Gors Schwarze Liebe Eine Schattenherz-Kurzgeschichte von La Maga
Gors Schwarze Liebe – eine Anmerkung vorab „Gors Schwa...
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Gors Schwarze Liebe Eine Schattenherz-Kurzgeschichte von La Maga
Gors Schwarze Liebe – eine Anmerkung vorab „Gors Schwarze Liebe“ ist eine Schattenherz-Kurzgeschichte, die ich der wahrscheinlich seltsamsten Schurkenfigur gewidmet habe, die bisher in den Romanen aufgetaucht ist. Wie viele meiner Figuren hat Gor, während ich schrieb, eine ganz spezielle Eigendynamik entwickelt, wodurch für mich als Autorin eine ganz besondere Beziehung zu ihm entstanden ist. Wer die Schattenherz-Chroniken kennt, weiß, wovon ich rede. *zwinker* Auch ohne Vorkenntnisse der Langtexte glaube ich, dass Gors „Schwarze Liebe“ ein lesenswerter Text ist, wenn auch gewisse Anspielungen und „Inside-Jokes“ sich erst im Zusammenhang mit den Schattenherz-Chroniken erschließen. Das ist eigentlich auch nicht so tragisch. Eine wichtige Sache muß aber bekannt sein, wenn man „Gors Schwarze Liebe“ liest, nämlich, was eigentlich die „goala’ay“ sind. Die goala’ay – übersetzt heißt das etwa „Blut-Menschen“ – sind Magier, die neben den obligatorischen Zauberkräften – in den Chroniken vor allem Telepathie, Metamorphosen und Energiemanipulation – eine okkulte Rolle im „Weltenspiel“ (die Chroniken-Version einer Religion) einnehmen. Im Gegensatz zu den anderen Magiern können sie sich zugleich – und manchmal gleichzeitig – in der realen Welt und der transitorischen Zwischenzone zwischen Leben und Tod bewegen. Die goala’ay sind sozusagen eine Erscheinungsform von „Todesengeln“, deren Aufgabe darin besteht, sterbende Personen ins „Licht“ zu führen. Zumindest sollte ihre Aufgabe sich so ausnehmen. Durch Verführung des Widerwesens und eine Geschichte, die im Rahmen dieser Vorrede zu weit führen würde, kamen die goala’ay allerdings vor langer Zeit von dieser Berufung ab und wurden zu einem makabren Zerrbild ihrer alten Meister, indem sie zu sadistischen, grausamen und machtbesessenen Mörder-Magiern wurden, die ob ihrer magischen Fähigkeiten auch noch extrem gefährlich wurden. Hauptangriffsziel und Lieblingsopfer: die pazifistischen Schattentänzer (auch dahinter steckt eine komplizierte, in den Chroniken ausgeführte Geschichte). Goala’ay erscheinen immer in blutroten Gewändern und mit einem schwarzen Schwert bewaffnet, sie sind geschickte Kämpfer, einzelgängerisch und geben sich im Regelfall weder mit Unkundigen noch mit anderen Magiern ab. Der Gor, den wir in dieser Geschichte antreffen, ist also ein solcher „verdorbener“ goala’ay. Das und die ursprüngliche Mission seines Kreises müssen bekannt sein, um die Geschichte wirklich verstehen zu können. Zweimal möchte ich Gor noch aus anderen Zusammenhängen hinaus zitieren, um die Bedeutung dieser Kurzgeschichte, der „Schwarzen Liebe“ für seinen Charakter herauszustellen: „Es ist unklug, unseresgleichen zu lieben. Denn Liebe und Magie bringen immer den Tod. Ihr sollt uns verehren oder fürchten. Aber seid niemals so dumm, uns zu lieben,“ sagt Gor zu Ujora in „Schattenherz“. Und in „Scherbenlied“ stellt er bitter gegenüber Dyamiree fest: „Vielleicht hätte sie mich retten können. Mich zu einem guten Zauberer machen können.“ La Maga
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Die Sonne war bereits am frühen Morgen sehr warm und brannte an einem Himmel, dessen volles, sattes Blau von keiner einzigen Wolke beschattet wurde. Im trockenen Gras zirpten selbst die Zikaden träge, und jeder Schritt, den die Gefährten machten, so achtsam sie sich in der Nähe des Tisches auch bewegten, wirbelte feinen Staub von der blanken Erde auf. „Sehr schönes Wetter,“ sagte der Schwarze Meister zufrieden und schützte die Augen mit der Hand, als er in das endlose Azur empor schaute. Gor blickte überrascht auf. Es war ungewöhnlich, daß der Schwarze Meister Bemerkungen über das Wetter machte und dabei so gut gelaunt schien. Natürlich war es keine richtige gute Laune, wie bei anderen Leuten, die sich angesichts des Sonnenscheins ihre Gedanken dazu gemacht hätten, wie gut die Wärme dem Korn und dem Wein tat, oder wie die der Kinder, die sich schon längst an die Ufer von Bächen und Seen zurückgezogen hätten, um im Wasser zu plantschen. Wenn der Schwarze Meister zufrieden mit der Sonne war, dann mußte ein anderer Grund dahinter stecken. Der Schwarze Meister dachte nicht ans Faulenzen im Schatten der Dattelpalmen oder süßen Wein im Herbst. Der schwarz gekleidete Zauberer lächelte, und Gors Haltung spannte sich wachsam. Wenn der Meister auf diese Wiese lächelte, folgten selten angenehme Worte. „Kein Wölkchen am Himmel, und vor uns freies Land. Sie können sich nicht unbemerkt anschleichen.“ Gor nickte andeutungsweise. „Wenn wir den ganzen Tag reiten,“ fuhr der Zauberer fort und griff nach dem silbernen Kelch vor sich auf dem Tisch, „dann werden wir uns bereits heute abend in Sichtweite der Burg befinden. Es sind nur noch wenige Tagesreisen bis zur Goldenen Stadt.“ „Es ist sehr warm,“ gab Gor vorsichtig zu bedenken. „Ihr mutet den Männern große Strapazen zu, wenn Ihr sie durch die Mittagshitze über die freie Ebene schickt.“ Der Schwarze Meister nippte an seinem Getränk. Gor wußte nicht, um was es sich handelte, aber es war so kalt, daß Wasser am Metall des Bechers kondensierte, und es roch intensiv und erfrischend. Gor war selbst sehr durstig. Die Wasservorräte des Gefolges waren praktisch zur Neige gegangen, und die Männer stöhnten unter der Hitze, die sie umgab, seit sie in dieses Land jenseits der Berge gekommen waren. Die meisten von ihnen waren an ein milderes Klima gewöhnt, kannten die Schatten der großen Wälder oder die rauhe Witterung an den Gestaden des Meeres des Chaos. Aber hier befanden sie sich inmitten eines Reiches, das nicht ohne Grund als das Sonnenland bezeichnet wurde, und die große Wüste am Ende der Welt war nahe. „Rings um die Burg gibt es Wasser,“ entgegnete der Schwarze Meister und schluckte einen winzigen Tropfen seiner Erfrischung. Eigentlich war seine Macht Hunger und Durst überlegen, und Gor mutmaßte, dass er lediglich trank, um den Durst seiner Anhänger anzufachen. „Die Leute haben tiefe Brunnen, und die Siedlungen sind umgeben von prächtigen Gärten und Feldern. Diese Aussicht wird den Männern Kraft verleihen.“ Gor senkte den Blick. „Wie Ihr meint“, sagte er. Der Schwarze Meister lehnte sich in seinem Sessel zurück und musterte seinen Gefolgsmann prüfend. Im Schatten, den die Markise vor seinem Zelt warf, lag sein Gesicht nun im Dunklen. „Bereite alles für den Aufbruch vor,“ forderte er seinen Vertrauten auf. „Ich habe es eilig, zu meinem Bruder Ovidaol zu stoßen. Wer weiß – vielleicht ist er in Schwierigkeiten und braucht meine Unterstützung?“ Der Schwarze Meister lachte über seinen eigenen Scherz, und Gor fröstelte, ungeachtet der Hitze. Selbst das Gelächter seines Gebieters hatte sich verändert seit jenem Tag, als er von seiner Suche zurückgekehrt und so... so anders geworden war. Vor diesem Tag, ja, da wäre es vielleicht noch möglich gewesen, sich abzuwenden und den eigenen Weg fortzusetzen. Seit aber jenes – Ding – zum Meister gesprochen hatte und ihm diese ganz besondere Macht verliehen hatte, waren die Gefährten auf eine unerklärliche, faszinierende und ebenso unausweichliche Art an ihn http://home.tiscalinet.de/lamaga
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gebunden. Niemand hätte sich ernsthaft Gedanken darüber gemacht, ob diese Mission Sinn machte, niemand hatte aufbegehrt, als der Meister sein Gefolge von seinem geradezu selbstmörderischen Plan in Kenntnis gesetzt hatte. Die Bestimmtheit, mit der der Meister sprach, hatte, ganz im Gegenteil, in ihnen allen die Überzeugung geweckt, daß es möglich war, das Ziel zu erreichen, entgegen all den Hindernissen und Gefahren, die zwischen ihm und ihnen standen. In wenigen Tagen würde der Schwarze Meister der neue Herr der Regenbogenburg sein. Deshalb streiften sie, erschöpft und geduldig, durch die sonnenverbrannten Weiten dieses fremden Landes. Und warum auch nicht? Wenn der Schwarze Meister dieses Ziel verfolgte, dann gab es keinen Grund, warum sie es nicht erreichen sollten. Es war auch völlig egal, warum er sich diesen verwegenen Plan in den Kopf gesetzt hatte und wohin er am Ende gelangen wollte. Alles war egal, solange der Meister ihnen befahl. „Ich habe keinen Durst mehr,“ sagte der Schwarze Meister. „Mein Frühstück ist hiermit beendet. Und du, Gor, laß mich wissen, wenn alles zum Aufbruch bereitet ist.“ Gor beobachtete enttäuscht, wie der Schwarze Meister die Flüssigkeit aus dem Becher mit einer provozierenden Langsamkeit in den Staub schüttete. Er spürte den lauernden Blick seines Herrn auf sich, aber er hatte gelernt, sich keine Gefühlsregung anmerken zu lassen. Es war nicht klug, dem Meister Gefühle preiszugeben. Jedes Gefühl konnte in den Händen des schwarzgewandeten Zauberers zu einer wirkungsvollen Waffe werden. „Ich werde alles Notwendige tun,“ antwortete er förmlich, verneigte sich und wandte sich ab. Heute morgen behagte ihm die Gegenwart des Schwarzen Meisters fast noch weniger als sonst in letzter Zeit. „Denk daran, Gor,“ rief der mächtigere Zauberer hinter ihm her, „heute abend gibt es Wein und Bier für euch alle – wenn ihr euch sputet!“ Das amüsierte Gelächter seines Herrn begleitete Gor noch eine ganze Weile, während er durch die Reihen der Zelte schritt, hier und dort jemanden anbrüllte und die Anweisungen für den organisierten Aufbruch erteilte. Die eilfertigen und widerspruchslosen Reaktionen der eingeschüchterten Männer bauten Gor wieder ein wenig auf. Im Namen des Schwarzgewandeten Menschen zu scheuchen war eine wenigen Freuden, die das Leben ihm hier, in diesem Rahmen bieten konnte. Wenn die Regenbogenburg erst erobert war, mochte sich das ändern. * Vor Gors eigenem Zelt, etwas abseits des Lagers, hing ein goldener Käfig am Ast eines von der Hitze entlaubten und gebleichten Baumstammes. Um das rote Zelt flimmerte die Luft, und Gor fragte sich, wie die Bewohner dieses Reiches mit der Sonne in Eintracht auskommen konnten. Ihm selbst behagte die Hitze nicht. Die Welt seiner Jugend war ein grünes, fruchtbares Land in einem riesigen Talkessel nahe der Himmelsberge gewesen. Der alte Mann im Käfig regte sich nicht, als Gor näher kam und einen prüfenden Blick auf ihn warf. Ein mageres Bein hing durch das Gitter hindurch, und mit der Schulter lehnte der Gefangene an den Metallstangen. Gor hob interessiert die Brauen. Der Mann im Käfig schien das Gold nicht mehr zu spüren, und so wie es aussah, hatte die Sonne ihren Zweck erwartungsgemäß erfüllt. Der Greis war nackt, und seine Haut wirkte wie versengt. Gor verschränkte die Arme und räusperte sich. Der Gefangene hob müde den Blick. Ein blind wirkender Silberschimmer überzog glasig seine Augen, und sein langer weißer Bart war zerzaust und feucht vor Schweiß. „Die Sonne scheint dir nicht gut zu bekommen,“ sagte Gor munter. Der Greis gab ein Geräusch von sich, das zu einem kurzen sarkastischen Lachen geworden wäre, hätte der Alte dazu die Kraft besessen. Gor kam näher und begutachtete mit einem raschen Blick den körperlichen Zustand seines Opfers. Was er sah, stellte ihn zufrieden, und er beschloß, weitere Aufzeichnungen anzufertigen, sobald es die Zeit erlaubte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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„Du scheinst... wie soll ich es nennen – du scheinst regelrecht zu verbrennen, nur durch pure Sonnenstrahlen. Interessant,“ plauderte Gor munter weiter. „Es...“ „Spar dir die Mühe, goala’ay,“ versetzte der Alte mit krächzender Stimme. „Ja, die Sonne verbrennt mein Fleisch. So, wie sie euch verbrennen wird, dich und den Verfluchten, sobald ihr euch der Burg nähert.“ Gor lächelte mitfühlend. Er hatte in der Gefolgschaft des Schwarzen Meisters oftmals die Gelegenheit bekommen, mit den Angehörigen dieses mächtigen Kreises zu experimentieren. Womöglich würde er sich mit seinen Erkenntnissen den Ruhm und das Ansehen bei seinesgleichen sichern können. Es belustigte ihn, das der Alte hier vor seinem Zelt nunmehr tagelang sehr langsam von der Sonne geröstet wurde, und die Ironie, die hinter der Gefangenschaft des Greises steckte, ließ ihn schmunzeln. „Nachdem dir die Sonne solchermaßen zusetzt, Schattentänzer,“ fuhr Gor fort, während er sich halb in sein Zelt beugte und begann, seine Gepäckstücke ins Freie zu zerren, „bereust du es dann nicht, deinen kühlen Wald verlassen zu haben, gerade weil du den Sonnenkreis aufsuchen wolltest? Verdient ein solcher Kreis eure Aufopferung, Väterchen?“ Der alte Schattentänzer schloß die Augen. „Ich bin freiwillig gegangen. Ich wollte sie warnen... sie sind doch im Irrtum, und gemeinsam können wir diesen Wahnsinnigen vielleicht noch stoppen.“ „Du bist aus dem Spiel, Väterchen,“ antwortete Gor. Er hielt nun ein Bündel aus schwarzem Stoff in den Armen, in dem Pailletten und Silbergarn funkelte. Der Alte erkannte seine Gewänder, als er kraftlos zu seinem Wächter hinüber schaute. „Ich will sie nicht behalten,“ sagte Gor und warf das Meisterornat in den Staub vor den Käfig. „Ich wollte nur sehen, wie Schattentänzerhaut auf Sonnenlicht reagiert.“ Der Alte lächelte freudlos. „Dann hast du an meinem Beispiel wenigstens etwas gelernt,“ gab er trocken zurück. Gor lächelte, so daß der Alte es nicht sehen konnte. Er hatte sie niemals ausstehen können, die verhaßten Schattentänzer, die Diebe des Zeichens, aber eines mußte er ihnen lassen: sie waren stolz und würdevoll. In all der Zeit hatte ihn niemals einer von ihnen um Gnade angefleht, egal, was er mit ihnen getan hatte. Gor wußte ein starkes Opfer zu schätzen, und er war gerne bereit, ihnen Respekt entgegen zu bringen. Aber dennoch – was mochte diesen alten Mann, einen Greis, einen uralten Meister des Schattenvolkes dazu bewogen haben, die schützende Idylle des Waldes zu verlassen und das Reich eines Elementes aufzusuchen, das ihm fremd und feind war – mit den anderen reden zu wollen, die doch gerade wirklich andere Sorgen hatten? „Es wäre meine letzte Reise gewesen,“ antwortete der Alte, so als habe er Gors Gedanken mit angehört. „Ich war mir sehr wohl im Klaren darüber, daß ich nicht in den Silbernen Wald zurückkehren würde. Aber ich hätte meine letzte Mission in aller Ehre erfüllt.“ Gor löste die Knoten, die die Zeltplane an den Pfosten im Boden befestigten. „Ich bedauere, daß wir dir nicht erlauben können, den Rest des Weges hinter dich zu bringen,“ sagte er. „Es liegt nicht im Interesse meines Herrn, daß deinesgleichen Kontakt zu den Regenbogenrittern aufnimmt. Und es wäre ganz gewiß auch nicht im Sinne von Meister Ovidaol, dessen Lager unser Ziel ist.“ Der alte Schattentänzer hob den Kopf und schenkte dem Rotgewandeten einen durchdringenden Blick. Der goala’ay wandte sich unbehaglich um, um den schwach silbernen Augen auszuweichen. Er fragte sich, wie der Alte es fertig brachte, in seiner mißlichen, aussichts- und würdelosen Lage so machtvoll und gefaßt zu wirken.
