Gefangenen auf den Innenhof der Grauen Burg, der sich weder gegen ihre unsanften Hände wehrte, noch einen einzigen Laut des Jammers oder Protestes hören ließ. Der junge Mann war mit goldenen Ketten gefesselt, die Katze spürte das Metall aus der Entfernung wie Hitze eines weit entfernten Feuers. Meister Gor war bei der Gruppe, und suchend blickte der Rotgewandete zu den Fenstern der Burg auf. Auch der gefesselte junge Mann suchte mit bodenlosen, tiefdunklen Augen die Fensterreihen ab, aber sein schwarzer Blick traf die stechenden Augen der Katze selbst auf die weite Distanz und ließ sie nicht los. Erstaunen stand in seiner Miene. Die Katze starrte auf den schlanken jungen Magier in den nachtschwarzen Gewändern. Und er musterte mit scharfen Augen die dreifarbig gescheckte Kätzin im Fenster. Bruder!, durchfuhr es die Katze wie ein Schlag, und sie richtete sich aufmerksam auf. Der Magier verstand. Instinktiv unterdrückte er einen Laut der Überraschung, wandte sich dann von der Katze ab und folgte den Blicken des Rotgewandeten. "Unkundige," rief Meister Gor schließlich laut, und fast augenblicklich tauchte in einem der Fenster ein nicht grau, sondern mondweiß gekleidetes Mädchen auf. Der schwarz gekleidete junge Mann richtete seine volle Aufmerksamkeit auf sie, und die Katze spürte plötzlich eine Emotion von ihm ausgehen, die sie nicht begriff, und die sie verwirrte. Doch überraschender Weise strahlte http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga das Mädchen ein ganz ähnliches Gefühl ab, wie die Katze sogleich bemerkte. Sie begriff, daß zwischen dem Magier und der Unkundigen eine Verbindung bestehen mußte. Neugier überkam die Katze. "Schaut Euch gut an," sagte Meister Gor, nicht laut, aber durch die Stille drang seine Stimme in jeden Winkel der Burg vor, "ihr werdet Euch lange Zeit nicht sehen." Dann gab er seinen Dienern ein knappes Zeichen, und sie zerrten den schwarz gekleideten Mann wieder fort, über den Hof durch ein anderes Tor Innere der Burg. Aber die Katze fing noch einen flüchtigen Blick aus den dunklen Augen auf, und einen nebelhaften Gedanken, den das Gold nicht zerbrechen konnte. Die Unkundige ist meine Gefährtin, klang die Stimme des Schattentänzers wie von weit fort in der Seele der Katze. Aramau spähte zu den Fenstern hinüber, prägte sich ein, hinter welchem sich die Unkundige befand. Erst dann erlaubte sie es ihren jagenden Gedanken, sich zu ordnen. Doch nur neue Fragen erwuchsen ihr daraus, und Verwirrung rang mit Erstaunen, Furcht und Hoffnung.
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Es kostete Yalomiro übermenschliche Anstrengung, jeden Gedanken an die dreifarbige Katze aus seinem Geist zu verbannen. Das Gold vermochte zwar seine Gedankensiegel nicht zu zerbrechen, aber er war sich nicht sicher, ob Meister Gor nicht doch über ein Mittel verfügte, ihn zu belauschen. Doch Meister Gor interessierte sich nicht für Gedanken an Katzen. Er brannte darauf, Yalomiro anderes zu entlocken, und er wußte, daß es nicht leicht sein würde, den jungen Zauberer zum Reden zu bringen. Und schon gar nicht, ihn auf seine Seite zu ziehen. Das hatte sich als schwieriger erwiesen, als der Rotgewandete jemals für möglich gehalten hätte. Er hatte Yalomiro, weit unter die kalte graue Erde des Toten Landes hinab bringen lassen, in die tiefsten Kellergewölbe der Burg. Dort, wo es finster und kalt war, und ein Labyrinth von Gängen jeden Gedanken an eine erfolgreiche Flucht lächerlich machte. Ein Labyrinth, das einmal die ganz gewöhnlichen Kellerräumlichkeiten einer ganz gewöhnlichen Burg gewesen waren, die Meister Gors Magie in ein übersteigertes verworrenes Geflecht von Gängen und Kammern transformiert hatte. Yalomiro bemühte sich um Würde und man merkte ihm seine Furcht nicht an, als ihn die grauen Diener mit goldenen Handfesseln an die trockene, aber kalte kahle Wand seines Verlieses ketteten. Aus dieser erhöhten Position blickte er starr auf Meister Gor hinab, der damit beschäftigt war, mehrere Fackeln in der Zelle anzubringen, die trübes Licht in ein Gewölbe warfen, das weder nach Staub und Schmutz noch nach Moder roch. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Meister Gor winkte den Grauen Dienern, sich zu entfernen und näherte sich dann Yalomiro. Meister Gor verschränkte die Arme und betrachtete Yalomiros Lage zufrieden. "Was nun?," fragte Yalomiro schließlich. „Was soll mit mir werden?“ Meister Gor zuckte die Achseln. "Es liegt an dir, wie es nun weitergeht. Ich habe Zeit." Yalomiro schloß müde die Augen. "Ihr wißt, daß ich Euch das Zeichen nicht ausliefern will." Meister Gor nickte. "Das willst du jetzt nicht. Aber vielleicht gelingt es mir, dich umzustimmen?" Yalomiro lachte leise auf. "Ihr seid Euch in Eurer Sache sehr sicher, Meister Gor. Zu sicher." Meister Gor lächelte höflich. "Ich habe den Willen Vieler gebrochen, Yalomiro. Den von Kundigen und den von Unkundigen." Yalomiro schüttelte den Kopf. "Ich habe Eure Werkzeuge gesehen, Meister Gor. Aber Ihr vergeßt, daß Ihr mich nicht foltern könnt. Ihr dürftet nicht riskieren, mich zu verletzen." Meister Gor blickte lauernd zu ihm auf. "Es wäre sinnlos, deinen Schattentänzerkörper zu nutzen, um dich zur Vernunft zu bringen. Aber vielleicht hat die Unkundige keine Kraft, die sie vor Schmerzen schützt? Wieviel von meinen Mitteln kann ein unkundiger Körper ertragen?" Yalomiro zuckte zurück, und Meister Gor lachte. "Da ist es schon wieder, dieses Gefühl, daß du noch nicht so recht begreifst, das aber schon Gewalt über dein Denken und Handeln gewonnen hat. Ich sehe, womit ich dich verwunden kann, Yalomiro. Außerdem finde ich es auch interessanter, deine Seele zu fragen, was wohl der klügere Weg ist." Yalomiro erschauerte. Doch seine Augen glommen mit einem zornigen silbrigen Schimmer auf. "Ihr habt kein Recht dazu! Die Unkundige gehört nicht hierher, und Ihr solltet Euch hüten, sie anzutasten." "Du liebst," sagte Meister Gor knapp. Yalomiro zögerte. "Ich bin ein Schattentänzer," sagte er. "Ich kann nicht lieben." Meister Gor lachte erheitert. "Armer Yalomiro - die Liebe hat dich bereits völlig verschlungen, und du willst es nicht begreifen. Du liebst die Unkundige so sehr, wie du mich haßt. Niemand hätte es je für möglich gehalten, aber mit dir wurde der erste Schattentänzer geboren, der lieben und hassen kann. Das, Yalomiro, war das Zeichen in deinen Augen, das ich erkannte, und das war der Grund, warum dein Meister dir mehr vertraute als jedem anderen deines Kreises." Yalomiro spürte, daß Meister Gor nicht log. Und eine Art von Entsetzen erfaßte ihn, das ihn verwunderte. "Das ist Liebe?", fragte er leise. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Meister Gor nickte. "Das ist die Kraft, die du in dem Mädchen spürst, und das ist die Kraft, die du erwidern willst. Laß dich warnen Yalomiro -- es ist eine Magie, die die übertrifft, mit der du vertraut bist." Meister Gor schwieg und beobachtete die Wirkung seiner Worte auf Yalomiro. Der brauchte einige Zeit, um völlig zu verstehen. "Das ist eine gute Magie," sagte er dann leise. "Ich hatte gehofft, daß sie in mir erwachen würde, damals, als Ihr in mir den Haß wecktet. Aber ich hatte nicht erwartet, daß sie so mächtig und ewig ist -- und daß sie durch die Unkundige kommen würde." "Es ist eine gefährliche Magie," sagte Meister Gor fast sanft. "Du siehst, was sie aus dir gemacht hat. Du bist in meiner Gewalt, und ich weiß, daß ich deine Seele berühre, wenn ich die Unkundige antaste. " Er näherte sich Yalomiro, blickte mit farblosen Augen in den Silberschimmer und fügte mit leiser, beschwörender Stimme hinzu: "Entsage der Liebe und folge mir, Yalomiro. Du bist stärker als dein Volk, und du weißt, daß du an meiner Seite zu höherer Macht aufsteigen kannst. Folge dem Haß, Yalomiro, und bringe mir den Mondstrahl. Ich werde dich zum Dank zu meinem Schüler machen." Yalomiro spürte die Kälte, die Meister Gors Aura ausstrahlte und wich zurück. "Nein," entschied er. "Die Unkundige ist eine bessere Meisterin. Und ich werde nur ihr dienen und ihr folgen." "Aber wieso?", rief Meister Gor aufgebracht aus und wandte sich ab, schritt eilig durch die Zelle und blieb stehen, Yalomiro den Rücken zukehrend. "Ihr seid der Herr der Leere," antwortete Yalomiro. "Sie ist die Meisterin der Wärme und des Vertrauens. Ich bin ein Diener der Nacht und des Lebens. Ihre und meine Magie widerstreben der Euren." Meister Gor lachte tonlos. "Ich könnte sie zerbrechen, Yalomiro, und es würde mich keine Mühe kosten." Yalomiro schauderte, denn er spürte, daß Meister Gor ernsthaft darüber nachdachte. "Es ist keine Herausforderung für Euch, ein unkundiges Wesen zu zerbrechen," sagte er dann tapfer. Meister Gor nickte. "Das brauche ich nicht, Yalomiro. Wenn du zu lange zögerst, wird die Leere sie durchdringen, ohne daß ich nachhelfen müßte. So oder so -- ich werde am Ende der Sieger sein. Yalomiro nahm all seinen Mut zusammen. "Nehmt mir die Ketten ab, Meister Gor. Kämpft. Laßt unsere Mächte entscheiden, wer von uns den Sieg davontragen soll." "Sei nicht albern," wies Meister Gor ihn zurecht. "Was versprichst du dir davon, deine lächerlichen Zauberkräfte mit den meinen zu messen? Du würdest
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga rascher unterliegen als dein Meister. Bisher habe ich nur mit dir gespielt, Schattentänzer. Aber ich kann mit meinen Spielzeugen tun, was mir beliebt." Yalomiro sank zurück. "Was habt Ihr mit mir vor?," fragte er dann schwach. Meister Gor schwieg. "Wie gefällt dir die Königin?", fragte er dann unvermittelt. Yalomiro antwortete nicht. Meister Gor lachte leise. "Sie ist mein Geschöpf. Und das, was die Leere aus ihrem Land macht und auch aus deiner Heimat bald gemacht haben wir, ist mein Werk. Das Tote Land war nicht immer so, Yalomiro. Das Tote Land war vor langer, langer Zeit ein blühendes, fruchtbares Land, ähnlich deinem Olivenwald. Es war die Ebene, und sie war Kiana, die Thronerbin und Herrscherin eines zufriedenen Volkes. Aber jene Königin war unzufrieden. Ich bot ihr den Beginn meiner Macht, und sie nahm mich auf, für ein kleines Geschenk. Die Leere ging auf und wuchs, bis sie das Land erstickte. Und ich werde nicht eher ruhen, bis die Leere überall ist. Hast du gehört, wie ich sie anrede? 'Herrin', nenne ich sie, und ich glaube, sie glaubt selbst, meine Herrin zu sein. Sie ist so eitel – und so dumm." "Was ist das für ein Geschenk gewesen?", fragte Yalomiro, "wofür hat sie ihre Seele und ihr Reich aufgegeben? Was brachte sie dazu, Euch zu vertrauen?" Meister Gor schwieg. "Du willst wissen, was ich mit dir vorhabe?," sagte er dann sachlich. "Ich werde es dir sagen, Yalomiro: schwach sollst du werden. Und wenn du endlich bereit sein wirst, mir zu gehorchen, dann sprechen wir uns wieder." Yalomiro blickte ihn mit unbewegtem Gesicht an, als Meister Gor die erste Fackel aus ihrer Halterung nahm und mit einem knappen Wink seiner Hand auslöschte. Mit jeder Fackel, die Meister Gor löschte, wurde es dunkler in der Zelle, und Yalomiro begriff. Entsetzen überkam ihn mit Macht. "Nein," entfuhr es ihm, "bitte, Meister Gor ... das könnt Ihr nicht machen!" Meister Gor lachte böse. "Das Gold allein wird dich nicht umstimmen," sagte er. "Aber ich kann die Flamme deiner Magie auch auf andere Weise zum Verlöschen bringen. Und wenn du erst einmal dort bist, wo ich dich haben will, wenn du mir keinen Widerstand mehr leistest und bereit bist, mir zu dienen -- dann sollst du deine Meisterin wiedersehen." Seine Augen wurden hart und grausam. "Verhungern sollst du, Schattentänzer," zischte der Rotgewandete. "Und ich habe Geduld." Und er ergriff die letzte Fackel, winkte Yalomiro einen spöttischen Abschiedsgruß zu und verließ mit der Fackel die Zelle. Die schwere Tür fiel krachend ins Schloß. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Nacktes Entsetzen überkam Yalomiro, als sich völlige Schwärze, Kälte und Leere um ihn legte. Und Stille, die so vollkommen war, daß sie ihm Schmerzen bereitete.
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Aramau betrachtete mißbilligend die Königin, die im Thronsaal der Burg saß, nicht auf dem Thron, hinter dem die Kätzin sich verbarg, sondern an einem kleinen Tisch, der in einer Fensternische stand. Vor sich auf der Tischplatte hatte sie den Inhalt von Yalomiros Reisetasche ausgebreitet und betrachtete seine Werkzeuge. Aber Aramau wußte, daß sie die Bedeutung der verschiedenen magischen Steine, Bücher, Schmuckstücke und der schwarzen Violine nicht erfassen konnte. Dennoch: die Kätzin hatte all diese Dinge als Yalomiros Eigentum erkannt, und das gab ihr Gewißheit über das Schicksal ihres Bruders. Wehmütig erinnerte Aramau sich an jene Zeit, in der sie selbst eine Tasche mit magischen Requisiten besessen hatte. Sie schreckte aus ihrer Erinnerung erst auf, als Meister Gor kalt und böse wie immer den Saal betrat. Er begutachtete Yalomiros Schätze kritisch. "Tand", brummte er dann. „Schattentänzerischer Krempel ohne Wert.“ Die Königin blickte auf. "Was habt Ihr entschieden, Meister?" Meister Gor ließ sich bei der Königin am Tisch nieder. "Die Finsternis," sagte er dann. „Ich lasse ihn hungern.“ Aramau schauderte und zog sich behutsam weiter zurück. "Und was geschieht mit der Unkundigen?", fragte die Königin weiter. Meister Gor zuckte die Achseln. "Sie ist Garant dafür, daß Yalomiro uns gehorchen wird. Vielleicht im Augenblick noch nicht -- aber bald." Die Königin nickte mechanisch. "Ihr solltet Euch mit der Unkundigen vergnügen," sagte der Rotgewandete plötzlich sanft. "Habt Ihr Euch nicht seit langer Zeit eine Gespielin gewünscht, die Euch die Zeit vertreibt?" Die Königin blickte auf, und der letzte Hauch eines ehrlichen Lächelns überflog ihr Puppengesicht. "Bietet ihr den Spiegel an," sagte Meister Gor und nahm die Violine in die Hand. "Unkundige können dem nicht widerstehen. Und Ihr werdet eine Freundin gewinnen." Wortlos erhob sich die Graue Königin und verließ eilig den Saal, ohne sich noch einmal nach Meister Gor umzublicken. Meister Gor drehte die Geige in den Händen, und eine böse Erwartung lag auf seinen Lippen.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga *
Lange Zeit hatte ich am Fenster gestanden und in die Leere hinaus gestarrt. Müde und seltsam betäubt von der Stille und beklommen von Angst und Sorge um Yalomiro hatte ich mich schließlich auf das Bett gelegt, starrte nun die graue Zimmerdecke an, und mir war zum Heulen zumute. Als es plötzlich laut an der Tür klopfte, fuhr ich aus meiner dämmrigen Benommenheit auf. "Herein," rief ich, und die Tür wurde aufgeschlossen. Mit starrem Lächeln trat die Königin ein. Hinter ihr folgten zwei graue Diener, die etwas großes, flaches und offensichtlich ziemlich schweres hinein trugen, das mit einem Tuch verhüllt war. Auf einen Wink der Königin stellten sie ihre Last in einer Zimmerecke ab und verließen den Raum so lautlos, wie sie gekommen waren. "Wie fühlst du dich?", fragte die Königin und klang ehrlich und freundlich. "Wo ist Yalomiro?", gab ich zurück, "Was ist mit ihm geschehen?" Die Königin lachte perlend. "Sorge dich nicht um ihn," sagte sie dann. "Meister Gor schont ihn. Zumindest für den Augenblick." Ich blickte zu Boden. "Es ist leer und traurig hier," antwortete ich leise. "Aber der Raum ist bequem und sauber. Ich kann nicht klagen." Die Königin lachte wieder. Ich fragte mich, was sie von mir wollte. "Ich habe eine Überraschung," sagte sie dann und deutete auf das verhüllte Ding. "Ich habe dir etwas mitgebracht. Willst du es anschauen?" "Was ist es?," fragte ich und schämte mich, weil ich doch etwas neugierig war. Aber ich glaube, nach so langer Zeit im völligen Grau wäre ich genauso neugierig über jede andere erdenkliche Kleinigkeit gewesen. Die Königin lächelte, vollführte dann eine übertriebene Geste und zog das Tuch von dem verhüllten Objekt herunter, so, daß ich sehen konnte, was sich unter dem Tuch verborgen hatte. Es war ein Spiegel, ein großer, rechteckiger Spiegel von der Größe einer Schranktür, der unter dem Tuch verborgen gewesen war. Das Glas hatte einen etwas stumpfen Schliff und wirkte bereits etwas blind, und der Rahmen darum war vergoldet und mit schlichten Ornamenten verziert. Die Graue Königin legte mechanisch das Tuch zusammen und blickte mich mit sachlicher Freundlichkeit an. "Ich hoffe, du begreifst, daß wir dir nicht feindlich gesonnen sind", sagte sie knapp. "Wir stehen zu den Worten, die wir geben. Anders als der Schattentänzer." Ich wagte keine Entgegnung, fragte mich jedoch, ob sie von ihren Worten überzeugt war. "Ich möchte dir ein Geschenk machen," fuhr die Königin sanft fort. "Da du inzwischen weißt, daß für mich und Meister Gor andere Werte zählen als für http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga die Unkundigen, wird es dich nicht überraschen, daß es ein ungewöhnliches Geschenk sein wird." Sie legte das sauber gefaltete Tuch auf das Bett und wies mit einer einladenden Geste auf den Spiegel. "Schau hinein," forderte sie mich auf. Ich trat vor den Spiegel hin, und erschrak. Mit einem Male klarte das verblichene Spiegelglas auf, und ich erblickte mich selbst. Aber wie sah ich aus! Vor mir stand ein Mädchen von vollkommener Schönheit. Ich erkannte, daß ich es sein mußte, denn das Spiegelbild war gekleidet wie ich und trug den selben Schmuck. Aber all die Unzulänglichkeiten meines Äußeren, die mich immer schon gestört hatten, und auch jene, die ich stillschweigend zu akzeptieren gelernt hatte, waren verschwunden. Das Bildnis im Spiegel hatte keinen Makel, und es war so, wie ich mir die Schönheit vorstellte. Sprachlos schaute ich auf das Bild im Spiegel. "Was ist das?", fragte ich aufgeregt. Die Graue Königin lachte perlend. "Dieser Spiegel zeigt dich so, wie du gern sein möchtest. So, wie er dich zeigt, kannst du werden -- wenn du es willst. Wenn du dieses Bild werden willst, dann wird das geschehen. Und deine Schönheit wird unvergänglich sein." Ich konnte mich von der Gestalt im Spiegel nicht abwenden. "Das ist ein kostbares Geschenk," sagte ich. "Was verlangt Ihr dafür?" Die Königin lächelte freundlich. "Wie ich schon sagte, es ist ein Geschenk. Und du wärst töricht, wenn du es nicht annehmen würdest." Bewundernd blickte ich mein verzaubertes Spiegelbild an. "Und warum wollt ihr mir das geben?" Die Königin trat hinter mich. Ihr Bildnis veränderte sich nicht im Spiegel. "Ich werde dir etwas sagen, Ujora, und nimm es mir bitte nicht übel -- du bist nicht besonders anmutig und schön. Es ist schade, daß
du mit einem so
fehlerhaften Körper leben mußt." Das tat weh. Sie lächelte fein. "Es ist dein Wunsch, so auszusehen wie dein Spiegelbild. Diesen Wunsch kann ich dir erfüllen. Danach werden sich all die übrigen Wünsche, die du hast, von selbst erfüllen." Ich blickte ihr Puppengesicht im Spiegel an. "Welche Wünsche?" Sie zuckte die Schultern. "Vielleicht gibt es da jemanden, dem du gefallen willst? Jemand ganz Bestimmten?" Ich verstand. Natürlich, ich wollte Yalomiro gefallen, wollte schön und begehrenswert sein und so rechtfertigen, einen Platz in seiner Nähe zu beanspruchen. Aber – welches Interesse konnte sie haben, mir so etwas anzubieten? "Und was muß ich dafür tun?"
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Die Königin blickte zufrieden. "Wen du erst so aussiehst wie dein Spiegelbild, wird es keinen Mann geben, der deiner Schönheit widerstehen kann. Sie werden dir alle zu Füßen liegen. Und du kannst wählen. Doch ich glaube, daß du deine Wahl schon getroffen hast. Nun, zeige dich ihm, und er wird dir gehören. Er wird sich nicht mehr von dir trennen wollen. Er wird sein Herz und seinen Verstand verlieren. Du kannst ihn nehmen, mit ihm machen, was dir beliebt. Nur einen winzigen Gefallen erbitte ich von dir." Ich fürchtete ihre Bitte. Denn ich ahnte, was sie fragen würde. "Er soll für dich den Mondstrahl holen," sagte sie tatsächlich, und ihre Stimme wurde scharf. "Und den gibst du Meister Gor." "Das wird er niemals tun," antwortete ich. Die Königin lächelte dünn. "Doch, Ujora. Er wird alles tun, worum du ihn bittest, um deine Gunst zu erwerben. Und ich frage dich: was ist das Amulett gegen die Erfüllung deiner Träume? Ich mache dir Yalomiro zum Geschenk. Er hat mir deutlich gezeigt, daß er nicht zu mir gehören will, und so brauche ich ihn nicht mehr. Wenn du willst, nimm ihn für dich. Ich versichere dir, ich werde ihn dir nicht mehr wegnehmen. Er wird dir gehören, für alle Zeiten." Ich kämpfte mit mir. Die Königin lächelte. "Ich sehe ein, daß du nachdenken mußt. Ich lasse dich nun allein mit dem Spiegel. Denk über mein Angebot nach. Du wirst erkennen, daß ich nicht lüge. Und es ist ein faires Angebot. Du kannst Yalomiros Leben retten, deine Träume erfüllen und Freundschaft mit mir schließen. Ich glaube nicht, daß du lange zögern mußt." Sie lächelte aufmunternd und verließ dann mit leichten Schritten das Zimmer, und schloß die Tür wieder ab. Ich wandte mich dem Spiegel zu. Und bemerkte, daß ich unfähig war, einen klaren Gedanken zu denken. Ich sah nur die Schönheit vor mir und spürte ein sonderbares Verlangen. Plötzlich aber bemerkte ich die Anwesenheit von jemand anderem im Zimmer. Ich fuhr herum und sah zu meinem größten Erstaunen eine große, magere, dreifarbig gescheckte Katze im Fensterrahmen sitzen, die mich aus großen, grasgrünen Augen anschaute. Es war die Katze, die ich für einen Sekundenbruchteil im Fenster gesehen hatte, als wir die Burg betreten hatten. Ihr Blick irritierte mich. Ich schüttelte verwirrt den Kopf und wandte mich dem Spiegelbild wieder zu. "Wenn du es zu lange anschaust," tönte eine weibliche Stimme mit spöttischem Unterton, "wirst du dich in dich selbst verlieben." Ich schrak in die Richtung der Stimme und sah nur die Katze auf der Fensterbank.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ja," sagte die Katze ungeduldig, " ich bin eine Katze und rede mit dir. Ich hätte gedacht, daß dich eine solche Kleinigkeit nicht mehr erstaunt, nachdem du mit ihm gereist bist." Sprachlos starrte ich auf das Tier, das mit einem eleganten Satz zu mir ins Zimmer sprang und sich hingebungsvoll nach Katzenart dehnte und streckte, bevor es sich würdevoll auf dem Teppich niederließ. "Du brauchst dich nicht zu wundern," seufzte die Katze schließlich ungeduldig, "natürlich bin ich keine echte Katze. Sonst würde ich mich kaum mit dir unterhalten wollen." "Wer ... wer bist du dann?," stammelte ich verdutzt. Das Tier blickte zu mir auf, und ich glaubte, ein hochmütiges Grinsen in ihrem gescheckten Gesicht ausfindig zu machen. "Mein Name ist Aramau," sagte sie. "Ich bin sozusagen eine Schwester dessen, den die Graue Königin dir zum Geschenk machen will." Aramau. Der Name, den Yalomiro bei König Benjus erwähnt hatte. Der Name des Mädchens, nach dem er sich erkundigt hatte. Verwundert kam ich näher und betrachtete das Tier, hockte mich überrascht vor der Katze nieder. "Eine Schwester?" Die Katze stöhnte über mein Unverständnis. "Keine leibliche Schwester, versteht sich. Ich bin Aramau, die letzte Schülerin von Meister Gionar vom Silbernen Wald." Sie schwieg, starrte und sagte dann sehr geduldig, Silbe für Silbe: "Ich bin eine Schattentänzerin. Eine der wenigen, die Meister Gor entgangen sind." Ich begriff, und eine flüchtige Hoffnung keimte in mir auf. "Es gibt mehr von Eurem Volk dort draußen im Toten Land?" Aramau klang plötzlich sehr kleinlaut. "Sie sind nicht mehr hier. Nur ich bin noch da." "Und warum bist du an diesem Ort, Aramau?", fragte ich sie. „Warum bist du nicht im Silbernen Wald?“ Aramau blickte aus rätselhaften Augen. "Das geht dich nichts an," fauchte sie unwillig. "Aber sei froh, daß ich hier bin, in der Nähe von Meister Gor und der Königin. Sonst wärt ihr verloren, du -- und auch Askyns Schüler." "Ich kann ihn vielleicht retten," sagte ich, und fand es gar nicht mehr merkwürdig, mit der Katze zu reden. "Das tust du nicht, indem du den magischen Spiegel anstarrst," wies sie mich zurecht. "Wie kannst du nur ernsthaft über das Angebot der Grauen Königin nachdenken?" Ich sank etwas zusammen. "Hat sie mich denn angelogen?" Aramau lachte freudlos. "Nein, gelogen hat sie nicht. Der Spiegel verleiht dir unvergängliche Schönheit und Anmut. Du kannst jeden Mann an dich binden, den du dir auswählst. Keiner wird dir widerstehen. Aber die Königin hat dir etwas verschwiegen." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Und was?," fragte ich gespannt und verunsichert. "Du wirst niemanden erfreuen können mit deinem neuen Aussehen," zischte die Katze. "Die Zauber des Leeren haben unangenehme Nebenwirkungen. " Ich schaute fragend zu ihr hinab. "Du wirst niemals wieder Freundschaft und Zuneigung empfinden können," fuhr sie bitter fort. "Nur noch Begierde, niemals aber wieder Liebe. Du wirst dem Schmerzen bereiten, der dir verfällt. Deine Umarmungen werden deine Opfer zerbrechen, und deine Küsse werden vergiftet sein. Und doch werden sie sich nicht von dir lossagen können, und sie werden ausgelöscht werden, nur durch deine Gegenwart. Ist es das, was du willst, Ujora?" Ich wich entsetzt zurück. "Ich war nahe daran, nachzugeben." „Abgesehen davon,“ sagte sie brutal, „würde selbst deine neu gewonnene Verführungskraft dich nicht vor Yalomiros Schattentänzer-Fluch schützen. Du weißt doch, daß wir verdammt sind? Daß wir niemals fleischliche Lust ausleben dürfen? Wir würden euch umbringen mit unserer Begierde.“ Ich zog mich einen Schritt zurück, und ein eiskalter Schauder überlief mich. Deshalb also – deshalb das Violinspiel anstelle zärtlicher Liebkosungen. Ich begriff und zitterte. Aramau fauchte abfällig. "Sie reden niemals von den Konsequenzen ihres Tuns," sagte sie traurig. "Und sie verwirren euch." Ich bemühte mich, den Spiegel nicht mehr anzusehen. Aber ich spürte unverändert die Anziehungskraft, die von ihm ausging. "Yalomiro sehnt sich nach dir," sagte Aramau plötzlich. Aufgeregt wandte ich mich der Katze zu. "Hast du ihn gesehen?" "Ich spürte seine Schmerzen," entgegnete sie knapp. "Er ist tapfer und stark, aber sein Geist strebt zu dir, Unkundige. Hüte dich. Die Königin und Meister Gor wissen, daß du seine verletzlichste Stelle bist." Ich erhob mich und trat zum Fenster, blickte in den menschenleeren Innenhof und auf die grauen Mauern gegenüber. Alles hier war farblos -- war die bunte Katze wohl noch niemandem aufgefallen? "Geht es ihm gut?", fragte ich scheu. Aramau seufzte. Vermutlich war es anstrengend für sie, meine unbeholfenen Fragen zu beantworten. "Meister Gor wird sich fürchterlich an ihm rächen," sagte sie. "Und auch die Geduld der Königin ist begrenzt. " "Wie kann ich ihm helfen?," fragte ich leise. Aramau sprang auf den Fenstersims und kletterte dann hinaus, auf eine Zierborde aus plastischen Figuren, die unterhalb der Fenster verlief. "Nicht mit dem Spiegel," knurrte sie, und verschwand elegant auf eine Borte von Dämonenfratzen balancierend. „Warte hier auf mich.“
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Immer noch erstaunt und erschüttert über ihren kurzen Besuch blickte ich der Katze nach. Dennoch war mir, als wäre ich trotz der mürrischen und arroganten Art der Schattentänzerin nahe daran , eine Freundin zu finden.
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Aramau ging nicht weit. Auf der Mauer balancierend umrundete sie das Gebäude, sprang dann durch ein offenes Fenster und erreichte im Inneren des Gebäudes eine Treppe, die sie hinab führte, hinab in die Keller der grauen Burg. Die Treppen führten weit hinunter, tiefer in die Erde hinein als der höchste Turm darüber war. Sie wußte genau, wohin sie gelangen wollte, und ihre feinen Sinne geleiteten sie an ihr Ziel wie ein Kompaß. Vor langer Zeit war auch sie hier gewesen. Als die Treppe endete, fand Aramau einen schmalen Schacht, der den untersten Raum der grauen Burg belüftete. Diesen Weg mußte sie gehen, denn die Tür, die hinab führte, konnte sie als Katze nicht öffnen. Doch wer mochte damit rechnen, daß eine Katze hier hinabschlüpfen wollte? Durch den glatten, engen Schacht kroch Aramau in die Tiefe. Ihr Katzenkörper war ihr dabei sehr nützlich. Und als sie geschmeidig in den tiefsten Raum hinabsprang, machten ihre Pfoten kaum ein Geräusch auf den glatten Steinfliesen. Völlige Dunkelheit umgab Aramau. So nutzten ihr auch ihre scharfen Augen nicht viel. Aber ihre Ohren hörten den leisen Atem. "Bruder?," maunzte sie leise. „Yalomiro vom Schwarzen See?“ Ein überraschtes Schweigen folgte. "Aramau?," wisperte Yalomiro dann rauh durch die Dunkelheit. Aramau ging auf die Stimme zu. "Ich habe dich gefunden," sagte sie zufrieden. "Ich dachte, du seist geflohen," erklang Yalomiros Stimme wieder. "Ich dachte, du seist... dieser König Benjus sagte..." Aramau schwieg. "Das war ich," gab sie dann leise zu. "Ich bin weggelaufen. Aber nun bin ich wieder da." Schweigen. „Aramau,“ flüsterte Yalomiro. „Oh, Aramau...“ Aramau gab ein schluchzendes Maunzen von sich, tat einen geschmeidigen Satz auf ihn zu und machte einen Buckel. Zärtlich streifte sie an seinen Beinen vorbei, aber ihr Rücken reichte gerade bis an seine Knöchel. "Du hast Schmerzen," fuhr sie dann fort. "Und es ist Gold hier." "Ich bin gefesselt," erklärte er leise. "Ich liege in Ketten aus Gold, die meine Magie zurückhalten. Es glüht auf meiner Haut wie Feuer." Aramau ließ sich nieder und horchte in seine Richtung. "Du hast ihnen immer noch nicht gesagt, wo der Mondstrahl ist?" http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro seufzte im Dunkel. "Von mir werden sie es nicht erfahren." "Es kann nicht mehr lange dauern, bis sie auf die Idee kommen, die Unkundige zu benutzen," sagte Aramau. "Sie hat versucht, sie mit einem Maskenspiegel zu bestechen." Besorgnis klang aus Yalomiros Stimme. "Wird sie widerstehen?" Aramau lächelte. "Ich glaube schon," sagte sie. "Aber damit provoziert sie natürlich den Großen Meister und die Königin." Yalomiro gab einen Laut der Verzweiflung und Resignation von sich. Aramau schwieg abwartend. "Ich habe Angst, daß Meister Gor sie verletzt," sagte er. "Ich habe Angst, daß er meine Werkzeuge gegen das Mädchen nutzt." "Du solltest lieber Angst um dich selber haben," knurrte Aramau. "Meister Gor hatte hundert Jahre Zeit, sich etwas Besonderes für dich auszudenken. Versuche, dich selbst zu retten!" "Das kann ich nicht mehr," widersprach er. "Ich fühle für das Mädchen, und ihre Gegenwart bedeutet mir mehr als mein eigenes Dasein." "Du liebst also tatsächlich," sagte Aramau und klang resigniert. "Aber du weißt, wie gefährlich das für uns ist. Ich habe ihr gerade erklärt, daß ihre erzauberte Schönheit Verzweiflung und Verderben für den bringt, der ihr verfällt. Und was sehe ich nun? Einen liebenden Schattentänzer, der verzweifelt in sein Verderben rennt. Und das ganz ohne Magie." Yalomiro mußte trotz seiner Schmerzen lächeln. "Aramau -- ich berührte ihren Geist, und ich fand darin eine Magie, die mächtiger sein könnte, als alle unsere Zauber zusammen. Und ihr Zauber galt nur mir. Sie war bereit, sich selbst aufzugeben, und sie rettete mein Leben." "Rettete sie dich oder deine Sache?," fragte Aramau ungerührt. "Weiß sie, was für dich Liebe bedeutet? Ist sie bereit, das auf sich zu nehmen?" Yalomiro schwieg. Aramau seufzte auf und horchte dorthin, wo sie ihn atmen hörte. "Wie lange wirst du das hier ertragen?," fragte sie dann. Yalomiro zögerte. "Wie lange erträgst du es bereits?", fragte er dann. Aramau zögerte kurz. "Seit hundert Jahren habe ich diesen Körper nicht verlassen." Yalomiro zögerte, und als er wieder sprach, klang seine Stimme rauh. "Meine arme Schwester," sagte er leise. "Warum hast du das getan?" Aramau lächelte traurig. "Ich weiß, was du sagen willst. Ja, Yalomiro, ich habe versucht, mich in einer lebendigen Form vor dem Tod zu verstecken. Ich weiß, sobald ich nun die Form wechsle, werde ich sterben müssen. Aber das ist mir die Sache wert gewesen." Sie stockte, bevor sie weiter sprach. "Als Meister Gor Meister Askyn tötete und dich versteinerte, da bin ich davongelaufen. Ich bin zu Meister Gionar http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga und den anderen gerannt und habe berichtet. Ich habe gedacht, jetzt tun sie sich alle zusammen, und gemeinsam würden die Schattentänzer den Großen Meister vernichten. Aber ich habe mich getäuscht. Als sie hörten, daß der Mondstrahl fort war und der Meister der Leere Meister Askyn ermordet hatte, da reagierten sie nicht wie der Kreis, sondern jeder auf seine Weise. Ich glaube, das war so, weil Meister Askyn sie nicht mehr anführte und sie nicht wußten, wie sie handeln sollten. Einige gerieten in Panik und verließen den Silbernen Wald, auf die andere Seite des Sees. Vielleicht haben sie die Goldene Stadt erreicht, aber ich glaube es nicht, denn die Regenbogenritter griffen nicht ein. Andere flohen auf die andere Seite der Himmelsberge und liefen dort geradewegs in die Leere, nachdem sie das Tal von König Benjus durchquert hatten, ohne die Burg zu betreten. Andere, unter ihnen Meister Gionar und ich, suchten an König Benjus Hof um Hilfe, hofften, die ujoray würden sich der Leere entziehen wollen und wären bereit, uns zu unterstützen. Aber wir wurden verraten." Yalomiro hatte aufmerksam zugehört. "Und dann?" Aramau seufzte tiefbetrübt. "Sie sind tot," sagte sie. "Sie sind unter Meister Gors Zaubern gestorben." Yalomiro schwieg. "Welche Meister leben noch?," fragte er dann. "Welche Meister sind jenseits des Sees, welche sind bei den großen Meistern im Tal?" Aramau schüttelte den Kopf. "Das war vor hundert Jahren, Yalomiro. Die, die überlebt haben, sind längst uralt oder bereits gestorben, falls es überhaupt welche gibt. Ich kenne ihre Schüler nicht, weiß nicht, welchen Mächten die Jungen dienen." Sie seufzte. "Wir beide, Yalomiro, du und ich - wir sind womöglich die letzten des alten Kreises." Yalomiro brauchte einige Minuten, um wirklich zu begreifen, was Aramau da gesagt hatte. "Nein," sagte er dann tonlos. "Das darf nicht sein. So leicht darf Meister Gor nicht siegen. Er kann uns doch nicht einfach so ... so ausgerottet haben." Aramau blickte betrübt in die Schwärze, wo sie Yalomiro vermutete. "Die Schattentänzer sind nicht der erste Kreis, den die andere Seite vernichtet hätte," sagte sie. „Aber diesmal sind die goala’ay zu weit gegangen, und ein Einziger hat einen Kreis zerschlagen.“ Yalomiro sagte nichts darauf. Erst nach einer Weile redete er wieder. "Aber du, Aramau -- wie kommst du hierher?" Aramau lachte bitter. "Ich hatte Glück, Yalomiro. Ich war bei denen, die sich Meister Gor nicht unterordnen wollten. Womöglich kamen wir ebenso hierher wie du, und wie dich hat Meister Gor uns in Ketten gelegt und hier eingesperrt. Seine Macht ist gewaltig, Yalomiro, und ich habe mit angesehen, wie er die Meister tötete, einen nach dem anderen, vor den Augen http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga der Schüler. Und die Schüler nach ihnen. Meister Gionar... er hat ihn mit dem Vergoldeten Wein umgebracht, Yalomiro, tropfenweise hat er ihn dem armen Meister Gionar auf die Zunge geträufelt. Es war gräßlich! Er... er ist so grausam, Yalomiro, er ist genauso unerbittlich und schrecklich, wie die Meister in ihren Überlieferungen über ihren Kreis berichteten. Aber Meister Gor ist echt, er ist kein gruseliger Popanz, mit dem sie kleinen Schattentänzerkindern Angst machen. Alle hat er sie zu Tode gequält." Yalomiro wartete. "Nur dich nicht?", fragte er. Aramau nickte in der Dunkelheit. "Ich hatte unbeschreibliches Glück, Bruder. Nur eine Sekunde lang war ich ohne Ketten, als man mich losband, als die letzte lebende Schattentänzerin. Als das Gold fort war, da wählte ich schnell die Elster, meine Form der Luft. Und entwischte." Sie schüttelte sich. "Meister Gor machte sich nicht die Mühe, mich zu verfolgen, mich, eine Schülerin ohne besondere Mächte." Sie lachte bitter auf. „So unbedeutend und schwach war ich, daß er mich entwischen ließ.“ "Aber warum bist du zurückgekehrt? Warum bist du hier geblieben, wo er dich jederzeit aufspüren könnte?", fragte er verständnislos. Aramau lächelte finster. "Um auf den Tag zu warten, an dem ich die Chance bekomme, den Kreis an ihm zu rächen. Ich wählte die Katze, das Rätsel, die Form, die er nicht durchschauen konnte. Erinnerst du dich? Als wir in Katzenform durch den Wald streiften, zum Zeitvertreib, damals, als er in den Wald kam? Er hat uns nicht durchschaut, damals, und so dachte ich, es wäre eine sichere Verkleidung. Ich verberge mich seit hundert Jahren, lauernd, wartend und bereit, zu handeln." Sie unterbrach sich. "Nun, da du zurückgekehrt bist, war ich voller Hoffnung." Yalomiro seufzte. Und ich enttäusche deine Hoffnung," sagte er dann mutlos. "Denn ich befinde mich in einer ausweglosen Lage." Aramau wandte sich ab. "Noch hat die Leere die Nacht nicht verschlungen," sagte sie leise. Yalomiro antwortete ihr nicht mehr. Und die Katze verstand, daß er nachdenken mußte. "Ich komme wieder," sagte sie leise. "Und ich werde deine Gefährtin beschützen -- wer immer sie sein mag. Ich spüre, daß sie gut ist." Ihre Stimme verklang in der Dunkelheit, als sie sich auf den Weg zurück ans Tageslicht machte.
*
"Du willst den Spiegel nicht?," fragte die Königin überrascht. Ich schüttelte den Kopf. "Nein. Ich glaube nicht, daß es so richtig wäre."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich hatte den Spiegel wieder verhüllt und bemühte mich, nicht mehr in seine Richtung zu sehen. Die Königin seufzte bedauernd und winkte wieder ihre gesichtslosen Diener heran, die den Spiegel forttrugen. Ich stand am Fenster und blickte gedankenlos ins Leere, in der sinnlosen Absicht, irgendetwas Lebendiges zu finden, das sich im Toten Land bewegte. Aber abgesehen von den grau gewandeten, schweigenden Gestalten, die gelegentlich den Hof überquerten, war draußen nichts zu sehen als Grau und Stille. Selbst die bedrohlichen Wolken über dem Land waren bewegungslos am Himmel erstarrt. "Du hättest dem Schattentänzer große Qualen erspart," versetzte die Königin mir einen Stich. "Ich will um das geliebt werden, das ich bin," gab ich zurück. "Und nicht um eine künstliche Maske." Die Königin stieß einen verächtlichen Laut aus. "Du weißt nicht, was dir entgeht." Sie trat neben mir ans Fenster, und ich betrachtete verstohlen ihr makelloses, bildhübsches und doch eiskaltes Puppengesicht. "Yalomiro gefällt Euch," sagte ich dann leise. „Immer noch. Auch, wenn er Euch abweist.“ Die Königin lächelte flüchtig. "Du hast recht. Ich finde immer noch Gefallen an ihm." Ich schwieg und war mit einem Male sehr traurig und mutlos. "Was bedeutet dir Yalomiro, Unkundige," fragte sie dann, "ich meine -- als Mann?" Ich blickte wieder auf den Hof. "Ich habe ihn lieb," sagte ich dann. Die Königin hob die Brauen und schüttelte den Kopf. Aber sie sagte nichts. Schließlich wandte sie sich ab und verließ den Raum, zog die Tür hinter sich zu. Und ich überlegte, was Yalomiro ihr wohl bedeuten mochte.
12.
Angesichts der grauen Leere verging die Zeit schleppend und langsam, die Tage unterschieden sich nicht, und eine deprimierende Monotonie legte sich über die Gemüter derjenigen, die der Leere ausgesetzt waren. Und das schleichende Gift des Leblosen drang durch Lebewesen und Steine. Noch grausamer war jedoch die Leere der Finsternis. Aramau schlich jeden Tag zu Yalomiro, und mit jedem Tage spürte sie, wie sein Körper schwächer wurde, wie die Magie und Kraft in ihm langsam verblaßte, und wie Wahnsinn und Angst sich seines Geistes bemächtigten. In der ersten Zeit hatte sie ihn singen gehört, wenn sie sich dem Verlies näherte, er sang mit leiser Stimme wortlose Melodien aus Trauer, Sehnsucht und Zärtlichkeit, Lieder, die Aramau erschauern ließen und denen sie doch http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga gebannt zuhörte, auch, wenn sie ihre Inhalte nicht verstehen konnte. Doch Yalomiros Gesang verstummte bald, und als sie eines Tages durch den Schacht herabstieg, hörte sie ihn mit lauter Stimme sinnlose Zauberformeln gegen die Ketten und Wände des Kerkers richten, zornig und unheilvoll. Doch das Gold, das ihn fesselte, verhinderte, daß er die Burg zum Einsturz brachte mit den Verwünschungen, die er in die Finsternis schrie, während er an den Ketten riß. Aramau begriff, daß es der Klang seiner eigenen Stimme war, der Yalomiro vor der Leere schützte, ob er nun sang, fluchte oder sinnlose Worte vor sich hinmurmelte. Jeden Tag stieg Aramau danach zu der Unkundigen, die sich als freundliches und gutes Wesen erwiesen hatte, ungeachtet dessen, daß sie bar jeglicher Zauberkraft und magischen Verstandes war. Die Angst und Besorgnis, die Aramau in ihr spürte und die allein Yalomiro galt, rührten die Schattentänzerin. Aber sie brachte es nicht übers Herz, der Unkundigen die Wahrheit darüber zu sagen, wie es um den jungen Magier stand. Sie erzählte ihr von glücklicheren Tagen, vom Leben der Magier im Silbernen Wald, der Zeit, in der die silbernen Ölbäume des Friedens Vögel in ihren Zweigen beherbergt hatten, der Lavendel die Luft mit seinem betäubenden Duft färbte und der schwarze See in der aufgehenden Sonne dalag wie eine Platte reinsten Silbers. Und das Mädchen lauschte dankbar den Worten der Katze, bis die Angst um Yalomiro wieder hervordrang und sie zum Weinen brachte. Aramau war ratlos. Sie konnte das Mädchen niemals lange von dieser sonderbaren Empfindung ablenken, die sie für Yalomiro in ihrem Herzen trug. Als die Schattentänzerin im Katzenkörper an diesem Tag hinabstieg, um ihrem Bruder Gesellschaft zu leisten, war es still in der Zelle. Aramau zögerte, aus dem Schacht hinabzuspringen. Sie tastete nach der Seele des Schattentänzers, spürte jedoch nur Leere. Beklemmung umkrampfte ihr Katzenherz. Gerade wollte sie auf den Boden des Verlieses springen, als sie Schritte hörte, die sich näherten. Sie spürte den Eishauch des Rotgewandeten. Aramau zog sich zurück und spähte mit stechendgrünen Augen zu dem Schall hin. Die Tür der Zelle wurde aufgeschlossen, ein schmaler trüber Lichtstreifen fiel vom Flur hinein. Und Meister Gor trat mit der Königin ein, schloß die Tür hinter sich. Nur eine Kerze aus grauem Wachs führten die beiden mit sich, und die schwache Flamme erhellte Yalomiros leblos zusammengesunkenen Körper, dessen Anblick Aramau erschrocken zusammenzucken ließ. Der junge Zauberer hing immer noch an den Handgelenken festgeschmiedet einige Zentimeter über dem Boden. Sein Kopf war vornüber gesunken, die weiten Ärmel seines Gewandes waren ihm über die Schultern gerutscht, und mit einem Blick erkannte Aramau, wie mager Yalomiro geworden war, die http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Knochen seiner Arme traten unter der Haut hervor. Auch seine übrigen Gewänder schlotterten um seinen Körper. Meister Gor gab der Königin die Kerze in die Hand, trat dann auf Yalomiro zu und griff mit der Hand in die schwarzen Locken, riß Yalomiros Kopf zurück und blickte prüfend in sein Gesicht. Aramau unterdrückte einen Aufschrei, denn Yalomiros sanfte Züge glichen nunmehr einem Totenschädel. Tiefe Ringe lagen um seine Augen, die Wangenknochen traten hohl hervor. Seine Lippen waren leicht geöffnet und entblößten seine weißen Zähne, und sein Gesicht zeigte einen Ausdruck völliger Entkräftung. Nur der noch zarte, dunkle Bart, der ihm in der Gefangenschaft gewachsen war, ließ Yalomiro noch ein wenig lebendig erscheinen. "Ich glaube, so können wir ihn der Unkundigen nicht zeigen," sagte Meister Gor trocken. „Es könnte sie zu sehr erschrecken.“ Yalomiro regte sich schwach, als er die Stimme seines Feindes hörte. Die Königin schüttelte den Kopf. "Und das hat allein die Dunkelheit und Stille vollbracht?" Meister Gor nickte. "Sie müssen weder essen noch trinken, um zu überleben. Aber sie brauchen Licht." Yalomiro schlug matt die Augen auf, schloß sie aber angesichts der Kerze geblendet wieder. Meister Gor lachte leise. "Schau, Yalomiro, ich bringe dir Licht. Lebendiges Licht der Flamme. Du bist doch hungrig, oder?" Yalomiro öffnete langsam wieder die Augenlider. Mit flackernden Augen blinzelte er in die Flamme und schwieg. "Ich werde dir nun jeden Tag eine Kerze bringen," versprach Meister Gor. Yalomiro versuchte, zu sprechen, aber seine Stimme versagte. "Ich könnte dich auch hinaufbringen, ins Freie," fuhr Meister Gor fort. "Aber das Tageslicht würde dich blenden. Und du willst doch nicht blind auf die Suche nach dem Mondstrahl gehen?" "Ich werde Euch den Mondstrahl nicht bringen," krächzte Yalomiro matt. Seine Stimme war rauh. Meister Gors Blick wurde eiskalt. "Du hoffst, zu sterben, Yalomiro, um dich vor deiner Verantwortung zu drücken. Aber ich habe nicht vor, es dir bequem zu machen und dich umzubringen. Nicht, bevor ich den Mondstrahl habe." Yalomiro krächzte. „Ich habe nicht den Wunsch, zu sterben.“ Meister Gor trat nahe an ihn heran. "Du leidest, Yalomiro, und ich werde dein Leid noch vergrößern." "Ich ertrage Eure Torturen," sagte Yalomiro leise. "Beweist Euch das nicht, daß ich stark bin? Daß ich nicht bereit bin, aufzugeben?"
