La Maga Spondhargents Herz Eine Schattenherz-Kurzgeschichte
La Maga
Spondhargents Herz Eine Schattenherz-Kurzgeschicht...
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La Maga Spondhargents Herz Eine Schattenherz-Kurzgeschichte
La Maga
Spondhargents Herz Eine Schattenherz-Kurzgeschichte
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La Maga Spondhargents Herz Eine Schattenherz-Kurzgeschichte
Vorwort Als ich an „Feindeskuss“ arbeitete, ist mir Mandìor Spondhargent eingefallen (sein Name schlüsselt sich, um diese Frage einmal generell zu beantworten, vom Italienischen ausgehend auf in mano d’oro della sponda d’argento, sollte aber „französisch“ ausgesprochen werden – alles klar?). Ich brauchte Spondhargent als eine Figur, die ein Gegenstück zu Merrit darstellt, einen weiteren Ritter ohne Furcht und Tadel, der die neue magische Generation Vèljioz und Kajida unterstützt – wenn es auch in „Feindeskuss“ keine unmittelbare Begegnung zwischen ihnen gibt. Ich wollte Spondhargent ein wenig undurchschaubar darstellen und nicht ohne Fehl... sein subtiles Alkoholproblem zieht sich durch den ganzen Roman, es gibt kaum eine Szene, in der er ohne Getränk auftritt. Natürlich braucht so ein tapferer Ritter auch ein holdes Fräulein an seiner Seite, und was lag da näher, als ihm Rayneta Emberbey zur Seite zu stellen. In „Feindeskuss“ lernen wir das Pärchen allerdings nur getrennt kennen – gar tragische Geschehnisse trennten die Liebenden und erst am Ende des Abenteuers kommt es zu einem Wiedersehen. Aber natürlich hat auch die Romanze zwischen Spondhargent und Rayneta eine Vorgeschichte, von der in „Feindeskuss“ in Rückblenden und inneren Monologen erzählt wird. „Spondhargents Herz“ soll eine Hintergrundgeschichte sein, die das Kennenlernen von Spondhargent und Rayneta näher darstellt und dabei die Gelegenheit nutzt, einige weitere Informationen über den Bund der Schwarzen Wahrheit aufzugreifen. „Spondhargents Herz“ ist damit erstmals seit längerer Zeit wieder eine Story mit einem gewissen romantischen Hintergrund und soll zur Klärung offener Fragen beitragen. Zum Beispiel jener, ob es sich bei der klugen Rayneta tatsächlich „nur“ um ein graues Mäuschen gehandelt hat, das dem Charme eines gewissenlosen Turnierhelden verfallen ist – wie in „Feindeskuss“ von mehreren Seiten etwas pauschal gemutmaßt wird – oder ob es nicht vielleicht doch ganz anders zuging... All jenen, die in meinen letzten Texten ein wenig den Lovestory-Anteil vermisst haben, hier nun also was fürs Herz – für Spondhargents Herz. La Maga
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r hatte sich der Burg mit sehr gemischten Gefühlen genähert. Es war eine
seltsame emotionale Mixtur gewesen, gemacht aus Abneigung, Pflichtgefühl, Abenteuerlust und Furcht.
Aber angesichts des Gewitters, das über ihn hereingebrochen war, kurz
nachdem die Türme der Zitadelle in Sicht gekommen waren, verspürte er nun
doch Erleichterung, als das Tor nunmehr nur noch einige Steinwürfe entfernt war. Der Regen hatte seine Gewänder binnen kürzester Zeit völlig durchnässt, Gift für sein Kettenhemd und die Schienen an Armen und Beinen. Sein Helm schützte wenigstens sein Haar ein wenig;
andererseits gab er in seiner Rüstung ein perfektes Ziel ab für die Blitze, die vom Himmel zuckten, begleitet von knallendem und an den Klippen widerhallendem Donnerschlag.
Das Burgtor war bewacht. Zwei fröstelnde Soldaten, schlichte honigbraune Kittel als Uniform tragend, hatten sich, so gut es ging in den Torbereich zurückgezogen, was allerdings nichts nützte, solange der Sturm den Regen dort hindurch in den Hof peitschte. Das Meer war
unruhig, und die Wellen, die in die sonst so flach und friedlich daliegende Bucht rollten, klangen aufgebracht und klatschten sogar bis gegen die Felswand.
Der Ritter hielt seinen Rappen an und musterte die beiden prüfend. Schlotternd vor Kälte kamen sie hervor und senkten halbherzig ihre Piken vor ihm.
„Ein Herr der Schwarzen Wahrheit begehrt Einlass,“ sagte der Reiter knapp. „Herr Venger erwartet mich. Ich bin Graf Mandìor Spondhargent vom Silbernen Ufer. “
Er förderte einen gesiegelten Brief aus seiner Satteltasche hervor und hielt ihn dem
Wachmann vor die Nase. Doch der stumpfe Blick des Mannes ließ keinen Zweifel daran, dass
der mit dem Passierschein nichts anfangen konnte. Vermutlich konnte der Soldat nicht lesen. Doch das Siegel des Hauses Emberbey schien als Legitimation zum Einlass vollkommen zu genügen.
Der Weg wurde freigegeben. Wortlos trieb der schwarze Ritter sein Ross auf den Hof. Das Klappern der Hufe und leise Klirren des Metalls mischte sich hier mit den von den hohen Mauern abgefangenen Sturmgeräuschen.
Aus den Stallungen kam ein Pferdejunge hervorgelaufen, ein schmächtiges Bürschchen mit dürren Beinen, bleich um seine sommersprossige Nase.
„Sitzt ab, Herr,“ sagte einer der beiden Wachposten, der ihm auf den Hof gefolgt war. „Herr Venger weilt mit dem Herrn Grafen beim Abendessen.“
Spondhargent nickte knapp und schwang sich aus dem Sattel. Dem Stalljungen steckte er achtlos eine Kupfermünze zu.
„Ich habe mich etwas verspätet,“ sagte Spondhargent und streckte sich. „Das Unwetter hielt mich auf. Ich bin den Umweg durchs Hinterland geritten.“
„Folgt mir, Herr.“ Der Wachposten wandte sich ab und ging hinüber zu der Eingangstür des
kastenförmigen, mehrgeschossigen Wohngebäudes, ohne auf die Worte des Ritters zu hören. Spondhargent schritt hinter ihm her und warf dabei einen letzten Blick zurück auf sein Pferd. Ob dieses spiddelige Kerlchen wohl mit einem feurigen Schlachtross umgehen konnte? Den Hengst würde es keine Anstrengung kosten, den Knaben beim Zügel mit sich zu ziehen anstatt umgekehrt.
Der Knabe stand neben dem Pferd und starrte fassungslos auf die Münze in seiner Hand.
Spondhargent wunderte sich, aber es blieb ihm keine Zeit dazu. Dem Wachmann musste er folgen.
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ie große Haupthalle der Bernsteinbuchtburg war verwaist. Sauber an den
Wänden aufgereiht waren Bänke und Tische, der Boden so sparsam mit Stroh
ausgelegt, dass die grauen Bodenfliesen zwischen den Halmen hervorblitzten. Nur jede zweite Wandhalterung war mit einer Fackel bestückt, ein
unangenehmer Geruch von billigem Brennstoff lag in der Luft. Nur der untere
Teil des Treppenabsatzes war beleuchtet, und Spondhargent vertrieb sich die Wartezeit
damit, die Portraits derer von Emberbey zu beschauen. Hier unten an der Treppe waren die
Bildnisse der ersten Generation, der Erbauer der Zitadelle auf dem Felsen, der über der Bucht thronte. Kriegsherren, unerbittliche Kämpfer waren sie gewesen, grimmig ihre Mienen. Der
Maler hatte sie ziemlich waffenstarrend dargestellt. Spondhargent belächelte ihren brutalen
Anblick und war insgeheim froh, dass die Zeiten von Krieg und Gemetzel vorbei waren. Diese Burg war ein Überrest des Erbes von Emberbey, der an eine Zeit gemahnte, die vergangen war und gebannt gehörte.
Irgendwo im Halbdunkel raschelte das Stroh. Eine Maus?
Der schwarze Ritter schaute sich um. Der Anblick des menschenleeren Saales überraschte
ihn. Man munkelte, Graf Emberbey sei ein Geizhals, der sich selbst und den Seinen ein Leben in Entsagung und Sparsamkeit aufdiktierte, aber dass der Altgraf sich nicht einmal Teppiche oder wenigstens Felle für den Boden seiner Halle leistete, das fand Spondhargent übertrieben.
Überhaupt war es seltsam, dass zu dieser Zeit niemand sich hier aufhielt und die Tafeln aufgehoben waren. Es war Zeit zum Abendessen und eigentlich hätte hier der Graf mit seinem Gesinde und seiner Familie bei Tisch sitzen sollen. Spondhargent mochte die Abendstunden, wenn er in seiner eigenen Burg bei Bier und Speise saß und seine
Bediensteten um sich herum wusste. Eine Familie hatte der Ritter nicht. Seine alte Mutter lebte weit fort, an den östlichen Stränden, war mit ihren Zofen in ein schönes Landhaus
gezogen. Sie vertrug das raue Klima der Westlichen Inseln nicht. Spondhargents Vater war schon lange hinter den Träumen, ein glückliches, ruhmerfülltes Leben hatte er gehabt. Wieder dieses Rascheln. Es kam von oberhalb der Treppe. Spondhargent schaute auf.
Im Halbschatten der Galerie, kaum noch erfasst vom Fackellicht, malte sich ein Schemen ab. Dort stand jemand und schaute in den Saal. Spondhargent wartete.
Dann setzte sich der Schatten in Bewegung und näherte sich der abwärts führenden Treppe. Eine anmutige Bewegung.
Spondhargent folgte dem Schatten mit den Augen. Leichtfüßig und fast geräuschlos stieg der Beobachter die Treppe hinab. Das Rascheln rührte von dem weiten Stoff der Gewänder her, die er trug.
Dann erfasste das Leuchten der Fackeln für einen Augenblick die Gestalt auf der Treppe, und ein scheuer Blick traf Spondhargent direkt bis ins Herz, schlug dort einen Funken und ließ es in Flammen aufgehen.
„Edle Dame,“ grüßte er und verneigte sich höflich in ihre Richtung.
Die Dame verharrte auf den Stufen und schaute ihn an. Röte schoss in ihre bleichen Wangen, und als er sich wieder aufrichtete und sie ansah, drehte sie rasch den Kopf weg. „Willkommen, edler Herr,“ murmelte sie, kaum hörbar.
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Mächte! Was für ein entzückendes Wesen!
Spondhargent betrachtete sie, wie sie da stand, während die flackernden Fackeln ihr bizarres Licht über sie warfen und versuchte, das sonderbare Gefühl, diese wohlige
Schwäche zu überwinden, die ihm in die Glieder fuhr. Was passierte mit ihm? Wieso warf ihn der Anblick dieser Frau so aus der Bahn?
Sie war kein junges Mädchen mehr, näherte sich wohl schon dem dreißigsten Sommer. Aber
an ihr war etwas, das unschuldig wirkte, kostbar und rein. Ihre Augen, grau wie das Meer an
einem bewölkten Tag und genauso tief, schlug sie züchtig nieder und bemühte sich, seinem
Blick auszuweichen, seinem Blick, der nach ihr griff und sie zu sich hin ziehen wollte, um sie aus der Nähe zu bewundern.
Sie war mager und verbarg das unter weiten Gewändern aus braunem und honigfarbenen
Stoff. Dem Rascheln nach zu urteilen handelte es sich durchaus um Seide und Taft, aber ihr
Kleid war einfallslos und zweckmäßig geschnitten. An ihrer schlanken weißen Hand auf dem
Geländer prangte, in krassem Kontrast dazu, ein blitzender Ring mit einem großen Edelstein. Ihre weiblichen Formen erahnte Spondhargent nur schwach unter dem tristen Kleid, doch er fand es apart. Ihr Haar trug sie streng eingeflochten, der Anzahl der Zöpfe nach zu urteilen war es üppig und lang. Goldfarben schimmerte es im Fackelschein.
Sie schwieg, und die Stille im Saal ließ ihn aufschrecken. Wie ließ er sich nur gehen – stand
da wie aus Holz geschnitzt und starrte fremde Damen an. Er räusperte sich und rief sich zur Ordnung.
„Ich bin Graf Mandìor Spondhargent. Ich bin soeben eingetroffen, auf Einladung von Herrn Venger. “
„Mein Cousin erwartet Euch, Herr,“ sagte sie, immer noch mit dieser blassen, leisen Stimme. „Er wird seine Abendmahlzeit schon begonnen haben. Ihr kommt spät.“
Er wartete. Sie schaute rasch auf und sofort wieder weg. Ihre Wangen wurden noch röter, als habe man sie bei etwas Verbotenem ertappt.