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„Dein Herr will Ovidaol stürzen,“ sagte er. „Er ist wahnsinnig. Er führt euch alle ins Verderben.“ „Möglich,“ antwortete Gor unwirsch. Er hatte die Stützstangen des Zeltes zusammengelegt und verpackte nun beides, Plane und Gestänge, zu einem festen Bündel. „Aber der Meister ist stark. Er wird das fortsetzen, woran Ovidaol scheiterte.“ Der Schattentänzer seufzte und lehnte sich wieder an das Gitter, zuckte schmerzhaft unter der Berührung des Goldes und schloß die Augen. Gor ordnete sein Gepäck und vermied es, den alten Mann anzuschauen. „Es werden andere folgen,“ flüsterte der Greis mit trockenen Lippen. „Wir werden Ovidaol trotzen. Für das Regenbogenvolk und um unserer selbst willen.“ „Ihr habt keine Chance,“ entgegnete Gor sanft. „Ovidaol ist gegen euch, und das Regenbogenvolk wird euch nicht unterstützen. Du hast versagt, Meister...“ „Mirjaò,“ sagte der Alte ruhig. „Ich bin Meister Mirjaò vom Schwarzen See.“ Gor schulterte sein Gepäck und trat an den Käfig heran. Der Greis öffnete die Augen einen Spalt weit. „Was geschieht mit mir?“, fragte er. „Wirst du mich töten, goala’ay?“ Gor zuckte die Achseln. „Wir können dich nicht mit uns nehmen.“ Meister Mirjaò nickte. Er erwartete keine Gnade von Gor, dem Vertrauten des Schwarzen Meisters. Sein Schicksal war besiegelt, und niemand würde etwas daran ändern können. „Ad’ree, Meister Mirjaò,“ sagte der Rotgewandete. „Vielleicht hast du Glück, und es findet dich jemand, bevor die Sonne deine Knochen erreicht. Vielleicht kommt zufällig jemand vorbei – hier, in der Einöde, meilenweit entfernt vom nächsten Dorf.“ Der Schattentänzer neigte sich zu Gor vor und seine Hand krampfte sich um das Gestänge des Käfigs. Er schien das Gold tatsächlich nicht mehr zu spüren. „Wenn Schattentänzer hinter die Träume gehen, Meister Gor,“ wisperte er, „dann sucht sich die Magie einen neuen Körper. Und eines Tages wird meine Magie der deinen wieder begegnen. Und dann wird sie widerstehen und ihren Auftrag erfüllen.“ Gor lachte spöttisch, aber die Worte des alten, weisen und einstmals mächtigen Magiers belustigten ihn nicht im Geringsten. Zu seltsam leuchtete das Zeichen in den Augen des Greises, und zu prophetisch klangen seine Worte. Ja, da war eine starke Magie im Körper des alten Schattentänzers. Eine, die sich an ihn, seinen Mörder, erinnern würde, selbst, wenn dieser Körper vernichtet wurde. Einen Moment lang erwog Gor, den Magier rasch zu töten und sein gewiß noch Tage andauerndes Sterben so zu beenden. Aber das war ein Schattentänzer, einer der Diebe, einer, der den goala’ay widerlich war und dem Schwarzen Meister erst recht. Dieser senile Tattergreis verdiente sein Schicksal, sollte die Quittung erhalten für die Torheit, allein und unbewaffnet auf dem Weg in die Regenbogenburg gewesen zu sein, um dort alles zunichte zu machen, wofür Ovidaol kämpfte und was der Schwarze Meister sich aneignen wollte. Gor lächelte kalt und spuckte zum Abschied vor dem Alten aus, direkt auf das im Staub liegende Meisterornat. Der alte Mann verzog keine Miene. Und als Gor mit seinen Taschen hinüber zum Lager wanderte und den alten Magier seinem Schicksal und der brennenden Sonne überließ, hörte er ihn singen. Die Schattentänzer sangen immer, und ihre Lieder beschworen die Lebendige Nacht. Gor hatte keine Lieder mehr, und von all dem Geheimnisvollen, Erhabenen und Guten, das sein Kreis einmal besessen hatte, war nichts geblieben. Nichts – außer der Wut und dem Haß. *
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Der Schwarze Meister musterte Gor abwartend, als die beiden Männer nebeneinander inmitten des Gefolges durch glühende Hitze und unter den Hufen der Pferde aufwirbelnden Staub ritten. Gor saß nachlässig auf dem Rücken seines duldsamen Fuchses, dem auch die Sonnenglut in der weiten Fläche nichts auszumachen schien. Alle Pferde des Gefolges liefen unbeirrt und unermüdlich, während die Männer litten, Durst und der Staub ihnen zu schaffen machte und Erschöpfung jedes Gespräch lähmte. Die Reittiere standen unter dem Bann des Schwarzen Meisters, gefeit gegen Müdigkeit und Entbehrungen. Die Pferde mußten funktionieren, deshalb wendete der Schwarze Meister so viel Magie auf ihre Kontrolle auf. Der Vormarsch des Gefolges durfte nicht durch die mangelhafte Körperlichkeit dummer Tiere in Verzug geraten. Die Männer jedoch sollten sich plagen. Das gefiel dem Schwarzen Meister. Ihm gefiel alles, was anderen Verdruß und Mühsal bereitete, und solange keine Unbeteiligten zur Hand waren, die Opfer für ihn abgeben konnten, machte er auch vor seinen eigenen Leuten nicht halt. „Heute abend gibt es Arbeit für dich, Gor,“ sagte der Schwarze Meister zu seinem liebsten Gefolgsmann. „Wie könnt Ihr das jetzt schon wissen?,“ erkundigte Gor sich höflich, aber ohne großes Interesse. „Wir werden ein Dorf aufsuchen,“ antwortete sein Herr. „Und ich rechne nicht damit, daß man uns mit offenen Armen empfängt.“ Gor seufzte innerlich. Er wußte, was das bedeutete, und es langweilte ihn. Mehr noch: eigentlich war es keine Langeweile, sondern eine glatte Beleidigung, daß der Schwarze Meister ihn ständig als Henker für irgendwelche unkundigen Tölpel heranzog, die zu spät begriffen, daß der Widerstand gegen den Schwarzgewandeten die größte Dummheit darstellte, die sie begehen konnten. Früher, als er ein Neuling im Gefolge des Meisters gewesen war, hatte er sich bemüht, dem Schwarzgewandeten zu gefallen mit seinen Künsten, und tatsächlich: der Schwarze Meister war über das Maß beeindruckt und angetan gewesen von dem, was Gor ihm vorführte. Damals hatte es Gor nichts ausgemacht, Unkundige zu töten. Aber nun, nachdem er die Gelegenheit gehabt hatte, seinesgleichen, andere Magier, Schattentänzer in die Hände zu bekommen, Feinde des Meisters, die es auf angemessene Weise auszuschalten galt, war ihm das Blut von Unkundigen zuwider geworden, wie eine Süßigkeit, an der man sich überaß und die einem damit ekelhaft wurde. Diese bedauernswerten Unkundigen waren es nicht einmal wert, als Feinde des Meisters bezeichnet zu werden – sie waren lästiges Ungeziefer. Und er, Meister Gor, der Meister von Blut und Vergänglichkeit, er verstand sich nicht als des Schwarzgewandeten Kammerjäger. Gor hütete sich, diese Gedanken laut zu denken, und er war sich längst nicht sicher, wieviel davon dem Schwarzen Meister bereits bekannt war. Dennoch hatte dieser sich erstaunlich spontan bereit erklärt, Gor einige Handlanger aus dem Gefolge zu gewähren, die ihm bei seinem tödlichen Geschäft behilflich waren. Er gab nun die Anweisungen, sie führten sie aus, ohne daß er selbst Hand an einen ujoray legen mußte, einen Unkundigen, der so unachtsam war, des Schwarzgewandeten Weg zu kreuzen. Diese Männer ritten ständig in Gors Nähe, und er verachtete sie. Sie waren keine Magier, sondern ungebildete, dumme Unkundige, die sich im Gefolge durch hirnlose Brutalität und stupiden Gehorsam auszeichneten. Gesellen, wie sie nicht besser geeignet sein konnten für das, was sie taten und wie sie einen goala’ay, der mit ihnen arbeiten mußte, beleidigten. Ja, Gor war der oberste Henker. Aber der Rotgewandete war niemals blutrünstig oder brutal gewesen. Nein – Gor legte Wert darauf, daß er bei allem, was er verkörperte, Stil behielt und sich niemals zu Effekthascherei oder Gewalttätigkeit hinreißen ließ. Gors Spezialität waren die kleinen, subtilen und effektiven Handgriffe, die standhafte Gegner zerbrechen konnten, ohne ihnen auch nur eine Chance zur Gegenwehr zu lassen. Gor – Meister Gor, einer der letzten goala’ay – wußte, daß er einer der Besten seines Kreises war, was diese Kunst betraf.
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Der Schwarze Meister lächelte wissend und trieb sein Pferd ein paar Schritte schneller voran, so daß Gor hinter ihm zurück blieb. Der Rotgewandete folgte ihm nicht. Aber das ewige, so unpassend milde Lächeln des Schwarzen Meisters begann, ihn zu beunruhigen. Flirrende Glut hüllte den goala’ay ein. Und das Gefolge ritt stumm und stöhnte unter der Hitze. * Als der Abend endlich die ersehnte Abkühlung brachte und von Süden, aus Richtung der unendlichen Wüste am Weltenende, ein erfrischender Wind über die Ebene strich, wurde auch die Landschaft, in der das Gefolge sich bewegte, wieder freundlicher und üppiger. Weitläufige Wiesen und Felder säumten den Pfad, und abseits davon sah man die ersten ordentlichen kleinen Bauernhäuser, schneeweiß getüncht mit fröhlich bunten Holzaufbauten. Der Schwarze Meister schenkte ihnen keine Beachtung. Die Bewohner dieser Häuser mochten sich glücklich schätzen, daß der Magier einen Überfall auf sie als nicht lohnenswert erachtete. Der Aufmerksamkeitseffekt, den die Plünderung eines abseits gelegenen Gehöftes mit sich brachte, war zu gering, würde vielleicht erst Stunden später von anderen Menschen bemerkt werden. Und Aufmerksamkeit war es, die der Schwarze Meister sich nun wünschte und erzielen wollte. Die Regenbogenritter sollten schnell erfahren, daß er unterwegs war. Wer könnte eine solche Botschaft besser überbringen als ein von Panik erfüllter Beobachter, der die Handschrift des Meisters erkannte? Die Abenddämmerung stieg aus der Wüste auf. In der Ferne, aber nunmehr doch in greifbare Distanz gerückt, spiegelten die letzten Sonnenstrahlen sich auf den goldenen Dächern der Stadt, über der sich, hoch auf einem Berg erbaut, das Märchenschloß der Regenbogenritter erhob. Die Stadt schmiegte sich ringsum an den Berg, strebte auf zur Burg und schien sich daran festklammern zu wollen. Gor wußte, weshalb die Architektur der Stadt diesen Eindruck in ihm erweckte: das, was sie hier sahen, war nur noch das alte Zentrum der Goldenen Stadt, die ältesten Bereiche, die Gebäude, die zuerst da gewesen waren, um sich in den Schutz der Ritter zu begeben. Die Peripherie der Stadt, die Vororte und vornehmen Villengegenden, in denen die Reichen ihre Sommerhäuser hatten, die üppigen Parks und schönen Lustgärten, sie existierten nicht mehr. Seit langer Zeit belagerte Ovidaol die Regenbogenburg, und er hatte vernichtet und dem Boden gleichgemacht, was sich zu weit aus dem Radius der Ritter und Feen gewagt hatte. Stück für Stück hatten er und seine Mannen sich an die Burg heran gekämpft und niedergebrannt, was im Wege war. Aber den direkten Bereich des Berges, den hatten sie nicht erobern können. Bisher nicht. Ovidaol kämpfte verbissen und mit grausamer Härte, aber sein Vordringen stagnierte, und die Ritter verteidigten die Unkundigen in ihrem Schutz verbissen und recht erfolgreich. Der Schwarze Meister hatte diesen Moment abgewartet. Immerhin hatte Ovidaol gute Vorarbeit geleistet. Wenn sein Scheitern nun durch eine gewisse Erschöpfung und Ratlosigkeit bedingt war, nun, so würde der Schwarze Meister nicht zögern, in das Geschehen einzugreifen – und mit seiner frischen, ungebremsten Kampfkraft womöglich die entscheidende Wende herbeiführen. Natürlich zu niemand anderes als seinem eigenen Vorteil. Zwischen dem Gefolge und der Burg lag das kleine Dorf völlig schutzlos. Friedlicher Rauch quoll aus den Schornsteinen und der Wind trug appetitliche Gerüchte zu den Männern hinüber, die auf sorgsam bereitete Abendmahlzeiten hinwiesen. Zwischen den Häusern bewegten sich ohne Hast Menschen, die ihren Geschäften nachgingen. Hierher reichte die Gewalt Ovidaols nicht. Sein Revier waren die Schlachtfelder unmittelbar an der Burg – das Hinterland interessierte ihn nicht. Von Ovidaols Invasion hatten sich die Menschen hier erholt, und das Leben hatte wieder in die gewohnten Bahnen gefunden. Was in der Ferne bei der Burg vorging, war für die Bewohner dieses kleinen Weilers nicht von
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unmittelbarer Bedeutung. Kein Regenbogenritter würde vermutlich auch nur einen Gedanken an die kleine Ortschaft verschwenden, an diesem Abend. „Dort gibt es zu trinken und zu essen,“ sagte der Schwarze Meister zu seinen Männern. „Holt es euch. Und bedient euch reichlich an allem, was ihr findet.“ Einen Augenblick lang zögerte das Gefolge unentschlossen. Dann erhob sich ein johlendes, kriegerisches und ausgelassenes Geschrei unter den Reitern, die ersten hieben den Pferden die Sporen in die Rippen und sprengten voran, zogen den Rest der Gruppe mit sich und hetzten den Hügel hinab, in gestrecktem Galopp und mit gezogenen Waffen auf das Dorf zu. Gor wurde von der Bewegung mitgerissen und trieb sein Pferd ebenso rücksichtslos wie alle anderen, fand sich für eine Sekunde an der Seite seines Herrn wieder und wechselte einen fragenden Blick mit dem Schwarzen Meister. „Tu deine Pflicht,“ rief der Schwarze Meister zu ihm hinüber und setzte sich dann mit einem irre schallenden Jubellaut an die Spitze der Gruppe, einer ungezügelten, rücksichtslosen Horde, die sich daran machte, das friedliche kleine Dorf zu überrennen. Gor beeilte sich, um nicht den Anschluß zu verlieren, und doch war ihm unwohl bei der ganzen Geschichte. Unwillig schüttelte er seine Bedenken ab und riß sein Schwert aus der Scheide. Schwarzes Metall glänzte im warmen Abendlicht wie ein blanker Insektenpanzer. Gor reinigte die Klinge immer sorgfältig. * Die Dorfbewohner waren viel zu überrascht, um in irgendeiner Weise Gegenwehr zu leisten. Als sie die Rufe und das tosende Trommeln der Pferdehufe gehört hatten, hatten jene, die schnell begriffen, noch versucht, die Flucht zu ergreifen. Aber der Großteil der Leute war vor Schreck regelrecht erstarrt, als das Gefolge des Schwarzen Meisters in ihre kleine heile Welt einbrach, ringsum nur wild tretende und rempelnde Pferde zu sehen waren und allerorten scharfer Stahl durch die Luft zischte. Gor bewegte sich inmitten des Chaos wie in einem Traum, er sah, aber er empfand sich kaum als Teil der Angreifer. Das Gefolge ritt wahllos Menschen und Gegenstände um, schlug mit Peitschen und Schwertern um sich, riß an sich, was lohnende Beute versprach und schlug entzwei, was ihnen vor die Waffen kam. Kleinere Tiere wie Hunde und Hühner wurden unter den Hufen der Pferde zerfetzt, und in der Enge zwischen den Häusern kam der Galopp der Horde zum Stocken. Nun mussten sie sich Respekt verschaffen. Wie durch einen Nebel hörte Gor inmitten des Kriegsgeschreis die schrillen Stimmen von Menschen in Todesangst, Schreie von Verletzten und das Weinen kleiner Kinder. Alte Weiber jammerten, während sie sich so nah wie möglich an die Mauern drückten, und einige törichte Burschen, die in ihrer Not zu Forken und Dreschflegeln griffen, um auf lächerliche Weise Widerstand zu leisten, fielen und vergingen. Gor holte mit seiner Waffe aus und verletzte einen Bauern, der nicht rechtzeitig zur Seite springen konnte, am Arm. Sein Pferd prallte ungebremst gegen ein Gestell, auf dem Körbe mit Eiern und Kartoffeln gelagert waren, und unter seinen Hufen vermengte sich beides zu einem undefinierbaren Brei. Gor lächelte kalt und lachte leise. Das musste der Wahnsinn sein – der Wahnsinn, den der Schwarze Meister ihnen gebracht hatte und der sie dazu befähigte, seine Befehle widerstandslos auszuführen. Schreiende Menschen rannten um ihn herum, und sein Schwert hieb auf sie herab und brachte sie dazu, vor ihm zurückzuweichen, sie stolperten herum und trachteten danach, sich in Sicherheit zu bringen. Gors Pferd trampelte und kickte, und der Rotgewandete ließ sich treiben von dem Rausch, der ihn überflutete und durch den das triumphierende, gellende Lachen des Schwarzgewandeten schrillte und gleichzeitig anstachelnd und beruhigend wirkte. So lange der Meister lachte, so lange war alles gut. So lange war er auf der richtigen – der sicheren – Seite.