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Meister Gor trat einen Schritt zurück, streckte beide Hände aus und richtete sie auf Yalomiros Fesseln, auf die Handschellen und die über den Boden schleifenden Fußketten. Augenblicklich spannten sich die Goldketten, so als zögen unsichtbare Hände daran. Yalomiro stöhnte gepeinigt auf. "Ich könnte dich vierteilen mit der Kraft meines Willens," sagte Meister Gor, "ich brauche noch nicht einmal Werkzeuge dazu. Zeig mir deine Kraft, Yalomiro -- halte die Ketten zurück." Yalomiro schrie und warf den Kopf so heftig zurück gegen die Wand, daß die Königin erschrocken zurückzuckte und Luft einsog. "Laßt Euch nicht verleiten, Meister," gab sie vorsichtig zu bedenken und trat an Meister Gor heran. "Wenn Ihr seinen Körper beschädigt, wird er das Amulett nicht bergen können." Meister Gor schloß die Fäuste, und nicht nur der Zug an den Ketten hörte auf, auch die Handfesseln lösten sich aus dem Ring und Yalomiro fiel zu Boden, wo er keuchend und kraftlos liegen blieb. "Du hast eine Fürsprecherin, Schattentänzer," sagte Meister Gor verächtlich. "Und ich glaube, du wirst Fürsprache brauchen, um meinem Zorn zu entgehen. Denke darüber nach, ob du mir dienen willst. Und denke darüber nach, wieviel das Mädchen ertragen kann von dem, was du durchmachst." Yalomiro blickte auf und schaute nach der Kerze in der Hand der Königin. "Wie geht es ihr?," fragte er in ihre Richtung. Die Königin lächelte frostig. "Sie ist unverletzt und niemand hat ihr ein Leid getan. Bisher." „Das läßt sich sehr schnell ändern,“ ergänzte Meister Gor. Yalomiro seufzte schwer und schwieg. Kraftlos versuchte er, sich aufzurappeln. Meister Gor trat heftig vor, packte Yalomiro am Kragen und zerrte ihn unsanft auf die Füße. "Meine Geduld endet bald," zischte er. "Entscheide dich endlich!" Yalomiro zitterte unter Meister Gors Berührung. "Ihr laßt mich wählen zwischen dem Ende des Kreises und dem Ende des Mädchens," stieß er hervor. "Seid Euch sicher, Meister Gor, wenn Ihr dem Mädchen ein Leid zufügt, dann werde ich erst recht nicht für Euch auf die Suche gehen. Vielleicht bringt ihr mich dann auch um, aber dann wird das Zeichen verborgen sein. Eure Leere wird sich ausbreiten, aber sie kann nicht ewig herrschen. Es werden andere kommen, stärkere als ich, und Eure Macht wird enden." "Und deine Welt?," fragte Meister Gor lauernd. „Ist die dir denn egal geworden?“
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro schüttelte den Kopf. "Die ist bereits verloren gewesen an dem Tag, an dem ich gezeugt wurde. Denn mit meiner Schwäche bekam das Verderben eine Chance. Meister Askyn hätte mich meinem Schicksal überlassen sollen, bei den Leuten im Dorf. Die hätten mich gleich totprügeln sollen, um dies hier zu vereiteln!" Meister Gor ließ Yalomiro wieder los, und dem knickten kraftlos die Beine weg. Wehrlos lag er vor den Füßen des goala‘ay. "Einige Tage noch," versprach er," dann wirst du bereit sein. Und ich weiß, wie ich dich überzeuge." Er kniete rasch nieder, umschloß Yalomiros Stirn mit der Hand und sprach einige dumpfe Worte. Aramau wandte sich um und kletterte rasch fort. Sie hatte genug gesehen. Und Zweifel überkamen sie. Wie nur sollte sie der Unkundigen berichten, was geschehen war? Yalomiro wand sich, aber er wehrte sich nicht. Anklagend richtete er den Blick auf Meister Gor, als dieser von ihm abließ, die Kerze der Königin abnahm und sich dann anschickte, die Zelle zu verlassen. "Ich bringe dir morgen eine neue Kerze," sagte der Rotgewandete sachlich und stellte das Licht nahe der Tür ab, weit von Yalomiro entfernt. "Du sollst uns nicht ganz verschmachten. Aber denke an das Mädchen." Die Königin folgte Meister Gor, als er die Zelle verließ und hinter sich verriegelte. "Was habt Ihr mit ihm gemacht?", fragte sie interessiert. Meister Gor lächelte. "Ich habe ihm schlaflose Nächte geschenkt," sagte er heiter.
*
An diesem Morgen saß ich allein am Fenster und hatte mein Frühstück vor mir, als ich sah, wie Aramau über den Sims heran balanciert kam, Pfote vor Pfote setzend und offensichtlich sehr in Eile. Sie sprang mit einem geschmeidigen Satz auf das Fensterbrett und von dort mit einer lässigen Bewegung mitten auf den Tisch im Zimmer, zwischen das Geschirr. Beinahe hätte sie dabei eine Kanne zu Fall gebracht, die ich jedoch geistesgegenwärtig auffangen konnte. Aramau schaute sich zwischen Brot und Käse um, schnupperte und ließ sich dann ungerührt vor meinem Teller nieder. "Guten Appetit," knurrte sie zerstreut und begann, sich zu putzen. "Ich bin nicht hungrig," antwortete ich und schob den Teller fort. "Kann ich dir etwas anbieten?" Aramau unterbrach ihre Morgenwäsche und blickte aus durchdringenden grünen Katzenaugen. "Ich danke. Aber das einzig Genießbare hier sind die Mäuse." Ich warf ihr einen entsetzten Blick zu. "Du ißt Mäuse?" http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Aramau lachte grimmig in sich hinein. "Dies ist ein Katzenkörper, nicht wahr?." Sie wurde schlagartig ernst und fügte tonlos hinzu: "Wenn ich das Licht trinken könnte, dann bräuchte ich es nicht zu tun. Ich hasse es." Ich erinnerte mich an Yalomiros silberne Augen, schauderte und betrachtete die dreifarbige Katze verstohlen. "Aber es wird doch auch hier Nacht," sagte ich dann. Aramau nickte. "Noch. Und das ist gut und läßt mich durchhalten. Aber ich kann das Licht nur aufnehmen, wenn ich in meinem Menschenkörper bin. Doch sobald ich die Katze verlasse, wird Meister Gor mich entdecken, egal, wo ich mich verstecke. Also hungere ich lieber, als daß ich mich Meister Gor ausliefere." Ich schwieg, und Aramau schloß bitter: "Seit hundert Jahren lebe ich so. Solange ich in dieser Form bin, bin ich unsterblich. Aber glaube mir, sobald Yalomiro gesiegt hat, werde ich wieder ein Mensch sein, altern, Licht trinken und sterben. Und ich werde meine Freude daran haben." Sie schnupperte nochmals, richtete sich dann auf und wollte sich abwenden, zögerte aber. "Aramau," fragte ich, "was weißt du Neues von Yalomiro? Du bist doch bei ihm gewesen?" Aramau schaute mich nicht an, aber ihre Ohren zuckten nervös. „Wie kommst du darauf?“ „Weil du immer zu ihm gehst. Du weißt, wo du ihn findest.“ "Er stirbt," sagte die Katze dann leise. "Er wird von Stunde zu Stunde schwächer. Meister Gor verlangt eine Entscheidung von ihm." Ich seufzte und schloß hoffnungslos die Augen. "Kann ich ihm helfen?" Aramau schüttelte den Kopf. "Kein Schattentänzer erträgt die völlige Dunkelheit lange. Er wird verhungern, wenn er nicht bald wieder den Nachthimmel spürt. Das Gold bereitet ihm Schmerzen und macht ihn wehrlos." Ich weigerte mich, ihr zu glauben. "Yalomiro hat schon einmal von meiner Kraft genommen," sagte ich, "und er wurde mächtiger als Meister Gor dadurch." Aramau schaute zu mir hinüber und ein Lächeln überflog ihr mürrisches Katzengesicht. "Aber Meister Gor weiß es nun," sagte sie ruhig. "Er weiß, daß du ihn stärken kannst. Er wird es nicht mehr zulassen." Ich blickte lange Zeit zu Aramau hinüber. Aber ich wußte nicht, was ich ihr sagen sollte. "Du mußt dich nicht sorgen," redete sie nach einiger Zeit rasch weiter. "Meister Gor kann Yalomiro nicht sterben lassen. Er ist viel zu gierig danach, das Amulett zu bekommen. Aber nur Yalomiro kann es bergen und ihm bringen."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich versuchte, ihr zu glauben, aber es fiel mir schwer. Ich konnte den Gedanken nicht akzeptieren, daß Meister Gor Yalomiro nur am Leben ließ, weil das Zeichen ihm selbst entzogen war. "Aramau," fragte ich nach einer Weile, "liebst du Yalomiro?" Aramau schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht lieben." Ich nickte. Irgendwie war ich erleichtert über ihre Worte, auch, wenn ich ihr nicht richtig glaubte. Yalomiro hatte sie gewiß sehr gern gehabt, wenn nicht, noch mehr. Nach ihr hatte er sich erkundigt, als wir bei König Benjus waren, und an sie hatte er gedacht. "Ich kann Freundschaft empfinden," fuhr sie fort, "Zuneigung und Vertrauen. Aber ich bin seine Schwester. Du mußt mich nicht als Rivalin sehen." Mir fiel es schwer, Worte zu finden. Irgendwie war mir das Thema unangenehm. "Aber ich," sagte ich, "ich glaube, ich liebe ihn." Aramau kam näher, trat dicht vor mich hin, ohne sich darum zu kümmern, daß sie mit den Pfoten auf meinem Teller stand und blickte mir mit ihren stechenden Katzenaugen tief und prüfend in die meinen. "Ich weiß," sagte sie fast zärtlich, "und ich glaube, das ist das Einzige, was ihn noch am Leben erhält." Sie besann sich, merkte, daß sie sich auf dem Teller befand, zögerte und nahm dann doch ein Stück Käse in ihr Mäulchen, nahm es fort und wollte damit fortgehen. Kaum aber hatte sie auf den Käse gebissen, spuckte sie ihn aus und schüttelte sich vor Ekel. Ich betrachtete diesen unappetitlichen Anblick . "Entschuldige," sagte Aramau heiser und blickte schuldbewußt, "aber es schmeckt widerlich. Es schmeckt ... tot. Staubig und verfault." Ich horchte auf. "Aber ich habe davon schon gegessen. Mir ist nichts daran aufgefallen. Aber ..." Ich nahm eine Scheibe Käse in die Hand, die Aramau nicht angespuckt hatte, nahm meinen Mut zusammen und biß hinein, kaute und schluckte. Aramau beobachtete mich gespannt. "Es schmeckt nach überhaupt nichts," sagte ich dann. "Es hat gar keinen Geschmack. Es ist wie Pappe." Aramau blieb einen Moment lang steif sitzen. Dann nickte sie. "Dann beginnt die Leere bereits, dich zu durchdringen," sagte sie ernst. "Ich fürchte, das wird nur der Anfang sein." Sie stellte die Ohren auf, horchte, sprang dann ohne ein weiteres Wort vom Tisch auf die Fensterbank und verschwand wieder auf dem Sims. Der Schlüssel drehte sich im Schloß der Tür hinter mir, und ich spürte an dem eisigen Hauch, der ins Zimmer fuhr, daß es Meister Gor war, der eintrat. Es war das erste Mal, daß er mich besuchte. "Guten Morgen, Meister," sagte ich tonlos und zitterte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Meister Gor verharrte einen Augenblick verdutzt mitten im Schritt. "Ich grüße dich," sagte er dann, und ich fragte mich, ob er das Wort gut umgehen wollte. Der Rotgewandete kam an den Tisch heran, betrachtete stirnrunzelnd den ausgespuckten Käse und schaute mich unter seiner Maske fragend an. "Ich .. ich muß erkältet sein," log ich, "ich mußte niesen. Und außerdem habe ich heute morgen gar keinen Geschmacksinn." "Das ist keine Erkältung," entgegnete Meister Gor ungerührt. "Das sind die Auswirkungen des Toten Landes auf euch Unkundige. Es beginnt damit, daß ihr nichts mehr schmeckt. Und es wird sich steigern." Ich wollte gar nicht wissen, inwiefern sich die Leere meiner bemächtigen würde und fröstelte unter seiner kalten Aura, bevor ein heißer Schreck mich durchzuckte und für einen Augenblick sogar die Kälte des Meisters verdrängte. Denn nun erst sah ich, daß Meister Gor Yalomiros schwarze Geige in der Hand hielt. Meister Gor lächelte dünn. "Du erkennst sie?" Ich schluckte und nickte dann. "Was habt Ihr damit vor?" Meister Gor legte das Instrument auf den Tisch, den Bogen daneben und blickte mir prüfend in die Augen. Und mir wurde mit einem Male schwindelig, und mein Kopf begann, zu schmerzen. "Was tut Ihr?", stöhnte ich auf. "Ich will wissen, was du mit dieser Geige verbindest, " erklärte er sachlich. „Wehre dich nicht. Ich will deine Erinnerungen schauen.“ Ich begriff, daß er in meine Gedanken eindrang, und ich zwang mich dazu, an banale und unwichtige Dinge zu denken, die mit Yalomiro nichts zu tun hatten. Die Kopfschmerzen wurden immer stärker, je mehr ich mich gegen Meister Gor wehrte. Nervös fragte ich mich, was geschehen würde, sollte ich das Bewußtsein verlieren. Meister Gor lächelte mit einem boshaften Vergnügen. Dann wandte er sich ab, und schlagartig waren die Schmerzen fort. "Du bist stark," sagte er dann anerkennend. „Für eine ujora.“ Ich seufzte lautlos und wünschte mir, er würde wieder gehen. Stattdessen erhob er sich und warf eine einladende Geste in Richtung der Tür. "Bringt ihn mir," befahl er. Ich drehte mich zur Tür um, und sah, wie zwei der grauen Diener Yalomiro heranzerrten und in den Raum schubsten. Bevor ich noch begriff, daß er es wirklich war, hatte er taumelnd den Halt verloren und war zu Boden gefallen, das Gesicht den kalten Steinfliesen zugewandt. Reglos blieb er auf dem Bauch liegen. Seine Hände waren auf den Rücken gefesselt, und der goldene Ring umschloß seinen Hals, wie ein Hundehalsband. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Yalomiro," stieß ich hervor und kniete neben ihm nieder, stupste ihn zaghaft an. Er trug immer noch seine eleganten, schwarzen Magiergewänder, war aber mager und schwach geworden. Als ich ihm das Haar aus dem Gesicht strich, sah ich erschrocken, daß seine sonnengebräunte Haut bleich und irgendwie grau gefärbt war, und als er mühsam die Augen aufschlug, waren diese matt und blicklos. "Was habt Ihr mit ihm gemacht," fragte ich hilflos in Meister Gors Richtung. "Nichts," antwortetete der Rotgewandete ruhig. "Ich habe ihn nicht angerührt. Ich habe ihm nur das Licht entzogen, und ...,“ er trat heran und blickte auf den jungen Magier hinab, " ... ihn vor seine Wahl gestellt. Aber er ist ein trotziger, sturer dummer Junge." Ich strich über Yalomiros unrasierte Wange, zögerte und griff dann nach dem Goldreifen, öffnete rasch den Verschluß. Ich hatte erwartet, daß Meister Gor mich daran hindern würde, aber er ließ es geschehen. Wenn er Yalomiros Magie nicht mehr fürchtet, dachte ich verzweifelt, muß es schlimm um ihn stehen. Yalomiro seufzte erleichtert, als ich das Gold fortnahm und auf den Tisch legte. Dann versuchte er, sich aufzurichten. "Yalomiro," sprach ich ihn nochmals an und wollte ihn stützen. "Schlaf," kam es dann fast unhörbar über seine Lippen. "Schlaf?," fragte ich überrascht. Meister Gor zog einen Stuhl heran und ließ sich nieder. "Ich habe ihn dir nicht herbringen lassen, damit ihr euer Wiedersehen feiert," sagte er sachlich. "Ich habe nun andere Dinge mit ihm vor. Dabei mußt du mir helfen, Unkundige." Ich blickte entrüstet zu ihm auf. "Was immer Ihr von mir verlangt, ich werde Euch nicht dabei unterstützen, ihm weh zu tun." Meister Gor lächelte sein freudloses, kaltes Lächeln. "Das sollst du auch nicht. Im Gegenteil. Ich will, daß du ihm in den nächsten Stunden nahe bist, dich um ihn kümmerst und ihm beistehst. Er soll wieder zu Kräften kommen, damit er bald aufbrechen kann." "Aufbrechen?" Meister Gor nickte. "Zu seiner Suche nach dem Amulett. Es ist an der Zeit für ihn, zu gehen ... und ich kann nicht länger warten. Ich kann es mir nicht leisten, daß er jetzt stirbt, ich kann aber auch nicht warten, bis die Leere ihre volle Wirkung auf dich zeigt. Der Zeitpunkt ist nun gekommen. Ich glaube, er ist so weit." Ich wußte nicht, was ich erwidern sollte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Was sagt Euch, daß er bereit ist, zu suchen?", fragte ich leise. Statt mir zu antworten, griff Meister Gor nach der Geige, setzte sie an und spielte einen Ton darauf, einen einzigen Ton, schrill, laut und unangenehm. Ein brennender Schmerz fuhr über meinen Körper, nahm mir den Atem und ließ mich zusammenzucken. Dann krümmte ich mich wimmernd zusammen und spürte, wie mir Tränen in die Augen traten. Der Klang war gewesen wie ein Stromschlag, heftig und scharf. Yalomiro richtete sich unter großer Mühe auf. Ich konnte mir vorstellen, wie er Meister Gor anstarrte. "Laßt sie in Frieden!," stieß er heiser hervor. Meister Gor lachte böse. "Ich habe sie nicht angefaßt, Schattentänzer, schau her, ich bin mehrere Schritte von ihr entfernt." Er schwieg einen Moment, drehte die Violine in den Händen und betrachtete sie. "Ein interessantes Werkzeug, Schattentänzer. Als ich hörte, daß du aus ihrem Klang eine Treppe gebaut hast, die sogar die Mauer des Schweigens überwinden konnte, dachte ich mir bereits, daß sie vielleicht noch mehr kann." Yalomiro wandte sich mir zu und warf mir einen matten Blick zu. „Es... es tut mir leid, Ujora,“ sagte er tonlos. Ich schluckte Schmerz und Scham vor Meister Gor und erwiderte seinen trüben Blick. "Du hast diese Geige geformt um der Unkundigen zu gefallen," fuhr Meister Gor fort. "Ihre Töne können zärtlich sein und streicheln. Das sind deine Lieder, Yalomiro. Aber nun habe ich das Instrument. Und wer weiß schon, wie der Unkundigen meine Melodien gefallen werden?" "Ich habe die Geige nicht für die Kräfte Eures Kreises geformt," sagte Yalomiro zornig. "Meine Melodien sind lebendig und gut. Wenn Ihr sie mißbraucht, dann werdet Ihr die Geige zerstören ... und dann wird sie Euch zu keinem Zweck mehr dienlich sein." Meister Gor lachte spöttisch, erhob sich und verließ wortlos mit der Violine den Raum. Wieder schloß er die Tür hinter sich zu. Ich war allein mit Yalomiro -- aber ich war nicht froh darüber. Ich versuchte, die Fesseln zu lösen, aber die Knoten saßen so fest, daß ich ein Messer vom Frühstückstisch zu Hilfe nehmen mußte. Als seine Hände frei waren, war das erste, was er tat, mich zu umarmen und seine Aura um mich zu legen. Doch diese war kaum noch mehr als ein schwaches silbriges Schimmern, und ich erschrak vor seiner Schwäche. "Du brauchst deine Kräfte für dich," wehrte ich ab, "im Moment bin ich nicht in Gefahr." "Doch, das bist du," widersprach er. "Ich spüre, daß die Leere bereits in dir aufkeimt. Du darfst nicht mehr lange hier bleiben."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich fühlte das unsichtbare Silberlicht flackern und dann wie Wassertropfen auf mir abperlen. Yalomiro stöhnte hilflos und nur ein kaum wahrnehmbarer Hauch seiner Kraft blieb um seinen eigenen Körper zurück. "Ich bin müde," sagte er nach einer Weile hilflos. "Ich habe seit Tagen nicht mehr träumen können." Ich stand auf und half ihm dabei, sich zu erheben. Er stützte sich schwer auf mich, als ich ihn die wenigen Schritte hin zu meinem Bett führte, die er nur stolpernd und schleppend bewältigen konnte. Am Lager angekommen, ließ er sich kraftlos darauf fallen und streckte sich mit einer Müdigkeit darauf aus, die mich entsetzte. Er schloß die Augen und atmete fast unmerklich. Ich blieb verunsichert neben ihm stehen, wartete und ging dann zum Fenster, lehnte mich hinaus und blickte mich suchend im grauen Innenhof um. Wieso bist du nicht da, wenn ich dich brauche?, schickte ich Aramau einen ärgerlichen Gedanken, hoffte, sie wäre gerade nun wieder damit beschäftigt, mich auszulauschen und wandte mich dann wieder dem jungen Zauberer zu. Er blickte aus halbgeschlossenen Augen zu mir hin. Um seine Augen lagen tiefe, dunkle Ringe, und sein Gesicht war leichenblaß. "Es ist eine Ironie," sagte er schließlich, "daß er einen Magier der dunklen Seite mit Finsternis strafen kann, nicht wahr?" Ich versuchte, mir vorzustellen, daß Yalomiro tagelang ohne jedes Licht gewesen war und nickte zustimmend, obwohl ich nicht verstand, was es für seinesgleichen bedeutete, tagelang in Dunkelhaft zu liegen. "Es ist keine lebendige Dunkelheit," erklärte er, ohne daß ich zu fragen brauchte. "Ich brauche Schatten, und der Schatten kann ohne lebendiges Licht, Mond und Sterne, nicht sein. Ich brauche die Kräfte der Nacht, und die Nacht ist gut und lebendig. Leere, tote Finsternis ist schmerzhaft. Verstehst du mich?" Ich kam näher, ließ mich neben ihm auf der Bettkante nieder und griff nach seiner Hand. Seine Finger waren kalt und kraftlos. "Warum hat Meister Gor dich hergebracht?," fragte ich. „Ich meine – zu mir?“ Yalomiro schloß die Augen, und seine Finger umschlossen meine Hand. "Ich muß fortgehen. Ich muß ihm den Mondstrahl bringen." Ich schüttelte abwehrend den Kopf. "Das darfst du nicht!" Er seufzte. "Was soll ich tun? Ich habe das Zeichen verborgen, an einem Ort, den er niemals erreichen wird. Ich bin der Einzige, der es finden kann." Ich strich ihm über seine Stirn und bemerkte erschrocken, daß diese im Gegensatz zu seinen klammen Fingern fieberheiß war.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ich bin krank," antwortete er, noch bevor ich die Frage denken konnte. "Ich hätte nicht mehr lange im Dunkel überleben können. Meister Gor weiß, wie er mich überzeugen kann." Ich erinnerte mich an den Schmerz. "Du meinst, er wird mich benutzen, um dich zu erpressen?" Yalomiro nickte schwach. "Solange ich noch ein wenig Magie und Stolz in mir habe, sind mir körperliche Schmerzen gleich. Das weiß er. Sein Gold kann mich verletzen -- doch selbst diese Schmerzen kann ich ertragen. Aber meine Seele ist nun verwundbar. Und das bereitet ihm Vergnügen." Ich schauderte, und Furcht ergriff mich. Meister Gor würde sich also an mich halten, um Yalomiro dazu zu zwingen, ihm das Zeichen zu bringen. Es ließ sich nicht ignorieren. "Aber wenn Meister Gor das Amulett hat," entgegnete ich, "dann ..." "Dann wird die Leere überall sein, das Lebendige verschlingen und alles auslöschen, was Hoffnung hat," antwortete er. "Alles wird werden wie das Tote Land es bereits ist, und alle Wesen so leer und kalt wie die Graue Königin." Diese Vorstellung war grauenhaft. Mir wurde klar, daß ich es wohl eher hätte akzeptieren können, mir ein verwüstetes, zerstörtes Land und versklavte Menschen unter Meister Gors Herrschaft vorzustellen als diese stumme, nichtssagende und leblose graue Leere ringsum. In der Tat: ein despotischer Tyrann wäre mir sympathischer gewesen als ein Mann, der die Wirklichkeit zum Verblassen bringen konnte. Als ich an den Silbernen Wald und die zerfallenden Bäume dachte, an das bleierne Wasser des Sees und die schweigenden Berge, begriff ich, was auf dem Spiel stand, und ich versuchte, tapfer zu sein. "Du darfst dich nicht um meinetwillen dazu zwingen lassen," sagte ich leise. „Du mußt das Zeichen holen und in Sicherheit bringen.“ Yalomiro lächelte freudlos. "Ich für meinen Teil würde mich ohne zu zögern für das Zeichen opfern. Aber bei dir ist es anders. Du bist unschuldig, du hast mit unserer Magie nichts zu tun und hättest nie in diesen Kampf hineingeraten dürfen. Ich bin verantwortlich für all das." "Die Welt außerhalb des Toten Landes ist mehr wert als ich," sagte ich. Sein Gesichtsausdruck wurde ernst und sehr traurig. "Das sagst du nun, und vielleicht hast du Recht damit. Aber das ist deine Meinung. Ich will nicht, daß du für meinen Kampf leidest. Vielleicht gibt es einen anderen Ausweg, der uns allen nützt. Aber um den zu finden, brauche ich das Zeichen. Ich werde es nicht für Meister Gor holen, sondern für dich." Ich schüttelte abwehrend den Kopf. "Nein, Yalomiro. Ich will nicht, daß du diese Gefahr auf dich nimmst. Ich will nicht, daß du durch mich erpreßbar wirst."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Wenn ich es nicht tue," entgegnete er, "dann wird Meister Gor seinen Zorn an dir auslassen. Und selbst wenn ich demgegenüber gleichgültig bleibe, unbestechlich und kalt, wird er andere Mittel finden, mich zu zwingen. Vielleicht erst in vielen Jahren, aber früher oder später wird es ihm gelingen. Er ist mächtig, unglaublich machtvoller als ich es wäre, selbst, wenn ich meine vollen Kräfte hätte. Es hat keinen Sinn, es aufzuschieben. Ich muß das Amulett bergen und auf eine Lösung hoffen." Ich schwieg ratlos. "Ich will nicht, daß er dich verletzt," sagte Yalomiro plötzlich. "Dein Schmerz verletzt mich mehr als alles Gold der Welt." Ich schloß die Augen und fühlte mich klein und schuldig. "Ich muß ausruhen," sagte er nach einer Weile. "Sobald ich wieder bei Kräften bin, muß ich aufbrechen und meine Suche zu Ende bringen." Ich nickte und wußte, daß ich ihn doch nicht von seinem Plan abbringen können würde. "Ich bleibe bei dir. Schlafe ruhig." Yalomiro nickte schwach, richtete sich dann mit letzter Kraft nochmals kurz auf. Ich ließ zu, daß er sein Haupt auf meinen Schoß bettete, sich an mich schmiegte und binnen weniger Augenblicke fest eingeschlafen war. Er zitterte im Traum und erwachte auch nicht, als ich ihn mit seinem eigenen Mantel zudeckte und sacht begann, ihn zu streicheln. Eine seltsame Zärtlichkeit überkam mich, und der Wunsch, Yalomiro bei mir zu halten und ihn zu beschützen wurde übermächtig. Er wirkte mager und zerbrechlich, und er schien sich auf eine unbestimmte Art zu fürchten. Aramau räusperte sich, und ich sah sie im Fensterrahmen sitzen, als ich aufblickte. Ob sie schon längere Zeit da gewesen war, vermochte ich nicht zu sagen. "Aramau," flüsterte ich, und sie hüpfte ins Zimmer und kam eilig heran. Mit einem Satz war sie aufs Bett gesprungen, näherte ihre Schnauze Yalomiros Gesicht und nickte dann besorgt. "Wir müssen unsere Kraft mit ihm teilen," sagte sie dann sachlich, atmete tief ein und setzte dann plötzlich beide Samtpfötchen auf seine Stirn. Einen Moment lang verharrte sie erstarrt, dann entfuhr ihr ein Laut wie ein kleiner Entsetzensschrei. Aber sie verstummte sofort wieder, schloß die grünen Augen und atmete fast lautlos. "Was ist los?," hauchte ich fragend. Aramau wandte sich in meine Richtung. Aber ihre Augen blieben geschlossen. "Seine Träume ängstigen mich, " sagte sie beherrscht. Ich fuhr fort, seinen leblosen Körper zu liebkosen. "Warum?," fragte ich. Aramau schüttelte den Kopf. "Sie sind voller Wahnsinn," antwortete sie rätselhaft. Mir wurde kalt.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga *
Als die Graue Königin ihren Audienzsaal betrat, fand sie Meister Gor auf ihrem Thron sitzend vor. Die Geige lag in seinem Schoß, und er hatte die Hände um die Lehnen des Thrones gelegt und saß ehrfurchtgebietend und mächtig da. Als sie eintrat, wandte er sich ihr ohne großes Interesse zu. Die Graue Königin warf ihm einen kurzen Blick zu und war sich nicht sicher, ob sie es wagen konnte, ihn zu tadeln, daß er sich ihren Platz anmaßte. "Wie geht es dem Schattentänzer?", fragte sie schließlich. "Er schläft nun," entgegnete Meister Gor ruhig. "Aber ich glaube nicht, daß er besonders gut träumt." Die Königin lächelte höflich. "Und ihr wißt natürlich um seine Träume?" Meister Gor lachte tonlos. "Er ist zu schwach, um lautlos zu träumen. Aber ich bin sicher, eher als Ihr es für möglich haltet, wird er aufbrechen, um den Mondstrahl zu holen." Die Königin trat näher und blickte in Meister Gors schwarze Maske. "Glaubt Ihr das wirklich?" Der rotgewandete Magier nickte ernst. Die Königin warf ihm einen zufriedenen Blick zu. "Dann wird alles so werden, wie es sein soll. Die Kräfte des Lebendigen Lichtes werden der Leere und dem Nichts dienen, und alles wird gut werden." "Und Ihr werdet herrschen," fügte Meister Gor hinzu. "Ja," antwortete die Königin. Dann fiel ihr Blick auf die schwarze Geige. "Was ist das?" Meister Gor zuckte die Achseln und betrachtete das Instrument einige Zeit. "Vielleicht ist es der Schlüssel zu einer ganz neuen Macht," sagte er dann knapp.
*
'Du gehörst mir, Schattentänzer,' sagte die Königin, und in ihrer Miene lag eine unbeschreibliche Mischung aus Verführung und Haß. 'Du gehörst mir, wie sie alle mir gehört haben, und du wirst mir gehorchen.' Yalomiro fühlte Panik und Verzweiflung in sich aufsteigen, aber er war unfähig, sich zu bewegen. 'Ich werde Euch niemals gehören,' widersprach er verängstigt. 'Geht fort von mir! Ich kann Euer Begehren nicht verstehen!' Die Königin lachte ihr helles, perlendes Lachen, und er war wie erstarrt. Meister Gor kam auf ihn zu, das Mondstrahlamulett um den Hals, einen Hammer und etwas Goldenes in der Hand, gekleidet wie ein Schmied mit einer roten Schürze.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro blickte ihm verwirrt entgegen, und namenlose Furcht lähmte seinen Verstand. 'Ihr habt ein prächtiges Pferd,' sagte Meister Gor, 'laßt mich es beschlagen!' Yalomiro blickte an sich hinab und erkannte, daß er sich in der Form des Pferdes befand. Er konnte sich nicht daran erinnern, diese gewählt zu haben, und er erschrak, als Meister Gor nach ihm griff. Die Königin kam hinzu und faßte mit beiden Händen in die üppige schwarze Mähne des Schattenhengstes. 'Ein schönes Pferdchen, ein braves Tier,' sagte sie in einem Ton, als spräche sie zu einem kleinen Kind. 'Nein!', schrie er und wollte sich von ihr losreißen. Aber die Kräfte der Grauen Königin waren gewaltig, sie riß den schwarzen Hengst bei der Mähne zu Boden und drückte seinen Hals auf den spiegelglatten, kahlen Erdboden. 'Laß dich beschlagen, Pferdchen,' spottete die Königin und tätschelte sein Gesicht, 'du gehörst uns und wirst uns gehorchen!' Yalomiro schlug und kickte um sich, und die scharfen Hufe des Schattenhengstes hätten jedem, der ihm zu nahe kam, die Knochen zerschlagen. Aber Meister Gor war gewandt, griff zu und nagelte das erste goldene Eisen kalt und schmerzend fest. Yalomiro stöhnte und versuchte, sich aufzurichten. 'Gnade,' flehte er und schämte sich, vor der Königin Schwäche zu zeigen, 'hört auf! Wenn Ihr mich beschlagt, werde ich den Pferdekörper niemals verlassen können!' 'Das sollst du auch nicht, Schattentänzer,' gab Meister Gor zurück, und seine Hammerschläge klangen dumpf und düster durch die Leere, 'du wirst für ewige Zeiten ein Pferd bleiben, unsterblich und unser Sklave. Du wirst die Königin durch ihr neues Reich tragen, durch ein endloses Reich ohne Grenzen. Und du wirst niemals zur Ruhe kommen.' Yalomiro wimmerte nur noch, als Meister Gor das vierte Hufeisen befestigte. Dann ließ die Königin ihn los, und er rappelte sich auf. Das Gold brannte an seinen Füßen, und das Stehen wurde zu einer Qual. Meister Gor nickte mit einem bösen Grinsen auf den Lippen und holte aus dem Nichts Sattelzeug hervor, warf einen schweren Sattel auf Yalomiros Rücken und preßte ihm mit einer raschen Bewegung eine Trense ins Maul. Alle Metallteile des Sattelzeuges waren aus Gold, und Agonie raste durch den Körper des Pferdes. Meister Gor hob die Königin in den Sattel, und die Graugewandete hieb mit einem puppenhaften Lächeln auf den Lippen Sporen aus Gold in die Rippen des Hengstes, und Yalomiro rannte, von Schmerz und Schrecken getrieben.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga 'Lauf, Pferdchen, schneller!', hörte er die Stimme seiner Reiterin, 'bring mich zu den Grenzen meines Reiches!' Wieder und wieder bohrte sich das Gold in das seidenschwarze Fell, und Yalomiro rannte um sein Leben, mit dem Wissen, die seelenlose Frau niemals abwerfen zu können. Hohl klang der Schlag seiner Hufe auf dem toten Erdboden, begleitet nur vom perlenden Gelächter der Königin, die begann, den Schattenhengst zu Tode zu hetzen.
*
Yalomiro wand sich im Schlaf, zuckte und schrie. Aramau nahm ihre Pfoten von seiner Stirn, und ich hörte erschrocken auf, ihn zu streicheln. "Yalomiro," rief ich leise, aber Aramau schüttelte hastig den Kopf. "Du darfst ihn nicht wecken," gebot sie mir. "Es ist gut, daß er schläft, und auch, wenn seine Träume ihn ängstigen, es ist gut, daß er Träume hat." Ich blickte fragend. "Unsere Träume sind anders als eure," erklärte sie und legte die Pfoten wieder auf seine Stirn. "Aber ich kann es dir nicht erklären. Unsere Träume sind Botschaften der Lebendigen Kräfte, unserer Vorfahren und Ahnen. Er wird erfahren, was er zu tun hat."
*
Yalomiro befand sich allein in der großen Leere. Er war ein Mensch und blickte an sich hinab. Er trug neue Gewänder, viel kostbarer und würdevoller als sein normales Gewand, hielt die Geige in Händen, und an einer Kette um seinen Hals sah er das Mondstrahlzeichen. Verwundert griff er danach und spürte Macht davon ausgehen, gewaltige Macht und Kraft, eine Magie, die vernichten und erschaffen konnte, was und wann er nur wollte. 'Es gehört mir,' dachte er überrascht, 'ich bin der Hüter des Mondstrahles.' Er blickte sich um und sah in einiger Entfernung das Mädchen sitzen und ihm entgegen blicken. Er lächelte und ging auf sie zu. Sie blickte ihm abwartend in die Augen. "Ihr habt Euren Kampf gewonnen, Meister Yalomiro," sagte sie ruhig. Er lachte verlegen. "Du mußt mich nicht mit 'Meister' anreden. Ich bin immer noch der selbe wie vorher." Sie erwiderte sein Lachen nicht. "Seid Ihr Euch sicher, Meister Yalomiro?" Verwirrt schaute er sie an. Ihre Miene blieb ernst und reglos dabei. Er biß sich auf die Lippen.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ich liebe dich," sagte er dann hilflos, ohne den Sinn dieser Rede zu begreifen. Das Mädchen schüttelte den Kopf. "Ihr seid jetzt ein Schattenmeister. Ihr könnt nicht lieben, mit Eurer halb geformten Seele." Er kniete vor ihr nieder und versuchte, in ihre Augen zu blicken, aber sie wich seinem Blick aus. "Es sind Gefühle für dich in meiner Seele," sagte er leise. Sie blickte zu Boden. "Nicht die richtigen. Aber ich gehöre Euch, wenn Ihr mich begehrt." Yalomiro sprang auf und Furcht breitete sich in ihm aus. "Was ist mit dir geschehen? Warum fühle ich in deinem Geist keine Wärme mehr für mich?" Sie richtete sich auf und kehrte ihm den Rücken zu. "Ich bin unverändert," sagte sie tonlos. "Ihr seid derjenige, der sich verändert hat." Yalomiro zögerte und griff dann nach der Geige, die er bei sich trug. "Hör mir zu," flehte er, "ich werde für dich spielen. Ich will dir beweisen, wie sehr ich dich liebe." Er setzte das Instrument an und begann, eine seiner Melodien zu spielen, ein Lied, das zärtlich und sanft sein sollte. Aber der Geige entklangen nur schrille, unangenehme Töne, mißtönend, scheußlich und schief. Ungläubig hörte und sah er, daß der Klang der Geige, der sonst so klare und reine Klang sich seinem Willen widersetzte. In den Mißklang der Geige mischten sich die Schreie des Mädchens. Sie lag am Boden, krümmte sich vor Schmerzen und wimmerte und schrie vor Qual. "Nein," stieß sie hervor, "hört auf! Ich flehe Euch an, haltet ein!" Aber er konnte es nicht, er war nicht fähig, sein Spiel zu unterbrechen. Sie weinte, flehte um Gnade und wand sich unter unsichtbaren Händen. "Ich kann nicht!", rief er verzweifelt und konnte nicht verhindern, daß die Geige seinen Körper in ihre Gewalt brachte. Das Mädchen schrie, und hilflos sah er ihren Schmerzen zu. Da stand plötzlich Meister Gor neben ihm und blickte auf das Mädchen hinab. "Du besitzt nun den Mondstrahl," sagte er ungerührt und beobachtete, wie sich gegen das Instrument zur Wehr setzte und dagegen ankämpfte. Aber seine Hände schienen mit Bogen und Griff verwachsen zu sein, und das Instrument gehorchte ihm nicht. Das Mädchen stöhnte, trat um sich und weinte herzzerreißend. "Was soll ich tun?", rief Yalomiro entsetzt. „Gebt mir einen Rat, Meister Gor!“ "Du besitzt nun den Mondstrahl," wiederholte Meister Gor und lächelte böse. "Armer Schattentänzer. Du willst ihr deine Liebe zeigen, aber nun schändest du sie mit deinem Lied. Es scheint mir fast so, als würden deine Kräfte nicht mehr deinem Willen gehorchen. Ist es das, was du mit dem Mondstrahl vorhast?" Er lachte leise und streckte die Hand aus. "Gib ihn mir!" http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro starrte ihn fassungslos an und schüttelte den Kopf. "Nein, Meister Gor. Nicht Euch!" "Du kannst seine Macht nicht kontrollieren," sagte Meister Gor. "Du wirst damit nur zerstören, selbst, wenn du Gutes willst. Ich aber bin die Vernichtung, und so kann ich ihn gebrauchen und beherrschen. Gib ihn mir! Du hast verloren." Yalomiro wich vor ihm zurück, und immer noch erklang das pervertierte Lied seiner Zärtlichkeit. Das Mädchen schrie immer noch -- und verstummte plötzlich. Im selben Moment zerbrach der Bogen der Geige in Yalomiros Hand. Er warf Bogen und Geige von sich und war mit wenigen Schritten an der Seite des Mädchens, kniete neben ihr nieder und blickte auf starre, schmerzverblendete Augen. Sie atmete nicht mehr. Yalomiro hob sie auf, drückte sie an sich und weigerte sich, zu begreifen. "Sie ist tot," sagte Meister Gor unbarmherzig. "Du hast sie zu Tode geliebt mit deiner Melodie." Yalomiro blickte auf sie hinab und bebte vor Verzweiflung. Meister Gor trat hinter ihm und riß ihm mit einer raschen Bewegung das Amulett vom Hals. Yalomiro wehrte sich nicht dagegen. .Er spürte, wie seine Wangen feucht wurden. Verwirrt griff er danach. "Ich kann nicht weinen," sagte er dann leise. "Ich bin ein Schattentänzer." Meister Gor lachte schallend. "Nein, Yalomiro ... du bist ein Narr." *
Yalomiro schluchzte im Schlaf auf, und ich fragte mich, was er träumen mochte. Im selben Moment seufzte Aramau zufrieden auf. "Ich habe es geschafft," sagte sie, ließ ihn los und lächelte zufrieden. „Seine Energie umfließt ihn wieder gleichmäßig.“ Ich verstand nicht sofort, aber dann spürte ich, daß Yalomiros Aura dichter und stärker zu werden schien. Silbrige Wärme ging wieder von ihm aus. Ich nickte erleichtert. "Ja, Aramau ... es war gut so." Aramau sprang vom Bett hinab, streckte sich müde und gähnte. "Es war anstrengend," sagte sie und schien auf Lob zu warten. "Was hast du gemacht?," erkundigte ich mich. "Ich habe ihm ein wenig von meiner Magie gegeben," sagte sie und schien zu einer genaueren Erklärung nicht bereit zu sein. "Nur soviel, wie er brauchte, um seine eigene Aura zu stärken. Nun wird er ruhiger schlafen." Ich nickte ihr dankbar zu. "Das ist gut." Aramau seufzte und begann wieder, sich zu putzen. "Nein, das ist nicht gut. Sobald Yalomiro wieder stärker ist, wird Meister Gor zurückkommen. Und dann werden wir in echten Schwierigkeiten sein -- Yalomiro, du und ich.," http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga murmelte sie undeutlich, während ihre rosa Zunge energisch durch das gescheckte Katzenfell fuhr. Dann erhob sie sich wortlos, warf Yalomiro einen kurzen zärtlichen Blick zu und sprang wieder auf das Fensterbrett. Ohne sich nochmals umzuwenden, kletterte sie fort. Ich war wieder allein mit ihm, und blickte ratlos auf ihn hinab. Er atmete ruhig und kräftiger, und das sachte Gefühl von Silber um ihn herum war wieder deutlich zu spüren.
