SATZ UND SINN
STUDIEN ZUR ÖSTERREICHISCHEN PHILOSOPHIE Herausgegeben von Rudolf Haller BAND XXXIX
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SATZ UND SINN
STUDIEN ZUR ÖSTERREICHISCHEN PHILOSOPHIE Herausgegeben von Rudolf Haller BAND XXXIX
SATZ UND SINN BEMERKUNGEN ZUR SPRACHPHILOSOPHIE WITTGENSTEINS Volker A. Munz
Amsterdam - New York, NY 2005
The paper on which this book is printed meets the requirements of “ISO 9706:1994, Information and documentation - Paper for documents Requirements for permanence”. ISBN: 90-420-1716-3 ©Editions Rodopi B.V., Amsterdam - New York, NY 2005 Printed in the Netherlands
Meinen Eltern gewidmet
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INHALT
Vorbemerkungen
11
I. Sätze der Form »A glaubt, dass P.« 1. Problemstellung 2. Die Unhaltbarkeit subjektivistischer Interpretationsansätze und das Problem der stillschweigenden Annahme 3. Satz und Gedanke 4. Zur Frage der Anwendung und ihrer Möglichkeit 5. Das Aufgehen des Subjekts in der Sprache 6. Bemerkungen zu Pitcher 6.1. Zum Verhältnis zwischen »mental states« und »physical states« 6.2. Satz, Sprecher und Intention 7. Wesentlich und willkürlich
17 17
II. Elementarsatz und phänomenologische Sprache 1. Einleitende Bemerkungen 2. Gegenstand, Abbild und logische Analyse 3. Gegenstand und formaler Begriff 4. Satz, unmittelbarer Sinn und Bedeutungskörper 5. Elemente und Erfahrung 6. Bemerkungen zu Gegenstand, Farben und Allgemeinheit 7. Einfach und zusammengesetzt 8. Muster und Paradigma 9. Elementarsatz, Sinnesdatenproposition und Regel der Grammatik. Eine kurze Rekonstruktion der Übergänge 9.1. Pseudoparadigmen
49 49 50 55 59 65 68 71 77
22 26 29 31 34 34 38 46
82 82
9.2. 9.3.
Elementarsatz versus Sinnesdatenproposition Phänomenologische Sprache und Phänomenologie als Grammatik. Bemerkungen zum Farboktaeder
III. Die wandelnde Bedeutung der Elementarsätze im Rahmen des Farbeninkompatibilitätsproblems 1. Einleitende Bemerkungen 2. Apropos 6.3751 3. Das problematische Schema der Ingredienzien 4. Die neue Elementarsatzkonzeption IV. Regel und notwendiger Satz. G. E. Moore über Wittgensteins Auffassung von »Necessary Propositions« 1. Notwendige versus empirische Sätze und die Frage nach dem Sinn 2. Grammatische Regel und Willkürlichkeit 3. Arithmetische Sätze und ihre Anwendung 4. Apropos »Rules treat only of the symbolism« 5. Logische Mannigfaltigkeit. Eine Analogie der Arithmetik zum Schachspiel 6. Abschließende Bemerkungen zur logischen Deduktion V. Wittgensteins »Single Lecture on Necessary Propositions« 1. Einleitende Bemerkungen 2. Notwendige Sätze. Eine Einführung 3. Denkbarkeit und Negation 4. Regeln der Grammatik im Schema analytischer und synthetischer Sätze 4.1. Regeln der Grammatik und empirische Sätze 4.2. Bemerkungen zum Begriff des Unsinns 4.3. Metaphysik und Symbolismus 4.3.1. Apropos »Ein Anderer kann nicht meine Schmerzen spüren.« 4.3.2. Zum Problem der Mehrdeutigkeit von Sätzen 4.3.3. Zur Lösung des Problems der Mehrdeutigkeit
84 87
99 99 99 106 116
125 125 131 135 141 151 156 159 159 161 167 171 171 173 177 177 179 187
4.3.4. Zur Eliminierbarkeit der ersten Person 4.3.5. Wesen und Grammatik 5. Abschlussbemerkungen zu notwendigen Sätzen
200 214 229
VI. Eine behaviouristische Fehlinterpretation 1. Einleitende Bemerkungen 2. Die psychologische Form des Behaviourismus 3. Wittgenstein und Behaviourismus 3.1. Bemerkungen zur Existenz psychischer Phänomene 3.2. Erlebnis und Bezeichnung 3.3. Ausdruck und Rechtfertigung 3.4. Die Möglichkeit einer Privatsprache, der Komplementärfarbenseher und das Analogieschlussverfahren 3.5. Selbstzuschreibung und Verhalten 3.6. Fremdzuschreibung und natürliche Einstellung
235 235 237 243 249 256 271 278 286 289
Literaturverzeichnis
293
Personenregister
301
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VORBEMERKUNGEN
In einer Diskussion mit Yorick Smythies, einem über lange Jahre engen Freund und Schüler, bemerkte Wittgenstein auf die Frage, was er für die Grundprobleme der Philosophie halte: »Subject and predicate«. Offensichtlich hat dieser Stellenwert der Sprache in der Rezeption seiner Schriften jedoch zu teilweise massiven Missverständnissen geführt. Diese Missverständnisse betreffen sowohl die Textexegese als auch die Auffassungen der Wittgenstein’schen Methodik des Philosophierens. So finden sich etwa zahlreiche Arbeiten der letzten Jahrzehnte, welche die Untersuchungen Wittgensteins als reine Begriffsanalyse verstehen. Die Etikettierung als logischer Behaviourist sei hier nur exemplarisch angeführt. Smythies bemerkte über einige der »Schüler« Wittgensteins sehr treffend: »[They] have converted Wittgenstein’s thoughts into ‘descriptions of concepts’. The word ‘language’ produces on their faces a serious expression.« Auch Rush Rhees betont die Gefahr eines solchen Missverständnisses in einer sehr allgemeinen Bemerkung zur Philosophie Wittgensteins: I think someone has asked: ‘Why does Wittgenstein think language so important? Why does he think the truth is to be found there?’ He did not think so. He thought language was important first of all because of its obvious connexions with logic – because logic has to do with propositions, if you like. But he also said sometimes that philosophical difficulties arise because we cannot get an overall view of the grammar of the language we are using. I am not sure he would have put it exactly like this at the end, but in any case it does not mean that an overall view of the grammar would give you the answer to philosophical questions. For they are not questions about language. The man who is puzzled about the nature of thought is not puzzled about language; he is puzzled about thought: and similarly if he is puzzled about chance and necessity or about the relation
12
Vorbemerkungen
between sensations and physical objects or whatever it may be. Wittgenstein was aware of this, and he emphasized it in his lectures.1
Unter Berücksichtigung einer solchen möglichen Fehleinschätzung bildet die Untersuchung des Wittgenstein’schen Sprachverständnisses die Grundlage dieses Buches. Zur Vermeidung rein konzeptioneller Analysen wurde daher auch das Verhältnis von Sprache und Realität in den Vordergrund gestellt. Diese Relation bildet sicher einen der zentralen – möglicherweise den Schwerpunkt der Philosophie Wittgensteins. Denn bei allen unterschiedlichen Bestimmungen und Problemlösungsansätzen im Laufe seines philosophischen Wirkens findet sich die Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit in allen Ansätzen Wittgensteins wieder, ganz grob gesprochen, angefangen von der im Tractatus-Logico-philosophicus entwickelten Idee einer logischen Isomorphie zwischen Satz und Sachverhalt, über die Idee einer phänomenologischen Sprache als Ausdruck unmittelbarer Erfahrungen bis hin zu dem für die Spätphilosophie zentralen Begriff der grammatischen Regel und ihrer sinnvollen Anwendung. Wie die hier vorgelegten Untersuchungen zeigen sollen, kommt dem Verhältnis des Satzes zu seinem Sinn besonderes Gewicht zu: So steht die Sinnhaftigkeit der Elementarsätze des Tractatus in interner Relation zur Möglichkeit denkbarer Sachverhalte. Hier spielt vor allem die Forderung nach Sätzen, die ihren Sinn unmittelbar zeigen, eine fundamentale Rolle. Diese Forderung nach Sprachzeichen, deren Sinn unmittelbar gegeben ist, findet sich auch noch in der von Wittgenstein für kurze Zeit vertretenen Konzeption einer phänomenologischen Sprache wieder, in welcher die sogenannten primären Sätze als Ausdrücke der unmittelbaren Erfahrung jene intuitive Sinnstiftung erfüllen sollten. Im Rahmen der in Wittgensteins Spätphilosophie entwickelten Satzbestimmungen stand hingegen der Begriff der Regel und deren Anwendung zur Sicherung sinnvollen Sprachgebrauchs im Zentrum seiner Auffassung der Funktion von Sprachausdrücken. In all diesen Konzeptionen finden sich dabei zu den angesprochenen Satztypen entsprechende, in ganz unterschiedlichen Beziehungen stehende 1
Rhees, Rush: Ludwig Wittgenstein. The Man and His Philosophy. A Symposium, in: The Listener, 04. 02. 1960, S. 209. Wieder abgedruckt in: Ludwig Wittgenstein: The Man and His Philosophy. A Symposium, edited by K. T. Fann, New Jersey, Sussex, 21978, S. 74–78.
Vorbemerkungen
13
Korrelate: Elementarsatz und Satz, primärer Satz und Hypothese, sowie Satz der Grammatik und empirischer Satz sind wesentlich miteinander verbunden. Eine genauere Betrachtung dieser Satzpaarbestimmungen und Relationen liefert somit ebenfalls wichtige Hinweise zum besseren Verständnis der Wittgenstein’schen Auffassung von Sprache und ihrer Beziehung zur Welt. Ziel der hier vorgelegten Untersuchungen ist es daher, eine möglichst umfangreiche Darstellung seiner Sprachkonzeption vorzustellen, mit dem Versuch, neben Wittgensteins unterschiedlichen Satzbestimmungen auch die Motive, Ausgangslagen und zugrundeliegenden Fragen zu rekonstruieren, welche vermutlich sein gewandeltes Sprachverständnis bedingten. Und dabei, so wird sich zeigen, nimmt die Beziehung zwischen Satz und Sinn eine zentrale Stellung ein. Methodisch erschien es mir in allen Kapiteln sinnvoll, durch die Fokussierung auf vorliegende Fehlinterpretationen gleichsam von außen ein adäquateres Verständnis der Sprachauffassung Wittgensteins zu liefern. Im ersten Kapitel werden daher anhand subjektivistischer Fehldeutungen zunächst einige Grundbegriffe und Relationen der Philosophie des Tractatus eingeführt. Es gilt dabei zu betonen, dass sich diese im Wesentlichen auf die Frage der Beziehung des Satzes zu seinem Sinn beschränken und dadurch bedingt andere zentrale Konzeptionen nicht oder nur kaum thematisiert werden können. Das zweite Kapitel befasst sich eingehender mit dem Begriff des Gegenstandes, der Idee der logischen Analyse und der Frage nach dem unmittelbaren Sinn. Aus der Perspektive der Konzeption einer phänomenologischen Sprache und der späteren Bestimmung von Phänomenologie als Grammatik lassen sich dabei sehr anschaulich die Grundgedanken des Tractatus mit jener nach 1929 entwickelten Sprachauffassung verbinden und kontrastieren. Dieser Vergleich liefert darüber hinaus ein besseres Verständnis des frühen Wittgenstein’schen Gegenstandsbegriffs. Insbesondere durch Hintikkas Interpretation wurde die Gegenstandsdiskussion wieder neu entfacht. In Abgrenzung zu dessen Lesart der Elemente als Gegenstände der unmittelbaren Bekanntschaft ganz im Sinne Russells wird in den hier vorgelegten Untersuchungen das Gewicht auf formale Aspekte verlegt. Diese Auffassung von »Gegenstand« als formalen Begriff wurde insbesondere durch die Arbeiten von Rush Rhees inspiriert. Daher bilden neben Wittgensteins eigenen Bemerkungen die Rhees’schen
14
Vorbemerkungen
Texte die Grundlage dieses Abschnittes. Die bisher unveröffentlichten Schriften stammen größtenteils aus dem Jahr 1964 und waren Vorstudien zu einer Rezension des von Alexander Maslow veröffentlichten Tractatus-Kommentars. Zwar ist dieser, wie auch die den anderen Kapiteln zugrundegelegten Texte, bereits sehr veraltet, ein allerdings, wie mir schien, insofern zu vernachlässigender Aspekt, als dass die in den folgenden Untersuchungen diskutierten Interpreten lediglich als paradigmatisch für eine bestimmte Auslegung zentraler Ideen der Sprachkonzeption Wittgensteins verstanden werden sollen. So wäre es ebenso denkbar gewesen, fiktive Gegner der hier vorgestellten Interpretationen zu konstruieren. Anhand des sogenannten Farbenunvereinbarkeitsproblems im dritten Teil wird dann die Abkehr zentraler Elementarsatzbestimmungen des Tractatus genauer rekonstruiert. Das Problem der Inkompatibilität zwang Wittgenstein offensichtlich zu einigen massiven Revisionen seines ursprünglichen Verständnisses atomarer Sätze. In diesem Zusammenhang konnte auf Textauslegungen anderer Autoren verzichtet werden, da Wittgenstein hier selbst als Gegner fungiert. Neben der Abkehr einer phänomenologischen Sprache hin zum Begriff der Grammatik eignet sich das Farbenunvereinbarkeitsproblem ebenfalls besonders gut, den Übergang zu Wittgensteins Einführung des Regelbegriffs genauer zu bestimmen. Dieses für die Spätphilosophie zentrale Konzept liefert schließlich den Themenschwerpunkt der letzten drei Kapitel. Im Vordergrund des vierten Teils steht das Verhältnis einer grammatischen Regel zu notwendigen und empirischen Sätzen. Vor allem Wittgensteins Auffassung arithmetischer Sätze ist hier von besonderer Bedeutung. Neben seinen eigenen Bemerkungen bilden G. E. Moores Vorlesungsmitschriften aus den frühen dreißiger Jahren die Textgrundlage dieses Kapitels. Die dort entwickelten Untersuchungen führen uns schließlich zu den letzten beiden Teilen des Buches, die aus einem ganz bestimmten Grund von besonderem Interesse sein sollten. Denn hier werden erstmalig unveröffentlichte Wittgensteinvorlesungen, schwerpunktmäßig aus den Jahren 1938 und 1939, vorgestellt und diskutiert. Sie stammen aus dem Nachlass von Smythies und sind in Bälde zur Publikation vorgesehen. Ausgangspunkt bildet zunächst eine einzelne Vorlesung über »Necessary Propositions«. Im Zuge dessen wird nochmals das fundamentale Verhältnis von Sätzen der Grammatik und empirischen Sätzen aufgegriffen. Im Zentrum der Untersuchungen steht dabei das
Vorbemerkungen
15
Problem der Doppeldeutigkeit ein- und desselben sprachlichen Ausdrucks als Konstatierung eines möglichen Faktums einerseits, sowie als metaphysische Behauptung andererseits. Dieser dichotomische Interpretationsansatz dient insbesondere zur näheren Bestimmung des Wittgenstein’schen Verständnisses von Metaphysik. Daher bildet das Verhältnis metaphysischer Aussagen zu Sätzen der Grammatik den Schwerpunkt der letzten Abschnitte. Vor allem Wittgensteins Positionen zur Möglichkeit einer Privatsprache und zum Behaviourismus helfen dabei paradigmatisch zum besseren Verständnis der Beziehung zwischen Metaphysik und Symbolismus. Ziel der beiden letzten Kapitel ist vor allem, aus dem reichhaltigen Korpus der unveröffentlichten Vorlesungen themenrelevante Bemerkungen so zu integrieren, dass eine konsistente Linie des hier vorgelegten Interpretationsansatzes ermöglicht wird. Bekanntermaßen gibt es mittlerweile eine kaum zu überblickende Fülle an Literatur zu Wittgensteins Werk. So legte etwa im Jahr 1996 Peter Philipp eine über 500 Seiten umfassende Bibliographie vor2. Dieser Umstand und die mangelhafte Qualität vieler Texte veranlassten mich dazu, vor allem neuere Sekundärliteratur eher zu vernachlässigen. In diesem Sinne ist das hier vorliegende Buch »unwissenschaftlich«. Rechtfertigen lässt sich die Entscheidung allerdings durch die Rückverlagerung des Gewichtes auf Wittgensteins eigene Schriften. »Zurück zu den Texten selbst« könnte man sagen. Hierbei boten sich natürlich auch die unveröffentlichten Mitschriften aus dem Nachlass von Smythies an. Daneben waren meine Untersuchungen maßgeblich durch Rush Rhees inspiriert, der mich in zahlreichen Gesprächen und Diskussionen mit den Schriften Wittgensteins vertraut machte und mein Verständnis darüber in hohem Maße prägte. Auch seine mir anvertrauten Arbeiten zur Philosophie Wittgensteins sind von besonderem Gehalt und daher Grund genug, sie an entsprechenden Stellen zu integrieren. So hoffe ich, mit den ausgewählten und entwickelten Schwerpunkten erstmalig eine systematische Rekonstruktion der Wittgenstein’schen Satzkonzeption zu liefern, welche insbesondere die Frage des Verhältnisses von Satz und Sinn zu erfassen versucht, und die auch durch die Verarbeitung bisher unveröffentlichten Materials neue Perspektiven zu eröffnen verspricht. 2
Philipp, Peter: Bibliographie zur Wittgenstein-Literatur, überarb., erg. u. hrsg. von Frank Kannetzky u. Richard Raatzsch, Bergen 1996.