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Gor fühlte sich angenehm benommen und für einen Moment überkam ihn Stolz. Stolz darauf, in dieser Gruppe zu sein, als einer der Oberen, als einer, dem gehorcht wurde. Er war der Vertraute, der Freund des lachenden Magiers, und er konnte tun und lassen, was er wollte mit dieses dummen, lächerlichen ujoray. Er war Gor, er war die Vernichtung, und alle hatten zu ihm aufzublicken und ihn zu fürchten. Und dann sah er das Gesicht vor sich, und seine Ekstase wich einem heißen Schrecken. Das Mädchen befand sich direkt vor seinem Pferd, war desorientiert und wußte nicht, in welche Richtung es ausweichen sollte. Von allen Seiten traten Hufe und schlugen Waffen wahllos auf die ujoray nieder. Von hinten näherte sich einer der Männer auf seinem Pferd, das raste, mit weißem Schaum vorm Maul und verdrehten Augen, die fast nur noch das Weiße zeigten. Es war nur ein einziger Blick, ein entsetzter Blick aus jadegrünen Augen, der für den Bruchteil einer Sekunde den des Rotgewandeten traf. „Aus dem Weg!“, brüllte Gor erschrocken, und im selben Moment neigte er sich aus dem Sattel, griff nach dem Arm des Mädchens und zerrte es so fest zu sich hin, daß sie aufkreischte und vom Boden hochgehoben wurde und den Korb verlor, den sie bei sich trug.. Gor riß das Mädchen beiseite und schleuderte es hastig von sich, mitten hinein in die Überreste eines niedergetrampelten und zerfledderten Heuhaufens. Einen Lidschlag später zertrat das Pferd des anderen Reiters den Korb zu winzigen Spänen. Er hatte Kirschen enthalten, die sich nun mit dem Straßenschmutz verschmolzen. Gor schaute zu dem Mädchen zurück, das wimmernd auf dem Heu lag. Einzelne Halme hingen in ihrem langen schwarzen Haar fest. Sprachlos starrte sie den rot gekleideten Mann auf dem Fuchs an. Gor lächelte. „Weiter!,“ befahl der Schwarze Meister irgendwo weit fort gegen den Tumult an, „laßt uns hier keine Zeit vergeuden!“ Das Gefolge kam für einen Moment zur Ruhe, man wendete die Pferde in eine einheitliche Richtung. Dann galoppierte der Meister voran, und seine Männer schlossen sich unter höhnischem Gelächter an. Die Pferde setzen hinweg über die Trümmer und Körper Verwundeter und Erschlagener. Der Überfall hatte nur wenige Minuten in Anspruch genommen und für den notwendigen Effekt gesorgt. Gor ritt nun fast am Ende der Gruppe und warf im Galopp einen Blick zurück über die Schulter, hin zu dem Mädchen, das sich aufrappelte und schwankend zum Stehen kam. „Verflucht sollt ihr sein!,“ kreischte sie hinter den Reitern her. „Habt ihr gehört? Verflucht! Verflucht!“ Gor wandte sich nachdenklich nach vorne. Und dann hatte das Gefolge das Dorf schon hinter sich gelassen, verschwunden wie ein grässlicher Alptraum. Der Schwarze Meister war gekommen. Bald würden alle es wissen. * „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, Gor?“, fragte der schwarze Meister beiläufig und schnitt nachdenklich an ein fetttriefendes Stück Schweinefleisch, das das Gefolge im Dorf im allgemeinen Getümmel blitzschnell von einem Grill gestohlen hatte. Irgendwie hatten sie es fertig gebracht, zusammenzuraffen, was an Lebensmitteln greifbar gewesen war, Brote, Fleisch, Schinken und Käse. Das Volk im Sonnenland litt keinen Hunger, und so hatten die Mannen des Schwarzen Meisters einen reich gedeckten Tisch vorgefunden. Sogar ein paar Wein- und Bierkrüge hatten sie auf ihre Pferde reißen können. Das Beste von der Beute war natürlich auf dem Tisch des Schwarzgewandeten gelandet, auch, wenn er nur davon kostete. Gor war der Einzige gewesen, der keine Nahrung erbeutet hatte, nicht einmal eine Trockenwurst oder einen Kranz getrockneter Feigen. Womöglich war dies der Grund dafür, weshalb der Meister ihm nun diese unbequemen Fragen stellte. Aber der Rotgewandete bezweifelte es. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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„Wobei gedacht, Herr?,“ fragte Gor unbehaglich. „Du hast eine ujora gerettet,“ sagte der Schwarze Meister und blickte lauernd. „Ich habe deutlich gesehen, wie du das Frauenzimmer von den Pferden weg gezogen hast.“ „Ach das,“ tat Gor die Sache gedehnt ab. „Ich ... es... es war eine Laune.“ Der Schwarze Meister lächelte und drohte scherzhaft mit der Gabel zu seinem Vertrauten hinüber, der ihm gegenüber vor dem Tisch stand. Der Meister aß grundsätzlich alleine vor seinem Zelt, niemals gemeinsam mit den Männern, und er benutzte immer Messer und Gabel. „Ich rate dir, Gor, paß auf, daß die Weibsbilder keinen Einfluß auf deine Launen nehmen. Das bekommt dir nicht, und der Magie schon gar nicht.“ „Ich werde an Eure Worte denken,“ erwiderte Gor. „Auch, wenn sie in diesem Fall unberechtigt sind. Ich bin Euch allein treu, wie ihr wißt. Frauenzimmer interessieren mich nicht.“ „Für etwas, was dich nicht interessiert,“ antwortete der Meister, „gebrachst du viele Worte.“ Gor biß sich auf die Lippen und schwieg. Ringsum waren nur die Geräusche zu hören, die die Männer von sich gaben, als sie das geraubte Essen verschlangen. So gierig und ausgehungert waren sie, daß sie keine Zeit für ihre üblichen, groben Unterhaltungen fanden. Ein vielfaches Kauen und Schmatzen ertönte und ließ den Rotgewandeten schaudern. Das war kaum noch eine Gruppe von unerschrockenen Söldnern – das war ein hungriges Untier in Gestalt vieler Männer. Der Schwarzgewandete legte das Besteck auf den Teller zurück und musterte den Rotgewandeten kritisch. Gor bemühte sich, der Spannung stand zu halten und gab sich den Anschein von Überlegenheit. Die heikle Atmosphäre zwischen ihm und seinem Gebieter löste sich, als es am Rande des Rastplatzes unruhig wurde. Die Männer erhoben sich und spähten hinüber zum Rand des Wäldchens, wo die zwei Gefährten erschienen, die Wachgänge um das Lager getan hatten. Zwischen ihnen taumelte ein junger Mann, blond und schlaksig. Die Wächter hatten ihn bei den Armen gepackt und zerrten ihn heran. Einer von ihnen hielt ein zweites Schwert in der Hand, vermutlich eine Waffe, die man dem Burschen weggenommen hatte. Dieser machte keine Anstalten, sich gegen die grobe Behandlung zur Wehr zu setzen – offenbar hatten die beiden Gefolgsleute ihn gehörig verprügelt. Der Schwarze Meister erhob sich halb von seinem Stuhl und lächelte. „Ein Spion,“ sagte er erfreut. „Wahrscheinlich wollen die Dorfleute herausfinden, was es mit uns auf sich hat. Nun, das wollen wir ihnen zeigen.“ Gor wartete. „Unterhalte mich, Gor,“ forderte er. „Laß uns herausfinden, was das unkundige Pack im Schilde führt.“ Gor seufzte lautlos. „Wollt Ihr zuerst Eure Mahlzeit beenden?“, fragte er umsichtig. Der Schwarze Meister setzte sich wieder hin. „Nein,“ sagte er, und seine Augen waren klar wie Glas und kalt wie Eis. „Hier und jetzt. Bei Tisch. Zeig mir deine Kunst – Gor.“ * Im Morgengrauen brach Gor auf, um den Körper des Spions wieder zurück zu seinen Leuten zu bringen. Selbstverständlich hätte er auch einen seiner Untergebenen mit diesem lästigen Auftrag losschicken können, aber es erschien ihm nicht richtig so. Er misstraute seinen Helfern, und er hielt es für unangemessen, zu riskieren, daß sie erneut die Dorfbewohner überfielen und ihr Zerstörungswerk fortsetzten. Das wäre wenig professionell gewesen. Wenn die Situation sich dahingehend entwickelte, daß die dummen Gefolgsleute ständig bei den ujoray ein und aus ritten, um zu plündern und zu randalieren, dann würden die Unkundigen sich an diese Situation gewöhnen, mit Übergriffen des Gefolges rechnen und
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womöglich eine hinderliche Abwehrpraxis entwickeln, sobald ihr Zorn Überhand gewann. Gor bevorzugte leisere Töne, und er war sich recht sicher, daß der Schwarzgewandete ihm in dieser Hinsicht bewusst so große Freiheiten ließ. Er war kein brutaler Vandale, der die raffinierten Pläne des Schwarzen Meisters in Überschwang und Dummheit ruinierte. Gor näherte sich einem der am Rand des Ortes gelegenen Häuser, das dem gestrigen Ansturm der Horde glimpflich entkommen war, da es nicht unmittelbar in der Schneise ihres Durchzuges gelegen war. Ein sauberes, kleines Häuschen war es, mit einem Gemüse- und Kräutergärtlein und drei oder vier Obstbäumen in seiner Mitte. Ein Kaninchen- und ein Hühnerstall waren zu sehen, aber zu dieser frühen Stunde war selbst das Federvieh noch nicht munter. Offenbar besaß der Bewohner des Häuschens auch wenigstens ein größeres Haustier, vermutlich einen Esel oder ein Muli, denn neben einem winzigen Stall war ein Misthaufen angelegt worden. Gor sah all das und kam zu dem Schluss, daß es sich wahrscheinlich um die Behausung eines Kleinhandwerkers handelte, der seine Ware auch in größerem Umkreis auslieferte. Gor hob den Leichnam des jungen Mannes vom Sattel und warf ihn auf den Misthaufen. „Ad‘ree,“ murmelte er seinen rituellen Gruß und blickte nachdenklich auf sein Werk der vergangenen Nacht herab. Kein Wort war über die Lippen des Burschen gekommen, auf jeden Fall keines, das dem Schwarzen Meister Hinweise auf die Vorhaben und Verteidigungsmaßnahmen der Dorfbewohner gegeben hätte. Mit Flüchen und Verwünschungen hatte der Gefangene allerdings nicht gespart, mit Flüchen, die so wirkungslos waren aus dem Mund eines Unkundigen und die Magier erheiterten. Am Ende hatte der blonde Dörfler nur noch geschrien, bis seine Stimme in einem Wimmern erstarb und sein Geist hinter die Träume flüchtete. Gor wendete sein Pferd und machte sich an den Rückweg. Es hatte ihm anfangs keine Befriedigung verschafft, den ujoray zu töten, auch, wenn der Schwarzgewandete offensichtlich Gefallen an dieser Art von Amüsement gefunden hatte. Wenig später hatte er, unwillkürlich beeindruckt von der Standhaftigkeit des Bauertölpels, seine Meinung revidiert und einen gewissen Respekt vor ihm entwickelt. Es war eine seltsame Sache: Gor liebte es, wenn Magier unter seinen Händen um Gnade bettelten – etwas, das nicht allzu oft geschehen war. Aber daß ein Unkundiger gerade das nicht tat – das war womöglich noch viel eindrucksvoller. Und dieser widerwillige Respekt war es, der Gor nun nachdenklich machte und den einzigen Grund darstellte, weshalb er den jungen Mann unmittelbar zu seinesgleichen zurückgebracht hatte, anstatt seinen Leib im Wald verteilt für die Tiere auszulegen und nur ein paar Stücke davon als Warnung bei den Unkundigen zu belassen. Dieser Unkundige verdiente Würde. Mochten die Dörfler ihn nach ihrem Ritus bestatten, sobald sie ihn fanden. Er hätte nichts dagegen einzuwenden. So hing Gor seinen Gedanken nach und bemerkte das Mädchen erst, als es aus dem Wald auf den Weg heraus trat, seiner ansichtig wurde und erschrocken den Wasserkrug fallen ließ, den es bei sich trug. Das Gefäß zerbrach in irdene Scherben. Gor zuckte zusammen und starrte sie an wie einen Geist. Er hatte nicht erwartet, so früh am Morgen in der Nähe des Dorfes jemandem zu begegnen, nachdem die Dorfbewohner sich doch furchtsam in ihren Hütten zusammenrotten und es nicht wagten sollten, diese zu verlassen. Gor schaute in die ängstlichen grünen Augen und wußte, sie würde schreien und das ganze Pack auf sich aufmerksam machen. Langsam hob er die Hand, und ihr Blick folgte gebannt seiner Geste. Die Begegnung mit dem Rotgewandeten hatte dem Dorfmädchen offensichtlich die Sprache verschlagen. „Ich bin allein,“ sagte er. „Und ich will dir nichts antun.“ Das Mädchen fixierte ihn mit ihrem grünen Blick und rührte sich nicht. Diese Augen – dieses hübsche, unschuldige Gesicht – diese Reinheit, die von ihr ausstrahlte! Sie hatte offensichtlich Elbenblut in den Adern, was in dieser Gegend nicht ungewöhnlich war. Aber das elbische Erbe verwässerte http://home.tiscalinet.de/lamaga
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seit Generationen, und zurück blieb nicht die gewaltige Magie der Natur selbst, nur noch bezaubernde Schönheit und Anmut. Gor seufzte bei ihrem Anblick. Tief, tief im Herzen des Rotgewandeten erinnerten sich Fasern seines Selbst an etwas, das sie nicht verstanden und was entsetzlich war. Denn es war verboten, es durfte nicht sein. War es Hoffnung? War es Gier? War es ein verzweifeltes und sinnloses Suchen nach etwas, das einmal die Essenz seiner Magie gewesen war und das die goala’ay beschnitten und deformiert hatten in all den Jahrhunderten, in denen der ewige Kampf im Weltenspiel der Magier tobte? Er wußte es nicht, aber es tat weh in seinem Herzen und es verwirrte ihn. Es war böse, und es war verboten, was ihre Augen mit ihm anstellten, als sie ihn ansah und ihr Blick versuchte, ihn zu erforschen, ihn einzuschätzen, sich ein Bild davon zu machen, wer er war und ob er, allein, wie er gekommen war, eine Gefahr für sie bedeutete. Der Meister würde es nicht gutheißen, dachte er verwirrt, der Meister würde mich bestrafen für dieses Gefühl! Vielleicht erinnerte sie sich daran, daß er ihr am Vortag das Leben gerettet hatte, aber er bezweifelte es. Er war einer gewesen, einer von vielen, die Zerstörung und Leid gebracht hatten. Es war viel zu schnell gegangen, viel zu ungeordnet und chaotisch. Sie hatte ihn verflucht, aber er war sich sicher, daß ihr Fluch nicht ihm persönlich gegolten hatte. Im Innersten hoffe er es sogar. Gor spreizte die Finger und richtete seine Geste auf die Scherben des Kruges. Das Mädchen beobachtete mit weit aufgerissenen Augen fassungslos, wie das zerbrochene Gefäß sich wieder zusammen setzte und erneut mit Wasser füllte. Gor wartete. Inzwischen hatte er begriffen, was das Mädchen so allein hier draußen tat. Vermutlich waren im Dorf Verwundete zu versorgen, und vielleicht war beim Überfall etwas geschehen, was den Dorfbrunnen nutzlos machte. Vielleicht hatten einige der Männern Lampenöl hinein gegossen. Gor erinnerte sich, daß das vorgekommen war, früher schon. Die Verwundeten brauchten Wasser, und es konnte nicht warten. Also hatte sie eine Quelle oder einen Teich im Wald aufgesucht. Nach einigen Augenblicken wagte sie es, vorsichtig die Finger nach ihrem Krug auszustrecken. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, daß das Gefäß stabil und real war, hob sie ihn wieder vorsichtig auf die Arme. Sie lächelte scheu für eine Sekunde zu ihm hinauf und eilte dann mit hastigen Schritten grußlos und gehetzt davon. Ganz geheuer war ihr die Begegnung offenbar doch nicht. Gor trieb sein Pferd an und ließ es gemächlich den Weg entlang schreiten. Nein, umsehen wollte er sich jetzt nicht nach ihr. Nein – er wollte ihr Lächeln im Gedächtnis behalten, dieses sekundenbruchteillange Lächeln – ein weibliches, ein unschuldiges Lächeln, das ihm gegolten hatte. Ihm, Gor, dem Rotgewandeten, ihm ganz allein. Eine sonderbare Wärme bemächtigte sich seines Herzens und seines Gemütes, beunruhigte und erregte ihn und machte ihn glücklich. Glücklich, ohne daß er verstanden hätte, wieso dem so war. Einen Moment lang hörte er nur den Schritt des Pferdes auf dem staubigen Weg, das Zwitschern der ersten erwachenden Vögel und das Knarren seines Sattelzeuges. Die Sonne stieg und wurde heller. Dann zerriß der Schrei des Mädchens die heilige Stille des Tageserwachens, schrill und erfüllt von einer Qual, die größer war als alles, was Gor kannte, erfahren und bewirkt hatte in seinem Leben. Er fuhr schockiert herum und blickte zurück, zum Handwerkerhäuschen in dem kleinen Garten, wo das Mädchen schrie. Er verstand keine Worte. Aber er fühlte die Emotion. Und er verstand. Gor schaute sich gehetzt um, hieb dann dem Pferd brutal die Fersen in die Rippen und setzte in gestrecktem Galopp davon. Gor flüchtete. Zum ersten Mal in seinem Leben floh Gor vor den eigenen Taten. * http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Der Rotgewandete fuhr ertappt zusammen, als sich die Plane vor dem Eingang des Zeltes öffnete und der Schwarze Meister höchstpersönlich hineinkam. Der Schwarzgewandete blickte befremdet auf seinen Vertrauten hinab, der auf den Knien lag und ihn nervös anschaute. „Was machst du da?“, fragte er in einem Tonfall, der Gor bestätigte, daß man ihn bei einer unschicklichen Handlung beobachtet hatte. „Es... vergebt mir,“ sagte Gor rasch und verwischte eilig mit der Hand die Symbole, die er in den blanken Erdboden geritzt hatte. In ihrer Mitte lag das schwarze Schwert, und ein paar kleine Talgkerzen brannten düster in der Finsternis des Zeltes. „Es ist nur eine alte Angewohnheit.“ „Launen und alte Angewohnheiten,“ sagte der Schwarze Meister nachdenklich. „In den letzten Tagen versetzt du mich immer wieder in Erstaunen.“ Er kam heran und zertrat dann selbst mit dem Fuß eines der magischen Zeichen. Gor schauderte und blickte auf den schwarzledernen Schuh des Magiers hinab. Der Schwarze Meister musterte ihn prüfend. „Ich wollte dich nur persönlich darüber informieren, daß ich mit einem Teil des Gefolges zur Regenbogenburg aufbreche. Ich erwarte dich reisefertig in einer halben Stunde draußen. Auf deine Gesellschaft will ich nicht verzichten. Schließlich bist du doch mein treuester und bester Mann, nicht wahr, Gor?“ „Ich habe nicht vor, Eure Erwartungen zu enttäuschen,“ antwortete Gor vorsichtig. Der Schwarze Meister lächelte lauernd. „Darüber wäre ich auch sehr betrübt,“ entgegnete der Schwarze Meister. „Ich muss mich auf mein Gefolge verlassen könne, um der Herausforderung zu begegnen, und es wäre jammerschade, wenn ich feststellen müsste, daß derjenige, dem ich am meisten zugetan bin, sich vom Wesentlichen ablenken lässt.“ „Gewiss,“ hauchte Gor schuldbewusst. „Du weißt, was mit Personen geschieht, die mich enttäuschen.“ Gor nickte. „Ja, Herr.“ Der Schwarze Meister warf ihm einen abwartenden Blick zu. Als Gor nicht darauf reagierte, wandte er sich ab und verließ wortlos, aber mit einem befriedigtem Geschichtsausdruck, das Zelt des Rotgewandeten. Gor starrte ins Leere und auf die Reste seines improvisierten Altars. Er war immer ein Einzelgänger gewesen, jemand, der sich absonderte und für sich allein blieb. Nun aber fühlte er sich verlassen. Das Licht kam nicht mehr zu ihm, ließ sich nicht mehr beschwören. Die Schutzmacht hatte ihn verlassen, sich angeekelt von ihm abgewandt. Was sollte er mit seiner Magie, seinen Künsten und Kräften, wenn das Licht sich nicht mehr dafür interessierte? Und nun hatte der Schwarze Meister ihn dabei überrascht, wie er zum ersten Mal seit langer Zeit versucht hatte, Kontakt zu seiner Schutzmacht aufzunehmen. Etwas anderes zu verehren als ihn selbst, den Schwarzen Meister, die Stimme und den Körper des Widerwesens. Gewiss hatte er ihn enttäuscht mit diesem kindischen Rückfall in die Rituale seines alten Kreises. Nun, Personen, von denen der Schwarze Meister enttäuscht war, fielen im Regelfall in seine Zuständigkeit. Er, Gor, war es der züchtigte und richtete. Was sollte geschehen, wenn der Schwarze Meister ernsthaft enttäuscht war? Wie konnte er sich selbst strafen? Erwartete der Schwarze Meister das von ihm? Oder würde er persönlich es tun? Gor rappelte sich auf und begann mechanisch, sein Reisegepäck zusammen zu suchen. Der Aufforderung des Meisters war unbedingt Folge zu leisten; unter gar keinen Umständen durfte er es riskieren, den Schwarzgewandeten zu verärgern. Vielleicht war es ja auch gar nicht so verkehrt, dieser Gegend hier den Rücken zu kehren und seinen Herrn zur Regenbogenburg zu begleiten, nur weit weg von dem Mädchen und dem Schmerz, den er in ihrem Schrei gehört hatte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Er wollte ihr nicht mehr begegnen. Sie hatte ihm zugelächelt, und fast wäre er bereit gewesen, an die vage Möglichkeit zu glauben, ihre Zuneigung zu gewinnen. Dann hatte sie die Leiche gefunden, und der zarte Hauch einer Chance auf ihr freundliches Interesse war für immer zerstört – binnen weniger Sekunden hatte Gor es fertig gebracht, eine neue Zukunft aufzubauen und sogleich wieder in Trümmer zu legen. Warum nur hatte er den Körper zurück ins Dorf gebracht und – freilich ohne es zu ahnen – ausgerechnet in den Garten des Hauses gelegt, in dem das unschuldige Mädchen mit den tiefen grünen Augen wohnte? War das ein dummer Zufall gewesen, ein makaberer Scherz der Vorsehung -–oder etwas ganz anderes? Nun würde sie ihn tiefer hassen als je zuvor, sie würde ihn bei Tag und Nacht mit ihren unwirksamen Unkundigen-Flüchen belegen, die er dennoch bereits jetzt qualvoll in seinem Gewissen spürte und die ihn belasteten und reizten. Er war Meister Gor, er war der Henker des Schwarzen Meisters. Und niemals, nie im Leben würde ihn jemand lieb haben. Weil er selbst es vereitelte, weil es nicht sein durfte – und weil der Schwarze Meister es nicht dulden konnte. Und seine Schutzmacht – das Licht, das, was zwischen dem hier und den Träumen lag - er konnte es nicht mehr rufen, hatte es vielleicht nie gekonnt. Er wußte, wie der Ritus auszuführen war, aber er bewirkte nichts mehr damit. Er konnte die Magie einsetzen und war sehr mächtig und gefährlich durch sein Wissen und Geschick – aber er war nicht dazu in der Lage, die Schutzmacht anzurufen, um Trost und Rat zu bitten, eine Erklärung dafür zu fordern, wer er eigentlich wirklich war und was seine Aufgabe im Weltenspiel sein sollte. Die Macht hatte sich von den goala’ay abgewendet. Nun, da er dringend jemanden brauchte, der größer war als der Schwarze Meister und unabhängig – da konnte er nur Stille beschwören. Stille und Nichts. Vielleicht, so dachte Gor unbehaglich, lag das daran, daß nichts größer war als der Meister. Daß der Meister mächtiger war als die Schutzmacht selber und daß er es war, den er verehren und vertrauen sollte. So mußte es wohl sein. Immerhin hatte er, einer, der nicht goala’ay war, es gewagt, mit dem Fuß das Symbol des Kreises respektlos zu zertreten. Und das Licht hatte keine Einwände dagegen erhoben. Gor richtete sich entschlossen auf. Wie konnte er zweifeln? Der Meister war der Allermächtigste, und nur ihm mußte er folgen, mehr noch: er durfte stolz sein, der engste Auserwählte zu sein aus dem gesamten Gefolge. Der Meister hatte ihn gerufen, wartete auf ihn. Er würde ihn fortführen und ablenken von den scheußlichen Erinnerungen an das schreiende Mädchen im Garten. * Während sie in einer kleineren Gruppe von nur zwanzig Mann in Richtung der Burg aufbrachen, äußerte der Schwarze Meister sich nicht mehr zu den vergangenen Vorfällen; weder zu Gors Regress in seine magische, wenn auch nicht glorreiche Vergangenheit noch zu seinem spontanen Einsatz, um ein Leben zu retten. Vielleicht, so hoffte der Rotgewandete, hatte sein Gebieter diesen kleinen Zwischenfall schon längst wieder vergessen. Oder sah ihn als einen albernen Scherz an. Er redete mit Gor über Belanglosigkeiten und organisatorische Dinge, und so kam es, daß der goala’ay sich langsam wieder entspannte. Je näher sie der Burg kamen, desto deutlicher hatten sich die Spuren der Belagerung in der Landschaft abgezeichnet. Viel verbrannte Erde war zu sehen, Wäldchen, Gärten und Palmenhaine, die aussahen, als wäre der Gluthauch eines Drachen darüber hinweggefegt. Hier und dort gab es Ruinen von Gebäuden, die aus Stein errichtet gewesen waren. Einfachere Häuser hatten nicht einmal verkohlte Trümmer hinterlassen.