Yalomiro stand in der Halle des Lebendigen Lichtes. Vor ihm, auf dem Thron, saß Meister Askyn, würdevoll und ernst. Zwischen ihnen, auf dem Boden, stand die Schatulle, in der das Amulett lag und pulsierendes Licht in die Schwärze warf, die Kristalle traf und ein immerwährendes, tröstendes Funkeln in der Dunkelheit erzeugte. "Du kannst es an dich nehmen," sagte Meister Askyn ruhig. "Aber was wirst du damit tun?" "Wenn ich es dem Meister der Leere gebe," antwortete Yalomiro, " dann wird die Vernichtung die Nacht und das Leben verschlingen, und ich werde sterben. Wenn ich es an mich nehme und es gegen Meister Gor richte, wird es meine Magie zerbrechen, und ich werde meinerseits Zerstörung bringen, egal, was ich damit tue." "Du könntest es ignorieren," sagte der alte Zauberer ernst. Yalomiro blickte auf. "Vorgeben, es zu suchen und fliehen?" Meister Askyn nickte. "Du bist stark, Yalomiro, und deine Kräfte werden bald ihr volles Maß erreicht haben. Gehe fort, berge das Zeichen und hüte es. Du wirst bald stark genug sein, um es vor Meister Gor zu schützen. So, wie ich es lange Jahre getan habe." "Dann wird Meister Gor das Mädchen benutzen," gab Yalomiro zurück. Der Greis lachte erheitert. "Das wäre ein kleines Opfer, mein Schüler. Was ist schon ein einziger Unkundiger gegen die Welt, unter deren Himmel du lebst?" Yalomiro schüttelte den Kopf. "Mein Himmel wäre leer ohne ihre Nähe." Meister Askyn faltete die Hände und lehnte sich zurück. "Das Zeichen dient nicht dir allein," sagte er streng. "Du bist nur der Hüter. Deine Wünsche dürfen sich nie über das Zeichen erheben." "Ich war hundert Jahre lang ein Stein," entgegnete er, "und in jeder Sekunde, die ich in der Halle stand, sehend, hörend und fühlend, war um mich nichts als Stille und Einsamkeit. Dann kam sie und befreite mich aus der Form des Unbelebten." "Das war Zufall," sagte Meister Askyn ungehalten. „Du hast keinen Unkundigen herbeirufen wollen.“
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Das mag sein," sagte Yalomiro fest. "Aber dann, als ich loszog, das Zeichen zu bergen, blieb sie an meiner Seite. Als Meister Gor mich gefangen nahm, meine Seele aus meinem Körper riß und sie belog, war sie da und stand mir bei. Sie war bereit, für mich zu sterben und sie vertraute mir, obwohl Verwirrung und Furcht sich beherrschten. Ich bin verantwortlich für sie." Meister Askyn seufzte auf. "Du liebst also tatsächlich?" Yalomiro nickte. "Ja. Und aus diesem Grunde bin ich nicht bereit, sie für das Zeichen zu opfern." Der alte Magier nickte langsam. "Und ich muß schnell handeln. Die Leere ist bereits in ihr und breitet sich aus." Meister Askyn schwieg. Yalomiro fürchtete sich vor seinem Schweigen. "Meister," sagte er dann vorsichtig, "ich war Euer Schüler, seit Ihr mich von den Unkundigen wegnahmt. Ich habe Euch immer geachtet und Euch gedient, und Ihr lenktet dafür die Kraft, die in mir war und lehrtet mich, sie zu benutzen. Aber gegen das Zeichen bin ich schwach, und ich bin es auch gegen Meister Gor. Und gegen das Mädchen. Was ratet Ihr mir?" Der greise Zauberer erhob sich langsam und würdevoll. Sein trüber Blick ruhte in den Augen des jungen Magiers, und er tastete nach der Seele des Schülers. Yalomiro ließ es geschehen und öffnete dem Alten sein Herz. Nach einer Weile redete der Alte wieder, und seine Stimme war ruhig und bedacht. "Du bist bereit, deine Geschwister im Kreis und diese Welt für die Unkundige zu verraten, Yalomiro. Aber dennoch finde ich weder Feigheit noch Leichtsinn in deiner Seele. Dafür ist darin eine Macht erwachsen, die mir fremd ist, die ich nicht verstehe. Ich spüre, daß es eine Kraft ist, die weiter reicht als die deiner Geschwister, und die sich dem Lebendigen Licht nähert. Du bist einer von uns, Yalomiro, aber dennoch kann ich dich nicht verstehen. Es steht mir nicht zu, über Dinge zu urteilen, die sich meiner Weisheit entziehen." Yalomiro zögerte. "Es ist schon zu viel getötet worden für das Zeichen," fuhr der Alte fort. "Seit Ewigkeiten birgt es die Kräfte des Lebendigen Lichtes in sich, und seit jeher haben mächtige Meister und törichte Unkundige versucht, sich seiner zu bemächtigen, um guter wie böser Macht willen. Und seit Ewigkeiten hüten die Schattentänzer das Zeichen vor Gier und Dummheit der Menschen. Aber Meister Gor ist der Mächtigste von allen Meistern, die es je gewagt haben, sich dem Zeichen zu nähern. Wenn er es beherrschen kann - und das ist nicht unwahrscheinlich - mag das das Ende dieser Welt sein." Yalomiro blickte zu Boden.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ich kann dir nicht raten, Yalomiro. Die Dinge sind so, daß ich sie nicht mehr beobachten und voraussagen kann." Yalomiro seufzte hilflos. "Wie kann ich wissen, was zu tun ist, wenn nicht einmal Ihr Rat wißt, Meister?" Meister Askyn verschränkte die Arme und schloß die Augen. "Geh, Yalomiro. Berge das Zeichen und bringe es Meister Gor, wenn du keinen anderen Ausweg siehst. Laß das Zeichen über dich richten und hoffe auf seine Gnade." Yalomiro nickte langsam. "Ja, Meister." "Nur das Zeichen selbst weiß, was geschehen darf," sagte der Alte freundlich, "und nur das Zeichen selbst kann dir Rat geben. Du hast dein Leben dem Schatten und der Nacht gewidmet, Yalomiro, und du warst ein guter Diener der Dunklen Kräfte. Ich glaube, das Zeichen weiß, was du im Herzen trägst. Und ich habe es geahnt, damals, als ich zum ersten Mal in deine Augen blickte und die Wunde in deiner Schattenseele erkannte, die heilbar war. Heilbar durch eine Unkundige. Durch das, was die ujoray Liebe nennen." Er trat an den jungen Zauberer heran und lächelte traurig. "Schlafe," befahl er, und Yalomiro schloß die Augen und ergab sich der Tiefe des Traumes.
*
Als Yalomiro erwachte, war es finster im Raum, aber es war die lebendige, wenn auch traurig und schal schmeckende Nacht des toten Landes. Er schlug die Augen auf und spürte den Schutz seiner Aura, die wieder stark und gleichmäßig war. Aramau, dachte er und fand sich nicht sofort zurecht. Dann bemerkte er, daß er seinen Kopf auf dem Leib des Mädchens gebettet hatte, das auf der Bettkante ausgestreckt in einer etwas unbequemen Haltung lag und fest schlief, müde und erschöpft davon, einen ganzen Tag lang über seinen Schlaf gewacht zu haben, ohne sich zu rühren, ohne auszuruhen. Vorsichtig, ohne sie zu wecken, richtete er sich auf und betrachtete sie nachdenklich. Seine Augen durchdrangen die Schwärze der Nacht, und er sah sie dort vor sich liegen, still, unschuldig und freundlich. Sie atmete sacht und auf ihren Lippen lag Ernst und eine tapfer unterdrückte Furcht. Yalomiro erhob sich leise und bettete ihren Körper vorsichtig in eine bequemere Lage. Du hast mich nicht allein gelassen, dachte er ernst, aber nun werde ich dich verlassen. Um deinetwillen. Das Mädchen regte sich im Schlaf, und Yalomiro verharrte erschrocken. Aber sie erwachte nicht.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich werde zurückkehren, so schnell ich nur kann, dachte er, und egal, was dann mit mir geschehen wird, du wirst frei sein und in deine Welt zurückkehren. Unser Kampf betrifft dich nicht, und du darfst nicht für uns leiden. Sie bebte im Traum und öffnete die Lippen, blieb aber stumm. Yalomiro seufzte lautlos, kniete neben ihrem Lager nieder und schaute sie sich an. Du weißt, ich kann nur Schönheit sehen, die wirklich ist. Meine Augen sehen dich, wie du wirklich bist. Ich kann dir nicht beistehen in den nächsten Tagen, ich kann dir nur meine Träume schicken und auf die deinen horchen. Du mußt ohne mich stark sein und ihnen widerstehen, der Grauen Königin und Meister Gor auch. Das Mädchen wandte den Kopf in seine Richtung, aber sie schlief dabei. Über Yalomiros Gesicht huschte ein Lächeln. Ich werde dich nicht vergessen, und so schnell wie es geht werde ich zurückkehren, um dir deine Freiheit zu erkaufen. Der schwarze Hengst des Schattens wird für dich hinforthetzen, hin zu den Ufern des Meeres des Chaos, und der schwarze Rabe der Dunkelheit wird für dich über die Äußere Küste fliegen. Der schwarze Delphin der Tiefe wird sich durch die Fluten des Meeres kämpfen, um das Zeichen zu erreichen, und der schwarze Kater des Rätsels wird die Klippen erklimmen, um es zu bergen. Und sie alle sind vereint im schwarzen Drachen der Dunklen Kräfte, dessen Form du mir schenktest. Und in dem schwarzen Drachen schlägt mein Herz und wohnt meine Seele. Eine kundige Schattentänzerseele, in der du die Kraft der Liebe erweckt hast. Er erhob sich und betrachtete die stille Anmut ihres Schlafes und spürte die Wärme ihrer Gedanken. Ich werde nicht zulassen, daß Meister Gor oder die Königin dir weh tun, dachte er entschlossen. Dann schrak er auf, denn er spürte, wie sich die Kälte Meister Gors rasch näherte. Vergib mir und behalte mich in deiner Erinnerung, richtete er seine Gedanken auf ihre Träume. Vergiß niemals, wie meine Lieder geklungen haben und behalte sie in deinem Herzen. Das Mädchen regte sich, und er wußte, daß sie den Meister kommen spürte, unbewußt und von Furcht erfüllt. Yalomiro warf einen raschen Blick zur Tür hin. Hab Vertrauen zu mir, bat er stumm. Dann neigte er sich über sie und hauchte ihr einen vorsichtigen Kuß auf die Stirn. Sie lächelte im Schlaf und seufzte. Und Yalomiro fuhr mit einer zärtlichen, streichelnden Geste über ihren Körper und murmelte einen leisen Zauber, der sie betäuben und gegen Meister Gors Anwesenheit schützen sollte, zumindest für einige Minuten. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Kaum hatte er ausgesprochen, als sich der Schlüssel im Schloß drehte. Meister Gor öffnete die Tür, und das trübe Licht der Fackeln auf dem Flur stach grell in Yalomiros Augen, die silbern glänzten und sich erst langsam auf das künstliche Licht einstellten. Der goala‘ay wich überrascht einen Schritt zurück. Er hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, Yalomiro bereits wach vorzufinden. "Du bist wieder stark," sagte er dann mit seiner kalten Stimme. Yalomiro nickte. "Ich bin stärker als zuvor." Meister Gor wartete einen Moment. "Und nun?“, fragte er schließlich, „Willst du immer noch mit mir kämpfen?" Yalomiro zögerte. Der rotgewandete Magier lächelte dünn und holte plötzlich weit mit der rechten Hand auf und vollführte eine Geste, als föchte er mit einem imaginären Schwert und hieb auf Yalomiro ein. Abwehrend hob Yalomiro den Arm, die Handfläche gegen Meister Gor gerichtet. Und der unsichtbare Schlag prallte im Nichts auf ein Hindernis, das wie ein Schild aus Luft war, und einige silbrige und glühende Funken blitzten im Dunkel auf. Meister Gor nickte anerkennend. "Du bist wieder schnell und zäh." Yalomiro senkte den Arm. "Ich bin ausgeruht." Der Rotgewandete musterte den jungen Magier mit einem abschätzenden Blick. "Ich will, daß du den Mondstrahl suchst und ihn mir bringst." "Und warum denkt ihr, daß ich das tun werde?", fragte Yalomiro, ohne eine Antwort zu erwarten. Meister Gor trat näher und kam auf das schlafende Mädchen zu. Unwillig blickte er auf sie hinab. "Ein Schlafzauber?," zischte er verärgert. „Was soll der Unfug?“ Yalomiro nickte. "Es soll ihre Träume schützen." Der ältere Magier wandte sich ihm zu. "Ich habe deine Träume belauscht," sagte er. "Zumindest die beiden, die du noch nicht versiegeln konntest." Der junge Magier wartete. "Du weißt, daß der Mondstrahl dich zerbrechen wird, wenn du seine Macht für dich nutzen wolltest? Deine Magie würde dir nicht mehr gehorchen, du würdest zerstören, was dir wertvoll ist. Und dir ist auch klar, daß ich keine Gnade mit dir haben werde, wenn das Zeichen erst mir gehört? In beiden Fällen sieht es aus, als könntest du nicht als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen." "Vielleicht gibt es einen dritten Weg?", fragte Yalomiro zurück. Meister Gor nickte. "Ja. Den Weg, den ich dir vor hundert Jahren anbot, und den du verschmähtest. Den Weg des Hasses."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Der junge Mann zögerte, und Meister Gors Stimme wurde sanft lockend. "Bring mir das Zeichen und erkenne mich freiwillig als deinen neuen Meister an. Und du wirst leben." Yalomiro schüttelte den Kopf. "Ich werde mich nie dem Haß hingeben, Meister Gor. Bemüht Euch nicht unnütz." "Und doch ist Haß in dir. Ich habe ihn erweckt, als ich Meister Askyn tötete. Und ich werde ihn erneut anrufen, indem ich sie," er deutete auf das Mädchen, "für deine Verstocktheit büßen lasse, wenn du mir das Zeichen nicht bringst." Er lachte kalt und leise. "Ich hätte nie gedacht, daß ein Schattentänzer sich von den Gefühlen eines unkundigen Wesens beeindrucken läßt." Yalomiro ballte unentschlossen die Fäuste. Meister Gor holte mit einem boshaften Lächeln unter seiner Maske die Geige unter seinem Mantel hervor und hielt sie Yalomiro hin. Als der danach greifen wollte, zog er das Instrument rasch weg. "Ich weiß, daß du mehr Angst davor hast, daß ich sie spiele, als daß dem Mädchen anderweitig Schmerz zugefügt würde. Wieso?" Yalomiro blickte zornig und hilflos aus seinen silbern glänzenden Augen zu ihm hinüber. "Dies ist meine Zärtlichkeit für das Mädchen," sagte er beherrscht, "meine Lieder können sie berühren, ohne sie zu verletzen. Aber Ihr wollt daraus ein Werkzeug der Gewalt machen." Meister Gor nickte. "Und gerade das erzürnt dich, wo ich jedes andere Mittel ebenso gut nutzen könnte?" Yalomiro sank in sich zusammen. "Es wäre Gewalt, die ich geformt hätte." Meister Gor hob die Geige und betrachtete sie nachdenklich. "Ein interessanter Gedanke." In diesem Moment sprang Yalomiro vor, riß mit einer katzenhaften Geschwindigkeit die Geige aus Meister Gors Hand, und ehe der es verhindern konnte, hatte der junge Schattentänzer das Instrument gepackt und mit ungestümer Wucht auf der Fensterbank zerschlagen, so heftig, daß das Holz regelrecht zersprang und Splitter schwarzen Holzes in den Raum spritzten. Meister Gor blickte fassungslos aus farblosen Augen. Yalomiro atmete heftig und begriff nun erst, was er getan hatte. "Ihr werdet sie nie mehr mit meinen Mitteln quälen können," sagte der Schattentänzer und ließ die Trümmer, die er noch in der Hand hielt, zu Boden fallen. Das Mädchen war in dem Moment zusammengezuckt, in dem er die Geige zerschmettert hatte, aber der Bann zwang sie, zu schlafen. Meister Gor schüttelte ärgerlich den Kopf, blickte dann aber sachlich zu ihm hinüber. "Wirst du mir bringen, was ich verlange?" http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro nickte schwach. "Mir bleibt keine Wahl." "Dann komm," forderte Meister Gor ihn auf. "Hinunter, in den Hof." Yalomiro warf noch einen letzten Blick auf das Mädchen. Lebewohl, dachte er leise, und verließ dann den Raum. Meister Gor folgte ihm und schloß die Tür wieder ab. Dem Mädchen rannen im Schlaf bittere Tränen über die Wangen.
*
Die Graue Königin wartete unten im Hof der Grauen Burg. Nur wenige, trübe Fackeln erhellten die wolkenverhangene, lautlose Nacht, und von den gesichtslosen, stummen grauen Dienern war kein Laut zu hören. Sie bildeten einen gespenstischen Kreis auf dem nächtlichen Hof und warteten, daß Meister Gor den jungen Magier herbei brachte. Yalomiro trat an ihnen vorbei in die Mitte des Kreises und blickte der Grauen Königin entgegen. "Du wirst uns gehorchen?", fragte sie leise. Yalomiro nickte. "Aber selbst wenn ich Tag und Nacht ohne Pause renne, werde ich einige Tage benötigen, um die Suche zu beenden. Der Weg ist in mir, und ich muß ihn gehen. Kein Zauber kann mir die Suche verkürzen." Die Graue Königin nickte. "Dann lauf. Und komm zurück, so schnell du nur kannst." Yalomiro nickte. "Und ich rate dir, nicht zu zögern," fügte Meister Gor hinzu. "Ich verspreche dir mit dem Ehrenwort eines Großen Meisters, daß ich die Unkundige nicht antasten werde, solange du dich uns nicht widersetzt. Aber wenn du zögern und umkehren solltest oder Zweifel an deiner Entscheidung hegen solltest -- und ich werde es bemerken, Yalomiro, ich lese deine Träume, wo immer du dich befindest -- werde ich nicht zögern, sie zu strafen für deinen Ungehorsam." Yalomiro nickte matt. "Ich werde Euch nicht enttäuschen." Er seufzte auf und verwandelte sich, lautlos und kunstvoll, und schlüpfte in die Form des Schattenhengstes. Schweigend betrachteten die Graue Königin, Meister Gor und ihr stummes Gefolge das große, schlanke und elegante Pferd mit dem schwarzschimmernden Fell und der wallenden langen Mähne. Dann wandte Yalomiro sich dem Burgtor zu und ging darauf zu. Hohl klapperten seine unbeschlagenen Hufe auf dem Pflaster des Hofes, und wo sie aufsetzten, spritzten silberne Funken auf. Er erinnerte sich daran, daß er diese Gestalt zuletzt genutzt hatte, um die Unkundige über die Pässe der Himmelsberge zu tragen und erinnerte sich an sie, ihren zerbrechlichen Körper auf seinem Rücken und ihre sanften Hände, die sich in seine Mähne krallten. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Und dann erinnerte er sich an den ersten Traum und hörte das perlende, wahnsinnige Lachen der Grauen Königin über sich. Graue Diener öffneten das Tor vor ihm, und Yalomiro sah das spiegelglatte, leere und schweigende Land vor sich liegen, grau und von einer Kälte, die von der Anderen Seite zu kommen schien. "Lauf los!", rief Meister Gor, und Yalomiro sprang hinaus in die Leere, besann sich nicht lange und galoppierte fort, weit fort, in die Richtung, die sein Instinkt ihm empfahl. Funken sprühten unter seinen Hufen. Die Graue Königin lachte heiter auf, und Meister Gor wandte sich ihr zu. "Unser Sieg ist nahe," sagte sie vergnügt. Und Meister Gor stimmte höflich in ihr Lachen ein.
13.
"Er hat es bestimmt getan, um Meister Gor zu ärgern," klang Aramaus Stimme dumpf unter dem Bett hervor. Sie war am frühen Morgen in mein Zimmer gekommen und hatte mich dort in Tränen aufgelöst zwischen den Trümmern der Geige vorgefunden. Aramau war taktvoll genug, um keine Fragen zu stellen, aber ich ahnte, wie neugierig sie war. Wir hockten auf den kalten grauen Steinfliesen und sammelten die Holzsplitter auf, die überall im Raum verteilt herumlagen. Aramau suchte unter dem Bett, wohin ich ihr nicht folgen konnte. "Du mußt dich nicht grämen," sagte sie und schleppte tatsächlich einen schwarzen Holzspan an. "Vielleicht läßt sie sich reparieren." Ich blickte aus rotgeweinten Augen zu ihr hinüber. "Meinst du?" Aramau nickte. "Natürlich. Das heißt, sofern wir wirklich jeden Splitter gefunden haben und du sie wieder zusammensetzt." Ich schüttelte den Kopf. "Das sind Hunderte von Scherben," sagte ich. "Ich verstehe gar nicht, wie Holz auf diese Weise brechen kann." "Das ist kein gewöhnliches Holz," erklärte Aramau. "Unsere Instrumente sind aus dem Holz der ältesten Bäume des Silbernen Waldes geformt worden. Das Holz dieser Geige ist fast so alt wie der Mond." Das hielt ich für eine poetische Übertreibung, aber trotzdem berührte ich die Splitter nun mit einer gewissen Ehrfurcht. "Ich glaube, die Graue Königin wird dir ein Töpfchen Leim überlassen, wenn du sie darum bittest," sagte die Katze und angelte mit ausgefahrenen Krallen nach einem weiteren Splitter unter dem Bett. "Du mußt nur harmlos und unauffällig danach fragen. Und dann hast du eine schwierige Arbeit vor dir." "Du meinst ernsthaft, ich soll sie wieder Stück für Stück zusammensetzen?", fragte ich zweifelnd. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Aramau lächelte flüchtig. Ich wunderte mich darüber, wie klar ich ihre Emotionen auf dem Katzengesicht ablesen konnte "Es wird dich ablenken von all dem hier." Ich seufzte und hielt zwei größere Splitter des schwarzen Holzes aneinander, die allerdings nicht richtig zusammenpaßten. "Ich glaube trotzdem nicht, daß es mit Leim geklebt werden kann. Niemand wird je wieder darauf spielen können." "Es reicht, wenn du es wieder in die richtige Ordnung bringst," sagte Aramau und wandte sich mir zu. "Yalomiro kann das Holz
wieder
zusammenfügen, ohne daß eine Fuge zurückbleiben wird. Und die Geige wird dann kostbarer sein als je zuvor. Denn du wirst so deine warmen Gedanken in das Holz hineinlegen." Yalomiros Name war gefallen. Ich blickte zu Boden, und Aramau sah mich abwartend an. "Weißt du, wo er ist?," fragte ich die Katze. "Ja," sagte Aramau. "Er ist fortgegangen, um das Zeichen zu holen." "Was wird er damit tun, wenn er es hat? Ob er es dem Rotgewandeten ausliefern wird?", fragte ich leise weiter. "Ich weiß es nicht," sagte Aramau schlicht. "Aber das Zeichen wird es wissen." Ich warf ihr einen scheuen Blick zu. "Was heißt das?" Aramau räusperte sich. "Du weißt, das sich das Zeichen nicht so einfach beherrschen läßt. Es hat bisher noch jeden Magier zerbrochen, der seine Macht nutzen wollte, aus welchen Gründen auch immer. " Ich griff nach einer anderen Scherbe und versuchte, sie mit der, die ich in der Hand hielt, zusammenzufügen, nur, um Aramau nicht anblicken zu müssen. "Yalomiro ist sehr stark," fuhr Aramau fort. "Schon damals hatten wir keine Zweifel daran, daß er es sein würde, der Meister Askyns Nachfolge antreten und der neue Meister des Palastes werden sollte. Yalomiro war derjenige Schattentänzer, der - neben Meister Askyn - dem Zeichen am nächsten war, und er kennt seine Macht und seine Gefährlichkeit wie kein zweiter." Sie unterbrach sich, heftete ihren grasgrünen Blick auf die Holzscherben und schob mir dann mit der Pfote eine vierte davon zu. "Yalomiro ist sehr besonnen und intelligent. Er weiß, wie gefährlich das Zeichen ist, und wie er damit umgehen muß. Ich glaube nicht, daß er selbst es benutzen würde, egal, was geschieht." Ich griff nach der Scherbe und paßte sie an die erste an. Es mißlang. "Wenn dieses Zeichen so gefährlich ist, daß selbst eure Meister es nicht gewagt hätten, es zu benutzen -- wie wahrscheinlich ist es dann, daß Meister Gor es verwenden kann?" Aramau seufzte unsicher. "Er ist mächtiger als Meister Askyn es war, der mächtigste Schattenmeister, der je lebte. Und wir können nicht sicher sein, http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga daß die andere Seite , daß die Leere nicht gewaltigere Mächte hat als der Kreis. Meister Gor ist in dieser Hinsicht unberechenbar. Wenn wir mit Sicherheit wüßten, daß das Zeichen auch ihn vernichten würde -- Meister Askyn hätte keinen Moment gezögert, es ihm zu geben. Das Zeichen verteidigt sich selbst -- wenn es stärker ist als die ewige Leere. Yalomiro muß entscheiden, was Recht ist -- und nur das Zeichen selbst kann ihm raten." Ich nickte, drehte dann den Splitter, den ich in der Hand hielt, um und versuchte, ihn anzufügen. Nahtlos griffen die Ränder ineinander. Aramau nickte zufrieden, rekelte sich und sprang in den Fensterrahmen. "Bitte die Königin um Leim," empfahl sie mir und entfernte sich wieder einmal.
*
Meister Gor stand am Fenster seines Gemaches und blickte über das Tote Land, das sich in allen Richtungen bis zum Horizont erstreckte und grau in grau mit dem Himmel verschmolz. Und die dunklen Wolken am Himmel waren immer noch reglos. Das Ziel ist nahe, dachte er, nur noch kurze Zeit, wenige Tage, und die Macht des Kreises wird sich der der Leere unterordnen. Die Andere Seite wird die Nacht verschlingen und den Tag auslöschen, und es wird nichts mehr geben, das Hoffnung und Veränderung in sich birgt. Keine Farben mehr, keine Wärme, keine Geräusche mehr und keinen Duft, keinen Geschmack. Alles wird einförmig sein, und die Zeit wird zerbrechen. Zufrieden ließ er seinen farblosen Blick über die granitene Einöde schweifen. Wenn das Zeichen mir gehört, dann wird meine Mühsal ein Ende haben. Ich werde mit einem einzigen Wort, einer Geste nur und einem Blick die Grenzen des Toten Landes über die Welt hinaus verschieben, und binnen Sekunden wird alles, alles von der Leere beherrscht sein. Und alles Leid wird betäubt und gelöscht werden. Er lächelte vergnügt und wandte sich dann wieder der Kammer zu. Yalomiros Tasche lag geöffnet auf dem Tisch, seine Habe war darauf ausgebreitet. Nur die Geige fehlte, die der junge Zauberer zerschlagen hatte. Meister Gor bedauerte das ein wenig, wischte den Gedanken daran aber rasch zur Seite und blickte die Königin an, die sich am Tisch niedergelassen hatte und die Gegenstände darauf betrachtete. Und dich, Törichte, werde ich dann nicht mehr brauchen, fügte er in Gedanken hinzu und ein Schatten überflog seine Miene.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Nützen Euch all diese Dinge?," fragte sie nach kurzer Zeit und strich gedankenverloren über den schwarzen Einband eines Buches. Meister Gor schüttelte den Kopf. "Es ist wertloses Zeug," sagte er. "Auch der Schattentänzer selbst braucht es nicht mehr." Die Königin griff nach dem Buch. Winzige, glitzernde Kristallsplitter waren in das Leder des Einbandes eingearbeitet, funkelten aber nicht im trüben toten Licht. Die Königin hatte schon zu lange keine wolkenlose Nacht gesehen, sie erkannte nicht, daß der Einband den Sternenhimmel darstellen sollte. Ohne darauf zu achten, schlug sie das Buch auf und blickte auf leere, elfenbeinfarbene Seiten. Kopfschüttelnd legte sie das Buch beiseite. Zwei weitere ähnliche Bücher lagen auf dem Tisch, schwarz eingebunden und mit Kristallsplittern und silbrigem Garn verziert. Auf dem Einband des einen erkannte man sonderbare, verschlungene Pflanzendarstellungen, zwischen denen sich Tiere zu verbergen schienen, das andere war mit Wellenlinien und Mustern geschmückt, die die Struktur verschiedener Steine und
Metalle symbolisierten. Doch auch das
erkannte die Königin nicht mehr, und die Seiten waren leer. Wortlos begutachtete sie Yalomiros Amulette, die sämtlich aus Silber und bunten Steinen angefertigt waren und deren Formen auf einfachen geometrischen Figuren beruhten. Aber auch das interessierte sie wenig. Meister Gor ließ sich bei ihr am Tisch nieder. Er war ungehalten über ihre Anwesenheit, aber er bemühte sich, es sich nicht anmerken zu lassen. "Was bedrückt Euch, Herrin?," erkundigte er sich höflich. Die Graue Königin seufzte. "Es gelingt mir nicht, die Unkundige auf unsere Seite zu ziehen. Und ich gestehe, es macht mich traurig, daß es ihr gelungen ist, den Schattentänzer zu betören, mir aber nicht. Trotz Eures Zaubers." Meister Gor stöhnte innerlich. Die Graue Königin fiel ihm lästig mit ihrer ewigen Begierde, und er fragte sich erneut, ob es wohl klug gewesen war, ihr diesen Zauber zu schenken. Die Graue Königin nickte bestätigend. "Euer Bann hat versagt, die Unkundige widersteht ihm und mir." Meister Gor zwang sich zu einem Lächeln. "Die Leere wird sich der Unkundigen schon bald bemächtigt haben. Und was den Schattentänzer betrifft -- Ihr wußtet, daß der Zauber auf ihn nicht wirkt. Der Zauber der Unkundigen ist von anderer Art." Die Königin seufzte und blickte ins Leere. "Vielleicht ist die Unkundige somit mächtiger als Ihr?" Meister Gor antwortete nicht. Aber der Funke des Zweifels glomm kurz in ihm auf und verlosch.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Die Königin warf ihm einen ausdruckslosen Blick zu und begann dann, Yalomiros Werkzeuge in der Tasche zu verstauen. "Wenn sie Euch nicht dienen, nehme ich sie mit," sagte sie knapp, und als Meister Gor sie nicht daran hinderte, sondern nur gleichgültig die Schultern zuckte, nahm sie die Tasche an sich und verließ den Raum. Meister Gor blickte ihr finster nach. Bald schon brauche ich dich nicht mehr, dachte er gereizt.
*
Ich bemühte mich, mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen, als die Königin mit Yalomiros Reisetasche meine Kammer betrat. "Was tust du da?", fragte sie verwundert. Ich saß am Tisch, hatte die Scherben der Geige vor mir aufgestapelt und probierte daran herum. Tatsächlich hatte ich in den letzten Stunden einige wenige Teile gefunden, die zusammenpaßten, und diese lagen nun gesondert neben den übrigen. "Ich habe mir eine Beschäftigung gesucht," erklärte ich und versuchte, gleichgültig zu klingen. "Ich langweile mich furchtbar." Ich blickte auf und unterdrückte meine Anspannung. "Habt Ihr etwas dagegen?" Die Königin zuckte die Achseln. "Wieso sollte ich?" "Es ist ein Geduldsspiel," fuhr ich fort. "Ein Puzzle. -- Ich hatte gehofft, daß Ihr vorbeikommen würdet. Würdet Ihr mir wohl ein wenig Leim und einen Pinsel überlassen? Die Splitter halten so schlecht aufeinander." "Ich lasse dir nachher etwas bringen lassen," versprach sie und legte die Tasche auf den Tisch, wobei sie einige Scherben beiseite fegte. Ich wandte mich meiner Arbeit zu, versuchte aber, aus den Augenwinkeln zu sehen, was sie tat. Sie öffnete die Tasche, holte ein schwarzes Büchlein hervor und reichte es mir hinüber. "Ich wollte dich fragen, ob du das lesen kannst," fragte sie dann fast scheu. Ich legte das Holz weg und nahm das Buch in die Hand. Glitzernde Steinchen schmückten das schwarze Leder, und als ich es aufschlug, sah ich saubere, aber seltsame und mir unbekannte Schriftzeichen auf dem fahlweißen Papier. "Nein," sagte ich dann. "Dies ist eine Schrift, die ich nicht kenne." Die Königin betrachtete mich einen Augenblick lang mit weit aufgerissenen Augen. "Du siehst eine Schrift?", fragte sie dann verwundert. Ich schloß das Buch wieder. "Ich kann sie aber nicht lesen," wiederholte ich. Die Königin schüttelte fassungslos den Kopf.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Habt Ihr noch mehr Bücher? ",fragte ich und bemühte mich, arglos zu klingen. "Ich mag Bücher so gerne, auch, wenn ich sie nicht lesen kann. Das Gefühl und der Duft des Papiers ... darf ich das Buch behalten?" Die Königin zog noch zwei weitere Bücher aus der Tasche. "Nimm sie, wenn es dich glücklich macht -- ich kann sie nicht lesen." Ich griff nach den Büchern und verwünschte meine zitternden Finger. Aber ich sah die Gelegenheit, Yalomiros Werkzeuge zurückzugewinnen. "Was habt Ihr noch?", fragte ich unverfänglich. Sie lächelte. "Meister Gor sagt, es sei wertloser Tand. Ich glaube, es ist Schmuck. Bestimmt ist es Schmuck. Wären es magische Zeichen, hätte er sie bestimmt behalten wollen. Hier --", sie zeigte mir mehrere Silberketten mit Anhängern. Ein Gedanke überkam mich. "Oh," machte ich und tat enttäuscht, "das ist ja alles aus Silber. Dieser Schmuck steht Euch nicht, Königin." Sie legte den Schmuck auf den Tisch. "Nein?," fragte sie erstaunt. Ich entschloß mich, sie bei ihrer Eitelkeit zu packen. "Er hebt sich nicht von Euren grauen Gewändern an, Majestät," sagte ich, "und paßt nicht zu Eurem hellen Haar. Außerdem ist er viel zu grob und schlicht, gar nicht Euer Stil. Wenn Ihr einen Rat von Frau zu Frau wünscht, Königin -- werft ihn weg. Silber ist nicht Euer Metall. Das Gold wirkt viel erhabener an Euch." Nachdenklich betrachtete sie die Amulette. Ich biß mir auf die Lippen, zwang mich zur Ruhe und wandte mich wieder den Scherben zu. "Vielleicht hast du Recht," sagte sie, und ihrer Stimme merkte ich an, daß ich ihr die Freude an den Schmuckstücken verdorben hatte. "Werft ihn weg," empfahl ich, "oder laßt ihn hier -- ich bewahre ihn für Euch auf." Sie warf mir einen mißtrauischen Blick zu. "Vielleicht entschließt Ihr Euch einmal, Eure Haare zu färben," redete ich leichthin weiter.
"Ich bewahre es gern für Euch auf."
Sie nickte. "Warum nicht ... was solltest du schon damit anfangen können." Sie wandte sich ab und schickte sich an, den Raum zu verlassen. "Königin," hielt ich sie zurück, "Ihr denkt doch an den Leim?" Sie nickte, ohne sich umzudrehen und schloß die Tür hinter sich. Ich schloß die Augen und brachte meine rasenden Gedanken unter Kontrolle. Dann erhob ich mich, überraschend gelassen, raffte Amulette und Bücher zusammen und stopfte sie eilig in die Tasche, die ich verschloß und in die Kleidertruhe warf. Ich schlug deren Deckel zu und lehnte mich an die Wand. Dann erst begriff ich.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiros Werkzeuge waren bei mir. Die Königin hatte sie mir gebracht, weil sie ihren Wert nicht erkannte und weil sie für Meister Gor wertlos waren. Aber mit Aramaus Hilfe konnten sie womöglich mir nützlich werden. Mein Blick fiel auf einen Splitter neben der Truhe, den Aramau und ich am Morgen übersehen hatten. Ich bückte mich danach, hob ihn auf und ging damit an den Tisch zurück. Und zum ersten Mal seit Tagen war ich wieder guter Laune. Leise vor mich hinsingend machte ich mich daran, die Scherben der Geige zu sortieren und darauf zu warten, daß jemand mir den Leim bringen mochte. Und draußen legte sich schal und trocken der Abend über das tote Land.
*
Tage waren verstrichen, und der Schattenhengst war gerannt. Yalomiro hatte sich keine Pause gegönnt, unablässig und ohne Rücksicht auf seine Kräfte war er mit klirrenden Hufen über die graue leblose Steinebene gehetzt, ohne auf andere Lebewesen zu treffen und ohne daß sich jemand ihm in den Weg gestellt hätte. Die verstreuten, elenden Dörfer hatte er gemieden und ihre Bewohner nur von weitem gesehen, gesichtslos und grau wie alle Untertanen der Königin. Mehrere Male war es über den gefrorenen Wolken Tag und Nacht geworden, und Yalomiro ahnte, daß irgendwo dort oben der Mond stehen mußte und über jeden seiner Schritte wachte. Aber das Licht drang nicht zu ihm hinab, und der Pferdekörper konnte das Wenige, was die Leere zu ihm durchließ, nicht aufnehmen. So gingen die Kräfte des schwarzen Pferdes der Dunkelheit langsam zur Neige. Doch eine unbeschreibliche Mischung aus Zorn, Sorge und Sehnsucht trieb den Hengst voran und gab ihm Energie. Nicht zögern, dachte er besinnungslos, nicht zweifeln und nicht anhalten. Je eher ich am Ziel bin, desto eher werden sich die Dinge entscheiden. Wütend schnaubend schüttelte er seine Mähne und konzentrierte sich nur noch auf den Instinkt in ihm, der seine Schritte lenkte, unnachgiebig und unfehlbar wie ein Magnet. Hier, in der Leere, gab es nichts, woran Yalomiro sich hätte orientieren können, und nicht einmal die Sterne wiesen ihm den Weg. Monotonie und Trostlosigkeit umhüllten ihn, und alles um ihn herum war grau und tot. Aber in ihm war Erinnerung, und diese hetzte ihn voran. Und endlich, lange Zeit später, riß über ihm die Wolkendecke auf, und unter seinen Hufen spürte er nicht mehr den toten Stein, sondern Erdboden, karg und staubig zwar, sterbend und verfallend. Aber noch nicht ganz vernichtet. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Bis hierhin war die Leere gedrungen, und sie würde sich weiter ausbreiten. Aber noch hatte sie das Meer des Chaos nicht erreicht. Yalomiro seufzte tief auf und trabte weiter. Hier war Licht, ewiges Mondlicht, und hier war es möglich, daß es noch wirklicheMenschen gab.
*
Das Land jenseits des Toten Landes war dürr und vertrocknet, und Mutlosigkeit hatte die Menschen ergriffen. Das Wetter war meist diesig und grau, und doch regnete es selten. Das wenige, was noch auf den Äckern wuchs, die trostlos und braun die kleinen Bauernhöfe umgaben, die kaum noch den Ertrag brachten, der zum Leben ausreichte, war kümmerlich und schwach, selbst der Salzwind, der vom Meer hinübertrieb, verlor sich irgendwo hier im Nirgendwo. Ihr Urgroßvater hatte noch Zeiten gesehen, in denen das Land fruchtbar und grün war, die Ähren sich unter dem Korn bogen und die Bäume Früchte im Überfluß trugen. Schön war das Land gewesen, üppig und reich. Die Bauern waren wohlhabend und angesehen, und die Fischer an der Küste machten reichen Fang. Dann war alles anders geworden. Nicht mit einem Male, aber langsam und unablässig schien es, als würde alle Kraft und alles Leben aus der Erde weichen, und mit ihr schwand die Kraft und der Überfluß der Natur. Sie selber, eine junge Strand-Frau mit dem Namen Kelwa, war arm, von Sorgen geplagt und mutlos. Seit langer Zeit hatte sie keine Blumen mehr gesehen, und sie fragte sich mit jedem Tag, wie sie sich und ihre Kinder versorgen sollten. Ihr Mann war oft tagelang auf See, um zu fischen, und selten hatte er Glück. Ihr einziger Trost war es, daß es allen übrigen Leuten hier an der Küste ähnlich ging. Das Unglück hatte sie alle gleichermaßen getroffen, es gab keine Unterschiede zwischen ihnen. Ihnen allen ging es miserabel, und die unbestimmte Furcht vor dem, was landeinwärts geschehen war, vereinte sie. Nie hatte jemand gewagt, dort nachzuschauen. Sie hielten Abstand vom großen Geheimnis. Kelwa stand mutlos an dem
Zaun, der zu ihrem Haus gehörte und der einst
einen ansehnlichen Acker umfriedet hatte. Das, was darauf nun gedieh, war kaum als Getreide zu erkennen, und dorniges Gestrüpp hatte dazwischen Wurzeln geschlagen und ließ sich kaum noch bekämpfen. Doch selbst die Blüten der Disteln schienen farblos und matt. Sie blickte auf, als sie bemerkte, das sich jemand näherte. Ein einsamer Wanderer war es, der den staubigen Weg entlang ging. Verunsichert und mißtrauisch blickte sie dem jungen Mann entgegen, der stehenblieb, als er sie bemerkte und dann langsam näher kam. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Du bist nicht von hier," sagte sie, als er ihr grüßend zunickte. Ihre Stimme war hart und bitter, aber sie vermochte nicht, die Neugier der Frau zu verbergen. Der junge Mann nickte. "Ich habe eine weite Reise hinter mir." Sie begutachtete ihn kritisch. Er war sehr elegant gekleidet mit seinen seidenschwarzen Gewändern und dem weiten, glitzernd bestickten Mantel. Ein Adliger wohl, aus einer der Küstenburgen, oder ein reicher Händler aus einer der großen Städte, die sie vergessen hatten, die Menschen an diesem Teil der Küste. "Du hast kein Gepäck bei dir," stellte sie fest, und ihre Stimme klang wie eine Aufforderung. Yalomiro antwortete ihr nicht. "Woher kommst du?," fragte sie daher. "Von weit fort," sagte er. "Von jenseits der Berge." "Du lügst," entgegnete Kelwa. "Dann hättest du das, wo nichts mehr ist durchwandern müssen." Yalomiro nickte. "Das tat ich." Sie zog sich einige Schritte weit zurück und schüttelte skeptisch den Kopf. Yalomiro blickte zu Boden. Er spürte Furcht in der Seele der Frau, Furcht vor ihm und Sorge um andere, die ständig da war und nicht von ihr wich. "Ich muß zum Wasser," sagte er. Die Frau wies unsicher zu den Hügeln, die sich in der Ferne erhoben, mit struppigem grauen Gras bewachsen und trostlos. "Die Straße wird dich direkt dorthin führen." Yalomiro nickte und wandte sich grußlos ab. "Aber was willst du dort?," fragte die Strand-Frau, deren Neugier für einen Moment über ihr Unbehagen siegte, "dort ist nichts. Dort liegen keine Schiffe, und die nächste Stadt liegt viel weiter westlich." Yalomiro zögerte. "Ich weiß," sagte er. Die Frau trat ein wenig näher an ihn heran. "Woher kommst du wirklich? Du bist keiner von der Küste, und du kannst unmöglich von jenseits des Grauen kommen. Das wäre Zauberei." Yalomiro lächelte unwillkürlich amüsiert. "Vielleicht," entgegnete er. Einen Augenblick lang stutzte Kelwa, aber sie ließ sich nicht verwirren. "Wenn du von jenseits der Berge kommst," fragte sie beharrlich, "was ist dort?" Yalomiro seufzte und dachte an den Silbernen Wald. "Dort war Schönheit und Stille. Nun ist die Leere auch dort. Sie verschlingt alles. Es ist dort nun auch nicht anders als hier." Die Frau schien betroffen. "Dann ist es wahr," sagte sie leise. "Die Leere begann in der Burg dort draußen im Nichts und zieht nun ihre Kreise bis http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga hierher zum Meer. Und über das Gebirge hinweg. Wie ein ins Wasser geworfener Stein." Yalomiro horchte auf, und sein Interesse erwachte. "Was weißt du über die Burg?" Die Frau lächelte flüchtig. "Die verfluchte Burg der Königin der Ebene? Nicht viel, und das, was ich weiß stammt aus den Märchen, die die Alten erzählen." Yalomiro überlegte einen Moment lang. "Ich möchte diese Märchen hören," sagte er dann. "Dann komm," sagte sie schlicht. "Es wird bereits dunkel. Du würdest das Wasser heute nicht mehr erreichen. Komm zu uns in unsere Hütte und übernachte dort. Der Großvater wird dir alles erzählen, was du wissen willst." Yalomiro folgte ihr, als sie über den dürren Acker davon schritt. "Ich kann dir für deine Gastfreundschaft nichts geben," sagte er und spürte, daß ihre Armut diese Frau bedrückte, wenn sie sich ihrer auch nicht schämte. Die Frau lachte verbittert. "Was sollte ich auch mit Geld anfangen?," fragte sie ihn, "kann ich Geld essen?" Er schwieg dazu, und sie blickte ihn aus den Augenwinkeln an. "Wer bist du?," wiederholte sie. "Bestimmt bist du ein Prinz aus einem fernen Land, der in der Ebene überfallen wurde." Yalomiro war eine Sekunde lang sprachlos. "Wie kommst du darauf?" Sie deutete auf seine Gewänder. "Du bist gekleidet wie ein reicher Mann, aber du hast weder Pferd noch Gepäck noch Gefolge bei dir. Vielleicht bist du ein Held, der ausgezogen ist, um den Grund für die Leere zu bekämpfen? Vielleicht bist du gerade noch mit deinem Leben davongekommen?" Er lachte leise. "Du bist schlau," sagte er dann. Sie nickte zufrieden und führte ihn weiter zu ihrem ärmlichen Haus. „Ja,. Du bist ein geheimnisvoller Abenteurer, und du bist gewiß aus gutem Grund so schweigsam.“ Sie glaubt an das, was sie sich ausmalt, dachte er, und vielleicht ist es gut so. Und ganz gewiß ist es nützlich, zu erfahren, was die Unkundigen der Küste von Meister Gor wissen.
*
Aramau wußte sich vor Freude kaum zu lassen, als ich ihr zeigte, was in meine Hände gelangt war. "Meister Gor und die Königin sind Narren," frohlockte sie. Ich betrachtete nachdenklich Yalomiros Schätze. "Sind es mächtige Zauberdinge?", fragte ich sie. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Aramau kicherte in sich hinein. "Das kann man wohl sagen. Es sind Schattentänzer-Werkzeuge." Ich ließ die feine Silberkette eines Amuletts durch meine Finger gleiten. "Und warum hat Meister Gor sie dann nicht für sich behalten?" Aramau strich fast zärtlich mit Samtpfötchen über die Bücher. "Weil er damit nichts anfangen kann. Wir haben unsere magischen Geräte nur für unsere eigenen Zauber geformt. Denke dir nur, was für ein Unheil geschehen könnte, wenn ein magischer Gegenstand in die Hände eines fremden Magiers mit bösen Absichten gerät !" Ich deutete zum Tisch, wo die zerbrochene Geige lag, von der ich zwischenzeitlich aber ein Stück hatte zusammenleimen können. "Meister Gor konnte sie ... benutzen," sagte ich und schauderte. Aramau blickte mich mit seltsamen Augen an, und ich glaubte, leisen
Spott
darin zu sehen. "Die Geige war kein Schattentänzer-Werkzeug mehr. Du weißt, unsere Magie ist frei von Haß und Liebe. Yalomiro hat aus ihr etwas gemacht, das anderen Mächten diente." Ich seufzte und Aramaus Worte machten mich etwas verlegen. "Ich bin sicher, daß es ein schöner Zauber war," schloß sie und wandte sich dann wieder den Büchern zu. "Die Bücher hier sind das Wertvollste. Sie bewahren das Wissen über die Nacht, die belebten Dinge und die Materie. Aber erst durch das Wirken ihres Besitzers entfalten sie ihre Weisheit. Geschrieben sind sie in einer sehr, sehr alten Schrift, der alten Sprache unserer Meister." „Es ist eine schöne Schrift,“ bestätigte ich ihr. So elegant und schlicht und...“ Aramau riß ihre grasgrünen Katzenaugen auf. „Du kannst die Schrift sehen?“, fragte sie fassungslos. Ich runzelte verwirrt die Stirn. „Was ist denn so absonderlich daran? Auch die Königin wunderte sich darüber." Aramau ließ sich auf die Hinterkeulen nieder, und ihr Schwanz peitschte langsam hin und her, während sie mich anstarrte. „Die Königin wundert sich, daß du mehr siehst als sie,“ sagte sie dann. „Ich wundere mich, daß du siehst, was die Magie unkundigen Augen vorenthalten sollte. Dein Blick jedoch ist tiefer als der eines Unkundigen.“ Sie blickte auf. "Weißt du, warum Yalomiro dich Ujora genannt hat?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein." Aramau lächelte. "Das heißt: die, die lieben kann." Ich errötete. "Ich dachte, es heißt soviel wie 'Unkundige'." "Das tut es," fuhr Aramau fort. "Denn nur Unkundige können es."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga
Der Großvater bedachte Yalomiro mit einem kritischen Blick, als er seiner Tochter in die Hütte folgte. "Wer ist das?", fragte er mürrisch. "Er kommt von weit her," gab Kelwa knapp zurück. "Er will rasten." Der alte Mann schüttelte den Kopf. "Schick ihn weg," befahl er barsch. Die Frau zögerte. "Er ist müde. Und er hat viel zu berichten." Der Greis erhob sich von dem Sessel bei Fenster, wo er gesessen hatte, alt, verfallen und schwach, griff nach einem Krückstock, der dabei gestanden hatte und hinkte gebrechlich auf Yalomiro zu. "Schick ihn weg !", keifte er. "Von dem kommt nichts Gutes ! Das spüre ich !" Er schleppte sich die wenigen Schritte zu Yalomiro hin, der abwartend in der Tür stehen geblieben war und drohte dem jungen Mann mit dem Stock. "Verschwinde !," fuhr der Alte ihn an. "Du bist keiner von uns ! Du bringst uns Unglück !" Yalomiro wandte sich der Frau zu. "Ich bin hier nicht willkommen," sagte er. "Ich will nicht, daß es wegen mir Streit gibt." Kelwa schüttelte den Kopf. "Störe dich nicht an ihm. Er ist alt und Besuch regt ihn auf. Und so vornehme Gäste wie dich haben wir selten." "Wir brauchen keine Gäste," fauchte der Greis, und hieb mit der Krücke vor Yalomiros Schienbein. "Scher dich weg !" Yalomiro verbiß sich einen Schmerzenslaut und wandte sich ab. "Großvater !", tadelte die Strand-Frau peinlich berührt und erschrocken," wie kannst du den jungen Herrn schlagen?" Der Alte kicherte und sah mit Genugtuung, wie Yalomiro ins Freie hinkte und sich den schmerzenden Knochen rieb. "Glaub mir, Kindchen," sagte er dann, " der Bursche bringt uns Unglück. Was sollte ein vornehmer Herr wie er wohl bei uns wollen?" Die Frau schüttelte resignierend den Kopf. "Komm zurück," rief sie in Yalomiros Richtung. Yalomiro verschränkte die Arme und blickte in die Ferne. "Dein Großvater duldet mich nicht unter seinem Dach. Also bleibe ich draußen." Die Frau seufzte und ging an dem alten Mann vorbei vor die Tür. "Kümmere dich nicht um ihn," sagte sie sanft. "Er meint es nicht so." "Doch, genauso habe ich es gemeint," widersprach der Großvater patzig. "Dort draußen magst du stehen bleiben. Hier herein kommst du nicht." Yalomiro zuckte die Achseln und wollte sich entfernen. Doch in diesem Moment wurde er auf eine kleine Gruppe von Kindern aufmerksam, die am Gartenzaun gestanden und die Szene wohl schon seit einiger Zeit wortlos und fasziniert beobachtet hatten.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Das sind meine Kinder," sagte Kelwa erklärend und rief dann zu ihnen hinüber: "Kommt und begrüßt unseren Gast !" Irritiert und scheu, aber doch von Neugier getrieben, kamen die Kinder näher. Es waren fünf Kinder, das jüngste etwa vier, das Älteste zwölf Jahre alt, drei Jungen und zwei Mädchen. Sie glichen ihrer Mutter, und ihre Gesichter waren ebenso freudlos und enttäuscht wie das ihre. Yalomiros Anblick verunsicherte und faszinierte sie offensichtlich. "Wer bist du?," fragte der älteste Sohn schließlich scheu. Die Strand-Frau schaute abwartend zu Yalomiro hinüber. "Das stimmt. Du hast mir immer noch nicht gesagt, wer du bist." "Ich heiße Yalomiro," sagte Yalomiro. "Ein fremdartiger Name," entgegnete die Frau. "Ein dunkler Name," erklang scheu und fast unhörbar die Stimme einer der Töchter. Yalomiro wandte sich ihr zu. Sie war ungefähr zehn Jahre alt, klein, schmächtig, und ihr Haar war feuerrot. Der junge Zauberer zuckte zusammen, als er ihre Aura spürte, noch schlafend und unsichtbar. Aber bereit, zu erwachen. Er nickte. "Ja, ein dunkler Name," sagte er ruhig. "Und wie heißt du?" "Sie heißt Isan," antwortete die Mutter rasch, bevor das Kind zu Wort kam. "Nach meiner Mutter." Der eisblaue Blick der Kinderaugen wurde hart. . Yalomiro wandte sich dem Kind zu. "Isan", sagte er. "Das ist auch ein dunkler Name. " Einen Augenblick lang blickte er dem Kind starr in die Augen. Kelwa stellte ihm die übrigen vier Kinder vor und nannte sie bei ihren Namen, aber er hörte kaum hin. In diesem Moment war er allein mit dem kleinen Mädchen, und ringsum verschwamm die Welt. Das Mädchen erwiderte starr seinen Blick. Für einen Sekundenbruchteil glomm das Silber in ihren Augen auf, verlosch aber sofort und unbemerkt von den Unkundigen wieder. Du weißt, was ich bin?, fragte Yalomiro. Das Kind senkte zustimmend den Blick. Ich weiß nicht, was ich bin, antwortete sie. Aber du bist wie ich. Ich habe es sofort gespürt, als ich dich sah. Er nickte ernst. Du und ich, entgegnete er, wir sind anders. Wir sind stark und mächtig. Aber du mußt noch warten. Du bist noch nicht reif. Das Kind lächelte scheu. Ich werde warten, antwortete sie. Yalomiro nickte knapp und richtete sich dann wieder auf. "Wann geht er endlich?," zeterte der Großvater immer noch. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro wandte sich dem alten Mann zu. "Ich bin in euer Haus gekommen, weil man mir sagte, ihr wüßtet, was es mit der Leere auf sich hat." Der Greis verstummte und betrachtete den jungen Mann mißtrauisch. "Ich weiß nur, was erzählt wird," brummte er dann. "Ich weiß nur, was mein Vater und die, die noch das blühende Land sahen, gesehen und erlebt haben." Yalomiro lächelte höflich. "Eben diese Geschichten interessieren mich. Ich habe eine weite Reise gemacht, um diese Geschichten zu hören.