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Vorbemerkungen
Mein besonderer Dank gilt zunächst Rudolf Haller und Peter Strasser, die sich während der Fertigstellung des Buches stets zu zahlreichen und intensiven Diskussionen bereit erklärt haben und mir dabei durch ihre wertvollen Ratschläge immer eine große Hilfe waren. Des weiteren danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen des Spezialforschungsbereichs „Moderne – Wien und Zentraleuropa um 1900“ sowie des Instituts für Philosophie der Karl-Franzens-Universität Graz, Bekannten, Weggefährten und Freunden, die mich während dieser Zeit mit philosophischen oder nichtphilosophischen Anregungen und gemeinsamen Erlebnissen begleitet haben, allen voran Barbara, die mir den Sinn auch jenseits der Sätze gezeigt hat. Elisabeth Stadler danke ich für ihre Hilfe bei den Korrekturen und der Gestaltung des Layouts. Der größte Dank gebührt jedoch meinen Eltern, ohne die ich nicht wäre, was ich heute bin.
KAPITEL I SÄTZE DER FORM »A GLAUBT, DASS P.«
1. Problemstellung Zunächst einmal gilt es, einige der Grundbegriffe der frühen Satzkonzeption Wittgensteins etwas genauer zu bestimmen. Im Zentrum der Untersuchungen steht die fundamentale Beziehung zwischen Sprache (bzw. zwischen in Sätzen ausgedrückten Gedanken) und Realität. Diese Relation bildet überhaupt die Grundlage sämtlicher der hier vorgelegten Erörterungen zum Satzverständnis Wittgensteins. Da der Schwerpunkt meines Interpretationsansatzes auf formale Gesichtspunkte gelegt wird, erweist sich eine genauere Betrachtung intentionaler Kontexte als besonders geeignet, da sie sehr anschaulich Wittgensteins Abgrenzung psychologischer von logischen Bestimmungen verdeutlichen.1 Die Bemerkungen konzentrieren sich dabei zunächst auf die Tagebücher 1914–1916 und den Tractatus logicophilosophicus und hier insbesondere auf die zentralen Stellen 5.541– 5.5421, welche sich mit verschiedenen Satzformen der Psychologie beschäftigen. Dort heißt es: Auf den ersten Blick scheint es, als könne ein Satz in einem anderen auch auf andere Weise vorkommen. Besonders in gewissen Satzformen der Psychologie, wie »A glaubt, daß p der Fall ist«, oder »A denkt p« etc. Hier scheint es nämlich oberflächlich, als stünde der Satz p zu einem Gegenstand A in einer Art von Relation. [...] Es ist aber klar, daß »A glaubt, daß p«, »A denkt p«, »A sagt p« von der Form » ‚p‛ sagt p« sind: Und hier handelt es sich nicht um eine Zuordnung von einer Tatsache und einem Gegenstand, sondern um die Zuordnung von Tatsachen durch Zuordnung ihrer Gegenstände. Dies zeigt auch, daß die Seele – das Subjekt etc. – wie sie in der heutigen oberflächlichen Psychologie aufgefaßt wird, ein Unding ist. Eine zusammengesetzte Seele wäre nämlich keine Seele mehr. 1
Diese Unterscheidung wird uns ebenfalls durch den ganzen Verlauf der Untersuchungen begleiten.
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Sätze der Form »A glaubt, dass p.«
Diese Stellen behandeln unter anderem die Frage, ob hier möglicherweise eine logische Anomalie vorliegt, die in der Annahme gründet, dass die Prädikate »glauben«, »denken« etc. eine Art Zustand eines Subjektes beschreiben und es sich somit um die Zuordnung zwischen einer Tatsache und einem Gegenstand handelt. Zur Vermeidung dieses Problems analysiert der Tractatus Sätze wie »A glaubt, dass p der Fall ist«, »A denkt p« usw. in die Form »,p‛ sagt p«. Dabei handelt es sich nicht um eine Zuordnung zwischen etwas Komplexem und etwas Einfachem, sondern um eine Zuordnung von Tatsachen durch die Zuordnung ihrer jeweiligen Gegenstände, das heißt, um eine Zuordnung von reinen Komplexen. Interessanterweise finden sich bei der Diskussion dieser Stellen auch Verweise auf Bemerkungen Wittgensteins zu Moores Paradoxon etwa in den Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie I § 477 und § 478:2 477. Was heißt es: »Ich glaube, p«, sagt ungefähr dasselbe wie »p«? Wenn einer den ersten und zweiten Satz sagt, reagieren wir ungefähr in der gleichen Weise; wenn ich den ersten Satz sage und einer verstünde die Worte »Ich glaube« nicht, würde ich den Satz in der zweiten Form wiederholen, usf. Wie ich auch »Ich wünsche, daß du dort hingehst« mit »geh dorthin!« erklären würde. 478. Moore’s Paradox kann man so aussprechen: »Ich glaube, daß p« sagt ungefähr dasselbe wie »–p«; aber »Angenommen, ich glaube p …« sagt nicht ungefähr dasselbe wie »Angenommen p …« [...].
In Anlehnung an Wittgensteins Wortwahl in TLP 5.62 argumentiert etwa Winch, dass es zwar ‚absurd‛ wäre zu sagen »I believe he has gone out, but he has not« es trotzdem wahr sein kann, sowohl, dass ich glaube, dass er den Raum verlassen hat, als auch, dass er tatsächlich den Raum nicht verlassen hat. Und gerade die Besonderheiten des Wortes »to believe«, »that give rise to solipsistic views are ‘A whole cloud of philosophy condensed into a drop of grammar’(Pu ii, XI)«.3
2
3
Wittgenstein, Ludwig: Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie. Werkausgabe Band 7 [BPP], Frankfurt 51991, S. 97 f. Winch, Peter: »Critical Notice: Norman Malcolm, Wittgenstein’s Themes, Essays 1978–1989«, in: Philosophical Investigations, edited by D. Z. Phillips, Vol. 20, 1, Oxford 1997, S. 54.
1. Problemstellung
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Inwieweit allerdings Winchs Interpretation dieses Beispiels in Zusammenhang steht zu Wittgensteins Terminologie: »Was der Solipsismus nämlich meint, ist ganz richtig, nur lässt es sich nicht sagen, sondern es zeigt sich«4 (und allein Winchs analoge Kursive deuten einen engen Zusammenhang an5) ist nicht ohne weiteres einsichtig, da die Untersuchungen in BPP I offensichtlich einen anderen Problemwinkel einnehmen. Dies zeigt allein Wittgensteins Argument für die ungefähre Gleichsetzung von »Ich glaube p« und »p«. Denn offensichtlich gründet diese Identifizierung in ähnlichen Reaktionen auf solche Äußerungen. Auch muss in diesem Zusammenhang der Begriff des Absurden bzw. Unsinnigen anders aufgefasst werden als im Tractatus. In § 495 sagt Wittgenstein explizit: »,Er kommt, aber ich glaube es nicht‛, kann also in einem Sprachspiel vorkommen. Oder besser: Es läßt sich ein Sprachspiel ausdenken, worin diese Worte uns nicht absurd vorkämen.«6 Winch sieht eine sehr enge Parallele zwischen beiden Textstellen insofern, als dass sowohl TLP 5.541 als auch Moores Paradoxon nur eine scheinbare logische Anomalie ausdrücken, das heißt, dass die Verben »glauben«, »denken« etc. nur scheinbar den Zustand einer Seele (»state of a soul«) beschreiben. Die Frage nach mentalen Zuständen ist allerdings eine ganz andere als die Frage nach der logischen Form. Das heißt, die Begründung von Scheinanomalien hat in beiden Fällen offensichtlich eine andere Gestalt. Zudem ist keineswegs einsichtig, ob Wittgenstein daran gelegen war, mit den Untersuchungen logischer Strukturen mögliche mentale Zustände verneinen zu wollen. Ganz im Gegenteil könnte man sogar behaupten, dass die psychischen Bestandteile eines Gedankens7 strukturell der eines Sat4
5
6 7
Wittgenstein, Ludwig: Tractatus Logico-Philosophicus (Werkausgabe Band 1: Tractatus Logicus Philosophicus [TLP]. Tagebücher 1914–1916 [TB]. Philosophische Untersuchungen [PU]), Frankfurt 51989, 5.62. »If we look at Wittgenstein’s discussion from this point of view [the philosophy of logic] what strikes us immediately is that it deals with the idea that the first person singular present form of the verb ‘to believe’ seems to constitute a logical anomaly in that it tempts us to say something that cannot be said, even though it is apparently quite correct. I deliberately here express this thought in the language of Tractatus 5.62.« (Winch, ebd., S. 55) BPP, S. 100. Im Sinne des Tractatus.
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Sätze der Form »A glaubt, dass p.«
zes oder Sachverhaltes entsprechen müssen, damit ihre Bildhaftigkeit gewährleistet ist und sie somit Bestandteile eines mentalen Zustandes (einer Art Gedankenbild) sind. Dann erscheinen mögliche Parallelen zu Ausdrücken wie »state of soul« durchaus sichtbar. Allerdings hat uns diese Frage im Rahmen des Tractatus nicht zu interessieren, da sie in den Bereich psychologischer Untersuchungen fällt, dem Thema der Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie.8 So zeigt sich bereits hier das Abgrenzungsproblem zwischen logischen und psychologischen Kontexten. Wittgenstein bemerkt: Entspricht nicht mein Studium der Zeichensprache dem Studium der Denkprozesse, welches die Philosophen für die Philosophie der Logik immer für so wesentlich hielten? – Nur verwickelten sie sich immer in unwesentliche psychologische Untersuchungen und eine analoge Gefahr gibt es auch bei meiner Methode.9
Auch hätte Wittgenstein in der Zeit des Traktats die Möglichkeit, einen Satz einmal als absurd, ein anderes Mal als nicht absurd aufzufassen, offensichtlich nicht akzeptiert, denn, was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden und was nicht gedacht werden kann, kann nicht gedacht werden.10 Dies hängt auch – wie wir noch sehen werden – wesentlich damit zusammen, dass Wittgensteins Satzkonzeption im TLP anders als in seinen späteren Untersuchungen (etwa zu Begriffen der Psychologie) bestimmt war. Zudem scheint die Möglichkeit, dass A glaubt, B hätte den Raum verlassen, B ihn jedoch tatsächlich nicht verlassen hat (das heißt, dass beiden sie zum Ausdruck bringenden Sätzen der Wahrheitswert »wahr« zugeschrieben werden kann), offensichtlich zu zeigen, dass es sich bei der Relation von A’s Glauben und dem durch den Glauben 8
9 10
Winch argumentiert, dass sowohl Wittgensteins Bemerkungen zum Solipsismus in 5.62 als auch zu Moores Paradoxon Ausdrücke des sehr gerne zitierten Bildes aus PU ii, XI der Wolke von Philosophie, die zu einem Tröpfchen Sprachlehre kondensiert, sind. Bei Betrachtungen über Wittgensteins Bemerkungen zum Solipsismus scheint diese Parallele in der Tat aufdringlicher als im Zusammenhang der Stelle 5.541 ff., wobei für diese Parallele sicher deutlicher argumentiert werden müsste, als Winch es an entsprechender Stelle tut. Allerdings war dies auch nicht der Untersuchungsgegenstand seines Papers. TB 10. 11. 1914; siehe auch TLP 4.1121. Dieser Punkt wird insbesondere im Vorwort des Tractatus sehr deutlich.
1. Problemstellung
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geäußerten Sachverhalt um eine externe Relation handelt. Dann müsste es aber im Extremfall sogar möglich sein, etwas Unsinniges (»Absurdes«) zu glauben, was der TLP ja gerade ausschließen will. Im Fall dieser externen Relation dürfte der Satz auch nicht mehr als Wahrheitsfunktion seiner Elementarsätze aufgefasst werden, denn A’s Glaube und die verschiedenen Einsetzungsinstanzen des gleichen Wahrheitswertes wie der von p stünden nicht mehr in einer wahrheitsfunktionalen Beziehung. Aber möglicherweise dient im Zusammenhang von TLP 5.541 der Verweis auf Moores Paradoxon gerade dazu, zu zeigen, dass es sich hier um einen plausiblen Einwand gegen Wittgensteins Behauptung einer internen Beziehung vom Wahrheitswert eines Satzes zu den Wahrheitswerten seiner Elementarsätze handeln könnte. Inwieweit die Form »,p‛« sagt, dass p« Ausdruck einer wahrheitsfunktionalen Beziehung ist, lässt sich mittels der hier diskutierten Stelle allerdings nicht beantworten. Dieser Punkt kann hier aber vernachlässigt werden. Denn Wittgenstein geht es offensichtlich vielmehr darum zu zeigen, dass es sich im Fall von Sätzen wie »A glaubt, dass p« nicht der Form nach um eine logische Asymmetrie zwischen Tatsachen und Gegenständen handelt, sondern, dass sich die strukturelle Identität zwischen Gedanke, Satz und Wirklichkeit auch in intentionalen Kontexten aufrecht erhalten lässt. Zudem spielt natürlich auch Wittgensteins Annahme eine Rolle, die Elementarsätze des Tractatus seien voneinander unabhängig, was bedingt, dass kein dadurch beschriebener Sachverhalt aus einem anderen abzuleiten ist.11 Nach Wiederaufnahme seines philosophischen Wirkens erkannte er allerdings, wie wir noch sehen werden, dass diese Auffassung falsch war.12 Wichtig ist hier jedoch zunächst, dass Wittgenstein im Rahmen der Frage interner Relationen stets formale Aspekte betrachtet: Sowohl auf der Sachverhalts- bzw. Gegenstandsebene, als auch auf der Satzebene ist die Form durch den Möglichkeitsbegriff bestimmt, das heißt, die Möglichkeit eines Gegenstandes in einem Sachverhalt vorzukom11
12
Vgl. TLP 2.061: »Die Sachverhalte sind von einander unabhängig«, 2.062: »Aus dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Sachverhaltes kann nicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines anderen geschlossen werden«, 4.211: »Ein Zeichen des Elementarsatzes ist es, daß kein Elementarsatz mit ihm in Widerspruch stehen kann«, 5.134: »Aus einem Elementarsatz läßt sich kein anderer folgern«, 5.135: »Auf keine Weise kann aus dem Bestehen irgend einer Sachlage auf das Bestehen einer von ihr gänzlich verschiedenen Sachlage geschlossen werden.« Vgl. Kapitel 2 und 3.
22
Sätze der Form »A glaubt, dass p.«
men, ist eben gerade seine logische Form. Und dadurch enthalten die Gegenstände des Tractatus auch die Möglichkeit sämtlicher Sachlagen unabhängig von ihrem tatsächlichen Bestehen.13 Hinsichtlich der Struktur von Sachverhalten, das heißt der Art, wie Gegenstände miteinander verbunden sind, ist ganz analog die Form als die Möglichkeit der Struktur bestimmt und schließlich die Form der Abbildung als die Möglichkeit, dass sich Gegenstände so verhalten wie die Elemente des Bildes. Entsprechendes gilt natürlich für das Verhältnis von Satz und Gedanke.14 Dass der für den TLP so zentrale Formbegriff auch in den hier diskutierten Stellen 5.542 ff. auftaucht, weist offensichtlich darauf hin, dass Wittgenstein hier ebenso Bemerkungen über die Form von Sätzen und Satzzusammenhängen betonen will. Und die Form begrenzt eben in ihrer Bestimmung als Möglichkeit gleichsam von innen die Unmöglichkeit unsinniger Urteile. Somit muss die Form des Satzes zeigen, dass man nichts Unsinniges urteilen kann. Auch zum Verständnis der Stellen 5.541 ff. ist die Unterscheidung in interne und externe Relationen dabei von maßgeblicher Relevanz.