Wie entzückend sie war, wie unbeholfen und scheu sie da oben auf ihrer Treppe stand und mit jeder ihrer Bewegungen, mit jedem Atemzug offenbarte, wie unangenehm ihr das Gespräch war... und wie gern sie sich mit ihm unterhalten hätte. Spondhargent lächelte.
„Mit wem habe ich die Ehre?,“ fragte er, um ihr den Einstieg in eine Konversation leicht zu machen.
„Rayneta Emberbey,“ murmelte sie.
„Euer Anblick erfreut mein Herz,“ sagte er, war sich bewusst, wie kitschig diese Floskel sich anhörte und wusste doch nichts Besseres um auszudrücken, was Konfuses in ihm vorging.
Sie schaute hoch, verblüfft. Ihre Wangen waren so rot geworden, als habe er etwas Obszönes gesagt.
Dann raffte sie ihre Röcke und verschwand so flink die Treppe hinab und durch eine
Seitentür, dass er ihr nur hätte folgen können , wenn er seinerseits gerannt wäre. Und natürlich konnte er einer Edeldame in ihrem eigenen Haus nicht nachlaufen.
Bedauernd blickte er ihr nach. War das normal? Waren Damen so schüchtern, dass sie vor Komplimenten Reißaus nahmen?
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Klirren und schwere Schritte hinter ihm lenkten ihn ab. Durch die Eingangstür der Halle war
ein Ritter eingetreten, verharrte für einen Moment und kam dann rasch auf Spondhargent zu. Obwohl er in Hausgewändern war, pechschwarzen, trug er sein Schwert gegürtet.
„Willkommen!,“ rief Venger Emberbey überschwänglich und breitete die Arme aus. „Graf Spondhargent! Wie schön, dass Ihr meiner Einladung gefolgt seid!“
Spondhargent verneigte sich in Richtung des Neuankömmlings. „Ich habe mich verspätet,“ räumte er ein. „Aber ich danke von Herzen für die Gastfreundschaft des Bundes der Schwarzen Wahrheit.“
„Die Schwarze Wahrheit ist stets bestrebt, ihre Gäste zu ihrer Familie zu machen,“ sagte Venger Emberbey aufgeräumt. „Ich hoffe, Eure Reise war angenehm.“
Spondhargent nickte. „Etwas unstet, das Wetter, aber mein Wohlbefinden minderte es keinesfalls. Doch sagt, da Ihr gerade die Familie erwähnt...“
Vengers Strahlen schwand. Ein unwilliger Schatten zuckte über sein Gesicht.
„Die Dame,“ beendete Spondhargent den Satz. „Sie ist Eure werte Cousine, wenn ich recht informiert bin?“
„Ihr seid wohl bewandert über die Verhältnisse meines Hauses,“ bestätigte Venger. „Beachtet das Weibsbild einfach nicht.“
Er warf einen missbilligenden Blick in die Richtung, in die Rayneta verschwunden war und klopfte Spondhargent dann jovial auf die Schulterberge. „Und nun kommt, Graf Spondhargent. Der Hausherr erwartet euch bereits.“
Der Ritter dirigierte den Grafen aus der Halle heraus. Spondhargent ließ es mit sich
geschehen, mit großer Verwunderung über das geringschätzige Verhalten des Herrn der Schwarzen Wahrheit.
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raf Alsgör Emberbey war ein Greis, dessen Alter Spondhargent nur schwer
schätzen konnte. Er mochte an die achtzig Sommer erlebt haben, aber er sah aus, als weile er bereits weitaus länger auf der Welt und sei ihrer müde. Der Geiz und die Zucht, in der er selbst lebte und seinen Haushalt hielt, waren
weithin bekannt, und das entsagungsreiche, freudlose Leben, das er selbst sich
auferlegt hatte, ließen ihn über die pure Zahl seiner Jahre hinaus gealtert wirken.
Der Altgraf saß in einem der kleineren Säle auf der oberen Etage bei Tisch über den Resten seines Nachtmahles, das aus einem gräulichen Haferbrei bestanden hatte. Suppenschalen standen dabei. Vermutlich war es um die Zähne des Alten nicht gut bestellt.
Auf dem Teller vor den zweiten Stuhl am Tisch lagen Brotrinden und ein kleines Stück Wurstpelle. Offenbar bekam auch Venger Emberbey kein üppiges Essen zugeteilt. Das
überraschte Spondhargent, denn unter den schwarzen Hausgewändern des Ritters zeichnete sich deutlich ein verräterischer Bauchansatz ab. Wahrscheinlich wusste der Schwertherr des
Hauses, sich anderweitig zu verpflegen. Ein sparsames Feuer knisterte im Kamin, das kaum bis zwei Schritte vom Tisch entfernt wärmte.
Graf Alsgör blickte auf, als Venger mit dem Besucher den Raum betrat.
„Unser Gast ist da, Onkel,“ sagte er knapp. „Graf Spondhargent, von dem ich dir erzählt habe.“
Alsgör musterte Spondhargent aus eingetrübten, kühlen Augen. Dann erhellte sich seine Miene.
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„Es ist mir eine Freude, Euch als Gast in meinen Mauern begrüßen zu dürfen,“ nuschelte er. Fehlende Zähne schienen ihm zu schaffen zu machen. „Es freut mich, dass Venger sich mit hochedlen Männern Eures Schlages umgibt.“
Spondhargent verneigte sich. „Ich danke für Eure Gastfreundschaft, Graf Alsgör, und es war mir eine Freude, der Einladung Eures Neffen hierher folgen zu dürfen.“
„Wie ich sehe,“ fuhr Alsgör fort, „hängt auch Ihr dem Ritterbund der Schwarzen Wahrheit an, an welchem Venger so großen Gefallen findet?“ Spondhargent neigte zustimmend den Kopf.
„Nun, Venger,“ wandte der Alte sich an den Schwerterben, der abwartend neben
Spondhargent stehen geblieben war, „so sorge du dafür, dass der Graf ein Mahl und Trunk vom Besten erhält, was in unseren Kellern aufzufinden ist. Und ein sauberes Gemach.“ „Die Dienstboten...,“ setzte Venger an.
„Es ist nicht zuviel verlangt, wenn du selbst dich darum kümmerst,“ wies der Altgraf ihn mit bemerkenswerter Strenge zurecht. „Der Graf verdient die Ehre, von seinem Gastgeber bewirtet zu werden.“
Venger wirkte für einen Moment, als läge ihm eine patzige Antwort auf der Zunge, aber er machte den Mund nicht auf. Stattdessen verbeugte er sich knapp.
„Habt ihr sonst noch einen Wunsch, Graf Spondhargent?,“ erkundigte der Altgraf sich fürsorglich und sichtlich bemüht, dem hohen Gast in allen Dingen gefällig zu sein.
„Wenn es keine großen Umstände macht,“ nutzte der Ritter die Gelegenheit, „wäre ich um ein
warmes Bad nicht verlegen. Ich habe einen weiten Ritt hinter mir, und durchgefroren bin ich vom Regen.“
Über die Miene von Venger zuckte ein spöttisches Lächeln, das aber augenblicklich verschwand, als der Altgraf nickte.
„Ein Bad,“ verfügte der. „Heute wird nicht an Holz gespart, Venger. Und nun sorg dafür, dass dem Grafen aufgetragen wird.“
Venger zögerte. Dann wandte er sich mit einem gehorsamen Nicken ab und ging fort. Spondhargent blieb mit Alsgör Emberbey allein im Raum.
„Es wird gleich aufgetragen werden,“ sagte der Alte. „Setzt Euch einstweilen auf den Sessel meines Neffen.“
Spondhargent kam der Einladung nach und ließ sich nieder. Gern hätte er sich dabei etwas
ausgestreckt, aber der Altgraf gebot durch seine bloße Erscheinung, so hinfällig sie war, so viel Respekt und Strenge, dass es dem Ritter ratsam erschien, sich förmlich zu geben.
„Es beruhigt mich, Männer wie Euch in den Kreisen dieses seltsamen Vereines zu wissen,“ sagte der alte Mann zahnlos. „Es missfiel mir, meinen Neffen in der Gesellschaft einiger
Mitglieder des Bundes zu sehen, die von Sitte und Zucht nicht allzu viel zu halten schienen.“ „Das ist bedauerlich,“ sagte Spondhargent unverbindlich. „Nicht jeder scheint die Ziele der
Schwarzen Wahrheit mit dem selben Ernst und der selben Leidenschaft zu verfolgen wie Euer Neffe es tut und auch ich es für mich in Anspruch nehme.“
„Aber was sind die Ziele der Schwarzen Wahrheit?,“ erkundigte sich der Altgraf. „Venger hält sich darüber sehr verschlossen.“
Spondhargent zögerte. Eine gute Frage war das, die der Alte ihm da stellte, eine kluge, berechtigte Frage.
Spondhargent konnte sie nicht beantworten. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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„Es widerspricht den Statuten unseres Bundes,“ antwortete er, „darüber mit Personen zu sprechen, die dem Bund nicht selbst angehören.“
Alsgör warf seinem Gegenüber einen prüfenden Blick zu. Spondhargent bemühte sich um eine unbewegte Miene.
„Es ist gut,“ seufzte der Altgraf dann. „Ich sehe, ihr seid ein Mann, der zu seinen Worten steht und seine Verpflichtungen ernst nimmt. Ich dränge Euch nicht.“
„Es ist nichts, was euch beleidigen sollte,“ betonte Spondhargent ernsthaft. „Nur die Form, nur die Regel...“
„Es ist gut.“ Graf Alsgör Emberbey nickte und schaute dann stirnrunzelnd auf, hin zur Tür hinter Spondhargents Rücken.
„Was tust du hier, Kind?,“ fragte er streng.
Spondhargent wandte sich um. Rayneta Emberbey stand unter dem Türrahmen und hielt ein Tablett mit einem Laib Brot und einer dampfenden Schale in der Hand.
„Das Mahl für den Herrn Ritter,“ flüsterte sie und schaute so gebannt auf die Teller, als habe sie nie zuvor welche gesehen.
„Das ist Arbeit für die Tischmagd,“ versetzte Alsgör mit leichtem Ärger in der Stimme. „Du brauchst dich nicht mit Handreichungen zu mühen!“
„Ich bin entzückt, die Speise aus der Hand einer so anmutigen Maid zu empfangen,“ ergriff Spondhargent das Wort und lächelte der Tochter des Altgrafen freundlich zu. „Erlaubt mir, die schweren Schalen aus Euren zarten Händen zu nehmen, Maid Rayneta.“
Er erhob sich und griff nach dem Tablett. Sie überließ es ihm mit einem seltsamen, zerbrechlichen Blick aus ihren wunderschönen Augen.
„Habt Ihr Euch schon mit Ihr bekannt gemacht?,“ fragte Alsgör, wohl schärfer, als er es beabsichtigt hatte.
„Ich hatte das Vergnügen, Maid Rayneta in der Halle anzutreffen.“
„Ist das wahr, Rayneta? Hatte ich dir nicht untersagt, deine Kemenate bei Dunkelheit ohne Begleitung zu verlassen?“
Rayneta errötete wiederum und schaute rasch zu Boden. „Doch,“ murmelte sie.
Spondhargent schaute verstohlen zwischen Vater und Tochter hin und her. Ihm war nicht klar, was er falsch gemacht hatte, um die Dame in eine so heikle Situation zu bringen.
„Ich wollte nicht ungehorsam sein,“ beteuerte sie. „Ich wollte nur nach dir sehen. Und dann war der Herr Graf unten in der Halle und wir grüßten uns. Nicht mehr.“ Graf Alsgör musterte sie noch einen Augenblick. Dann nickte er milde.
„Setz dich dort in der Nische nieder, Kind,“ sagte er ruhig. „Venger wird dich zurück bringen, sobald er erscheint.“
Ohne Widerwort schritt Rayneta Emberbey an Spondhargent vorbei, ließ sich in der Nähe des mit Fellen abgehängten Fensters auf eine Bank nieder und nahm eine Näharbeit zur Hand, die dort bereitgelegen hatte.
„Ich muss mich bei Euch für den Vorwitz meiner Tochter entschuldigen,“ wandte Alsgör sich wieder an Spondhargent, der sich stumm gesetzt hatte. „Was für Vorwitz?,“ erkundigte der Ritter sich.