Ich komme
von jenseits der Berge, ich habe die Ebene durchwandert und bin durch die Leere gegangen, um die Antwort auf meine Fragen zu finden." Der Greis schwieg und starrte aus altersblinden Augen. "Von jenseits der Berge?" Yalomiro nickte. "Ich weiß, das mag klingen wie ein Märchen. Aber ich habe es vollbracht, und ich lebe noch." Der Alte schüttelte den Kopf und sagte tonlos: "Dann kannst du kein Mensch sein." Yalomiro lächelte. Kelwa wurden die Reden des Alten zu dumm. "Geh beiseite, Großvater. Laß unseren Gast eintreten. Es wird dunkel. Laß ihn herein und mit uns essen. Und erzähl ihm deine Geschichte. Du erzählst sie doch sonst jedem, der danach fragt." Der Greis wandte sich unwillig ab und hinkte zu seinem Sessel zurück, wo er sich niederließ und mürrisch vor sich hinschimpfend Platz nahm. Die Frau und die Kinder folgten ihm ins Haus, und Yalomiro tat es ihnen nach einem kurzen Zögern nach. Das Mädchen warf ihm einen scheuen Blick zu, und er seufzte. Wir werden noch geboren, dachte er, aber niemand ist da, um unsere Macht zu formen. Ob sie mich deshalb fürchten?
14.
Meister Gor überraschte mich an diesem Abend bei meiner mühseligen Reparaturarbeit. Es gelang mir nicht rechtzeitig, die Scherben vor ihm zu verstecken, so lautlos und unerwartet hatte er mein Zimmer betreten. Ich schluckte und erwartete bangen Mutes, was er nun tun und sagen würde. Aber er lächelte nur ausdruckslos und setzte sich zu mir an den Tisch. "Wozu die Mühe?", fragte er. „Wozu Aufhebens um Scherben machen?“ Ich zuckte die Achseln und umklammerte mit zitternden Fingern den Holzspan in meiner Hand. "Es gibt mir das Gefühl, etwas Kreatives zu tun," sagte ich nur. Es war mir gelungen, den Resonanzkörper der Geige größtenteils wieder zusammenzusetzen. Das Hauptproblem stellten dabei die unendlich vielen http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga winzigen Späne dar, die an den Bruchstellen und Kanten abgesplittert waren. Aramau bestand darauf, das auch von denen alle wieder an ihren richtigen Platz gesetzt werden mußten. Meister Gor schüttelte den Kopf, und ich war froh, daß die Tasche mit den übrigen Gegenständen in der Truhe versteckt lag. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß die Königin ihm gesagt hatte, daß ich die Tasche nun hütete. "Du kannst das Holz nicht zusammenleimen und sie wieder zum Klingen bringen," fuhr er fort. "Ich nicht," bestätigte ich. Meister Gor lachte amüsiert. "Wenn er zurückkehrt, hat er andere Sorgen als das hier." "Wenn er zurückkehrt," widersprach ich trotzig, "wird er mächtiger sein als Ihr." Meister Gor hob erstaunt die Brauen. "Wieso denkst du das? Was macht dich da so sicher?" Ich antwortete nicht darauf, mir fiel keine passende Entgegnung ein. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und beobachtete lauernd meine Handbewegungen. "Der Mondstrahl nutzt ihm nichts," sagte er dann. "Kein Schattentänzer, nicht einmal sein Meister, hatte die Kraft, die Mächte des Mondstrahls zu bändigen. Yalomiro wird es nicht wagen, ihn zu nutzen. Er ist kein Idiot." Ich blickte von meiner Arbeit nicht auf. "Komm mit uns," sagte er dann unvermittelt. "Vergiß alles, was du bisher getan und gedacht hast und folge mir in das Reich meiner Magie." Ich schüttelte den Kopf. "Eure Magie ist leer und langweilig." Meister Gor lächelte. "Yalomiros Magie ist vergänglich und sterblich. Du könntest Besseres finden, wenn du in meiner Nähe bliebest." Ich blickte auf. "Ich bin keine von Euch," sagte ich. "Weder ein Geschöpf dieser Welt noch eine Angehörige eurer Magie. Warum legt Ihr Wert auf meine Gesellschaft?" Meister Gors Miene wurde sehr ernst. "Du bist anders als die Königin es war, damals, vor langer Zeit. Du bist unseresgleichen... nahe." "Das hoffe ich," entgegnete ich und schauderte. „Daß ich der Königin nicht gleiche, meine ich.“ Meister Gor erhob sich und schüttelte den Kopf. "Du verstehst es nicht. Aber schon bald wirst du begreifen, warum ich Interesse an dir habe." Er verneigte sich knapp und ging dann wieder fort. Ich sprang auf und verriegelte die Tür von innen, nachdem er den Raum verlassen hatte. Dann schloß ich einen Moment die Augen und versuchte, mich unter Kontrolle zu bringen. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Als ich die Augen wieder öffnete, blickten mir von der Fensterbank Aramaus stechendgrüne Katzenaugen entgegen. Einen Moment lang hing nur Stille in der Luft. "Hast du mitgehört?", fragte ich dann. Aramau nickte. "Und was will er von mir?" Aramau sprang ins Zimmer. "Er hat festgestellt, daß ihr Unkundigen über eine Art von Macht verfügt, die er weder in der Leere, noch bei den Lebendigen Kräften gefunden hat. Erwill wissen, ob er das für sich nutzen kann." Ich ließ mich auf dem Boden nieder, und Aramau kam näher. "Wie kommt er auf einen solchen Gedanken?", fragte ich verwirrt. "Weil Yalomiro bereit ist, für dich alles aufzugeben," erwiderte die gescheckte Katze. "Weil Yalomiro sich von dir zur Liebe hat verleiten lassen, bei Meister Gor aber den Haß abgelehnt hat." Ich schwieg. "Haß und Liebe," begann Aramau vorsichtig, "sind im Grunde zwei Seiten des Selben. Und für Kundige, Wesen, die Magie in sich tragen, ist es gefährlich, sich dem Einen wie dem Anderen hinzugeben. Denn beides überfordert uns. Deshalb können Schattentänzer nicht hassen -- und nicht lieben." "Aber Yalomiro liebt," sagte ich scheu. Aramau nickte. "Und Meister Gor haßt. Meister Gor hat sich vom Haß verleiten lassen, weil er sich etwas davon versprochen hat -- vielleicht Macht, Reichtum -- ich weiß es nicht. Haß aber führt zu Zerstörung, und der Zerstörung folgt die Leere und das Unveränderliche. Meister Gor war vielleicht einmal wie Yalomiro -- aber dann wandte er sich dem Haß zu und diente fortan der Leere." Ich schauderte. "Liebe ist eine Macht des Lebens, des Wachsens und der Veränderung. Und des Todes. Etwas, das Meister Gor nicht mehr verstehen kann. Daher fasziniert es ihn -- und deshalb will er dich auf seine Seite ziehen." Ich schüttelte den Kopf. "Aber das ist doch Unsinn," sagte ich. "Wenn ich mich Meister Gor zuwenden würde, hätte meine Liebe doch gar keinen Sinn mehr." Aramau nickte. "Ich verstehe das." Ich zögerte. "Aber wenn du sagst, da für euch Liebe ebenso gefährlich ist wie Haß ..." Aramau schwieg einen Augenblick. "Das wird sich zeigen," sagte sie dann unbestimmt.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga
Das Abendessen verlief schweigend. Der Großvater hatte schließlich doch aufgehört, zu schimpfen. Die Kinder waren zu schüchtern, etwas zu sagen, Yalomiros ungewohnte Anwesenheit verunsicherte sie. Und Kelwa zögerte, das Wort zu ergreifen. Isan rührte lustlos mit dem Löffel in der Suppe herum und hatte kaum gegessen. Sie allein warf Yalomiro gelegentlich einen aufmerksamen Blick zu. Hast du Hunger?, fragte sie neugierig. Yalomiro lächelte, ohne sich ihr zuzuwenden. Wir sind niemals hungrig, antwortete er. Aber du ißt, stellte das Kind fest. Ich will deine Mutter nicht beleidigen, gab er zurück. Außerdem dürfen sie nicht bemerken, daß ich anders bin als sie. Warum?, fragte das Kind, und Yalomiro bemerkte amüsiert, wie sehr sie es genoß, Fragen stellen zu können, die sie nie hatte fragen können, und wie sie es erstaunte, daß er ihre Gedanken hören konnte. Yalomiro blickte wie zufällig zu ihr hinüber. Kannst du auch hören, was sie denken?, fragte er. Isan nickte. Aber nicht deutlich. Es ist Lärm, alle denken durcheinander. Aber deine Stimme ist klar. "Bist du wirklich ein Prinz oder ein Adliger?," fragte Kelwa Yalomiro, und alle Kinder blickten ihn an, während der Großvater scheinbar desinteressiert seine Suppe weiter löffelte. "Nein," antwortete er. "Laßt euch nicht durch meine Gewänder täuschen. Es ist -- eine Verkleidung." Die Mutter nickte. "Und was bist du wirklich?" Yalomiro zögerte. "Ich bin ... ich war ein Gärtner," antwortete er und schickte Isans Geist ein Bild von den silbernen Olivenbäumen. Isan stieß einen leisen Überraschungslaut aus und blickte ihn großäugig an. Ihre Mutter blickte irritiert in ihre Richtung, kümmerte sich aber nicht weiter darum. "Ein Gärtner, " wiederholte sie staunend, und Yalomiro spürte, daß er bei der Frau mit dieser Bemerkung mehr Eindruck hinterlassen hatte, als wenn sich als leibhaftiger Prinz zu erkennen gegeben hätte. "Was will ein Gärtner am Meer?," ertönte mißtrauisch die Stimme des Großvaters. Yalomiro spürte Unbehagen und Furcht in seinem Geist, und Mitleid mit dem alten Mann überkam ihn. "Auch in meinen Garten ist die Leere vorgedrungen," sagte er. "Ich war auf der Suche nach lebendigen Pflanzen. Dabei durchschritt ich die Leere und fand keinen Ausweg. Bis ich zu euch kam. Ich wüßte nun gerne, was es mit dieser Leere auf sich hat." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Hast du die Graue Burg gesehen?," fragte eines der Kinder aufgeregt und wurde von einem scharfen Blick Kelwas zurechtgewiesen. Yalomiro nickte. "Bist du drin gewesen?", fragte eines der Geschwister ebenso neugierig und atemlos. Yalomiro zögerte. Dann nickte er erneut. Nun waren alle Augen auf ihn gerichtet. Selbst der Großvater vergaß, seine Suppe weiter zu löffeln. Yalomiro spürte eine Woge von Neugier und Spannung von allen Anwesenden ausgehen. Er fragte sich, ob die Wahrheit das Richtige war. "Hast du die schöne Frau gesehen?," fragte der älteste Junge wieder. "Ist sie wirklich so schön wie man sagt?" "Und der böse alte Zauberer?," fragte das andere Mädchen, "ist der auch da gewesen?" "Märchen," warf Kelwa ein, "redet nicht solch einen Unsinn. Siehst du, Großvater, was du mit diesen Geschichten angerichtet hast?" Sie schüttelte verärgert den Kopf. "Wie könnt ihr unseren Gast nur so dumme Fragen stellen?" Dann blickte sie zu Yalomiro hin und erschrak vor dessen ernsten Blick. Gedanken rasten durch seinen Geist. Woher wußten diese Leute von der Königin und Meister Gor? Wieviel Wahrheit konnte er hier erfahren? "Ist dir nicht gut?", fragte die Strand-Frau besorgt, und Yalomiro schrak auf. "Laß deine Kinder," sagte er zerstreut. "Sie haben Recht. Die Graue Burg ist bewohnt, eine Insel in der Leere. Und es war tatsächlich eine Frau dort. Aber ich bin weitergezogen." "Siehst du!", rief der Großvater triumphierend aus, "es ist doch kein Märchen! In der Grauen Burg lebt eine Königin!" Yalomiro entschied sich für die halbe Wahrheit, obwohl er wußte, daß Isan es spürte. Er entschloß sich, später mit ihr allein zu reden. "Was weißt du über diese Königin?", fragte er den Alten. "Ich selbst habe nur wenig in Erfahrung bringen können." Der Großvater verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. "Früher war dies hier ein fruchtbares, blühendes und reiches Land. Das Meer und die Felder ernährten uns und wir waren zufrieden. Doch dann begann die Leere, sich auszubreiten, und alles wurde ganz anders. Dies alles verdanken wir nur der Königin in der Grauen Burg." Yalomiro hörte interessiert zu. "Was hat es mit dieser Königin auf sich?" Der Großvater nickte bedächtig. Nun, da er spürte, daß Yalomiro ihm zuhörte, wurde er zugänglicher. "Vor langer, langer Zeit lebte ein mächtiger König auf der Burg, der gütig und gerecht gewesen sein soll . Dieser König war verwitwet und hatte nur http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga eine einzige Tochter - eben die Prinzessin der Ebene. Kiana soll sie geheißen haben. Da ein männlicher Thronfolger fehlte, sollte die Prinzessin sich vermählen." Yalomiro konzentrierte sich auf die Worte des Alten und versiegelte seine Gedanken vor Isan, die beharrlich versuchte, an ihnen teilzuhaben. Was er nun erfahren würde, war nicht für sie bestimmt. Der Großvater suchte nach Worten. "Das Problem bei der Sache war nun Folgendes: die Prinzessin war weder ausgesprochen schön oder klug, aber sie soll hochmütig und habgierig gewesen sein. So geschah es, daß, obwohl das Land der Ebene und die schöne Burg eine prächtige Mitgift waren, sich kein Prinz oder Edelmann besonders für die Prinzessin interessierte. Die Thronerbin fand also keinen Gemahl, und der alte König verstarb schließlich, ohne daß er sie verheiraten konnte. Die Prinzessin war sehr unglücklich und auch beleidigt, daß die jungen Männer sie nicht haben wollten, obwohl sie reich und mächtig war." "Aber eines Tages kam der Zauberer," rief eines der Kinder vorwitzig dazwischen. Yalomiro tat erstaunt. "Ein Zauberer?" Der Greis nickte eifrig. "So erzählt man sich. Eines Tages kam ein Zauberer aus einem fernen Land und wollte in der Grauen Burg übernachten. Als Bezahlung dafür versprach er, der Prinzessin einen Wunsch zu erfüllen." "Und sie wünschte sich die ewige Jugend und Schönheit," murmelte der junge Mann leise. „Die Närrin!“ Die Mutter musterte ihn erstaunt. "Woher weißt du das?" Yalomiro seufzte. "Ich habe es vermutet." Der Alte fuhr fort. "Nach kurzer Zeit schon hatte es sich unter den jungen Männern herumgesprochen, daß die junge Königin plötzlich wunderschön geworden war. Natürlich glaubte niemand diesen Gerüchten zunächst so recht, und so zogen sie los, um sich von der Wahrheit zu überzeugen. Und tatsächlich: die junge Königin war schöner geworden als irgendeine andere Frau unter der Sonne. Also begannen die jungen Männer, die von ihrem Anblick völlig um den Verstand gebracht wurden, um sie zu werben. Sie aber wollte nur den Kühnsten und Tapfersten von ihnen zum Manne nehmen. Sie zogen aus, um Heldentaten zu vollbringen." Er legte eine kurze Pause ein und endete: "Wenige kehrten lebend zur Burg zurück. Und die, die lebten, wurden wahnsinnig." Die Kinder mochten die Geschichte schon oft gehört haben, aber Yalomiro spürte, wie gebannt sie der unheimlichen Mär zugehört hatten. "Das ist eine traurige Geschichte," sagte er, "aber ich begreife nicht so recht, was sie mit der Leere zu tun hat." "Ich habe auch noch nicht zu Ende erzählt," erklärte der Alte unwirsch. "Der Zauberer nämlich blieb auf der Burg und wurde der Berater der Königin. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Weil es aber ein böser Zauberer war und die Königin wütend auf die Prinzen und Edlen war, bat sie ihn, deren Länder zu verzaubern, daß nichts mehr dort wachse und langsam absterbe." "Ihr eigenes Land stirbt auch," warf Yalomiro ein. „ich glaube nicht, daß das in ihrer Absicht lag.“ Der Alte schwieg verwirrt. Kelwa ergriff nach einiger Zeit das Wort. "Und du? Du warst auf der Burg, du kannst berichten. Was geht dort vor sich?" Der junge Mann zögerte. "Eine Königin gibt es wirklich," sagte er. "Sie herrscht über die Graue Burg, auf der nur sie und ihr Gefolge leben. Und sie hat einen gelehrten Berater. Ich hatte nicht den Wunsch, lange dort zu bleiben. Was Sage ist und was Wahrheit .. wer weiß das schon?" Yalomiro dachte nach. Das hier waren Unkundige, die einfache Erklärungen suchten für das Unfaßbare, das geschehen war. Es war sinnlos, ihnen zu sagen, daß auch die Graue Königin nur ein Opfer der Leere war und daß nicht sie, sondern Meister Gor derjenige war, der lenkte und die Leere vorantrieb. Welchen Sinn machte es, den Unkundigen zu erklären, um wieviel mehr es ging als um eine beleidigte Prinzessin und ihre Rachegelüste? Yalomiro erhob sich vom Tisch. "Ich möchte mich nun ausruhen," sagte er. "Ich werde draußen noch einen Moment Luft schnappen." Der Großvater brummte mürrisch etwas Unverständliches. Die Mutter stand auf und räumte den Tisch ab. Die Kinder blieben unentschlossen sitzen, sich nicht sicher, ob sie den unheimlichen Fremden begleiten sollten oder die Sicherheit ihrer Betten vorziehen sollten. Yalomiro aber wollte weiteren Fragen aus dem Weg gehen und trat vor die Tür.
*
Die Wolkendecke war teilweise aufgerissen, und zum ersten Mal seit langer Zeit sah Yalomiro wieder Sterne am Nachthimmel schimmern und milchiges Licht das öde Land ringsum erhellen. Erleichtert wandte er sein Gesicht dem Himmel zu, schloß die Augen und atmete die Nacht ein. Aus der Ferne trug der Wind die Brandung des Meeres heran, und Yalomiro lauschte auf das Lied der Ewigkeit, das die Wellen sangen. Licht, dachte er und spürte, wie neue Kraft sich in ihm entfaltete. Bald werde ich vor der Entscheidung stehen. Er seufzte und ließ das Licht durch seine Adern strömen. "Yalomiro?," fragte unvermittelt eine Kinderstimme hinter ihm, und er fuhr ertappt herum. Isan kreischte erschrocken und taumelte vor ihm zurück, starrte fassungslos und zitterte. Ihre Augen waren weit aufgerissen und flackerten vor Furcht. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro lächelte sanft. "Deine Augen werden auch silbern sein, wenn du das Licht rufst," sagte er ruhig. "Du mußt dich nicht davor fürchten." Isan schluckte und nickte dann tapfer. Yalomiro ließ sich vor dem Mädchen auf ein Knie nieder und blickte in die eisblauen Augen in dem kleinen Kindergesicht. "Du bist eine aus meinem Volk," sagte er. "Ich hätte nicht erwartet, hier eine Schwester zu finden." Isan wußte nicht darauf zu antworten. "Aber ich war schon immer hier bei den Strandleuten," sagte sie dann scheu. Der junge Mann tastete nach der Kinderseele und spürte Verwirrung. "Du ahnst, was ich bin?", fragte er dann. Isan zuckte die Achseln. "Ich weiß nicht genau. Aber du bist wie ich - du hörst, was die anderen denken, und du fühlst dich an wie ich, wenn ich dich anschaue." "Ich bin ein Schattentänzer," sagte er geduldig. "Ich bin ein Magier. Ein joray." Isan blickte ihn verunsichert an und fürchtete sich immer noch vor den silbernen Augen. "Du bist wie ich," fuhr er fort. "Du bist ein Mensch, aber in dir ist eine besondere Kraft, die die anderen in deiner Familie nicht haben. Du magst es noch nicht spüren, aber sie ist da. Du wirst wachsen, und in dir wird Magie sein." Isan staunte. "Werde ich dann richtig zaubern können?" Yalomiro lächelte freundlich. "Wenn du lernst, die Kräfte zu lenken -- dann ja." Das Kind dachte nach. "Und warum sind die Anderen nicht wie ich?" Yalomiro tat eine Geste der Unwissenheit. "Die Macht sucht sich einen Körper, denn ohne den Körper kann sie nicht wirken. Und sie hat sich für dich entschieden. Es ist Schicksal." Isan lächelte unsicher. "Habe ich deshalb auch nie Hunger?" Yalomiro lachte leise. "Dein Körper ißt das da. " Er deutete zum Himmel. "Licht. Licht des Mondes und der Sterne. Denn unsere Kräfte wirken durch die Dunkelheit." Isan blickte ehrfürchtig zum Himmel und schwieg. "Du brauchst einen Meister," sagte Yalomiro schließlich. "Einen älteren Schattentänzer, der dich lehrt, deine Kräfte zu nutzen, Kraft zu nehmen und zu geben, deine Form zu ändern und vieles mehr. Du brauchst einen Lehrer." Das Kind wandte sich ihm zu. "Kannst du mein Lehrer sein?" Yalomiro dachte nach. Vielleicht wäre ein Schattentänzer-Mädchen als Meisterin für Isan geeigneter als er. Doch Aramau konnte Isan nicht mehr helfen. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Nie zuvor gefühlte Trauer überkam ihn, als er an seine tapfere Schwester dachte, die ihr Leben geopfert hatte, um Meister Gor zu beobachten. Wenn Aramau den Katzenkörper verließ, das war ihm und ihr klar, würde sie in wenigen Augenblicken um hundert Jahre altern. Und sterben. Wütend wischte er die Trauer beiseite. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, Aramau zu retten. Und vielleicht gab es andere Schattentänzer, von denen weder Aramau noch er wußten. Isan war der lebende Beweis dafür, daß die Macht noch immer Körper ergriff. "Was wolltest du von mir?," fragte er schließlich. Das Kind zögerte. "Als der Großvater von der Königin erzählte, da habe ich dich nicht mehr gehört. Aber ich glaube, daß du mehr weißt als er. Und weißt, was wirklich ist." Yalomiro schwieg. "Und da war immer ein Bild," sagte sie schüchtern. "Von einem Mädchen." Ujora, dachte Yalomiro, und sein Herz verkrampfte sich. Isan wartete ab. "Dieses Mädchen," sagte er vorsichtig, "ist meine Gefährtin. Ich mußte sie bei dem Zauberer und der Königin zurücklassen, und ich werde zurückkehren, um sie zu befreien." Das Kind blickte zu Boden. "Du willst mir nicht sagen, was mit diesem Zauberer ist?" Yalomiro nickte. "Nein. Das ist etwas, das du noch nicht verstehen darfst." Er bemühte sich um eine zuversichtliche Miene, aber es mißlang. "Wenn ich Glück habe," sagte er dann, "dann wird bald alles wieder gut sein." Isan nickte nachdenklich. "Müssen wir uns fürchten?", fragte sie dann leise. Yalomiro wandte sich wieder dem Licht zu. "Ja," sagte er. Das Kind erschauerte. Dann rief die Mutter aus dem Haus nach ihr. Und die Kleine bedachte den Fremden noch mit einem zweifelnden Blick, bevor sie sich umdrehte und fortlief.
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Aramau saß hoch oben auf der höchsten Zinne, die sie hatte erreichen können und starrte mit unergründlichen Katzenaugen in die Ferne, dort, wo das Nichts mit dem Horizont verschmolz, in der Richtung, in der Yalomiro fortgegangen war. Dort draußen mußte irgendwo ein Traum von ihm sein, und sie bemühte sich, ihre Gedanken durch das Nichts zu schicken.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga
"Aramau," grüßte Yalomiro, als sie ihn erreichte. Aramau lächelte. Sie war ein Mensch, und Yalomiro bedachte sie mit einem traurigen Blick. "Du bist deinem Ziel nahe?", fragte sie. Yalomiro nickte. "Bald werde ich den Mondstrahl gefunden haben." Aramau wartete. "Wie geht es dem Mädchen?," fragte er dann, und Aramau spürte seine Sehnsucht und Angst. "Es wird gefährlich," antwortete sie. „Wir haben kaum noch Zeit.“ Er wich ihrem Blick aus. "Ich werde bald in der Hand haben, was Meister Gor begehrt. Aber dann werde ich nicht wissen, wie es weitergeht. Ich fürchte mich vor dem, was meine Seele entscheiden wird. Es ist keine Schattentänzer-Seele mehr." Aramau schwieg. "Du kannst nicht kämpfen," sagte sie dann. "Du mußt listig sein." Yalomiro lachte bitter. "Eine List anzuwenden gegen jemanden, der Gedankensiegel brechen kann? Aramau, du weißt, daß Kundige untereinander nicht lügen können. Und ihm gegenüber schon gar nicht." Die Schattentänzerin seufzte. "Ich habe keine Wahl," sagte er. "Wenn ich zögere, wird die Leere von ganz allein siegen. Wenn ich das Zeichen verberge, wird Meister Gor mich jagen und es mir früher oder später wegnehmen. Wenn ich das Zeichen für mich selbst nehme, wird es mich umbringen, und Meister Gor braucht nur noch zuzugreifen. Und in allen Fällen wird die ujora dafür leiden müssen." "Wenn du Meister Gor das Zeichen gibst," entgegnete Aramau, "dann hat die Leere sofort gesiegt. Wie es aussieht, steht das Ende schon fest." Yalomiro schwieg. "Es werden Schattentänzer geboren," sagte er dann, und als Aramau erstaunt aufhorchte, erzählte er ihr in knappen Worten von dem Kind. Aramau dachte nach, sagte aber nichts. "Du kannst mir nicht raten, Aramau", stellte er bitter fest. "Ich muß allein gehen." Die Schattentänzerin nickte. "Ich werde die Unkundige von dir grüßen," versprach sie. "Ich spüre Sorge und Kummer in ihrem Herzen. Sie wartet auf dich, Bruder." Yalomiro schloß müde die Augen. Und Aramau zog sich diskret aus seiner Seele zurück.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Als Aramau im Inneren der Burg die Treppe hinab schlich, gewahrte sie vor sich einen schwachen Lichtschimmer auf dem Flur. Als sie vorsichtig näher heranging, sah sie, daß es Licht war, das aus der Kammer der Grauen Königin fiel, deren Tür spaltweit offenstand. Aramau hielt den Atem an, schlich samtpfötig näher und spähte neugierig durch den Spalt. Die Graue Königin stand, der Tür den Rücken zugekehrt, vor dem Zauberspiegel und blickte mit ausdruckslosen Augen hinein. Sie war unbekleidet, und Aramau betrachtete die makellose Vollkommenheit ihres Körpers. Aber dennoch stieß die Schönheit der Grauen Königin Aramau innerlich ab. Die Königin betrachtete ihren Körper freudlos und wirkte so mutlos und einsam, daß Aramau nahe daran war, Mitleid mit ihr zu empfinden. Törichtes, unkundiges Wesen, dachte Aramau bedauernd, Seelenloses ist niemals schön. Werdet ihr das denn nie begreifen? Die Königin wandte sich vom Spiegel ab und ließ sich auf ihrer Bettkante nieder. Sie schien nach Tränen zu suchen, aber sie konnte nicht weinen. Aramau spürte unvermutet die Kälte des Meisters nahen und verbarg sich rasch, indem sie in eine dickbäuchige Bodenvase sprang, die bei der Tür stand. Tatsächlich, Meister Gor kam über den Flur heran und betrat grußlos das Zimmer der Königin. "Ihr seht bekümmert aus," hörte Aramau ihn zur Königin sagen. Die Königin erwiderte zunächst nichts darauf. Aramau linste über den Vasenrand aus ihrem Versteck hervor und lugte durch die Tür. Die Königin schien sich ihrer Nacktheit nicht bewußt zu sein, und Meister Gor zeigte sich unbeeindruckt davon. Er hatte sich abwartend in einem Sessel niedergelassen und betrachtete die Königin ohne sichtbare Emotionen. "Ich frage mich manchmal," sagte sie schließlich zögernd, "wer ich war -vorher. Bevor ihr kamt." Meister Gor schwieg. "Ihr wart einsam," sagte er dann eindringlich und ruhig. "Einsam und erfüllt von Trauer und Zorn." Die Königin blickte zu Boden. "Das ist wahr. Ihr habt mir Trauer und Schmerz genommen. Aber nun fühle ich mich so leer und schwach." "Herrin," sagte Meister Gor streng, "Ihr seid die schönste Frau, die jemals gelebt hat! Die schönste Blume verblaßt neben euch." "Manchmal," sagte die Königin leise, " sind noch Stimmen und Bilder in mir. Und mir ist, als hätte ich einmal lachen und weinen können." Meister Gor erhob sich, trat vor die Königin hin und blickte ihr mit eiskalten Augen ins Gesicht.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Diese Stimmen und Bilder, die Euch noch quälen, werden bald vollends verblassen wie ein böser Traum. Wenn ich am Ziel meines Weges angelangt bin, werden Schmerz und Freude verschwinden aus der Welt, und alles wird sein, wie es gut ist." Aramau schauderte. "Sehr bald schon," wiederholte Meister Gor. "Und alles wird sein wie Euer Reich." Er zögerte und wandte sich dann abrupt der Tür zu. Aramau konnte gerade noch samtpfötig aus der Vase springen und mit lautlosen Sprüngen durch den dunklen Gang davon galoppieren. Meister Gor öffnete die Tür, sah aber zu beiden Seiten nur Dunkelheit. Irritiert schüttelte er den Kopf und wandte sich dann wieder der Königin zu. Und sie lächelte leer.
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Die Unkundige schlief schon lange, als Aramau in ihre Kammer kletterte. Mit verweinten Augen lag sie da und schlief einen verletzten, wehmütigen Schlaf mit besorgten Alpträumen. Aramau sprang zu ihr aufs Bett und rollte sich an ihrer Seite zusammen. Um nichts in der Welt hätte Aramau in dieser Nacht allein bleiben wollen. Aramau horchte kurz in ihren Traum, ein Traum voller Wahnsinn und Schmerz, der der Schattentänzerin nicht gefiel. Aramau schickte ihr Bilder, schöne Bilder von den silbernen Bäumen und dem schwarzen See, bis auch sie darüber einschlief.
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Yalomiro schlief unruhig. Aramaus Besuch in seinem Traum hatte ihn beunruhigt. Er ahnte, in welcher Gefahr sich das Mädchen befand, und noch immer konnte er sich nicht vorstellen, wie seine Entscheidung aussehen würde. Er war entschlossen, die Unkundige so schnell wie möglich zu befreien. Und so versuchte er, müde auf der Küchenbank des Bauernhauses ausgestreckt liegend, aus der Stille der Nacht wenigstens ein wenig Kraft zu schöpfen. Aber auch hier, dem Meer so nahe, wurde es kalt und die Dunkelheit hatte einen schalen Geschmack, der ihn ekelte. Yalomiro zog seinen schwarzen Mantel enger um sich, um sich zu wärmen, und schloß müde die Augen. Nur einige Stunden Schlaf -- vielleicht würde es ihm bereits am nächsten Tag gelingen, den Mondstrahl zu finden. Die danach nötige Entscheidung -- um die wollte er sich noch keine Sorgen machen. Noch nicht.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga *
Yalomiro war eingeschlafen ... aber sein Geist glitt nicht hinüber in den Traum, an den er gewöhnt war. Keine Flucht in den Schutz seines magischen Saales war es, kein Ausruhen in der vertrauten Umgebung seines Hauses oder seines Gartens. Eine leere Ebene umgab ihn. Als er sich verwundert umblickte, stand der Meister Gor hinter ihm. Yalomiro erschauerte beim Anblick des rotgewandeten Magiers. Und die farblosen Augen hinter Meister Gors Maske waren eiskalt und ausdruckslos. 'Ich habe keine Angst vor Euch,' sagte Yalomiro endlich. 'Dies ist ein Traum. Ihr könnt mir nichts anhaben.' Meister Gor nickte. 'Ich habe mich in deinen Traum eingemischt, um mit dir zu reden.' Yalomiro vollzog eine auffordernde Geste. 'Redet.' Meister Gor starrte den jungen Magier prüfend an. 'Du scheinst deinem Ziel nahe zu sein, Yalomiro. Bald wirst du den Mondstrahl aus dem Versteck hervorgeholt haben, an dem du ihn vor langer Zeit verborgen hast. Wirst du ihn mir bringen?' Yalomiro blickte zu Boden. 'Damit alles so wird wie im Toten Land? Damit alles Gute und Schöne verschwindet von der Welt?' Meister Gor lächelte dünn. 'Nur das Leere, Farblose ist vollkommen. Keine Unregelmäßigkeit, keine Abweichung.' 'Kein Leben,' ergänzte Yalomiro. Meister Gor lachte freudlos. 'Wenn du es so sehen willst?' Yalomiro verschränkte die Arme und versuchte, sein Zittern zu ignorieren 'Sagt mir, Meister Gor -- wenn die Mächte des Leere die Mächte des Lebens erst einmal bezwungen haben -- was gibt es dann für Euch noch zu beherrschen?' Meister Gor nickte anerkennend. 'Eine weise Frage, Schattentänzer. Es wird ein ewiges Wachen darüber sein, daß das Unkraut der Hoffnung und der Vielfalt nie wieder aufgeht.' Yalomiro schwieg. 'Wirst du mir das Amulett bringen?,' wiederholte Meister Gor. 'Wißt ihr das nicht bereits, Meister Gor?' Meister Gor zuckte die Achseln. 'Du wirst damit zurückkehren, Schattentänzer. So oder so. Und es liegt an dir, ob ich hier bin als dein Henker oder der des Mädchens.' Yalomiro fuhr empört auf, und Meister Gor lächelte müde.. 'Ich werde dir ein Versprechen machen, Yalomiro. Wenn du mir den Mondstrahl überläßt, werde ich das Mädchen gehen lassen. Ich werde ihr nichts zuleide tun. Wenn du aber versuchen solltest, gegen mich anzugehen mit dem Mondstrahl, werde ich mich zu wehren wissen. Sieh dich vor.' http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga
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Ich erwachte, als ich Aramaus kaltes Näschen in meinem Gesicht spürte. Die Katze saß auf meiner Brust und starrte mich mit in Dunkel glühenden Augen an. Ich hatte Aramau nicht kommen hören. Aber ich war heilfroh, daß sie mich aus einem Alptraum aufgeweckt hatte. Seit ich auf der Grauen Burg war, hatte ich keine angenehme Nacht verbracht. "Aramau," sagte ich leise und wollte mich aufsetzen, was aber nicht gelang, da die Katze ungerührt auf mir sitzen blieb und starrte. "Du hast von ihm geträumt," stellte sie dann fest. "Woher weißt du das?" Aramau begann schweigend, ihr buntscheckiges Fell zu putzen. Ich wartete. "Ich habe es gespürt," erklärte sie endlich. So sehr mich die Anwesenheit Aramaus beruhigte, so peinlich war mir der Gedanke, daß sie meine Träume lesen konnte. "Aramau," sagte ich schließlich, "ich habe dich noch nie als Mensch gesehen. " "Ich wäre dumm, diese Form zu verlassen," entgegnete sie mürrisch. "Nur das Rätsel- Tier, nur die unergründliche Katze , ist vor dem Pack hier auf der Burg sicher. Nur in dieser Form erkennt er uns nicht als das, was wir sind. Würde ich diesen Körper verlassen, würde sogar die Königin mich erahnen." Ich war überrascht. "Der Meister und die Königin können also nicht wissen, ob sie eine echte Katze oder einen von euch vor sich haben?" Aramau antwortete nicht, begann lediglich, ihre Krallen an meiner Bettdecke zu schärfen. "Du hast mir nicht gesagt, was mit Yalomiro geschehen wird, wenn es ihm gelingt, den Mondstrahl doch zu kontrollieren," begann ich erneut. "Vielleicht gar nichts," entgegnete die Katze ungehalten. "Warum weichst du mir aus?," fragte ich ungeduldig. "Das Rätsel-Tier antwortet selten," versetzte Aramau, und ich fand, daß das sehr hochnäsig klang. Ich wollte Aramau darauf hinweisen, ihr sagen, wie ungeduldig ich von Minute zu Minute wurde ... da hörte ich, wie die Zimmertür aufgeschlossen wurde. Ehe ich etwas unternehmen konnte, stand die Graue Königin im Türrahmen. Ich streifte rasch die Decke von mir, so daß Aramau darunter begraben wurde und hoffte, daß die Königin in der Dunkelheit die Katze nicht bemerkt hatte. Und natürlich, daß Aramau sich verborgen halten würde. "Mit wem redest du?," fragte die Königin und klang müde. "Ich .. ich rede wohl im Schlaf," log ich. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ich kann auch nicht schlafen," entgegnete die Königin, trat ein und ließ sich auf dem Sessel nieder. Ich schob das Bettdeckenknäuel mitsamt der reglosen Katze von mir herunter in eine Ecke des Bettes und setzte mich auf die Kante. Nur wenig Licht drang durch das Fenster, Licht, das von der Beleuchtung des Innenhofes herrührte, trübes, flackerndes Fackellicht in einer grauen, sternenlosen Nacht. Dennoch erhaschte ich einen Blick auf das Gesicht der Königin. Es war puppenhaft und ausdruckslos wie immer. Ich versuchte, mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen. "Was wollt Ihr hier, mitten in der Nacht?" Die Königin seufzte. "Ich habe begonnen, zu zweifeln, Ujora. Seit du hier auf der Burg bist, seit Yalomiro zu mir sprach, habe ich von neuem begonnen, mich zu fragen, wer ich bin. Und wer ich war." Ich betrachtete sie und glaubte, Hilflosigkeit in ihrer Stimme zu erkennen. "Wer Ihr wart?" Sie zögerte. "Hast du in deinem Leben schon einmal an einer Entscheidung gezweifelt, Ujora?", fragte sie dann beinahe schüchtern. Ich mußte unwillkürlich lächeln. "Es stellt sich oft erst später heraus, ob eine Entscheidung richtig oder falsch war." Die Königin blickte mich an, und hinter ihrer Puppenmaske blitzte für einen Moment Verzweiflung auf. "Ich versuche, darüber nachzudenken. Aber ich kann die Gedanken nicht festhalten. Und Meister Gor sagt, es sei gut so." Ich wartete ab. "Ich erinnere mich kaum daran, wie ich wirklich gewesen bin. Aber ich weiß, daß es mir nun besser geht." Ich vermochte nicht, ihr darauf Antwort zu geben. Sie blickte mich einen Moment abwartend an, erhob sich dann und ging wieder zur Tür. Bevor sie den Raum verließ, blickte sie noch einmal fast flehend in meine Richtung. Doch mit einem Male verhärtete sich ihr Blick wieder. Sie seufzte verärgert und zog die Tür hinter sich zu. Aramau wühlte sich unter der Decke hervor. Sie war sprachlos, und das gab mir Anlaß zu der Annahme, daß etwas sehr Ungewöhnliches vor sich ging. "Meister Gor kümmert sich nicht mehr genügend um sie," sagte sie dann. "Er war zu sehr mit Yalomiro beschäftigt, so daß er darin nachlässig wurde, sie zu betäuben. Die Graue Königin beginnt, zu zweifeln." "Und was heißt das für uns?," fragte ich gespannt. Aramaus Augen verengten sich. "Das heißt, daß irgendwo im Innersten der Königin noch ein winziger Funken von Seele ist. Und das kann uns helfen." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga
15.
Isan rüttelte Yalomiro sanft wach. Draußen zog sich bleifarbene Dämmerung über die kargen Hügel, und der triste Tag erwachte. Yalomiro setzte sich auf und schüttelte die Reste des Traumes ab. Das Kind blickte mit großen Augen zu ihm auf. "Alle schlafen noch," sagte es. Yalomiro nickte. "Ich werde fortgehen. Es ist besser, wenn deine Familie mich nicht gehen sieht. Bitte danke ihnen in meinem Namen für die Gastfreundschaft, und deinem Großvater für seine Geschichte." Isan entgegnete nichts darauf. "Darf ich mit dir kommen?," fragte sie dann leise. Yalomiro schüttelte den Kopf. "Nein. Noch nicht. Zuerst muß ich meine Aufgabe vollenden." Das Kind verstand und blickte zu Boden. Der junge Magier erhob sich und ging an der Kleinen vorbei zur Tür, öffnete sie und trat in den kalten, windigen Morgen. "Wenn ich zurückkehre," sagte er dann, "werde ich dich eines Tages mitnehmen, um dein Meister zu sein. Ich werde dich lehren, deine Kräfte zu lenken und Gutes damit zu vollbringen. Aber noch darfst du mir nicht nachgehen." Das Kind folgte dem schwarzgewandeten jungen Mann ins Freie. "Ich werde auf dich warten," sagte es. Yalomiro lächelte. "Du bist anders als deine Eltern, deine Brüder und Schwestern. Versuche, es dir nicht anmerken zu lassen. Nutze deine Kräfte nie in ihrer Gegenwart, und richte sie niemals gegen etwas Lebendiges, auch nicht im größten Zorn. Eines Tages wirst du sie dann benutzen können, so wie du sie brauchst." Isan schaute zweifelnd zu ihm hin, wie er da stand, in der trüben Morgendämmerung vor bleiernen Wolken, die vom Wind getrieben ins Land strebten. Der Wind zauste seine Haare und bauschte den Mantel um seine Schultern auf, und Isan fürchtete sich immer noch ein wenig. "Hüte dich vor einem Metall, das glänzt wie die Sonne," riet er ihr. "Und hüte dich vor Menschen, die sich anfühlen wie Eis, wenn man sie betrachtet." Das Kind nickte gehorsam. Yalomiro zögerte. "Schau her, Isan," sagte er dann, beugte sich hinab und zupfte ein Samenkorn von einer vertrockneten Blume am Boden und verscharrte es zu seinen Füßen im Sand. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Isan kam näher und beobachtete staunend, wie er seine Hand über die Stelle am Boden hielt, wo der Samen lag, die Augen schloß und fast unhörbar eine leise, wortlose Melodie summte. Einen Augenblick lang geschah gar nichts. Dann brach plötzlich ein Keim aus dem Sand hervor, und vor Isans staunenden Augen wuchs er innerhalb weniger Sekunden zu einer starken kniehohen Blume heran. Als deren Knospe sich öffnete, kam eine herrliche Rose mit duftigen Blättern zum Vorschein. Die Blüte war nachtschwarz, und die Adern ihrer Blätter schimmerten silbrig. "Ist das eine Blume?", fragte Isan ehrfürchtig. "Ich kann nur Dinge formen, die schwarz sind," entschuldigte er sich. "Wahre Blumen sind bunt. Aber du siehst, unsere Kräfte sind dunkel, aber gut und heilend." "Wie schön," staunte das Kind und neigte sich zur Blume hinab, die süß und betörend duftete. Als sie aufblickte, war Yalomiro verschwunden. Nur ein großer schwarzer Rabe saß auf dem Gartenzaun, plusterte sein Gefieder und stürzte sich dann energisch in den heftigen Wind. Isan beobachte, wie der prächtige Vogel sich in die Weite des Himmels schwang und dann mit kraftvollen Flügelschlägen auf das Meer zuflog. Kurz nachdem der Rabe als ein winziger Punkt am Horizont verschwunden war, kam Isans Großvater aus dem Haus gehinkt und sah sich suchend um. "Wo ist der Fremde?", fragte er das Kind. "Er ist gegangen," antwortete Isan sinnend,
wandte sich dem Alten zu und
deutete auf die Blume. "Das da hat er uns geschenkt," sagte sie stolz. Der Großvater blickte die Blume an, und Ärger trat in seine Miene. "Blendwerk," keifte er, "eine schwarze Blume! Das bringt Unheil!" Und ehe das Kind es verhindern konnte, hatte er die Blume geknickt und die Schattenblüte zertreten. "Komm ins Haus," sagte er dann fast milde, als er das Entsetzen des Kindes bemerkte, "komm mit und glaub mir -- es ist gut, daß er fort ist. Und wenn er nie zurückkehrt."