2. Die Unhaltbarkeit subjektivistischer Interpretationsansätze und das Problem der stillschweigenden Annahme Zunächst sei also die Frage gestellt, inwieweit möglicherweise das Verb »glauben« Grundlage subjektivistischer und im Extremfall solipsistischer Tendenzen bilden kann. Die aufdringlichste Alternative scheint zu sein, dass aus A’s Glaube, dass p, auch p folgt. Wie aber sollte diese Auffassung zwischen sinnvollem und unsinnigem Glauben differenzieren, oder gar ausschließen, dass etwas Unsinniges geglaubt werden kann? Eine mit dieser Auffassung verbundene Schwierigkeit liegt möglicherweise darin begründet, dass Wittgenstein bei der Behauptung »A glaubt, dass p« sei von der Form »,p‛ sagt p« eine stillschweigende Annahme voraussetzt und zwar, dass A auch tatsächlich »p« sagt und dieses »sagt« von anderem Charakter ist als jenes in »,p‛ sagt p«. 13 14
Vgl. TLP 2.014, 2.0141. Vgl. z.B. TLP 3.2.
2. Die Unhaltbarkeit subjektivistischer Interpretationsansätze
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Denn offensichtlich handelt es sich im Fall »A sagt ,p‛« um eine externe Relation, das heißt, A’s Glaube, dass p (bzw. ob A »p« sagt oder nicht) ist gänzlich unabhängig von p (oder non p), bzw. ob p als möglicher Sachverhalt vorliegt, ist völlig unabhängig von A’s Glauben daran. Und an diesem Glauben erscheint auch nichts zwingendes. Nur wenn man zwischen A’s Glauben, dass p und p eine Art Relation annimmt, die für das tatsächliche Bestehen von p verantwortlich ist, könnte man argumentieren, dass dieser Glaube konstitutiven Charakter für das Bestehen von Sachverhalten hat. So müsste dann aber ein Satz der Art »A glaubt, dass p« schlicht von der Form p sein bzw. aus A’s Glauben, dass p, folgt p. Entsprechend den Bestimmungen des Tractatus besteht die Welt jedoch aus den Tatsachen im logischen Raum und in der Logik ist nichts zufällig. Im Fall einer subjektivistischen Auffassung wäre p allerdings abhängig von der völlig willkürlichen Voraussetzung, dass A auch p glaubt. Wenn ein Gegenstand jedoch im Sachverhalt vorkommen kann, dann muss die Möglichkeit des Sachverhaltes in diesem Gegenstand bereits vorweggenommen sein. Die Möglichkeit des Vorkommens eines Gegenstandes in einem Sachverhalt ist jedoch keineswegs in irgendeiner Form durch A’s Glauben daran bestimmt. Vielmehr scheint gerade umgekehrt die Möglichkeit von A’s (sinnvollem) Glauben durch die Möglichkeit des Bestehens des in ihm zum Ausdruck gebrachten Sachverhaltes determiniert, welche wiederum von der internen Struktur dieses Sachverhaltes abhängt. Das führt uns nun zu der Untersuchung der Relation zwischen A’s Glauben, dass p, »p« und p und zwar unter der Voraussetzung, dass A auch tatsächlich »p« sagt bzw. glaubt. Ist diese Voraussetzung nämlich erfüllt, führt das offensichtlich zu folgenden Konsequenzen: Wenn A p glaubt, muss das heißen, dass er sinnvoll p glaubt, da ja die in TLP 5.541 ff. angeführten Stellen zeigen sollen, dass es ausgeschlossen ist, etwas Unsinniges zu glauben. Wenn nun A tatsächlich »p« sagt (glaubt), dann muss, damit A’s Glaube sinnvoll sein kann, im Satz »A sagt ,p‛« zwischen A und »p« eine interne Relation bestehen, die der von »p« und p entspricht. Da es sich aber bei der internen Relation von A und »p« nicht um eine logische Anomalie handelt, sondern um eine Zuordnung von Tatsachen durch die Zuordnung der entsprechenden Gegenstände, kann es sich bei A nicht um eine Seele, ein Subjekt, einen Gegenstand als etwas Einfachem handeln, denn wie wir wissen, ist eine zusammengesetzte Seele keine Seele. Da die Be-
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Sätze der Form »A glaubt, dass p.«
standteile des Gedankens von A in der gleichen Beziehung zu den Bestandteilen des Satzes »p« wie eben die Bestandteile des Satzes »p« zum Sachverhalt p stehen, ist »A sagt ,p‛« von der Form »,p‛ sagt p«. Zum besseren Verständnis sei kurz auf einen Brief Wittgensteins an Russell vom 19. 08. des Jahres 1919 verwiesen. Auf die Frage Russells, welches die Bestandteile eines Gedankens seien und welche Beziehung zwischen diesen und den Komponenten der abgebildeten Tatsache bestünde, entgegnet Wittgenstein: Ich weiß zwar nicht, welches die Bestandteile eines Gedankens sind, aber ich weiß, daß er solche Bestandteile haben muß, die den Wörtern der Sprache entsprechen. Die Art der Beziehung zwischen den Bestandteilen des Gedankens und der abgebildeten Tatsache (pictured fact) ist wieder irrelevant. Diese zu entdecken, wäre eine Sache der Psychologie.
Zur Frage, ob ein Gedanke aus Worten bestehe, erwidert er im Anschluss: »Nein! Sondern aus psychischen Bestandteilen, die in einer gleichartigen Beziehung zur Wirklichkeit stehen, wie die Wörter. Welche diese Bestandteile sind, weiß ich nicht«.15 Zum näheren Verständnis des Wesens des Satzzeichens schlägt Wittgenstein selbst eine Analogie zu räumlichen Gegenständen vor. In TLP 3.1431 f. schreibt er: Sehr klar sehen wir das Wesen des Satzzeichens, wenn wir es uns, statt aus Schriftzeichen, aus räumlichen Gegenständen (etwa Tischen, Stühlen, Büchern) zusammengesetzt denken. Die gegenseitige räumliche Lage dieser Dinge drückt dann den Sinn des Satzes aus.
15
Wittgenstein, Ludwig: Briefe. Briefwechsel mit B. Russell, G. E. Moore, J. M. Keynes, F. P. Ramsey, W. Eccles, P. Engelmann und L. von Ficker, hrsg. von B. McGuinness und G. H. von Wright, Frankfurt 1980, S. 88. Bezüglich der Gegenstände bemerkt Wittgenstein in einem Gespräch mit Malcolm, auf die Frage, ob er zur Zeit des TLP über ein Beispiel eines einfachen Gegenstandes entschieden hatte, interessanterweise mit Malcolms Worten: »His reply was that at the time his thought had been that he was a logician; and that it was not his business, as a logician, to try to decide whether this thing or that was a simple thing, that being a purely empirical matter!«. (Malcolm, Norman: Ludwig Wittgenstein. A Memoir, Oxford 21984, S. 70). Wie wir noch sehen werden, war die Bestimmung einfacher Gegenstände jedoch offensichtlich keine empirische Angelegenheit.
2. Die Unhaltbarkeit subjektivistischer Interpretationsansätze
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Nicht »Das komplexe Zeichen ,aRb‛ sagt, daß a in der Beziehung R zu b steht«, sondern: Daß »a« in einer gewissen Beziehung zu »b« steht, sagt, daß aRb.
Dies zeigt, dass die Beziehung eines Satzes und seines Sinnes nicht die ist, zwischen einem Namen und dem Gegenstand, den er bezeichnet. Ein Satz hat Sinn aufgrund der Zeichenverbindungen, welche innerhalb einer entsprechenden Anordnung für Gegenstände stehen. Der Sinn eines Satzes ist somit nicht ein weiterer Gegenstand. Vielmehr zeigt er sich in einer bestimmten Zeichenverbindung im Gegensatz zu einer anderen. Daher lässt sich der unterschiedliche Sinn von aRb und bRa auch nicht ausschließlich durch die Begriffe der jeweiligen Gegenstände, für die sie stehen, erklären, denn beide stehen ja für dieselben Gegenstände.16 Der Sinn ist dadurch ein anderer, dass ein anderes Bild vorliegt, in dem sich die Verbindungen der einzelnen Gegenstände voneinander unterscheiden. Nun gilt natürlich ganz analog, dass auch Gedanken als logische Bilder der Tatsachen bestimmt sind. Und die Gesamtheit der »wahren« Gedanken liefert uns ein Bild der Welt.17 Durch Wittgensteins Behauptung, dass alles, was denkbar ist, auch möglich ist,18 wäre, betrachtet man diese Aussage nicht in ihrem Kontext, eine subjektivistische Deutung dieser Stelle nicht auszuschließen. Sie erweist sich allerdings als hinfällig, da ihr die Anmerkung vorausgeht, dass ein Gedanke die Möglichkeit der Sachlage, die er denkt, bereits enthält. Denn der sinnvolle Gedanke ist durch die Logik bestimmt, das heißt, etwas Unlogisches können wir nicht denken. Dass Wittgenstein in der Einleitung die Grenzziehung von der Denk- auf die Sprachebene verlagert, könnte möglicherweise darauf aufmerksam machen, dass wir 16
17 18
Vgl. u.a. Mounce, H.: Wittgenstein’s Tractatus. An Introduction, Oxford 1981, S. 83. Vgl. TLP 3 und 3.01. Eine Bemerkung die übrigens stark an eine Stelle in Hume erinnert »,Tis an establish’d maxim in metaphysics, That whatever the mind clearly conceives includes the idea of possible existence, or in other words, that nothing we imagine is absolutely impossible.« (Hume, David: A Treatise of Human Nature, London 101985, S. 81). Diese Stelle ist jedoch nicht mit Wittgensteins weiterer Auffassung vereinbar, zumindest nicht, wenn man Humes Möglichkeitsbegriff in Abhängigkeit der Vorstellung eines Subjektes auffasst. Und Humes Psychologismus ließe sich sicher in dieser Richtung interpretieren. (Man denke nur an seine Behandlung des Kausalitätsproblems.)
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Sätze der Form »A glaubt, dass p.«
nicht einmal etwas Unsinniges denken können, da wir dann etwas denken würden, was nicht gedacht werden kann. Dass wir allerdings etwas Unsinniges sagen können bzw. etwas sagen können, »was sich nicht sagen lässt«, scheint keineswegs ausgeschlossen. Es würde sich schlicht um Sätze handeln, in denen wir gewissen Zeichen keine Bedeutung gegeben haben.19 Natürlich kommt es nicht nur auf die einzelnen Zeichen und ihre Bedeutung an, sondern insbesondere auf die Relation, in der sie zueinander stehen, was auch in der Kritik an Russell in TLP 5.5422 zum Ausdruck kommt, aRb habe natürlich einen anderen Sinn als bRa. Denn es ist – so Wittgenstein – die gegensätzliche Lage der Dinge im Raum, welche den Sinn des Satzes ausdrückt.20 Die Verlagerung auf die Sprachebene scheint zu implizieren, dass ein Gedanke immer nur ein sinnvoller Gedanke sein kann und dass ein unsinniger Satz keinen Gedanken (Glauben) zum Ausdruck bringen kann. Dadurch wird auch der Gedanke zum Wahrheitswertträger, wobei, wie wir gesehen haben, die Gesamtheit der wahren Gedanken aufzufassen ist als ein Bild der Welt.21 Im Satz nun kann der Gedanke so ausgedrückt sein, dass den Gegenständen des Gedankens Elemente des Satzzeichens entsprechen und das führt uns zur Untersuchung des Verhältnisses zwischen Gedanken und sprachlichen Ausdrücken.
3. Satz und Gedanke Betrachten wir also zunächst ein wenig das Verhältnis von Gedanke und Satzzeichen. Einführend wird das Satzzeichen als sinnlicher Ausdruck des Gedankens bestimmt.22 Das Satzzeichen ist dabei die Projektion eines entsprechenden Gedankens. Da Denkbarkeit Möglichkeit impliziert, ist es somit ebenfalls die Projektion einer möglichen Sachlage. Dabei ist die Projektionsmethode die Art und Weise der Anwen19
20 21
22
Vgl. TLP 6.53, 5.4733. Vielleicht könnte man die unsinnigen Sätze auch als Ausdruck unsinniger Gedanken auffassen. Dieser Punkt scheint mir hier allerdings unerheblich. Vgl. TLP 3.1431. Strenggenommen wäre es eigentlich unzulässig, überhaupt von einem sinnvollen Gedanken zu sprechen, da ein Gedanke nur sinnvoll sein kann. Etwas Unsinniges ist auch undenkbar. Vgl. TLP 3.1.
3. Satz und Gedanke
27
dung des Satzzeichens. Diese Anwendung wiederum ist das Denken des Sinnes jenes Satzzeichens.23 Die Interpretationen von »die Projektionsmethode ist das Denken des Satzsinnes« unterscheiden sich hier in einer relevanten Hinsicht. Es stellt sich nämlich die Frage, ob es sich in dieser Bemerkung um eine Erläuterung des Begriffs der Projektionsmethode handelt, oder vielmehr dessen, was wir unter Denken verstehen. Die erste Interpretation erscheint fragwürdig, da hier, wie im Fall der uns bekannten subjektivistischen Lesart, die Projektion durch das Denken bestimmt wäre. Bei der Projektion handelt es sich allerdings um eine logische Operation. So scheint die Projektionsmethode vielmehr das zu sein, was wir damit meinen, einen Satzsinn zu denken. Entscheidend ist hier wiederum, dass es sich bei der Beziehung zwischen Sprache und Welt um eine interne handelt und dass die allgemeine Regel des Gesetzes der Projektion eine Übersetzung des einen Bereichs in den anderen ermöglicht. Und damit hängt natürlich die ganze Theorie der Abbildung zusammen. In den Philosophischen Untersuchungen § 81 schreibt Wittgenstein: All das kann aber erst dann im rechten Licht erscheinen, wenn man über die Begriffe des Verstehens, Meinens und Denkens größere Klarheit gewonnen hat. Denn dann wird es auch klar werden, was uns dazu verleiten kann (und mich verleitet hat) zu denken, daß, wer einen Satz ausspricht und ihn meint, oder versteht, damit einen Kalkül betreibt nach bestimmten Regeln.
Diese Stelle verdeutlicht ebenfalls den Zusammenhang zwischen Denken, Verstehen und wahrheitsfunktionalem Kalkül, wie Wittgenstein ihn im TLP vertrat und scheint somit die von uns bevorzugte zweite Lesart über die Projektionsmethode und das Denken des Satzsinnes zu stützen.24 Auch die in 3.5 geäußerte Auffassung »Das ange23
24
Vgl. Wittgenstein, Ludwig: »Prototractatus«, in: Wittgenstein, Ludwig: LogischPhilosophische Abhandlung. Tractatus Logicus Philosophicus. Kritische Edition, hrsg. von Brian McGuinness und Joachim Schulte, Frankfurt 1998, 3.12, 3.13. Rhees bemerkt über den Zusammenhang zwischen PU und TLP: »Wittgenstein wanted the two books read together. But this has not helped people to see that the Investigations is a book on logic; it has led many, […], to read the Tractatus as a theory of knowledge. (The Latin title is generally truncated, and no one remembers what Wittgenstein called it.)« Rhees, Rush: »The Philosophy of Wittgenstein«, in: Rhees, Rush: Discussions of Wittgenstein, London 1970, S. 37. Für
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Sätze der Form »A glaubt, dass p.«
wandte, gedachte Satzzeichen ist der Gedanke« kann in dieser Hinsicht verstanden werden. Eine Tagebuchnotiz vom 12. 09. 1916 erwähnt den Grund, warum Wittgenstein dachte, Denken und Sprechen wären dasselbe: Das Denken war nach seiner Auffassung offensichtlich eine Art Sprache. Und natürlich ist der Gedanke auch ein logisches Bild des Satzes und somit ebenfalls eine Art Satz. Wir sehen also den engen Zusammenhang zwischen Gedanke, Satz und Welt und welche fundamentale Rolle dabei die Form der Abbildung spielt, als die Möglichkeit, dass sich Gegenstände so zueinander verhalten, wie die Elemente des Satzes bzw. des Gedankens. Ist die Form der Abbildung die logische Form, so ist das Bild ein logisches, und das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke. Am 07. 10. 1930 bemerkt Wittgenstein, dass ein Gedanke durch seinen Ausdruck vollständig beschrieben ist und dass jede Beschreibung außerhalb des Ausdrucks dem Bereich der Psychologie oder Physiologie zuzuschreiben ist: »Eine Beschreibung die außerhalb des Ausdrucks des Gedankens liegt geht uns nichts an. [...] Denken heißt Sätze gebrauchen, aber der Gebrauch der Sätze ist in jeder Erklärung vorausgesetzt.«25 Entsprechend betont Wittgenstein zum Verhältnis von Satz und Tatsache, dass sich die Grenzen der Sprache in der Unmöglichkeit zeigen, eine Tatsache zu beschreiben, die einem Satz entspricht (bzw. »seine Übersetzung ist«) ohne den Satz zu wiederholen.26 Wesentlich und somit nicht ausdrückbar (»Man kann nur immer unwesentliches ausdrücken«27) ist dabei nicht, dass wir die Sprache zur Darstellung der Tatsachen gebrauchen, sondern vielmehr, dass eine solche Sprache überhaupt erst gebraucht werden kann.28 Auch hier ist wieder auf die wichtige Unterscheidung von interner und externer Relation hinzuweisen.