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Mit jedem Meter, den sie sich der Goldenen Stadt näherten, verhärtete sich der Boden zu etwas, das am Ende beinahe aussah wie eine spiegelnd polierte Marmorfläche. Hier gab es nichts mehr, keine Bäume und keinen Schutt. Vor ihren Augen erhob sich hoch oben auf dem Felsen, verspielt und doch wehrhaft, in allen Farben schillernd und scheinbar unbeschädigt, die Regenbogenburg, und um sie herum schmiegten sich die Häuser mit den goldenen Dächern. Beinahe übergangslos, wie ein nachträglich in eine Leere eingesetzter Ausschnitt aus einem bunten Bild und unwirklich. Darüber spannte sich der azurblaue Sommerhimmel. „Bei den Mächten,“ flüsterte Gor und hätte sich umgehend am liebsten die Zunge abgebissen für diese Bemerkung. „Beeindruckend, nicht wahr?,“ fragte der Schwarze Meister, als habe er den Fauxpas seines Vertrauten überhört. „Das alles hier konnte Ovidaol erreichen, mit seiner eigenen Magie, seiner Waffe und der Führung der großen Widermacht.“ Er warf dem Rotgewandeten einen Seitenblick zu. „Unserer Schutzmacht, mein Bester.“ Gor blickte immer noch gebannt auf die Feenburg auf dem Felsen. Er fand die völlige Vernichtung ringsum nicht annähernd so erschreckend wie die Tatsache, daß die Feste darin unbeschadet weiterhin stand und der destruktiven Magie trutzte. Und dabei war die Regenbogenburg so wunderschön und heiter, eine verspielte, schlank in die Höhe strebende Konstruktion mit vielen Türmen, Brücken dazwischen, aufwendigen Dächern und feinem Zierrat. Ein unglaubliches magisches Schutzfeld mussten die Feen und Regenbogenritter um die Burg gelegt haben. Und nicht nur um ihren eigenen Hort – sie beschützten auf diese Weise auch die Menschen, die in der Stadt lebten und in den Häusern Zuflucht gesucht hatten – und sich dabei selbst eingesperrt hatten. Denn Ovidaol hatte einen Ring der Leere und Vernichtung um den ganzen Berg gelegt, und er würde ihn wohl immer weiter schließen, versuchen, die Regenbogenritter in seinem Würgegriff zur Aufgabe zu zwingen. Gor fragte sich, wer dieser Ovidaol, dieser gewaltige Magier wohl sein mochte, daß er dies hier hatte bewirken können – und wieso der Schwarze Meister sich so sicher war, daß er kommen und dessen Platz einnehmen konnte, sobald Ovidaols Kräfte erlahmten. Unbehaglich schielte Gor hinüber zum Schwarzen Meister. Wieso fiel ihm eigentlich jetzt erst auf, daß niemand wußte, wie der Schwarzgewandete in Wirklichkeit hieß? Hatte er überhaupt einen Namen? Hatte er – überhaupt so etwas wie eine individuelle Persönlichkeit? Oder war er nur noch das, was man schon lange munkelte – ein reines Gefäß, durch das die Widermacht selbst sich äußerte? Lediglich eine körperliche Hülle, in der das Widerwesen sich unter Menschen manifestieren und mit ihnen in Kontakt treten konnte? Wenn das so war, wenn der Schwarze Meister eine Art Steigerung Ovidaols darstellte – des verfluchten Schattentänzers, der aber zumindest noch einen eigenen Namen besaß – dann war er tatsächlich mächtig. Dann würde es für ihn tatsächlich keine Herausforderung darstellen, die Regenbogenburg zu vernichten, mitsamt den mächtigen Kundigen und ihren Zauberkräften darin. Dann würde das Widerwesen Ovidaol fallen lassen, vielleicht am Leben erhalten für seine gute Vorarbeit – aber der Schwarze Meister würde der sein, der den Thron bestieg. Warum?, dachte Gor nachdenklich, warum eigentlich? Was ist so besonderes an der Regenbogenburg, daß das Widerwesen nun bereits zwei Magier dazu benutzt, den Kampf zu führen, wenn es doch ganz allein diese Vernichtung bewirken könnte, nur durch seine Existenz? Oder – vielleicht... vielleicht brauchte es Magie. Magie eines anderen Kreises, gestohlene Magie einer Lebendigen Kraft, fremde Magie... Gor zuckte zusammen, als er den Blick des Schwarzgewandeten auf sich ruhen fühlte und versuchte, ein Siegel über seine ketzerischen Gedanken zu legen. Er durfte es nicht, er durfte nicht zweifeln an der Macht und der Strategie seines Herrn. „Du denkst zuviel nach,“ sagte der Meister schlicht. „Es gefällt mir, intelligente Männer um mich zu haben, deren geistiger Horizont sich nicht http://home.tiscalinet.de/lamaga
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aufs Saufen, Prügeln und Herumhuren beschränkt. Aber wir haben im Augenblick nicht die Zeit, uns viele Gedanken zu machen, Gor. Dazu sind wir nicht hergekommen.“ „Gewiß, Herr,“ stimmte Gor verwirrt darüber zu, daß der Schwarze Meister keineswegs den Anschein erweckte, zornig zu sein auf seinen Gefolgsmann. Es machte vielmehr sogar den Eindruck, als amüsierte er sich über die Bedenken des goala’ay. Wie lange würde er, Meister Gor, aber ein Niemand im Angesicht dieses Magiers, diese nervlichen Anspannungen noch aushalten können? „Weiter,“ gebot der Schwarzgewandete, winkte seinem Troß und trieb das Pferd weiter vorwärts. Gehorsam folgte ihm der kleine Trupp. * Ovidaols Schar bestand zur allgemeinen Überraschung des Gefolges aus nicht viel mehr als zwei- oder dreihundert Kämpfern, die sich nahe an der Peripherie der Zerstörung in einem Zeltlager niedergelassen hatten, nicht unähnlich dessen, das sie selbst errichtet hatten. Die Ankunft der Neuankömmlinge wurde von den Männern mit misstrauischem Interesse, aber ohne jegliche Aufregung zur Kenntnis genommen. Gor schaute sich um. Ovidaol hatte fast ausschließlich Menschen um sich versammelt, es war kein magisches Geschöpf zu sehen. Das stimmte den Rotgewandeten verwundert, da er angenommen hatte, Ovidaol hätte wenigstens einige Feen oder Halbelben, vielleicht auch Zwerge oder Vampire auf seine Seite ziehen können. Er kann sie doch nicht alle ausgerottet haben, dachte Gor beklommen. „Dämonen,“ antwortete der Schwarze Meister auf Gors unausgesprochene Worte. „Ovidaol braucht keine anderen Magieträger. Sie sind überflüssig im Weltenspiel.“ Gor schaute seinen Herren verblüfft an. „Ihr meint – es stimmt wirklich? Er hat die magischen Wesen ausgelöscht?“ Der Schwarze Meister lächelte amüsiert. „Du brauchst dich nicht zu fürchten, Gor,“ spottete er. „Du bist nur ein Träger, die Magie hat dich nicht erschaffen. Was Magiegeboren ist, hat er ausradieren können allein durch die Macht, die unsere Schutzmacht ihm geschenkt hat. Es gibt nur noch die Halbelben und Feen, die sich in der Burg verschanzt haben. Ein beinahe schon zu vernachlässigender Faktor an echter Magie.“ Gor versuchte, das Ausmaß dieser Worte zu begreifen und dachte an eine Welt, in der es keine Elementarwesen und Märchengeborenes mehr gab. „Mäch...,“ wollte er seufzen, aber er unterbrach sich gerade noch rechtzeitig. Im selben Moment kamen einige von Ovidaols Gefolgsleuten auf das Grüppchen der Ankömmlinge hinzu. Es waren verwegen aussehende, kampferprobt wirkende vierschrötige Söldner, die Ovidaol vermutlich in der Gegend des Großen Waldes aus einer Räuberbande rekrutiert hatte. Womöglich mit Versprechungen von Reichtümern und Luxus. Einfache kleine Wünsche schlichter Seelen, die bereit waren, der Gewalt zu folgen. Wie es der Schwarze Meister auch tat. Die Handlanger lockte er mit Gold, die Vertrauten mit Macht. Macht war es gewesen, die Gor sich vom Schwarzen Meister erhofft hatte. Wahrscheinlich hatte er sie sogar bekommen. So genau wußte er das nicht zu sagen. Bevor einer der Ovidaol-Söldner etwas fragen konnte, sprach der Schwarzgewandete, sprach in einem souveränen und keinen Widerspruch duldenden Tonfall. „Ich bin der Schwarze Meister,“ sagte er. „Ich verlange, Ovidaol zu sehen.“ Der Anführer der zwielichtigen Gesellen runzelte die Stirn. „Du bist ein verdammter Schattentänzer!,“ zischte er abfällig. Im Gesicht des Schwarzen Meisters regte sich kein Muskel. Er richtete lediglich den Blick auf die des Mannes.