„Ich mag es nicht dulden, wenn sie sich absondert und unbeobachtet einher läuft,“ versetzte der Altgraf rätselhaft. „Nicht zu diesen Zeiten – und nicht in der Nacht.“
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Spondhargent betrachtete das Essen auf dem Tablett. In der Schale befand sich zerkochtes, blässliches Hühnerfleisch in einem Mus aus Erbsen und Getreide. Keine besonders üppige Speise, aber wohl mehr, als Alsgör sich selbst und dem Schwerterben gönnte. „Esst,“ munterte Alsgör ihn auf. „Ah, da ist Venger...“
Der Schwerterbe kam näher und blieb neben Spondhargent stehen. Er trug einen Krug in der Hand und stellte zwei Kelche auf dem Tisch ab.
„Das Bad wird Euch bereitet,“ sagte er. „Stärkt Euch derweil an dem besten Wein, den unser Keller zu bieten hat. Das ist doch in Ordnung, nicht wahr, Oheim?“
Alsgör hatte keinen Einwand, auch nicht, als Venger zunächst Spondhargent, dann sich
selbst einschenkte. Der Wein war sauer, der Ritter roch es schon, bevor der erste Tropfen an seine Lippen gelangte. Von Wein verstand er ebenso viel wie vom Waffenhandwerk. „Auf die Schwarze Wahrheit,“ bestimmte Venger und hob seinen Becher. „Auf die Schwarze Wahrheit,“ stimmte Spondhargent zu.
Sie tranken. Der Rebensaft schmeckte genauso scheußlich wie er roch. Aber es war gut, das Blut und die Sinne damit zu betäuben. Angenehm schwer und warm wurde Spondhargent schon nach einigen Schlucken zumute.
Alsgör trank nicht. Er war abgelenkt. Versonnen betrachtete er seine Tochter, die
gedankenverloren ihre Handarbeit in den Fingern hielt und geistesabwesend die beiden
Ritter beobachtete, die dort saßen und tranken. Venger brachte eine belanglose Konversation in Gang, an der auch der Altgraf sich beteiligen konnte. Für den Moment fühlte sie sich unbeobachtet. Und für den Moment wagte sie, zu träumen.
E
r hatte zu viel getrunken, wie so oft, wenn die Schwere angenehm wurde und er nicht mehr so recht mitverfolgte, was er tat. Irgendwann waren Kammerdiener
erschienen und ihn in die Badestube der Burg geführt, die er auf seinen eigenen Beinen betreten hatte. Oh, so trunken, dass er die Koordination seiner eigenen Glieder verlor, war er nie gewesen.
Nun lag er angenehm müde und entspannt im Badezuber, warmes Wasser umspülte ihn und der Duft billiger, aber nicht minderwertiger Seife lag in der Luft. Die Kammerdiener hatte er weggeschickt, ein Kaminfeuer sorgte für Licht. Es war spät und still geworden in der Burg, und Spondhargent horchte auf das Flammenprasseln und das Knacken im Gebälk.
Nun war er also hier, am vorläufigen Ziel seiner Reise. In der Bernsteinbuchtburg, einer Burg, in der einer der wichtigeren Männer des Kultes der Schwarzen Wahrheit residierte. Und was hatte er hier gefunden? Einen alten, ahnungslosen Burgherrn... und das schönste Wesen dieser Welt.
Spondhargent hatte vorgehabt, sich Gedanken über die weiteren Schritte seiner Mission zu machen, sich Pläne zurechtzulegen, Strategien auszuarbeiten. Nicht umsonst hatte sein
König ihn auf diese Reise geschickt, hatte er, Spondhargent, doch in unzähligen Situationen seinen Scharfsinn und seinen Einfallsreichtum bewiesen. Diese, kombiniert mit der
beachtlichen Kampfkraft, die der Ritter ständig trainierte, machten ihn zu einem der... nein: zum Besten unter den Vasallen des Königreiches von den Westlichen Inseln. Ihm vertraute sein Monarch, und dieses Vertrauen galt es, nicht zu enttäuschen. So viel zählte es, in
Erfahrung zu bringen, woher die Eisernen Schiffe gekommen waren und was die Kultisten im http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Dienste der Schwarzen Wahrheit damit zu tun hatten. Spondhargent gedachte seiner Pflicht und konzentrierte sich auf seinen Plan.
Doch seine Gedanken wurden gestört, auf angenehme Weise abgelenkt. Ein Bild schob sich zwischen den Ritter und seine Mission. Ein Faktor hatte sich ergeben, den niemand, nicht der König, nicht Spondhargent bedacht hatten.
Natürlich hatte der Graf vom Silbernen Ufer gewusst, dass sich eine Dame in der Burg befand, dass der Altgraf eine unverheiratete Tochter unter seinem Dach beherbergte.
Spondhargent war ein wohlerzogener Mann, galant gegen die Damen und von tadellosen Manieren. Aber im Grunde interessierten Frauen ihn kaum. Frauen waren einfach da, sie regierten über den Haushalt, putzten sich auf und verstanden wenig von Pferden und Rüstzeug.
Natürlich hatte er schon oft den Gedanken erwogen, sich zu verheiraten. Es gehörte sich so, dass ein Mann in seinem Alter und seinem Rang eine Familie gründete.
Aber, bei den Mächten, dazu war doch noch genug Gelegenheit! Spondhargent hatte
schlichtweg keine Zeit für Frauen und Verliebtheit. Er hatte ein großes, gut organisiertes
Lehen unter sich und kümmerte sich sehr verantwortungsvoll um die Belange seiner Bauern
und Fischer. Er hatte Stallungen mit sehr guten Pferden, die unterhalten werden mussten, er
musste zusehen, dass sein Turniergeschick nicht übertroffen wurde, um seinem König Ruhm und Ansehen zu sichern.
Nicht, dass das noch irgendeine Bedeutung gehabt hätte. Früher, als Spondhargents
Großvater ein junger Mann war, hatte sich das anders dargestellt. Doch die Kriege waren
vorüber, doch die Monarchen waren auf der Hut. Sie veranstalteten prächtige Turniere, die tagelang dauerten und bei denen Hunderte von Männern gegeneinander in die Schranken ritten. Es war ein unter dem Deckmantel der höfischen Vergnügung organisiertes
Imponiergehabe gewesen: Seht, wie vortrefflich meine Ritter kämpfen. Hüte dich, sie in ernsthaftem Kampf zu fordern.
Die Ritter waren wichtig und geachtet gewesen. Nun, das waren sie immer noch. Aber das Turnierspiel war endgültig zu dem geworden, was es nun war: Ein Spiel. Eine Vergnügung. Unterhaltung für das Volk. Etwas, um kichernden Burgfräuleins zu gefallen.
Ob sein Ruhm zu Rayneta Emberbey vorgedrungen war? Ob sie wusste, dass er Mandìor Spondhargent war, der Ungeschlagene seit fünf Jahren, der, der einen silberweißen
Wappenrock trug, sobald er die Gewänder der Schwarzen Wahrheit ablegte? Ob sein Ruf bereits ausreichte, um der Dame zu imponieren?
Wieso eigentlich? Wieso wollte er der Dame gefallen? Es war offensichtlich, wie eifersüchtig Alsgör Emberbey über sie wachte, ihr gar verbot, allein in der eigenen Burg herumzugehen. Spondhargent wusste, um einer Dame zu gefallen, musste ein Ritter sich im Kampf
bewähren. Doch mit wem sollte er hier kämpfen? Er musste ihr Lieder bringen, Gedichte
verfassen, in glühenden Worten seine Bewunderung für ihre Anmut und Schönheit schildern. Es gab Ritter, die sich auf solche Poesie spezialisiert hatten und ihre Dienste gegen
Gefälligkeiten unbedarfteren Kameraden anerboten. Spondhargent machte sich keine
Illusionen über den Wohlklang seiner Singstimme. Und kunstvolle Worte waren etwas, wofür er kein Talent hatte.
Außerdem bezweifelte er, dass Alsgör Gefallen daran finden würde, wenn ein Hausgast unter dem Fenster der keuschen Jungfer verliebte Gesänge anstimmen würde.
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Geschenke? Teure, protzige, beeindruckende Gaben? Alsgör war als Geizkragen bekannt, der im Inneren der Burg unermessliche Schätze hortete. Ihn mit teueren Präsenten
aufgeschlossen zu stimmen, war vermutlich lächerlich. Was konnte Spondhargent einem so reichen Mann geben, was nicht ärmlich wirkte gegen die Schätze des Hauses?
Und wieso, bei den Mächten, interessierte es ihn mehr, wie er sich in die Nähe der Dame
begeben konnte als in die des Schwerterben zu kommen? Dessentwegen hatte er die weite Reise überhaupt auf sich genommen, wegen Venger Emberbey hatte er sein Lehen der
Obhut seines treuen Vogtes überlassen und sich in ein Unternehmen gestürzt, das sich als ausgesprochen abenteuerlich erweisen mochte.
Nun, Venger Emberbey hatte einfach nicht so wunderschöne stille graue Augen wie die Dame.
Das Essen hatte sie ihm gebracht... hatte sie einen Vorwand gesucht, um in seine Nähe zu
kommen? Oder... hatte sie eine Ausrede gebraucht, um in der Umgebung des Vaters zu sein? Spondhargent seufzte. Er war müde, den ganzen Tag im Sattel gewesen, und beduselt von dem schlechten Wein, für den der Erbsenbrei keine wirklich geeignete Unterlage gewesen
war. Der Ritter war froh, den Schweiß und Staub der Straße in dem warmen Wasser abstreifen zu können. Noch mehr jedoch verlangte ihm nun nach einem weichen Lager und etwas Schlaf.
Schwerfällig stieg er aus dem Zuber, schaute sich nach den griffbereit liegenden Laken um und trocknete sich. Wo sein Schlafgemach, eine peinlich saubere, karge Kammer, die aber wenigstens über ein Bett mit einer richtigen Matratze verfügte befand, wusste er. Venger
hatte es ihm eilfertig gezeigt, auf dem Weg in die Badekammer. Es war nicht nötig, einen der Dienstboten zu bemühen. Immerhin war es schon spät in der Nacht. Seine Kleidung ließ er für die Wäschemägde auf dem Boden zurück, hüllte sich selbst nur in das Laken. Sein
Gemach war nicht weit, und zu dieser Stunde war es unwahrscheinlich, Damen zu begegnen. Und vor den Wachsoldaten brauchte er sich nicht zu genieren.
Barfuss und nicht völlig geradeaus tappte der Ritter hinaus auf den Flur, den Flur entlang
und hinüber zur Treppe, ohne dass ihm jemand entgegen gekommen wäre. Die nächtliche
Burg war nur spärlich beleuchtet, aber er fand sich zurecht. Seine Kemenate lag treppauf im ersten Geschoss der Burg. Und die Tür stand offen.
Spondhargent zögerte. Es war jemand im Raum gewesen.
Ihm wurde bewusst, dass er nicht bewaffnet war, das gewohnte Gewicht des Schwertes an seiner Seite fehlte. Die Waffe lag bei seinem Gepäck in der Kammer.
Aber ein hoher Kerzenständer aus schwerem Holz war in Reichweite, stand auf einer
Wandtruhe. Spondhargent tastete danach und griff zu. Mit einem heftigen Schritt trat er in die Kammer.
Die Laken waren zurückgeschlagen, die Kissen aufgeschüttelt, das Bett gelüftet.
Und auf dem Tisch stand eine kleine Steingutflasche neben einem zierlichen Becher aus Glas. Spondhargent runzelte die Stirn. Misstrauisch stellte er den Leuchter ab, zog dann den Korken und schnupperte an der Flasche. Met. Guter, lieblicher, heller Met.
Golden wie ihr wunderschönes Haar.
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La Maga Spondhargents Herz Eine Schattenherz-Kurzgeschichte
A
m nächsten Morgen war Spondhargent bereits sehr früh auf den Beinen.
Obwohl er nicht besonders lange geruht hatte, fühlte er sich erfrischt und voller Tatendrang. Und war er schon auf dem Burghof und erkundete das Haus, bevor ein Bediensteter ihn hätte wecken können.
Der Himmel über der Bernsteinbucht war immer noch bewölkt, aber die Wolken
hatten sich abgeregnet, und an einigen Stellen rissen sie auf, so dass strahlender
Sonnenschein hindurchflimmerte. Emsiges Gesinde war bereits mit dem harten Tagwerk
beschäftigt und kümmerte sich um die anfallenden Arbeiten, versorgte die Haustiere, hielt den Hof in Ordnung.
Spondhargent besuchte sein Pferd im Stall, stellte fest, dass man ihm ausreichend Hafer vorgesetzt hatte und bewunderte die übrigen Rösser. Das fraglos prächtigste war ein
feuriger Rapphengst, der unruhig in seinem Verschlag herumkreiste und die Ohren flach angelegt hatte.