25 26
27 28
Rhees war es stets wichtig, darauf hinzuweisen und Wittgenstein selbst macht dieses als sein Anliegen in der Einleitung zu den Philosophischen Untersuchungen deutlich. MS 109, S. 210. Vgl. Wittgenstein, Ludwig: Vermischte Bemerkungen (Werkausgabe Band 8), Frankfurt 51992, S. 463. Die Äußerung stammt aus dem Jahr 1931. TS 211, S. 123. Es sei in diesem Zusammenhang nur angemerkt, dass der Begriff der Anwendung insbesondere in Wittgensteins Schriften nach 1929 eine zentrale Stellung einnahm.
4. Zur Frage der Anwendung und ihrer Möglichkeit
29
4. Zur Frage der Anwendung und ihrer Möglichkeit Denken heißt für Wittgenstein also, wie wir gesehen haben, Sätze zu gebrauchen. Dabei ist der Gebrauch der Sätze in jeder Erklärung bereits vorausgesetzt. Somit entzieht sich die Anwendung selbst jeder Erklärung. Hinsichtlich des Gebrauchs der Sprache ist die Anwendung das, was Lautverbindungen erst zu einer Sprache macht, sowie analog einen Stab mit Strichen zu einem Maßstab. Es ist das Anlegen der Sprache an die Wirklichkeit.29 Auch im Tractatus finden wir ganz entsprechende Stellen, in denen Wittgenstein das Verhältnis von Bildern zu Tatsachen erläutert: Die Form ist die Möglichkeit, daß sich die Dinge so zueinander verhalten, wie die Elemente des Bildes. Das Bild ist so mit der Wirklichkeit verknüpft; es reicht bis zu ihr. Es ist wie ein Maßstab an die Wirklichkeit angelegt. Nur die äußersten Punkte der Teilstriche berühren den zu messenden Gegenstand. Nach dieser Auffassung gehört also zum Bilde auch noch die abbildende Beziehung, die es zum Bild macht.30
Damit das Bild allerdings die Wirklichkeit richtig oder falsch abbilden kann, muss es mit ihr die Form der Abbildung gemeinsam haben. Somit ist natürlich klar, dass das Verhältnis des Bildes zur Realität ein internes sein muss. Ganz analog den Gedanken scheint die Verwendung des Bildbegriffes auch so etwas wie unsinnige Bilder auszuschließen, zumindest, wenn man das Bild auffasst als ein Bild eines denkbaren und somit möglichen Sachverhaltes. Wenn Wittgenstein nun behauptet, dass die Logik für sich selber sorgen muss und somit ein mögliches Zeichen ein solches sein muss, welches bezeichnen kann, scheint damit jedoch keineswegs gesagt, dass die Logik auch für ihre Anwendung sorgt. Ein Satz der Art »Sokrates ist Plato« ist nicht deshalb unsinnig, weil das Zeichen »illegitim« ist, sondern weil wir eine willkürliche Bestimmung nicht getroffen haben.31 Ebenso ist auch jeder mögliche Satz rechtmäßig gebildet und falls er keinen Sinn hat, kann die Begründung dafür nur darin liegen, 29
30 31
Vgl. Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Bemerkungen [PB] (Werkausgabe Band 2), Frankfurt 41991, S. 85. TLP 2.151–2.1513. Vgl. TB 22. 08. 1914, TLP 5.473.
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Sätze der Form »A glaubt, dass p.«
dass wir bestimmten seiner Bestandteile keine Bedeutung gegeben haben.32 Natürlich, so Wittgenstein, ist an unseren Notationen etwas Willkürliches, was man ihre Bestimmung nennen könnte. Nicht willkürlich ist allerdings das, was aus dieser Bestimmung folgt, das heißt, dass etwas anderes der Fall sein muss. Und dieses »muss« ist ein logisches, da jener Zusammenhang in Abhängigkeit zum Wesen der Notation steht.33 Die Willkürlichkeit einer bestimmten Bezeichnungsweise ist somit strikt davon zu trennen, dass sie als eine solche willkürliche dennoch eine mögliche Bezeichnungsweise ist.34 Auch das faktische Anlegen des Bildes an die Wirklichkeit scheint nicht etwas zu sein, was man zur internen Relation zwischen Bild und Tatsache zählen darf, was lediglich besagt, dass die Frage, ob wir uns Bilder der Tatsachen machen, unabhängig ist von der internen Struktur von Bild und Tatsache. Im Prototractatus lautet 2.1: »Die Tatsachen begreifen wir in Bildern«, in der Endfassung hingegen: »Wir machen uns Bilder der Tatsachen«. Allerdings scheint es zwingend, dass, wenn wir den Stab mit den Strichen zu einem Maßstab machen, dadurch, dass wir ihn so verwenden, die Möglichkeit, ihn überhaupt als solchen verwenden zu können, bereits gegeben sein muss, das heißt etwa, dass er eine bestimmte Länge hat, die Striche sich in gleichem Abstand zueinander befinden, sich dieser Abstand nicht verändert etc. Und dass wir uns Bilder der Tatsachen machen können, setzt ebenso die Möglichkeit voraus, dass die Bilder überhaupt Bilder von Tatsachen sind. Um das nochmals zu betonen, dass wir uns Bilder der Tatsachen machen, ist sicher willkürlich, wenn wir uns allerdings diese Bilder machen, dann legen wir sie damit an die Wirklichkeit an, denn die »Fühler« des Bildes sind, so Wittgenstein, Bestandteil des Bildes, die Projektionsmethode ist das Denken des Satzsinns, das ist es, was es heißt, dass ein Bild ein Bild einer möglichen Tatsache ist, das ist es, 32
33 34
Vgl. TLP 5.4733, die Stelle, an der Wittgenstein den Punkt am Beispiel des Begriffs »identisch« in »Sokrates ist identisch« erläutert. Vgl. TLP 3.342. Diese Art der Unterscheidung, die Wittgenstein hier vornimmt, kann man sicher als symptomatisch für den ganzen Tractatus bezeichnen, da sie an so vielen zentralen Stellen auftaucht und stets eine wesentliche Rolle einnimmt, etwa in Bereichen des Verhältnisses Logik und Erfahrung, des »dass« und des »wie«, des Zeigens und Sagens, des Sinns eines Satzes und seines Wahrheitswertes etc.
5. Das Aufgehen des Subjekts in der Sprache
31
was es heißt, dass ein Bild abbilden kann, dass es mit dem Abgebildeten die logische Form der Abbildung gemein hat, dass die Relation zwischen Bild und Abgebildetem eine interne ist. 35 Und das bringt uns zurück zu TLP 5.541 ff. Falls die Auffassung zutrifft, dass Wittgenstein bei seinen Erläuterungen die Annahme, dass A auch tatsächlich »p« sagt, zwar nicht explizit anführt, dass er sie aufgrund seiner bis dahin angestellten Untersuchungen jedoch einfach als stillschweigend angenommen sah bzw. voraussetzte, dass die Untersuchung des Satzes »A glaubt, dass p der Fall ist« die Bedingung offensichtlich impliziert, dann wird die Analyse des Verhältnisses von »A denkt p« und »,p‛ sagt p« durchaus verständlich.
5. Das Aufgehen des Subjekts in der Sprache Sicher wäre es an dieser Stelle hilfreich, noch etwas genauer auf den Zusammenhang zwischen Gedanken, Sprache und Wirklichkeit einzugehen, der nicht explizit die Subjektproblematik diskutiert. Dabei soll versucht werden zu zeigen, dass das psychologische Individuum (Subjekt) nicht einfach als etwas vollständig in der Sprache aufgegangenes aufgefasst werden muss. So schreibt etwa Kristóf Nyíri:
35
An dieser Stelle soll nur darauf hingewiesen werden, dass Wittgenstein nach Wiederaufnahme seiner philosophischen Tätigkeit, im Zusammenhang seiner geänderten Auffassung von Elementarsätzen, auch das Bild des Maßstabes nochmals aufgreift und modifiziert. Da er den Fehler eingestand, Elementarsätze als voneinander unabhängig gesehen zu haben, argumentiert er nun wie folgt: »Ich habe einmal geschrieben: ,Der Satz ist wie ein Maßstab an die Wirklichkeit angelegt. Nur die äußeren Teilpunkte berühren den zu messenden Gegenstand.‛ Ich möchte jetzt lieber sagen: Ein Satzsystem ist wie ein Maßstab an die Wirklichkeit angelegt. […] Ein ganzes solches Satzsystem nun wird mit der Wirklichkeit verglichen, nicht ein einzelner Satz.« (Wittgenstein, Ludwig: Wittgenstein und der Wiener Kreis [WWK] Werkausgabe Band 3, S. 63 f. Siehe auch ebd., S. 76). Diese neue Auffassung ermöglicht es, dass aus dem Bestehen eines Sachverhaltes sehr wohl auf andere, bzw. genauer deren Nichtbestehen geschlossen werden kann, da durch das Anlegen des Systems an die Wirklichkeit immer nur ein entsprechender Sachverhalt bestehen kann. Diese Modifikation hat keinen Einfluss auf die hier geführte Diskussion, wird uns aber im Rahmen des sogenannten Farbenausschlussproblems nochmals begegnen.
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Sätze der Form »A glaubt, dass p.«
All das was das menschliche Individuum über sich selbst sagen kann, wird Teil dieses Bildes [des vollkommenen Bildes der Welt]; das Subjekt selbst wird zum Gegenstand, zum Gegenstand der Sprache, die menschlichen und nicht-menschlichen Elemente der Welt kommen erkenntnistheoretisch auf dasselbe Niveau: auf der Subjektseite der Erkenntnis bleibt nichts als die Totalität der Sprache. Vergeblich weisen gewisse Redewendungen eindeutig auf die Existenz des Subjekts hin, Wittgenstein analysiert auch diese unerbittlich ins Subjektlose.36
Demnach ist es nicht das psychologische Subjekt, was meint, denkt oder spricht. Das Subjekt geht in der Unpersönlichkeit der Sprache auf, Sprache und deren Logik wird zum Spiegelbild der Welt. In seiner Unpersönlichkeit hört das Subjekt sogar auf zu existieren, »da es – in vollständiger Isomorphie mit der Welt – jede Grundlage des Ausgezeichnetseins verloren hat«.37 Natürlich ist es zunächst einmal fraglich, ob Wittgenstein mit seiner Interpretation von »A sagt, dass p« solch eine Gleichsetzung überhaupt intendierte. Dass die logische Struktur des Gedankens mit der des Satzes und der des in ihm behaupteten Sachverhaltes identisch sein muss, besagt zunächst nichts über die Persönlichkeit oder Unpersönlichkeit des Subjekts oder seine vollständige Isomorphie mit der Welt. Es scheint überhaupt unklar, inwieweit Wittgenstein sich explizit zum Status des psychologischen Subjektes äußert. Was gesagt wird, ist, dass es sich bei der Seele, dem Subjekt, nach der Auffassung der oberflächlichen Psychologie um ein »Unding« handelt. Die sich anschließende Bemerkung, eine zusammengesetzte Seele ist nämlich keine Seele, kann hier sicher als Begründung dafür angesehen werden. Diese Bemerkungen beziehen sich jedoch auf die Auffassung der Psychologie hinsichtlich der Zusammengesetztheit des Subjektes. Wittgensteins Bemerkung in TLP 5.641, dass das philosophische Ich nicht der Mensch, der menschliche Körper oder die menschliche Seele sei, von der die Psychologie handelt, lässt zumindest die Möglichkeit of36
37
Nyíri, J. C.: Gefühle und Gefüge. Studien zum Entstehen der Philosophie Wittgensteins, Amsterdam 1986, S. 118. Ebd., S. 119. Nyíris Verweis auf einen Ausdruck Kierkegaards »daß der Sprechende die Sprache selbst ist« scheint in diesem Zusammenhang nicht sonderlich hilfreich, denn im Kontext Kierkegaards spricht Adam und zwar als erster und einziger Sprecher einer Sprache. Die Gleichsetzung von Sprecher und Sprache scheint dort eine völlig anders gemeinte, als die hier diskutierte.
5. Das Aufgehen des Subjekts in der Sprache
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fen, dass Wittgenstein nicht an sich die Seele als ein Unding abgelehnt hat. Nur schien sie in seinen logischen Untersuchungen nicht weiter von Relevanz. Dass die Bedingung der strukturellen Identität erfüllt sein muss, erfordert jedoch keineswegs ein Aufgehen des Subjekts in der Sprache. Wittgensteins Bemerkung gegenüber Russell, dass sich ein Gedanke aus psychischen Bestandteilen zusammensetzt, die in gleichartiger Beziehung zur Welt stehen wie die Wörter, zeigt vielmehr sehr deutlich, dass eine Distinktion dieser Bereiche weiter aufrecht erhalten werden muss. Vielleicht sollten wir jedoch bezüglich Nyíris Subjektbegriff in zitierter Stelle eine vorliegende Unklarheit betonen. Zunächst geht das Subjekt in der Erkenntnis auf, mit der Folge dass bzw. gleichbedeutend damit, dass die Erkenntnis kein Subjekt mehr hat. Sodann wird das, was das menschliche Individuum über sich selber sagen kann, Teil des vollkommenen Bildes der Welt. Das Subjekt wird zum Gegenstand der Sprache. Auf der Subjektseite der Erkenntnis bleibt nur mehr die Sprache in ihrer Ganzheit. Um welches Subjekt handelt es sich nun aber? Wenn es sich um das erkennende Subjekt handelt, welches sozusagen in der Erkenntnis verschwindet, dann kann es nicht ein Teil des Weltbildes sein und somit nicht Gegenstand der Sprache. Und wenn etwas Gegenstand des Bildes der Welt (bzw. der Sprache) ist, kann es nicht in vollständiger Isomorphie mit der Welt bestehen, wohl nicht einmal mit einem Gegenstand der Welt, da es sich nicht um die Zuordnung von einem »Gegenstand« der Sprache zu einem der Welt handelt. Und was haben wir dann unter der Subjektseite der Erkenntnis zu verstehen, im Gegensatz etwa zu einer Objektseite der Erkenntnis? Eine weit schwierigere Problematik, die mit dem Verhältnis von Subjekt und Erkenntnis zusammenhängt, ist die Frage, was oder wer Erkenntnis gewährleistet, wie wir überhaupt etwas über die Welt erfahren (»wissen«) können und welcher Zusammenhang dabei besteht zu Äußerungen der Art, »Ich bin meine Welt«. Natürlich ließen sich noch einige andere Fragen, die mit der diskutierten Gleichsetzung bzw. dem Aufgehen des Subjekts verbunden sind, stellen. Etwa: Wie unterscheidet sich die Sprache von ihrer Anwendung? Oder: Wie ist Erkenntnis ohne Sprache möglich? Oder: Kann ein Gedanke nur in der Weise seines Ausdrucks bestehen? Bei den hier diskutierten Stellen handelt es sich jedoch offensichtlich um logische und nicht erkenntnistheoretische Untersuchungen.
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Sätze der Form »A glaubt, dass p.«
Das heißt, im Vordergrund steht eine bestimmte Form von Sätzen und Strukturanalysen und nicht mögliche Fragen zur Subjekt- oder Objektseite von Erkenntnis. Naheliegender scheint vielmehr die Annahme, dass das Subjekt statt in der Sprache in psychischen Bestandteilen aufgeht bzw. nichts anderes ist, als seine psychischen Bestandteile.38 Da Wittgenstein jedoch, wäre er auf diese Frage angesprochen worden, wohl geantwortet hätte, dass es nicht Aufgabe eines Logikers sei, darüber etwas auszusagen, wird sie im Folgenden auch nicht weiter thematisiert.39 Es sei in diesem Zusammenhang jedoch zumindest festgehalten, dass Nyíris Interpretation offensichtlich logische, erkenntnistheoretische und psychologische Fragen nicht klar voneinander abgrenzt.