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Ovidaols Soldat stieß ein keuchendes Wimmern aus, seine Augen traten hervor, und mit einem konvulsivischen Zucken brach er auf der Stelle zusammen und war tot. Das Gefolge zeigte sich unbeeindruckt, aber die Männer, die ringsum gestanden hatten, wichen unwillkürlich einen Schritt weit zurück. Alle Schattentänzer konnten mit Gedankenkraft ujoray töten. Aber der Schwarze Meister war der einzige, der es tatsächlich tat. Er tat es, seit das Widerwesen, das er gefunden hatte, ihn von den Regeln seines Kreises entbunden und ihn zu seinem Körper gemacht hatte. „Bringt mich zu Ovidaol,“ wiederholte der Schwarze Meister. „Ich komme im Auftrag der Großen Macht, um ihn zu sehen.“ Ovidaols Kämpfer zögerten, offenbar wagte niemand, auf die Forderung des fremden Zauberers zu reagieren und damit seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Schließlich fasste sich ein in ziemlich vornehme Gewänder gekleideter Mann in den mittleren Jahren ein Herz und bedeutete dem Magier mit einer unterwürfigen Geste, ihm zu folgen. Gor vermutete, daß es sich um einen Unkundigen-Adligen handelte, dem es gefallen hätte, den Thron der Feen anders besetzt zu sehen, womöglich von sich selbst. Der Schwarzgewandete schwang sich elegant von seinem Pferd und schritt erhobenen Hauptes hinter dem Edelmann her, wobei er eine Aura aus Macht und Bedrohung hinter sich herzog wie einen prächtigen Mantel. Das Gefolge blickte ihm nach, als er zwischen den Zelten verschwand. Ratlos warteten die Männer eine Weile, unschlüssig, was sie nun tun sollten. Dann stiegen aus sie ab und mischten sich unter Ovidaols Gefolge. Niemand hinderte sie daran. Denn beide Gruppen waren sich ähnlich, und keine Feindschaft herrschte zwischen den Dienern zweier Magier, die die Weltherrschaft wollten und darum wetteifern würden. * Drei Tage blieb der Schwarze Meister nun schon verschwunden, und Gor begann, sich zu langweilen. Wenn Ovidaol und sein Gebieter einander in ein magisches Duell oder eine Kraftprobe verwickelt hatten, konnte es durchaus sein, daß Wochen verstrichen, bis einer der beiden aufgab. Der Rotgewandete mochte nicht im Lager des fremden Zauberers bleiben, nicht zwischen all diesen primitiven, dummen ujoray mit ihren ärmlichen Träumen und gierigen Wünschen. Der Rotgewandete sonderte sich ab und verbrachte die meiste Zeit damit, im Windschatten eines Hügels zu hocken, verborgen vor den Blicken der Gefolgsleute im Lager, erbittert auf sein Schwert zu schauen und die Schutzmacht zu verwünschen, die ihn allein gelassen hatte. In den Nächten träumte er seltsame Dinge von grünen Augen, seidigem Haar und samtweicher Haut, die ihn berührte. Die anderen Männer schienen ihn nicht zu vermissen, und niemand ging, um ihn zu suchen. Wahrscheinlich waren sie alle insgeheim erleichtert, daß der Henker sich abgesetzt hatte und legten keinen großen Wert darauf, ihn wieder in ihrer Mitte zu haben. In dieser Nacht hatte Gor seinen Mantel zu einem Bündel zusammengerollt und es sich unter den Kopf geschoben. Über ihm schimmerten die Sterne einer wolkenlosen Nacht und die Sichel des Halbmondes. Der Rotgewandete döste und dachte an das Mädchen, hoffte, daß die zurück gebliebenen Söldner des Schwarzgewandeten das Dorf verschont hatten und wußte nicht so recht, wieso ihn das kümmerte. Nein, das stimmte nicht ganz. Er wußte es schon, er wußte, daß das Dorf ihm egal war und mit den ujoray geschehen sollte, was wollte. Aber nicht diesem speziellen Mädchen. Dieses Mädchen hatte ihn angelächelt. Es gehörte ihm. Es hatte sich ihm mit diesem Lächeln versprochen, und nur der Umstand, daß er sie erschreckt hatte, indem er die Leiche zurückließ, sollte ihn nicht daran hindern, sie bei seiner Rückkehr zu suchen und sie sich zu erobern. Er mußte ganz einfach dieses Mädchen haben. Immerhin war sie ihm ein wenig Aufmerksamkeit schuldig. Es... Ein Geräusch schreckte Gor aus seinen begehrlichen Phantasien auf, aber noch bevor er darauf reagieren konnte, traf ihn etwas, pure, silberne http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Magie, ein starker Bann, der ihn augenblicklich lähmte und bewegungsunfähig machte. Der Meister, durchzuckte es Gor, er hat mich gefunden, und nun wird er mich bestrafen, weil ich ihn enttäuscht habe! Doch es war nicht der Schwarzgewandete. Zumindest nicht der, vor dem Gor sich fürchtete. Das Gesicht einer alten Frau mit wirrem weißen Haar schob sich in sein Blickfeld. Gekleidet war sie in ein mit silbernen Stickereien verziertes schwarzes Kleid und einen ebensolchen, samtenen Umhang. „Ein goala’ay,“ sagte sie verwundert. „Hier draußen? In seinem Gefolge?“ „Gebt Acht, ytrara,“ versetzte eine nervöse kiekende Stimme, und ein pickelgesichtiger Bursche von höchstens fünfzehn Jahren trat an die Seite der Alten. Auch er trug schwarze Gewänder. „Die Burschen sind gefährlich! Im Buch der dreizehn Kreise steht...“ „Der hier ist gebannt,“ unterbrach die Frau beruhigend. „Wie eigenartig und dumm von ihm, so weit entfernt vom Lager zu schlafen.“ „Sollen wir ihn töten?“, fragte eine dritte Stimme, und Gor schielte zur anderen Seite. Ein schwarz gekleideter Mann mit einem breitkrempigen Hut, bodenlos dunklen Augen und einem gepflegten pechschwarzen Vollbart neigte sich über ihn. Es klang nicht, als würde er einen Vorschlag machen, eher, als würde er zweifeln. „Nein, Askyn,“ bestimmte die Alte. „Wir sind keine Mörder wie seinesgleichen. Wir suchen keine Rache. Und unser Weg führte uns nicht wegen seinesgleichen her.“ Nun kniete ein junges Mädchen neben Gor nieder. Ihre Kleider waren nicht schwarz, sondern dunkelblau, ihr Blick ruhte unentschlossen auf seinem Gesicht. Ihre Augen wurden durch dicke Brillengläser unwirklich vergrößert, aber abgesehen davon war sie von bezaubernder Schönheit mit ihrem mahagonifarbenen Haar und den ernsten Zügen. Ich bin umzingelt von Schattentänzern!, begriff Gor voller Grausen. Wo kommen sie her – und wieso habe ich sie nicht bemerkt? Die Alte – die oberste ytrara der Gruppe, wie er vermutete, sang einen zarten Ton, und er spürte, daß er sich wieder ein wenig bewegen konnte. Vorsichtig, und ohne eine hastige Bewegung, setzte er sich auf und sah sich um. Es waren insgesamt fünf Schattentänzer beiderlei Geschlechtes und verschiedenen Alters. Den Ornaten nach waren die alte Frau und der Bärtige hochrangige ytraray, der pubertierende Junge und das Mädchen mächtige Schüler. Im Hintergrund hatte sich noch eine ytrara mittleren Alters gehalten, eine reife, attraktive Frau mit strengen Augen. Gor fürchtete sich nicht vor Schattentänzern, er hatte sie zu Dutzenden getötet, ohne Gewissensbisse dabei empfunden. Seine Magie konnte es mit jedem Schattentänzer der Welt aufnehmen – einmal abgesehen vom Schwarzen Meister. Aber diese Schattentänzer hatten ihn überrascht, und sie waren in der Überzahl. „Es ist nicht wichtig,“ fuhr die alte Meisterin fort. „Ihr wisst, weshalb wir hier sind. Ihr seht, was der Verlorene angerichtet hat. Er muss gestoppt werden, der Wahnsinnige, bevor das Schlimmste geschieht.“ „Aber was macht der goala’ay in seinem Gefolge?,“ fragte der Junge verwirrt. „Die Geschichten sagen doch ganz eindeutig, daß sein Kreis und unserer...“ „Ich ... ich gehöre nicht zu Ovidaols Gefolge!“, stieß Gor hervor. Er hatte das Gefühl, diesen Umstand klarstellen zu müssen, bevor sie über sein Schicksal entschieden. Alle Schattentänzer wandten sich ihm zu. „Zu wem gehörst du denn sonst?,“ erkundigte sich das Mädchen erstaunt. Der Bärtige warf ihr einen mahnenden Blick zu. „Siehst du sein Ornat?,“ fragte er halblaut. „Er ist einer ihrer ytraray.“ „Vergebt mir,“ sagte das Mädchen zerknirscht in Gors Richtung. „Ich wollte es nicht an Höflichkeit mangeln lassen. Doch ich sehe zum ersten Mal einen Eures Kreises.“ „Keine Ursache,“ antwortete Gor verdattert. Es befremdete ihn, daß diese sonderbaren Schattentänzer soviel Wert auf Höflichkeit und Etikette legten, http://home.tiscalinet.de/lamaga
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selbst hier, ungeschützt im Feindesland, gegenüber einem Gefangenen. Ein solcher war er zweifellos. „Ich folge nicht Ovidaol,“ wiederholte er. „Mein Meister ist ein mächtiger Magier, der kam, um Ovidaol zu fordern.“ „Der Narr,“ sagte der Bärtige namens Askyn verächtlich. „Ovidaol fordert man nicht.“ „Laßt uns gehen,“ forderte die ytrara. „Solange wir die Überraschung auf unserer Seite haben, gibt es eine Chance.“ Sie lächelte Gor entschuldigend zu. Und schlug ihn nochmals mit einem Bann nieder, der Gors Bewusstsein traf, betäubte und den goala’ay in einen tiefen, traumlosen Schlaf schleuderte. * Als er wieder zu sich kam, stieg gerade der erste Morgenschein am Himmel auf und machte die Umgebung etwas heller. Gor setzte sich hastig auf und blickte sich um. Es mußten mehrere Stunden vergangen sein, seit die Schattentänzer ihn überrascht hatten. Die Schattentänzer! Wo um alles in der Welt waren sie so lautlos hergekommen, und wie konnte es sein, daß sie kamen und gingen, ohne Spuren zu hinterlassen? Um ihn herum war nirgends auch nur ein Fußabdruck zu sehen, und selbst sein Pferd, das ganz in der Nähe lag und döste, befand sich noch am selben Platz wie am Vorabend, war offenbar nicht einmal aufgestanden, um umherzuwandern. Was wollten die Schattentänzer hier? Waren sie wirklich da gewesen, oder hatte er einen sonderbaren Alptraum gehabt? Und wenn nicht – warum hatten sie ihn nicht getötet, einen einzelnen, überraschten goala’ay? Seinesgleichen hätte im umgekehrten Falle keinen Augenblick gezögert, den verhaßten Todfeind aus dem Weg zu räumen. Die Schattentänzer waren Feiglinge, entschied Gor, ohne sich jedoch darüber zu beklagen, daß er noch lebte. Aber – wenn ihr Kreis zu weich und friedlich war, um einen gefangenen Feind zu richten – was um alles in der Welt wollten sie dann eigentlich hier? Waren sie wirklich so wahnsinnig, daß sie glaubten, Ovidaol bekehren und wieder in ihre Reihen zurückholen zu können? Gor stand auf, packte sein Bündel und ging rasch hinüber zum Pferd, das sich bei seinem Anblick gehorsam erhob und sich von dem Rotgewandeten den Sattel auf den Rücken legen ließ. Nein – so dumm und selbstmörderisch konnten selbst die Schattentänzer nicht sein. Aber dennoch – eine Delegation ihrer mächtigen Meister war hierher aufgebrochen, und unter Umständen hatten sie beabsichtigt, auch den Greis, den das Gefolge in den Bergen aufgegriffen hatte, anzutreffen. Gor überschlug den Gedanken – zwei alte und zwei jüngere ytraray beiden Geschlechtes, dazu ein junger Schüler und eine Schülerin – Vertreter der Schattentänzer-Generationen hatten sich auf den Weg gemacht, um Ovidaol zu konfrontieren. Das war beunruhigend – zumal der alte ytra Mirjaò nicht bei der Gruppe war, um ihre Macht zu ergänzen. Gor schwang sich in den Sattel und jagte in Hast zurück zum Lager. Was immer sich dort zutragen mochte – er mußte den Schwarzen Meister warnen. Es gefiel ihm ganz und gar nicht. * Im Lager fand Gor zu seinem größten Erstaunen alles ruhig vor. Die Söldner beider Seiten saßen beieinander und vertrieben sich die Zeit beim Würfelspiel, tranken, schliefen und starrten abwartend vor sich hin. Ein gedämpftes Murmeln beherrschte den Platz, nur gelegentlich unterbrochen vom knöchernen Klappern der Würfel oder einem metallischen Klirren, wenn ein Gerüsteter sich bewegte. Als der Henker so übereilt ins Lager einritt, wandten sich ihm alle Blicke zu. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Gor versammelte sein Pferd verwirrt, blickte sich dann forschend um und glitt aus dem Sattel. „Warum so eilig?,“ erkundigte sich ein vorlauter Söldner. „Ich vergaß die Zeit,“ log Gor. „Ich fürchtete, meinen Herrn zu versäumen.“ „Dein Herr ist immer noch bei unserem Herrn,“ antwortete der Gefolgsmann Ovidaols. „Es ist nichts vorgefallen, in deiner Abwesenheit.“ „Gut.“ Gor nickte knapp und brachte das Pferd in den Pferch, wo auch die anderen Reittiere untergebracht waren. Er hatte nicht vor, sich seine Unruhe anmerken zu lassen, nicht gegenüber den ujoray. Nun, seinem Gebieter würde er selbstverständlich von dem Auftauchen der Schattentänzer berichten, warnen, um Anweisungen bitten. Auch, wenn seine Rede ein Eingeständnis seiner eigenen Schwäche darstellen würde. * Am Mittag starteten von der Regenbogenburg mehrere Flugeinhörner. Gor und die anderen blickten hinauf zu den bunten Punkten am Himmel und versuchten, Einzelheiten zu erkennen. Ein paar Männer schossen halbherzig Pfeile hinauf zu den Tieren und ihren Reitern, aber sie konnten ihre Ziele bei weitem nicht erreichen. „Feen,“ brummte ein alter Soldat abfällig, der neben Gor stand. „Pack! Alle miteinander.“ „Woher weißt du, daß es die Feen sind?,“ fragte Gor und kniff die Augen zusammen. Er selbst sah nur bunte Punkte hoch am Himmel, die sich mit hoher Geschwindigkeit nordwärts bewegten. „Es sind nur noch Feen und Regenbogenritter da oben,“ erklärte sein Gegenüber. „Abgesehen natürlich von den Menschen. Fünf Feenschwestern regieren über die Burg und befehlen den Rittern. Aber nicht mehr lange. Ovidaol wird sie alle besiegen.“ Gor verzichtete auf einen Kommentar. Natürlich würde es nicht Ovidaol, sondern der Schwarze Meister sein, der den Sieg davon tragen würde. Sobald... Unruhe erhob sich unter den Gefolgsleuten, eine Gasse teilte sich in der Menge, und der Schwarze Meister kam heran, steuerte, ohne jemanden eines Blickes zu würdigen, auf die Pferde zu. Ein Bursche aus dem Gefolge eilte herbei und sattelte in aller Eile das Reittier des Meisters. Die anderen Gefolgsleute nahmen das zum Anlaß, gleichfalls wortlos daran zu gehen, ihre Sachen zusammen zu packen und die Pferde aufzutrensen. Der Schwarzgewandete wartete mit starrem Blick und verschränkten Armen. Er war totenbleich und wirkte abgemagert, krank. Als er schließlich den Sattel bestieg und, immer noch ohne jeglichen Laut, aus dem Lager heraus ritt, folgten ihm seine Leute ebenso still und eilig. Ovidaols Leute gaben keinerlei Kommentar dazu von sich – keinen Ausdruck von Verwunderung oder gar der Freude über den Sieg Ovidaols über den anmaßenden fremden Meister. Gor zierte sich einen Moment, schloß dann aber, wenige hundert Meter vom Lager entfernt, zum Schwarzen Meister auf. Der Schwarzgewandete starrte immer noch ins Leere und schien apathisch. Dann verzogen sich seine Lippen zu einem Grinsen. Zu Gors Überraschung begann sein Gebieter, zu kichern, zunächst nur leise und beherrscht – dann laut und gellend. Ein wahrer Heiterkeitsausbruch erfaßte den Zauberer und ließ seine Gefolgsleute befremdete Blicke miteinander wechseln. „Habt ... habt Ihr ihn besiegt?,“ fragte Gor vorsichtig. Der Schwarze Meister wischte sich Lachtränen aus den Augen. „Besiegt,“ prustete er, „besiegt? Nein. Nein – es ist nicht mir bestimmt, ihn zu besiegen. Das sagt die Widermacht.“ „Die Widermacht?“ „Die Widermacht forderte mich auf, das Duell zu beenden und mich zurückzuziehen,“ erklärte der Schwarze Meister leutselig. Offenbar gefiel es ihm, daß die Widermacht ihm direkte Anweisungen erteilte. „Für den Moment. Bevor wir erneut zuschlagen können. Das wird ihn verwirren." http://home.tiscalinet.de/lamaga