*
Am nächsten Morgen bemerkte ich, daß die Königin vergessen hatte, die Tür nach ihrem nächtlichen Besuch zu schließen. Ich weiß nicht, warum ich es tat, aber ich nutzte die Gunst der Stunde, um meine Kammer zu verlassen und mich draußen auf dem Flur umzusehen. Doch es gab nichts Interessantes zu sehen. Alle Gegenstände waren grau und schlicht, nirgendwo fanden sich hier Verzierungen oder kunstvolle Arbeiten.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Bilder oder Wandteppiche suchte ich vergebens, und die Vorhänge an Wänden und Fenstern waren ebenso grau wie die Steine. Ich war kaum zwei Etagen weit durch die Gänge geirrt, durch ein Labyrinth von Treppen, die auf- und nieder und nirgendwohin führen, hatte Türen ausprobiert und war durch lange Korridore geschritten, aber ich erreichte niemals eine Außentür. Und schon nach kurzer Zeit wurde mir klar, daß diese Gänge in dieser Weise absolut unmöglich waren – daß dies ein magisches Labyrinth war, aus dem ich aus eigener Kraft nie einen Weg finden konnte. Nachdem ich um eine Ecke gegangen war, stand ich plötzlich vor der Königin, die einigen ihrer grauen Diener Anweisungen gab. Der Anblick der graugekleideten, gesichtslosen Menschen erschreckte mich immer wieder, und durch meinen impulsiven Schreckenslaut wurde die Königin auf mich aufmerksam. "Wohin willst du?", fragte sie verwundert. "Nirgendwohin," sagte ich. "Ich wollte mich nur umschauen." Die Königin lachte ihr seltsames Lachen und faßte mich dann bei der Hand. "Ich bringe dich zurück," sagte sie freundlich und führte mich den ganzen Weg zu meinem Zimmer zurück, wobei sich ihre Hand anfühlte wie ein Schraubstock. Seltsamerweise waren wir schon nach wenigen Schritten am Ziel. So war ich wieder in meinen gewohnten vier Wänden. Ich verabschiedete mich mit wortreichen Floskeln von der sanft und entrückt lächelnden Grauen Königin, empfahl mich dann und schloß innerlich schimpfend die Tür, wütend darüber, daß mein Ausflug schon nach so kurzer Zeit mißglückt war. Noch bevor ich mich wieder umdrehen konnte, fühlte ich die Anwesenheit von jemand anderem im Raum. Ich bemühte mich, nicht hinzusehen. Aber als ich spürte, daß jemand auf mich zu trat, öffnete ich schließlich doch die Augen. "Yalomiro?", rief ich überrascht aus, als ich ihn erkannte. Yalomiro lächelte. Aber irgendetwas schien mit seinem Lächeln nicht zu stimmen. Es wirkte leer. "Wie kommst du hierher?," fragte ich leise, mich daran erinnernd, daß die Königin draußen vor der Tür stand. "Ich bin gekommen, um dich mitzunehmen," antwortete er, und seine Stimme klang fremd. Ich zögerte. Woher auch immer er so plötzlich gekommen war, er hatte große Gefahren auf sich nehmen müssen, um mich zu erreichen, um an Meister Gor und der Königin vorbei zu gelangen. Wie er mich fortbringen wollte, war mir ein Rätsel. Etwas in mir widersetzte sich dem Wunsch, auf ihn zuzulaufen und ihn zu umarmen. Ich war nicht fähig, Erleichterung und Freude bei seinem Anblick zu empfinden -- nur Verwunderung und Mißtrauen. Das Licht fehlt, fuhr es mir in den Sinn, es geht kein Licht von ihm aus. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro schien mein Zögern zu bemerken und kam näher. "Ich kann mich nicht lange verbergen," raunte er. "Komm zu mir! Wir müssen schnell fort von hier." Ich fühlte den Wunsch, vor ihm zurückzuweichen. Und ein anderer Teil von mir strebte zu ihm, wollte ihn berühren und seine Wärme spüren. "Worauf wartest du?," fragte er, und ich erkannte Ungeduld in seiner Stimme. Ich musterte ihn unsicher. Es war Yalomiro, ohne Zweifel. Es war derjenige, dessen Erscheinen ich tagelang herbeigesehnt hatte, dessen Nähe und Schutz ich begehrte. Es war sein Körper, sein Gesicht. Aber es war nicht sein Licht. "Hast du das Amulett gefunden?," fragte ich verwirrt, und er stand so nahe vor mir, daß ich seinen Atem spürte. Seine Augen waren fast schwarz und bodenlos, und ich schauderte. "Ja," sagte er knapp, und seine Stimme war heiser. "Wo ist es?" Yalomiro lächelte flüchtig und Kälte ging von seiner Miene aus. "Ich habe es versteckt," erwiderte er. "Sie würden es spüren, wäre es in der Nähe." Ich kann seine Nähe kaum ertragen, dachte ich. Was hat ihn verändert? Dabei kam mir eine Idee. Ich wich vor ihm zurück, bis ich die Wand in meinem Rücken spürte und zwang mich dazu, ihn anzulächeln. "Ich habe nicht zu hoffen gewagt, daß du zurückkehrst," sagte ich und ließ meine Hand in meine Gürteltasche gleiten, ohne daß er es sehen konnte. Aufgeregt ertastete ich ihren Inhalt, bemüht, mir meine Angst nicht anmerken zu lassen. "Warum sollte ich dich zurück lassen?", fragte er, unbewegt lächelnd und trat wieder vor mich hin, als wolle er mir den Weg versperren. Im selben Moment hatte ich meinen Ring gefunden und streifte ihn mit einiger Mühe über den Finger, so gut es mit einer Hand ging. Ich zog sie wieder aus der Tasche hervor. "Ich kann nicht glauben, daß du gekommen bist," lächelte ich mühsam beherrscht. "Vielleicht bist du nur ein Traumbild. Darf ich dich berühren?" Er schloß die Augen und näherte wortlos sein Gesicht dem meinen. Ich hob die Hand und streichelte seine Wange. Yalomiro verzog keine Miene, lächelte weiter. und ich starrte auf meine Hand auf seinem Gesicht. "Nein," sagte ich leise. "Du bist real." Yalomiro richtete sich auf, blickte aus bodenlosen Augen. "Aber du bist nicht Yalomiro," stieß ich hervor, und nun erst überkam mich panische Furcht.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Sein Gesicht versteinerte, Wut glomm in seinen Augen . Er fuhr herum, schritt eilig zum Fenster hinüber, daß der weite schwarze Mantel um seinen Körper herum wehte, und wandte sich heftig mir wieder zu. Ich hatte es befürchtet. "Was hat mich verraten?", fragte Meister Gor, und die Kälte, die er mühsam unterdrückt haben mochte, traf mich mit aller Wucht. Ich kauerte mich in der Zimmerecke zusammen und fürchtete mich vor seinem Zorn. "Das Gold," antwortete ich kleinlaut. "Der Ring an meiner Hand. Yalomiro hätte vor Schmerz geschrien bei dieser Berührung." Meister Gor baute sich vor mir auf, und ich wagte nicht, die schwarze Maske anzuschauen. "Du hättest Yalomiro verletzt?", fragte er, und ich hörte Erstaunen in seiner Erregung. Ich nickte. "Ich habe gespürt, daß er es nicht war. Daher wagte ich es." Meister Gor antwortete nicht. Flüchtig blickte ich zu ihm auf -- und sah, daß er amüsiert zu lächeln schien, ein Ausdruck, den ich auf seinem Gesicht nicht vermutet hätte. "Steh auf," befahl er dann, und ich gehorchte. Einen Moment lang sagte niemand etwas. "Warum," fragte ich schließlich und nahm all meinen Mut zusammen, "warum wolltet Ihr mich täuschen? Was hättet Ihr dadurch gewonnen?" Meister Gor zuckte die Achseln und sah sich nach einer Sitzgelegenheit um. "Ich wollte wissen, wie stark deine Sehnsucht nach ihm ist," behauptete er und ließ sich in einem Sessel in der Nähe des Fensters nieder. "Offensichtlich ist sie noch nicht stärker als deine Vernunft. Und außerdem wollte ich sehen, ob ich dich nicht doch auf meine Seite bekomme." Ich entgegnete nichts darauf. Aber ich fragte mich, ob nicht noch etwas anderes in Meister Gor vorgehen mochte als Neugier. "Erlaubt Ihr mir eine Frage?", fragte ich und staunte über meinen Mut. Meister Gor richtete seinen farblosen Blick auf mich und forderte mich mit einer knappen Geste auf, zu reden. "Meister Gor," begann ich, "Ihr seid ein mächtiger Zauberer. Vermutlich seid Ihr mächtiger als jeder andere lebende Magier in dieser Welt. Ich verstehe zwei Dinge nicht: warum dient Ihr der Grauen Königin, und warum verfolgt Ihr gerade Yalomiro mit solchem Haß, wenn seine Künste an die Euren doch nicht heranreichen?" Meister Gor dachte einen Augenblick nach. "Komm näher," bat er dann, "setz dich." Erstaunt über diese höflichen Worte gehorchte ich und ließ mich vor ihm auf dem Teppich nieder. "Was die Graue Königin betrifft," sagte Meister Gor, " diene ich ihr aus Gründen, die du nicht erfahren wirst. Eines nur: die Dinge sind anders als http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga sie scheinen. Die Graue Königin ist nicht meine Herrin, auch, wenn sie das denken mag. Aber ich werde dir nicht erklären, welche Gründe mich antreiben. Das geht dich nichts an." Ich nickte. "Und Yalomiro?" Meister Gor schwieg einen Moment. "Ich werde dir etwas sagen. Wir goala‘ay geben uns gewöhnlich nicht mit ", er suchte ein passendes Wort und fuhr fort, "gewöhnlichen Kundigen ab. Aber die Schattentänzer sind anders. Sie sind wie lästiges Ungeziefer. Yalomiro ist der Lästigste von allen. Er hat meine Pläne erheblich verzögert. Denn er allein weiß, wo sich das Amulett, das sie Mondstrahl nennen, befindet." Ich suchte nach Worten. "Wenn Yalomiro so lästig ist," fragte ich und fürchtete die Antwort, "hättet Ihr nicht schon oft Gelegenheit gehabt, ihn zu vernichten? Wäre das nicht viel einfacher für Euch gewesen?" Meister Gor lächelte.
"Doch, das hätte ich. Ich war sogar oft nahe daran,
ihn auszulöschen. Aber es fasziniert mich, wie er sich an sein lächerliches Dasein klammert, und wie hartnäckig er mir verschweigt, wo er das Amulett verborgen hat. Ich muß zugeben, es macht mir Spaß, zu beobachten, wie er sich aus der ganzen Geschichte herauswinden will." Ich blickte zu Boden. "Die Statue," fragte ich leise, "das wart Ihr?" Meister Gor lachte tonlos. "Es war leider nicht meine Idee," antwortete er. "Aber ich habe es getan, das stimmt." Er lehnte sich zurück, und ein zufriedener Ausdruck lag auf seinen Lippen. Ich sah dieses Lächeln, erinnerte mich an Yalomiro, als ich ihm das erste Mal begegnet war, an den in Stein gezwungenen Körper. Abscheu überkam mich. "Mehr als einmal spielte ich mit dem Gedanken, in den Silbernen Wald zurückzukehren und die Statue zu zerschlagen. Aber das Wissen, das Yalomiro birgt, ist zu wertvoll," plauderte der Rotgewandete weiter. Ich schauderte. "Ich weiß, daß du mir nicht allzu viel Sympathie entgegen bringst," fuhr Meister Gor fort. "Aber damit kann ich leben. Es schmeichelt mir, daß du Angst vor mir hast. Dennoch, du bist nicht in Gefahr." Ich nickte und zwang mich, diesem farblosen, kalten Blick standzuhalten. "Ihr wollt das Amulett - den Mondstrahl - für Euch haben. Aber die Königin ... was will sie?" "Die Königin ist schwach," unterbrach Meister Gor. "Das unzulängliche bißchen Magie, das in ihr ist, kann mir nicht standhalten. Ich habe es ihr geliehen, und ich kann es ihr wieder wegnehmen. Sie wird es zu spüren bekommen, wenn Yalomiro uns das Amulett bringt." "Warum sollte er das tun?", wagte ich, zu widersprechen. "Er könnte mit dem Amulett fortgehen. Oder es gegen Euch einsetzen." "Er wird damit herkommen," sagte Meister Gor ruhig. "Er wird um deinetwillen zurückkehren. Und ich fürchte den Kampf mit ihm nicht." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Aber wenn der Mondstrahl so mächtig ist ..." "Yalomiro ist nicht stark genug, um diese Macht zu kontrollieren," fuhr Meister Gor mir ins Wort. "Und die Macht des Mondstrahls wird sich, wenn sie nicht gelenkt und gezügelt wird, gegen den richten, der sie benutzt. Sie wird Yalomiro auslöschen -- oder zerbrechen. In jedem Fall ist der Yalomiro, den du kennst und den du liebst, verloren. So oder so." Ich fühlte die Kälte um mich und fror. "Was wäre, wenn Yalomiro Euch das Amulett überließe?" Meister Gor lachte leise. "Wenn das geschieht, werde ich wirklich der mächtigste Zauberer sein, den diese Welt je gesehen hat. Und glaub mir, das Erste, was ich tun werde, ist, den Schattentänzer, diesen Plagegeist, zu vernichten. " Ich schüttelte mich, und schluckte meine Verzweiflung. "Dann laßt Ihr Yalomiro also keine Wahl als seinen Tod?" Meister Gor nickte und erhob sich mit überraschender Würde. "Wenn der Mondstrahl ihn verschont, ich werde es bestimmt nicht tun."
Er schien
einen kurzen Moment zu überlegen und sprach fast vergnügt weiter. "Ich werde alles, was an Magie in ihm ist, aus ihm herausziehen. Und den schwachen, unkundigen Menschen, der dann von ihm übrigbleibt, werde ich zertreten -- wie man es mit Ungeziefer machen sollte." Er wandte sich der Tür zu, zögerte dann und blickte an sich herab, auf die schwarzen, silbrig schillernd bestickten Gewänder, mit denen er sich verkleidet hatte. Mit einem Laut des Abscheus fuhr er mit einer Geste, die aussah, als streife er sich Staub von der Kleidung ab, an sich herab, und Yalomiros Gewänder verwandelten sich in Meister Gors roten Anzug. Ohne ein weiteres Wort ließ er mich sitzen, verließ den Raum und zog die Tür hinter sich zu. Ich hörte, wie von außen abgeschlossen wurde. Wie betäubt blieb ich einen Moment lang auf dem Boden hocken und spürte, wie die Kälte langsam aus dem Raum entwich. Dann richtete ich mich wieder auf und trat ans Fenster. Jenseits der Mauern lag nur die graue Ebene des Toten Landes. Aber dort regte sich nichts. Ich weiß nicht, was ich zu erspähen hoffte, und ich fragte mich, ob es gut war, daß niemand sich näherte.
*
Einige Zeit später, als das trübe Licht das grauverhangenen Tages langsam in das noch düsterere Licht des Abends überging, kam Aramau zu mir. Sie mußte durch ein Fenster der selben Etage gekommen sein und spazierte gelassen mit der Eleganz und Anmut ihres scheckigen Katzenkörpers auf den steinernen Gestalten der Zierborde unter den Fenstern entlang auf den Raum
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga zu, in dem ich saß. Ich hörte sie unter dem Fenster auffordernd maunzen und hob sie zu mir in den Raum. "Aramau," sagte ich und drückte sie zärtlich an mich, "ich bin so froh, daß du wieder da bist." Und ich schmiegte mein Gesicht in ihr Fell, um meine Tränen zu trocknen. "Ich bitte dich," tönte Aramaus Katzenstimmchen vorwurfsvoll, "ich freue mich auch, dich zu sehen. Aber ich bitte dich doch, dich daran zu erinnern, daß ich kein Schoßtierchen bin." Ich beeilte mich, die Katze auf den Boden zu setzen. Doch Aramau sprang mit einem Satz auf Meister Gors
Stuhl und schnupperte. "Es stinkt nach dem
Großen Meister," knurrte sie verächtlich. Ich nickte. "Er war hier in diesem Raum." Aramau rollte sich auf dem Sessel zusammen und blickte mit ihren riesigen grünen Katzenaugen in mein Gesicht. Was sie dachte, konnte ich nur ahnen. "Hast du von Yalomiro gehört?," fragte ich sie. "Ja," sagte sie knapp, schloß die Augen und schwieg. Verblüfft über diese knappe Antwort kniete ich vor dem Sessel nieder und wartete darauf, daß sie weitersprach. Aramau schwieg. Nach einiger Zeit schlug sie die Augen wieder auf und schien lautlos zu lachen. "Ich bitte dich, Aramau," flehte ich die gescheckte Katze an, " was weißt du?" "Du bist ungeduldig," meinte sie ausweichend. "Ungeduldig und neugierig. " Ich atmete tief ein und bemühte mich, ruhig zu bleiben. "Aramau -- wenn du irgendetwas
weißt ..."
Aramau kicherte verlegen. Das Kichern einer Katze ist ein seltsamer Laut. "Aramau," verlegte ich mich aufs Schmeicheln, "es ist wichtig." Aramau setzte sich auf und wurde plötzlich sehr ernst. "Er ist dem Ziel sehr nahe," sagte sie. "Und wenn er den Mondstrahl erst in Händen hält, wird er einer großen Versuchung widerstehen müssen. " Ich nickte. "Wenn er versucht, die Macht zu nutzen, könnte er sterben. Meister Gor hat es mir gesagt." Aramau nickte. "Aber Meister Gor hat dir nicht gesagt, was mit Yalomiro geschehen würde, wenn er die Macht nutzt und sie beherrschen kann." "Meister Gor sagt, dazu sei Yalomiro zu schwach." Aramau stieß einen verächtlichen Laut aus. "Meister Gor unterschätzt Yalomiro. Er will die Wahrheit nicht sehen. Yalomiro ist vielleicht nicht so mächtig wie Meister Gor -- aber er ist klug und verständig. Er wird sich Meister Gor keinesfalls unterwerfen, wenn er den Mondstrahl in Händen hält."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich seufzte. "Davon verstehe ich nichts. Ihr redet alle nur von Macht und Kraft und Magie -- Meister Gor, die Königin und ihr Schattentänzer. Mir ist das Amulett egal." Aramau blinzelte. "Das macht dich gefährlich, Ujora. Du bist die Einzige, die kein Interesse am Mondstrahl hat. Deine Sorgen gelten nur Yalomiro. Du mußt ihn sehr lieben." Aramau zögerte einen Moment. "Wir Schattentänzer sind einsam, Ujora. Untereinander sind wir durch sehr starke Gefühle verbunden, das schon -- aber wenn ein Unkundiger bereit ist, aufrichtige Liebe zu einem von uns zu empfinden, verleiht uns das wohl enorme Kräfte und erhöht auch unsere magischen Fähigkeiten. Meister Gor weiß, daß du Yalomiro stärkst und deshalb fürchten er und die Königin dich. Andererseits sind sie sich sicher, daß Yalomiro zurückkehren wird, um dich zu befreien. Und wenn er den Mondstrahl hat und keine andere Wahl sieht ... dann wird es gefährlich. Für uns alle." Ich blickte zu Boden. Aramau legte den Kopf zur Seite. "Gestatte mir eine Frage, Ujora -- warum warst du bereit, Yalomiro zu helfen, nachdem du dir doch gar nicht mehr so sicher sein konntest, auf wessen Seite er stand?" Ich lächelte. "Doch, das wußte ich, Aramau. Als Meister Gor mich bedrohte, legte Yalomiro zum ersten Male seine Aura um mich ... und von diesem Moment an war mir klar, daß er das Richtige verfolgte." Aramau schwieg einen Moment. "Es ist wohl die Art, auf die Schattentänzer lieben können," sagte sie dann sanft und sprang elegant vom Sessel auf die Fensterbank. "Es ist reine Zärtlichkeit und Vertrauen. Es ist so, daß es dir nie Schmerzen bereiten wird." Sie glitt aus dem Fensterrahmen und balancierte über die in Stein gemeißelten Figuren hinfort.
16.
Yalomiro landete in den grauen, von struppigem Riedgras bewachsenen Dünen und wechselte die Form, wurde wieder ein Mensch. Dann blickte er seufzend auf das dunkelgraue Wasser und die gewaltigen, düsteren Wolken darüber. Außer der stetigen Brandung und dem heftigen Wind war kein Laut zu hören. Nicht einmal Vögel, dachte er und stieg an den Strand hinab. Nicht einmal die Möwen fliegen im Wind. Selbst der feine Sand unter seinen Schuhen wirkte aschefarben. Die heranrollenden Wellen klirrten mit Muschelscherben und griffen mit jedem Mal weiter in den Strand. Die Flut kam. Yalomiro hatte sich nie zuvor so einsam gefühlt. Nachdenklich und betrübt betrachtete der junge Magier die unendliche Weite des Wassers vor sich, und trotz der Endlosigkeit fühlte er sich beengt von der grauen Meeresebene und
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga dem bewölkten Himmel darüber, der am Horizont den Wasserspiegel zu berühren schien. Der Schattentänzer ging langsam hinab zum Wasser, dorthin, wo der Sand feucht war und es sich besser laufen ließ. Dort hinten, weit hinter dem Horizont, tobten Wind und Wellen, zerschlugen jedes Boot, das versuchte, die Grenzen zu übersegeln. Die Fischer kannten diese Grenze, und sie respektierten sie. Yalomiro würde sie übertreten müssen, um das Zeichen wiederzufinden. Doch er hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, daß dies der gefährlichste Teil seiner Reise sein mochte. Die Form ist unsterblich, dachte er. Selbst das Meer des Chaos wird den schwarzen Delphin der Tiefe nicht töten können. Aber wie soll es enden, wenn ich das Zeichen in Händen halte? Der junge Zauberer ließ sich im Sand nieder, zog sich den Mantel fest um die Schultern und schauderte vor dem eisigen Wind. Was ist hinter dem Horizont?, überlegte er beunruhigt. Ich habe es mich nie gefragt und ich weiß es nicht. Nie zuvor ist ein Schattentänzer so weit gegangen. Noch nie war ein Mensch jenseits des Chaos. Die ersten Wellen umspülten seine Füße, und er erhob sich wieder, klopfte sich den Sand von den Gewändern und blickte schweigend aufs Wasser. Dann wandte er sich ab und ging ein Stück weiter den Strand entlang, ohne nachzudenken, ohne bewußt die Richtung zu wählen.
*
Der Fischer war gerade dabei, sein kleines Boot aufs Land zu ziehen, als er den einsamen Wanderer bemerkte, der das graue Wasser entlang auf ihn zukam. "He, du!", rief der Fischer und als der Wanderer aufblickte, winkte er ihm zu. "Die Flut kommt!", rief er, "hilf mir mal mit dem Boot!" Der junge Mann kam eilig näher und der Strand-Mann stutzte über die seltsamen Gewänder und das fremdartige Aussehen. Doch der vornehm gekleidete Fremde griff wortlos mit zu, und gemeinsam zerrten beide Männer das Boot weit fort von der Wasserlinie, bis hinauf in die Dünen. "Danke," sagte der Fischer, und der junge Mann nickte müde. Der Strand-Mann betrachtete ihn einen Moment lang skeptisch. "Du bist nicht von hier," sagte er dann. "Es ist gefährlich, zu dieser Zeit am Strand zu sein. Die Wellen sehen harmlos aus, aber sie überfluten den Strand schneller, als man denkt. Es sind schon Leute ertrunken." "Vielen Dank für die Warnung," entgegnete der junge Mann und seufzte. Der Fischer schwieg abwartend.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Es ist sicherer, hier oben in den Dünen zu wandern," fuhr er dann fort. "Du willst in die Stadt, nicht wahr?" "Nein," entgegnete der Fremde. Der Strand-Mann schüttelte verdutzt den Kopf. "Aber wohin willst du dann?" Der schwarz gekleidete junge Mann hob die Schultern. "Du würdest mir davon abraten." Der Fischer wartete. "Wie ist das Meer an dieser Stelle?," fragte der junge Mann. "Ist die Strömung sehr stark? In welche Richtung ziehen die Wellen dort draußen?" "Du willst ins Wasser," stellte der Fischer fest und schüttelte mißbilligend den Kopf. "Kann denn etwas so Übles passieren?" Der Schwarzgekleidete blickte auf. "Du willst dich umbringen," stellte der Strand-Mann fest. "Glaub mir, mein Junge, das lohnt sich nicht, egal, welche Gründe du hast. Was ist es? Schulden? Hast du ein Verbrechen begangen? Hat dich dein Mädchen verlassen?" Der junge Mann lächelte flüchtig. "Alles -- und doch nicht so, wie du es dir denkst. Ich will nicht sterben, aber ich muß dennoch ins Wasser gehen." Der Strand-Mann schüttelte den Kopf. "Das begreife ich nicht, Fremder." "Ich heiße Yalomiro," sagte der junge Mann. "Ich bin Egnar", stellte auch der Fischer sich vor. "Dein Name klingt, als kämest du von weit her." Yalomiro dachte nach. Er war sich nicht im Klaren darüber, was er dem Strand-Mann erzählen sollte. "Ich komme von weiter her, als du oder deine Freunde jemals gegangen sein werden," sagte er dann vage. Egnar lächelte, und ein wehmütiger Zug überflog sein vom Wetter gehärtetes Gesicht. „Ich würde gerne einmal sehen, was jenseits meiner kleinen Welt ist. - Du mußt du müde und hungrig sein. Komm mit in unser Dorf." Yalomiro nickte ergeben und schloß sich dem Fischer an, als dieser sich von seinem Boot abwandte und in Richtung der Dünen stapfte. Vielleicht würde es gut sein, noch einmal die Nähe von Menschen zu spüren, bevor er sich auf den Weg machte, das Chaos zu durchschwimmen, um nach dem Mondstrahl zu suchen. *
Egnars Dorf bestand aus einigen windschiefen Katen und mehreren festen Steingebäuden. Sand hatte den Asphalt bedeckt und begraben, so daß man an einigen Stellen knöcheltief einsank. Es war kalt und ungemütlich, und das Dorf schien grau und trist wie das Meer. Einige Leute am Wegesrand, die irgendwelchen Beschäftigungen nachgingen, Netze flickten und Boote ausbesserten, blickten neugierig auf, als Egnar http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga mit dem vornehm gekleideten jungen Mann ins Dorf kam und dort sogleich einem der größeren Steinhäuser, dem Gasthaus des Dorfes, zustrebte. Einige schlossen sich unauffällig in einiger Entfernung an. Der Fremde versprach, etwas Leben und Neuigkeiten in das trostlose Leben am Rande des Chaos zu bringen. Yalomiro entdeckte ein Haus aus festem Stein in einiger Entfernung, das bedeutend größer und etwas aufwendiger gebaut war als die übrigen. Es wirkte beinahe wie ein kleines Herrenhaus. Egnar bemerkte, was Yalomiros Aufmerksamkeit galt. "Das ist das Schloß von Prinz Asgay," erklärte der Strand-Mann. "Ein Prinz?", fragte Yalomiro überrascht. Egnar nickte. "Seinen Eltern gehörte dieses Dorf," erklärte er. "Aber das ist lange her. Und im Grunde ist der Prinz auch nicht besser dran als wir. Im Gegenteil. Man hat ihm nichts beigebracht, als er jung war, als lächerlichen Kram, der vielleicht einem Ritter im Krieg nützt, aber nicht einem Menschen, hier draußen über die Runden zu kommen. Er wohnt in seinem großen Haus, starrt meist aufs Meer hinaus und träumt von großen Abenteuern, die es hier aber nicht mehr gibt. Vom Reichtum seiner Ahnen ist nicht viel geblieben, außer einem großen Schiff, mit dem niemand mehr ausfährt. Es liegt weiter unten am Strand. Aber er ist ein ganz netter Bursche, tut niemandem etwas, und wir füttern ihn mit durch. Im Grunde hat jeder ihn gern." Mit diesen Worten öffnete er die Tür der Kneipe, und Yalomiro sah in einen ziemlich hellen, sauberen Raum, in dem etwa zwanzig Strand-Leute an den Tischen bei Bier- und Weinkrügen saßen, Karten spielten, sich unterhielten und dabei doch resigniert und mutlos wirkten. Die Atmosphäre war genauso trostlos wie das Dorf selbst es war. An der Theke stand ein junger Mann in reichlich abgerissenen, aber offensichtlich höfischen Gewändern, die vor langer Zeit einmal sehr prächtig gewesen sein mochten. Er trug ein leichtes Schwert an der Seite und eine schmale, blankpolierte Tiara auf den dunkelblonden, strähnigen Haaren. Als Egnar und Yalomiro eintraten, wandte er sich ihnen zu und musterte Yalomiro neugierig mit hellen, wachen Augen. "Da ist er übrigens," brummte Egnar, grüßte zu einem der Tische hinüber und suchte sich einen freien Platz. Yalomiro nickte dem Prinzen zu und tastete unauffällig nach dessen Geist. Ein Träumer, dachte der Zauberer dann belustigt, ein intelligenter, tapferer junger Mann. Etwas naiv und unschuldig vielleicht, aber eine helle Seele mit großem Mut. Er leidet unter seinem Los, Prinz von dem hier zu sein. Prinz Asgay kam näher, ließ Yalomiro nicht aus den Augen und setzte sich ungebeten an den selben Tisch. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Du bist auch ein Prinz?", fragte er unvermittelt, "bist du unterwegs, um Abenteuer zu finden? Da bist du hier leider in eine ziemlich ungünstige Gegend gekommen." Yalomiro blickte zu Prinz Asgay hinüber und schüttelte den Kopf. "Nein. Ich bin kein Prinz, auch, wenn meine Kleider danach aussehen. Ich bin unterwegs, um etwas zu suchen, was ich verloren habe." Der Prinz rückte heran und setzte sich näher zu Egnar und Yalomiro. Ein unangenehmes Gefühl verursachte Yalomiro Unbehagen. "Woher kommst du?", fragte der Prinz und musterte Yalomiro interessiert. Yalomiro wich instinktiv etwas vor ihm zurück, obwohl keine Arglist von Prinz Asgay ausging. Es war die Krone, die der junge Mann trug, das Gold, das Yalomiro an Schmerzen und Knechtschaft gemahnte. "Aus einem Land jenseits des Toten Landes, weit hinter den Himmelsbergen," erklärte Yalomiro dann ehrlich. Der Prinz lachte belustigt, und Yalomiro spürte, daß er ihm nicht so recht glauben wollte. "Jenseits des Toten Landes? Ich habe gehört, daß es dort einst mächtige Königreiche gab, aber nachdem das große Unglück geschehen war ... du meinst, dort leben noch Menschen?" Der Schattentänzer nickte. "Natürlich. Nur dort, wo die Leere ist, gibt es kein Leben mehr." Prinz Asgay lehnte sich nachdenklich zurück. "Ich habe schon lange davon geträumt, andere Menschen kennenzulernen," sagte er versonnen. "Andere als die hier am Meer. Ich hörte von herrlichen Landschaften und prächtigen Palästen ... vor langer, langer Zeit. Ich hörte von einer Goldenen Stadt, in der tapfere Ritter wohnen, in einem Land, wo fast immer die Sonne scheint und Glück und Zufriedenheit mit Reichtum und Pracht einhergehen.“" Yalomiro nickte höflich. "Ich verstehe. Und ich weiß, welches Land ihr meint. Ich war noch nicht selbst dort, es liegt viel weiter südlich als meine Heimat." Der junge Prinz schaute zu ihm hinüber, und ein schwärmerischer Glanz lag in seinen Zügen. "Ich habe ein gutes Pferd," sagte er entschlossen. "Ich werde mich auf den Weg machen, dieses andere Land zu erforschen." Yalomiro schüttelte den Kopf. "Nein, Prinz Asgay. Das ist zu gefährlich." Der Prinz sprang auf und lachte übermütig. "Was redest du da? Ich bin ein erfahrener Krieger und welterfahrener Mann." "Das glaube ich Euch, Prinz. Aber da in der zwischen Eurem Land und der Goldenen Stadt, in der Ebene ist etwas, was Ihr weder mit dem Schwert noch mit der Lanze bekämpfen könnt." Der Prinz warf Yalomiro einen mißbilligenden Blick zu. "aber du bist doch auch hergekommen, ohne Waffen und ohne Pferd." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro seufzte. Der Prinz setzte sich wieder und schaute enttäuscht drein. Egnar klopfte Yalomiro beruhigend auf die Schulter. "Ich glaube, unser fremder Freund hier spricht aus anderer Erfahrung als Ihr, Prinz. Der hier ist kein Mann des Kampfes. Ich weiß auch nicht, was er ist, aber er erscheint mir eher wie ein Gelehrter, ein Wissender." Yalomiro horchte auf und entschied sich spontan für einen Versuch. "Dort, wo ich herkomme, heißt man mich einen joray, einen Kundigen," sagte er beiläufig. Aber weder der Prinz noch der Fischer reagierten auf das Wort. Egnar nippte an seinem Bier und musterte Yalomiro über den Rand des Bechers. "Wir wissen wenig über dich," sagte er dann. "Und wir haben sehr selten Besuch. Erzähl uns von deinem Land." "Ja, erzähle," forderte auch der Prinz aufgeregt. "Ich will mehr darüber wissen." Yalomiro räusperte sich. "Ich kann Euch nicht viel berichten," sagte er, "aber ich will es versuchen. Doch dann müßt Ihr mich gehen lassen. Meine Zeit wird knapp." Egnar lachte leise. "Willst du dich immer noch ertränken? Ich hatte gehofft, dich auf andere Gedanken zu bringen." Yalomiro schüttelte den Kopf. "Ich muß tun, wofür ich herkam," sagte er dann. Der Prinz lächelte und winkte dann den Wirt heran. "Bring etwas zu trinken für unseren Freund hier," forderte er. Yalomiro winkte ab. "Das ist nicht nötig," beteuerte er. "Ich bin nicht durstig." Der Prinz grinste gutmütig und griff in seine Geldbörse. "Bring uns von dem besten Wein, den du hast," wandte er sich an den Wirt, "es ist nicht mehr viel wert, aber ich werde dich fürstlich dafür entlohnen." Und Prinz Asgay warf eine Handvoll Goldmünzen auf den Tisch. Der Wirt zuckte die Schultern und wollte sich unbeeindruckt abwenden. Aber dann erstarrte er und blickte Yalomiro an. Das nun offen auf dem Tisch liegende Gold verschlug Yalomiro den Atem. Und instinktiv versuchte er, sich davon abzuschirmen. Der Wirt starrte, und auch der Prinz und Egnar wichen erschrocken zurück. "Ein Silberäugiger," stammelte der Wirt schließlich. "Es gibt sie also wirklich ... meine Großmutter hatte also doch recht..." Nach und nach wurden auch die übrigen Gäste auf die Männer am Tisch aufmerksam, und Yalomiro fand sich umringt von unsicher und hilflos staunenden Strand-Leuten, die vor seinen silbernen Augen zurückschauderten und dennoch fasziniert davon ihren Blick nicht abwenden konnten. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Und er verwünschte die Magie, die ihn schützen wollte und sich so offenbarte. "Was ist das?," fragte jemand mit furchtsamen Staunen. Yalomiro schloß die Augen und bedeckte das Gesicht mit den Händen. "Meine Großmutter hat mir davon erzählt, als ich ein kleines Kind war, aber ich hielt es für Spinnerei," sagte der Wirt tonlos. "Das ist einer von den Silberäugigen.. Wir sind verflucht!" "Nein," sagte Yalomiro leise. "Bitte, fürchtet Euch nicht vor mir. Ich will euch nichts Böses tun!" "Er bringt Unheil und Verderben," sagte jemand anderes. "Ich habe auch davon gehört! Wo die Silberäugigen auftauchten, geschahen schlimme Dinge. Wahrscheinlich haben sie auch die Leere verursacht!" Egnar sprang aufgeregt vom Tisch auf und stieß dabei seinen Stuhl um. "Und nun will er auch uns vernichten!", schnappte der Strand-Mann, empört darüber, daß der Schattentänzer sich ihm nicht sofort offenbart und ihn so hinters Licht geführt hatte. Yalomiro schüttelte den Kopf. "Nein! Ich werde nichts tun, was euch schadet! Im Gegenteil -- ich will fortgehen, die ganze Zeit schon! Ich will gehen, um Euch zu helfen!" "Egnar war's!," kreischte eine Frau, "er hat den Silberäugigen in die Stadt gebracht!" Ein zorniges Stimmengewirr erhob sich, das sich teils gegen Egnar, teils gegen Yalomiro richtete. "Was sollen wir nun tun?", fragte eine aufgebrachte Stimme. Prinz Asgay schaute sich verwirrt um. Er hatte das trübsinnige Volk der Strand-Leute noch nie so aufgebracht und verängstigt gesehen. Aber er schien besonnener und mutiger als der Rest seiner Untertanen es war. "Bist du eine Gefahr für uns?," fragte er verwirrt in Yalomiros Richtung. Yalomiro erhob sich, und die Strand-Leute formierten sich zu einer Gruppe, die ihm gegenübertrat und ihn umringte. "Nein, Prinz Asgay," versicherte Yalomiro. "Und es ist wichtig, daß Ihr mir glaubt." Einen Moment lang herrschte Stille. Die Atmosphäre war angespannt. "So jagt ihn doch weg!", rief plötzlich eine Frauenstimme aus der Menge, die vor Angst und Panik zitterte, "Ja, fort mit dir!", brüllte ein anderer, "pack dich!" Irgendjemand stieß Yalomiro unsanft, und er stolperte zu Boden. "Schützt unser Dorf," skandierten Stimmen, "weg mit dem Silberäugigen! Scheucht ihn fort!" Yalomiro sprang auf die Füße, fühlte sich umringt, von Händen geschubst und gestoßen und wieder zu Boden gerissen. Unter den Strand-Leuten brach eine Panik aus, und einige begannen, auf Yalomiro einzuprügeln und zu treten. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Der Schattentänzer wirbelte herum, riß sich los und flüchtete durch die Tür ins Freie. Doch die aufgebrachten Strand-Leute verfolgten ihn. Yalomiro begann, zu rennen, und spürte eine Woge von Furcht und Aggression von den Leuten aus heranbranden, eine Welle, die ihn schier fortzuspülen drohte. Er fühlte einen diffusen, unbegründeten Haß auf alles, was magisch war und sich dem Verständnis der Unkundigen entzog. Und es wurde immer schlimmer, denn auf der Straße schlossen sich andere dem Mob aus der Kneipe an, zunächst, ohne zu wissen, was da vor sich ging, und dann im Glauben, sich und ihre Leute zu beschützen, indem man ihn, den Dämon mit den Silberaugen, zur Strecke bringen würde. Nach und nach bewaffnete sich die Menge der Strand-Leute sogar, indem sie nach allen möglichen Gerätschaften griff, die am Weg standen und lagen und sich irgendwie als Schlagwerkzeug benutzen ließen. Aus ihrem Geschrei klang Blutdurst. Yalomiro rannte, und besinnungslos raste er auf die Dünen vor dem Dorf zu, die Meute hinter sich, stolperte die Dünen herab und hetzte auf das offene Meer zu, das vor ihm lag, grau in grau wie ein bleierner Spiegel. Die Menge dicht auf den Fersen, stürzte er sich in die Fluten, schwamm einige Meter hinaus und ließ sich dann in die Fluten hinabgleiten. Das Geschrei der Menge wurde dumpf von den Wassern geschluckt.
*
Egnar ließ das Ruder fallen, das er drohend gegen den Schattentänzer geschwungen hatte, und schüttelte benommen den Kopf. Auch die übrigen Strand-Leute blickten verwirrt und verwundert auf sich selbst und das Meer, das den schwarzgekleideten jungen Mann verschlungen hatte. "Warum haben wir das getan?", fragte Egnar ins Unbestimmte und betrachtete seine Hände, "warum haben wir den armen Jungen ins Wasser gejagt?" "Ich weiß es nicht, " sagte der Wirt. "Da war so viel Angst -- und ich habe keinen Gedanken fassen können. Es ist wahr -- ich weiß nicht, was über mich gekommen ist." Prinz Asgay war dem Pulk Menschen eilig nachgerannt, hatte Yalomiro gerade noch im Wasser verschwinden sehen. Aber er hatte nicht eingreifen können, obwohl er spürte, daß man dem Schattentänzer Unrecht tat. Der Prinz bemerkte überrascht, daß es war, als fiele ein Wahn von den Strand-Leuten ab. Betroffen starrten die Leute auf das spiegelglatte Wasser, aus dem der junge Mann nicht mehr aufgetaucht war. Der Prinz wandte sich um, da ein Frösteln ihn überkam -- und sah auf den hohen Dünen einen rotgewandeten Reiter auf einem fuchsfarbenen Pferd sitzen, der mit wehendem Umhang starr auf das Meer blickte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Dann riß der rote Reiter sein Pferd herum und preschte davon. Prinz Asgay schüttelte sich. Zu viele Fremde trieben sich heute in der Nähe seines langweiligen kleinen Dorfes herum. Den schwarzen Delphin, der unter den Wassern dahinglitt, hin zum Horizont, bemerkte niemand von den Menschen am Meer.
*
Der schwarze Delphin der Tiefe pflügte durch das Wasser, unwiderstehlich angezogen von den wärmenden Kräften des Mondstrahles. Nicht mehr allzu lange, und er würde das Zeichen in Händen halten und die Entscheidung treffen müssen. Yalomiro spürte die enorme Kraft des Wassers und das Spiel von Ebbe und Flut, bewegt durch die Macht des ewigen Mondes. Aber er hatte nicht mehr die Kraft, nachzudenken über das, was er tat. Ujora, dachte er, meine Meisterin, meine Herrin der Wärme und des Vertrauens. Dich werde ich befreien aus einer Welt, die der Leere geweiht ist. Ich werde dich befreien und sterben. Das Meer war dunkel und tot. Yalomiro begegnete nur wenigen Fischen, und einmal sah er von Ferne ein großes Schiff auf die Küste zusteuern. Er kümmerte sich nicht darum, schwamm und ließ sich von seiner Wut und Trauer antreiben. Tage und Nächte verstrichen, und schließlich ergriff das Chaos die Tiefe, riß mit sich, was ihm im Weg stand und wurde zu einem gewaltigen Sog, der die Wasser und die Luft durchfuhr, sie vermischte und durcheinanderwarf und den schwarzen Delphin packte und zu zerschmettern drohte. Eisiger Sturm peitschte über das Wasser, und die Wellen verstrickten sich unter dem Wind wie Netze mit gewaltigen Knoten, die ihn einfingen, würgten und wieder freigaben. Yalomiro gab es bald auf, sich gegen das Chaos zu wehren. Nun würde er den letzten Teil seines Weges auch ohne sein Dazutun bewältigen. Dunkelheit, flehte die Schattentänzerseele, Dunkelheit, führe mich an mein Ziel. Der schwarze Delphin verlor die Besinnung. Und um ihn tobte das Chaos der Welt und der Zeit.
*
Meister Gor stand am Fenster und schaute hinaus, dorthin, wo das Meer sein mochte. Bald schon, Schattentänzer, dachte er, bald schon wird der Mondstrahl mir gehören. Du kannst nicht anders, als dich für die Leere zu entscheiden. Dir http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga ist jede Wahl genommen, denn du liebst. Deine Liebe wird deine Welt vernichten, und die Leere wird triumphieren, wenn sie erst die Nacht verschlingt. Die Einöde um ihn herum schwieg. Kalt und tot. Meister Gor lachte, und sein Gelächter hallte schaurig und reflektierte an grauen Mauern. Der Lebendige Kreis wird untergehen durch eines Magiers Liebe! Und die Unkundige in ihrer Kammer bemerkte in diesem Moment, daß das Fell der gescheckten Katze nicht mehr duftete.
17.