6. Bemerkungen zu Pitcher 6.1. Zum Verhältnis zwischen »mental states« und »physical states« In The Philosophy of Wittgenstein schreibt Pitcher: »The psychological self […] is nothing more than the series of thoughts, pains, desires, and so on, that occur in its history. Or rather, since ‘The world divides into facts’, the psychological self is just the facts which have as constituents, the thoughts, pains and desires, and so on, that occurs in its history.«40 Pitcher fährt fort mit der Behauptung: »Note however, that if Wittgenstein is committed to the [inexpressible] view that mental states are identical with physical states, […] then he must hold that psychology
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39
40
So finden sich ja auch bei zahlreichen Wittgensteininterpreten Hinweise auf Parallelen zwischen der Auffassung Wittgensteins und der sogenannten »Bündeltheorie« Humes. (Vgl. z.B. Mounce: Wittgenstein’s Tractatus, oder Pitcher, George: The Philosophy of Wittgenstein, Englewood Cliffs, N. J., 1964.) Da auch die hier vorgelegten Untersuchungen das Gewicht auf formale Aspekte legen, wird Fragen dieser Art nicht weiter nachgegangen. Pitcher, George: The Philosophy of Wittgenstein, S. 148.
6. Bemerkungen zu Pitcher
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is ultimately based on, and reducible to physiology or some other physical, or nonpsychological science.«41 Aus TLP 5.542 wissen wir zunächst, dass »A denkt p« von der Form »,p‛ sagt p« ist. Pitchers frühere Behauptung42, dass Wittgenstein eigentlich keine mentalen Gegenstände zulassen kann, da diese ja beobachtbar und somit komplex und ebenso nicht unsterblich sind, das heißt die Bedingungen, die sie als Gegenstände erfüllen müssten43, führt ihn in der Folge zu der seltsamen Annahme, dass die Gegenstände physischer Natur sind und sämtliche inneren Erfahrungen sich letztlich in Elementarsätzen ausdrücken lassen, die einen physischen Sachverhalt beschreiben, möglicherweise bestimmte Gehirnzustände.44 Wittgenstein müsste dann in der Konsequenz behaupten, dass sämtliche Sätze über mentale Zustände oder Tätigkeiten tatsächlich (»really«) Sätze über physische Sachverhalte sind, »and this of course entails that mental states and certain bodily states (presumably in the brain) are identical.«45 Pitcher räumt jedoch ein, dass Wittgenstein diese Auffassung strikt ablehnen würde, da er, Wittgenstein, überhaupt nicht verpflichtet sei, etwas über den metaphysischen Status der angesprochenen Gegenstände zu sagen und dass darüber hinaus über ihren metaphysischen Status gar nichts gesagt werden könne. Pitcher verweist in diesem Zusammenhang auf TLP 3.221: »Die Gegenstände kann ich nur nennen. Zeichen vertreten sie. Ich kann nur von ihnen sprechen, sie aussprechen kann ich nicht. Ein Satz kann nur sagen, wie ein Ding ist, nicht was es ist.«46 41 42 43 44
45
46
Ebd. Ebd., S. 137. Pitcher nennt die Bedingungen »Simplicity and Immortality« (ebd.). Inwieweit »physical objects« allerdings die Kriterien der Einfachheit und Unsterblichkeit erfüllen bzw. überhaupt erfüllen können, erfahren wir von Pitcher bedauerlicherweise nicht. Ebd. Eine Erläuterung, was Wittgenstein selbst unter den Gegenständen verstand, findet, sich in § 46 der Philosophischen Untersuchungen mit einem Verweis auf Platon. Ohne an dieser Stelle auf das Problem einfacher Gegenstände eingehen zu wollen, sei die Stelle nur angegeben: »Was hat es nun für eine Bewandtnis damit, daß Namen eigentlich das Einfache bezeichnen? – Sokrates (im Theätetus): ,Täusche ich mich nämlich nicht, so habe ich von Etlichen gehört: für die Urelemente – um mich so auszudrücken – aus denen wir und alles übrige zusammengesetzt sind, gebe es keine Erklärung; denn alles, was an und für sich ist, könne man nur mit Namen bezeichnen; eine andere Bestimmung sei nicht möglich, weder
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Sätze der Form »A glaubt, dass p.«
Dass Wittgenstein in diesem Zusammenhang nicht von psychischen »Gegenständen« spricht, steht außer Frage. Überhaupt findet sich an keiner Stelle des TLP ein Ausdruck wie »psychischer Gegenstand«, sogenannte »mental objects« wie Pitcher sie nennt, da der Begriff »Gegenstand« offensichtlich für die Bedeutungsseite reserviert scheint und somit nur im Zusammenhang möglicher Sachverhalte vorkommt. Zudem ist der Ausdruck »Gegenstand« als formaler Begriff bestimmt, ein Punkt, den wir im anschließenden Kapitel genauer untersuchen werden. Aus diesem Grund gilt natürlich Analoges auch für »physical objects.« Handelt es sich tatsächlich um psychische Gegenstände, so wird die Forderung nach ihrer »Unsterblichkeit« offensichtlich hinfällig. Wenn man eine notwendige Bedingung für psychische Bestandteile behaupten will, dann allenfalls, dass ihnen die Möglichkeit zugeschrieben werden kann, durch ihre internen Relationen Sachverhalte bilden zu können. Natürlich ließe sich dagegen einwenden, Pitcher wolle gerade darauf aufmerksam machen, dass Wittgensteins Auffassung die Existenz mentaler Zustände und der sie konstituierenden mentalen Objekte verneint. Dann allerdings scheint Pitchers Verweis auf TLP 3.221 auch nicht sehr hilfreich. In der schon angesprochenen Briefstelle an Russell gesteht Wittgenstein ja sogar ein, dass er nicht wüsste, welches die Bestandteile eines Gedankens sind. Damit gesteht er jedoch gleichzeitig ein, dass sie bestehen müssen und wie er selber sagt, psychischer Natur sind. Worin sollte überhaupt eine Identität zwischen psychischen und physischen »Sachverhalten« bestehen? Es scheint hier möglicherweise auch eine ganz zentrale Verwirrung hinsichtlich des Begriffs der »Beschreibung« vorzuliegen: Elementarsätze sagen, wie wir gesehen haben, etwas über die Welt. Sie sind Bilder möglicher Sachverhalte. Und ebenso ist der Gedanke ein logisches Bild der Welt. Worin Gedanke, die, es sei, noch die, es sei nicht. ... Was aber an und für sich ist, müsse man ... ohne alle anderen Bestimmungen benennen. Somit aber sei es unmöglich, von irgend einem Urelement erklärungsweise zu reden; denn für dieses gebe es nichts, als die bloße Benennung; es habe ja nur seinen Namen. Wie aber das, was aus diesen Urelementen sich zusammensetzt, selbst ein verflochtenes Gebilde sei, so seien auch seine Benennungen in dieser Verflechtung zur erklärenden Rede geworden; denn deren Wesen sei die Verflechtung von Namen.‛ Diese Urelemente waren auch Russell’s ‚individuals‛ und auch meine ‚Gegenstände‛ (Log. Phil. Abh.).«
6. Bemerkungen zu Pitcher
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Satz und Sachverhalt übereinstimmen, ist bezüglich ihrer logischen Form. Der Elementarsatz beschreibt aber weder einen psychischen noch einen neuronalen Zustand des Gehirns. »Das angewandte, gedachte Satzzeichen ist der Gedanke«, wie Wittgenstein in TLP 3.5 schreibt. Und TLP 4 lautet: »Der Gedanke ist der sinnvolle Satz.« Das heißt aber keineswegs, dass der Satz eine Beschreibung des Gedankens ist. Der sinnvolle Satz ist nicht deshalb ein sinnvoller Satz, weil seine Struktur mit irgendeinem neuronalen Netz eines menschlichen Gehirns übereinstimmt. Der wie auch immer geartete »Zustand« muss vielmehr selber in der Lage sein, einen möglichen Sachverhalt der Welt abbilden zu können, das heißt, er muss logische Struktur besitzen. Und diese ist, wie wir an vielen Stellen finden können, selber nicht beschreibbar. Selbst wenn man soweit gehen wollte und einräumt, dass ein bestimmter neuronaler Zustand einen Sachverhalt der Welt darstellt, welcher sich in sinnvollen Sätzen beschreiben lässt, müssten wir auch in der Lage sein, uns von diesem Zustand ein Bild zu machen, welches in seiner Eigenart ein Bild zu sein nicht mit dem abgebildeten Sachverhalt identisch wäre. Natürlich sind auch Satzzeichen und Gedanken Tatsachen, aber zur Zeit des Tractatus ging Wittgenstein noch davon aus, dass Elementarsätze voneinander unabhängig sind. Etwas über einen Elementarsatz sagen, hieße somit, ihn zu wiederholen, einen Kalkül beschreiben, diesen zu wiederholen. Denn ein Elementarsatz beschreibt keinen anderen Satz, selbst wenn wir diesen als Tatsache auffassen. Ein Bild ist immer ein Bild und von einem Sachverhalt können wir uns stets ein Bild machen. Über das Wesen des Bildes ist dabei allerdings nichts ausgesagt. Dass Wittgenstein die von Pitcher angeführten Überlegungen ablehnen würde (und das sicher mit gutem Grund) hält diesen jedoch nicht davon ab, zu behaupten, Wittgenstein müsse eingestehen, dass die von ihm, Pitcher, angesprochene physikalistische These aufgefasst werden müsse als eine der »true doctrines that cannot be expressed«.47 Vielleicht sollten wir an dieser Stelle noch zwei weitere Punkte in Pitchers Interpretation des Tractatus aufgreifen, um zu sehen, welche Spielräume uns die Stellen 5.541 ff. eröffnen.
47
Pitcher, ebd., S. 138.
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Sätze der Form »A glaubt, dass p.«
6.2. Satz, Sprecher und Intention Im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen einem Bild und dem, was es abbildet, diskutiert Pitcher den möglichen Einwand48, dass das Bild selber noch keine Beziehung zu der in ihr abgebildeten Tatsache herstellt. Um diesen Aspekt zu verdeutlichen, verwendet er Wittgensteins Darstellung zweier Fechter aus einer Tagebuchaufzeichnung vom 29. 09. 1914. Pitcher nimmt dabei an, dass die linke Figur Sokrates und die rechte Platon repräsentieren soll. Dabei verweisen die Figuren allein nicht auf ihre repräsentierten Personen Sokrates und Platon. Selbst wenn etwa die linke Figur eine sehr exakte Abbildung des Sokrates darstellte, wäre es immer noch möglich, dass es sich etwa um einen Doppelgänger handelt. Was für die linke Figur gilt, gilt natürlich analog für die rechte und eigentlich für das ganze Bild. Hierin, so Pitcher, unterscheiden sich Bild und Satz, da der Satz bereits eine Referenzbeziehung zu einer klar bestimmten Situation enthält, das heißt, zu eben der, die er beschreibt. Ein Satz kann somit kein Bild sein, da ein solches jene Referenz nicht enthält. Somit käme, wenn überhaupt, nur das Satzzeichen als Bild in Frage. Ohne im Weiteren auf die Abbildtheorie einzugehen, in deren Kontext Pitcher die angedeuteten Überlegungen diskutiert, wollen wir hier nur das Verhältnis von Sätzen und Akteuren, welche Sätze äußern, etwas näher betrachten. Wie bereits gesehen, ist der Satz das Satzzeichen in seiner projektiven Beziehung zur Welt. Er steht somit in einer bestimmten Relation zur Welt. Die Möglichkeit des Satzes basiert dabei auf dem Prinzip, dass Zeichen Gegenstände vertreten. Die bereits angesprochenen Stellen 2.1511–2.1515, welche die abbildende Beziehung der Bild- zu den Sachelementen expliziert, veranlassen Pitcher zur Frage, was denn unter den »Fühlern« der Bildelemente und dem »Berühren« des entsprechenden Gegenstandes überhaupt zu verstehen sei, bzw. was es eigentlich heißt, dass die Bildelemente mit Gegenständen korreliert sind. Pitchers Antwort darauf lautet, dass die Korrelation in etwas liegt, was ich tue. So bemerkt er: »From what Wittgenstein says in 3.11, I suspect he thought that correlating elements of a picture (or
48
Der im Folgenden diskutierte Einwand ist von Pitcher selbst in Anführungszeichen gesetzt worden und wird auch im Späteren von ihm verworfen.
6. Bemerkungen zu Pitcher
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proposition) with elements of reality is a mental act – the mental act, namely, of meaning or intending the former to stand for the latter«49. Einige Seiten weiter heißt es dann: […] the act of thinking the sense of a proposition becomes the act of meaning the propositional sign to design a determinate situation. […] Thinking the sense of such a [elementary] proposition involves two things (a) meaning or intending each name of the propositional sign to denote one specific object and no other (that is correlating the name with its object) and (b) meaning that those objects are arranged in such and such a manner that the state of affairs has such and such a structure.50
Dass die Korrelation durch den Sprecher oder Denker eines Satzes bedingt ist, versucht Pitcher durch eine Tagebuchbemerkung vom 26. 11. 1914 zu stützen: »Dadurch, daß ich den Bestandteilen des Bildes Gegenstände zuordne, dadurch stellt es nun einen Sachverhalt dar und stimmt nun entweder oder stimmt nicht. (Z.B. stellt ein Bild das Innere eines Zimmers dar etc.)«.51 Die diesen vorangegangenen Bemerkungen werden von Pitcher nicht zitiert. Wittgenstein notiert: Ob nicht meine Unklarheit auf dem Unverständnis des Wesens der Relationen beruht? Kann man denn ein Bild verneinen? Nein. Und darin liegt der Unterschied zwischen Bild und Satz. Das Bild kann als Satz dienen. Dann tritt aber etwas zu ihm hinzu, was macht, daß es nun etwas sagt. Kurz: Ich kann nur verneinen, daß das Bild stimmt, aber das Bild kann ich nicht verneinen.
Obgleich diese Stellen nicht leicht verständlich sind, da Wittgenstein sie im Zusammenhang positiver und negativer Sätze erwähnt und sich in jener Zeit sehr intensiv mit diesem Dualismus beschäftigte, natürlich auch hinsichtlich positiver und negativer Tatsachen52, ist es dennoch fraglich, ob das Bild eines mentalen Aktes, einer Intention be49 50
51 52
Ebd., S. 88. Ebd., S. 94. Was es für Wittgenstein im TLP heißt, einen Satz auszusprechen und ihn zu meinen, wissen wir ja bereits aus PU, § 81. TB, S. 123. So etwa mit der Frage, ob das Zeichen des negativen Satzes mit dem des positiven gebildet werden muss oder mit der Darstellung negativer Tatsachen durch Modelle (Bilder) etc.
40
Sätze der Form »A glaubt, dass p.«
darf. Wenn man die von Pitcher herangezogenen Stelle in eben diesem Zusammenhang der Negation betrachtet, erscheinen sie nicht mehr ohne weiteres als ein Argument für dessen Behauptung. So schreibt Wittgenstein am 12. 11. 1914: Es ist, als projizierten die logischen Konstanten das Bild des Elementarsatzes auf die Wirklichkeit – die dann mit dieser Projektion stimmen oder nicht stimmen kann. [...] Ist also etwa nicht der einfache Satz das Bild, sondern vielmehr sein Urbild, welches in ihm vorkommen muß? Dieses Urbild ist dann wirklich kein Satz, (hat aber die Gestalt eines Satzes) und es könnte der Fregeschen ,Annahme‛ entsprechen. Der Satz bestünde dann aus Urbildern, die auf die Welt projiziert wären.53
Möglicherweise stehen diese Bemerkungen in Zusammenhang mit Wittgensteins Auffassung von Satz und Satzzeichen. Jedenfalls taucht der Sprecher (Denker) an keiner dieser Stellen auf. Die oben zitierte Bemerkung vom 26. November des Jahres 1914 ist als losgelöste betrachtet sicher leicht missverständlich. Wir können jedoch annehmen, dass sie das beschreibt, was Wittgenstein meint, wenn er sagt »Wir machen uns Bilder der Tatsachen«. Und das heißt natürlich, dass wir ein Bild auch als ein solches verstehen müssen. TLP 4.024 lautet entsprechend: »Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist. (Man kann ihn also verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist.) Man versteht ihn, wenn man seine Bestandteile versteht.« Die Voraussetzung, ein Bild zu verstehen, ist also abhängig von der Möglichkeit der Zuschreibung eines Wahrheitswertes, nicht aber von einem bestimmten Wahrheitswert. Das heißt jedoch nichts anderes, als dass ein bestimmter Sinn gegeben sein muss. Und so könnte man 4.024 vielleicht als die Bestimmung eines Sinnkriteriums auffassen. Daher erscheint es auch unwahrscheinlich, dass Wittgenstein mit jener Bemerkung vom 26. November sagen will, dass wir etwas durch den »Akt« der Zuordnung erst zu einem Bild machen. Es ist wohl eher anzunehmen, dass wir das Bild zu einem bestimmten Bild machen, dem Bild eines bestimmten Sachverhaltes, etwa der räumlichen Beziehungen der Gegenstände eines Zimmers, im Gegensatz zu möglichen anderen Beziehungen der Einrichtungsgegenstände oder eines 53
TB, S. 118 f.