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„Ich verstehe,“ behauptete Gor unbehaglich und verwirrt. Wenn die mächtige Widermacht, der der Schwarze Meister gehorchte und deren Befehle er ausführte, wollte, daß er seine Pläne zur Übernahme des Ovidaol’schen Werkes zurückstellte, dann mochte das bedeuten, daß das Wesen selbst andere Pläne mit ihnen allen hatte. Mit dem Schwarzgewandeten, seinem neuen Körper – und mit Ovidaol, der schon so weit gekommen war. Vielleicht gehörten sogar die Schattentänzer zum Plan des Widerwesens, ohne es zu ahnen. Vielleicht waren sie Werkzeuge des Widerwesens, gegen Ovidaol eingesetzt, um seine Position zu verändern – und den Weg für den Schwarzen Meister zu ebnen? Wer konnte das wissen? „Ich ...,“ wollte Gor gerade seine Begegnung mit den Dunklen Magier beichten – da gleißte am Himmel ein grelles Licht auf, und mit einem ohrenbetäubenden Dröhnen und Pfeifen raste ein Objekt über das Gefolge hinweg, trudelte und schnellte auf die Burg zu. Die Pferde gingen durch, und für einige Minuten hatten die Männer Mühe, abzubremsen und wieder in die Gruppe zurück zu finden. „Was war das?,“ stotterte Gor erschüttert, als er sein nervöses Pferd wieder neben den Schwarzgewandeten lenkte und starrte über die Schulter zurück. Der Schwarze Meister kicherte und schlug Gor kameradschaftlich auf die Schulter. „Sobald wir wieder bei unseren Leuten sind,“ versprach er Gor jovial, „trinken wir gemeinsam auf unseren baldigen Sieg. Und nun laß uns schleunigst hier verschwinden – hier brechen bald andere Zeiten an!“ * Gor sorgte sich ein wenig darüber, was das Gefolge wohl während der Abwesenheit des Schwarzgewandeten unternommen hatte. Ohne, daß er eine vernünftige Begründung für sein Mißtrauen gehabt hätte, machte er sich Gedanken, ob es wohl weitere Übergriffe auf das Dorf gegeben haben mochte und ob sie mehr als puren Sachschaden zur Folge gehabt haben mochten. Seine Bedenken erwiesen sich als zumindest zum Teil gerechtfertigt, als die im Lager zurückgebliebenen Männer auf Befragen des Meisters bekannten, sich von den Dörflern Nahrungsmittel-Nachschub besorgt zu haben. Tote habe es bei den Überfällen zwar nicht mehr gegeben, wohl aber eine Handvoll leicht bis mittelschwer Verletzter. Der Schwarze Meister tadelte die Männer streng für ihre Eigenmächtigkeit, ließ sie aber am Leben – für Gor ein klarer Hinweis darauf, daß er im Grunde befürwortete, was sie getan hatten. Es war in dieser Phase des Unternehmens wichtig, das Bild aufrecht zu erhalten, das der Schwarze Meister repräsentieren wollte, und sei es nur einer Schar hinterwäldlerischer ujoray gegenüber. Die Eroberung im großen Stile würde folgen – sobald das Widerwesen das Zeichen dazu gab. „Was soll ich machen, Gor?,“ fragte der Schwarze Meister und zuckte die Achseln, „Sie tanzen mir auf der Nase herum. Ist die Katze aus dem Haus – du weißt schon. Aber solange es sie für den Moment ablenkt – es soll mir Recht sein. Wir müssen warten.“ „Ich verstehe, Herr,“ sagte Gor neutral. „Aber – worauf warten wir?“ „Darauf, daß Ovidaols Position im Weltenspiel sich ganz entscheidend ändert,“ erklärte der Schwarze Meister redselig, was unter Umständen an den Bechern gestohlenen Weines lag, die er bereits geleert hatte. Gor mochte es ihm nicht unterstellen, aber es kam ihm fast so vor, als wolle der Schwarzgewandete sich betrinken. „Das Widerwesen sieht eine Umverteilung der Rollen vor. Wir sind etwas zu früh gekommen mit unseren Forderungen. Wir müssen noch Geduld haben. Bald ist der Zeitpunkt günstiger. Zunächst müssen – gewisse Dinge geschehen.“ Er stellte den leeren Becher auf dem Tisch ab und starrte ins Leere, ohne den Kopf noch einmal zu heben. Der Schwarze Meister war hinweg gesunken in seine ganz private, schwarze Welt. Gor wartete einige Minuten und zog sich dann leise zurück. * http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Es dauerte eine Weile, bis er das Mädchen fand. Sie kniete im lichten Wald an einem murmelnden Bach und versuchte, Wäsche zu waschen. Sie schien große Mühe damit zu haben, schlug mit verbissener Miene mit einem Stein auf weißes Leinen und rubbelte den nassen Stoff energisch auf ihrem Waschbrett. Als sie den Reiter näher kommen hörte, schrak sie auf und sprang auf die Füße. Sie war allein. Wieder war sie allein. Warum nur ließen die ujoray sie unbeaufsichtigt in der Nähe der Feinde umherlaufen? Gor hob die Hand und fing gebieterisch ihren Blick ein. Das Mädchen wagte nicht, zu schreien, und auch fortlaufen konnte sie nicht mehr. Der Blick des Rotgewandeten bannte sie fest. „Ich will dir nichts antun,“ sagte Gor vorsichtig. Mißtrauen flutete von ihr aus und ließ ihn frösteln. Er schwang sich aus dem Sattel und landete weich auf dem Boden. Das Pferd blieb gehorsam mit hängenden Zügeln stehen. „Schau,“ sagte er und deutete ins Wasser, „der Bach trägt deine Wäsche fort.“ Sie folgte seinem Fingerzeig, kniete sich dann hin und fing das weiße Stück Stoff wieder ein. Als sie aufblickte, hatte er sich ihr gegenüber am anderen Ufer des Baches auf ein Knie niedergelassen und beobachtete sie forschend. Sie verschloß ihre Miene und schaute ausdruckslos zu ihm hin. „War es dein Geliebter?“, fragte Gor leise. Sie brauchte einen Moment, bis sie seine Frage begriff. „Mein Bruder,“ hauchte sie verschüchtert. Gor nickte. In seinem Innersten war er erleichtert über ihre Antwort. Hätte er unwissentlich den rechtmäßigen Gefährten derer umgebracht, die er begehrte – es hätte die Dinge unnötig kompliziert. „Das konnte ich nicht wissen,“ sagte er. Ihr Blick wurde hart. „Hätte es ihn gerettet?“ Gor schüttelte den Kopf. „Nein.“ Sie seufzte vor Anspannung. „Was macht es dann für einen Unterschied?“, fragte sie mit einer scheuen Wut in ihrer Stimme. „Es tut mir leid,“ fuhr er fort. „Er kam uns in die Quere.“ Sie wartete, aber er sprach nicht weiter. „Wer seid ihr?“, fragte sie dann mutlos. „Was haben wir euch angetan, daß ihr uns so quält?“ Gor dachte über diese Frage nach. Nun, sie waren ujoray, unwichtiges Ungeziefer auf der Straße, die sein Herr beschritt. Aber er begriff, daß das keine Antwort sein konnte. „Warum habt Ihr mich damals gerettet?,“ fragte sie leise, aber er hörte, daß sie die Antwort nicht wirklich hören wollte. „Warum habt Ihr meinen Krug heil gemacht? Warum seid Ihr anders als die anderen?“ „Bin ich das?,“ fragte er erstaunt. Sie nickte. „Ihr habt ein schlechtes Gewissen,“ antwortete sie schlicht und sehr, sehr leise. „Etwas in Euch sagt Euch, daß Ihr auf dem falschen Weg seid. Ihr seid noch nicht vollkommen verloren.“ Er lachte spöttisch, aber in seinem Lachen lag Unsicherheit. Er fühlte, daß sie es spürte, oh, dieses schlaue, listige Mädchen. Sie hatte ihn viel tiefer durchschaut als sein Gebieter. „Ich bin zu mächtig,“ behauptete er, „als daß ich verloren sein könnte.“ „Schon,“ gab sie zurück und erhob sich langsam. „Aber Ihr seid unschuldiger als die anderen. Warum, sagt es mir, warum habt Ihr mich beschützt?“ Gor nahm allen Mut zusammen, den er aufbringen konnte. „Du gefällst mir,“ sagte er dann direkt. „Ich will, daß du mir gehörst.“ Sie nahm ihren Wäschekorb an sich und zog sich einen Schritt weit zurück. In ihren grünen Augen flackerte nun Angst. „Warum nehmt Ihr mich dann nicht?,“ fragte sie mit zitternder Stimme und besinnungslosem Mut. „So, wie es die anderen mit uns taten?“ http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Gor schüttelte den Kopf und versuchte flehend, ihren Blick zu fesseln. „Weil ich es anders haben will,“ antwortete er. „Nicht so.“ Sie schenkte ihm einen erstaunten Ausdruck aus skeptischen Augen. Dann wirbelte sie herum und rannte mit ihrem Korb davon. „Warte!“ Gor sprang auf die Beine und wollte ihr nachlaufen, aber sein Fuß verfing sich an einer Wurzel unter dem Laub, und er fiel der Länge nach in das klare Wasser des Baches. Bis der Rotgewandete sich erhoben hatte, war das Mädchen schon mit einem guten Vorsprung davongelaufen. Gor seufzte und stakste mit triefenden Gewändern ans andere Ufer, dorthin, wo sie mit dem Wäschekorb gestanden hatte. Ein Kleidungsstück lag im Laub. Als er es aufhob und betrachtete, stellte er fest, daß er ein feines Leinenröckchen in der Hand hielt – ein Röckchen, aus dem sie versucht hatte, Blut heraus zu waschen. * Als Gor ins Lager zurückkehrte, raste er vor Wut. Alles, alles hatten sie kaputt gemacht, und er wollte sie dafür büßen lassen. Er brauchte nicht lange zu suchen, um die in seinen Augen Verdächtigen zu finden. Immerhin war er ein Zauberer, und die ujoray dachten so laut, daß er ihre mentalen Stimmen beinahe voneinander unterscheiden konnte, als er in ihre Nähe kam. Er wußte, auf welche Signale er zu horchen hatte. Keiner von diesen Burschen konnte ihm etwas vormachen. „Wer von Euch war es?,“ brüllte er ein Grüppchen von Gefolgsleuten an, die beim Spiel zusammen im Schatten der Dattelpalmen saßen, „Wer von Euch hat seine Gier nicht im Zaum halten können?“ Die Männer wechselten verdutzte Blicke, als sie den wutschnaubenden Magier so aufgebracht vor sich sahen. Einer von ihnen verriet sich sofort durch ein Bild, das seine Gedanken durchschoß. Gor holte mit der Peitsche aus, die er bei sich getragen hatte und schlug den Übeltäter. Alarmiert sprangen die anderen auf und versuchten, Abstand zwischen sich und den rasenden Rotgewandeten zu bringen, der wie von Sinnen schien und brutal auf den Söldner einprügelte, der sich am Boden zusammen gekrümmt hatte und versuchte, den Kopf mit den Armen zu schützen. Die Lederpeitsche riß sein Hemd in Fetzen und schnitt tief in die Haut. „Aufhören!,“ quietschte er mit hoher Stimme, „was... nein! Nein! Hilfe!“ „Nicht die Frauen,“ schäumte Gor, und seine Augen waren glasig, „die Frauen sind nicht für euch! Nicht so!“ In die Gruppe kam Bewegung, unschlüssig versuchten sie halbherzig, den Rotgewandeten zu stoppen, konnten sich ihm aber wegen des wild hin und her sausenden Leders nicht nähern. „Meister Gor,“ versuchten besonnenere von ihnen, ihn anzurufen, „haltet ein! Nehmt doch Vernunft an!“ Aber Gor hörte sie nicht. Er wollte töten, egal, was danach mit ihm geschehen mochte. Sein Haß war so mächtig, daß er ihn zerreißen würde, wenn er sich nun nicht abreagieren konnte. „Gnade,“ wimmerte der Geprügelte, „ich ... es...“ Gors Augen verschwammen in ekstatischen Tränen. Oh ja, das hier war gut. Dreckige ujoray, die um Gnade bettelten, die er ihnen nicht gewähren würde. Ujoray, die das heilige Geheimnis des ewigen Kreises besudelt hatten. Kein goala’ay durfte das dulden. Den Tod, das Töten, das Auslöschen – das war richtig. Aber was dieser hier getan hatte... „Gor!“, donnerte gebieterisch die Stimme des Schwarzgewandeten, und Gor spürte Magie durch seine Hand zucken. Die Peitsche hatte sich in eine giftige, rote Schlange verwandelt. Der Schock riß Gor aus seiner Besessenheit, und er schleuderte das Reptil geistesgegenwärtig von sich. Es landete vor den Füßen des Schwarzgewandeten und wurde von ihm zertreten, noch bevor es sich davonschlängeln konnte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Betroffenes Schweigen dröhnte in Gors Ohren, und die Augen einer anonymen Masse musterten ihn wie einen Wahnsinnigen. „Ich entscheide, wenn du züchtigst,“ erinnerte der Schwarze Meister den Rotgewandeten ernst. Gor sank auf die Knie. „Verzeihung,“ murmelte er. Der Schwarze Meister wiegte sein Haupt. „Was ist bloß los mit dir in den letzten Tagen, mein alter Freund?,“ fragte er heuchlerisch bekümmert. Gor deutete anklagend auf den Geprügelten, der ächzend versuchte, aus dem Kreis zu kriechen. „Sie haben nicht nur Essen genommen,“ erklärte er. „Sie haben die ujorayFrauen geschändet. Ohne Eure Order.“ Der Schwarzgewandete lächelte fein. „Woher weißt du das, Gor? Hast du denn mit ujoray gesprochen? Ohne meine Order?“ Gor errötete ertappt. „Mir scheint, du neidest den braven Männern hier den Spaß, der dir versagt ist – Zauberer.“ Gor schüttelte den Kopf und biß sich auf die Lippen. „Ich bin kein unfähiger Schattentänzer. Ich könnte es haben,“ sagte er leise, bemerkte seinen Fehlgriff und biß sich fest auf die Lippen. „Was hindert dich?,“ fragte der Schwarze Meister unbeirrt. Gor blickte sich unbehaglich um. „Muß ich es vor den anderen sagen?“ Der Schwarzgewandete lächelte immer noch. Die Verlegenheit seines Henkers amüsierte ihn. „Was für eine Grenze hält dich davon ab, deiner Natur zu folgen, Meister Gor? Sag es uns.“ Gor sank zusammen, und aus der Finsternis seines Herzens kämpfte sich eine Lehre hervor, die schon längst vergessen geglaubt war im Kreis der Todesmeister. „Wir geleiten über die Grenze,“ murmelte er und erinnerte sich an vergessene, bedeutungslos gewordene Worte. „Wir bewachen das Licht hinter den Träumen. Aber wir beschützen auch den Beginn, den Neuanfang, mit dem jeder Kreis sich neu erschließt. Und jeder Beginn muß von Liebe bedingt werden.“ Die Gefährten murmelten verwirrt. „Von Liebe?,“ fragte der Meister gedehnt. „Haß und Abscheu begründen keine guten Kreise,“ fuhr Gor verlegen fort, obgleich er spürte, auf welchem gefährlichen Grund er nun ging. „Kreise, die mit Haß beginnen ...sind... sind...“ Der Schwarze Meister lachte und wandte sich ab. „Die Hitze bekommt dir nicht, Gor. Du bist ein Zauberer und beginnst, Liebe zu verteidigen? Leg dich in den Schatten, Gor. Ruh dich aus. Und merk dir: Liebe ist eitler Tand für kleine, unkundige Leben. Laß dich nicht ablenken von unserem großen Ziel – und besinne dich auf deine Pflichten.“ Gor verneigte sich zerknirscht. „Ja, Herr,“ antwortete er niedergeschlagen. „Und komm heute Abend in mein Zelt,“ forderte der Meister ihn auf. „Ich habe einen Auftrag für dich.“ Gor beeilte sich, in den Schutz seines eigenen Zeltes zu flüchten, weg von den neugierig gaffenden Gefolgsleuten, weg vom misstrauisch spottenden Schwarzen Meister. Nur ein paar Stunden allein sein, die Gedanken sammeln und die richtige Entscheidung treffen. An diesem Tag errichtete Gor keinen Altar für das Licht im Staub seines Fußbodens. Heute lag er auf seiner Schlafmatte und schmiegte verbittert weinend die Wange an ein nach Seife duftendes Stückchen Leinen. *
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Am Abend schlich Gor um das Zelt des Schwarzen Meisters herum wie ein geprügelter Hund. Er versuchte, die hämischen Blicke und spöttischen Kommentare der Gefolgsleute zu ignorieren, die hinter seinem Rücken zu tuscheln begannen, sobald er sie nicht mehr im Visier hatte. Keiner wagte es, ihn unmittelbar zu provozieren, aber ihm war klar, daß sie wußten, wie schwach und ungeschützt er nun war. Er hatte lange Zeit darüber nachgedacht, den Befehl seines Meisters zu missachten, sich zu verstecken, wegzulaufen, um seiner Bestrafung zu entgehen. Aber er hatte sich letztlich klar gemacht, daß all diese Gedanken müßig waren, daß es kein Entrinnen gab vor dem wachsamen Geist des Schwarzgewandeten, und daß es nur eine Möglichkeit gab, vor ihm zu bestehen. Nämlich die, im Staub zu kriechen und das Herz wieder zu verschließen vor dem Verlorenen Wissen, daß er irgendwo in den tiefen seines Selbst aufgestöbert hatte. Gor wußte, daß der Blick, das Lächeln und die ernsten Worte des Mädchens in ihm etwas aktiviert hatten, das die uralten, die wahren goala’ay gekannt und geschätzt hatten. Aber er wußte auch, daß es nicht richtig war, wie er damit umging. Es war nicht damit getan, Liebe zu begehren und besitzen zu wollen. Er wollte etwas an sich reißen, etwas erbeuten, das ihm gehören sollte, das ihn glücklich machen sollte. Ob das Mädchen seine unbeholfenen Gefühle akzeptierte – oder ob sie nicht in irgendeinem anderen Menschen bereits einen Geliebten gefunden hatte – das war für Gor bedeutungslos. War das Liebe? War es vielleicht nur eine außer Kontrolle geratene und sonderbar maskierte Lust? Gor wußte es nicht, aber es machte ihm Angst. Der Rotgewandete hatte in der uralten Erinnerung seines Volkes einen Zauber entdeckt, den er nicht zu benutzen und einzuschätzen wußte, und ihm war klar, wie stümperhaft er damit umging. Andererseits missfiel selbst dieser unfähige Umgang mit dem verdrängten Aspekt von Gors Menschen-Selbst dem Schwarzen Meister, und er würde ihn dafür bestrafen, wenn er daran festhielt. Gor schauderte, fasste sich dann ein Herz und trat entschlossen in das Zelt des Schwarzen Meisters. Der Magier, durch den das Widerwesen handelte, plante und spann, blickte auf, als der Henker zögernd vor den Tisch trat. Darauf waren strategische Karten ausgebreitet, aber Gor sah weder Zirkel noch Kohlestift noch Modellfiguren, die auf irgendeine Form der Planung weiterer Aktivitäten bezüglich der Regenbogenburg hinwies. Undeutlich spürte er jedoch auch, daß ihn all das bald nichts mehr angehen würde. „Setz dich, Gor,“ forderte der Schwarze Meister ihn auf und deutete einladend auf einen freien Stuhl sich gegenüber. Gor ließ sich vorsichtig am äußersten Rand der Sitzfläche nieder und blickte seinem Gebieter bang in die Augen. Noch nie war er aufgefordert worden, sich in seiner Gegenwart hinzusetzen. Der Schwarze Meister legte die Fingerspitzen aneinander, stützte die Ellbogen auf den Tisch und betrachtete Gor nachdenklich über die Hände hinweg. „Du hast versucht, deine alte Schutzmacht zu beschwören, Gor,“ sagte er dann. „Mehrfach.“ Gor entspannte sich ein wenig. Sollte das der Grund für seine Audienz sein? „Ich war im Zweifel,“ sagte er leise. „Ich hatte Fragen.“ „Fragen, die du nicht mir stellen konntest? Ich bin deine neue Schutzmacht!“ „Ich wollte Euch nicht belästigen,“ log Gor ungeschickt. „Es schien mir so – privat zu sein.“ „Du bist mein Gefolgsmann, Gor,“ versetzte der Schwarze Meister streng. „Es gibt keine privaten Fragen mehr. Nur noch mich und meinen Plan. Du hast keine alten, verbrauchten und schwachen Schutzmächte mehr zu beschwören. Hast du das verstanden?“ Gor nickte. „Ja, Herr,“ antwortete er kleinlaut. „Gut,“ schloss der Schwarze Meister. „Dann will ich dir diesen kleinen Rückfall nachsehen. Es hätte ohnehin keinem Zweck für dich. Wenn es http://home.tiscalinet.de/lamaga