„Ist das Herrn Vengers Streitross?,“ erkundigte Spondhargent sich beim Stallmeister, der sich
in der Nähe um ein anderes Pferd, eine betagte Stute, kümmerte.
„Kommt ihm nicht zu nahe, Herr. Der Hengst ist blöde und unberechenbar.“
Spondhargent lächelte amüsiert. „Immerhin macht er etwas her,“ merkte er dann an. „Ich nehme an, Herr Venger reitet ihn für die kommende Turniersaison ein?“
Der Stallmeister richtete sich auf und warf dem Ritter einen vielsagenden Blick zu. „Nicht direkt,“ antwortete er unverbindlich.
„Bedauerlich. Gern wäre ich Zeuge einer Turnierübung von Herrn Venger geworden, um seine Meisterschaft im Sattel zu bewundern.“
Der Stallmeister schaute verdutzt und brauchte einen Augenblick um zu begreifen, dass
Spondhargent einen Witz gemacht hatte. Dann erlaubte er sich ein Grinsen über sein breites, ledriges Gesicht, das schlagartig erlosch.
„Gefällt er Euch?,“ erkundigte sich Venger Emberbey, der sich unbemerkt hinzugesellt hatte.
Der Graf vom Silbernen Ufer verzog keine Miene. „Ein überaus prachtvolles Tier. Er scheint so viel Feuer zu haben, dass er nahezu brennt.“
„Nicht wahr?“ Der Schwerterbe versuchte beiläufig, den Hals seines Rappen zu tätscheln, woraufhin dieser gereizt nach dem Arm seines Gebieters schnappte. „Es gibt weit und breit kein schnelleres Pferd.“
Spondhargent nickte. Das glaubte er gerne. Allerdings sah er die Qualität eines guten
Streitrosses eher in Kraft, Ausdauer und Nervenstärke als in Geschwindigkeit und einem seidigen Fell.
„Ich hoffe, Ihr habt eine angenehme Nacht verbracht.“ Venger wechselte das Thema, verärgert über das Benehmen seines Pferdes.
„Ich bin erfrischt und ausgeruht,“ stimmte Spondhargent zu. „Und bin nun bereit, meine Dienste für den Bund der Schwarzen Wahrheit fort zu führen. Leider bin ich auf meinem
Grund ein wenig abgeschieden und es gelangen nicht regelmäßig Botschaften des Bundes zu mir hin.“
„Ja, das ist der Jammer hier im Norden.“ Venger nickte. „Aber wir werden es sein, Ihr und ich,
die den Bund der Schwarzen Wahrheit auch hier in den Provinzen am Meer des Chaos stärken und die Grundlagen dafür schaffen, dass alles besser organisiert wird.“ Spondhargent nickte und wartete.
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Venger musterte den Stallmeister, der sich wieder mit seinen Striegelbürsten beschäftigte. „Dies ist nicht der Ort, um Dinge des Bundes zu bereden,“ sagte er dann und ließ keinen
Zweifel daran, dass er keine Mithörer wollte. „Kommt, Spondhargent, lasst uns in meinen Gemächern weiter reden.“
Er winkte Spondhargent, ihm zu folgen und schickte sich an, den Stall zu verlassen . Im Vorbeigehen schaute er missbilligend die Stute an.
„Wann wird dieser unnütze Fresser endlich entfernt?,“ knurrte er.
„Maid Rayneta wünscht, den Zelter zu behalten,“ kam die Antwort, in einem Ton, der darauf schließen ließ, dass der Stallmeister dieses Thema schon wiederholt mit seinem Herrn besprochen hatte.
Venger ließ es auf sich beruhen, zischte nur noch etwas von unnötigen Ausgaben. Während sie ins Freie traten, überlegte Spondhargent, ob es tatsächlich die Nutzlosigkeit des alten
Gaules oder der Umstand war, dass das Tier offenbar Rayneta Emberbey gehörte, dass der Ritter sich so sehr darüber ärgerte.
D
as Gespräch, dass Mandìor Spondhargent an diesem Vormittag mit Venger
Emberbey führte, bestätigte ihn in dem, was er schon vermutet hatte, seit der Ritter ihm vor einigen Monaten erstmals begegnet war: Der Schwertherr des Hauses Emberbey war dumm.
Dumm? Nun, das traf es nicht wirklich. Allerdings kam Spondhargent nicht
umhin, sich darüber zu wundern, wie leicht Venger sich aushorchen ließ, bei keiner der
Fragen, die ihm gestellt wurden, Misstrauen zeigte oder hellhörig wurde. Mit Begeisterung redete der Ritter über den Kult, die Aktionen und die Ziele der Schwarzen Wahrheit und
lieferte Spondhargent auf diese Weise eine Fülle von Informationen, die er selbst benötigte, um sein eigenes Wissen und sein Auftreten zu verbessern.
Spondhargent war ein scharfsinniger und aufmerksamer Zuhörer, dem es schon nach kurzer Zeit nicht mehr schwer fiel, den Jargon, dessen Venger sich bediente, zu imitieren und Versatzstücke des Wissens zu assimilieren und sich so das grobe Grundkonstrukt von Fakten, die er über die Schwarze Wahrheit hatte, auszubauen.
Spondhargents Mission war von langer Hand vorbereitet gewesen. Es hatte dem Grafen nicht genügt, die Kultisten, jene schwarz gewandeten sonderbaren Burschen, die am Silberufer
aufgetaucht waren, um unter den Untertanen im Bereicht der Burg ihre Lehre darzulegen, über alle Berge zu scheuchen.
Spondhargent war nicht der Mann, der zuschlug und Dinge danach auf sich beruhen ließ. Spondhargent wollte die Gefahr nicht nur bannen. Er wollte die Gefahr verstehen und so beseitigen.
Verführte unter seinen Fischern waren der Schlüssel zum Bund gewesen. Auf frischer Tat
hatten Spondhargent und seine Schergen einige von ihnen erwischt, als sie eine Schafherde
beraubten, Opferfleisch für den Kult bei den Lämmern raubten. Viehdiebstahl war ein ernstes Verbrechen mit entsprechenden Sanktionen.
Spondhargent hatte großmütig Gnade walten lassen und auf diese Weise ein paar Namen erfahren, Namen von Herren, die selbst dem Kult angehörten, ihre Untergebenen darin bestärkten und so glorreiche Vorbilder für den Kult darstellte. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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Unter dem Vorwand, selbst ein solches Vorbild werden zu wollen, hatte Spondhargent
Korrespondenz mit dreien dieser Burgherren aufgenommen, und zwar mit denen, die am
weitesten vom Silberufer entfernt residierten. Er war überzeugend genug gewesen, um so erste Informationen über den Kult zu sammeln und sich ein, wenn auch noch sehr
verschwommenes, Bild zu machen. Auf Umwegen hatte er so Venger Emberbey kennen gelernt und die nächste Gelegenhit genutzt, ihn persönlich anzusprechen. Auf einem
Turnier am Hofe des Königs der Westlichen Inseln war das gewesen. Spondhargent hatte dort in nicht wenigen Waffengängen seinen Ruhm vermehrt und war so ins Gespräch mit Venger Emberbey gekommen, der sich unter den passiv am Turnier teilnehmenden Edelmännern
befand und sich geschmeichelt fühlte, als Spondhargent Interesse für den Kult aufbrachte. Gern hatte der Schwerterbe der Bernsteinbuchtburg seine Einladung ausgesprochen. Und
hier war er nun, Mandìor Spondhargent, Auge und Ohr seines Königs und schaute, hörte und wusste nicht so recht, ob er sich über Venger amüsieren oder vor ihm in Acht nehmen sollte.
„In der Goldenen Stadt,“ sagte Venger Emberbey, „so hieß es, haben die Ausgrabungen indes weit über eintausend Artefakte der Regenbogenritter zu Tage gefördert.“ „Meiner Treu! Eintausend Stück...“
Venger grinste. „Die Brüder im Süden sind dabei, alles zu katalogisieren, und die Herren des
Bundes jenseits der Himmelsberge sind daran, zu ergründen welche dieser Dinge magischer Natur sind und welche wertloser Plunder.“
„Aber wie können die Herren darüber entscheiden, nun, da es keine Magier mehr gibt, die
darüber Auskunft geben könnten? Die frevelhaften Geheimnisse des zauberischen Gesindels werden uns aufrechten Anhängern der Schwarzen Wahrheit verschlossen bleiben...“
„Nein, mitnichten. Das Buch weiß, was magisches Werkzeug ist und was nicht. Mehr als ein Viertel des großen Textes und ein Teil der Anhänge beschäftigt sich allein mit der Beschreibung von Werkzeug.“
Spondhargent nickte. „Habt Ihr dieses Buch je selbst gelesen?“
Venger machte ein entsetztes Gesicht. „Wo denkt ihr hin? Nur der Großmeister darf das
Schwarze Buch der Wahrheit antasten. Aber die Herren haben Zusammenfassungen und
Übersetzungen, nach denen sie handeln..“ Er erhob sich, ging hinüber zu seiner Truhe und förderte ein abgegriffenes schmales Büchlein zu Tage. „Das hier ist der Innere Text. Ihr werdet auch so eines bekommen. Der Urtext ist allen tabu, außer dem Großmeister.“
Venger lehnte sich zurück und verkündete stolz: „Der im Übrigen bald hier eintreffen wird. Ich erwarte seine Ankunft innerhalb der nächsten Wochen.“
Spondhargent versuchte, sich durch diese Nachricht nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Tatsächlich jedoch waren das höchst interessante Neuigkeiten.
„Wie das?,“ fragte er. „Vergebt mir die Frage, aber womit habt Ihr Euch die Ehre eines persönlichen Besuches verdient?“
Venger lächelte, und in seinen Augen blitzte Genugtuung. „Ich habe ein Werkzeug für den Bund. Ein definitiv echtes.“
Spondhargent zwang sich zur Ruhe. „Ein echtes Werkzeug?“
Der Schwerterbe nickte. „Sozusagen aus dem Nachlass eines Zauberers.“ „Wie könnt Ihr wissen, dass es...“
„Es ist im Buch genau beschrieben. Kein Zweifel ist möglich.“
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Spondhargent biss sich auf die Lippen. Wenn das, was Venger da sagte, der Wahrheit
entsprach, dann war das – je nachdem, aus welchem Blickwinkel man es betrachtete entweder eine Katastrophe oder ein unglaublicher Triumph. „Was ist es?,“ erkundigte der Ritter sich flüsternd.
Venger schüttelte den Kopf. „Ihr werdet verstehen, Graf Spondhargent, dass ich niemandem als dem Großmeister selbst meinen Schatz als ersten offenbaren möchte.“ „Selbstverständlich.“ Spondhargent lehnte sich zurück und nickte.
Es mochte später noch bessere Gelegenheiten geben, danach zu fragen. Oder zu suchen.
A
m Mittag begutachtete Spondhargent die Burganlage. Die Bernsteinbuchtburg war ein trutziges Gemäuer und galt als uneinnehmbar. Das faszinierte
Spondhargent, und seine Überraschung war groß, als er in der Außenmauer eine kleine Pforte fand, die in einen verwahrlosten Blumengarten führte.
Der Ritter beschaute flüchtig die Blumenbeete und wild wuchernden Ranken
und wollte sich gerade wieder abwenden, als ein leises Rascheln ihn aufhorchen ließ.
Gut verborgen hinter einem verworrenen, dornigen Rosenbusch saß Rayneta Emberbey mit
einer Bediensteten, einer jungen Zofe, und errötete, als er näher kam. Von der verwitterten Steinbank aus, über die die Damen alte Kissen gelegt hatten, konnte man das Meer sehen „Edle Dame,“ sagte er höflich und verneigte sich formvollendet.
Über das bleiche Gesicht der Zofe huschte ein Lächeln, verschwand aber sofort darauf
wieder. Rayneta, die ihre Handarbeit bei sich hatte, knubbelte den Stoff zwischen ihren Fingern.
„Herr,“ murmelte sie. „Hattet Ihr einen angenehmen Aufenthalt bisher?“
„Ich hatte eine aufschlussreiche Unterhaltung mit Eurem Cousin,“ sagte er.
Spondhargent musterte das Mädchen an ihrer Seite. War das eine Zofe oder eine Wächterin? „Herrin,“ sagte sie genau in diesem Moment, „erlaubt Ihr, dass ich mich entferne? Ich habe noch viel zu tun..“
Raynetas Kopf fuhr in die Höhe. In ihren Augen blitzte etwas wie Angst.
Spondhargent zögerte. Konnte er es wagen, keck zu sein? Die Gelegenheit war so günstig, und wer wusste schon, ob sie sich wiederholen würde?