Als Yalomiro wieder zu sich kam, umgab ihn völlige Dunkelheit. Aber diese Dunkelheit war warm und schützend, anders als die schmerzhafte Finsternis, die Meister Gor beherrschte. Obwohl Yalomiro nichts um sich herum wahrnehmen konnte, fühlte er sich zum ersten Male seit langer Zeit vollkommen ruhig und entspannt. Dies ist ein Ort der völligen Finsternis, dachte er, des Wahren Dunkel, das gut ist und heilend wie das reinste Licht. Dies ist ein Ort, der gut für mich ist. Ein magischer Ort von Ruhe und Schutz. Ein
Ort wie der, an dem
ich weilte, bevor ich geboren wurde. Er erhob sich, wobei er nicht sagen konnte, ob seine Füße festen Boden berührten oder nicht. Und er wartete. Lange Zeit geschah überhaupt nichts. Doch dann erklang aus der Ferne eine Stimme aus der Dunkelheit. "Wenn du reden willst, dann tu es," forderte eine ruhige, sanfte Frauenstimme, und obwohl ihr Sprechen unvermittelt ertönte, erschrak Yalomiro nicht. Er wandte sich in die Richtung der Stimme. "Ich bin Yalomiro vom Schwarzen See, der letzte Schüler von Meister Askyn. Ich bin auf der Suche." Die Stimme antwortete nicht sofort. "Fürchtest du dich?", fragte sie dann aus einer anderen Richtung. Yalomiro drehte sich zu ihr um. "Muß ich mich fürchten?" Die Stimme lachte leise, und ihr Lachen näherte sich. "Was suchst du, Schattentänzer? Weshalb bist du gekommen, um mich zu besuchen?" Yalomiro antwortete, dem Klang der Stimme folgend: "Ich suche das Mondstrahlzeichen. Das Zeichen, das ich vor der Leere verbergen wollte und das man mich nun doch zwingt, zu bergen." Die Stimme verstummte für einige Augenblicke, und Yalomiro fragte sich besorgt, ob das Wesen im Finstern beleidigt war. "Wer zwingt dich?," fragte die Frau in der Schwärze dann. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Der junge Zauberer schaute suchend in die Finsternis. "Meister Gor will es haben, um damit die Leere zu stärken. Und ich muß ihm gehorchen, weil mein Herz es mir anrät." Die Stimme gab erstaunt zurück: "Dein Herz?" Yalomiro nickte. "Wie ist das möglich?," fragte die Frau in der Schwärze. „Du bist ein Schattentänzer, dessen Herz keinen Rat erteilt. Nicht in solchen Dingen!“ Yalomiro blickte zu der Stimme hin. "Ich habe Liebe in mir," sagte er dann leise. „Mein Herz ist größer geworden.“ Schweigen. "Du bist ein Schattentänzer," sagte die Stimme dann sanft. Der Magier antwortete nicht. "Yalomiro vom Schwarzen See," sagte die Stimme nach einer Weile zärtlich, "weißt du, wer ich bin?" Yalomiro nickte. "Ich glaube, ja." "Ich bin die Nacht-Mutter," bestätigte die Frauenstimme. "Ich bin die reine Dunkelheit. Die Magie, die du in dir trägst, ist ein Teil von mir. Ich habe sie dir gegeben, in dem Moment, als deine Eltern beieinander lagen. Auf diese Weise bist du auch mein Sohn, Yalomiro." Der Schattentänzer schwieg, und die Stimme fuhr fort. "Warum willst du deine Mutter an die Leere verraten?" "Ich habe Angst um eine Ujora," antwortete er leise. "Meister Gor wird sie töten, und die Leere ist bereits in ihr." "Warum kümmert dich die Ujora," fragte die Stimme leise. "Die Ujora ist ein Teil meiner Seele geworden," erklärte er vorsichtig. "Ich will, daß sie glücklich und ohne Schmerzen ist. Ich bin in Angst und Trauer, wenn ich von ihr getrennt bin, und mir ist, als fehlte ein Teil von mir ohne ihre Gegenwart." Die Nacht-Mutter wartete. "Ich habe mich der Liebe hingegeben," sagte Yalomiro schuldbewußt. "Ich habe von ihrer Wärme getrunken, die sie mir unschuldig anbot, und ich nahm von ihrer Kraft, als die Gefahr groß war. Ich habe mich vom Licht des Nachthimmels ernährt, doch dann stellte ich fest, daß ich in Wirklichkeit hungrig war nach der reinen Wärme der Unkundigen. Nach ihrer Unschuld und ihrem Frieden. Nun muß ich dafür büßen." Die Nacht-Mutter schwieg immer noch. "Yalomiro - weißt du, warum Schattentänzer nicht hassen und nicht lieben können?," fragte sie schließlich ruhig. Der Magier nickte. "Es schützt uns vor der Versuchung, unsere Macht dem Selbst zuzuwenden. Wir dienen der Nacht, dem Schatten und dem Leben, aber nicht uns selber." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Du aber wirst nun deine Macht durch die Liebe bestimmen lassen," stellte die Nacht-Mutter fest. Yalomiro antwortete nicht. "Yalomiro," sagte die Nacht-Mutter nach einer Weile, "weißt du, daß du der letzte Schattentänzer-Mann bist, der lebt?" Der junge Zauberer schüttelte erstaunt den Kopf. "Ich sah das Kind Isan. Ich dachte, es werden immer noch Schattentänzer geboren." "Isan ist die letzte, die geboren wurde," antwortete die Nacht-Mutter. "Und sie lebt, weil ihre Familie noch nicht erkannt hat, daß sie kundig ist. Ich habe Isan zu mir genommen, weil ich selbst die Hoffnung nicht aufgeben wollte. Du hast lange geschlafen, Yalomiro, und wenn du nie wieder erwacht wärest, dann hätte niemand mehr nach dem Zeichen suchen können. Wärest du aus der Welt verschwunden, eines Tages hätte ich die kleine Isan auf die Suche gesandt. Das ist nun nicht mehr nötig. Isan und deine Gefährtin Aramau, sie sind die letzten Körper, in denen meine Magie des Schattens wohnt. Was glaubst du, Yalomiro, wie die Zukunft der Schattentänzer aussieht?" Yalomiro war betroffen. "Ich weiß es nicht," sagte er dann. Die Nacht-Mutter schwieg, und Yalomiro tastete nach ihrem Sein. Aber sie blieb nur diffuse, körperlose Dunkelheit, die ihn umarmte und festhielt. "Was soll ich tun, Mutter?", fragte er dann zaghaft. Die Dunkelheit antwortete ihm nicht, aber die samtene Schwärze durchfloß seinen Körper, und er erschauerte. "Yalomiro," sagte sie dann ruhig, "glaubst du nicht, ich hätte nicht schon seit ewigen Zeiten gewußt, was geschehen würde? Ich bin es, die die Magie schenkt, und ich habe gewußt, was ich tat, als ich sie dir zuteilte. Ich habe gewußt, daß du der Wärme der Unkundigen nicht widerstehen konntest. Was ich nicht wußte, ist, wie Meister Gor euch voneinander trennen würde." Der junge Magier versuchte, sich aus der unsichtbaren Umarmung der NachtMutter zu lösen, aber es gelang nicht. "Ich träumte von meinem Meister," sagte er. " Er riet mir, das Zeichen zu finden und es gegen Meister Gor zu verteidigen. Aber wenn ich das tue, selbst, wenn meine Kräfte den seinen für den Moment widerstehen, wird es der Ujora Schaden zufügen. Es gibt keine Schattentänzer mehr, die das Zeichen bewahren. Irgendwann wird die Leere siegen. Denn ich bin sterblich." Die Nacht-Mutter lachte leise. "Yalomiro, letzter Schüler von Meister Askyn -- nimm das Zeichen und nimm Isan mit dir. Du kannst ihr Meister sein. Und mit Isan wird Zeit gewonnen werden." "Die Leere kennt keine Zeit," gab er betrübt zurück. "Und auch Isan wird altern, während Meister Gor wartet." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Nimm das Zeichen für dich, Yalomiro. Du bist stark, du könntest es lenken. Du könntest Meister Gor besiegen und ihn zurück jagen auf die andere Seite," raunte die samtene Stimme. "Du könntest Meister Yalomiro sein, und von Neuem beginnen. Und die Ujora retten." Yalomiro erinnerte sich an seinen Fiebertraum und riß sich von der lockenden Stimme los. "Nein! Die Macht wird meine Seele ersticken, und meine Magie wird zerstören, was erhalten werden soll. Auch der Mächtigste von uns ist im Innern nur ein schwacher, sterblicher Mensch, und niemand kann der Gewalt des Zeichens widerstehen. Es wird mich mit unermeßlicher Macht ausstatten, das vielleicht. Aber es wird den, der ich wirklich bin, dabei zerbrechen." Die Nacht-Mutter lachte wieder sanft. "Armer Schattentänzer - was wirst du also tun, wenn du das Zeichen in Händen hältst? Was du auch entscheidest, es ist verkehrt: es zu verbergen, es zu benutzen, es auszuliefern." Yalomiro seufzte und schwieg dann. "Wenn ich es Meister Gor gebe, wird er vielleicht wenigstens die Ujora verschonen. Aber alles, was einmal war, wird der Leere weichen. Wenn ich es behalte, wird die Ujora sterben, und ich werde altern. Die Leere wird ebenfalls siegen, wenn auch erst mit einigen Jahrzehnten Aufschub. Ich jedoch werde die Last meines Gewissens nicht ertragen können." "Dann wage es, es zu benutzen," riet die Nacht-Mutter. Er schüttelte den Kopf. "Dann wird die Ujora mich hassen. Und Aramaus Opfer wäre umsonst gewesen." Die Nacht-Mutter näherte sich ihm wieder. "Aramau war die Stärkste von euch allen," sagte sie. "In ihr war der stärkste Wille, über den jemals ein Schattentänzer-Mädchen verfügte. Dieser Wille formte sich aus ihrer Verzweiflung und ihrer Freundschaft zu dir. Und er verdrängte die Angst, die sie ständig umgab, als der Silberne Wald noch blühte und sie die Schülerin Meister Gionars war." Yalomiro versuchte, sich an Aramaus mürrisches Menschengesicht zu erinnern, aber er sah nur ihre großen, rätselhaften Katzenaugen vor sich. "Ich habe Aramau nie geliebt," sagte er dann. "Aber ich wünschte, ich hätte es gekonnt. Ich wünschte, ich hätte ihr begegnen können ohne das, was mich zu einem Schattentänzer machte. Dann wäre vieles ganz anders gekommen." Die Nacht-Mutter wartete. "Ich begreife nun erst, wie grausam unser Schicksal war," fuhr er dann beherrscht fort. "Und ich begreife die Angst der Unkundigen. Diese Furcht denen gegenüber, die freundlich und weise waren, aber Liebe weder fühlen noch geben konnten. Die nicht verstanden, was Haß und Trauer sind. Ich sehe nun erst, daß wir Schattentänzer eine große Leere in uns hatten, eine unvollständige Seele, die uns ausschloß aus dem Kreis, den wir schützen sollten." Er dachte einen Moment lang nach und sagte dann entschlossen in http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Richtung der Nacht-Mutter: "Erst die Ujora, die Unkundige und Reine, die, die-lieben-kann hat meine Seele vervollständigt durch die Wärme und den Frieden, den sie mit mir teilte. Jene, die dazu fähig ist, Mutter, die, die einem Schattentänzer neue Kräfte erschließen kann, die ist mächtiger als unsere Magie. Und wichtiger als der Mondstrahl." Die Nacht-Mutter schwieg. "Vergib mir," bat Yalomiro. "Ich wollte mir nicht anmaßen, das, was du bist, zu tadeln. Aber ich sehe, wie ich mich entscheiden werde." "Das sehe ich auch, Yalomiro," sagte die Nacht-Mutter, und Yalomiro konnte nicht sagen, ob sie drohte oder belustigt war. "Das habe ich bereits in dem Moment gewußt, in dem du geboren wurdest. Nicht einmal ich kann dich nicht von deiner Entscheidung abbringen." Er senkte den Kopf und fühlte sich kraftlos und allein. "Ich ergebe mich dem Willen des Zeichens," sagte er dann. "Dann nimm es," sagte die Nacht-Mutter. "Nimm es und ergib dich der Gnade des Schattens." Und Yalomiro spürte plötzlich, daß sich eine feine Kette um sein Genick legte, und ein funkelnder, bunter Lichtschimmer die völlige Schwärze durchbrach. Er griff danach und umfaßte das Zeichen mit der Hand. "Danke," flüsterte er ehrfürchtig und blickte auf. Und für einen Lidschlag sah er das Gesicht der Nacht-Mutter vom Mondstrahl erhellt. Sie stand vor ihm, neigte sich ihm zu und küßte ihn zärtlich auf die Stirn. Dann ergriff ihn wieder der traumlose Schlaf, und er sank zu Boden.
* Aramau saß auf der Tischplatte und spielte respektlos nach Katzenart mit einem etwas größeren Holzsplitter. Mit gespreizten Krallen sprang sie darauf los, schubste ihn ein Stück über den Tisch, kauerte sich von neuem zusammen und schien darauf zu lauern. Meine Finger klebten vom Leim, aber die Geige war nun fast vollständig zusammengefügt. Ich war überrascht, wie schnell und sicher mir diese Arbeit nach einiger Zeit von der Hand gegangen war, obwohl ich Puzzle-Spiele nie besonders geschätzt hatte. "Ich brauche den Span," mischte ich mich in ihr Spiel ein und griff danach. Aramau knurrte verärgert, ließ aber von ihrer Beschäftigung ab und beobachtete mit starren grünen Augen, wie ich das Holz zusammenklebte. Einen Moment lang schwiegen wir. "Heute morgen habe ich mich mit einem Splitter verletzt," begann ich dann leise und zeigte ihr meine Hand. Ich hatte mich an einem spitzen, feinen Holzspan geschnitten, keine bedrohliche, aber doch unangenehme Wunde, da
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga sie genau zwischen zwei Fingern hindurch verlief. Mittlerweile war der Schnitt mit Schorf verheilt. Aramau schaute fragend zu mir auf. "Es hat nicht weh getan," sagte ich dann vorsichtig. Aramau zögerte. "Entschuldige," bat sie dann, und hieb mir mit einer flinken Bewegung ihre Krallen in den Unterarm. Die feinen Kratzer bluteten. Aber ich war nicht einmal zurückgezuckt. Aramau seufzte. "Kein Schmerz mehr, nicht wahr? Es wird Zeit, daß Yalomiro zurückkehrt." Ich wischte das Blut mit den Fingern beiseite und ärgerte mich. "Und wie denkst du, soll ich der Königin oder dem Meister erklären, wo ich diese Kratzer her habe?" Aramau wandte sich verlegen ab und sprang dann vom Tisch. Ich erwartete, daß sie sich aus dem Staub machen wollte, aber sie lief auf die Truhe zu und setzte sich davor. "In Yalomiros Tasche ist ein Amulett," sagte sie dann. "Eine ovale, flache Silberscheibe mit einem dreieckigen Smaragd darauf. Nimm dir ihn." Ich folgte ihr, öffnete die Truhe und hatte das gesuchte Schmuckstuck rasch gefunden. "Das ist ein Zeichen, das vor Verletzung schützt," erklärte sie. "Es wird zwar nur von Kindern getragen, die seine Kraft noch nicht in ihrem Innern erfaßt haben, aber vielleicht hilft es, wenn du es dir einen Moment lang umlegst." Ich gehorchte und spürte das Silber angenehm kühl auf der Haut, als ich das Amulett sicherheitshalber unter meinem Hemd verbarg. "Yalomiro hatte noch keine Gelegenheit, seine Zeichen weiterzugeben," sagte Aramau erklärend. "Er würde sie seinem Schüler oder seiner Schülerin geben, wenn er Meister ...", sie verstummte und wandte sich ab. Ich verstand sie. "Yalomiro könnte siegen," versuchte ich, zu trösten. Aramau nickte, aber sie wirkte nicht besonders überzeugt. "Yalomiro wird zurückkommen," fuhr ich fort. " Ich glaube fest daran, daß dann alles gut werden wird." Aramau antwortete mir nicht. Also begab ich mich verunsichert wieder an meine Arbeit.
18.
Der Rabe landete weitab von Isan auf dem unkrautverfilzten Feld, in dem sie und ihre Geschwister Verstecken spielten. Es war ein langweiliges Spiel, da Isan die Nähe der anderen spürte und niemals wirklich nach ihnen zu suchen http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga brauchte. Doch sie spielte mit, und ihre Eltern und Kameraden schöpften keinen Verdacht. Isan saß unter den Zweigen eines graugrün belaubten Gebüsches, hörte, daß ihr Bruder sie suchte und beobachtete gelangweilt, wie der große Rabe durch das struppige Gras stelzte und scheinbar ziellos sich dem Busch näherte. Schließlich schlug er einen großen Bogen und lief hinter Isans Versteck, außer ihrer Sichtweite. Sie konnte sich nicht umdrehen, um zu beobachten, wohin er stakste, um ihr Versteck nicht zu verraten. Aber im Grunde war ihr das Spiel ohnehin zuwider. Das kleine Mädchen döste vor sich hin und gähnte. Aber als sich plötzlich von hinten die schlanke Hand eines Erwachsenen näherte und ihr rasch den Mund zuhielt, bevor sie schreien konnte, war Isans Geist wieder völlig wach. Nicht schreien, forderte mahnend die Stimme des Fremden, dessen seltsamer Besuch Isan seit Tagen beschäftigt hatte. Wenn du nicht schreist, lasse ich dich los. Isan nickte und wandte sich dann vorsichtig zurück. Yalomiro kauerte auf allen Vieren neben ihr unter dem schützenden Blattwerk und blickte sie mit bodenlos schwarzen Augen an. "Yalomiro," flüsterte das Kind, aber er legte die Finger an die Lippen. Ich bin zurückgekommen, hörte sie seine Stimme in ihren Gedanken. Aber ich werde nicht lange bleiben. Sie musterte ihn verwirrt und griff dann sacht nach ihm, um ihn zu berühren. Der Großvater hat die Blume zertreten, dachte sie und tastete nach seiner Aura. Das macht nichts, antwortete er. Wenn ich meine Aufgabe vollendet habe, wird es neue Blumen geben. Bunte Blumen und wispernde Bäume. Isan lächelte verlegen, und er zog das Zeichen unter seinem Hemd hervor. Bei Tageslicht wirkte das bunte Funkeln des Lichtstrahles nicht so wunderbar wie im Finstern, aber Isan staunte dennoch. Buntes Licht war etwas Seltsames für ihre Augen. Vorsichtig streckte sie die Hand danach aus, doch er umschloß das Amulett mit der Faust und verbarg es wieder. Nein, wehrte er ab, du darfst es noch nicht anfassen. Noch nicht. Du bist noch nicht stark genug. Das Kind nickte bedauernd, fragte aber nicht weiter nach dem Wie und Warum. Ich werde zurückgehen, sagte er. Zurück in die Leere, und dort werde ich kämpfen müssen. Vom Ende des Kampfes hängt ab, wie lange es noch leer sein wird, und wie lange du dich noch verstellen mußt. Isan blickte zu Boden. Was soll ich tun? Er lächelte und streichelte über ihr feuerrotes Haar.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Warte auf mein Zeichen, klang seine Stimme in ihren Gedanken. Wenn auf diesem Acker hier wilde, bunte Blumen spießen, wenn das klare Sonnenlicht den Sand erwärmt und die Möwen sich schreiend in den Wind stürzen, ist es für dich an der Zeit, die Strand-Leute zu verlassen. Du mußt losgehen, dorthin, wo die Leere war, hin zu der grauen Burg und daran vorbei. Du wirst ein Gebirge finden, dessen Gipfel die Wolken berühren, und einen Paß, der es durchschneidet. Auf der anderen Seite der Berge ist ein Wald, und weit im Innern des Waldes findest du einen See, dessen Wasser schwarz erscheint. Geh das Ufer des Sees entlang in die Richtung, in der die Sonne untergeht, und du findest dort ein Haus. Dorthin mußt du kommen, um Frieden zu finden. Isan nickte. Sie stellte keine Fragen, und sie wußte, das sie ihm gehorchen würde. Und wenn keine Blumen kommen?, sagte sie dennoch nach einer Weile. Yalomiro schwieg und schüttelte den Kopf. "Isan!", ertönte aus der Nähe die Stimme des Bruders, "Isan, zeig dich! Ich weiß, daß du dort im Busch sitzst!" Isan zuckte zusammen, warf Yalomiro einen fragenden Blick zu, und er nickte und forderte sie mit einer Geste auf, sich erheben. Das kleine Mädchen kroch aus dem Gebüsch hervor, und der Bruder begann, schallend zu lachen. Isans übrige Geschwister , die um ihn herum standen, stimmten mit ein. "Ich hab' dich reingelegt," rief er und schien sich köstlich zu amüsieren. "Ich hatte keine Ahnung, daß du wirklich da drin bist!" "Trottel," zischte Isan ärgerlich. "Nun reg dich nicht auf," spottete der Bruder gutmütig. "Ich bin nun einmal gerissener als...“ Er verharrte mitten im Satz und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Feld hinter Isan. Das Kind folgte seinem Blick, und auch die Geschwister begannen, aufgeregt durcheinander zu flüstern. Ein wunderschönes, pechschwarzes Pferd stand ganz in der Nähe des Busches, elegant, schlank und feingliedrig. Es scharrte mit den Hufen, daß die Erde aufspritzte und schüttelte den Kopf, so daß die wallende Mähne flog. Nach und nach verstummten die Geschwister ehrfürchtig beim Anblick des herrlichen Tieres. Nur Isan ahnte, wo der Hengst hergekommen war. Der Schattenhengst schaute zu den Kindern hinüber, stellte die Ohren auf und seine Augen erglommen silbrig. Nimm mich mit, bat Isan stumm. Ich will hier nicht warten. Nicht, nachdem ich weiß, daß es dich gibt. Das Pferd schnaubte, und Isan trat auf den Hengst zu. Zaghaft versuchte sie, sein samtenes Maul zu berühren, aber er wich ihr aus.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Nein, entgegnete er. Du mußt noch Geduld haben. Und du darfst niemals das schwarze Pferd des Schattens berühren. Ich habe meine Meisterin gefunden, und nur ihr werde ich dienen. Er tänzelte einige Schritte rückwärts aus Isans Reichweite und blickte sie eindringlich an. "Du erschreckst es, Isan," sagte der Bruder mit mühsamer Beherrschung. "Ganz vorsichtig! Wir wollen versuchen, es einzufangen. Bestimmt ist es irgendwo entlaufen." Er wandte sich den Geschwistern zu. "Versucht ihr, es abzulenken," ordnete er besonnen an, "ich werde laufen und Erwachsene holen." Die jüngeren Geschwister nickten stumm, und er wandte sich ab und rannte in Richtung der Häuser davon. Der Schattenhengst wieherte schrill auf. Es klang wie ein belustigtes Lachen. Dann sprang er mit einer geschmeidigen Bewegung herum und stob in halsbrecherischer Geschwindigkeit über den Acker davon. Wo seine Hufe einschlugen, hinterließen sie tiefe Narben im Boden. Isan seufzte auf und kehrte zu ihren Geschwistern zurück. "Laßt uns den Trottel zurückholen," sagte sie enttäuscht. "Den schwarzen Hengst fangen wir nicht mehr ein."
* "Du wartest," sagte Meister Gor. Ich blickte nicht auf, als er das Zimmer betrat und konzentrierte mich weiter auf meine Arbeit. Er wartete einen Augenblick lang und setzte sich dann zu mir. Mit farblosen Augen beobachtete er meine Hände. "Yalomiro verliert viel Zeit," fuhr er nach einer Weile fort. "Und auch deine Zeit wird knapp." Ich versuchte, nicht hinzuhören. "Du spürst keine Schmerzen mehr," stellte er dann fest. Ich zögerte und legte dann die Holzsplitter, die ich gerade festhielt, beiseite. "Was wollt Ihr?," fragte ich dann, wagte aber nicht, ihn anzusehen. "Kein Schmerz," redete er weiter. Kein Geschmack, kein Duft und keine Berührung. Die Leere verschlingt dich, Ujora. Und Yalomiro wird dich nicht mehr retten können." Ich schüttelte den Kopf. "In mir ist Hoffnung, Meister Gor. Hoffnung, Zorn und Vertrauen in das, was Yalomiro vollbringen wird. Und Erinnerung." "Nicht mehr lange," gab der Rotgewandete zurück und klang dabei fast zärtlich. "Die Leere ist stärker als jede Erinnerung." Ich schauderte und suchte dann seinen Blick.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Wieso dient Ihr eigentlich der Leere?," fragte ich dann. "Was bietet sie Euch?" Er lächelte, und mir schien es, als schwänge ein leises Bedauern darin mit. "Vielleicht, weil ich der Einzige war, der die Macht des Nicht-Wesens erkannt hat? Der es versteht, ihre Vorteile zu nutzen?" Ich suchte nach Worten. "Das Leere ist endgültig. Das Schweigen ist ewig. Und es entsetzt mich. Ich glaube nicht, daß ein Lebender nach der vollkommenen Leere streben würde. " Meister Gor lachte belustigt. "Sag mir, Unkundige: wenn das Leben der Leere nicht standhält, wieso sitze ich hier bei dir?" "Weil Ihr unsterblich seid?", vermutete ich und wandte mich ihm völlig zu. Der Magier lachte. "Falsch, Ujora. Yalomiro vermutet das, weil ich unglaublich alt bin. Und ich sage dir die Wahrheit, Unkundige: ich bin einmal lebendig gewesen und war sterblich, lange bevor Yalomiros Magie sich ihren ersten Körper suchte. Aber ich bin nicht tot und ich bin auch nicht unsterblich. Ich verwandle mich. Ich stehe neben der Zeit. Das ist eine Gabe, die alle goala’ay haben. Aber ich bin der erste, der sie für – sagen wir – private Zwecke genutzt hat." Ich schwieg, und mir wurde kalt. "In was? In was verwandelt Ihr Euch?" Der Meister zuckte die Achseln und lehnte sich zurück. "Ich werde, wenn die Leere vollkommen ist, durch ihre Macht und ihre Gnade zu etwas werden, das jenseits von Leben und Tod ist. Eine Form, die in der Leere besteht und für die es weder Raum noch Zeit gibt. Aber ich glaube nicht, daß du begreifst, was ich dann sein werde." Ich schüttelte den Kopf. "Wenn Ihr so mächtig seid," fragte ich schließlich, "wozu macht Ihr Euch die Mühe, das Zeichen zu finden? Ist es nicht sinnlos für Euch, nach einer Macht zu suchen, die dem Leben dient?" Er nickte anerkennend. "Eine sehr gute Frage, Unkundige. Der Mondstrahl ist das mächtigste Zeichen, das jemals von Kundigen gehütet wurde. Und seine Macht ist gefährlich für den Sieg der Leere. Denn das Mondlicht ist ewig, wenn auch auf andere Art als meine Macht. Erst, wenn die Leere den Mondstrahl besitzt, wird meine Verwandlung vollendet sein. Und Yalomiro ist der Einzige, der noch zwischen mir und dem Sieg steht." "Yalomiro wird sich Euch nicht ohne Weiteres ergeben," entgegnete ich trotzig. Meister Gor lachte belustigt. "Das wird seinen Tod nicht angenehmer machen. Ich habe Yalomiro angeboten, mir zu dienen. Aber er zog es vor, seinen eigenen kleinen lächerlichen Kampf zu kämpfen. Yalomiro, der-dessen-Stimmedie-Nacht-trägt, Yalomiro vom Schwarzen See -- er hätte ein Schüler der Leere sein können mit dem, was ihn auszeichnete: der Fähigkeit, zu hassen." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ist Haß denn eine Kraft der Leere?" widersprach ich, "Und vergeßt Ihr nicht, daß Yalomiro auch lieben kann?" Meister Gors Miene versteinerte. Dann wandte er sich ab. "Leere wird aus dem Haß geboren," sagte er tonlos. "Dann erwächst aus der Liebe das Leben," sagte ich. "Und Leben und Leere sind sich feind -- nicht Böse und Gut. Das habe ich begriffen." Er regte sich nicht und schwieg. "Ich fürchte das Leben nicht," fügte ich leise hinzu. "Aber die Leere entsetzt mich." Meister Gor warf mir einen lauernden Blick zu. "Du weißt sehr gut, daß Yalomiros Liebe dich umbringen wird? Du bist nicht stark genug, um die Liebe eines Schattentänzers zu ertragen. Genauso wenig, wie deine Liebe ihn vernichten wird? Weil ein Schattentänzer unfähig ist, Liebe zu ertragen?" Ich nickte. "Aber das, was Eure Leere mit ihm und mir tut, ist wesentlich schmerzhafter. Ich will nicht so werden wie die Graue Königin. Und er will nicht so werden wie Ihr es seid, Meister Gor." Der Rotgewandete lächelte flüchtig. "Du wirst schon bald so sein wie die Königin. Nur noch kurze Zeit müssen wir warten. Ich spüre, daß schon bald eine Entscheidung fallen wird." Er verneigte sich mit galanter Geste und verließ mich wieder. Hoffnungslosigkeit nahm seinen Platz ein.
*
Aramau träumte, und ihr Traum durchfuhr die Tote Ebene wie ein rasch fließender Nebel, bis sie auf Yalomiros Seele traf. Bruder, rief Aramau, als sie ihn gefunden hatte. Yalomiro bemerkte sie und öffnete ihr seinen Schlaf. Aramau, hörte sie ihn, ich habe den Mondstrahl! Zeig dich mir! Aramau verwandelte sich und stürzte auf ihn zu, warf sich an seinen Hals und umarmte ihn fest. Yalomiro drückte sie an sich, und einen Moment lang schien es, als wollten die Schattentänzer sich nie wieder loslassen. Dann trat Aramau von ihm zurück. Schau mich nicht an -- so kann mein Körper nie wieder sein, sagte sie. Ich benutze ihn nur noch im Traum. Yalomiro blickte zu Boden. Ich war ein Stein, antwortete er. Die Zeit hat mich kaum berührt. Doch welches Leid hast du auf dich genommen, Schwester, um zu warten. Aramau nickte traurig. Betroffen spürte sie, daß Yalomiro um sie trauerte.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Die Ujora ist in großer Gefahr, erzählte sie, um sich davon abzulenken, daß ihm Trauer versagt war und er sie doch empfand. Aber sie ist stark. Dennoch mußt du dich beeilen. Yalomiro nickte. Ich komme näher, sagte er. Aramau zögerte. Was wirst du tun? Yalomiro hob ratlos die Hände. Sterben, sagte er dann. Aber nicht, ohne Meister Gor zu beweisen, daß das Leben immer siegreich sein wird. Doch zuvor muß die Ujora zurück dorthin, woher sie kam. Woher sie kam, um dich zu verändern, fügte Aramau nachdenklich hinzu. Sag mir, Yalomiro -- wird es dir schwerfallen, sie fortzuschicken? Er nickte. Aber dennoch ist es ihre einzige Chance, dies hier zu überleben, ohne ein Teil der Leere zu werden. Sie wird die Erinnerung mit sich tragen, und es wird ihr vielleicht gelingen, Meister Gor eines Tages zu erkennen und aufzuhalten, ehe es zu spät ist. Aramau zögerte. Ich werde mit dir sterben, sagte sie dann. Und dann wird es keinen mehr von uns geben. Yalomiro zögerte. Isan, sagte er dann. Eine Kraft, die Meister Gor mit einem Wink auslöschen könnte. Aramau dachte nach. Vielleicht auch nicht, antwortete sie und versiegelte ihren Traum.
* Als Aramau in der späten Nacht das Turmzimmer betrat, fand sie mich totenblass und kraftlos auf dem Bett liegend vor. Ich hatte nicht geschlafen, denn stets wenn ich die Augen schloß, tauchten wirre Gefühle auf, die mir Angst machten, mich dem Schlaf hinzugeben. Furchtsam hatte ich alle Kerzen entzündet, die ich finden konnte, und obwohl reichlich davon da war, hatte ich Panik, die Kerzen könnten herunter brennen und mich wieder in die Finsternis werfen. "Was ist geschehen?", fragte die Katze erschrocken und sprang mit einem Satz auf mein Bett. "Es ist soweit, Aramau," sagte ich leise. "Selbst mein Schlaf hat sich verändert. Ich habe Angst, zu schlafen, Aramau -- ich weiß nicht, ob ich wieder erwachen würde. Es ist, als würde ich mich auflösen und verschwinden, sobald ich ein wenig eindöse." Aramau schüttelte traurig den Kopf. "Der Nicht-Traum. Der Moment, wenn der Schlaf dem Tod am nächsten ist, und nur ein winziger Funke von Bewußtsein dich davon abhält, auf die andere Seite des Schlafes zu treten." Ich hob den Kopf. "Yalomiro hat fast dieselben Worte benutzt, damals, als ich ihm begegnete."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Kundige sind stark genug, um diesen Zustand zu kontrollieren," knurrte Aramau böse. "Du bist es nicht. Und Meister Gor weiß das. Womit hast du ihn provoziert, daß er dir das antut?" Ich schwieg müde. Es hätte mich zuviel Kraft gekostet, Aramau zu erklären, was am Abend vorgefallen war. "Was wird mit mir geschehen, wenn ich mich nicht mehr wachhalten kann," fragte ich schließlich bang. Aramau zögerte. "Dann wirst du sein, wie die Königin," sagte sie dann. "Ohne Gefühle, ohne Furcht und ohne Seele." Ich setzte mich auf. "Ich halte es nicht mehr lange aus," schluchzte ich und hätte am liebsten laut geweint. Doch dann erinnerte ich mich, daß ich nicht einmal mehr Tränen hatte. Aramau legte mir tröstend eine Pfote auf die Hand. "Halt durch, Ujora. Yalomiro ist bereits sehr nahe. Ich habe seinen Traum geteilt. Er wird kommen und dich retten." Ich versuchte, meine Gedanken zu sammeln, und es fiel mir schwer. Nicht einmal Aramaus kleine silbrige Katzenaura konnte mich trösten. Aramau streckte sich und blickte dann kritisch auf die Geige, die noch immer auf dem Tisch lag. "Du bist fast fertig," sagte sie. Nur noch wenige Splitter. Los, an die Arbeit. Wenn du sie zusammengesetzt hast, mußt du die Saiten neu aufziehen. Und dann verschwinden wir von hier." Gehorsam erhob ich mich und wankte müde an den Tisch. Erst Sekunden später begriff ich, was Aramau da gesagt hatte. "Verschwinden?" Aramau nickte. "Es wäre äußerst ungünstig, wenn wir hier in Meister Gors Nähe auf Yalomiro warten müßten. Wir müssen raus aus dieser Burg, und Yalomiro entgegen laufen." Ich lachte bitter. "Aramau -- wenn das so einfach ginge, warum sind wir dann nicht schon längst geflohen? Ich habe es versucht, mehrere Male wollte ich mich fortschleichen, und das weißt du. Aber ich bin noch nicht einmal in die Nähe der Eingangshalle gekommen, ohne daß mich jemand erwischt und zurück komplementiert hätte. Das hier ist keine Burg – es ist ein Labyrinth mit tausend Wegen!" "Du hattest vorher kein Ziel, dem du zustreben konntest. Einfach nur weg ... das funktioniert in der Leere nicht. Nun aber ist ein Ziel da: Yalomiro, und er hat das Zeichen." Ich seufzte, und sie sprang auf den Tisch. Nachdenklich betrachtete sie die zusammengeleimte Geige. "Er hat sie zerschlagen, um sein Werkzeug Meister Gor zu entziehen. Du hast sie repariert, um sie ihm zurückzugeben. Was du mit Leim und der Kraft http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga deiner Hoffnung zusammengesetzt hat, wird er mit Magie und der Kraft seiner Dankbarkeit heilen. Wenn du sein Lied hörst, wird die Leere aus dir weichen." Ich lächelte schwach. "Wird uns dafür die Zeit bleiben? Wie schnell wird Meister Gor uns finden?" Aramau lächelte fast schelmisch. "Dafür muß die Zeit sein. Und nun mach weiter."
*
Meister Gor beachtete die Königin nicht, die unruhig bereits seit einiger Zeit in seinem Gemach umherlief und immer wieder ungeduldig zum Fenster hinaus blickte, obwohl dort in der mondlosen Schwärze gar nichts zu sehen sein konnte. "Ihr seid sicher, daß er kommt?," fragte sie zum wiederholten Male. "Heute Nacht noch," antwortete er und schüttelte den Kopf über ihre Aufregung. "Und er bringt das Zeichen." Die Graue Königin lachte leise, seufzte dann zufrieden und wandte sich Meister Gors Treiben zu. Der hatte vor sich auf dem Tisch ein goldenes Messer mit langer, scharfer Klinge liegen und hielt konzentriert beide Hände darüber. "Wird er uns das Zeichen überlassen?", fragte die Königin aufgeregt. Meister Gor seufzte verärgert und ließ die Hände sinken. "Ich muß mich hierauf konzentrieren, Herrin," tadelte er. "Dies ist ein heikler Zauber." Die Königin zuckte die Achseln. Sie war es gewohnt, Meister Gor mit goldenen Gegenständen hantieren zu sehen, und es interessierte sie nicht weiter. Der Rotgewandete lächelte leise. Schattentänzer, dachte er vergnügt, dir zu Ehren forme ich dieses Messer. Es ist das Messer, daß deinen Meister tötete, aber für dich werde ich es verändern. Denn du verdienst große Ehrerbietung, als derjenige eures Volkes, der mir am längsten widerstand. Als der, der mir ein würdiger Gegner war. Die Königin blickte wieder auf die leere Ebene, und Meister Gor schmunzelte belustigt. Zwei Frauen, Schattentänzer. Mein Geschöpf, die Königin. Sie erwartet dich mit Gedanken voller Gier und Verlangen. Die Unkundige, die bald schon mein Geschöpf sein wird. Noch erwartet sie dich mit Gedanken voller Zärtlichkeit und Wärme. Welcher von ihnen wirst du gehören, wenn du kein Schattentänzer mehr sein wirst? Welche von Ihnen wird das zerbrechen, was noch von dir übrigbleibt? http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Er hob das Messer auf und konzentrierte sich auf die Klinge. Dann erhob er sich und trat zur Königin ans Fenster. Da draußen ist ein Traum von dir, Schattentänzer. Wie kannst du es verantworten, nun zu schlafen, Törichter?
*
Nachdem Aramau aus Yalomiros Traum gegangen war, war auch er für einen Moment erwacht. Ujora, dachte er leise und horchte in die Dunkelheit. Aber er fand keinen Traum. Sie schläft nicht, dachte er betrübt. Auch wenn sie seine Stimme in ihren Träumen nicht hören konnte, hätte es ihn doch getröstet, an ihren Bildern teilzuhaben und sie zu beobachten. Ich muß dich fortschicken, dachte er, damit du weiter existierst als das, was du bist. Und ich werde fortgehen mit der Erinnerung an das, was du mir geschenkt hast. Er seufzte, schloß die Augen und tastete nach der Erinnerung. Meisterin der Wärme und des Vertrauens. Die, die den Schattenhengst ritt. Die, in deren Armen der Rätsel-Kater schlief. Die, deren Kraft den Schwarzen Drachen erweckte. Die, für die der Rabe flog und der Delphin sich in die Tiefen des Chaos stürzte. Yalomiro lächelte traurig. Vielleicht war es vorwitzig von ihm gewesen, sich ihr als Kater zu nähern, die einzige Gestalt, in der sie ihn nicht erkannt hatte. Vielleicht war es verwegen gewesen, ihre streichelnden Hände zu dulden, während er in ihren Gedanken hörte, wem ihre Berührung wirklich galt. Es hatte ihn zugleich amüsiert und gerührt, ihre zärtlichen und unschuldigen Gefühle zu belauschen, die sie ihm gegenüber aus Scheu nie ausgesprochen hätte. Also schenkte er ihr die Melodien, um sich ihr zu nähern in einer Weise, die sie ertrug und genoß, ohne zu begreifen, was mit ihr geschah. Ujora, dachte er, ich danke dir für deine Berührung und das, was du empfunden hast. Dennoch kann ich dich nicht mitnehmen auf das letzte Stück meines Weges. Yalomiro machte sich bereit, wieder einzuschlafen, um Kraft zu sammeln, die er schon bald benötigen würde. Doch durch die Leere erreichte eine Stimme seine Gedanken und schreckte ihn auf. Die Unkundige gehört beinahe mir, Schattentänzer. Du verlierst Zeit, und es geht um Augenblicke. Auf, Schattentänzer, lauf! Du mußt dich beeilen! Bring uns das Zeichen!
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro fuhr auf und sprang hastig auf die Beine. Meister Gor trieb ihn zur Eile, und er wußte, daß der Rotgewandete nicht log. Er schlüpfte rasch in die Form des Raben und stürzte sich besinnungslos in die Luft.
* Die Graue Königin hatte sich niedergelegt, aber ihr Schlaf war unruhig. Die Aussicht darauf, daß der Schattentänzer zurückkehren sollte, verwirrte und erregte sie, und ihre Träume waren fiebernder und sinnloser als jemals zuvor. Meister Gor war lautlos in ihre Kammer getreten und betrachtete die schlafende Frau stumm. Mit flüchtigem Interesse horchte er in ihren Traum und schüttelte dann den Kopf. Du hoffst, ich würde ihn dir überlassen, wenn ich endlich die Macht besitze, dachte er erheitert. Du irrst dich. Du würdest keine Freude mehr an ihm finden, wenn ich gesiegt habe. Denn das, was vom Schattentänzer übrig bleibt, wirst du nicht mehr zerbrechen können. Mitleidig lächelnd wandte er sich um und verließ dann leise wieder das Gemach der Königin. Ihre Träume verstummten langsam im Nichts.
19.