6. Bemerkungen zu Pitcher
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ganz anderen Zimmers etc. Insofern könnte man dann sagen, dass wir uns Bilder von Tatsachen machen und nicht nur von möglichen Sachverhalten. Natürlich interpretiert Pitcher auch TLP 3.11 so, dass der Denkakt zu verstehen ist als der Akt, genauer, die Intention, zu meinen, dass das Satzzeichen auf eine definitive Situation referiert. Ein grundlegendes Problem, welches sich hier zeigt, besteht offensichtlich darin, was wir unter »Denken« im Sinne Wittgensteins zu verstehen haben. Was darunter jedoch sicher nicht zu verstehen ist, ist ein mentaler Akt des Intendierens oder Meinens. Denn dann hinge die Frage, ob ein Satz Sinn hat, wiederum von der Intention eines Sprechers ab. Dass die Zeichen willkürlich gewählt sind bzw., dass an den Notationen etwas willkürlich ist, wurde ja bereits erörtert, aber diese Willkürlichkeit und ihre Relevanz versteht man natürlich nur, wenn man auch Wittgensteins Ausdruck des »eigentlichen Zeichens« berücksichtigt. So bemerkt er etwa am 15. 12. 1914: »Es ist offenbar: wir können als Schriftzeichen der ab-Funktionen einführen, welche wir wollen, das eigentliche Zeichen wird sich automatisch bilden.«54 Oder TLP 3.3411 lautet: »Man könnte also sagen: Der eigentliche Name ist das, was alle Symbole, die den Gegenstand bezeichnen, gemeinsam haben. Es würde sich so successive ergeben, daß keinerlei Zusammensetzung für den Namen wesentlich ist.« Die Annahme, dass etwas so oder anders sein kann, ist Sache der Erfahrung, die Logik allerdings ist keine Erfahrung. Sie ist vor dem Wie, mit anderen Worten, vor aller Erfahrung. Das heißt, damit wir überhaupt etwas meinen, intendieren können, müssen wir überhaupt etwas meinen, intendieren können. Und diese Möglichkeit ist nicht die Leistung irgendeines mentalen Aktes. Das Bild, das wir uns von einer Tatsache machen, stellt das Bestehen bzw. Nichtbestehen im logischen Raum vor: Dieser entsteht jedoch nicht erst dadurch, dass wir uns Bilder der Tatsachen machen. Zum Verständnis der Begriffe »Gedanke« oder »Denken« gilt es stets, Wittgensteins in der Einleitung vorgestelltes Programm zu beachten, dem Ausdruck der Gedanken eine Grenze zu ziehen. Was sich klar sagen lässt, lässt sich klar sagen, auch unabhängig von der Intention eines Sprechenden. Verlegt man das Denken des Satzsinnes auf die
54
Ebd., S. 126.
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Sätze der Form »A glaubt, dass p.«
Seite des intendierenden, meinenden Akteurs, wie soll sich dann so eine Grenze überhaupt ziehen lassen? Wenn Wittgenstein von der Übersetzung einer Sprache in eine andere spricht, betont er, dass solch eine Übersetzung nach bestimmten Regeln (Definitionen) erfolgt.55 Und das Beispiel der Grammophonplatte, aus der sich mittels einer allgemeinen Regel die Symphonie und die Partitur ableiten, soll zeigen, dass eben darin die innere Entsprechung dieser offensichtlich ganz unterschiedlichen Gebilde besteht. Wittgenstein nennt diese Regel das Gesetz der Projektion, die Regel der Übersetzung einer Sprache in eine andere. Dass es dabei möglich ist, eine Sprache überhaupt in eine andere übersetzen zu können, sie ableiten zu können etc. ist somit gerade nicht durch einen Akt der Absicht oder sonstigen psychischen Akt bestimmt. Rhees bemerkt in seiner vorzüglichen Kritik an Pitcher hierzu: The question »How is the picture connected with the fact it pictures?« can only mean: »How does it have the role of a picture at all?« If »I« were to perform the mental act or intention of correlating the marks and sounds with elements of a fact, this would not make the complex a picture. I cannot »correlate« unless I am working with a picture. And then the »correlating« means simply that the syntax of the picture shows the possible structure of a fact. The relations of logical syntax are internal relations, and they make it possible to introduce conventional signs. (»Only in the connexion of a proposition does a name have meaning.«).56
Wenn Wittgenstein von der Übersetzung einer Sprache in eine andere oder dem Denken als Projektionsmethode spricht, dann geschieht dies bzw. ist dies möglich mittels logischer Operationen. Unlogisch denken können wir nicht, denn Denken vollzieht sich im Rahmen eines Kalküls. Dass wir von einer Tatsache Bilder entwerfen können, dazu dienen die logischen Operationen. Auch wenn sich verschiedene Bilder einer Tatsache entwerfen lassen, muss diesen Bildern dennoch etwas
55
56
»Definitionen sind Regeln der Übersetzung von einer Sprache in eine andere. Jede richtige Zeichensprache muß sich in jede andere nach solchen Regeln übersetzen lassen: Dies ist, was sie alle gemeinsam haben.« (TLP 3.343) Rhees, Rush: »The Philosophy of Wittgenstein«, S. 40.
6. Bemerkungen zu Pitcher
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gemeinsam sein: »Aber das für die Tatsache Charakteristische in diesen Bildern wird in allen dasselbe sein und von mir nicht abhängen.«57 Pitchers diskutierte Beispiele von »Bildern« (Sätzen), die etwa durch einen Stift entstehen, der zufällig auf dem Tisch hin- und herrollt, oder durch ein umgestoßenes Tintenfass, deren fehlende Intention bei der Entstehung es verhindert, von Bildern zu sprechen, leisten dabei nichts zum Verständnis der entsprechenden Stellen im TLP, die sich vor allem mit der abbildenden Beziehung befassen. Die Entstehung eines Bildes muss für die Frage seiner Funktion als Bild irrelevant sein, da sie natürlich selbst wieder willkürlich ist. Ein Satz ist nicht einfach ein Wortgemisch. Aber er ist auch nicht nur eine bestimmte Anordnung von Wörtern, sondern eine solche, die etwas sagt. Es würde wohl nicht genügen, wenn wir in der Lage wären zu erkennen, welche Gegenstände des Bildes (Satzes) für welche Gegenstände der Welt stünden. So bemerkt Rhees im Zusammenhang der Frage, inwieweit etwa ein Film über ein Experiment einen Sachverhalt abbildet: »It is a photographic record of whatever was visible at the time« – but this hardly helps. If we do not know what these happenings were doing there – what the point or significance of this or that was – than we should hardly know what sense to make of the film. This is not simply a matter of being able to recognize what the various things in the film stand for. It is a matter of being able to recognize what kind of picture it is or how it hangs together. When I describe an experiment I am not just trying to do in a scetchy way what the film does completely. A proposition pictures not because the signs in it have these physical features, but because of what they do. And it is the same with the film. 58
Das heißt natürlich, dass wir auch damit anfangen, zunächst etwas als ein Bild zu erkennen, einen Satz, der etwas sagt, ohne Bezug auf etwas, das er abbildet oder beschreibt. Nun könnte man natürlich fragen oder einwenden, ob es sich bei diesem Erkennen um etwas Betrachterabhängiges, Willkürliches handelt. Etwa, dass man in einer gekritzelten Zeichnung, einem Tintenfleck oder überhaupt irgendeinem 57
58
Tagebuchbemerkung vom 09. 05. 1915. Man beachte, dass »Tatsache« in Wittgensteins Bemerkung explizit hervorgehoben ist. Rhees, Rush: »Miss Anscombe on the ‘Tractatus’«, in Rhees, Rush: Discussions of Wittgenstein, S. 7. Vgl. auch TLP 3.1431, welche die relationale Position der einzelnen Elemente betont.
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Sätze der Form »A glaubt, dass p.«
Zeichen oder Zeichenkomplex etwas Sinnhaftes sieht, etwas, was mir etwas sagt: You just happen to find this group of signs intelligible – it says something to you – almost like a flower that arrests your attention; and this need have nothing to do with recognizing any other propositions at other times. Could it be like that? Wittgenstein would have said it could not. That would not have been recognizing a proposition at all. And to say that understanding a proposition might be something arbitrary in that way, would be self-contradictory.59
Natürlich darf hier nicht die Rede sein von der individuellen Fähigkeit oder Begabung, Bilder zu identifizieren, sondern wiederum nur davon, was es überhaupt möglich macht, etwas als Bild zu identifizieren. Wäre die Möglichkeit der Abbildung durch die Entstehung oder Intention bestimmt, wäre sie somit willkürlich und die Frage der logischen Form ebenso. Damit hängt die ganze Problematik der internen Beziehung von Logik und Welt zusammen. Pitcher verweist auch auf eine Bemerkung John Wisdom’s in »Logical Constructions« aus dem Jahre 1931: Just as an arrangement of splotches of paint on earth might by chance be identical in structure with a scene in heaven without being a picture of it, so might an arrangement of marks happen to be identical in structure with a fact without picturing it. Just as we require someone to make the splotches with intent the scene so we require someone to make the marks with intent to express the fact.60
Allerdings ist an dieser Stelle unklar, was Wisdom genau mit identischer Struktur meint, die zufällig zwischen Bild und Abgebildetem besteht. Analoges gilt für die »arrangements of marks«. Denn es ist wesentlich für strukturelle Beziehungen, dass wenn eine Struktur und eine strukturelle Beziehung an ihr gegeben ist, es dann auch eine andere Struktur mit eben dieser Beziehung zur ersten geben muss. Es gibt keine, wie Wittgenstein sagt, hypothetischen internen Strukturen. Operationen ermöglichen es uns, Zeichen zu bilden und diese Mög-
59 60
Rhees: »Miss Anscombe on the ‘Tractatus’«, S. 8. John Wisdom: Logical Constructions (1931), zit. nach Pitcher, ebd., S. 93.
6. Bemerkungen zu Pitcher
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lichkeit hängt mit der strukturellen Ähnlichkeit zusammen.61 Denn dass Strukturen in internen Beziehungen zueinander stehen, ermöglicht es ja gerade, mittels logischer Operationen Sätze aus anderen bilden zu können. Die Möglichkeit, dass sich Gegenstände so zueinander verhalten wie die Elemente des Satzes oder Bildes nennt Wittgenstein die Form der Abbildung. Die Möglichkeit ist dabei bestimmt als die Struktur bzw. Art und Weise, wie sich die Elemente des Satzes (Bildes) zueinander verhalten.62 In TLP 3.34 bemerkt Wittgenstein: »Der Satz besitzt wesentliche und zufällige Züge. Zufällig sind die Züge, die von der besonderen Art der Hervorbringung des Satzzeichens herrühren. Wesentlich diejenigen, welche allein den Satz befähigen, seinen Sinn auszudrücken.« Es scheint somit fragwürdig, ob Wittgenstein die Einwände von Wisdom und Pitcher als Einwände gegen seine Abbildtheorie angesehen hätte. Denn damit ein Satz etwas über einen Sachverhalt aussagen kann, muss er natürlich wesentlich mit diesem Sachverhalt zusammenhängen und der Zusammenhang besteht eben gerade darin, dass er dessen logisches Bild ist. Außerdem haben wir bereits gesehen, dass zum Bild auch die abbildende Beziehung gehört. Der Satz sagt nur insofern etwas, als dass er ein Bild ist. Daher scheint die These Wisdoms keineswegs überzeugend, da dieser offensichtlich Struktur und abbildendes Element trennen will: Die Struktur ist zwar gegeben und zufällig identisch mit der Struktur des Abgebildeten, aber erst die Intention eines Akteurs, welche natürlich wieder völlig willkürlich ist, ermöglicht eine Abbildbeziehung. Hier lässt sich gegen Wisdom einwenden, dass entweder etwas eine logische Struktur besitzt und in der entsprechenden strukturellen Beziehung zu einer anderen steht, dann liegt auch eine Abbildung vor, oder die Struktur und Möglichkeit der Abbildung nicht besteht. Die Frage, wie eine beliebige Intention eines Akteurs irgendein Zeichengebilde in einen sinnvollen Satz, das heißt, einen Satz, der etwas sagt, formen kann, lässt Wisdoms Ansatz jedenfalls völlig offen. Die Gefahr, in der Logik etwas Willkürliches anzunehmen bzw. in der Entwicklung eines logischen Systems, war sicher eines der zentralen Themen des TLP. In 5.555 bemerkt Wittgenstein etwa: »Und wie wäre es auch möglich, daß ich es in der Logik mit Formen zu tun hätte, die ich erfinden kann; sondern mit dem muß ich 61 62
Vgl. TB 22. 11. 1916 ff. Vgl. TLP 2.15 ff.
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Sätze der Form »A glaubt, dass p.«
es zu tun haben, was es mir möglich macht, sie zu erfinden.« Dass allerdings die Anwendung der Logik, die erst bestimmt, was ein Elementarsatz ist, von der Logik selbst getrennt sein muss, ist klar. Logik und Anwendung dürfen nicht »kollidieren«.63 Ein Verständnis des Wittgenstein’schen Versuchs, die Willkürlichkeit vom Wesen der Notation klar zu trennen, erfordert natürlich auch die Klarheit darüber, dass es überhaupt möglich ist, Formen zu entwickeln, das heißt, dass die Logik von der Möglichkeit, – dem dass – handelt und die logischen Operationen einer allgemeinen Regel bedürfen. Die Möglichkeit, von welcher der Tractatus spricht, ist eine logische und keine psychologische. Denn wäre sie eine solche, wo sollte man dann eine Grenze ziehen zwischen dem, was gesagt und dem, was nicht gesagt werden kann? Wie wäre eine Grenzziehung überhaupt möglich bzw. nach welchen Kriterien? Die Logik bestimmt, was wir denken können, da wir nicht unlogisch denken können. Das Denken selbst kann sicher nicht seine eigenen Grenzen bestimmen. Die interne Verbindung zwischen Logik und Welt schließt diese ebenfalls als Kriterium aus. Bliebe also noch etwas anderes als das Subjekt? Dies hätte dann allerdings nichts mehr mit einer logisch-philosophischen Abhandlung zu tun.
7. Wesentlich und willkürlich An dieser Stelle wäre es vielleicht sinnvoll, nochmals kurz auf einige Stellen einzugehen, die sich mit dem Aspekt des Willkürlichen und Wesentlichen befassen. Möglicherweise findet sich hier auch ein bestehender Zusammenhang zwischen Logik und ihrer Anwendung, zwischen internen und externen Relationen. Wenn Wittgenstein davon spricht, dass die Logik für sich selber sorgen muss und wir uns in einem bestimmten Sinn in der Logik nicht irren können,64 dann zeigt dies offensichtlich, inwiefern die Logik Voraussetzung ihrer Anwendung sein muss und sie natürlich den Irrtum einräumt. Allerdings scheint diese Art von Irrtum für Wittgenstein nicht relevant, da er eben gerade nicht der Logik entspringt. So sollte auch der Glaubensbegriff in TLP 5.541 ff. nicht im Rahmen des Moor’schen Paradoxons diskutiert werden, da der intentionale Cha63 64
Vgl. TLP 5.557. Mit anderen Worten, dass dieser Irrtum nicht empirisch sondern logisch ausgeschlossen ist.