„Geh nur,“ forderte er sie auf. „Ich werde auf deine Herrin gut Acht geben.“
„Darauf vertraue ich, Herr,“ antwortete die Zofe mit einem vielsagenden Blick. Die Gräfin Rayneta bedarf starken Schutzes.“
Sie erhob sich, knickste vor dem Ritter und ihrer Herrin und entfernte sich rasch durch den Garten.
Spondhargent schwieg. Rayneta Emberbey schwieg. Und zwischen den Blumen summten frühe Bienen umher.
„Darf ich mich zu Euren Füßen niederlassen?,“ fragte er nach einer Weile, als sie immer noch keine Anstalten gemacht hatte, mit ihm zu reden.
Rayneta zuckte hoch. „Selbstverständlich, edler Herr...“ Sie rückte so weit an den Rand der Bank, wie es nur ging. Spondhargent ließ sich vorsichtig auf der entgegengesetzten Kante nieder.
„Ich danke Euch für den Met,“ nahm der Ritter nach ein paar Augenblicken das Gespräch wieder auf.
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Sie errötete. „Woher wisst Ihr, dass ich ihn Euch bringen ließ?“
„Weil Ihr Zeugin wart, als man mir den bitteren Wein gab. Ist es nicht Pflicht der Hausherrin, dem Gast den Aufenthalt zu versüßen?“ „Werdet Ihr mich verraten?“
„Fürchtet Ihr denn Verrat im eigenen Haus?“ Sie schaute zu Boden.
„Ja,“ sagte sie schlicht.
„Meine Lippen bleiben verschlossen,“ versicherte er.
„Ihr seid ein Ehrenmann, Graf Spondhargent,“ sagte sie, vermied dabei angestrengt, ihn
anzuschauen und blickte aufs Meer hinaus. „Ich begreife nicht, wie ich Euch in den Reihen der Schwarzen Wahrheit sehen soll.“ „Müsst ihr mich denn dort sehen?“
„Venger sieht Euch dort. Wie könnte ich andere Dinge schauen als mein Cousin?“
Nun brachte sie ihn in Verlegenheit. Es war offensichtlich, dass sie vom Bund der Schwarzen Wahrheit nichts hielt, aber war das Grund genug dafür, ihr gegenüber offen zu sein? Sie
begegnete ihm mit Misstrauen, das machte ihn traurig. Aber die Wahrheit... war es dafür der Ort und die Zeit?
Mit der Wahrheit würde sie sich ihm vielleicht öffnen, ihre Schale aus züchtiger
Zurückhaltung verlassen. Doch im Augenblick war es die Fassade, die ihm nützte. Für seine Sache nützte.
Wieso war ihm eigentlich so wichtig, dass diese Frau ihm vertraute? Hatte er es jemals nötig gehabt, einem Frauenzimmer zu gefallen?
„Die Schwarze Wahrheit ist ein großes Ziel, eine ruhmreiche Sache,“ behauptete er.
Rayneta Emberbey schaute ihn an, ihre großen grauen Augen voller Müdigkeit und mit einem Funken Enttäuschung.
Dann erhob sie sich ruckartig.
„Entschuldigt mich, Graf Spondhargent,“ murmelte sie. „Ich fühle mich nicht wohl und werde mich zurückziehen.“
Er sprang auf, aber sie winkte ab. „Bemüht Euch nicht,“ sagte sie eilig. Er blickte auf seine Stiefelspitzen. „Wie Ihr wünscht.“
Sie zögerte noch einen winzigen Moment, fast, als warte sie auf etwas.
Dann knickste sie vor ihm und verschwand hastig. Ihre Schuhe knirschten auf dem Kies, während sie sich entfernte.
Spondhargent schaute auf das Meer, den verwilderten Garten um sich herum. Die Zitadelle verbarg ihre Blumen und deren schönen Duft, doch die Blumen waren verlassen und wuchsen ohne Schutz.
Neben ihm auf der Bank war ihre Stickerei liegen geblieben. Nachdenklich hob er sie auf und schaute sie an.
Ein kleines Tüchlein mit einem Muster aus roten Rosen. Er hob es auf und gab es der nächsten Zofe, die ihm begegnete, zur Weitergabe.
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D
ie nächsten Tage bekam Spondhargent Rayneta Emberbey nicht zu Gesicht.
Vielleicht war das gut so, denn die Anwesenheit der Dame lenkte ihn viel zu
sehr von seinem Auftrag ab. Der bestand darin, Informationen zu sammeln und zu ergründen, was es tatsächlich mit dem Bund der Schwarzen Wahrheit auf
sich hatte. Spondhargent verbrachte die Nachmittage damit, leere Gespräche
mit Venger Emberbey zu führen und sich von ihm in das Halbwissen des Schwerterben über die mysteriöse Organisation einweihen zu lassen, die ihre Rappenreiter über Land schickte um allerorten neue Anhänger zu rekrutieren. Er studierte die Bücher und Schriften, die
Venger aus der Hand des Großmeisters bezog und die dieser ihm bereitwillig überließ. Novizen des Bundes und besonders mächtigen Herren, die sich für die Organisation
interessierten, in allen Dingen entgegenzukommen war ein zentrales Gebot des Kultes, wie Spondhargent es in der Tat niedergeschrieben fand. Es waren langweilige Stunden, anstrengend, und sie machten Spondhargent wirr im Kopf.
Die Abende leistete Spondhargent Graf Alsgör Gesellschaft und unterhielt den Greis mit
Erzählungen aus seinem ritterlichen Leben. Der Graf schien sehr erfreut darüber zu sein,
einen Gesprächspartner vor sich zu haben, der mit Informationen von den Adelshöfen und
spannenden Schilderungen prunkvoller Turniere aufwarten konnte. Venger Emberbey saß
manchmal dabei und versuchte, sich mit Kommentaren an der Konversation zu beteiligen. Spondhargent fiel auf, dass Vengers Gesprächsbeiträge seltsam inhaltsarm waren, so, als habe er nicht wirklich etwas zum Thema zu sagen und rede lediglich um des Gespräches willen.
An Alsgörs Tafel gab es sauren Wein. Doch Spondhargent fand den in dem für ihn
bestimmten, besonders schönen Gästekelch stets mit etwas Honig gewürzt vor. Honig, golden wie das Haar der jungen Gräfin.
V
ormittags widmete sich Spondhargent dem Training seines ritterlichen
Handwerkes, etwas, das er niemals vernachlässigte. Er hatte zur Genüge Ritter gesehen, die sich allenfalls bei und kurz vor einem Turnier einmal kurz aufs Pferd schwangen und deren Geschick im Umgang mit Ross und Waffe
jämmerlich waren. Doch bei Hofe genügte es, einen möglichst prächtigen
Eindruck zu machen und gut auszusehen im blanken Rüstzeug.
Spondhargent wollte das nicht. Er war ein Ritter, ein Krieger, ein Schutzherr seiner Bauern, ein Diener seines Königs. Kein Bauer hatte etwas davon, wenn seine Rüstung nur glänzte. Der Ritter hatte eine etwas abgelegene Wiese gefunden, auf der eine große Herde aus
wohlgenährten, starken Schafen weidete. Die Tiere hatten glänzende Augen und dichtes Fell, und viele trächtige Mutterschafe zupften zufrieden karges Dünengras. Die Hirten hatten
beim Anblick von Spondhargents schwarzer Rüstung keinen Einspruch dagegen erhoben, dass der Ritter sich am Rande der Wiese mit seinem Streitross tummelte.
Während Spondhargent an einem trüben Morgen dort mit seinem Pferd herumpreschte und mit einem Spieß auf einen Strohsack am Boden zielte, fühlte er sich plötzlich beobachtet. Er versammelte seinen Hengst und blickte auf.
Auf dem Pfad am Wiesenrand standen mehrere Reiter zu Pferd, zwei leicht bewaffnete
Burgsoldaten in der ärmlichen Uniform der Bernsteinbuchtburg, und vier Damen. Die Zofen http://home.tiscalinet.de/lamaga
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der Gräfin und sie selbst, Rayneta Emberbey, im Sattel des betagten Zelters, ihr schönes Haar unter eine Haube gezwängt. Ihr Gesicht war schmal und müde.
Spondhargent traf den Strohsack sauber und trabte dann auf die Gruppe zu. „Holde Dame,“ grüßte er und verneigte sich im Sattel vor ihr. „Was tut Ihr, Graf Spondhargent?,“ fragte sie befremdet. Er stutzte. „Wie meint Ihr das, mit Verlaub?“
„Warum werft Ihr Euren Speer nach dem Strohsack?“, wurde sie deutlicher.
Er fragte sich, ob sie im Ernst sprach. „Nun,“ antwortete er vorsichtig, „es ist ein Training, um mein Geschick zu erhalten. Euer Cousin wird ähnliche Übungen pflegen.“ Sie schaute zweifelnd. „Vielleicht...“, sagte sie dann. „Im Verborgenen...“ Spondhargent schwieg. Sie schien auf etwas zu warten.
„Wenn ihr wollt,“ erbot er sich, „beweise ich euch mein Geschick an einem lebendigen Tier.“ Er hatte erwartet, dass sie erröten würde. Aber das tat sie nicht. Auch, dass eine der Zofen hinter der Hand verstohlen kicherte, schien sie nicht zu bemerken.
Mächte, warum nur schaute sie ihn so bitterlich an... Spondhargent hatte das unangenehme Gefühl, dass er sich eine Ungezogenheit erlaubt hatte, ohne es zu wollen.
„Warum, Graf Spondhargent, wollt Ihr mir fortwährend etwas beweisen?,“ fragte sie leise. Darauf hatte er beim besten Willen keine sinnvolle Antwort.
„Es liegt in unserer Natur, den Damen gefallen zu wollen,“ antwortete er und brachte diese alberne Zofe damit nur noch zu lauterem Gekicher.
Rayneta wandte den Kopf in Richtung ihrer Begleiterin. Die andere Zofe – Spondhargent
erkannte nun die Begleiterin aus dem Garten – gab ihrer Freundin mit einem unwilligen Wink zu verstehen, sie solle schweigen.
Spondhargent saß mit hängenden Schultern im Sattel und beobachtete sie, wie anmutig und still sie ihre Gefährtinnen anschaute und welche Melancholie in ihrem Blick lag.
„Bleibt zurück,“ gebot sie dann ihrem Gefolge. „Ich habe mit dem Grafen zu reden.“ Sie trieb ungelenk die stoische Stute an und steuerte sie ein Stück auf die Schafweide hinaus. Spondhargent lenkte seinen Hengst hinterdrein und folgte ihr. Die Eskorte geriet in
Bewegung, offenbar waren sie alle befremdet über das eigensinnige Verhalten ihrer traurigen Herrin, aber solange diese in Sichtweite war, hatten sie keinen Anlass, einzugreifen.
„Ihr wollt mir gefallen, Graf Spondhargent,“ sagte sie ruhig. „Aber wie könnt ihr mir gefallen, mit dem, was ihr tut?“
Er war verblüfft. „Aber was habe ich getan, um Euch zu brüskieren, edle Dame?“ Rayneta schwieg. Er brachte sein Pferd an ihre Seite.
„Ihr seid nicht ehrlich, Graf Spondhargent. Ich merke das wohl. Ihr seid nicht ehrlich zu Vater, zu Venger und nicht zu Euch selbst.“
Wie sie redete... und was sie bemerkt haben mochte, in den kurzen Begegnungen... „Vielleicht habe ich Grund, nicht offen zu sein?,“ merkte er vorsichtig an.
„Wie könnte ich Euch denn dann trauen? Gefallen mit Misstrauen, lieber Graf, ist keine gute Sache.“
Er zügelte sein Pferd. Auch sie hielt an, vermied es, einen Blick mit dem seinen auch nur zu kreuzen und schaute hinüber zu den weidenden Schafen.
„Ich bange um Euch, Graf Spondhargent,“ fügte sie hinzu. „Und allein das war der Grund für mich, gegen den Willen meines Vaters diesen Ausritt zu wagen.“
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Sie bangte um ihn? Wieso? Er ritt nicht in den Krieg, nicht einmal ins Turnier. Es gab keinen Grund, sich um ihn Sorgen zu machen, obwohl es ihm irgendwie schmeichelte.
Aber wie sie redete, wie sie sich gab... da war etwas, etwas Großes, Erhabenes, dass sie mit Schleiern und züchtigen Gewändern zu verstecken versuchte. „Bin ich in Gefahr?,“ fragte er leise.
Sie nickte. „Ja. Wenn Ihr beginnt, an die Schwarze Wahrheit zu glauben.“
Das war es also! Sie sah seine Versuche, sich im Bund zu etablieren, Kontakte zu knüpfen, akzeptiert zu werden.