Womöglich war es Aramaus Begleitung, Aramaus magisches Wesen, das es uns ermöglicht hatte, das Zimmer zu verlassen und, ohne auch nur einem Grauen zu begegnen, bis ins Erdgeschoß des Turmes herabzusteigen. Wahrscheinlich verfügte die verwandelte Schattentänzerin auch über einen magischen Instinkt, der es ihr erlaubte, über die Illusionen hinweg zu sehen, die Meister Gor mit seinem Labyrinth erschaffen hatte. Mir wurde bewußt, daß ich in all der Zeit niemals gemeinsam mit Aramau das Zimmer verlassen hatte, und ich wunderte mich darüber, wie zügig wir vorankamen. Ich hatte Yalomiros Tasche umgehängt und folgte der dreifarbigen Katze eilig die Treppe hinab. Lautlos und sampfpfötig sprang Aramau die Stufen hinunter. In der Tasche hatte ich sorgfältig die Violine verstaut, vollständig zusammengeklebt und in Form gebracht. Ich fühlte, daß die Geige der wichtigste Schatz war, den Yalomiro besaß, und ich transportierte sie vorsichtig und achtsam, mit der Tasche nicht gegen die Wand zu stoßen. Aramau hopste die unterste Treppenstufe hinab. Sie blickte mit im Finstern phosphoreszierenden Augen in Richtung der gewaltigen Tür des großen Saales, die wie ein großer dunkler Fleck einen beträchtlichen Teil der uns gegenüberliegenden Wand ausmachte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Dort hinein," flüsterte Aramau. "Die Tür auf der anderen Seite der Halle ist der einzige Ausgang aus der Burg hinaus auf den Hof. Wir müssen durch den Saal und dann ins Freie." Ich seufzte und legte die Hand auf die Tasche, vergewisserte mich, daß die Geige noch da war. "Und auf dem Hof? Wird sich uns dort niemand in den Weg stellen?" Aramau schwieg einen Moment. "Hast du jemals beobachtet, daß die Grauen irgendetwas tun, ohne direkte Anweisungen von der Königin oder dem großen Meister zu haben?", fragte sie dann. "Bestimmt nicht. Sie sind leer, tun niemals etwas nach eigenem Willen und Antrieb. Nein, Ujora: die Grauen selbst sind keine Gefahr für uns. Wir dürfen nur Meister Gor und der Königin nicht begegnen." Ich neigte mich zu Aramau hinab. "Kannst du nicht spüren, ob einer von ihnen da ist?" Aramau schüttelte den Kopf. "Der Saal ist durch starke Zauber geschützt. Es ist viel Negatives in seinen Wänden, und ich vermag nicht, zu entscheiden, ob ich die Kälte des Meisters inmitten all dieses Schlechten erfassen kann." Sie schwieg einen Moment. "Andererseits: was sollte Meister Gor mitten in der Nacht hier unten in dem finsteren Saal machen? Ich könnte mir viel eher denken, daß er oben in seinem Zimmer am Fenster steht und nach Yalomiro Ausschau hält. Er wird nicht annehmen, daß du einen Weg aus deinem Zimmer heraus gefunden haben könntest." "Trotzdem wird er uns sehen, sobald wir die Burg verlassen," gab ich zu bedenken. Aramau knurrte unwillig. "Darüber können wir uns Gedanken machen, wenn wir draußen sind," sagte sie unwillig. "Also mach schon, Ujora: öffne die Tür." Ich ging auf die grobe Pforte zu und streckte unsicher die Hand nach dem steingrauen Holz aus, zögerte aber. Womöglich würde es ein großer Fehler sein, in diesem Moment in den Saal zu treten. "Ich bin zu klein, um die Tür aufzumachen," quengelte Aramau. Deutlich klang Unruhe und Eile aus ihrer Stimme, und ich hatte nicht mehr die Zeit, nachzudenken und Fragen zu stellen. Ich zögerte einen Moment. Dann holte ich tief Luft und trat durch die Saaltür. Ein unbestimmtes, trübes Licht erhellte den Innenbereich der Halle. Obwohl das Licht von hunderten kleiner Kerzenflammen herrührte, war es dennoch kalt und unnatürlich. Aramaus Fell strich an meinem nackten Knöchel vorbei, als sie mir zwischen den Füßen hindurch lief. Ich bückte mich zu ihr hinab und hob die magere http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Katze auf, um sie an mich zu drücken. Aramau zitterte ebenso wie ich, und ihre grellgrünen Augen waren riesengroß. Ihre Ohren zuckten. "Ich habe Angst", wisperte ich. „Warum ist hier Licht?“ Aramau schwieg. Ich näherte mich der Rückseite des Thrones und erinnerte mich, daß ich damals, vor scheinbar undenkbar langer Zeit, mich schon einmal von hinten an einen Thron herangeschlichen hatte, voller Angst, Geräusche zu verursachen. Ich zögerte, weiterzugehen und dabei am Thron vorbeigehen zu müssen. Dann schloß ich tapfer die Augen und schritt voran, in der Hoffnung, der Saal sei leer. Ich war einige Schritte in die Saalmitte vorgedrungen, hatte den Thron der Königin passiert und hatte vor, nun schnell zur gegenüberliegenden Tür zu rennen und dort hinaus zu schlüpfen. Ich fühlte mich unbehaglich bei dem Gedanken, es dann vielleicht geschafft zu haben. Es war bisher alles ganz einfach viel zu leicht gewesen. "Ich grüße dich, Unkundige", hörte ich Meister Gors harte Stimme hinter mir. Ich zuckte zusammen und seufzte. Es wäre tatsächlich zu einfach gegangen. "Seid Ihr schon die ganze Zeit da?", fragte ich, ohne mich umzudrehen. "Ich beobachte dich schon seit einiger Zeit," erklärte er ruhig. "Seit ihr hier auf die Burg gekommen seid. Du und dein Kätzchen." Ich wandte mich um und blickte kraftlos in seine Richtung. Er saß lässig und mit einem spöttischen Grinsen auf dem Thron und hatte die Beine übereinander geschlagen. Aramau fauchte lautlos und zeigte ärgerlich ihr weißes Gebiß mit den scharfen Zähnchen. Ich konnte nichts entgegnen. Er faltete die Hände und lächelte liebenswürdig. "Ihr wußtet, daß ich eine Flucht versuchen würde", sagte ich dann. "Natürlich," gab er freundlich zurück. "Und glaub mir, ich nehme es dir nicht übel. Im Gegenteil -- du vermagst mich zu erheitern auf diese Weise. Vor einem goala’ay wegzulaufen – was für ein lustiger Einfall." Ich sank zusammen. Fast wäre es mir lieber gewesen, wenn er geschimpft und gewütet hätte. Dass er meine Verzweiflung als Belustigung betrachtete, machte mich noch mutloser, als ich es ohnehin schon war. "Laßt Ihr mir das Kätzchen?", fragte ich dann möglichst belanglos. "Ich fühle mich damit nicht so allein." "Ich habe nichts dagegen," sagte Meister Gor achselzuckend. "Obwohl es mich wundert, daß Aramau vom Silbernen Wald sich mit Unkundigen abgibt." Ich erstarrte und heißer Schreck durchfuhr mich.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ihr habt mich erkannt?", entfuhr es Aramau entsetzt mit ihrer Menschenstimme. Meister Gor lächelte sarkastisch. "Aramau vom Silbernen Wald," wiederholte er, "warst du so töricht, daß du dachtest, ich bemerke dich nicht in dieser albernen Maskerade? Es ist wahr, ich kann das Rätsel-Tier nicht mit Sicherheit durchschauen. Aber ich kann spüren, daß ihr da seid -- ob in der Form oder als echtes Tier. Ich wußte immer, daß eine Katze auf der Burg ist. Und ich habe geahnt, daß du es bist, Aramau. Glaubst du nicht, daß ich mir etwas dabei dachte, dich entkommen zu lassen? Du hast meinen Respekt dafür, mir hundert Jahre lang aus dem Weg gegangen zu sein, still und flüchtig wie ein Schatten." Aramaus Fell zuckte, und ihr schlanker Schwanz peitschte nervös hin und her. "Und nun?" Meister Gor legte die Hände auf die Lehnen des Thrones. "Wenn du es willst, Schattentänzer-Mädchen, kämpfe. Ich fühle mich geehrt, dein Gegner zu sein." Aramau fauchte heiser, und ich spürte, wie sich ihre Krallen in meinen Arm bohrten. "Ich hätte Lust, Euch ins Gesicht zu springen," knurrte sie. "Ich hätte Lust, mich Euch entgegen zu werfen mit all der Zerstörung, die meine Kräfte bewirken können." "Tu es," sagte er, und in seiner Stimme klang eine boshafte Erwartung. "Verlasse den Katzenkörper, damit du zaubern kannst." Aramau schüttelte den Kopf. "Das kann ich nicht. Ihr wißt, was dann mit mir geschieht." Meister Gor lachte. "Ja. Du würdest die Folgen deiner Unvernunft auskosten. Denkst du denn, du närrische kleine Schülerin, meine Schutzmacht läßt sich ungestraft beschummeln von euch?" Ich drückte Aramau noch fester an mich und spürte die Wärme ihres Katzenfelles. Sie zitterte – vor Wut und Angst. Was davon überwog, konnte ich nicht deuten. "Setz sie auf den Boden, Ujora", sagte Meister Gor. "Sie will den Kampf. Ich werde mich in einen großen Hund verwandeln, um ihren Wunsch zu erfüllen." "Das werde ich nicht tun," sagte ich und hatte furchtbare Angst. "Wenn Ihr Aramau töten wollt, müßt Ihr zuerst mich umbringen." Meister Gor antwortete nicht sofort. Dann erhob er sich. "Ich meine es ernst, Ujora. Ich würde nicht zögern, dein Kätzchen zu vernichten." Ich schüttelte den Kopf und schützte Aramau mit beiden Armen. Meister Gor zuckte die Achseln und blickte dann auf die Tasche, die ich über der Schulter trug. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Yalomiros Werkzeuge?", fragte er dann erstaunt. "Ich dachte, die Königin hätte sie. Was treibst du damit?" Ich stotterte verlegen herum. „Ich ... nun ja...“ Meister Gor näherte sich mir mit mißtrauischer Miene, und ich wich rückwärts vor ihm zurück, bis ich an einen Tisch stieß und nicht weiter konnte. Er blieb so nahe vor mir stehen, daß ich seinen Atem spüren konnte. Mir wurde eiskalt. "Yalomiro läßt sich Zeit," sagte er mit leiser, schneidender Stimme. "Du bist allein, Unkundige. Du bist allein, und er ist nicht da, um dir beizustehen. Ist dir klar, daß ich unter diesen Umständen mit dir tun könnte, was mir beliebt?" Ich drehte das Gesicht von ihm weg, aber er griff mit kräftigen Fingern nach meinem Kinn und zwang mich, in seine Richtung zu blicken. "Was soll ich mit dir machen, Unkundige? Soll ich dich töten? Nein, das wäre zu einfach und viel zu schnell zu Ende. " "Laßt mich in Ruhe," stieß ich gepreßt hervor und umschlang Aramau noch fester, spürte, wie sie unter Meister Gors Kälte zitterte. Meister Gor packte plötzlich meinen Arm und riß ihn zur Seite, so daß ich Aramau loslassen mußte. Die Katze landete unsanft auf dem Boden, huschte dann besinnungslos vor Panik an Meister Gors Füßen vorbei auf die offene Saaltür zu und verschwand. "Aramau", wimmerte ich, als ich sah, wie sie floh. Meister Gor blickte ihr kurz nach, machte sich aber nicht die Mühe, sie zu verfolgen. "Aramau ist eine Verräterin," sagte er knapp. "Sie ließ auch Yalomiro im Stich, damals, als dies alles hier begann." Er wandte sich wieder mir zu und versetzte mir einen Stoß vor die Brust, der mich umwarf und auf die Tischplatte zwischen die Kerzen schleuderte. Meister Gor griff mit fast unmenschlicher Kraft nach meinen Handgelenken, riß sie über meinen Kopf nach oben und preßte sie auf den Tisch, so daß ich wehrlos vor ihm auf der kalten grauen Holzplatte lag. Dann lächelte er freundlich und blickte mich interessiert an. Ich lag mit schreckensweiten Augen vor ihm auf dem Tisch, wehrlos und zu keiner Bewegung fähig, und wagte nicht, zu atmen. "Was wollt Ihr von mir?," fragte ich verängstigt. Meister Gor neigte den Kopf zur Seite und sein farbloser Blick heftete sich an den meinen. "Du hast Angst?" Ich nickte, panikgeschüttelt und verstört. "Ich werde dich nicht töten," sagte er. "Noch nicht. Ein voreiliges Handeln könnte überstürzt sein. Ich werde etwas anderes mit dir machen." Er überlegte einen Moment.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Er ließ mit einer Hand wieder meine Gelenke los, griff an die Tasche an meiner Seite, öffnete sie und zog die reparierte Geige hervor, ohne daß ich es hätte verhindern können. Er betrachtete das Instrument einen Moment. "Du hast wirklich alles zusammengeklebt," sagte er dann anerkennend. "Das ist gut. Ich werde nun den Leim mit meinem Zauber besprechen, so daß sie wieder massiv wird und man darauf spielen kann. Aber ich befürchte, meine Lieder werden sich anders anfühlen als die törichten Melodien des Schattentänzers." Er ließ mich los, hob das schwarze Holz hoch in die Luft und öffnete die Lippen zu einem Spruch, mit dem er Yalomiros Zärtlichkeit verkehren wurde in Schmerz und Gewalt. Ich starrte auf das Instrument in seinen Händen und wollte schreien. Noch bevor ich protestieren noch Meister Gor seinen Zauber aufsagen konnte, ertönte vom anderen Ende des Saales eine andere Stimme, sonor, aber streng und achtunggebietend. Sie sang etwas in der alten Sprache, das ich nicht verstand. Aber das Instrument glühte silbrig in Meister Gors Händen auf, und er ließ es mit einem angeekelten Aufschrei fallen. Ich fing die Geige auf und sah, daß die Stellen, an denen Leim gewesen war, jetzt wie silbrig pulsierendes Aderwerk auf dem schwarzen Holz wirkten. Das Holz fühlte sich wieder fest und glatt an. Ich blickte auf. Yalomiro stand in der offenen Tür und senkte die Hände, mit denen er seinen Zauber auf die Geige gerichtet hatte. Seine Augen strahlten silbern, verdunkelten sich aber bereits wieder, und in seiner Haltung lag etwas kraftvolles und doch trauriges. Aramau saß neben ihm am Boden und schien unendlich erleichtert zu sein. Ihr Katzengesicht leuchtete geradezu vor Schadenfreude, als Meister Gor die Schultern senkte und sich langsam umdrehte. Der goala‘ay schwieg, aber Spannung lag in seiner Haltung. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen schritt Yalomiro in den Saal, trat an seine Seite vor mich hin und blickte mit seinen nunmehr tiefdunklen Augen wortlos auf mich hinab. Dann lächelte er und reichte mir seine Hand. "Ich bin zurückgekommen," sagte er schlicht. Ich glitt von der Tischkante hinab und warf mich ihm an den Hals, umarmte ihn und schluchzte erlöst auf. Seine silberne Aura umhüllte mich sofort, und die Angst und Kälte wichen von mir zurück. Er drückte mich an sich und ich spürte, wie er sanft über meinen Rücken streichelte. Aber auch, daß er Meister Gor anblickte.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Ich bin zurückgekommen," wiederholte er in Meister Gors Richtung. "Es gibt keinen Grund mehr, die Unkundige zu quälen." Meister Gor sagte einen Moment lang nichts. "Und der Mondstrahl?", fragte er dann. Yalomiro antwortete nicht sofort, sondern neigte sein Gesicht zu mir hinab. Einen Augenblick lang spürte ich seine Wange an der meinen -- und etwas Feuchtes, was darüber rann. Ich blickte hin -- und sah eine Träne über sein Gesicht perlen. "Du kannst nicht weinen," flüsterte ich sinnlos. „Jetzt kann ich es,“ sagte er fast unhörbar. „Du hast es mir beigebracht.“ Er wandte sich ab, und ich umarmte ihn nur noch fester. Er war warm und strahlte Schutz aus. Aber ich ahnte, daß es nichts nützen würde, denn durch die Wärme hindurch spürte ich Meister Gor direkt neben uns. Dann griff Yalomiro nach etwas, das er am Hals getragen hatte und streifte sich das Zeichen ab. Es war wunderschön. Der Mondstrahl bestand aus einer filigranen Silberkette, an dem eine kleine kristallene Kugel von der Größe eines Vogeleis hin. Diese Kugel war mit unendlich vielen winzigen Facetten beschliffen, so daß die Oberfläche fast glatt wirkte. Und in ihr pulsierte ein kühles, heilendes und sanftes Licht -- ein einziger Funke lebendigen Mondlichtes, der die Kugel in tausendfachen Farben zum Erglühen brachte. Meister Gor blickte auf das Zeichen. Seine farblosen Augen betrachteten es fasziniert. Dann griff er danach und riß es Yalomiro gierig aus der Hand, umschloß es so fest mit der Faust, daß er das Licht erstickte und schloß die Augen, mit einer Miene, als durchflösse ihn eine gewaltige, berauschende Macht. "Ich habe Wort gehalten," sagte Yalomiro mit belegter Stimme. "Nun haltet auch das Eure. Gebt die Unkundige frei und laßt sie in ihre eigene Welt zurückkehren." Meister Gor betrachtete ihn mit einem abschätzenden Blick und schwieg. "Wirst du mir auf meinem Weg folgen?," fragte er dann schroff. "Nein," antwortete Yalomiro. "Ich habe mein Volk verraten, indem ich Euch den Mondstrahl übergab. Ich habe die Regeln meines Kreises gebrochen, indem ich mich auf Haß und Liebe einließ. Ich bin schuld am Zerfall meiner Welt. Aber ich bin bereit, die Strafe dafür zu erleiden." Meister Gor betrachtete das Amulett in seiner Hand und legte sich die Kette dann selbst um den Hals. "Dann wirst du nun sterben, Yalomiro," sagte er ruhig und scheinbar gleichgültig. „Es tut mir fast leid um dich. Ich hätte mir einen Schüler gewünscht, der dir ähnlich gewesen wäre in List und Macht. Einen, der mich begleitet hätte auf meinem Weg. Stattdessen werde ich dich nun töten, so wie alle anderen deines Kreises zuvor. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro nickte. "Nun bin ich dazu bereit. Aber zuerst laßt das Mädchen gehen." Meister Gor zögerte. Dann nickte er zustimmend. Ich hatte wie betäubt zugehört und weigerte mich, zu begreifen, worüber da gesprochen wurde. Nun blickte ich zu Yalomiro auf und sah in bodenlose schwarze Augen und ein Gesicht, das unbewegt und gelassen ins Leere blickte. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Yalomiro hätte keine Chance gegen Meister Gors Gewalt gehabt, das war mir klar. Aber dennoch hatte ich immer gedacht, daß mit seiner Rückkehr alles gut werden und der ganze Schrecken und die Leere einfach aufhören würden. Entsetzen überkam mich, als ich das Ausmaß der Unterhaltung erfaßte. "Yalomiro!", rief ich verwirrt aus und umklammerte ihn so fest ich nur konnte. Er seufzte lautlos, und ich spürte seine Wärme. "Geh, Ujora," sagte er leise. "Geh zurück in deine Welt. Das war dein Wunsch, seit du hergekommen bist, und das ist das, was ich dir versprochen hatte. Deine Welt wird leben. Doch hier wird es kalt sein, am Ende der Zeit." Ich schmiegte mich an ihn und bemühte mich nicht mehr, mein Schluchzen zu unterdrücken. "Es ist nicht mehr mein Wunsch," stieß ich hervor, "ich will bei dir bleiben!" Yalomiro schüttelte den Kopf. "Ich werde bald nicht mehr da sein." "Dann komm mit mir," beharrte ich. "Du und Aramau, kommt mit in meine Welt." Aramau kam näher, und Meister Gor duldete es. Abwartend stand er mit verschränkten Armen da und betrachtete uns mit feinem Lächeln. "Das können wir nicht, Ujora," erklärte sie leise. "Wir wären in deiner Welt so einsam und schutzlos, wie du es hier bei uns warst. Mehr noch – wir könnten dort nicht lange überleben. In deiner Welt gibt es keinen mächtigen Magier, der seinen Schutz auf uns legen könnte. Wir gehören nicht dorthin und können dort nicht existieren." Ich blickte zu der gescheckten Katze hinab und krallte meine Finger in Yalomiros Mantel fest. "Aramau -- du und Yalomiro, ihr seid die besten Freunde, die ich jemals hatte, die man überhaupt haben kann. Dort, wo ich herkomme, gibt es niemanden mehr, der mir soviel bedeutet wie ihr beide, niemanden, der auf mich wartet." Yalomiro strich sanft über meine Wange und wischte eine Träne fort. "Ujora, Unkundige -- Meisterin der Wärme und des Vertrauens. Du hast mir mehr Weisheit und Kraft geschenkt als alle Magie unseres Kreises. Du hast http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga aus eigenem Willen einen Schattentänzer aus dem Bann seiner eigenen Macht befreit. Du hast mir die Liebe geschenkt, die unserem Volk versagt blieb seit der Mond auf diese Welt strahlte. Du hast meine Seele ergänzt. Dafür danke ich dir. Und ich wünschte, ich könnte es dir tausendfach vergelten. Doch alles, was ich dir noch ermöglichen kann, ist die Rückkehr dorthin, wohin du gehörst." Ich schloß die Augen und vergrub mein Gesicht in seinem Hemd, und ich bebte vor Tränen. "Du hast meine Seele ergänzt," wiederholte er sehr leise und nachdrücklich. "Und so werde ich der erste Schattentänzer sein, der alle Gefühle verstehen kann. Und deshalb will ich, daß du weiterlebst." Meister Gor trat näher und warf ihm einen stummen Blick zu. Yalomiro ließ mich los und trat einen Schritt von mir zurück. Ich hielt noch immer die Geige in der Hand. "Nimm sie," sagte Yalomiro und lächelte flüchtig. "Nimm sie und vergiß nicht, daß ich es war, der sie formte." Ich nickte und umfaßte das Instrument noch fester. Immer noch schienen die silbrigen Adern zu pulsieren und voller Leben zu strahlen. "Aber ich will nicht, daß du stirbst," sagte ich dann hilflos. Yalomiro blickte zu Boden. "Ujora -- ich bin ein Verräter. Ich verdiene nichts anderes." Ich warf Aramau einen Blick zu -- und sah entsetzt, daß sie zustimmend nickte. „Mir geht es ähnlich. Ich war feige und dumm. Eine wie ich wäre nicht alt geworden – auch ohne die Leere.“ Meister Gor bedeutete mir ungeduldig mit einer knappen Geste, mich der Saaltür zuzuwenden. Er öffnete sie mit einem kurzen Wink, und ich sah auf der anderen Seite ein Bild meiner Welt -- eine Anhöhe über der nächtlich erleuchteten Stadt. Es war eine klare Mondnacht, und von ferne drangen Geräusche des Alltags zu mir hin und wirkten fremd und bedrohlich in der Stille des Saales. Ich blickte auf das Lichtermeer und die Stadt und schluchzte auf. "Ist das deine Welt, Unkundige?" fragte Meister Gor. Ich nickte stumm. Er kmonnte es also tatsächlich – Weltentüren öffnen. Er haztte es die ganze Zeit gekonnt. "Dann beeile dich, durch diese Tür zu treten," sagte er. "Sie wird sich gleich wieder schließen." Ich wandte mich Yalomiro und Aramau zu. Und der Grauen Königin, die gerade durch die andere Saaltür eintrat und verblüfft die Szene beobachtete. Yalomiro lächelte traurig, und Aramau senkte den Blick. Ich zögerte. Es wäre einfach. Ein Schritt nur, und ich könnte alles hinter mir lassen, was ich in dieser Welt an Grauenhaftem und Verzweiflung erlebt hatte. Es war diese Tür gewesen, die ich für meine Flucht benutzen wollte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Nun stand sie mir offen -- aber ich wollte sie nicht durchschreiten. Ich würde Aramau, die Freundin zurücklassen, und Yalomiro, der vielleicht mein Freund geworden wäre. Ich würde dabei wissen, daß Meister Gor sie beide umbringen und danach dieses ehemals wunderbare, zerfallende Land endgültig in seine graue Einöde verwandeln würde, mit Hilfe einer Macht, die dem Leben dienen sollte und nun auf schreckliche Weise mißbraucht werden würde. Aber ging mich das eigentlich noch etwas an? Waren die Dinge nicht unabänderlich? War das meine Welt, um die ich mich zu kümmern hatte? Ich stand im Türrahmen und bemerkte, wie das Bild meiner Welt langsam zu zittern und zu verblassen begann. Offenbar war Meister Gor nicht so mächtig, den Zugang stabil zu erhalten. Ich durfte nicht mehr länger zögern, um mich zu retten. Mich retten? Was für einen Sinn sollte ein Weiterleben wohl haben, wenn der, den ich liebte, tot war -- und noch dazu genaugenommen durch meine Schuld? Hätte Yalomiro jemals so gehandelt, wäre ich nicht Meister Gors Gefangene gewesen? Ich hatte nicht mehr die Zeit, um nachzudenken. Und die Chance zur Rückkehr wäre bald vertan ... Aramau blickte nervös zu Yalomiro auf. Sie zögert zu lange! Yalomiro nickte und blickte traurig in meine Richtung. Ich zog mich einen Schritt weit von der Tür zurück und drehte mich um, blickte in das vertraute Bild meiner Welt. "Was werdet Ihr mit ihm machen?", fragte ich Meister Gor. Meister Gor wandte sich mir zu. Er wirkte angestrengt, aber der Mondstrahl verlieh ihm offenbar so viel Kraft, die Dimension zwischen hier und dort zu überbrücken. "Du solltest gehen, Unkundige. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit, und deine Freunde sind verloren. Aramau mag gehen, wohin sie will -- sie wird es früher oder später vorziehen, ihren uralten Menschenkörper zu benutzen, um zu sterben." Ich blickte auf die Katze hinab und Aramau nickte ernst. „So wird es wohl sein,“ sagte sie langsam. "Und Yalomiro?", fragte ich leise. Meister Gor lächelte und wandte sich dem jungen Magier zu, der unsicher neben ihm stand. Dann warf er urplötzlich eine Geste in Yalomiros Richtung, die ihn heftig traf und umwarf, fest auf die Tischplatte schleuderte. Aus dem Nichts formten sich Fesseln aus Gold, die sich blitzschnell um Yalomiros Hände und Füße wanden und ihn bewegungsunfähig an den Tisch fesselten, auf dem zuvor ich gelegen hatte, mitten zwischen die Kerzen.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro schien verwundert und überrascht, so daß er sich zunächst nicht rührte. Dann aber ergriff ihn Panik, und er versuchte ergebnislos, sich loszureißen. Ich widerstand dem Reflex, zu ihm zu eilen und blieb erschrocken und verwirrt in der Weltentür stehen. "Nein!", rief Yalomiro und Verzweiflung klang aus seiner Stimme, echte Furcht und Todesangst. "Nicht so! Nicht auf dem Altar Eurer tyrannischen Macht!" Aramau maunzte klagend auf und es klang wie ein Schluchzen. Ich ging neben ihr in die Hocke. "Aramau -- was bedeutet das?" Aramau brachte es nicht fertig, zu antworten und schüttelte nur entsetzt den Kopf. Meister Gor legte die Hände an die Kante des Tisches, schloß die farblosen Augen und sprach einige dumpf klingende Worte. Daraufhin wurde der Tisch aus grauem Holz zu einem großen grauen und völlig glatten Granitblock. Anschließend wandte er sich mir zu. "Geh, Ujora. Geh, bevor ich es mir anders überlege. Du kannst dem Schattentänzer nicht mehr helfen." Ich ballte unsicher die Fäuste und sah Yalomiro hilflos auf dem Steintisch hingestreckt. Seine tiefdunklen Augen waren weit geöffnet und blank vor Entsetzen. Meister Gor wartete einen Moment lang. Dann zuckte er die Schultern, trat auf Yalomiro zu und zerriß mit einem Ruck das schwarze Hemd über seiner Brust. Yalomiros Oberkörper war unbedeckt, und Meister Gor schickte sich mit einem befriedigten Gesichtsausdruck dazu an, auch die weiten Ärmel des schwarzen Gewandes über Yalomiros Arme zu seinen Schultern hinab zu ziehen. "Nein," hörte ich Yalomiro flüstern, "ich will nicht auf diese Weise sterben." "Was soll das?", hauchte ich, als ich Yalomiros Angst spürte. "Der Tisch eines goala‘ay, " antwortete Aramau tonlos. "Der grausamste Tod, den ein Schattentänzer sterben kann." Meister Gor blickte auf. "Ich opfere den letzten Schattentänzer der Macht, die mich stärkt, Aramau vom Silbernen Wald." sagte er sachlich. "Ich opfere Yalomiro der Großen Leere. Nicht meiner alten Schutzmacht." Ich zögerte, wußte nicht, wie ich mich verhalten sollte. Meister Gor lächelte zufrieden und hielt plötzlich ein goldenes Messer in der Hand, das er aus dem Nichts holte. Yalomiro stöhnte und riß an den Fesseln. Sein Körper bebte vor Panik und Hilflosigkeit.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Meister Gor hielt ihm das Messer, auf die ausgestreckten Handflächen gelegt, vor die Augen. "Dein Blut, Yalomiro, dein Blut, daß die Kraft leitet. Dein Herz, daß dich antreibt und führt. Deine Seele, die die Kraft steuert und beherrscht. Gib mir dein Blut, dein Herz, deine Seele." Aramau wimmerte. "Was soll das?", fragte ich und weigerte mich, zu begreifen, was ich sah. Die Kätzin sagte nichts und schien unter Schock zu stehen. Ein Gefühl von Schwindel ergriff mich, besinnungsloser Zorn und maßlose Angst. Ich trat einen Schritt näher auf Meister Gor zu und hätte ihm am liebsten das Messer aus der Hand gerissen. Ich erschrak, als sich plötzlich eine menschliche Hand auf meiner Schulter legte. Ich wirbelte gehetzt herum und blickte ich in das Gesicht eines blonden, struwweligen Mädchens mit grasgrünen Augen und unendlichem Schmerz in der Miene. "Aramau?", fragte ich verwirrt. „Aramau – bist du das etwa?“ Das Mädchen nickte. Sie war etwa in meinem Alter und wirkte doch um einiges reifer und ernster, als es angemessen gewesen wäre. "Ich werde mit Yalomiro sterben," sagte sie. "Aber du, sag mir -- willst du das letzte Risiko für ihn eingehen? Willst du versuchen, ihn zu retten?" Ich nickte stumm. "Dann nimm meine Magie," sagte Aramau. "Nimm meine Kraft in deinem Körper auf -- dieser Körper hier hat nicht mehr viel Zeit." Ich nickte, obwohl ich nicht begriff, was sie sich dachte. Aramau lächelte dankbar. Dann legte sie ihre linke Hand auf meine Stirn, die rechte auf mein Herz, so wie es damals Yalomiro getan hatte, als er meine Kraft für sich nahm. Meister Gor blickte zu uns hinüber. Er sah überrascht und alarmiert aus, aber er ließ sich von seinem Ritual nicht abbringen. Also unternahm er nichts und wandte er sich eilig wieder Yalomiro zu. Ein sonderbares, unendlich intensives Gefühl durchzuckte mich, so gewaltig und stark, daß ich nicht sagen konnte, ob es angenehm oder schmerzhaft war. Von Aramau strömte eine Energie aus, die mich umhüllte und gleichzeitig durchdrang, eine Kraft, die jede einzelne Faser meines Körpers durchzog und sich anfühlte wie Feuer, aber nicht verbrannte. Ein unsägliches Gefühl von Glück und Verzweiflung überkam mich gleichermaßen und hob sich gegenseitig wieder auf. Und für den Bruchteil einer Sekunde begriff ich alle Rätsel des Lebendigen. Überwältigt von diesem berauschenden Erlebnis schloß ich die Augen, das Bild Aramaus vor Augen, und sog ihre Magie völlig in mich auf.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Als ich die Augen wieder öffnete, war Aramau tot. Kraftlos und ohne Leben lag sie vor mir am Boden, mager und schwach. Ihr blondes Haar war schneeweiß, und ihr Gesicht das einer uralten Frau. Betroffen blickte ich auf die Schattentänzerin nieder. Ein entrückter Ausdruck von Sanftmut und Güte lag auf ihrem verrunzelten Antlitz, und ein mildes Lächeln. Ein seltsam unbestimmter Frieden umgab ihren Leichnam und ließ mich keinen Schmerz bei ihrem Anblick empfinden. Yalomiros gepeinigter Schrei lenkte mich von Aramau ab und dem großen Meister zu. Meister Gor lächelte immer noch befriedigt und schien völlig in dem Ritual aufzugehen, mit dem er Yalomiro umzubringen gedachte. Ich schauderte und trat dann nahe an den Opfertisch heran. "Was wollt Ihr tun?" Meister Gor blickte rasch zu mir hinüber und lächelte wahnsinnig. "Ich werde ihm sein Herz ausreißen, Ujora. Sein törichtes, liebendes Schattentänzer-Herz, das ihn in diese Lage erst gebracht hat." Ich unterdrückte einen Entsetzenslaut und suchte Yalomiros schmerzverblendeten Blick. "Geh, Ujora," stieß er mühsam hervor. "Du kannst mir nicht helfen. Aramau ist tot, und sobald es mit mir zu Ende ist, wird auch diese Welt nicht mehr so sein, wie sie war. Meister Gor wird siegen." Ich zögerte. Dann, ohne zu begreifen, was ich tat, griff ich nach seinem gefesselten Handgelenk. Ein Schmerz wie von einer Flamme verletzte meine Fingerspitzen, als ich die Ketten streifte, und plötzlich begriff ich, was das bedeutete. Ich zuckte zurück, überrascht von dem, was ich spürte Meister Gor schaute zu mir hin und trat irritiert einen Schritt zurück. Dann runzelte er die Stirn. "Noch nie," sagte Meister Gor erstaunt, "noch nie habe ich gehört, daß die Schattentänzer ihre Magie aus eigenem Willen übertragen können. Nun sehe ich es mit eigenen Augen. Erstaunlich!" Ich blickte auf Yalomiro nieder, und dessen Augen ließen auf ebenso große Verwunderung schließen wie die fassungslose Reaktion des Meisters. Ich betrachtete meine Finger und begriff langsam, was mit mir geschehen war. Eine skurrile Mischung aus Entsetzen und Triumph erfüllte mich. Meister Gor schüttelte den Kopf und wirkte eine Sekunde lang unschlüssig. "Schau mich an, Ujora," befahl er dann gefährlich leise, und automatisch blickte ich zu ihm hinüber. Der farblose Blick des Rotgewandeten musterte ausdruckslos mein Gesicht. "Ja, ich sehe das Zeichen in deinen Augen. Nun erkenne ich es, Ujora. Aber ich spüre auch deine Verwirrung. Hüte dich, Unkundige: du hast soeben ein Geschenk erhalten, das dich in den Wahnsinn treiben wird. Denn du kannst http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Aramaus Kräfte nicht beherrschen. Wahrscheinlich kannst du die Magie nicht lange festhalten." Ich wich einen Schritt weit zurück. "Seid ihr Euch sicher?," bemühte ich mich um Tapferkeit. „Vielleicht weiß ich mehr damit anzufangen, als Ihr mir zutraut.“ Meister Gor schnaubte verächtlich. "Ein echter Schattentänzer wird mit der Magie geboren, und er benötigt die jahrelange Anleitung eines Meisters, um sie steuern zu lernen. Du hast sie in wenigen Minuten in dich aufgenommen, und ihre Gewalt wird dich überfordern, wenn du nach ihr greifst. Der Einzige, der dein Meister hätte sein können, liegt gebunden hier vor mir. Und sobald ich an ihm meine Aufgabe vollbracht habe, werde ich auch dich von der Last deiner neu gewonnenen Magie befreien. Warte nur noch einen Moment." Er näherte sich Yalomiro, der immer noch mit verdattertem Blick zu mir hinüber schaute. Entsetzt sah ich, wie er ihm das goldene Messer auf die Brust setzte. Der Schmerz, den das Gold verursachte, ließ Yalomiro zusammenzucken und sich wieder dem Meister zuwenden. Hypnotisch hakte sich sein schwarzer Blick in den Farblosen des Meisters. Und Meister Gor zögerte mit dem Schnitt, der Yalomiro sein Herz kosten würde. Gehetzte Gedanken rasten durch meinen Geist. Mir mußte schnell etwas einfallen, um Meister Gors Triumph zu vereiteln. Ich wußte Aramaus Magie nicht einzuschätzen, aber es erschien mir waghalsig, irgendeinen Zauber gegen den Meister selbst zu richten -- abgesehen davon, daß ich keine Ahnung hatte, wie ich so etwas tun konnte. Meister Gor war mächtiger als Aramau es gewesen war, und vermutlich würde ich bestenfalls nur eine kleine Ablenkung erwirken können. Ich mußte es irgendwie fertigbringen, Yalomiro aus Meister Gors Reichweite zu schaffen, so daß er, der ihm beinahe ebenbürtig war, sich selbst schützen konnte. Mir fiel etwas ein, was Yalomiro zu mir gesagt hatte, damals, in den Bergen auf dem Weg ins tote Land: 'Ich kann Dinge nur verändern, aber nichts erschaffen.' Ich schüttelte den Kopf und versuchte, einen klaren Gedanken zu erhaschen. Yalomiro aus den Fesseln befreien ... Ohne zu überlegen, was ich tat, richtete ich mechanisch meine Hand gegen den Opfertisch. Rit avai‘sal, hörte ich mich mit gebieterischer Stimme singen, hörte die Worte in der alten Sprache durch den Saal schallen und verstand sie. Fels werde Wasser. Meister Gor hatte im selben Moment zugestoßen, bereit, Yalomiros Brust aufzuschlitzen. Aber das Messer streifte die Haut nur oberflächlich und http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga hinterließ eine hauchdünne Wunde, als sich der Tisch in einen Schwall Wasser verwandelte, das für einen Lidschlag in der Blockform im Raum stehenblieb und sich dann platschend auf den Boden ergoß und Meister Gor von Kopf bis Fuß durchnäßte. Yalomiro fiel unsanft und sicherlich sehr schmerzhaft auf den Rücken in die Pfütze. Dann jedoch sprang er auf und schüttelte rasch die Fesseln ab, die nunmehr lose und schlaff um seine Gelenke hingen. Mein Zauber hatte keine Gewalt über Gold -- aber er hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Ich spürte ein silbriges Licht um mich selbst herum und mußte leise lachen. Meister Gor blickte mit einem Blick, der aussah wie Verärgerung und Unverständnis zugleich, zwischen mir und Yalomiro hin und her. "Du wagst es, mein Ritual zu unterbrechen?", brüllte er dann aufgebracht in meine Richtung, kam mit langen Schritten auf mich zu und holte mit der leeren Hand weit aus. Diese Geste hatte ich an ihm schon beobachtet, und instinktiv streckte ich meine Handfläche gegen ihn aus, so als hielte ich einen unsichtbaren Schild in der Hand. Ein gewaltiger Stoß traf meine Geste und schmetterte mich zu Boden. Ich hätte nicht erwartet, den Schlag wirklich physisch zu spüren und kauerte mich erschrocken zusammen, instinktiv die Geste beibehaltend. Dabei spürte ich meine neue Aura dicht und schützend über mir. „Immerhin,“ stutzte Meister Gor. „Dieser Zauber hätte dich eigentlich zerschlagen sollen. Du bist geschickter, als ich annahm.“ Yalomiro rappelte sich auf und blieb schwankend einen Augenblick lang stehen. Dann sah ich, wie auch er beide Hände hob und seinen Blick fest auf den Meister richtete. "Meister Gor!", rief er, und der Rotgewandete wandte sich heftig um. "Ihr kämpft gegen eine Unkundige," fuhr Yalomiro fort, und Spott klang aus seiner Stimme. "Eine Unkundige mit geliehener Magie hat Euch überlistet. Und Ihr fühlt Euch bedroht?" Meister Gor stieß einen unterdrückten Wutschrei aus und schleuderte einen Schlag nach Yalomiro. Der wehrte ihn nicht ab, sondern sprang geschmeidig beiseite. Der ins Leere fahrende Zauberstoß Meister Gors zersprühte mit roten Funken an der Wand. Ich schaute abwartend in Yalomiros Richtung und wußte nicht, was ich nun tun sollte. "Ich fürchte Euch nicht mehr," spottete Yalomiro und ich sah seine Aura aufglühen. "Die Unkundige ist nicht mehr länger schutzlos, sie kann sich nun selbst gegen Euch wehren. Und sie ist mächtig, auch wenn sie ihre Kraft noch nicht begreift. Ihr kämpft nun gegen zwei Schattentänzer, und bei all Eurer Macht, Ihr seid nur allein. Wir sind in der Überzahl"
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Und mit einem knappen Ruf warf Yalomiro etwas Unsichtbares nach Meister Gor, der erschrocken einen Satz beiseite tat und mit mühsam gezügelter Erregung Yalomiro anstarrte und giftige Blicke aussandte. „Das waren eure Kreisgefährten auch, und wo sind sie jetzt?“, schnappte der Meister. Aber es war unverkennbar, daß er verwirrt und unsicher war. Yalomiro lächelte finster und blickte ihn unnachgiebig an. Ich wurde im Moment nicht mehr beachtet und erhob mich leise. Mein Blick fiel auf die Weltentür, die immer noch offen stand. Meister Gor atmete tief ein und griff nach dem Mondstrahlamulett um seinen Hals. Yalomiro zuckte zusammen, und ich erstarrte erschrocken. "Das hier ist meine neue Macht," klang Meister Gors Stimme leise und ruhig. "Schattentänzer -- wie kannst du glauben, daß ihr die Kraft hättet, dieses Amulett zu besiegen?" Yalomiro verschränkte die Arme und neigte sich vor. "Das ist ein Zeichen des Kreises, des Lebens und der Veränderung. Was seid Ihr? Ein Diener der Starre und des Beendeten. Was macht Euch so sicher, daß das Zeichen sich mit Eurer Magie verträgt? Es könnte Euch zerbrechen, auch wenn Ihr noch so mächtig seid. Wir sind zu schwach, um es zu beherrschen, das ist wahr. Ihr aber seid womöglich unfähig, es zu gebrauchen -- denn Ihr könnt es nicht verstehen." Meister Gor schwieg. "Das glaube ich nicht," sagte er dann und richtete das Zeichen auf Yalomiro. Yalomiro hob beide Hände und schloß die Augen. "Ich ergebe mich dem Willen des Zeichens," sagte er. "Das Zeichen dient der Macht, die mir meine Magie gegeben hat. Wenn die Macht meinen Tod will, so füge ich mich dem. Aber Ihr, Meister Gor, seid gewarnt -- jeder Magier dieser Welt weiß, daß der Mondstrahl niemals, aus welchem Grund auch immer, gegen etwas Lebendiges gerichtet werden darf. Seid Ihr Euch sicher, ob ihr und die Leere stärker seid als die Nacht?" Meister Gor blieb reglos stehen, und auch Yalomiro verharrte in seiner Stellung. Verunsichert stand ich dabei. "Meister Gor!", ertönte aus dem Hintergrund des Saales unvermittelt die Stimme der Grauen Königin, und alle wandten sich überrascht ihr zu. Sie saß in ihrem Thron, schon seit geraumer Zeit, und hatte alles, was seit Yalomiros Rückkehr geschehen war, still und unauffällig beobachtet. Sie war so leise und reglos gewesen, daß ich ihre Anwesenheit vollkommen vergessen hatte. Nun aber ergriff sie das Wort, und der Blick ihrer Puppenmaske war kalt und ausdruckslos. "Meister Gor," sagte sie, "ich habe lange Zeit nachgedacht. Nachgedacht über all das, was geschehen ist seit Ihr auf meine Burg gekommen seid. Ich http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga habe über das nachgedacht, was der Schattentänzer zu mir sagte, was ich durch die Unkundige erfuhr und was ich nun am Opfer des SchattentänzerMädchens gesehen habe." Meister Gor schwieg abwartend, und Yalomiro schaute überrascht zu der Grauen Königin hinüber. Sie erhob sich und wirkte mit einem Male nicht mehr kalt und unheimlich -sondern nur noch verzweifelt und schwach. "Schattentänzer ...," sagte sie leise, "antworte mir ehrlich: bin ich böse? Bin ich verloren?" Yalomiro blickte zu Boden und ich sah überrascht, daß er ein Lächeln verbarg. "Nein, Königin," sagte er dann sanft und blickte auf. "Ihr wart seelenlos, und was keine Seele hat, ist jenseits von Böse und Gut. Aber Eure Seele war nie tot -- Meister Gors Magie hat sie betäubt und zurückgedrängt, so wie die Leere das Leben verdrängt hat, das um Eure Welt lag. Aber wenn es uns gelungen ist, mit unseren Worten und Gesten Euch an Euren Geist zu erinnern, dann seid Ihr noch nicht verloren." Die Königin zitterte und schien sich gegen einen inneren Aufruhr wehren zu wollen. "Ich habe dir viel Leid angetan," sagte sie dann mit brüchiger Stimme. "Ich habe versucht, dich zu besitzen. Durch meine Schuld warst du viele Jahre lang ein Stein. Ich habe zugelassen, daß man dich verletzte und mißhandelte." Yalomiro nickte. "Ich verzeihe Euch," sagte er freundlich. "Aber Ihr müßt Euch entscheiden, zwischen dem Leben und der Leere." Meister Gor fuhr auf und war mit wenigen Schritten bei der Königin. "Was redet Ihr?," herrschte er sie an. "Dankt Ihr mir so meine Güte und meine Geschenke?
Durch mich wurdet Ihr unsterblich und schön! Dank mir seid Ihr
die mächtigste Frau dieser Welt!" Die Königin lachte. Aber es war nicht das unnatürliche, heitere Perlenlachen, das ich von ihr kannte -- es war ein verbittertes, müdes Gelächter. "Eure Güte? Eure Geschenke? Habt Ihr mich jemals gefragt, ob ich glücklich bin mit dem, was ich erreicht hatte durch Eure Güte? Damals, Meister Gor, damals, als ich wütend und schwach war nach dem Tod meines Vaters, damals, als ich Euch Unterschlupf gewährte auf meiner Burg -- da tat ich den größten Fehler meines Lebens. Ich vertraute Euch meinen geheimsten Wunsch an: schön und verführerisch zu sein. Damals hielt ich die Schönheit für das höchste Gut, das, was mir Freude bereiten sollte. Aber nun, nachdem ich all das hier gehört und gesehen habe, da begreife ich, wie töricht und unvernünftig mein Wunsch war. Schönheit? Wie vergänglich und flüchtig ist http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga das! Dumm und eigensüchtig war ich damals, aber obwohl ihr meine Schwäche erkanntet, machtet Ihr mich nicht darauf aufmerksam, nein! Ausgenutzt habt Ihr mich und mich unter Euren Willen gezwungen, indem Ihr mich unsterblich und ewig jung gemacht habt. Habe ich Freude erlangt durch meine Gestalt, oder irgendjemandem Freude gemacht? Ich habe meine Tage damit zugebracht, Männer zu zerbrechen mit der unheilvollen Gabe, die ihr mir verliehen habt, und ich war so benommen und betäubt durch Eure Magie, daß ich noch nicht einmal bemerkt habe, was ich anrichtete! Erst der Schattentänzer, der meiner Verführung widerstehen konnte, hat mich aufgeweckt aus Eurem Bann, und langsam komme ich zu mir." Meister Gor hatte ihr mit unbewegter Miene zugehört und schwieg. "Habt Ihr jemals Grund gehabt, Euch über mich zu beklagen?", fragte er dann. Die Königin antwortete nicht. "Ich werde Euch etwas sagen," fuhr Meister Gor fort, "im Grunde ist es mir egal, was Ihr nun sagt oder von mir denkt. Ich bin nur einen Schritt von meinem Ziel entfernt, von der Macht, die ich erreichen wollte und werde, sobald ich den Schattentänzer und die Unkundige vernichtet habe. Und wie könnt Ihr annehmen, daß Eure Worte für mich noch irgendeine Bedeutung haben? Ihr wart mir nützlich, Königin, das ist wahr. Aber schon in wenigen Augenblicken wird all dies für mich keinen Wert mehr haben: die Große Leere wird den Kreis verschlingen, und alles, was für Euch einmal Bedeutung hatte, alles, was Ihr nun als wahr und gut erkennt, wird der Vergangenheit angehören." Yalomiro war unbemerkt an meine Seite getreten, während Meister Gor durch die Königin abgelenkt war. Geh, Ujora. Noch steht die Weltentür dir offen. Ich horchte auf seine Gedanken und hörte sie klar und deutlich. Wirst du allein eine Chance haben? Yalomiro seufzte lautlos und schüttelte dann den Kopf. Dann werde ich bleiben, antwortete ich. Aramau hat das gewollt, als sie mir ihre Kraft schenkte. Vielleicht weiß ich noch nicht genau, wie ich sie einsetzen kann, aber womöglich reicht es bereits, wenn sie da ist. Yalomiro sah erst zu mir hinüber, dann zu Aramaus Leichnam, und in seiner Miene lag eine erleichterte Belustigung. Du hast Aramaus Magie genommen, dachte er, aber deinen eigenen Geist behalten. Das ist gut. Die Königin schaute immer noch zu Meister Gor hinüber. Nun spürte ich ihre Verbitterung mit einem Male ganz deutlich. "Dann bitte ich euch nun nur noch um einen letzten Gefallen, Meister Gor," sagte sie leise, „bevor Ihr die Welt vernichtet.“. Der Meister schwieg auffordernd. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Nehmt dieses unheilvolle Geschenk wieder von mir," forderte sie. "Macht mich wieder zu dem, was ich gewesen bin, bevor Ihr kamt." Meister Gor lächelte, wandte sich von ihr ab und blickte zu Yalomiro und mir hin. "Schattentänzer," sagte er und lachte leise, "was würdest du an meiner Stelle tun?" Yalomiro schüttelte den Kopf. "Keiner meines Volkes hätte einem Unkundigen jemals ein solches," er zögerte mit dem Wort, "Geschenk gemacht. Herzenswünsche lassen sich nicht mit Magie erfüllen, weder von der Magie der Leere, die Ihr in Euch tragt, noch von der Magie der Dunkelheit, für die ich stehe. Jeder Magier weiß, daß der Zauber die Wünsche in Entsetzen und Verzweiflung verkehrt." Meister Gor schaute in meine Richtung, und ich fröstelte. "Und du, Unkundige? Hat sich nicht dein Herzenswunsch erfüllt, mit der Magie, die du erfahren hast?" Ich blickte zu Boden. "Mein Wunsch war es, geliebt zu werden. Aber ich habe Euch widerstanden, als mir die Königin die Schönheit anbot, denn ich habe gewußt, daß es falsch gewesen wäre." Ich schwieg einen Moment. "Aramau hat mich vor der Dummheit bewahrt, die die Königin verdarb." "Aramau war eine Freundin, " sagte die Königin tonlos. "Wie sagtet Ihr noch, Meister Gor? 'Sie durchschauen jeden Zauber:' Wäre ich doch nur nicht so eigensüchtig und ungeduldig gewesen, damals. Wieso mußte ich den erstbesten Zauberer, der vorbeikam, zu meinem Ratgeber ernennen, nur, weil er ein Geschenk brachte? Schattentänzer -- was hätte mir einer aus deinem Volk geraten?" Yalomiro blickte sie an, und seine Augen waren tief und mitleidig. "Wäret Ihr zu einem von uns gekommen, damals, als die Verzweiflung über Euch kam, wir hätten Euch getröstet und beraten. Aber wir hätten Euch niemals zu etwas gemacht, was Ihr nicht aus eigener Kraft hättet werden können." Die Königin wich seinem Blick aus. "Wir nutzen unsere Magie nur für das Leben und die Vielfalt. Meister Gor hingegen wollte Euch von Anfang an betrügen. Denn die Leere ist immer falsch." Meister Gor lächelte mitleidig und schüttelte bedauernd den Kopf. Meine Anspannung wuchs. Wie lange würde Meister Gor sich noch zum Gespräch hinreißen lassen, bevor er den Mondstrahl für seinen letzten großen Zauber nutzen würde, der womöglich diese Welt auslöschen würde? Ich blickte zur Weltentür und sah immer noch das Bild meiner Nacht. In diesem Moment schlug die Pforte in meine Realität urplötzlich zu. Der Schritt war vertan. Ich seufzte auf, und Yalomiro griff tröstend nach meiner Hand. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Unvermittelt hörte Meister Gor auf, zu lächeln und blickte ruckartig auf und mit einem so harten Blick zu Yalomiro hin, daß dieser erschrocken zusammenzuckte. Dann hob er beide Hände gegen Yalomiro und richtete sich hoch auf. "Yalomiro," sagte er, und seine Stimme klang plötzlich unnatürlich und dumpf, "Schattentänzer, letzter Schüler von Meister Askyn vom Schwarzen See. Hundert Jahre lang standest du unter meinem Bann." Yalomiros Augen wurden starr und das Silber darin leuchtete auf. Er wandte sich mit der selben Geste gegen Meister Gor und atmete ruhig. "Hundert Jahre lang erfuhr ich die Weisheit eines Steines," gab er zurück. Meister Gor lachte lautlos. "Ich erweckte in dir den Haß, doch du folgtest mir nicht!" "In mir erwachte gleichsam die Liebe, und ich folgte meiner Herrin!" Ich schauderte, und zog mich unbewußt einige Schritte weit von den beiden Männern zurück. Auch der Königin war es unheimlich, ich spürte ihre Angst. Ich sah erstaunt, daß sie mit starr auf Meister Gor gerichtetem Blick rückwärts in meine Richtung kam, als suche sie Schutz bei mir. "Yalomiro, Schattentänzer," fragte Meister Gor lauernd, "was bist du?" Yalomiro antwortete nicht sofort und schien verunsichert. "Was bist du?", wiederholte Meister Gor ungeduldig. "Ich bin eine lebendige Seele," hörte ich Yalomiro antworten, "und ich bin Magie, Kraft der Dunkelheit, des Mondlichtes und des Kreises. Kraft und Seele teilen sich den Körper, der Yalomiro heißt." Meister Gor lächelte fein. "Sag uns deinen Namen, Yalomiro. Sag uns, was du bist." Yalomiro ließ die Hände sinken und warf mir einen flüchtigen Blick zu, den ich nicht zu deuten vermochte. "Der Mann, der ich bin, heißt Yalomiro," sagte er dann, "das heißt der, dessen Stimme die Nacht trägt. Die Kraft, die nun in mir ist, hat meine Seele vervollständigt. Ich bin mächtiger, als Eure Leere es ist ." Die Königin stieß einen unterdrückten Entsetzensschrei aus, und ich sah, was sie erschreckte. Meister Gor war einige Schritte von Yalomiro zurückgewichen und griff mit beiden Händen nach seiner Maske, den starren Blick mit einer grauenhaften Kälte auf Yalomiro gerichtet. "Yalomiro," klang seine Stimme böse und eisig, "Nacht-Mutter, Kraft der Dunkelheit, die die Leere nicht zuläßt! Du hast einen sonderbaren Körper gewählt, um mir entgegenzutreten. " Er schwieg einen Moment und sagte dann: " Du hast mich erkannt, Yalomiro: Meister Gor, der Herr der Leere, der mein Körper ist, trägt mich, die Große Leere selber, in sich." Und Meister Gor riß sich die Maske vom Gesicht.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich mußte die Augen schließen vor Entsetzen. Ich hatte erwartet, in irgendeine grauenhafte Fratze zu blicken, hatte immer vermutet, Meister Gors Gesicht sei entstellt und er maskierte sich deshalb. Aber es war ganz anders und noch viel schlimmer: Meister Gor hatte kein Gesicht. Doch es fehlte ihm nicht auf die Weise, wie es den Bediensteten der Grauen Königin fehlte - unter der Maske befand sich überhaupt nichts. Aber er war auch nicht unsichtbar, denn in dem Moment, in dem ihn die Maske nicht mehr verkleidete, verloren sich die Konturen von Meister Gors Körper, verschwammen mit seinem Gewand und wurden zu etwas Furchtbarem, was ich mit keinem Wort beschreiben konnte. Ich begriff, daß es ein Körper aus Nichts war, der sich auf diffuse Weise ausbreitete und dessen pure Anwesenheit mir Schmerzen bereitete. Die Anwesenheit von Nichts! Etwas, daß unmöglich war und nicht sein konnte. Ein Gedanke, der denjenigen wahnsinnig machen würde, der versuchen würde, ihn zu denken und zu begreifen. Die Königin wimmerte, und ich umarmte sie automatisch, spürte sie zitternd an meinem Körper Zuflucht suchen und legte mechanisch meine Aura um sie, obwohl ich nicht so recht begriff, wie ich dies fertigbrachte. "Meister Gor," sagte Yalomiro, und zu meiner Verblüffung hörte ich weder Furcht noch Zorn aus seiner Stimme, sondern eine leichte Verwunderung. "Das ist das, zu dem Ihr wurdet, das Nicht-Wesen? Wollt ihr uns erschrecken mit diesem Anblick? " Ich versuchte, Yalomiros Gedanken zu hören, aber es gelang mir nicht. Und ich verstand langsam, daß in diesem Moment die Kraft, die in Yalomiro wirkte und ihm seine Magie verlieh, sich verselbständigte. Die Situation geriet auf eine Ebene, die höher war, als das, was ich verstehen konnte. "Seid Ihr nicht besorgt?," fragte Yalomiros Stimme. "Vor Euch steht das, was Euch widerstrebt, denn was nicht ist, kann dem Leben nicht entgegentreten. Und ein zweiter Schattentänzer ist hier anwesend. Zwei Wahre Diener des Kreises werden sich gegen dich wenden, Nicht-Wesen, das den armen Meister Gor verschlang!" Mit Meister Gors Stimme lachte das Nicht-Wesen tonlos. "Solange sie ihre Magie nicht lenken kann, wird sie mir nicht gefährlich werden." Yalomiro schwieg und blickte auf das Nichts. Dort, wo Meister Gors Hand gewesen war, schwebte das Amulett in der Luft und funkelte geduldig. Die Königin zitterte am ganzen Körper, und ich hatte Mühe, sie festzuhalten. Und fühlte mich erschrockener und hilfloser als je zuvor. "Macht Euch bereit," klang die Stimme des Nichts, "denn nun wird alles Lebendige verlöschen."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Das Nicht-Wesen begann auf sonderbare Weise, zu zittern und sich im Raum auszudehnen. Ich blieb starr vor Schrecken stehen und versuchte, zu begreifen, daß nun alles zu Ende war. "Yalomiro!", rief ich kläglich aus, und die Königin schluchzte. Yalomiro blickte dem Nicht-Wesen ruhig entgegen. Ich fragte mich, wie er es anstellte, vor Entsetzen nicht gelähmt und hilflos zu sein. Dann schnellte seine Hand vor, ergriff das in der Luft pendelnde Zeichen und riß es an seinen Körper. Kaum hatte er das getan, wirbelte er herum und begann, zu rennen. "Lauft!", schrie er uns zu, packte im Vorübereilen meine Hand und riß mich mit sich. Ich ließ die Königin los und rannte, rannte um mein Leben hinter ihm her, auf die Saaltür zu. Und hinter mir hörte ich die hastenden Schritte der Königin und das grausame Gelächter des Nicht-Wesens. "Ja, rennt nur," spottete es, "nun ist es zu spät, um zu fliehen, Schattentänzer. Ihr könnt der Leere nicht ausweichen und ihr werdet mir nicht entgehen, und wenn ihr ans Ende der Welt laufen würdet!" Und ohne daß jemand sie berührt hätte, schlug die schwere Tür zu. Yalomiro, der sie als erster erreichte, konnte nicht mehr anhalten, glitt auf dem spiegelglatten Saalboden aus und prallte unsanft dagegen. Die Königin trat eilig hinzu, griff mit beiden Händen nach den Klinken und rüttelte verzweifelt daran. Doch die Torflügel bewegten sich um keinen Zentimeter, obwohl der Riegel nicht vorgeschoben war. Ich blickte zurück und sah das Nicht-Wesen, wie es wuchs und sich näherte. Yalomiro rappelte sich auf und trat einige Schritte vom Tor zurück. "Geht beiseite," befahl er uns, und eine völlig unpassende Ruhe lag in seiner Stimme. Kaum waren wir ihm aus dem Weg gegangen, schleuderte er nur eine kurze, heftige Geste gegen die Tür, die er mit einem fast wütend klingenden, trillernden Ausruf begleitete. Das uralte, massive Holz fing Feuer, schwarzes Feuer, loderte auf, verglühte und zerfiel zu grauer Asche. Die Königin besann sich nicht lange, und ohne sich umzusehen, raste sie von kopfloser Panik getrieben aus dem Saal in die Vorhalle, ohne sich noch umzublicken. Yalomiro schien selbst ein wenig verdutzt über die Wirkung seines Zaubers zu sein, packte mich dann und zog mich aus dem Saal. Ich hastete hinter ihm her und hörte hinter mir das schallende Gelächter des Nicht-Wesens. "Die Königin!", rief ich Yalomiro zu, "Wo ist sie hingelaufen?" Er warf gehetzte Blicke nach links und rechts, aber die Graue Königin war nirgends zu sehen.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Stattdessen geschah etwas anderes -- lautlos und fast unmerklich begannen die Mauern der Burg zu vibrieren. Der Boden erzitterte, und direkt über uns begann die gewaltige Wendeltreppe einzustürzen. Staub und kleinere Mörtelbrocken regneten auf uns nieder -- und die Tür nach draußen war noch weit entfernt. Gleichzeitig kamen aus den Seitentüren des Saales graue Diener hervor. Sie gaben keinerlei Geräusche von sich, aber sie schienen ebenso verwirrt über das Geschehen zu sein wie ich, blickten sich suchend um und waren orientierungslos. Dann aber kam Ordnung in ihre Schar. Die Grauen Diener strömten weg von der Quelle des Bebens, alle auf den Ausgang zu, und wir wurden mitgerissen in einer grauen, schweigenden Masse, die ihr Heil in der Flucht suchte. Unzählige Füße rannten, und ihre Schritte verstärkten das Beben noch zusätzlich. "Die Burg wird einstürzen," rief Yalomiro gegen das dumpfe Dröhnen der fliehenden Masse an, "wir müssen hier heraus!" Ich blickte hinauf, in die schwindelnde Höhe des Turmes und sah die Treppe schwanken und die Mauern sich in einer fließenden Bewegung wiegen, wie ein Vorhang im Wind. Aber noch stand der Turm, nur die Brocken, die herabstürzten, wurden immer größer. Und wir rannten, rannten in der Menge, und mein Herz raste. Mörtel und kleinere Steine prasselten herab und schlugen auf mich. Es schien unendlich lange zu dauern, bis wir die Tür erreichten. Das breite Tor bot genug Platz, die flüchtende Menge hindurchzulassen, und niemand stürzte oder hemmte den Lauf der anderen. Die Präzision der Flucht der Grauen war beängstigend. Atemlos und gehetzt erreichten wir das Freie, eine grauschwarze Nacht ohne Licht und Schatten. Und im Düsteren schwankte die Burg und zerfiel langsam Stein für Stein. Yalomiro wollte etwas sagen, aber der Atem blieb ihm weg. Und die Wunde auf seiner Brust blutete wieder. Und um uns wogte die schweigende Panik der Grauen. Das Lachen des Nicht-Wesens dröhnte in meinen Ohren. Die Königin blieb verschwunden. Yalomiro keuchte und schnappte nach Luft. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand und versuchte, zu Atem zu kommen. Ich drehte mich um und sah, wie die Mauern des Hauptgebäudes immer stärker zitterten und dicke Mauerbrocken vom Turm hinab auf den Hof stürzten. Die Grauen rannten in schweigender Panik umher und versuchten, sich in Sicherheit zu bringen. Es war wie ein gewaltiges Erdbeben, aber kein Laut außer dem dumpfen Aufprall der Trümmer war zu hören.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro umschloß das Zeichen fest mit der Faust und blickte zum Turm hinüber. Ich begriff, daß das Nicht-Wesen das Gebäude zersprengen würde, indem es sich ausdehnte. Ich schaute Yalomiro hilflos an. Sein zerfetztes Hemd hing offen herab, und Blut rann über seine Brust. Seine Augen waren blank und schwarz. "Nun gibt es nur noch eine Lösung," sagte er, als er wieder sprechen konnte. "Und welche?" Yalomiro schloß die Augen. "Wir müssen das Zeichen zerbrechen. Wir müssen den Mondstrahl freilassen." Ich schüttelte verständnislos den Kopf. "Aber du sagtest, das sei unmöglich!" Er nickte. "Das sagte ich. Aber es sind viele Dinge geschehen, die ich für unmöglich hielt, in der letzten Zeit." Die Burg erbebte, und Graue eilten vorbei, gesichtlos, stumm und verzweifelt. "Wie?", fragte ich entschlossen. Yalomiro zögerte. Dann griff er nach mir, legte den Arm um mich und zog mich an sich heran. Er legte das Zeichen in meine Hand, griff in meine Finger, und wir hielten das Amulett zwischen unseren Händen. Der Kristall war kühl, und ein seltsam angenehmes Gefühl strahlte davon aus. Yalomiros Augen erglommen silbern. Seine Aura strahlte auf und vermengte sich mit der, die ich um mich selbst spürte. Dann näherte er sein Gesicht dem meinen und ich spürte seine Lippen. Während um uns herum Panik und Chaos tobte, während die Burg langsam zusammenstürzte, standen wir einander umarmend mitten auf dem Burghof, den Mondstrahl zwischen uns geborgen, und verbunden durch einen nach Sternenlicht schmeckenden Kuß.