7. Wesentlich und willkürlich
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rakter von Glaubenshaltungen den eigentlichen Punkt verschleiert. Denn man wäre auch hier wieder geneigt, das Subjekt A zur Basisbestimmung des Glaubensraums zu machen. Die von Wittgenstein behauptete Formgleichheit zu »,p‛ sagt p« weist jedoch darauf hin, dass natürlich auch der Glaube bzw. Gedanke durch den logischen Raum bestimmt ist. Wie wir bereits gesehen haben, enthält der Satz willkürliche und wesentliche Elemente. So spricht Wittgenstein an mehreren Stellen davon, dass die Namensgebung willkürlichen Bestimmungen unterliegt.65 Der Satz enthält zwar willkürlich bestimmte Bedeutungen, daneben aber die logischen Strukturen des Dargestellten. Satz und Dargestelltes verfügen also über dieselben logischen Züge. Die willkürliche Bezeichnung der Satzbestandteile fällt daher nicht mit der logischen Form zusammen. In ihr sind sie ja gerade vereinigt und gerade sie ist es ja, welche die Bildhaftigkeit der Sprache ermöglicht. Im TLP 3.322 f. heißt es: Es kann nie das gemeinsame Merkmal zweier Gegenstände anzeigen, daß wir sie mit demselben Zeichen, aber durch zwei verschiedene Bezeichnungsweisen bezeichnen. Denn das Zeichen ist ja willkürlich. Man könnte also auch zwei verschiedene Zeichen wählen, und wo bliebe dann das Gemeinsame in der Bezeichnung? In der Umgangssprache kommt es ungemein häufig vor, daß dasselbe Wort auf verschiedene Art und Weise bezeichnet – also verschiedenen Symbolen angehört –, oder, daß zwei Wörter, die auf verschiedene Art und Weise bezeichnen, äußerlich in der gleichen Weise im Satze angewandt werden.
Diesen Punkt demonstriert Wittgenstein am Beispiel des Wortes »ist« und seiner Verwendung als Identitätszeichen, Kopula und Ausdruck von Existenz. Vermutlich enthielt die Willkürlichkeit der Zeichenbestimmung für Wittgenstein kein Problem, da die besondere Bezeichnungsweise ja gerade als unwichtig gilt. Wesentlich ist nur, dass eine bestimmte willkürliche Bezeichnungsweise überhaupt eine mögliche ist.66 Auch 65
66
Vgl. TB 22. 10. 1914, siehe auch 14. 10. 1914, 25. 10. 1914, 03. 11. 1914, TLP 3.315, 3.322. »Das Einzelne erweist sich immer wieder als unwichtig, aber die Möglichkeit jedes Einzelnen gibt uns einen Aufschluß über das Wesen der Welt.« (TLP 3.3421)
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Sätze der Form »A glaubt, dass p.«
die Erläuterung, warum es sich bei »Sokrates ist identisch« um einen unsinnigen Satz handelt, betont diesen Zusammenhang. Identisch bezeichnet hier eben keine Eigenschaft. Das heißt aber nicht, dass es sich bei »identisch« nicht um ein mögliches Zeichen handelt, also ein solches, welches auch bezeichnen kann. Hier liegt es daran, dass wir eine willkürliche Bestimmung nicht getroffen haben und nicht etwa am Symbol selbst. Natürlich lässt das die Frage offen, wann ein Zeichen überhaupt ein Zeichen ist. Was wir wissen ist, dass ein nicht gebrauchtes Zeichen ein bedeutungsloses Zeichen ist und, dass es dann Bedeutung hat, wenn sich alles so verhält, als hätte es Bedeutung.67 Die Bedeutung eines Zeichens darf ihrerseits wiederum in der logischen Syntax keine Rolle spielen. Vermutlich hätte Wittgenstein die Frage nach dem Ursprung von Zeichen bzw. wann ein Zeichen ein Zeichen ist, als nicht beantwortbar erachtet. Damit verbunden ist ja auch seine fundamentale Unterscheidung in »zeigen« und »sagen«. Lässt sich eine Frage stellen, kann sie auch klar beantwortet werden. Fragen, die sich durch die Logik entscheiden lassen, lassen sich ausschließlich durch die Logik entscheiden. Hinter die Logik können wir jedoch nicht mehr treten, sie lässt sich selbst nicht begründen, und aufgrund der internen Beziehung zwischen Logik und Welt scheint für diese Analoges zu gelten.68 Man kann zwar sinnvoll fragen, warum etwas so ist und nicht anders. Wie aber verhält es sich mit Fragen der Art, warum überhaupt etwas ist? Oder kann man fragen, warum etwas »p oder non p« ist? Ist es möglich, dass ein Sachverhalt weder gilt noch nicht gilt? Die »Erfahrung«, die wir zum Verständnis der Logik brauchen, ist, so bemerkt Wittgenstein, eben nicht die einer bestimmten Gegebenheitsweise sondern die, dass überhaupt etwas ist.69 Und diese ist eben keine Erfahrung. Das Sein der Welt ist zugleich ihre Einzigartigkeit. Und diese Einzigartigkeit der Welt betont Wittgenstein immer wieder in ganz verschiedenen Zusammenhängen, welche uns auch im weiteren Verlauf der Untersuchungen noch an einigen Stellen begegnen werden.
67 68 69
Vgl. TLP 3.328. Vgl. z.B. TLP 5.551 ff. u. 5.61. Vgl. ebd. 5.552.
KAPITEL II ELEMENTARSATZ UND PHÄNOMENOLOGISCHE SPRACHE
1. Einleitende Bemerkungen In den folgenden Untersuchungen wollen wir uns nun etwas genauer mit dem Verhältnis von Elementarsätzen des Traktats zu Wittgensteins Satzbestimmungen nach Wiederaufnahme seiner philosophischen Tätigkeit im Jahre 1929 beschäftigen. Unter diese Bestimmungen fallen einerseits Ausdrücke unmittelbarer Sinnesdaten – sogenannte primäre Sätze – sowie andererseits Sätze der Grammatik.1 Ganz analog der Abgrenzung des Elementarsatzes vom Satz finden sich auch in diesen Konzeptionen entsprechende Satzpaare. So stellt Wittgenstein den primären Sätzen die hypothetischen und den grammatischen die empirischen Sätze gegenüber. Wie wir noch sehen werden, ist dabei das Verhältnis der jeweiligen Komponenten innerhalb eines Paares jedoch von gänzlich anderer Natur. Im Vordergrund der ersten Abschnitte stehen zunächst Bemerkungen zum Gegenstands- und Funktionsbegriff, zur Bedeutung logischer Analyse, sowie zum Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit im Rahmen des Tractatus. Textgrundlage bilden neben Wittgensteins eigenen Texten unveröffentlichte Rhees-Studien zum Verhältnis des Wittgenstein’schen Sprachverständnisses seiner Frühphilosophie zu der nach 1929 entwickelten und bald darauf verworfenen Idee einer primären Sprache. Die von Rhees angeführten Stellen stammen zum Großteil aus Vorarbeiten zu seiner in Discussions of Wittgenstein erschienenen Rezension des Maslow-Kommentars »A Study in Wittgenstein’s Tractatus«2 und eignen sich vorzüglich, zentrale Auffas1 2
Bzw. Sätze verschiedener Grammatiken. Maslow, Alexander: A Study in Wittgenstein’s Tractatus, Berkley, Cambridge 1961. Die Bemerkungen stammen vorwiegend aus dem Jahr 1964, teilweise in Typoskriptform, größtenteils handgeschrieben. Sie wurden mir auf Wunsch ihres Mannes kurz nach seinem Tod 1989 von Peg Smythies Rhees übergeben und sind
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Elementarsatz und phänomenologische Sprache
sungen Wittgensteins zur in Frage stehenden Problematik zu thematisieren und Zusammenhänge aufzuzeigen, denen insbesondere in Abgrenzung zu populären Neuinterpretationen, etwa des Gegenstandsbegriffs nach Hintikka, ein besonderes Gewicht zukommen sollte.3 Der Gehalt der Rhees’schen Ausführungen erklärt die im Folgenden enge Orientierung an seinen Bemerkungen. Hauptziel der hier vorgestellten Untersuchungen ist vor allem der Versuch, jener unter empirischen Gesichtspunkten geführten Diskussion eine Auffassung mit besonderer Betonung logisch formaler Aspekte gegenüberzustellen. Diese, maßgeblich durch Rhees inspirierte, Aufgabe eröffnet Möglichkeiten, Zusammenhänge des Übergangs der frühen zur mittleren Periode in zum Typ der Maslow’schen Analyse alternativer Hinsicht zu betrachten und dadurch Fragen und Probleme zu entwickeln, die eine sinnesdatenorientierte Auslegung der Gegenstände nicht oder zumindest nur zum Teil bzw. in irreführender Weise erlaubt.
2. Gegenstand, Abbild und logische Analyse Zunächst gilt es zu zeigen, in welchem möglichen Verhältnis Satz und logische Analyse stehen und inwiefern dieses für Wittgensteins Sprache-Wirklichkeitsrelation eine fundamentale Rolle spielt. Die Relevanz dieses Zusammenhangs ist insbesondere für die Betrachtung der Verbindung des Tractatusansatzes mit der Idee einer phänomenologischen Sprache von Bedeutung, da hier die logische Analyse bzw. der wahrheitsfunktionale Kalkül an Bedeutung verliert. Dies zeigt sich vor allem an der Neubewertung der Funktion von Grammatik, – die »logische Syntax« tritt nach 1929 völlig in den Hintergrund –, der wachsenden Bedeutung des Begriffs der Anwendung und damit einhergehend einer veränderten Bewertung des Sinnbegriffs. Denn dieser ist
3
nicht Bestandteil des im November desselben Jahres an die University College of Swansea verkauften Nachlasses. Wenn nicht gesondert angeführt, stammen alle englischen Zitate von Rhees. Die Endfassung der Rezension lautet: Rhees, Rush: »The ‘Tractatus’: Some Seeds of Misunderstanding«, in: Rhees, Rush: Discussions of Wittgenstein, S. 16–22. Auf direkte Verweise zu Maslow wurde verzichtet, da die Untersuchungen bewusst in einem allgemeinen Rahmen geführt werden und unmittelbare Bezüge zu Maslow möglicherweise den Eindruck entstehen ließen, es handle sich um eine textimmanente Kritik seines Wittgensteinkommentars.
2. Gegenstand, Abbild und logische Analyse
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nun auch durch die inzwischen hinfällig gewordene Forderung nach einfachen Gegenständen vielmehr durch die zunehmende Bedeutung des Verstehens bestimmt und nicht mehr durch die Anwendung logischer Operationen. Im Tractatus 3.25 bemerkt Wittgenstein: »Es gibt eine und nur eine vollständige Analyse des Satzes.« Das heißt, jeder Satz muß vollständig analysierbar sein, und es gibt genau eine Analyse, welche die vollständige Analyse ist. Ihre zentrale Bedeutung liegt nun offensichtlich in der Funktion, das Verhältnis zwischen Satz und Wirklichkeit aufzuweisen und somit zu zeigen, was überhaupt ein Satz ist. In Wittgensteins späterer Auffassung hingegen stehen vielmehr die Beziehung zwischen Anwendung und Grammatik im Vordergrund. Mit der Aufgabe einer »fundamentalen« oder »logischen« Konzeption von Namen folgt entsprechend, dass es auch keine fundamentale oder logische Analyse von Sätzen mehr gibt, welche der einzige Weg zu sein schien, durch die ein Satz letztlich seinen Sinn zeigt. Die Frage nach dem Sinn eines Satzes wird nun ersetzt durch den Aspekt des Verstehens und Verwendens: The role of language in the lives of people who speak it and use it – rather than the relation of language to reality, lying in the identity of the logical form of the language and the reality. The idea of an internal relation is still important, but this appears in the emphasis which is placed in the conception of a rule.4
Im Rahmen des Tractatusansatzes hingegen scheint die Anwendung jener Ausdrücke, welche ihren Sinn unmittelbar zeigen, unklar, etwa im Unterschied zu aus Elementarsätzen erzeugten Ausdrücken: »I imagine the idea was really that the analysis should bring out what the application is.« Rhees verweist in diesem Zusammenhang auf die Analogie zu Messsystemen: But in fact we use a system of measurement in order to discover something, and in order to define the relation of what we are measuring to 4
Auch dienen Wittgensteins spätere Betrachtungen zum Begriff etwa der Erwartung, der Intention oder des Befehls zur Illustration der Idee interner Relationen, welche ein Kontinuum seiner gesamten Philosophie bildeten und so dementsprechend nie an Gewicht verloren. Wenn auch in variierenden Zusammenhängen auftretend, lässt sich ihre fundamentale Bedeutung wohl im gesamten Korpus seiner philosophischen Schriften aufweisen und rechtfertigen.
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Elementarsatz und phänomenologische Sprache
something else we have measured. It is not like this in the use of empirical propositions: as though it were only after analysis that we could see how what was said bore on something else that was said: but agreed that there are analogies. The point is that in fact we never seem to do anything with the analysed proposition; nothing comparable to what we do with a system of measurement.
Die Verbindung zwischen Sprache und Realität lag offensichtlich im Begriff des Gegenstandes und des einfaches Zeichens in ihrer referentiellen Relation. Gegenstände lassen sich nur benennen und die Bedeutung der Zeichen lag einzig in dieser Beziehung zu den jeweiligen Elementen. So erlaubt jene Verbindung die Unterscheidung in wahr und falsch ebenso wie die Bestimmung dessen, was der Fall ist und was nicht: »In seeing the reference of the signs you see what they refer to as soon as you see that they are signs at all.« Hierin zeigt sich die Relevanz dieser unmittelbaren Verbindung zwischen einfachen Zeichen und Gegenständen; die Tatsache, dass der Gegenstand die Bedeutung des einfachen Zeichens ist. Die einfachen Zeichen selbst sind dabei insofern völlig willkürlich bestimmt, als dass sie über keine Grammatik unabhängig ihrer Relation zu den entsprechenden Gegenständen verfügen.5 Eine der Schwierigkeiten der uns bereits vertrauten logischen Abbildung liegt in der Abgrenzung einer Abbildung der Realität im Unterschied etwa zur Reproduktion der Gestalt eines bestimmten Gegenstandes. Denn ein Bild ist ja im gewöhnlichen Sinn weder falsch noch wahr, das logische Bild ist wesentlich so. Zur Bestimmung des Begriffs der logischen Abbildung leistet die Auffassung, dass Satzzeichen und Realität eine gemeinsame Form haben, nichts. Eine Zeichnung, die über dieselbe Gestalt verfügt wie das gezeichnete Objekt, kann ein logisches Bild sein, falls es als Satz dient. Dieselbe Gestalt allein ist jedenfalls keineswegs hinreichend, da so auch ein leeres Blatt Papier als das logische Bild eines anderen zu verstehen sein könnte. Natürlich zeigt sich hierin die Grundschwierigkeit, überhaupt ein logisches Bild als solches zu erkennen, das heißt, etwas als einen Satz zu identifizieren, erweist sich die gemeinsame Form alleine als unzu5
Rhees bemerkt hierzu mit Recht: »I agree that this relation of ‘representing’ or ‘standing for’ is mysterious.«
2. Gegenstand, Abbild und logische Analyse
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reichend. Möglicherweise steht die Bestimmung eines solchen Bildes daher in Zusammenhang mit der Vorstellung, bestimmte Ausdrücke hätten ihren Sinn unmittelbarer (oder auf unmittelbarerem Wege) als andere. Denn scheinbar verfügt der vollständig analysierte Satz über seinen Sinn unmittelbar. Der Tractatus liefert keine Beispiele eines Elementarsatzes oder einfachen Zeichens und ebenso keine einer logischen Abbildung, mit anderen Worten, was es heißt, Sinn zu haben, ein Satz zu sein.6 Die Analogie zur Partitur, Grammophonplatte und Symphonie7 soll zwar zur Illustration einer internen Relation dienen, jedoch bemerkt Rhees hierzu völlig zu Recht: But the suggestion that because you can produce the music from the record and vice versa (that in this sense the one has the same multiplicity as the other) – that because of this the disc has the kind of relation to the music which the score has – is misleading. It seems rather like saying that a photographic apparatus can see. The record might have taken place without anyone’s intending it, and without any understanding.