„Ihr macht euch unnütz Gedanken, edle Dame,“ sagte er ruhig. „Ich kann nicht frei reden. Aber ich kann Euch Eurer Sorgen entbinden.“
„Venger hat begonnen, daran zu glauben,“ wisperte sie. „Venger war ein übler Mensch. Aber die Schwarze Wahrheit... die hat ihn wirklich böse gemacht. Könnt Ihr das glauben, Spondhargent?“
„Ich hoffe,“ sagte er vorsichtig, „dass mir nicht das selbe widerfährt. Die Schwarze Wahrheit...“
„Ich habe oft Angst,“ unterbrach sie ihn nachdenklich. „Vater ist krank. Noch hält er seine schützende Hand über Haus und Gesinde. Wenn er hinter die Träume geht, wird es schlimm... entschuldigt mich!“
Sie zog ihr Pferd ungeschickt beim Zügel herum und trabte zurück zu ihren Begleitern. Der ganze kleine Trupp setzte sich in Bewegung und ritt in Richtung Burg zurück.
Spondhargent saß im Sattel, umgeben von den blökenden Schafen, und schaute ihr nach.
Sie war also eigens gekommen, um ihn vor der Schwarzen Wahrheit zu warnen. War sie so naiv, anzunehmen er habe noch nicht selbst bemerkt, dass da einiges faul war? War sie so besorgt, dass sie gegen das Gebot ihres Vaters zu handeln wagte?
V
enger Emberbey schaute auf, als Spondhargent zur täglichen Lektüre erschien und grinste säuerlich.
„Hattet Ihr einen angenehmen Morgen?“, fragte der Schwerterbe.
„Mein Training war zufriedenstellend,“ antwortete Spondhargent und ließ sich am Tisch nieder.
„Das kann ich mir denken,“ redete Venger weiter. „Man hat mir schon davon erzählt.
Spondhargent schaute misstrauisch auf. Venger hatte ein unergründlich-spöttisches Grinsen auf den Lippen.
„Es ist nichts Unrechtes geschehen,“ stellte Spondhargent knapp fest.
„Lass Euch auch weiterhin nicht verleiten, Graf Spondhargent,“ sagte Venger und blätterte
eine Seite in seinem Buch um. „Ein wahrer Herr der Schwarzen Wahrheit lässt sich nicht durch Weibergeschichten vom Ziel des Bundes abbringen.“
Spondhargent ließ ihn einen Moment weiterlesen und stellte dann fest, dass Vengers Blicke gar nicht über das Papier glitten. Der Ritter beobachtete ihn.
„Ich werde Euren Rat nicht vergessen,“ gab Spondhargent zurück. „Obgleich es mich Wunder nimmt, wie respektlos Ihr über Eure Cousine redet.“
„Ah, Ihr habt Euch also mit Rayneta unterhalten!“ Venger lachte amüsiert. „Was immer sie
Euch sagt, hört nicht auf sie. Sie ist ein einfältiges Ding mit schlichtem Gemüt.“ Seine Augen http://home.tiscalinet.de/lamaga
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verengten sich boshaft, als er hinzufügte: „Und außerdem ist sie hässlich. Jede Küchenmagd auf dieser Burg hat mehr zu bieten, wenn Ihr versteht, was ich meine.“
„Gewiss.“ Spondhargent nickte, obwohl Empörung in ihm hochkochte. „Ich staune darüber, mit welcher Sicherheit Ihr das zu sagen wisst.“
„Die Schwarze Wahrheit räumt ihren Dienern durchaus das Recht ein, sich die Zeit mit den Weibsbildern zu vertreiben. Alles weitere, Graf Spondhargent, ist unnütze Ablenkung von den wahren Zielen des Bundes.“
„Ich werde daran denken,“ versicherte Spondhargent und war sich tatsächlich sicher, dass er in seinem Leben diese Unterhaltung nicht mehr vergessen würde. Venger Emberbey, der Schwerterbe, widerte ihn an.
„Während Ihr draußen gespielt und geplaudert habt, kam dieses Schreiben vom Großmeister an,“ redete Venger weiter und hob einen Brief auf, der halb unter dem Bucheinband
verborgen gelegen hatte. „Der Großmeister ist äußerst erfreut über meinen Fund und wird, sobald seine Geschäfte es erlauben, hier eintreffen. Das wird für Euch die einmalige
Gelegenheit sein, in seine Dienste zu traten und von ihm höchstpersönlich als Herr der Schwarzen Wahrheit berufen zu werden.“
„Ich werde auf ihn warten. Wenn Euer Onkel mich noch so lange auf der Burg dulden mag.“
„Diese Burg,“ sagte Venger, „gehört sozusagen mir. Und ich weiß Euch gern in meiner Nähe.“ Er klappte das Buch zu und legte den Brief als Lesezeichen hinein.
„Wie geht es eigentlich dem Sohn des Grafen?,“ fragte Spondhargent ruhig. Venger starrte ihn einen Moment an und stand dann ruckartig auf.
„Merkt Euch, Graf Spondhargent,“ sagte er harsch. „Der Name meines Cousins wird in
diesem Haus nicht ausgesprochen. Er ist verbannt und verstoßen, und das ist gut so, für das Haus und seine Bewohner.“
„Ist er denn nicht Minister Eurer Königin und somit in respektabler Stellung?,“ fragte Spondhargent unbeeindruckt.
„Der Altgraf war sehr erleichtert, dass dieser missratene Kerl freiwillig die
Bernsteinburgbucht verlassen hat und ich die Bürde der Erbschaft auf mich genommen habe. Und nun lasst es gut sein!“
Verärgert steckte der Ritter sein Buch und seinen Brief ein und entfernte sich aus dem Gemach.
Spondhargent lehnte sich zurück und dachte nach.
Auch ohne Schwarze Wahrheit schienen sich in dieser Burg Abgründe aufzutun.
E
r fand Rayneta Emberbey, wieder in Begleitung ihrer Gesellschafterinnen, auf
der Bank im wilden Rosengarten. Die Damen schauten ihm neugierig entgegen, während Rayneta sich demonstrativ auf das Farbenspiel konzentrierte, das die untergehende Sonne auf das Meer zauberte.
„Ich habe auf ein Wort mit Eurer Dame zu sprechen,“ wandte er sich an die
Mädchen. „Lasst mich einen Augenblick mit ihr allein.“
Die Frauen zögerten, aber die eine, jene, die damals allein mit ihrer Herrin im Garten gewesen war, erhob sich bereits.
„Tut, was der Graf sagt,“ gebot Rayneta ihnen leise, ohne zu ihm hinzuschauen.
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Die Zofen zogen sich, unter verwirrten Blicken, zurück. Spondhargent setzte sich an das andere Ende der Bank, ohne eine Aufforderung abzuwarten.
Eine Weile schwiegen sie beide. Dann warf Rayneta einen flüchtigen Blick zu ihm hin und zuckte überrascht zusammen.
„Wie kann ich Euch beweisen, wie ernst es mir ist, mit Euch und dem, für das ich mich verstellen muss?,“ fragte er eindringlich.
Rayneta betrachtete ihn. Und dann lächelte sie.
„Venger wird es verwerflich finden, dass Ihr die Farbe aus Eurem Haar gewaschen habt,“ sagte sie.
„Sogleich würde ich meinen eigenen Wappenrock anlegen, hätte ich ihn dabei,“ beteuerte er und wurde sich bewusst, welcher Leichtsinn es gewesen was, die schmierige schwarze
Farbpaste auszuspülen. Spondhargents natürliches Haar war rotblond, wie bei den meisten
Männern der Gegend, aus der er stammte. „Was gäbe ich darum, Euch nicht in Verkleidung
entgegentreten zu müssen. Aber ich folge einem Auftrag, über den ich zu schweigen gelobt habe.“
„Es lag nie in meiner Absicht, Euer ritterliches Wort auf die Probe zu stellen, Graf
Spondhargent,“ sagte sie mit einer scheuen Zärtlichkeit in der Stimme. „Aber erlaubt einem
einfältigen Ding wie mir, Sorge zu empfinden, wenn es die Gefahr nicht abwenden kann. Und in Gefahr seid ihr.“
„Welche Art von Gefahr?,“ fragte er gespannt. „Welche Gefahr, der ich nicht trotzen könnte?“
„Die Faszination, Graf Spondhargent. Ich kenne Venger gut genug um zu wissen, dass er ein Dilettant vor der Schwarzen Wahrheit ist. Doch ich kenne nicht den Großmeister. Wie kann ich wissen, ob seine Worte nicht stärker sind als Eure Ehre?“
Spondhargent staunte. Wie vernünftig und gebildet sie redete. Und wie tiefsinnig sie dachte! Was nur tat diese Frau hier in dieser kargen Burg, versteckt vor der Welt, die sie bestaunen und verehren sollte aufgrund ihrer Schönheit, ihrer Milde und ihrer Klugheit?
Und, so kam es ihm urplötzlich in den Sinn, wo war diese Frau gewesen, als sie ein junges
Ding war, das bei Tänzen, Turnieren, bei all den höfischen Vergnügungen, die ihr zustanden, nach den jungen Männern hätte scheuen und von ihnen gesehen werden sollen?
„Wieso schaut Ihr mich so sonderbar an, Graf Spondhargent?,“ fragte sie unruhig, und er wurde sich dessen bewusst, dass er sie anstarrte.
„Ich fragte mich nur gerade,“ erklärte er ertappt, „wo ich all die Jahre meine Augen hatte, dass sie Euch nie zuvor erblickten.“
Sie lächelte, eine belustigte Bitternis auf den Lippen. „Ist dies Euer erster Verweil hier als Gast des Hauses Emberbey?“ „In der Tat,“ gab er zu.
„Dann waren Eure Augen stets zu weit von mir entfernt, edler Herr. Immer bin ich hier gewesen.“
Er schwieg. Sie schaute wieder aufs Meer, und er bewunderte verstohlen aus den Augenwinkeln ihren schlanken weißen Hals und ihre blassen Wangen. So lange, bis es ihr unheimlich zu werden schien, denn sie erhob sich.
„Ich muss ins Haus, Graf Spondhargent. Es wird kühl.“
„Darf ich euch diesmal meine Begleitung anerbieten?,“ fragte er rasch. http://home.tiscalinet.de/lamaga
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La Maga Spondhargents Herz Eine Schattenherz-Kurzgeschichte
Sie zögerte. Dann schüttelte sie den Kopf. „Das wäre nicht gut, edler Herr. Ihr habt wichtigere Dinge zu tun.“
Sie wollte sich abwenden, aber er erhob sich gegen ihren Willen, so dass sie verunsichert stehen blieb.
„Gräfin... Maid Rayneta,“ brachte er unbeholfen vor. „Ich bitte Euch, gestattet mir eine Verwegenheit.“
„Eine Verwegenheit, Herr? „
„Habt Gnade mit mir,“ fuhr er rasch fort. „Mit mir und meinem Herzen, das mir schmerzt, seit ich Euch zum ersten Mal sah.“
Sie stand kraftlos und verwirrt. Er näherte sich ihr vorsichtig. Nein, erschrecken wollte er sie nicht. Wenn sie nun vor ihm weglief, dann wäre alles vorbei.
„Maid Rayneta,“ wisperte er, fiel vor ihr auf die Knie und griff sacht nach ihrer Hand.
„Nein, Graf Spondhargent,“ flüsterte sie erschrocken. „Nicht...wenn jemand das sieht...“ Aber sie zog die Hand, die schlanke, zarte, mit diesem großen blitzenden Edelstein geschmückte, nicht weg, obwohl er sie nicht festhielt.
„Alle sollen es sehen,“ gab er entschlossen zurück. Und berührte ihren weißen Handrücken vorsichtig mit den Lippen.
Rayneta Emberbey stand steif und wie versteinert, und in ihren Augen spiegelte sich etwas
wie sehnsüchtiges Entsetzen. Er ließ die Hand los, schloss die Augen und erwartete ergeben ihren Tadel.
Eine Weile war es so still, dass das Meeresrauschen und das Klopfen seines eigenen Herzens
alles war, was Spondhargent hören konnte. Und dann strichen zarte Fingerspitzen vorsichtig über seinen Kopf.
„Erhebt Euch, Graf Spondhargent“, sagte sie, ihre Stimme war brüchig. „Und färbt Euer Haar, bevor Venger Euch so zu Gesicht bekommt.“
Er erhob sich und wagte nicht, in ihre grauen Augen zu schauen. „Wie Ihr wünscht,“ sagte er steif. Sie wandte sich ab und schritt fort.
Aber nach ein paar Schritten blieb sie wieder stehen.
„Behagt Euch der Honig in dem Wein, den man Euch zum Essen reicht, Herr Mandìor?“ Sein Herz klopfte schneller.