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tatsächlich so etwas gibt wie eine Schutzmacht der goala’ay – dann verabscheut sie dich, Gor. Dich und alle deines Kreises. Denn ihr alle seid feige Verräter an ihr geworden.“ „Ja, Herr,“ wiederholte Gor und schluckte einen schwachen Protest. „Und nun zu deinem neuen Hobby, Gor,“ fuhr der Schwarze Meister fort und setzte die Maske eines väterlichen Lächelns auf. „Offenbar weißt du im Moment nicht so recht, wohin mit ... mit gewissen Energien. Wann hast du zuletzt den Akt vollzogen, Gor?“ Gor senkte den Blick. „Niemals,“ murmelte er dann. „Unseresgleichen... wir tun es nicht.“ „Weil ihr es nicht dürft – wie meinesgleichen – oder weil ihr es nicht wollt?“ „Weil wir es nicht ... benötigen,“ erklärte Gor verlegen. „Kein Wunder,“ schmunzelte der Schwarze Meister amüsiert, „kein Wunder, daß dieses Weibsbild aus dem Dorf dich so entzückt hat. Ein wirklich hübsches Kind. Es ist keine Schande, daß dein Verlangen so sehr außer Kontrolle geraten ist.“ Gor blickte misstrauisch auf. „Woher wisst Ihr davon?“ „Nun, ich habe es sofort bemerkt,“ antwortete der Schwarzgewandete schlicht. „Du brauchst dich nicht zu schämen, Gor. Ich lese deine Gedanken und wollüstigen Träume wie ein unzüchtiges offenes Buch.“ „Oh,“ machte Gor und errötete, „aber...“ „Im Prinzip,“ unterbrach ihn der Schwarzgewandete, „hätte ich nichts dagegen, wenn du ab und zu ins Dorf rittest und dir dort das Vergnügen verschaffst, das ich auch den anderen Männern gönne. Aber du bist keiner von den anderen Männern. Du bist mein engster Vertrauter, meine rechte Hand. Ich benötige deine volle Aufmerksamkeit, damit ich meine Mission zum Ruhm des Widerwesens, der einzig wahren Schutzmacht, zufriedenstellend abschließen kann. Und deshalb muss ich dir vertrauen können, Gor. Bedingungslos. Das verstehst du doch?“ Gor nickte. „Ihr wisst, daß ich euch nicht verrate, Herr,“ sagte er leise. „Beweise es mir, Gor. Zu deiner und meiner eigenen Beruhigung – liefere mir den Beweis deiner Treue. Zeige mir, daß ich keinen Verräter in meinen Reihen habe.“ Gor spürte, wie sein Herz sich schmerzhaft zusammenzog, als er das giftige Lächeln in der Stimme des Schwarzgewandeten an sich heran ließ. „Wie?“, fragte er fast unhörbar. Der Schwarze Meister lehnte sich zurück, die Hände auf den Lehnen und ein gefälliges Strahlen im Gesicht. Doch seine Augen waren kalt und starr, als sie den Rotgewandeten zu Boden zwangen. „Bring sie her,“ forderte er. „Töte sie. Zeig mir, daß du sie nicht brauchst – sondern einzig und allein mich und die Widermacht.“ Gor keuchte lautlos und starrte erschrocken in das bodenlose Eis. „Dein Treuebeweis, Gor,“ wiederholte der Schwarzgewandete freundlich. Und der Rotgewandete hörte seine eigene Stimme, losgelöst von seiner Zunge, antworten. „Ja – Herr.“ * Gor hatte folgsam zu sein. Ganz zweifellos würde ihm keine andere Wahl bleiben, als dem Auftrag des Schwarzen Meisters zu gehorchen. Es gab überhaupt keine andere Alternative. Gor war betrunken. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er es gemacht wie die Unkundigen, hatte sich an dem abscheulichen, billigen Schnaps vergriffen, den das Gefolge in kleinen Fässern mit sich führte und so viel davon getrunken, daß er sich selbst betäubt hatte damit. Gerade soviel, daß sein Geist in eine dumpfe Benommenheit gefallen war, sein Körper ihm aber noch gehorchte. Gor durfte nicht versagen, bei dem, was er nun tat. Sonst würde es unangenehm werden – für ihn selbst und für das Mädchen. Das http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Mädchen, das doch überhaupt keine Schuld an dem trug, was hier und jetzt geschah. Selbst das Pferd schien Gor vorwurfsvoll anzublicken, als er sich am frühen Morgen auf den Weg machte. „Los,“ brummte Gor undeutlich und trieb den Fuchs halbherzig an, „zum Dorf. Du kennst den Weg.“ Das Tier trottete los, und Gor wunderte sich darüber, daß er mit dem Roß gesprochen hatte. Mit einem dummen Tier. Es war ein strahlender Sommermorgen, und es würde sehr heiß werden, wenn die Mittagszeit kam. Nur wenige Wattewölkchen zogen langsam als dekorative Tupfer am blauen Himmel dahin, in den Bäumen zwitscherten Vögel, und Schmetterlinge gaukelten von einer Blüte zur nächsten. Es war so schön in dieser Welt, daß es kitschig wirkte und dem Rotgewandeten Übelkeit verursachte. Vermutlich würde das nun ewig so bleiben, und der Anblick von Blumen in ihm stets Assoziationen mit billigem Fusel auslösen. Als er noch halbwegs nüchtern gewesen war, hatte er in seinem Zelt gesessen und versucht, sich an das Gerede das Schwarzgewandeten von dem großen Ziel und der Glorie des Widerwesens zu entsinnen, aber mehr und mehr waren ihm diese Worte erschienen wie hohle Hülsen, die für niemand anderen als den Meister selbst und vielleicht noch nicht einmal mehr für ihn einen Sinn ergaben. Gor erinnerte sich nicht, wie lange der Schwarzgewandete noch versucht hatte, ihn zu bereden. Irgendwann, als er ihn so weit verwirrt und verunsichert hatte, daß Gor ihm beim besten Willen nicht mehr zuhören konnte, hatte er ihn entlassen und ihm angeraten, sich zur Ruhe zu begeben und sich für die wichtige Aufgabe des nächsten Tages zu rüsten. Gor hatte ihm nur zur Hälfte gehorcht, hatte sich das Fäßchen Schnaps aus dem Vorratszelt geholt und seine Feigheit ertränkt. Irgendwann war er sogar so weit gegangen, das Schwarze Schwert seines Kreises verächtlich in den Boden zu stoßen und es zu beschimpfen. „Wieso,“ hatte Gor die Waffe angeklagt, „wieso hast du das zugelassen? Wieso hast du es nicht verhindert? Wieso – wieso bist du nicht gekommen, als ich dich brauchte?“ Das Schwert war natürlich stumm geblieben, hatte nur da gesteckt und Gor angewidert beobachtet. „Natürlich,“ hatte Gor gemurmelt, „ich bin es gewesen, der dich verraten hat, wir alle haben deine Macht genommen und dich dann von uns gestoßen. Aber ich weiß doch nicht, wie man bereut! Ich weiß doch nicht, wie es richtig ist! Wie du es haben willst!“ Das Schwert lauerte misstrauisch. Gor trank und schaute es feindselig an. Was nützte ihm dieses mächtige Instrument, diese Insignie, vor der einst alle Welt Respekt und Vertrauen gehabt hatte, wenn es in seinen Händen nur noch eine Mordwaffe war? Wieso hatte ihn nie jemand gelehrt, wie man es im Sinne des Lichtes benutzte? Einige Becher später war Gor aus seiner Trunkenheit kurz aufgeschreckt, und als er zum Schwert hinschaute, schien ein matter rubinfarbener Glanz von der Klinge auszugehen. Auf dem Schwertheft saß festgekrallt ein Falke und blinzelte mit mitleidigen roten Augen auf den erbärmlichen, besoffenen goala’ay hinab. Gor sank zurück in die Schwärze der gnädigen Taubheit. Als er erwachte, war der Falke fort, ein Hirngespinst, vom Schnaps erschaffen. Und das Schwert war nur eine wertlose Klinge aus Metall ohne jede Magie. Nun ritt Gor den Weg ins Dorf entlang und konnte nach und nach wieder klare Gedanken fassen. So wußte er, daß er verfolgt wurde, daß ihm geschickte Späher des Schwarzgewandeten in sicherem Abstand folgten, und zwar so, daß er sie nicht bemerken würde, selbst, wenn er nach ihnen suchte. Er hatte das Mädchen zu bringen und dem Widerwesen zu opfern. Und damit, das wußte er, würde er jede Chance vertun, jemals wieder vom Licht anerkannt zu werden. Wieso fürchtete der Schwarzgewandete die Liebe? War das, was mit ihm geschah, nur eine weitere sadistische Quälerei eines gelangweilten und beleidigten Despoten, der die Niederlage gegen Ovidaol nicht verkraftete? War diese kleine, unglückliche und durch und durch einseitige Romanze allen http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Ernstes wichtig genug, daß der Schwarzgewandete sich so daran stören konnte? Gor wußte es nicht. Aber er wußte, daß er das Mädchen nicht retten konnte, und schlimmer noch – daß er ihr Schicksal war. Es wäre besser gewesen, hätte ich an jenem Morgen in eine andere Richtung geblickt, sinnierte er. Besser, die Pferde hätten sie sogleich niedergetreten. Niemals hätte ich sie sehen dürfen. Niemals diese grünen Augen und das schwarze Haar. Selbstmord? Für einen Augenblick dachte Gor ernsthaft darüber nach, ob es Rettung für das Mädchen bedeuten würde, wenn er selbst freiwillig aus dem Leben schied, bevor man ihn zwang, zu töten. Rasch, bevor seine Verfolger ihn daran hindern konnten. Nein! Hand an sich selbst zu legen war den goala’ay streng verboten. Gor erinnerte sich an die Lehren der Meister, die er als Jugendlicher gehört hatte. Es hieß, daß ein goala’ay, der sich selbst durch sein eigenes Schwert richtete, den Kreis zerschlug und beendete. Das durfte niemals geschehen. Ein Ausbrechen aus dem Kreis war nicht gestattet, niemandem, keinem Magier. Man sah ja, wie es bei Ovidaol und dem Schwarzgewandeten endete. Gor wußte, wie er sich entscheiden musste. Und was er im Anschluß daran zu tun hatte. Dafür brauchte er weder einen Befehl des Schwarzgewandeten noch einen Ratschlag des Lichtes. Nur sich selbst. Das Mädchen war im Garten damit beschäftigt, Brombeeren von einem Busch in ein Schüsselchen zu pflücken. Als sie den Reiter hörte, blickte sie aufmerksam auf. Diesmal versuchte sie nicht, wegzulaufen. Gor seufzte. Wäre sie vor ihm geflohen – die Sache wäre einfacher gewesen. „Hallo,“ sagte er und hielt sein Pferd vor ihrem Zaun an. Sie antwortete nicht. In ihren Augen flackerte Misstrauen. „Du hast das hier im Wald verloren,“ sagte er und hielt ihr das Röckchen entgegen. Sie stutzte und streckte zögernd die Hand danach aus. „Danke,“ sagte sie verwirrt. Gor schloß die Augen. „Vergib mir,“ würgte er hervor. Dann packte er ihren Oberarm, riß sie über den Zaun hinweg zu sich in den Sattel, hieb dem Pferd die Fersen in die Flanken und sprengte davon. Die Schüssel mit den Beeren und der Unterrock glitten zu Boden und sollten das letzte bleiben, was den ujoray später von dem Mädchen blieb. Das Mädchen war so erschrocken, daß es erst Sekunden später schrie. Er klammerte sie mit unnachgiebigem Griff an sich, spürte, wie sie sich wehrte und berührte ihr seidiges Haar und ihre weichen Brüste beim Versuch, sie zu halten. „Vergib mir,“ wiederholte er kläglich. Aber in ihrem Kampf bemerkte sie weder seine Stimme noch seine Tränen. * Gor hatte nicht vor, dem Schwarzen Meister viel Freude an seinem makaberen Spiel zu gönnen. Dazu war er viel zu wütend. Er wollte es schnell hinter sich bringen und dem Mädchen so viel an Leid ersparen, wie nur möglich war. Er wunderte sich nicht einmal über diese sonderbaren Gefühlsanwandlungen, die ihn überkamen, nicht darüber, daß er, der sonst einen großen Teil seiner persönlichen Verwirklichung aus besonders ausgefeilten Methoden des Tötens bezog, dem Mädchen alles ersparen wollte, was es beängstigen und verstören könnte. Sie hatte kaum noch die Kraft, sich gegen seinen Griff zu wehren, der noch nie einem Opfer nachgegeben hatte, wie verzweifelt es sich auch gewehrt haben mochte. Sie schrie auch nicht mehr. Ihre Stimme war zerrissen und erschöpft, und alles, was sie noch von sich geben konnte, war ein sinnloses Wimmern. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Anzügliche Bemerkungen wurden ihm von den Männern ringsum zugeworfen, als er das Mädchen ins Lager schleppte, eine neugierige Menschenmenge sammelte sich um ihn und folgte ihm bis vor das Zelt des Schwarzen Meisters. Gor zögerte. Hinter sich wußte er die Gefolgsleute – grobe, dumme Männer, die ihn verabscheuten und nur auf eine Gelegenheit warteten, ihm eins auswischen zu können. Vor sich, im Zelt, wartete der Schwarze Meister wie eine Spinne, der er eine Mahlzeit servieren sollte. Das Mädchen schluchzte, und er wollte sie wieder auf das Pferd heben und mit ihr davon reiten, weit, weit fort, weg vom Schwarzen Meister und seinem irrsinnigen Weltenherrschafts-Wahn. Weg vom allmächtigen Widerwesen, weg vom schweigenden Licht. Er wollte mit ihr zusammen irgendwo, in sicherer Entfernung, ganz von neuem beginnen. Ganz von vorne... Sei nicht dumm, wies Gor seine Phantasie in ihre Schranken. Du würdest keine zwanzig Meter weit kommen. Sie würden dich umbringen, noch bevor du die Zügel aufnehmen könntest. Und was soll dann mit ihr geschehen? Willst du sie ihm überlassen? Der Schwarze Meister brauchte ihn nicht, um zu töten. Aber er brauchte ihn, um sich zu amüsieren. Gor drückte das wehrlose Mädchen an sich. Immerhin sollte es keine besonders gelungene Vorstellung werden. „Ruhig,“ flüsterte er dem Mädchen ins Ohr. „Beruhige dich. Je weniger du dich wehrst, desto angenehmer wird es sein.“ Sie starrte ihn blind an. Gor erinnerte sich, erinnerte sich an längst vergessene Magie, und sein Herz schmerzte wie von glühenden Nadeln durchbohrt. „Vergib mir,“ krächzte der Zauberer mit brüchiger Stimme und näherte sein Gesicht dem ihren. „Ihr... Ihr seid betrunken,“ wisperte sie sinnlos. „Bitte ... bitte...“ Sollte das alles sein, was sie von ihm in Erinnerung behalten sollte? Der stinkende Atem eines Betrunkenen? Sollte sie sich ekeln vor dem, der ihr Tod sein mußte? Gor zog sie an sich und küsste das Mädchen mit den grünen Augen. Sie wehrte sich nur einen Augenblick. Dann erlahmte ihr Widerstand, und er spürte überrascht, wie sie sich an ihn schmiegte und ihre Wärme durch seine Gewänder drang. Und dann war da etwas anderes in ihrer Angst, etwas Zartes. Etwas Heiliges. Etwas Wunderbares. Gor seufzte und hob sie auf, während die Männer ringsum nichts besseres zu tun hatten, als anzüglich zu applaudieren und schmutzige Bemerkungen zu machen. Gor ignorierte sie, als er das Mädchen in das Zelt trug. Woher sollten sie wissen, daß die goala’ay mit ihrem Kuß Frieden bringen konnten? Woher sollten sie wissen, daß seine Leute es vor langer, langer Zeit oft getan hatten? Woher wußte er es? * Der Schwarze Meister beobachtete, ohne eine Miene zu verziehen, wie Gor unaufgefordert eintrat, das Mädchen wie betäubt über die Schulter gelegt, mit der Hand respektlos die Karten vom Tisch wischte und seine Last dort ablegte. Herausfordernd blickte der Rotgewandete seinen Gebieter an. „Gut gemacht, Gor,“ lobte der Schwarze Meister und kam interessiert näher. Das Mädchen blickte mit glasigen Augen zu ihm auf. Gor spürte, wie Grauen in ihr Bewusstsein kroch, ohne jedoch an ihr Begreifen rühren zu können. „Das ist also diejenige, die dich zu verwirren wußte,“ fuhr der Schwarze Meister fort. „Sie ist wirklich schön. Du hast bei alledem doch guten Geschmack bewiesen, Gor.“ „Ich habe sie hergebracht,“ sagte Gor leise, und in seiner Stimme schwang ein Grollen mit, das den Schwarzgewandeten zu einem belustigten Lächeln motivierte. „Ich tat es, um Euch zu gehorchen.“ „Dann gehorche mir auch weiterhin,“ forderte der Zauberer. „Lösch sie aus.“ http://home.tiscalinet.de/lamaga
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„Warum?,“ fragte Gor fordernd. Der Schwarzgewandete hob die Brauen. „Warum? Du... du wagst es, nach dem Warum zu fragen?“ Er lächelte immer noch, aber nun lag eine irritierte Unsicherheit in seiner Miene. „Wen wollt Ihr quälen?“, fragte Gor langsam. „Sie – oder mich?“ Der Schwarzgewandete lächelte nun nicht mehr. „Du stellst zu viele Fragen, Gor. Hüte dich davor, ernsthaft eine Antwort zu verlangen. Und nun mach weiter.“ Gor schaute auf sie herab, diesen schönen, erblühenden Körper und diese grünen tiefen Augen. Auf dieses Herrliche in ihrer Seele. „Ich brauche nicht dich, um es zu vollbringen,“ setzte der Schwarzgewandete hinzu. „Es sind genug Männer da draußen, die mir gehorchen.“ „Selbstverständlich,“ sagte Gor. Für so etwas hatte er immer einige Schnüre in der Tasche. Er griff behutsam nach den Händen des Mädchens und band sie, knüpfte einen geschickten Knoten, wie er es tausendfach geübt hatte. Er fixierte sie sicher auf der Tischplatte. Auf gar keinen Fall dürfte sie sich im falschen Moment bewegen. Es mußte die perfekteste Exekution seines Lebens werden. Sie schaute nun ihn an, und er konnte es kaum ertragen, daß irgendetwas hinter ihren Augen ihn zu berühren und zu durchdringen suchte. Es verursachte ihm Übelkeit, daß sie sich nicht mehr wehrte. Aufgegeben hatte. Der Schwarze Meister beobachtete ihn streng und schien zu warten, daß ihm ein Fehler unterlief. „Warum..,“ kam es wispernd von den Lippen des Mädchens, „wer... wer... für wen...“ Gor streifte beiläufig mit der Hand über ihre Unterschenkel, als er sich ihren Fußknöcheln zuwandte. Sie erschauerte. „Ruhig,“ wisperte er. „Das hier ist nichts, was dich anginge. Hab keine Angst.“ Sie nickte verängstigt und durchdrang ihn mit ihrem grünen Blick. Gor schluckte einen Schluchzer und schielte hinüber zum Schwarzen Meister, der mit verschränkten Armen wieder in seinem Sessel Platz nahm und wartete. „Was hält dich zurück, Gor?,“ fragte er mit gefährlicher Ruhe. „Wieso,“ fragte Gor, ohne aufzublicken von ihren Augen, „wieso, sagt mir nur das eine – wieso ist mir Liebe verboten?“ Der Schwarzgewandete lachte leise. Es klang beinahe entspannt. „In dem Moment, Gor, in dem Moment, in dem die Magie sich mit Liebe vermischt, wird Unheil geschehen. Es darf nicht geschehen. Das Weltenspiel sieht es nicht vor. Und es gilt für die Magie der närrischen Magier, die den Kreisen dienen ebenso gut wie für die, die sich dem Widerwesen geweiht haben. Vermutlich glaubst du, Liebe sei nur etwas für die unschuldigen Magier, jene, die die Wahrheit des Universums verehren und nett und freundlich sind, die Schwachen beschützen und ihre Kräfte fortwährend nutzen, um die Übeltäter daran zu hindern, die Macht zu bekommen. Das ist es doch, was du denkst, nicht wahr, Gor? Aber Liebe ist nicht nur etwas für die Guten. Liebe hat die unangenehme Macht, auf beiden Seiten zu sein, bei den Magiern, die das Gute suchen ebenso wie bei unseresgleichen. Wenn ein Anhänger des Widerwesens von der Liebe besessen wird, Gor, dann geschieht das, was du erlebt hast. Dann wird eine Schwarze Liebe daraus, etwas, das nur Gier und Schmerz kennt und nur verderben kann. Befreie dich aus dem Bann der Schwarzen Liebe, Gor. Das Widerwesen mag beide Arten von Liebe nicht tolerieren. Nicht die reine Liebe, und nicht die schwarze Begierde.“ „Weshalb?,“ fragte Gor. Seine Hand tastete nach dem Griff seines Messers an seinem Gürtel. Es wäre so einfach – der Schwarzgewandete war nur zwei Schritte von ihm entfernt... vielleicht war er noch sterblich... „Alle Liebe,“ behauptete der Schwarzgewandete, „besiegt Magie. Positive wie negative, gut und schlecht, richtig und falsch.“ „Wie kommt es,“ fragte Gor und trat näher an den Tisch heran, „wie kommt es, daß Ihr so gut über die Liebe Bescheid wisst? Ausgerechnet Ihr....“ Der Schwarze Meister blickte auf das Messer in Gors Hand.