*
Die Königin hatte mit Mühe über die schwankenden Treppen ihr Gemach erreicht. Dort stand der magische Spiegel, und in ihm das Bild der perfekten Frau. Die Graue Königin schüttelte verständnislos den Kopf, als sie es betrachtete. Die Mauern erbebten, und ein Stein stürzte von der Decke, direkt vor die Füße der Grauen Frau.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Die Königin lächelte. Dann bückte sie sich nach dem Stein, hob ihn nicht ohne Mühe auf und schleuderte den schweren Brocken ohne nachzudenken, gegen das Spiegelglas. Und der magische Spiegel zerschellte in abertausend winzige Scherben, bevor die Wände den Halt verloren und das ganze Zimmer begann, sich aufzulösen.
20.
Das Nicht-Wesen dehnte sich aus. Die Mauern um es herum hielten ihm nicht mehr stand, und das Gebäude zerbröckelte wie eine Sandburg, langsam und unaufhaltsam. Bald, bald wäre es geschafft, und Nichts wäre mehr, was verschieden wäre von ihm. Das Nicht-Wesen lachte sein leeres, seelenloses Gelächter und wuchs, wuchs hinauf zu den erstarrten Wolken und hinauf bis zum Mond.
*
"Ich bin Yalomiro, die Stimme der Dunkelheit," sagte Yalomiro mit fester Stimme. "Ich bin der letzte aller Schattentänzer. Ich trage in mir die letzte männliche Magie des dunklen Kreises." Ich zögerte, aber nur einen Augenblick. "Ich bin Ujora, die, die lieben kann. In mir ist die Magie einer Schattentänzerin." Yalomiro senkte den Blick. "Die Magie von Aramau," sagte er tonlos. "Aramau -- die, die die Ewigkeit erahnt." Ich schluckte, und ich spürte, wie nervös ich war. "Die Magie von Aramau, die starb, um die letzte Chance zu ermöglichen," fuhr ich fort. Yalomiro nickte flüchtig und hob dann die Hand, in der er das Zeichen hielt. Ich folgte seiner Bewegung. "Wir sind bereit, Nicht-Wesen," rief er in Richtung des Gebäudes, dessen Mauern nunmehr vibrierten und zerbröckelten. "Die Nacht und das Leben stellen sich dir entgegen. Wir sind stärker als du." Sind wir das?, dachte ich skeptisch und umklammerte das Zeichen. Ja, antwortete er. Denn uns verbindet etwas, was stärker ist als die Leere. Selbst, wenn wir umkommen, wird die wahre Magie, die in uns ist, die Leere vergiften. Sie wird unvollkommen sein, denn in sie mengt sich eine Spur unserer Gefühle füreinander.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga
Weit, weit fort, am Strand des Meeres des Chaos blieb Isan abrupt stehen und horchte ins Leere. Ein unbestimmtes Gefühl von Ahnung und Furcht streifte sie und ließ sie erschauern. Ihre Geschwister wandten sich suchend nach ihr um, als sie bemerkten, daß das Mädchen zurückblieb. Isan hörte nicht, als sie nach ihr riefen. Stumm und angestrengt tastete sie in die Weite, in Richtung des Toten Landes. Dann erglühten ihre Augen silbrig. Die Geschwister sahen dies und panikerfüllt rannten sie vor ihr davon, in die Dünen, hin zum Dorf. Isan senkte den Blick und seufzte bang. Nun wurde es ernst, dort, weit hinten in der Leere.
*
Die Mauern ertrugen es nicht mehr und zerfielen zu Schutt. Das Nicht-Wesen flutete gewaltig und schweigend ins Freie, reckte sich auf und verschlang ein Stück des Himmels und der Wolken. Ich hörte mich aufkreischen und wollte mich von Yalomiro losreißen und davonlaufen, wie es auch die Grauen taten, als sie dem Unseienden gegenüber standen. Aber Yalomiro hielt mich fest. Ich blickte zu ihm hin, und sah nun namenloses Entsetzen und Todesangst in seinem Gesicht. Aber er beherrschte sich mit übermenschlicher Anstrengung und schaute hin zu dem, das er beschwören und bannen wollte, in Wut und für die Welt, in der er lebte. Yalomiro, spottete das Nicht-Wesen, und obwohl es nicht mit Worten sprach, klang seine Stimme scharf und erbarmungslos in meinen Gedanken, was soll das? Ein sterblicher Zauber gegen meine Macht? Du machst dich lächerlich. Yalomiro wollte etwas erwidern, aber seine Stimme versagte. Er schluckte und versuchte, dem Nicht-Wesen stand zu halten. Ich werde euch auslöschen, sagte das Nicht-Wesen. Euch und alles, was ist. Und es wird sein, als hätte es euch niemals gegeben. Denn Zeit, Raum und Erinnerung werden vergehen vor meiner Gewalt. Und es bewegte sich, verformte sich, und mit einem Male hatte es uns eingekreist und umschloß uns wie ein Ring. Es war keine Kälte und keine Panik, die mich nun befiel. Es war wie eine allumfassende Taubheit und Gleichgültigkeit, die sich meines Willens und meiner Gedanken bemächtigte, und ich sank zusammen. Yalomiro erging es ähnlich. Er bäumte sich einen Augenblick lang noch gegen die Leere auf, brach dann jedoch selbst in die Knie. Immer noch hielten wir gemeinsam das Zeichen in den Händen. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Yalomiro zitterte, und ich versuchte mühsam, einen Blick in seine Augen zu erhaschen. Sein Blick war gleißend und silbern, aber ich sah, daß er zerbrach. "Yalomiro," stieß ich hervor, und meine Stimme war nicht mehr als ein Hauch, "Yalomiro!" Sein Körper erschlaffte, und das Zittern hörte auf. Und mit einem Male hatte ich furchtbare Angst, er könne tot sein. Angst, die die Leere in mir für einen Moment verdrängte. Ich schaute auf das Zeichen in unseren Händen. Entsetzt es dich, Ujora?, fragte das Nicht-Wesen und rückte näher, bereit, uns zu zerquetschen. Bedenke -- ihr seid Magier. Wie wohl ergeht es erst den Unkundigen, wenn ich euch vernichtet habe? Ich schüttelte den Kopf und blickte auf den bunt schillernden Mondstrahl. "Bitte ---," keuchte ich und nahm die letzten Reste von Leben zusammen, die ich in mir spürte, "bitte sei stärker als das da!" Und ich schloß meine Finger so fest um das Zeichen, wie ich konnte. "Ujora --," hörte ich irgendwo weit fort Yalomiros Stimme, rauh und mühsam. Ich sah, wie sich auch seine Hand fester schloß. "Ujora -- ich -- liebe -dich ---" Mit einer unglaublichen Wucht zersprang der Kristall in unserem Griff, leicht und mürbe wie eine Eierschale. Das Nicht-Wesen gab einen seltsamen Laut von sich, wie ein Aufstöhnen aus der Tiefe aller Zeiten. Und dann geschahen viele Dinge gleichzeitig. Licht strömte uns entgegen, sprühte auf in millionenfachen Farben, als es die winzigen Kristallfragmente durchbrach, und wandelte sich dann zu einem elfenbeinfahlen, kühlen Leuchten, das auf unsere Auren übergriff und sich mit dem magischen Silberschein vermengte. Ein unglaublich beängstigendes und doch erregendes Gefühl erfaßte mich, und ohne es begreifen zu können, erfuhr ich Wissen, Wissen, das so übermächtig und seltsam war, daß ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Eine furchtbare Kraft breitete sich in mir aus. Ich brauchte nicht zu Yalomiro zu schauen, als der sich auf die Knie erhob und langsam aufstand. Ich wußte, daß auch er ergriffen war von Macht, unendlicher und ewiger Macht. Die Zauberkräfte des Zeichens und des Mondlichtes waren auf uns übergegangen, und sie waren Eines geworden mit uns. Yalomiro schüttelte, wie benommen, den Kopf und blickte dann in das Nichts um uns herum. Obwohl seine Gestalt unverändert war, schauderte ich vor ihm zurück, so... so imposant, ehrfurchtgebietend und schrecklich war er geworden. Der junge Magier hob beide Hände gegen das Nicht-Wesen. Und schwieg.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich schloß die Augen und horchte in mich hinein. Ich spürte undenkbare Kraft in mir und ahnte, daß ich in diesem Moment in der Lage gewesen wäre, Gebirge zu Sand zerfallen und Meere versiegen zu lassen. Einfach so. Angst, Entsetzen vor mir selbst überkam mich, und ich wagte kaum, zu atmen. Unbeweglich und stumm stand Yalomiro da. Das Nicht-Wesen bemerkte sein Zögern und tastete sich wieder vor. Das ist es, was ihr gefürchtet habt, nicht wahr, Schattentänzer? Die Magie des Mondstrahles hat euch nahezu allmächtig gemacht. Warum zögert ihr? Was hindert euch daran, mich zu bekämpfen mit den Kräften, die euch geschenkt wurden? Yalomiro schwieg. Dann ließ er die Arme wieder sinken. Das Nicht-Wesen lachte spöttisch auf. Was ist mit dir, Schattentänzer? Hast du Angst, mir entgegenzutreten? Hast du Zweifel an der Macht deiner Magie und der des Mondlichtes? Ich versuchte, nicht auf den Spott des Nicht-Wesens zu hören und warf Yalomiro einen fragend-verzweifelten Blick zu. "Ich habe Angst," flüsterte ich. "Ich weiß nicht, was ich mit der Macht tun soll!" Er wandte sich mir zu. "Ich weiß es auch nicht. Aber ich weiß, wenn wir uns für das Falsche entscheiden, ist das unser aller Untergang." Das Nicht-Wesen lachte leise und kam näher. Yalomiro biß sich auf die Lippen und tat dann etwas, was mich überraschte: er nahm mir die Geige aus der Hand, setzte den Bogen auf die Saiten und begann, zu spielen. Er spielte, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, und der klare Klang seines Instrumentes durchschnitt die dumpfe Stille, die vom Nicht-Wesen ausflutete. Yalomiros Melodie war anders als die Lieder, die er zuvor gespielt hatte. Ich spürte die Töne nicht als Berührung oder gar als normale Musik -- ich begriff, daß Yalomiros Lied lebte, und durch dieses Leben sich etwas veränderte. Aus der Melodie wuchsen Bilder und Gedanken von Licht, Schatten und Leben, von Trauer und Freude, von Tod und Liebe. Yalomiro schleuderte dem NichtWesen die Essenz dessen zu, was er in seiner Seele als die Elemente des Kreises geborgen hatte. Gebannt lauschte ich seinem Spiel, schloß die Augen und versuchte, zu verstehen. Hilf mir, Ujora, hörte ich ihn, ich allein bin nicht stark genug. Gib mir von deinen Gedanken und deinen Träumen! Ich trat näher an ihn heran und blickte dem Nicht-Wesen entgegen, das immer noch unverändert und starr da stand und gar nichts tat. Sonderbarerweise war mit einem Male jegliche Angst von mir gewichen, und eine Ruhe, die mich verwunderte, überkam mich, wie im Halbschlaf. Ich schloß die Augen und gab mich Yalomiros Lied hin, öffnete meine Seele und verlor mich in einer Flut von fremdartigen Gefühlen und tiefsten http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Geheimnissen meiner selbst, einem Geisteszustand, der mich berauschte und den ich nicht mit Worten zu beschreiben in der Lage bin. Während ich es tat, entglitt mir langsam Aramaus Magie wieder, floß in Yalomiros Lied und warf sich dem Nicht-Wesen entgegen. Das Nicht-Wesen gab einige seltsame Laute von sich, die weder Klang noch Stimme waren, sondern wie ein überraschtes und ungläubiges Aufstöhnen klangen, Erstaunen und Zorn gegen uns richtend. Dann erbebte plötzlich alles um uns herum, nicht nur der Erdboden und die Reste der Burg, sondern auch die Luft und die Zeit. Ein grauenhafter, sonderbar verzerrter Schrei zerschnitt die Stille der Welt und Yalomiros Lied, und das Nicht-Wesen bäumte sich auf. Und zerfloß in der Unendlichkeit. Das Letzte, was ich, halb bei Bewußtsein und halb benommen von den übermächtigen und überwältigen Gefühlen in mir wahrnahm, war, daß Yalomiro die Geige sinken ließ und begann, zu lachen -- laut, schallend und womöglich wahnsinnig. Dann verlor auch ich die Besinnung.
21.
Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich im ersten Moment nicht zurecht, denn als ich die Augen aufschlug, wölbte sich über mir samtschwarz und unendlich der Nachthimmel, besetzt mit unzählbar vielen kühl funkelnden Sternen. Ich stutzte und erinnerte mich, fuhr auf und blickte mich orientierungslos um. Um mich herum war ein einziges Trümmerfeld, Schutt und Mauerbrocken überall. Von der Grauen Burg standen nur noch wenige Mauern, aber als ich genauer ins Dunkle spähte, erkannte ich, daß das, was noch da war, ein festes kleineres Festungsgebäude darstellen mochte. Es schien fast so, als sei eine Kruste, eine Hülle von dem unheimlichen Gebäude abgefallen, und das, was sich nun bescheidener, aber dennoch trutzig und stark in die Höhe reckte, sei die wirkliche Burg, die Burg der Ebene, die sich verpuppt hatte in der Leere und sich nun als das zeigte, was sie wirklich war. Dann bemerkte ich Geräusche, menschliche Stimmen um mich, sah, daß überall in einigem Abstand kleine Feuer brannten und Gestalten sich zwischen den Trümmerhaufen bewegten. Erstaunt stellte ich fest, daß es Menschen waren, viele Menschen, die offenbar in den Trümmern nach etwas suchten und sich bemühten, Ordnung zu schaffen. Ich erhob mich und ging auf die Leute zu. Beim Näherkommen sah ich schaudernd, daß es Graue waren, die unheimlichen schweigenden Diener der Königin.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Obwohl ich mich fürchtete, trat ich schließlich entschlossen auf eine der Gestalten zu, die am Boden kniete und mit bloßen Händen Mauersteine forträumte. Der Graue bemerkte mich und wandte sich mir zu -- und ich blickte in ein freundliches, aber ziemlich verwirrt und besorgt schauendes Gesicht eines älteren Mannes. Verblüfft wich ich zurück und starrte ihn an. Der Mann lächelte milde. "Gute Nacht," sagte er zu meinem größten Erstaunen. "Gute Nacht," entgegnete ich nach einer Weile vorsichtig. "Wer seid ihr? Und was geschieht
hier?"
Der grau gekleidete Mann seufzte und deutete besorgt auf die Trümmer. "Ein Erdbeben," erklärte er dann. "Der große Turm ist eingestürzt. Es scheint niemandem etwas geschehen zu sein, wie durch ein Wunder. Aber wir suchen die Königin. Wir fürchten, sie wurde verschüttet." Ich nickte mechanisch und wandte mich von ihm ab, schaute auf die geschäftig und aufgeregt redenden Menschen und verstand die Welt nicht mehr. Dann entdeckte ich Yalomiro, der in einigem Abstand auf einem großen Stein saß und den ich nur an seinen schwarzen Gewändern erkannte, denn er hatte die Knie angezogen, die Arme darauf verschränkt und das Gesicht darin vergraben. Traurig und sehr erschöpft sah er aus, wie er da hockte. Ich eilte rasch zu ihm hinüber, und er blickte auf. Befremdet sah ich im flackernden Schein der Feuer und Fackeln, die den Umkreis in ein unstetes, aber lebendiges Licht tauchten, daß er nochmals geweint hatte. "Yalomiro," sagte ich leise. Er erhob sich schweigend und deutete dann auf etwas, was hinter dem Stein verborgen lag. Ich schaute hin und zuckte zusammen. Denn dort lag Meister Gor. Yalomiro musterte mich schweigend. "Er ist tot," sagte er dann. "Er ist hinter die Träume gegangen, den Weg, den alles einmal nimmt. Wir müssen ihn nicht mehr fürchten." Ich zwang mich, auf den Körper des toten Magiers hinabzuschauen. "Wie kommt er hierher? Er hatte sich doch in dieses grauenhafte Monster verwandelt!" Yalomiro seufzte. "Er war nicht verwandelt. Er war besessen. Das Nicht-Wesen brauchte ihn nicht mehr, als es den Mondstrahl in seinem Besitz wußte. Das Nicht-Wesen hat ihn nur so lange benutzt, wie es einen Menschenkörper von Vorteil fand. Ähnliche Geschichten habe ich oft gehört – Magier, die Entitäten beschworen, die den Kreisen feind waren und dann von diesen verschlungen wurden. Magier, die so töricht waren, zu denken, all dies unter Kontrolle http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga behalten zu können und dann mit Entsetzen feststellen mußten, daß sie nur kleine, sterbliche Kreaturen in einem unüberschaubaren, kosmischen Weltenspiel waren. Er hat versagt -- also wurde er vernichtet. Kein sterblicher Körper kann die Leere ertragen -- die Verwandlung in das, was er sich erhoffte, wurde ihm vorenthalten, also mußte er untergehen." Ich setzte mich zu Yalomiro auf den Stein und schaute auf den Leichnam hinab. "Und wenn wir versagt hätten? Wäre uns das selbe geschehen? Hatte der Mondstrahl uns auch ... besessen?“" Er zuckte die Achseln und lächelte traurig. "Ja. Aber wir haben nicht versagt. Wir hatten die Magie des Mondstrahles -- und sie hat uns nicht umgebracht. Das Zeichen hat uns vergeben, daß wir es für uns genommen haben – um dieser Welt willen." Ich dachte nach. "Und jetzt? Was ist jetzt mit der Magie des Mondstrahles? Und mit dem Nicht-Wesen?" Yalomiro streckte die Hände aus und betrachtete nachdenklich seine Finger. "Wir haben die Macht nicht mißbraucht. Das Zeichen ist zerstört, und die Kraft des Mondstrahles ist wieder frei, um im Kreis zu wirken. Die große Magie hat uns besessen, aber die Nacht-Mutter hat sie wieder von uns genommen. Wir sind frei, Ujora." Ich begriff nicht. "Frei?" Er nickte. "Für einen kurzen Moment, Ujora, waren wir fast allmächtig. Aber wir wollten die Macht nicht für uns. Hätten wir versucht, das Nicht-Wesen mit Magie zu bekämpfen, dann hätten wir alles vernichtet, für das wir siegen wollten. Aber wir haben das Nicht-Wesen bezwungen mit dem, was nicht magisch war an uns -- mit der Kraft unseres Geistes und unserer Seelen. Unser Zauber diente nur dazu, dies für das Nicht-Wesen verständlich zu machen. Es war die Sprache, die das Nicht-Wesen verstand, nicht aber die Botschaft, die darin lag." Ich verstand langsam. "Yalomiro --" fragte ich endlich, "-- hast du deine Magie nun verloren?" Er lachte leise. "Ja und nein, Ujora. Das Zeichen ist zwar nun aus der Welt -- aber die Schattentänzer werden noch gebraucht. Zumindest noch eine Weile. Die Magie, die mich seit jeher begleitet, ist noch da, genauso, wie du Aramaus Kraft nicht völlig verloren hast. Doch die Schattentänzer haben nun eine andere Aufgabe. Wir hüten nicht mehr das Zeichen, denn das Zeichen ist nicht mehr da. Wir wachen nun darüber, daß nie, nie wieder jemand ein Zeichen erschafft und die Leere beschwört. Wir wachen darüber, daß den ujoray nichts zustößt." Ich antwortete nicht darauf, aber er wußte, was ich dachte.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga "Die Leere ist nicht für immer besiegt, Ujora. Sie ist unsterblich -- so wie das Mondlicht und die Nacht. Und sie ist nur eines von vielen Monstren, die die Ewigkeit und das Weltenspiel bedrohen. Die Leere – oder etwas Anderes – wird zurückkommen. Auf jenen Tag müssen wir warten, um eingreifen zu können. Wir – oder die Schattentänzer nach uns. In tausend Jahren oder gleich morgen früh." Ich wandte mich ab und blickte zu den grauen Leuten hinüber, die mit bloßen Händen die Trümmer der Burg umgruben. "Sie sind nun auch frei," sagte ich. „Die Leere ist von Ihnen gewichen, und sie werden weiter existieren – als Menschen, nicht wahr?“ Yalomiro nickte und erhob sich, folgte meinem Blick. "Ja. Die Menschen sind nun wieder frei. Und sie lebt," fügte er hinzu. "Sie hat sich zuletzt selbst befreit. Komm -- ich spüre, wo sie ist." Ich sprang auf und folgte ihm, als er eilig in den zusammengestürzten Burghof schritt und einem Schutthaufen zustrebte. Einige graue Diener, nein – einige Burgbewohner, die nun wieder Gesichter hatten, räumten dort aufgeregt im Geröll und redeten durcheinander. Doch als sie Yalomiro kommen sahen, hielten sie inne und blickten verwirrt zu ihm hinüber. Yalomiro ließ seinen Blick über die Trümmer gleiten und fixierte ihn schließlich an einem Punkt im Dunklen. Dann hob er die Hände und atmete tief. "Rit avai‘ maa‘sal," gebot er den Trümmern singend, und die schweren Steine und Mauerbrocken wurden zu gleißend weißem, kühlen Schnee, der unter Mondlicht und Feuerschein bläulich glitzerte. Ich staunte und die Grauen murmelten ungläubig und verwirrt. Es wurde merklich kühler um uns herum. Das, was von der Grauen Burg noch stand, war bedeckt von einem weißen Mantel und mir wurde fast weihnachtlich zumute, als ich die verschneite Burg betrachtete. Und mir wurde bewußt, was Yalomiro getan hatte. "Yalomiro," flüsterte ich, und er wandte sich mir zu. "Du hast etwas Weißes erschaffen," sagte ich zu ihm, und er nickte ernst und begann dann, leise zu lachen. „Ich bin stärker geworden,“ freute er sich. „Nun kann ich auch Dinge erschaffen, die echt sind!“ Dabei kletterte er auf den Schneehaufen und begann, mit bloßen Händen darin zu buddeln. Nur ganz kurz zögerten die Grauen. Dann kamen sie alle herbei und taten es ihm nach. Ich packte ebenfalls tief in die verzaubert glitzernde Kälte und genoß den Schmerz, den ich schon kurz darauf in meinen frierenden Fingern spürte. Spürte ich doch auf diese Weise, daß die innere Leere mich verlassen hatte.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Es dauerte nicht lange, und unter dem Schnee kam ein Hohlraum zum Vorschein, der nicht eingestürzt war. Dort unten in der Spalte lag ein graugewandeter Körper, der sich schwach regte. Erleichterte Stimmen wurden unter den Burgleuten laut. Yalomiro kletterte gewandt hinab und zog die Verschüttete aus dem Schnee hervor ans Mondlicht und setzte sie vorsichtig ab. Das weißblonde Haar der Königin hing wirr und struwwelig herab, ihre Gewänder waren zerknittert und zerrissen, und sie hatte zahlreiche Schrammen und Blessuren davongetragen. Aber wie durch ein Wunder schien sie nicht ernsthaft verletzt zu sein. Die Graue Königin hatte die Augen geschlossen und wirkte verwirrt und atemlos. Sie ließ sich auf den Knien im Schnee nieder und hob nach einiger Zeit langsam den Kopf. Ich betrachtete sie neugierig. Sie war völlig verändert, der puppenhafte Ausdruck auf ihrem Gesicht war fort und die Ebenmäßigkeit ihres Leibes ebenso. Sie war plötzlich eher klein, sehr dünn und wirkte unbeholfen. Ihre Haut war bleich und ihre Haltung etwas linkisch und gebeugt. Aber sie hatte immer noch ein hübsches Gesicht und wirkte sehr, sehr zart und zerbrechlich. Yalomiro wartete. Und dann blickte sie zu ihm auf, mit Augen, die so blau, so tief und so warm waren, daß sie zu leuchten schienen. Yalomiro lächelte. "Meine Königin," sagte er sanft und verneigte sich höflich vor ihr, nicht unterwürfig, nicht spöttisch, sondern einfach nur galant und respektvoll. „Majestät.“ Die Graue Königin schwieg einen Moment lang. Dann traten Tränen in ihre Augen, und sie schluchzte auf, als wäre ihr eine Last vom Herzen genommen, schwerer als die Himmelsberge. „Ich bin Kiana,“ sagte sie mit zitternder Stimme, die jedoch mit jedem Wort an Festigkeit gewann, „ich bin Kiana von der Ebene. Ich bin die Thronerbin der Weißen Burg, die Königin über das Land und die Grafschaften! Ich ... ich lebe! Ich bin lebendig! Ich bin wieder zurück bei meinem Volk!“ Ihr grauer Hofstaat um sie herum schwieg einen Augenblick lang. Dann erhob sich mit einem Male ein frenetischer Jubel unter den wieder erweckten Menschen, Hochrufe erklangen und um uns herum brach eine spontane Feier aus, die Menschen umarmten einander und ich spürte eine Aura tausendfachen Glückes von der Menge ausgehen. Yalomiro bot der Königin seinen Arm und half ihr auf die Füße. Sie schwieg und betrachtete ihr Volk, und auf ihrem Antlitz lag eine Rührung und Milde, die sie zu einer wunderschönen jungen Frau machten. Dann schaute sie mich an und lächelte scheu. "Ujora," sagte sie leise. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Ich lächelte zurück und fühlte mich ebenfalls ziemlich verlegen. „Majestät,“ antwortete ich dann und knickste unbeholfen. Sie streckte ihre Hand nach mir aus, und ich ergriff sie und hielt sie fest. Ihre Hand war warm und zart. Yalomiro ergriff das Wort. "Euer Volk liebt Euch, Königin, und es liebt die, die ihr in Wirklichkeit seid. Für dieses Mal ist Euer Alptraum ausgestanden. Hütet Euch in Zukunft vor denen, die Euch zu etwas machen wollen, was ihr nicht seid." Die Königin nickte wortlos, und in ihren Augen standen dankbare Sterne. Yalomiro nickte. Dann deutete er dorthin, wo Meister Gors Leichnam lag. "Kommt," sagte er, und wir gingen dorthin, während die Grauen im Schnee tanzten, sangen, sich mit Schneebällen bewarfen und sich freuten, zu leben. Wieder da zu sein. Mit unbewegter Miene blickte die Königin auf den Rotgewandete, als Yalomiro neben ihm niederkniete und ihm vorsichtig die Maske vom Gesicht nahm. Minutenlang blickten wir schweigend auf ein totenstarres Menschen-Gesicht ohne Ausdruck, mit weit geöffnet starrenden Augen, in denen Wahnsinn stand. Meister Gor war ein sehr attraktiver Mann in den mittleren Jahren gewesen. Sein Haar, womöglich einst feuerrot, war bereits von grauen Strähnen durchzogen gewesen, seine Gesichtszüge markant und ausdrucksvoll. Es war ein Ausdruck unerbittlicher Strenge und Grausamkeit, aber dennoch ein machtvolles Gesicht, in dem sich sogar so etwas wie Traurigkeit und Enttäuschung abgebildet hatten. Yalomiro schüttelte den Kopf und trat zurück. "Er war ein goala'ay, ein Meister des Blutes und des Vergehens," sagte er dann. "Kurz nachdem sein Kreis zu zerbrechen begann, entstand der Kreis meines Volkes, das die silbernen Bäume des Friedens anpflanzte. Wahrscheinlich war er einer der letzten goala'ay-Meister, und vielleicht war es ihm einst gelungen, den Mondstrahl zu erobern. Wahrscheinlich hat er die Macht nicht ertragen, und sie hat ihn zerbrochen und ihn, den fast Allmächtigen, zu einem Sklaven der Großen Leere gemacht. Wir werden es nicht erfahren. Und auch nicht, wie er das Zeichen wieder verlor. Aber eines ist gewiß: er war ein großer Magier, und ganz gewiss kein verstandloser Wahnsinniger." Yalomiro trat beiseite, und senkte respektvoll den Blick. Ich schauderte, und die Königin schaute betreten zu Boden. "Laßt ihn mit allen Ehren bestatten, Königin," ergriff Yalomiro wieder das Wort. "Er war ein mächtiger Meister. Ein lebendiger Meister. Vielleicht ein Meister dessen, was für uns als die falsche Seite erscheint. Für ihn war sie es nicht. Die Leere hat seinen sterblichen Körper freigegeben, und er bedeutet keine Gefahr mehr." Die Königin nickte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Und dann ging sie schweigend wieder zu ihrem feiernden Volk zurück -- ganz allein.
*
Isan hatte die ganze Nacht am Strand des Meeres des Chaos gesessen und gewartet. Natürlich hatte sie das Nicht-Wesen gespürt -- weit, weit fort im Toten Land. Und sie wußte, daß niemand gekommen war, sie zu suchen, weil sich alle Strand-Leute furchtsam in den Hütten versteckten. Nun blickte sie auf den Mond, den mit Sternen übersäten Himmel und horchte auf die Wellen, die mit einem Male ganz anders klangen, irgendwie -- heiter und geheimnisvoll. Der Himmel erhellte sich mit jedem Atemzug des Ozeans, und ein neuer Tag brach an. Ein Tag, der sonnig und warm zu werden versprach. Da näherte sich plötzlich der Hufschlag eines galoppierenden Pferdes, und Isan sah im Mondschein einen eiligen Reiter auf sich zukommen. Isan stutzte und erhob sich Der Berittene bemerkte das Mädchen am Strand, bremste sein stämmiges, schwarz, weiß und braun geschecktes Pferd und warf würdevoll sein fleckiges Cape zurück, daß ihm im Gegenwind ungeschickt von vorn eingehüllt hatte. An seinem Sattel klirrten Schwert, Schild und Lanze, und sein angerostetes Kettenhemd war dem schmächtigen jungen Mann einige Nummern zu groß. "Hallo, Mädchen," rief Prinz Asgay atemlos zu Isan hinüber und bemühte sich um Würde, "weißt du, wo hier die Straße ins Tote Land entlang geht?" Isan war amüsiert, wie der Mann sich mit seiner wohl ungewohnten Ausrüstung abmühte und kam näher. "Etwa eine Meile den Strand entlang, dann hinter den Dünen durch ein Dorf. Ihr könnt es nicht verfehlen, Herr -- es ist die einzige Straße, die es in der Gegend gibt.“ Prinz Asgay räusperte sich. "Da scheint ein Ungeheuer zu sein," erklärte er wichtig, "hast du auch den Drachen grollen gehört? Ich werde losziehen und ihn besiegen." Isan lächelte fein. "Ich bin nämlich ein Held," ergänzte Prinz Asgay. „Ich bin König Asgay vom Meer des Chaos.“ Isan nickte unbeeindruckt, und obwohl sie eigentlich vor ihrem Herrscher hätte niederknien müssen, tat sie es nicht. Etwas sagte ihr, daß das nicht nötig war, und daß für sie nicht mehr die Regeln der ujoray galten. "Dann beeilt Euch, Herr, " gab Isan ernsthaft zurück. "Reitet gegen die Graue Burg. Ich glaube, das Zeitalter der Helden hat heute morgen von Neuem begonnen."
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Prinz Asgay richtete sich auf und schaute entschlossen voraus. "Dann muß ich mich beeilen," beschloß er. "Vielleicht gibt es eine Prinzessin zu retten." Und mit einem ungeübten Kampfschrei gab er seinem Pferdchen die Sporen, daß das Tier aufgeschreckt voranstob. Schon kurz darauf war Prinz Asgay außer Sichtweite. Isan lachte leise in sich hinein. Als sie wieder auf den sinkenden Mond schaute, erkannte sie einen Schwarm Möwen, die mit heiseren Schreien vom offenen Meer in Richtung des Strandes flogen. Isan lächelte, und ihre Augen erstrahlten wie silberne Signalfeuer. "Dann will ich mich nun auch beeilen," sagte sie zu sich. "Ich gehe nun meinen Meister zu finden."
*
Wir standen in der Ebene des Toten Landes. Das heißt -- so tot war es gar nicht mehr. Aus dem Staub ragte winzige grüne Grasspitzen hervor. es wuchs langsam, sehr langsam. Aber es wuchs. Yalomiro hatte das bewirkt, mit mächtigen Zaubern und seiner Liebe zu den Pflanzen, über die er gebot. Ich schluckte Tränen und rang um Tapferkeit. Yalomiro erwartete meine Antwort. "Ich will nicht fort," sagte ich schließlich. "Das mußt du aber," gab er sanft zurück. "Du darfst nicht hier bleiben. Noch nicht. Du hast in deiner Welt dein eigenes Leben. Aus diesem Leben darfst du nicht so einfach verschwinden." Ich biß mir auf die Lippen. "Es soll doch nicht für immer sein," fügte er hinzu. "Wir werden uns wiedersehen. Aber zuerst mußt du deine Aufgabe in deiner Welt abschließen. Ich weiß es -- du mußt noch eine Weile dort ausharren, bevor du frei für diese Welt bist." Ich zögerte immer noch. "Du meinst, ich soll einfach so zurückgehen, als ob nichts gewesen wäre?" "Nein," erwiderte er. "Es ist etwas gewesen. Ich bin gewesen, und all das, was hier geschehen ist. Meister Gor und Aramau und die Königin." Ich schwieg trotzig. "Ujora -- du weißt, daß ich dich liebe. Daß du mir mehr bedeutest als alles andere unter diesem Himmel. Und glaub mir, ich würde nichts lieber tun, als dich gleich hier zu behalten. Aber wir dürfen nicht töricht sein. Du mußt in deiner Welt noch etwas abschließen. Ich weiß noch nicht, was es ist – aber da ist etwas. Etwas, das noch auf dich wartet." Einen Moment lang blieben wir unentschlossen.
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Dann gab Yalomiro sich einen Ruck, trat auf mich zu und legte beide Arme um mich. "Ujora," sagte er. Ich schluckte und suchte nach seinen Lippen. Und schmeckte noch einmal das Sternenlicht in seinem Kuß. Dann teilte Yalomiro Raum und Zeit hinter mir, riß eine Weltentür in die Leere und stieß mich hindurch, ohne nachzudenken, ohne sich nochmals zu besinnen. Ich stolperte, kam zu Fall -- und fand mich inmitten meines Vorratskellers wieder.
22.
Ich weiß nicht, ob ich Minuten oder Stunden einfach nur auf dem schmutzigen Boden des Kellers hockte. Ich konnte nicht begreifen, was geschehen war, und war auch nicht in der Lage, klare Gedanken zu fassen. Einen Augenblick lang liebäugelte ich mit der Idee, daß ich träumte und im nächsten Augenblick wieder in der Ebene aufwachen würde. Aber nichts geschah. Nur eine dicke Spinne krabbelte vorbei, blieb vor mir einen Augenblick sitzen, als würde sie sich fragen, was ich da am Boden triebe, und ging dann wieder ihrer rätselhaften Wege. Schließlich kam ich wieder auf die Füße, immer noch wie vom Traum benebelt, tastete nach dem Ausgang und stieß die Kellertür auf. Der silberne Schlüssel war fort, steckte nicht mehr im Vorhängeschloß. War vielleicht all das wirklich ein Traum gewesen? Oder war das hier der Traum? Konnte ein Traum mehrere Wochen dauern? Konnte ein Traum durch eine Kellertür in eine andere Welt hineinführen? Ich tapste benebelt hinaus in das Treppenhaus. Der Hausmeister stand auf den Stufen und unterhielt sich mit dem Mann vom Elektrizitätswerk, der eigentlich nur den Strom ablesen wollte. "Und? Paßt der Schlüssel?", rief er mir nach, als ich, einen Gruß murmelnd, an ihm vorbei die Treppe hinauf in meine Wohnung huschen wollte. Ich schüttelte wortlos den Kopf, stieg ins Dachgeschoß und drückte gegen meine Wohnungstür, die nur angelehnt war -- so wie ich sie zurückgelassen hatte, als ich eben schnell in den Keller gegangen war, vor undenklich langer Zeit. Der halbvolle Kaffeebecher auf dem Küchentisch dampfte noch, und im Radio dudelte Popmusik. Es war sogar noch die selbe Sendung wie damals, vor ein paar Wochen. „Acht Uhr – Sie hören die Nachrichten,“ unterbrach eine seriöse Stimme die Musik. „Berlin. Gestern abend beendete der Bundeskanzler...“ Acht Uhr? Ich sank auf den Stuhl und fand keinen Gedanken. Ich war also nur etwa eine Viertelstunde fort gewesen, aber in meiner Erinnerung waren http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Wochen, Monate, ein sonderbares Abenteuer -- und Yalomiro. Sogar meine normale Kleidung trug ich wieder, obwohl diese doch total zerfetzt in König Benjus' Burg zurückgeblieben war. Verwirrt betastete ich Sweatshirt und Jeansrock. Und unter dem Sweatshirt ein Schmuckstück, das ich vorhin - als ich in den Keller ging -- noch nicht angelegt hatte. Es war ein Oval aus Silber, auf dem ein dreieckiger Smaragd prangte und von innen zu glühen schien.
*
Etwa einen Monat später saß ich mit einem Buch für die nächste Prüfung auf den Knien in der Straßenbahn und versuchte, die Mädchen links neben mir zu ignorieren, die an der Fensterseite saßen und sich über ihren letzten Discobesuch unterhielten, so laut, daß die halbe Bahn mithören und teilhaben konnte an ihren Reflexionen über Baccardi Cola und schlecht haftenden Lippenstift. Ich warf den beiden einen flüchtigen Blick zu. Girlies, stark geschminkt, gefärbte Haare, Markenoutfit. Die Mädchen, die Erfolg im Leben und bei den Jungs hatten. Tatsächlich debattierten sie auch sachlich über die Qualitäten ihrer aktuellen Freunde. Ich starrte auf die Buchstaben und seufzte innerlich. Die Fahrt war noch lang. Draußen rüstete sich die Stadt für den Weihnachtsbetrieb. An einer Haltestelle jedoch, als die Bahn eben wieder anfuhr, verstummten die Mädchen mit einem Schlag in ihrer lautstarken Diskussion. "Guck dir den an," hauchte die eine nur mir erstickter Stimme und starrte gebannt auf einen Punkt hinter mir. Die andere verrenkte den Hals und blickte ebenso fasziniert in Richtung der Tür am anderen Ende der Bahn. Ich widerstand dem Impuls, ebenfalls zu starren und vertiefte mich demonstrativ in mein Buch. Wahrscheinlich war ein Traumtyp zugestiegen der so süß aussah wie das Idol einer Boygroup. "Ich werd nicht mehr," stieß das eine Girlie durch die Zähne hervor, "der kommt her!" Ich spürte, daß die andere an ihrer Frisur nestelte, mußte mich zwingen, nicht ebenfalls nachzugucken, welche Erscheinung da einen Sitzplatz suchte und ignorierte stur die Nervosität der beiden Mädchen, als der Traumprinz sich mir gegenüber auf den freien Platz setzte. Ich warf nur einen raschen Blick auf schwarze Turnschuhe und Jeans und einen ziemlich großen StoffRucksack, den er zwischen seinen Füßen abstellte. Ich hielt mich an den Buchstaben fest. Nur nicht nervös werden und sich lächerlich machen. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Eine Weile war nur das atemlose Schweigen der Mädchen zu hören, die vermutlich krampfhaft nach einer intelligenten Bemerkung suchten, um den jungen Mann anzusprechen, wenn er es schon nicht selbst tat. Wahrscheinlich verfluchten sie gleichzeitig meine Anwesenheit, weil ich störend dabei saß. Da griff der junge Mann plötzlich respektlos nach meinem Buch und nahm es mir aus der Hand. "Lexikon der Magie und Hexerei'," las Yalomiro mit Blick auf die Titelseite. "Ist das wenigstens lehrreich?" Ich starrte ihn an wie einen Geist und sah sein amüsiertes Lächeln, das ich mir so lange herbeigesehnt hatte. Er war völlig schwarz gekleidet mit einem schwarzen Herrenmantel, den er offen über einem schwarzen Seidenhemd trug. Seine langen, lockigen Haare trug er etwas kürzer geschnitten, als ich mich erinnerte, und aus gutem Grunde trug er eine getönte Brille, die ihm einen verwegenen Touch gab. Ein ungewohnter Aufzug, verglichen mit seinem prächtigen Magierornat -aber das jungenhafte Gesicht mit dem gepflegten Dreitagebart, den er seit seiner Kerkerhaft trug, war das, was in meinen Träumen immer vor mir gestanden hatte. "Ich glaube es nicht," stieß ich hervor. „Aber ...was... wie...“ "Joray-ytra jorva aimonon," sagte er leise in der alten Schattensprache. „Die Meister dürfen zwischen den Welten springen. Ich bin nun ein Meister, also springe ich.“ Ich lächelte und griff nach seiner Hand. Und er gab sie mir. Die Girlies starrten verblüfft und frustriert darüber, daß ich ihren Traumtyp offensichtlich kannte. Vermutlich überlegten sie jetzt, welcher Nationalität Yalomiro sein mochte, der zwar südländisch aussah, aber eine völlig fremde Sprache sprach. "Bist du gekommen, um mich abzuholen?", fragte ich bang. "Ich bin gekommen, um dir etwas zu geben," erklärte er, bückte sich und öffnete den Rucksack. Ein Schauer überlief mich, als die schwarzsilberne Geige darin hervorblitzte, aber Yalomiro holte etwas anderes heraus. Einen kleinen, kristallenen Schlüssel an einer silbernen Kette. "Der hier," erklärte er, "gehört zum Portal meines ...", er warf den lauschenden Girlies ein entwaffnendes Lächeln zu und suchte nach unverfänglichen Worten, "Hauses. Es hat einige Zeit gebraucht, ihn anzufertigen. Dafür ist er unzerbrechlich und wird diese Tür immer öffnen. Egal, von wo du kommst." Ich nahm den Schlüssel an mich und umschloß ihn mit der Faust. "Du meinst ich kann dich jederzeit besuchen?"
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Schattenherz, oder: Die ergänzte Seele von La Maga Er lachte leise. "Du bist mir jederzeit willkommen. Und eines Tages -- wenn deine Welt, die dir deinen Namen gab, es zuläßt, wirst du auch bei mir bleiben dürfen. Bei mir und unseren Freunden." "Erzähl mir mehr," bat ich. Er suchte nach neutralen Worten. "Meine kleine Schwester," sagte er, "lebt bei mir. Sie lernt rasch und gut. Du wirst schnell Freundschaft mit ihr schließen. Und die junge Frau mit dem vielen Goldschmuck hat einen jungen Prominenten von der Küste geheiratet, der unbedingt die Sicherheit ihres Anwesens in die Hand nehmen wollte. Die beiden sind sehr glücklich miteinander." Ich lachte erleichtert. "Und dein Haus?" Er blickte mir tief in die Augen. "Es ist dunkel und warm," sagte er, "das Licht funktioniert wieder, und mein Garten ist schöner denn je." Ich nickte und blickte dann aus dem Fenster, um erschrocken aufzuspringen. "Meine Haltestelle!" Yalomiro erhob sich und folgte mir, die jungen Mädchen enttäuscht zurücklassend. Zusammen gelang es uns gerade noch, durch die sich schon wieder schließende Tür auf den Bahnsteig zu gelangen. Da standen wir nun, ich immer noch ein wenig verdattert, Yalomiro gelassen und neugierig um sich blickend. "Und nun?", fragte ich scheu in seine Richtung. Er überlegte einen Augenblick. "Geh," sagte er, "du wirst deine Prüfung bestehen. Und danach zeigst du mir deine Welt. Ich bin begierig, zu lernen." Ich nickte und umarmte ihn so fest und so glücklich, wie ich konnte. Und sein Kuß schmeckte wieder nach dem Licht, nach dem ich gehungert hatte. .
ENDE
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