„Mit Verlaub, edle Maid... es ist der Honig, um dessentwillen ich den Wein trinke.“
„Dann ist es gut,“ nickte sie, ging weiter und wandte sich dabei noch einmal kurz zu ihm hin. Sie lächelte. Und dann war sie aus dem Garten verschwunden.
Und Graf Mandìor Spondhargent fühlte sich so glücklich, dass er am liebsten getanzt hätte.
G
raf Alsgör betrachtete den Gast seines Neffen schweigend, während die beiden Ritter bei dem Greis bei Tisch saßen. Alsgör verließ sein Gemach kaum noch, und die Treppe in die Ritterhalle hinab war für den alten Mann ein
unüberwindbares Hindernis geworden. Seit ein paar Tagen aß der fast zahnlose Alte einen besonders wässerigen Brei. Spondhargent war erschüttert mit
anzusehen, wie die Gesundheit des Altgrafen immer schneller verfiel.
Alsgör war siech, irgendeine innere Krankheit fraß ihn auf, eine, gegen den die Heiler kein Mittel wussten. Wenn Alsgör überhaupt einen Arzt an sich herangelassen hatte.
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Graf Alsgör Emberbey würde zweifellos in den nächsten Wochen hinter die Träume gehen.
Und was dann mit seinem Erbe geschehen mochte, das stimmte Spondhargent beunruhigt.
Venger erwartete nach wie vor die Ankunft des Großmeisters, schien zwar ungeduldig, aber doch gelassen zu sein. Was immer er im Schilde führte, er schien es gut unter Kontrolle zu haben. Mit Unschuldsmiene löffelte er seinen Brei. Spondhargent dachte darüber nach, wie
es sein konnte, dass Venger bei dieser schmalen Kost einen Bauch hatte ansetzen können. Du wartest auf den Tod deines Onkels, dachte Spondhargent. Ich wüsste zu gerne, was du alles vor den Augen deines Brotherrn versteckst, abgesehen von deiner Gesinnung. Alsgör bemerkte trotz seiner schwachen Augen, wie geistesabwesend Spondhargent sich gab. Der Altgraf schaute ihn prüfend an.
„Ihr esst nicht, Spondhargent,“ sagte er. „Das Essen wird nicht wärmer. Oder schmeckt es Euch nicht?“
„Es ist vorzüglich, Herr,“ antwortete Spondhargent eilig. „Meine Gedanken waren für einen Augenblick anderswo.“
Venger grinste kurz und schob sich einen Löffel voll in den Mund.
„Ich hörte sagen, dass Eure Familie größer sei als die hier unter dem Dach versammelten,“ fügte Spondhargent hinzu.
Venger schaute ruckartig zu ihm hin und vergaß, zu schlucken.
Alsgör nickte. „Das stimmt. Venger, mein getreuer Schwertherr hier, der Sohn meiner Schwester, und Rayneta, mein Kleinod, sie sind mir geblieben... doch die ältere Tochter,
Truda - sie steht als Edelzofe in Diensten der Gräfin vom Garten, weit fort von hier, jenseits
der Himmelsberge.“ Er seufzte. „Ich bekomme sehr selten Nachrichten von ihr. Es scheint ihr so gut zu gehen, dass sie ihres alten Vaters nicht mehr bedarf.“
„Aber habt Ihr nicht auch einen Sohn?,“ fragte Spondhargent beiläufig.
Alsgör ließ den Löffel in die Schüssel fallen und wollte etwas entgegnen, doch Venger sprang auf und lief an seine Seite.
„Nein, Oheim,“ redete er hastig auf den Alten ein. „Der Graf hat unbedacht geredet...“ Spondhargent senkte den Blick. „Vergebt,“ sagte er. „Ich hatte nicht geglaubt...“
„Nein,“ stieß Alsgör matt hervor. „Einen Sohn habe ich nicht. Schon lange nicht mehr.“ Er tastete nach dem Löffel und schabte schweigend in seiner Schüssel. Auch Venger setzte sich, nach einem mahnenden, verärgerten Blick an Spondhargents Adresse, wieder hin. „Der königliche Minister,“ sagte Alsgör plötzlich, „soll sein Amt gut versehen...“
„Ja,“ stimmte Spondhargent vorsichtig zu. „Man preist ihn für seine Milde, seine Klugheit und seine Treue.“
Venger gab ein schnaubendes Auflachen von sich und aß weiter.
„Das freut mich, zu hören,“ antwortete Alsgör. „Die Zufriedenheit der Königin hat höchste Priorität.“
„Ich sah ihn von weitem auf einem Hoftag,“ redete Spondhargent gelassen weiter. „Ein
vornehmer, achtunggebietender Herr ist er. Viele Herren wünschten sich einen klugen Ratgeber wie ihn.“
Alsgör nickte versonnen. Vengers Gesicht hingegen war von einem sehr sonderbaren Ausdruck gezeichnet.
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Der Rest der Mahlzeit verlief schweigend. Erst als die beiden Ritter vom Tisch aufgestanden waren, zischte Venger wütend zu Spondhargent hinüber: „Sagte ich nicht, der Name sei in diesem Haus tabu?“
„Habe ich einen Namen genannt?,“ fragte Spondhargent unbeeindruckt zurück. Dann ging er fort und ließ den Schwerterben stehen.
V
engers Mutter starb bei der Geburt seines Bruders,“ erklärte Rayneta leise, ohne von ihrem Stickzeug aufzublicken. Wie zufällig stand Spondhargent einen
Schritt weit von ihr entfernt am Fenster und blickte auf das goldene Wasser im Sonnenglanz. „Auch das Kleine hat nicht überlebt. Es war ein furchtbar heißer Sommer, und die Geburt war unglücklich.“
„Das tut mir leid,“ sagte Spondhargent. „Und da hat sein Onkel ihn ins Haus genommen?“
Rayneta stichelte emsig. Die roten Rosen auf ihrem Tuch wucherten. „Venger hatte keine anderen lebenden Verwandten.“ „Keinen Vater?“
Rayneta errötete. „Keinen, von dem man gewusst hätte,“ flüsterte sie. „Seine Mutter hatte viele Gefährten, und manche davon nur für eine Nacht.“
Spondhargent konnte kaum glauben, was er da hörte. Sollte das Haus Emberbey tatsächlich eine so ungezügelte Frau hervorgebracht haben, aller asketischen Keuschheit zum Trotz?
„Sie hatte ein sehr vergnügtes Leben,“ behauptete Rayneta, „und sie reiste von Fest zu Fest. Sie war reich. Viele hätten sie gern bei sich behalten. Aber sie wollte sich niemandem anvertrauen. Vater sagte einmal, sie sei glücklich gewesen, Venger bei ihm lassen zu können. Er war vier Jahre alt, als sie ihn in Vaters Obhut gab.“
Spondhargent wandte sich der Dame zu. Rayneta saß auf einer gepolsterten Bank nahe ihres Gemaches und hatte die Zofen unter einem Vorwand fort geschickt, als sie ihn in ihrer Nähe bemerkte. Spondhargent hatte den Verdacht, dass dabei die eine Zofe, jene von der ersten Begegnung im Garten, Rayneta dabei durchaus zuspielte und behilflich war.
„Das muss ihn sehr gekränkt haben,“ versuchte er, Verständnis für Vengers Schicksal aufzubringen.
„Aber warum? Vater hat Venger stets behandelt wie einen kleinen Prinzen. Alles, worum er gebeten hat, alles, was er tun wollte, er hat es bekommen. Es war kein Leben in Reichtum und Prunk, eines Grafen würdig. Aber es war ein Leben in Narrenfreiheit.“ „Ich verstehe,“ sagte Spondhargent matt.
Rayneta hörte auf, zu sticken. Nun schaute sie mit großen grauen Augen wieder in sein Gesicht.
„Habt kein Mitleid mit Venger, lasst Euch nicht täuschen von Eurer milden Seele,“ bat sie ihn eindringlich. „Venger ist kein guter Mensch.“
„Habe ich denn eine milde Seele?,“ fragte er belustigt.
Sie errötete. „Würdet Ihr sonst Eure Aufmerksamkeit an eine alte Jungfer wie mich verschwenden?“
Er kam näher und fühlte sich versucht, vor ihr zu knien, aber die Zofen konnten jeden Moment zurückkehren. Er durfte nicht mehr allzu lange mit ihr sprechen, um keinen Verdacht zu schüren.
„All meine Aufmerksamkeit habt Ihr verdient,“ sagte er rau.
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„So entfernt Euch und lasst nicht die Aufmerksamkeit anderer zu sehr auf Euch ruhen, edler Herr,“ sagte sie beiläufig und stickte. Noch während sie sprach, näherten sich ihre
Dienerinnen mit raschelnden Röcken. Spondhargent war erstaunt, dass sie das Kommen ihrer Wächterinnen geahnt hatte.
Steif und förmlich verneigte er sich und ging dann rasch davon. An diesem Abend schmeckte ihm der Wein süßer denn je.
A
m nächsten Morgen hatte Spondhargent gute Laune. Er hatte auf seinem
Morgenritt einen schon in Blüte stehenden Fliederbaum entdeckt und dort aus dem Sattel heraus mit blanker Klinge einige Zweige geschnitten. Den Strauß
hatte er nun im Arm und beabsichtigte, ihn irgendwie zu Rayneta in die Burg zu bringen. Es war ihm einerlei, ob die Schwarze Wahrheit Minnegaben an
Weibspersonen guthieß oder nicht – vor langen Jahren, in seiner Knappenzeit, hatte er
gelernt, dass man als Ritter mit Damen galant zu sein hatte. Alle Damen schwärmten für Blumen.
Nicht im Traum hätte er daran gedacht, dieses Wissen einmal brauchen zu können.
Rayneta war eine Edeldame, und sie hatte ein Recht auf ritterliche Gunstbeweise. Hätte er sie mit dem Kopf eines Drachen glücklich machen können, er wäre losgezogen, um einen zu erlegen.
Als er sich der Burg näherte, entdeckte er auf einer der Weiden Vengers nervösen Rappen. Das Tier stelzte steifbeinig und mit angelegten Ohren einher und schnappte nach den
neugierigen Schafen ringsum, konnte aber nicht fortlaufen, da man es angepflockt hatte.
Spondhargent stellte sich in die Steigbügel und schaute sich nach dem Ritter um. Vermutlich befand der sich in dem halb offenen Unterstand am Ende der Wiese, der Schafen und Hirten bei Unwetter als Unterschlupf dienen sollte. Das aus alten Planken provisorisch
zusammengezimmerte Gebäude kehrte dem Ritter die Rückwand zu. Spondhargent stieg ab, ließ sein Pferd stehen und schlich näher, bemüht, mit den Metallteilen seiner Rüstung nicht
zu viel Lärm zu machen. Zum Glück war der Wiesenboden weich, dichtes Gras dämpfte seine Schritte, als er an die Wand herantrat und durch die Ritzen zwischen den Planken spähte. Venger Emberbey, in vollem Staat der Schwarzen Wahrheit, saß dort, umgeben von einer Schar zwielichtig aussehender, verkommen wirkender Burschen und redete flüsternd zu ihnen.
Verstehen konnte Spondhargent allerdings nicht – das Blöken der Schafe, die zutraulich um
ihn herumliefen, übertönte jedes Wort. Doch dass ein Geldbeutel den Besitzer wechselte, das genügte, um Spondhargent zu alarmieren.
Offenbar war man hier gerade mit einem Geschäft zum Ende gekommen. Jeden Augenblick
konnten Venger und seine Begleiter auf den Gedanken kommen, den Schuppen zu verlassen. Er konnte nicht warten. Hastig eilte Spondhargent zurück zu seinem Rappen, schwang sich in den Sattel und preschte eilig über die Wiese davon. Den Flieder vergaß er in der Hast.
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I
ch fand diesen Brief, hindurchgeschoben unter meiner Tür,“ sagte Rayneta. „Ich vermute, er stammt von Eurer Hand.“
Sie hatten sich im Rosengarten getroffen, Wie sie es geschafft hatte, den Zofen
zu entwischen, sollte er nicht erfahren, aber es blieb nur sehr wenig Zeit für sie allein.
„Hat es Euch gefallen?,“ fragte er verlegen.
Sie legte ihm scheu die Hand auf den Arm. „Ich kann nicht lesen, Graf Spondhargent.“
Das erschreckte ihn. Hatte sie denn unter diesem verbohrten Geizhals von Grafen nicht die mindeste höfische Damenbildung genossen? Vermutlich nicht. Alsgör schien altmodische
Ansichten zu vertreten, was die Erziehung seiner Kinder und die Zucht betraf, in der er sein
Gesinde hielt.