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„Ich bin ein Schattentänzer,“ sagte er dann. „Zumindest war ich einer, bevor das Widerwesen mich auserwählte. Mein Volk kann von Natur aus nicht lieben. Es heißt, daß eines Tages ein veränderter Schattentänzer lieben wird und damit den Kreis zerschlägt. Ein faszinierender Gedanke, Gor. Wieder Liebe – Liebe, die Magie gefährdet. Ich lerne viel über die Feinde und Gefahren für das Widerwesen. Ich werde daher niemals zulassen, daß in meiner Gegenwart geliebt wird. Die Liebe muß getilgt werden aus dem Weltenspiel. Sie bringt viel zu viel Unruhe in die Pläne.“ „Was maßt Ihr Euch an,“ hauchte Gor, „was maßt Ihr Euch an gegenüber der Einzigen Macht?“ Der Schwarzgewandete antwortete nicht. Stattdessen begann er, zu lachen. Das irre, wahnsinnige Lachen eines Besessenen, und für einen Lidschlag verschwand die Präsenz des Schwarzgewandeten aus dem Raum und wurde ganz und gar zur puren Verneinung des Widerwesens. Das Mädchen schrie, als sie begriff, was geschah. Und Gor riss das Messer empor und stieß zu, schneller und gründlicher, als er es je zuvor getan hatte. Schweigen. Der Schwarze Meister starrte Gor mit gefrorenen Augen an. Gor starrte zurück, atmete keuchend und löste die Hand vom Griff des Messers. „Ad’ree,“ stammelte er. „Ad’ree... oh, Mächte...“ „Gor,“ stieß der Schwarzgewandete fassungslos hervor. „... was habe ich getan! Was habe ich getan!“ „Verräter!,“ keuchte der Schwarzgewandete und erhob sich langsam. Gor duckte sich und wandte sich beschämt ab. „Nein,“ sagte er kleinlaut. „Ich habe euch gehorcht. Ich habe sie getötet. Es war meine Sache, auf welche Weise es geschehen sollte!“ Der Schwarzgewandete wollte das Messer aus der Brust des Mädchens ziehen, aber seine Hand zuckte zurück. Irgend etwas hinderte ihn daran, die Waffe zu berühren. „Du hast sie nicht für mich getötet,“ schrie der Schwarzgewandete ihn an. „Du hast sie... du hast sie deinem verfluchten Licht geopfert! Du hast sogar dieses... dieses Wort in meiner Gegenwart ausgesprochen!“ Gor stand auf und versuchte, sich möglichst klein zu machen. „Was soll es?,“ fragte er tapfer. „Das Ergebnis entspricht Eurem Wunsch. Es war- Gewohnheit. Ein Missgeschick. Euer Auftrag ist ausgeführt, und es gab keine Anweisung, daß ihr es auf eine andere Art wolltet.“ Der Schwarze Meister hob den Kopf. Sein eiskalter Blick musterte den Rotgewandeten in einer Mischung aus Bedauern, Abscheu und Zustimmung. „Bestraft mich für den Formfehler,“ fügte Gor kühn hinzu. „Aber tadelt mich nicht für meine Kunst.“ Der Schwarzgewandete zögerte. Dann lachte er leise und amüsiert. „Du bist wirklich ein schlauer Bursche, Gor. Ich brauche Männer wie dich an meiner Seite, und es täte mir leid, dich zu verlieren. Aber behalte eines immer im Geist, mein listenreicher Freund: wenn du mich noch einmal verrätst, wird dein Schädel meinen Sattel zieren, sobald wir den letzten Angriff reiten. Merk dir das gut.“ Gor nickte ergeben. „Ja, Gebieter.“ Die starren Augen des Mädchens waren in unergründlichem Grün gebrochen, und auf ihren roten Lippen stand ihr letzter Schrei. Gor lächelte innerlich. Er hatte gut getötet. Sie hatte nicht gelitten, und er glaubte, daß sie es in den letzten Sekundenbruchteilen begriffen hatte. Daß sie verstanden hatte, wie innig und verzweifelt er sie geliebt hatte, ohne dazu fähig zu sein. Alles andere war gleich. Zumindest hoffte er es. Der Schwarze Meister wollte noch mehr sagen, aber genau in diesem Moment kam draußen vor dem Zelt Unruhe auf. Hektisches, aufgeregtes Gemurmel erhob sich unter den Gefolgsleuten, vereinzelt erklangen laute Ausrufe. Der Schwarze Meister nickte zufrieden, so als habe er auf diesen Augenblick gewartet. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Dann ging er wortlos an Gor vorbei, trat aus dem Zelt ins Freie und blickte auffordernd in die Runde. Gor folgte ihm in seinem Schatten und spähte hinaus. Die Gefolgsleute verstummten beim Anblick ihres Herrn. „Was gibt es?,“ erkundigte der Schwarze Meister sich, obwohl Gor an seinem Tonfall erkannte, daß er die Antwort wußte. Dann trat einer der Männer vor, die als Kundschafter zur Regenbogenburg unterwegs gewesen waren. „Ovidaol hat eine Niederlage erlitten,“ erklärte er, während er vor dem Schwarzgewandeten niederkniete. „Es heißt, Schattentänzer seien aufgetaucht und hätten in einem furchtbaren Kampf den Stab erobert und gestohlen. Die nähere Umgebung der Burg ist vollkommen verwüstet, selbst die Goldene Stadt hat Schäden davon getragen.“ „Weiter,“ sagte der Schwarze Meister unbeeindruckt. „Auf Seiten der Regenbogenritter kämpft ein unbekannter Held,“ stammelte der Bote. „Ein Mann aus einer anderen Welt. Und er ist stark! Ovidaols Horde ist geschwächt, aber sie kämpfen verbissen.“ „Und Ovidaol selbst?“ „Tötete alle Feen bis auf die jüngste,“ antwortete der Bote. „Elosal ist die neue Regentin. Die Burg ist schwach.“ „Gut,“ sagte der Schwarzgewandete. „Dann ist unser Moment bald da.“ Er drehte sich zufrieden um und musterte Gor vielsagend. „Ohne Zweifel, Herr,“ antwortete der Rotgewandete. Und der Hass knisterte zwischen den beiden Magiern. * „Ihm nach!“ „Haltet ihn auf!“ „Er darf uns nicht entkommen!“ „Er hält auf die Burg zu!“ Metall klirrte, und die Pferdehufe donnerten über die Erde, alles unter sich zermalmend, was ihnen in den Weg kam und ihnen nicht mehr ausweichen konnte. Schweigend und in mildem Silberlicht leuchtend stand der Mond über der wilden Jagd und beobachtete. Vielleicht im Auftrag einer anderen, einer größeren Macht. Gors Pferd rannte, und er hörte, wie gehetzt der Atem in den Lungen des Tieres dröhnte. Vielleicht würde es das Tempo nicht mehr lange aushalten, vielleicht aber auch nicht. Der Rotgewandete lachte freudlos. Hinter ihm schlossen die anderen Gefolgsleute schnell auf. Er hatte nicht damit gerechnet, unbemerkt das Lager verlassen zu können. Ihm war von Anfang an klar gewesen, daß sie ihn verfolgen würden. Aber dennoch hatte er es gewagt. Gor flüchtete. Gor flüchtete vor der Gemeinschaft, in der er sich mächtig und stark gefühlt hatte, bevor er seinen Beschützer durchschaute. Gewiss, wenn sie seiner habhaft wurden, würden sie ihn töten. Vielleicht würden sie ihn gefangen nehmen und vor den Schwarzen Meister zerren, damit er es tat, vielleicht würden sie ihn ohne viele Umstände sofort erschlagen. Vielleicht... vielleicht würde er es aber auch schaffen. Gor hatte zu seiner großen Überraschung festgestellt, daß er nicht sterben wollte. Er war darüber anfangs ein wenig verwundert gewesen, denn das, was er für seine Welt gehalten hatte, für den gesicherten Pfad, den das Weltenspiel für ihn vorgesehen hatte, die Protektion des mächtigen Schwarzen Meisters und die Option einer Zukunft an seiner Seite – all das war zusammengebrochen und lag in Scherben in Gors Phantasie. Nein – er durfte nicht bei dieser Sache mitwirken, durfte nicht zu einem Spielsteinchen in den Plänen des Schwarzgewandeten werden. Er, Gor, musste sein eigenes Leben und Wirken in die Hand nehmen und fortführen, was er selbst sich ausmalte und anstrebte. Gor musste die Macht des Schwarzen Meisters brechen. Der Schwarze Meister sollte vernichtet werden. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Es waren hasserfüllte, primitive Gedanken, die Gor beseelten, Gedanken, wie sie zu einem goala’ay kaum passten. In Gors verletzter Seele war nur noch Platz für den Gedanken an Vernichtung. Ein schwachsinniger Schattentänzer oder ein edelmütiger Regenbogenritter oder gar eine gute Fee hätte vermutlich auch jetzt noch die Überzeugung gehegt, der Schwarze Meister sei zu läutern und zu bessern. Gor wußte es besser. Der Schwarze Meister war nur noch ein Monster. Ein grässliches, das Weltenspiel verachtendes etwas, das es nicht verdiente, den Sieg zu erlangen. Er, Gor, musste es wagen, musste versuchen, dem Schwarzen Meister Paroli zu bieten, diesen abscheulichen Magier zurückzutreiben und selbst das Ruder in die Hand zu nehmen. Selbst das Weltenspiel an sich zu reißen. Das musste möglich sein, es musste einfach einen Weg geben! Und es war nicht unmöglich, diesen Weg zu finden. Er hatte in den Augen des Mädchens eine Magie gesehen, die der Schwarze Meister – die das Widerwesen fürchtete. Die man ihm verboten hatte. Das Mädchen musste sterben, weil die Kräfte in ihr stärker waren als die des Widerwesens. Gewiss, er war ein Werkzeug geworden, das das Mädchen ausgelöscht hatte, weil das Widerwesen es so wollte – aber es hatte nicht an der Macht als solcher gelegen. Das Mädchen war kein geeignetes Gefäß gewesen, um diese geheimnisvolle stärkere Macht zu tragen und wirkungsvoll gegen den Schwarzen Meister einzusetzen. Er würde es vielleicht können. Er war ein Zauberer. Er war ein Medium. Er war stark genug, um magische Kräfte jeglicher Art zu kanalisieren und seinen Körper anzubieten als Waffe gegen das verdammte Widerwesen und seine Energie aus Hass und Verneinung. Wenn er lebend davon kam. Die Häscher jagten ihre Pferde unbarmherzig in halsbrecherischem Tempo. Sie waren selbst keine Zauberer, nur dumme ujoray-Söldner, aber ihre Pferde wurden durch Magie gestärkt. Der Schwarze Meister achtete sorgfältig auf die Kondition seiner Transporttiere. Gor hatte schon längst durch Magie die Kontrolle über den Körper des Pferdes übernommen, anderenfalls wäre das Tier bereits kurz nach Beginn der Jagd zusammen gebrochen. Aber dennoch schien es, als wären die Verfolger im Vorteil, denn sie holten auf. Und dann befand sich der erste an Gors Seite. „Henker,“ zischte der Mann durch den Gegenwind zu Gor hinüber, „du bist verloren.“ Gor antwortete, indem er sein Schwert zog und die Klinge auf den Mann niedersausen ließ. Mit einem gurgelnden Laut rutschte der Reiter vom Sattel, blieb dabei jedoch im Steigbügel verheddert und wurde von dem nunmehr unkontrolliert weiter galoppierenden Pferd mitgeschleift. Gor blickte sich um. Sie waren nun noch zu neunt. Offenbar hielt der Schwarze Meister es für angemessen, sich Mühe mit ihm zu geben. Gor spürte das Schwert in seiner Hand. Die Klinge der Vergänglichkeit, die magische Insignie, die er dem Licht schon längst entweiht hatte. Die schon so viel Blut getrunken hatte, indem er damit mordete. Gor zügelte ein Pferd und ließ die Häscher heran kommen. Nicht mehr fliehen. Nur Feiglinge liefen vor der Gefahr weg. Und das hier – das war doch keine Gefahr. Das waren ujoray – das war... Ungeziefer... * Drei Tage später taumelte ein Pferd durch die glühende Hitze der Sonnenwüste. In seinem Sattel saß zusammengesunken ein in zerrissene rote Gewänder gehüllter Mann. Er hatte die Augen geschlossen, und in der Hand hielt er ein schwarzes Schwert, dessen Klinge nicht mehr glänzte, da sie über und über mit Blut verkrustet war. Auch die Gewänder des Rotgewandeten waren besudelt, und das Fell des völlig entkräfteten Pferdes verklebt. Der Reiter bewegte sich immer weiter nach Süden. Dorthin, wo die heiße Luft den Wüstensand schmelzen ließ. Gor hatte sich einen Weg mitten durch die Kampfreihen Ovidaols gemetzelt, alle Gefolgsleute, die ihn gejagt hatten, erschlagen und war, an der
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Gors Schwarze Liebe Eine Schattenherz-Kurzgeschichte von La Maga
Regenbogenburg vorbei, geradewegs in die Wüste geritten. Dorthin, wohin man ihm nicht folgen konnte. Als Gor nun aufblickte, waren seine Augen sonderbar farblos und matt. Er lächelte nicht mehr, und Tränen hatten helle Spuren auf seinen Wangen zurück gelassen, wo sie Blut beiseite gewaschen hatten. Die Lippen des Rotgewandeten bewegten sich stumm. Und seine Brust bebte. Gor war am Ende. Schließlich brach das Pferd zusammen und blieb still im Sand liegen. Gor bemerkte es kaum, löste sich aus dem Sattel und kroch auf allen vieren weiter, zerrte das Schwert hinter sich her. Etwas wartete auf ihn. Etwas hatte einen Auftrag erhalten von etwas anderem, das einen großen Plan verfolgte, viel komplizierter, als all jene, die es bereits verschlungen hatte und die sich für die Hauptakteure im Weltenspiel hielten, und doch nur unwichtige Nebenfiguren symbolisierten, sich vorstellen mochten. Etwas starrte auf Gor nieder, und es wußte: nichts war eine willigere Beute als ein wahnsinniger Magier. Einer, den der Schmerz der Schwarzen Liebe getroffen und verwundet hatte. „Die Liebe hat dich getötet, Gor“, säuselte des Etwas. „Die Liebe hat deine Magie vergiftet.“ „Nicht die Liebe,“ hauchte Gor. „Das Widerwesen...“ „Du kannst es besiegen, Gor,“ fuhr die Stimme fort. „Du bist stark. Du kannst dagegen kämpfen. Du kannst deine Wünsche erfüllen, das Weltenspiel nach deinen Regeln beeinflussen.“ Gor sank in den heißen Sand und horchte auf diese mächtige Stimme. „Es soll aufhören,“ sagte er in den Staub hinein. „Es soll... alles aufhören. Kein Gut mehr, kein Böse... keine Liebe...Schmerz... alles... gleich...“ „Ist das das, was du dir wünscht, Gor? Das Ende der Veränderung? Das Ende von Werden und Sterben? Das Ende des Kreises und des Vergehens?“ Gor schloss die Augen. „Wahnsinn...“, keuchte er. „Alles... ist Wahnsinn. Muss... diese Welt zum Stillstand bringen. Keine Liebe mehr... nur noch Wut und Hass... und Traurigkeit... oh Mächte, es tut so furchtbar weh...“ „Was bereitet dir Qualen, Gor? Was ängstigt dich? Komm zu mir, und ich werde dich davor beschützen und dir den Schmerz nehmen!“ Gor rappelte sich auf. „Es war so groß und herrlich, das Licht,“ sagte er. „Und nun schweigt es. Aber es war auch in ihren Augen, ich habe es zu spät erkannt. Und dann habe ich sie umgebracht. Ich habe alles, alles zerstört. Nun ist es gleich. Nun soll auch der Rest vergehen. Niemand soll mehr von der Schwarzen Liebe gequält werden. Alles... alles ... alles soll aufhören und erstarren.“ „Ich kann dir das geben, Gor,“ lockte die Stimme. „Ich bin das Wesen, das dafür einsteht.“ „Was bist du?,“ fragte Gor matt. „Ich bin das Nicht-Wesen,“ antwortete die Stimme. „Ich bin ein Kind des Widerwesens. Eine Form der Verneinung. Du kannst mein Werkzeug sein und das Weltenspiel auf deine Weise beenden.“ Gor blinzelte. Das grelle Licht blendete ihn. „Bedeutet das... Macht? Kann ich mich rächen – an ihm, an den Schattentänzern – an der Schwarzen Liebe?“ „Du kannst mächtiger werden als der Schwarze Meister,“ bestätigte die Stimme des Nicht-Wesens. „Du wirst der mächtigste goala’ay aller Zeiten werden.“ Gor rappelte sich auf. Als er zu Boden blickte, sah er, halb verscharrt unter dem Sand, eine schwarze Maske liegen. Er bückte sich danach und setzte sie mechanisch auf. Augenblicklich wurde die Helligkeit erträglich und zu einem kühlen Grau. Gor kniete nieder, stützte sich auf sein Schwert. „Wirst du... wirst du mich schützen?“, fragte er scheu. „Wirst du mich nicht verlassen, wie das Licht es tat?“ Das Nicht-Wesen lachte leise. http://home.tiscalinet.de/lamaga
Gors Schwarze Liebe Eine Schattenherz-Kurzgeschichte von La Maga
„Du wirst ich werden,“ sagte es. „Du wirst dich nie wieder einsam und ratlos fühlen. Wenn du mir dienst. Wenn ich deinen Körper benutzen darf.“ Gor erhob sich auf die Füße und blickte ins graue Sonnenlicht. „Ich beschwöre dich,“ murmelte er. „ich beschwöre dich, Nicht-Wesen. Ich fordere deinen Dienst und opfere dir meinen Körper.“ „Das genügt,“ antwortete das Nicht-Wesen. „Wir werden sehr zufrieden mit dir sein, kleiner Meister des Blutes.“ Und es verschlang den Rotgewandeten. * Der Falke kreiste über der Wüste und blickte enttäuscht hinab auf den aufrechten, rotgewandeten Reiter, der nordwärts zog, stolz im Sattel eines unwirklich erscheinenden Pferdes. Die Kälte, die den Reiter umgab, reichte fast bis hier hinauf in den heißen Wüstenwind. Vor den Augen trug er nun eine schwarze Maske. Verloren, wisperte der Wind unter den Flügeln des Tieres. Verloren und verraten der Rote Kreis. Bis eines Tages einer ihn zerbricht, der voller Unschuld ist. Der die wahre Liebe des Herzens versteht. Und bis einer diesem hier vergibt – und er aus seiner Qual erwacht. Armer, armer Meister des Kreises. Der Falke schrie einen klagenden Ruf. Und verschwand im wolkenlosen blauen Himmel.
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