Er hatte sich so viel Mühe mit dem Minnelied gegeben, wenn auch große Teile daraus aus der Erinnerung von Vorträgen albern bunt herausgeputzter Troubadoure abgekupfert und der Rest ziemlich peinlich gewesen war in seiner unbeholfenen Schwülstigkeit.
„Mögt Ihr es mir nicht vorlesen?,“ fragte sie mädchenhaft. „Es darf nicht in meiner Kemenate
bleiben, jemand könnte es finden.“
Nun war er es, der verlegne war. Es niederzuschreiben – und er wusste, dass er ziemlich viel Wein im Blut gehabt hatte, als er es getan hatte – dazu hatte er sich überwinden können. Es ihr aber von Angesicht zu Angesicht vorzutragen... nein, das brachte er nicht über sich.
Sie ersparte ihm die Antwort, aber sie lächelte mit zaghafter Belustigung. „So werde ich es wohl besser doch unter meinen Sachen verbergen und mich am Anblick Eurer Schrift erfreuen.“
Er schwieg verwirrt. Mächte, wie sehr ihn diese Frau anzog. Es konnte nicht allein ihre in eine
entstellende Maske der Züchtigkeit gezwängte Schönheit sein, mit der sie ihn für sich
gewonnen hatte. Da war so viel mehr, so etwas... ja, etwas Angenehmes in ihrer Gegenwart, etwas, das seine Seele zu spüren schien und zu dem es strebte. „Erlaubt mir, edle Dame...“, setzte er an.
„Fragt, aber beeilt Euch. Sie werden uns bald finden. Und ich weiß, dass einer aus meinem Gefolge Venger aufs genaueste über alles informiert, was ich tue. Und was ich rede.“
„Warum seid Ihr nicht, gleich Eurer Schwester, in höfische Dienste getreten? Diese Burg, Gräfin, sie zwängt Euch ein.“
„Aber ich konnte doch nicht fort,“ erklärte sie sanft. „Ich bin doch das letzte, das Vater von seinen Kindern geblieben ist...“
„Was ist mit Eurem Bruder geschehen?,“ fragte Spondhargent. Sie seufzte und schaute zu Boden.
„Sie haben ihn ausgestoßen,“ erklärte sie dann. „Vater wollte ihn nicht mehr im Haus haben.
Es war ein Geschenk der Mächte, dass er in die königlichen Dienste treten konnte, ohne dass es einen Skandal gab. Wir schweigen darüber.“
„Darf ich erfahren, warum?,“ erkundigte sich Spondhargent.
Sie wich ihm aus. „Weil Venger eine Wahrheit über ihn erzählt hat. Eine Wahrheit, die niemanden verletzt außer dem Stolz meines Vaters. Das soll Euch genügen.“
So fand Spondhargent bestätigt, was über den Minister der Königin gemunkelt wurde und was Rayneta sichtlich unangenehm war.
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„Denkt darüber, wie ihr wollt,“ sagte sie, und nun lag sogar ein Fünkchen Trotz in ihrer
leisen Stimme. „Ich habe keinen Menschen auf der Welt mehr wert als meinen guten Bruder, der mich nie vergessen hat.“
„Ich schätze das, was man über ihn erzählt, in Achtung und Ehre,“ beteuerte Spondhargent. „Ist das wahr?“
„Welchen Grund hätte ich, euch anzulügen?“
Sie neigte den Kopf beiseite und musterte ihn prüfend. „Weil ihr das Bestreben habt, mir zu gefallen?“
Er kam nicht dazu, zu antworten, denn es näherten sich Stimmen. Rayneta sprang behände auf und eilte aus dem Garten, bevor ihre Zofen diesen betreten und den Ritter finden konnten.
Spondhargent schaute auf das Meer. Ein paar kleine Fischkutter segelten durch die Bucht. Auch vor der Silberuferburg waren die Fischer auf Makrelen und Heringe aus. Wie lange wohl würde er noch fern seiner Heimat bleiben müssen?
D
ie Schwarze Wahrheit,“ sagte Venger beiläufig, „schätzt es ganz und gar nicht,
wenn ihre Diener zu viel Aufmerksamkeit an das Weibsvolk verschwenden.“
Spondhargent war in die Briefe vertieft, die vor ihm aufgestapelt auf dem Tisch lagen. „Ich weiß nicht, wovon Ihr redet.“
Venger schwieg einige Augenblicke lang, während Spondhargent
weiterblätterte.
„Euer Interesse an meiner Cousine erregt selbst beim Gesinde Aufmerksamkeit,“ fuhr er dann fort. „Seid ihr hier, um den Großmeister zu treffen oder um mit Frauenzimmern zu beschäftigen?“
Spondhargent schaute zu ihm hinüber. Der andere Ritter hatte sich zurückgelehnt und die Arme vor seinem Bauch verschränkt.
„Und wenn dem so wäre?,“ fragte der Graf lauernd.
„Es könnte den Großmeister zu der Überzeugung bringen, dass Ihr doch nicht der rechte Mann für die Mission der Schwarzen Wahrheit seid.“
Spondhargent wartete. Venger seufzte und neigte sich vor.
„Graf Spondhargent – ich rede als Freund zu Euch. Der Bund der Schwarzen Wahrheit ist
angewiesen auf viele mächtige Männer, die seine Reihen stärken. Energische, zielstrebige und weitsichtige Männer, um die oberen Riegen des Bundes zu stärken. Ihr seid ein
angesehener Mann und Euer Ruhm eilt Euch allerorten voraus. Die Schwarze Wahrheit wäre stolz, Euch zu gewinnen. Setzt dieses Vertrauen nicht leichtfertig aufs Spiel wegen einer einfältigen dummen Weibsperson.“ Spondhargent schwieg.
„Was erwartet die Schwarze Wahrheit von den mächtigen Männern in ihren Reihen?,“ erkundigte er sich dann.
Der Schwerterbe der Bernsteinbuchtburg lächelte befriedigt.
„Ihr habt Gesinde, Graf Spondhargent. Männer in Waffen. Viele Helfer, die bei der Suche nach den vergessenen Dingen der Magier mithelfen können, die beim Bau der Eisernen Schiffe arbeiten können, die sich bereit machen können, den vielfältigen Feinden der Schwarzen Wahrheit entgegen zu treten.“
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„Die Schwarze Wahrheit will also meine Macht,“ fasste Spondhargent zusammen.
„Nur die Mächtigen können die Schwarze Wahrheit mächtig machen, in dem sie ihre Feinde
zu bekämpfen. Ist es nicht eine Ehre, Teil der Macht zu sein, die den Sieg erringen wird?“
„Es ist ein befriedigender Gedanke,“ nickte Spondhargent nachdenklich. „Macht für die Macht zu sein...“
„Wenn die Schwarze Wahrheit am Ziel ist,“ bestätigte Venger eindringlich, „dann wird ein
neues Zeitalter anbrechen. Die alten Mächte werden vergehen, und alle, die für die Schwarze Wahrheit einstehen, werden das Ewige Glück erlangen. Bedenkt, Graf Spondhargent, das Ewige Glück...“
Das war es also, was die Schwarze Wahrheit wollte. Die Weltherrschaft. Spondhargent faltete die Briefe zusammen.
„Das, Herr Venger, scheint mir tatsächlich ein lohnendes Ziel zu sein.“ „Dann kann ich, dann kann der Großmeister auf Euch zählen?“
Der Graf vom Silberufer erhob sich. „Ganz zweifellos, Herr Venger. Wer würde nicht alles geben für das Ewige Glück?“
S
pondhargent fand Rayneta im kleinen Saal, wo auch die Abendmahlzeiten
eingenommen wurden. Aber er wagte es nicht, sie anzusprechen, denn sie saß auf einem Bänkchen zu Füßen des Altgrafen, hielt seine gichtverkrümmten
Hände in den ihren und redete leise auf ihn ein. In ihrem Gesicht lag Milde, eine
liebevolle Nachsicht und entspannte Ruhe. Spondhargent konnte aus der
Entfernung nicht hören, über was sie redeten, aber der alte Mann streichelte über ihr
strenges blondes Haar und tat dann etwas, was Spondhargent nicht für möglich gehalten hätte – er lächelte.
Spondhargent räusperte sich. „Graf Emberbey?“
Rayneta zuckte zusammen, sprang auf und verneigte sich unsicher in seine Richtung. „Geh in deine Kammer, Rayneta,“ forderte der Altgraf seine Tochter auf.
Rayneta knickste und schritt dann anmutig und mit züchtig niedergeschlagenem Blick an
Spondhargent vorbei auf den Gang hinaus. Spondhargent verneigte sich als sie vorüberging und stellte berauscht fest, dass sie nach einfacher Seife duftete.
Für den Lidschlag, den sie einander nahe waren, streiften sich ihre Blicke. Dann errötete sie und war verschwunden.
„Was gibt es, Graf Spondhargent?,“ fragte Alsgör. Er klang gut gelaunt. Die Gegenwart der liebevollen Tochter tat dem Greis wohl.
Sollte er den alten Mann unnötig beunruhigen? Sollte er ihm erzählen, in welcher
Gesellschaft er Venger beobachtet hatte, welchen Verdacht er hegte, nachdem man ihm nun in die Ziele der Schwarzen Wahrheit eingeweiht hatte?
Sollte er Graf Alsgör wirklich sagen, was er für dessen Tochter empfand – und würde er den Alten damit nicht in den letzten Wochen seines Lebens unnötig aufregen?
Nein. An Alsgör war alles vorbei gegangen, was um Venger herum vorging. Rayneta hatte es von ihm fern gehalten. Sollte er, der Gast, dieses Arrangement wirklich in Gefahr bringen? War es nicht an ihm, stillschweigend die Verantwortung zu übernehmen – für Rayneta?
„Ich wollte mich für die freundliche Aufnahme hier im Haus der ehrenwerten Emberbeys bedanken,“ sagte er. „Ich weiß die Zuvorkommenheit mir, einem Ritter eines fremden
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Herrscherhauses sehr zu schätzen. Und ich möchte Euch versichern, Graf Emberbey, dass ich dieses Vertrauen niemals enttäuschen will. Das Wohl des Hauses Emberbey und seiner
Bewohner liegt mir am Herzen. Wenn immer jene Beistand vom Silbernen Ufer brauchen – zählt auf mich.“
Graf Alsgör schaute ihn aus trüben Augen lange Zeit an.
„Graf Spondhargent,“ sagte er dann, „Ihr seid ein Ehrenmann, wie ihn mein Haus mehr zu
schätzen weiß als Gut und Geld. Ich hoffe inständig, dass Euer Einfluss meinen Neffen adeln wird.“
Spondhargent verneigte sich. „Dessen seid gewiss.“
A
ls er auf den Flur trat und sich auf den Weg zu seinem Gemach machte, sah er etwas Funkelndes auf dem Sims des großen Aussichtsfensters liegen, zum
Leuchten gebracht durch einen letzten Strahl der Abendsonne, die draußen das Meer golden färbte. Über dem Goldschimmer dunkelte der Himmel bereits und schmückte sich mit einzelnen Sternen. Die Nacht kam über die
Bernsteinbuchtburg.
Er trat näher und hob es auf.
Es war Raynetas blitzender Edelsteinring. Unmöglich, dass sie ihn auf der Fensterbank verloren hatte. Sie hatte gewollt, dass er ihn fand, wenn er den Raum verließ. Spondhargent überlegte nur einen Moment. Dann steckte er den Ring ein und machte sich auf den Weg zu Raynetas Gemächern.
Die drei Zofen kamen ihm entgegen und grüßten ihn höflich. Nach dem, was er aus ihrem Gespräch aufschnappte, waren sie auf dem Weg in die Küche, da die Herrin ein Getränk wünschte. Die dritte lächelte sogar rätselhaft und nickte ihm zu.
Spondhargent gab sich den Anschein, an den Hausgemächern vorbei zu wollen, drehte sich
auf der Treppe um, kaum dass die jungen Frauen außer Sicht waren und eilte lautlos hinüber zu ihrer Kemenatentür. Sacht pochte er an das Holz.
Rayneta öffnete beinahe sofort. Sie spähte fragend durch den Spalt ihrer Tür. „Ich habe etwas gefunden,“ sagte er leise.
Sie schaute ihn mit ihren wunderschönen grauen Augen an und wartete. „Was, edler Herr?,“ fragte sie dann gespannt.
Er öffnete die Hand und hielt ihr den Ring hin. „Das Ewige Glück.“
Sie lächelte, ohne zu erröten. Und machte die Tür weit auf.
„Komm,“ forderte sie zärtlich. „Komm, Mandìor. Lange habe auch ich auf das Glück gewartet.“
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