Insbesondere scheint das Beispiel nicht die Idee der Wahrheitsmöglichkeiten zu illustrieren. Denn das Satzzeichen ist durch die Repräsentation eines möglichen Sachverhaltes und nicht eines tatsächlichen, wie hier im vorliegenden Fall, bestimmt. Und folglich müssen auch beide Wahrheitswerte gleichermaßen zugeschrieben werden können: »Unless the proposition could be false it could not be true either.«8
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Wittgenstein selbst ist sich bereits in den frühen Tagebuchaufzeichnungen dieses Mangels durchaus bewusst. So schreibt er etwa am 14. 06. 1915: »Es scheint, daß die Idee des EINFACHEN in der des Komplexen und in der Idee der Analyse bereits enthalten liegt, so zwar, daß wir ganz absehend von irgendwelchen Beispielen einfacher Gegenstände oder von Sätzen, in welchen von solchen die Rede ist, zu dieser Idee kommen und die Existenz der einfachen Gegenstände als eine logische Notwendigkeit – a priori – einsehen.« Und eine Woche später: »Unsere Schwierigkeit war doch die, daß wir immer von einfachen Gegenständen sprachen und nicht einen einzigen anzuführen wußten.«. TB, S. 153 u. 162. Vgl. TLP 4.0141. Rhees fährt fort: »(The recording may distort the music. But this does not mean that there is anything false about the grammophone record. What would be false would be the proposition that this is an accurate recording).«
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Elementarsatz und phänomenologische Sprache
Möglicherweise rekurriert Rhees hier wieder implizit auf die Unterscheidung zwischen Bild und logischem Bild hinsichtlich ihrer Wahrheitswertzuschreibungen. »It can mean something to talk about truth possibilities or about possible state of affairs because certain combinations of objects are possible and others are not.« Die Bedingung des unmittelbaren »seinen Sinn zeigen« erscheint demnach auch insofern zwingend, als dass die Frage, ob ein Satz Sinn hat, nicht von der Wahrheit eines anderen Satzes abhängen darf. Denn eine nicht gegebene Unabhängigkeit der Elementarsätze würde offensichtlich zumindest einen weiteren Satz erfordern, in seiner Funktion, einem entsprechenden Elementarsatz Sinn wahr zuzuschreiben.9 Wittgensteins spätere Auffassung hingegen würde diese Frage abhängig machen vom Verständnis des jeweiligen Spiels bzw. von der Frage, ob ein Zug in einem bestimmten Spiel Sinn macht, das heißt den Regeln entspricht. Und damit in Zusammenhang steht: »Einen Satz verstehen heißt eine Sprache verstehen.«10 Dadurch scheint allerdings die Unterscheidung zwischen primären und sekundären bzw. zwischen einfachen und komplexen Zeichen hinfällig. So zeigt sich hierin auch die Verlagerung von Sinn und Inhalt hin zur Bestimmung des Begriffs »Anwendung«. Offenbar gibt es verschiedene Arten oder Formen von Sprachgebräuchen. Somit wird auch die Redeweise von »Sinn haben« insofern irreführend, als sie impliziert, es gäbe noch immer nur eine Verwendung: »The notion of objects and simple signs seemed to make all propositions more ‘homogenius’, as though having sense amounted to the same thing in each case the only difference being in the objects and in their special configurations. The notion of picturing was bound up with this.« Nun wäre es möglich, nur dann von Elementarsätzen zu sprechen, wenn wir auf solche referieren, die in einem gegebenen Kalkül nicht mehr als weitere Wahrheitsfunktionen anderer Sätze fungieren. Darin läge nun kein Bezug auf Gegenstände. Es wäre dann nicht nur eine Frage der Entscheidung, diese Sätze und entsprechend die darin bezeichneten Gegenstände als einfach aufzufassen, wie etwa Maslow
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So bemerkt Wittgenstein: »Hätte die Welt keine Substanz, so würde, ob ein Satz Sinn hat, davon abhängen, ob ein anderer Satz wahr ist. Es wäre dann unmöglich, ein Bild der Welt (wahr oder falsch) zu entwerfen.« (Tractatus 2.0211 u. 2.212) MS 110 (Band VI Philosophische Bemerkungen), S. 117.
3. Gegenstand und formaler Begriff
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anzunehmen scheint11, denn die Bestimmung als Elementarsatz stünde nur im Zusammenhang ihrer Beziehung innerhalb des Kalküls. Aber Rhees wendet ein: »Will the conception of propositions as truth functions allow you to understand what having sense is? I do not think it can, unless you bring in some notion of primitive signs and ‘having sense immediately’.« Das hieße nicht, dass wir nicht über den Kalkül von Wahrheitsfunktionen sprechen könnten, ohne zwingend auf den unmittelbaren Sinn zu verweisen. Nur würde dieser Kalkül nicht zeigen, was es eigentlich hieße, überhaupt ein Satz zu sein: It will not play anything like the role which it does in the Tractatus. Cf. the idea in the Notebooks that all propositions must have something in common if we are to speak of possible combinations of them in compound propositions; or if we are to be able to speak of truth functions of them. What they ‘have in common’ does seem to be this ‘having sense’ and the distinction between truth and falsity.
3. Gegenstand und formaler Begriff In TLP 4.126 bemerkt Wittgenstein, dass formale im Gegensatz zu eigentlichen Begriffen nicht durch eine Funktion dargestellt werden können. Möglicherweise steht dies in Zusammenhang mit seiner Verwerfung des Gegenstandsbegriffs als mögliches Prädikat. So spricht er auch von »Gegenstand« als »Scheinbegriff«.12 Daher ist ein Satz der Art »Es gibt Gegenstände« sinnlos, denn immer, wenn der Begriff anders als ein eigentlicher gebraucht wird, entstehen Scheinsätze. Rhees bemerkt dazu an einer Stelle13: The concept »Gegenstand« is a formal concept (no sense in »Dies ist ein Gegenstand«, nor in »X ist ein Gegenstand«, – as little as there would be in »I am saying something«. Das Einfache – a formal concept: what there must be (logical must) if there are Tatsachen, i.e. if there are »comple11
12 13
So bemerkt er etwa an einer Stelle: »We can take any object whatsoever in our experience and consider it as an element.« (Maslow, A Study in Wittgenstein’s Tractatus, S. 36.) Vgl. Tractatus 4.1272. Die zitierte Stelle stammt aus Bemerkungen zu Norman Malcolms: Nothing is Hidden, datiert 12. 10. 1986.
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Elementarsatz und phänomenologische Sprache
xes«. It does not mention the character of anything, describe anything. Similarly for Element.14
Rhees fügt dieser Bemerkung die folgende Stelle hinzu: Immer wieder ist es der Versuch, die Welt in der Sprache abzugrenzen und hervorzuheben – was aber nicht geht. Die Selbstverständlichkeit der Welt drückt sich eben darin aus, daß die Sprache nur sie bedeutet und nur sie bedeuten kann. Denn, da die Sprache die Art ihres Bedeutens erst von ihrer Bedeutung, von der Welt, erhält, so ist keine Sprache denkbar, die nicht diese Welt darstellt.15
Hierin zeigt sich deutlich, dass zur Form unserer Welt keine gegensätzliche denkbar, das heißt möglich ist, und natürlich ist diese Unmöglichkeit als eine logische aufzufassen. Zum Gegenstandsbegriff findet sich auch die folgende, höchst interessante Stelle: »Das, was ich seinerzeit ,Gegenstände‘ genannt habe, das Einfache, ist einfach das, was ich bezeichnen kann, ohne fürchten zu müssen, daß es vielleicht nicht existiert; d.h. das, wofür es Existenz oder Nicht-Existenz nicht gibt, und das heißt das, wovon wir reden können, was immer der Fall ist.«16 Rhees notiert in diesem Zusammenhang: »The Tractatus wants to give the conditions of discourse altogether, or the conditions of sense altogether, for instance. A general account of what it is to be a proposition. And for this it wants a general relation of name and object. […] And there can be no question of our ‘imposing’ simplicity on anything in our experience.« Eine Bemerkung Wittgensteins zu den einfachen Gegenständen stützt diese Auffassung offensichtlich: »Ein Name soll nur das bezeichnen, was Element der Wirklichkeit ist. Was sich nicht zerstören läßt; was in allem Wandel gleichbleibt.« Aber was ist das? Während wir jenen Satz sagten, schwebte es uns ja schon vor! Wir sprachen schon eine ganz bestimmte Vorstellung aus, ein ganz bestimmtes Bild. Denn diese Elemente finden wir ja nicht in der Wirk14
15 16
Und an anderer Stelle notiert Rhees: »Logical identity between sign and signified applies to the logical constants, and also to formal concepts. But of course both »sign« and »object« are formal concepts.« PB, S. 80. Ebd., S. 72.
3. Gegenstand und formaler Begriff
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lichkeit. Wir haben sie nicht aus der Beobachtung der Realität genommen, sondern tragen sie hinein.17
Auch in den frühen Tagebuchaufzeichnungen finden sich neben Stellen, die eher für eine Gegenstandsinterpretation als Objekte unserer unmittelbaren Erfahrung sprechen, Bemerkungen, welche die hier diskutierte Auffassung stützen, da sie den offensichtlich engen Zusammenhang zwischen Gegenstand und logischer Analyse betonen. In diesen Gedanken zeigt sich deutlich, dass es sich bei der Frage der Gegenstandsbestimmung nicht um eine empirische handelt und ebenso, inwieweit man von einer Forderung nach einfachen Gegenständen im Rahmen eines logischen Programms sprechen kann.18 So bezeichnet Wittgenstein etwa die Existenz einfacher Gegenstände als eine logische Notwendigkeit a priori.19 Die Idee der einfachen Gegenstände gewinnen wir durch Analyse komplexer Gegenstände in ihre Bestandteile. Rhees bemerkt: »The idea of an object in the Tractatus is something like a mathematical limit, just as the material point in physics is.«20 Das Resultat der logischen Analyse muss nun letztlich zu einem Satz führen, welcher sich aus einfachen Zeichen zusammensetzt, und die Relevanz des Gegenstandsbegriffs für die Sinngebung eines Satzes erklärt auch ihre Erfordernis: »Alles, was ich will, ist ja nur vollständige Zerlegtheit meines Sinnes!!«21 17 18
19 20
21
MS 152 C8, S. 63 f. Natürlich machen die vielen, sich teilweise widersprechenden Gegenstandsäußerungen Wittgensteins eine genaue Bestimmung des Begriffs nicht möglich. Die hier getroffene Entscheidung, die Diskussion nach logischen Gesichtspunkten zu führen, ermöglicht allerdings eine Interpretation, die auch in Hinblick auf neue Ansätze Wittgensteins nach 1929 Zusammenhänge aufzeigt, welche bei alternativer Betrachtung des Gegenstandsbegriffs nicht oder zumindest in anderem Licht erscheinen. Siehe Eintragung vom 14. 06, 16. 06 und 17. 06. 1915. Siehe etwa PG, S. 202: »Wie nun die Physik von Körpern der Erfahrung den Begriff des materiellen Punktes abgezogen hat, ähnlich hat man von der SubjektPrädikat Form unserer Sprachen die Subjekt-Prädikat Form der Logik abgezogen. Die reine Subjekt-Prädikat Form soll nun a ε f(x) sein, wo ,a‘ der Name eines Gegenstandes ist.« Siehe auch Tagebucheintragung vom 17. 06. 1915: » […] Es scheint immer so, als ob es komplexe Gegenstände gäbe, die als einfache fungieren und dann auch wirklich einfache, wie die materiellen Punkte der Physik, etc.« Ebd.
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Elementarsatz und phänomenologische Sprache
Wie wir bereits gesehen haben, sind »Gegenstand« und »Begriff« sehr vage Ausdrücke. Die Schwierigkeit liegt dabei allerdings nicht in der Frage, worauf diese Ausdrücke referieren, sondern vielmehr um welche Art von Referenz es sich überhaupt handelt. Das heißt, die Grammatik des Begriffs »Gegenstand« ist uneindeutig. Eine Aussage wie: »Das ist ein Gegenstand« wäre entsprechend des Tractatus eine unsinnige. Gleiches gilt für »Was ist ein Gegenstand«, »Wofür steht der Ausdruck ‚dieses‘?«, »Was ist dies?«, oder »Zeige mir, was dies ist!«. »Es gibt Gegenstände« entspricht »Sätze haben Sinn«. »Woher weißt du, dass Sätze Sinn haben«, wäre ohne Bedeutung.22 Auch die Frage »Welchen Sinn können Sätze haben?« wäre bedeutungslos genauso wie: »Welche Gegenstände gibt es?« oder »Wieviele Gegenstände gibt es?«. Eine Antwort auf die Frage »Wieviele?«, z.B.: »Wieviele Tintenflecke befinden sich auf diesem Blatt Papier?« wäre eine mögliche Antwort. Die Antwort hätte Sinn. Die Frage nach der Anzahl der Gegenstände in der Welt hätte keinen. Da sich nun weder eine Gegenstandsdefinition noch interne Eigenschaften zu ihrer Differenzierung angeben lassen, wäre auch eine Behauptung der Art »Dieser Gegenstand hat diesen Namen, jener jenen« unsinnig. Tatsächlich hätten »dies« und »jenes« die Funktion von Namen. Sie lassen sich allerdings mittels ihrer externen Eigenschaften unterscheiden, z.B. hinsichtlich ihrer gegenseitigen Positionen.23 Läge die Bedeutung von Namen nicht ausschließlich in den durch sie bezeichneten Gegenständen, hieße dies, dass sie ihnen auch interne Eigenschaften zuschrieben. Dadurch wäre jedoch eine weitere Analyse erforderlich. Im Zusammenhang der Frage nach der Existenz von Gegenständen zieht Rhees eine interessante Parallele zur Mathematik, welche ebenfalls verdeutlicht, dass die Frage im Rahmen des Tractatus als sinnlos aufzufassen ist: Counting inside mathematics is all that is relevant in doing mathematics. This is why mathematics is not concerned with the members of objects in 22
23
Hierzu bemerkt Rhees am Rande: »Man vergleiche etwa die Frage: ‚Was sind die wirklichen Gegenstände in diesem Wahrnehmungsurteil?‘ und ‚Was sind die Gegenstände, die wir in der Ferne sehen?‘. Erstere wäre die Frage nach der Analyse des Wahrnehmungsurteils, das heißt: ‚was bedeutet es?‘«. Vgl. TLP 2.0233 ff.
4. Satz, unmittelbarer Sinn und Bedeutungskörper
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existence. For Wittgenstein in LPA this latter expression were meaningless. The idea of »Elemente der Erkenntnis«, Universality; in some sense giving sense to the expression: what can be thought, or what can be said. (The possibility of logical analysis).
Die Unterscheidung von Zählvorgängen innerhalb der Mathematik, etwa bei Winkelbestimmungen eines Polygons und außerhalb der Mathematik, beispielsweise zur Berechnung der Personenanzahl in einem Raum, wird uns auch an späterer Stelle nochmals begegnen.
4. Satz, unmittelbarer Sinn und Bedeutungskörper Die Problematik der Begriffsbestimmung »einfacher Gegenstand« hängt natürlich zusammen mit der Unbestimmtheit der vollständigen Analyse eines Satzes. Auch zum Verständnis des alternativen Kriteriums, dass ein Satz seinen Sinn zeigt, finden sich im Tractatus bedauerlicherweise keine Beispiele. Gemeint ist damit möglicherweise, dass der Sinn so unmittelbar gegeben ist und sein muss wie das Satzzeichen selbst. Und ohne Sätze, die ihren Sinn unmittelbar zeigen, gäbe es überhaupt keine Sätze, das heißt, keine Zeichen mit Sinn, zumindest unter der Bedingung, dass wir Sätze als Wahrheitsfunktionen auffassen. Rhees bemerkt: »Propositions could not show their sense immediately – for a short time Wittgenstein called them ‘primary propositions’ – unless there were simple signs: i.e. signs which symbolize immediately so that it were nonsense to ask for an explanation of their meaning.« Die Forderung nach Elementarsätzen und ihrem unmittelbaren Einleuchten sollte jedenfalls zeigen, dass die Beziehung zwischen Satz und Sinn bzw. zwischen Sprache und Wirklichkeit nicht willkürlich sein kann: When Wittgenstein did speak of a phenomenological language he was trying to work out many of the same ideas as those with which he was concerned when he spoke of objects and atomic propositions in the Tractatus. For one thing there is the notion of a symbolism which shows its sense immediately. And this is connected with the notion of what can be thought; and with the notion of the relation of language to reality. What
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Elementarsatz und phänomenologische Sprache
Wittgenstein had especially in mind was that the relation of language to reality or the relation of thought to reality cannot be arbitrary.
Diese Bemerkung von Rhees betont auch bereits die Verbindung zwischen der Elementarsatzbestimmung des Tractatus und der von Wittgenstein nach 1929 für kurze Zeit vertretenen Vorstellung einer primären Sprache, welcher wir uns am Ende dieses Kapitels etwas genauer zuwenden werden. Offensichtlich stand in beiden Konzeptionen die Forderung eines sinnstiftenden Fundamentes im Vordergrund, das heißt, die Forderung nach einem Symbolismus, der die interne Relation von Sprache und Wirklichkeit verdeutlicht. So entspricht die Frage nach Elementarsätzen der Frage nach der Relation zwischen Gedanke und Wirklichkeit oder Sprache und Wirklichkeit; der Frage, ob Sätze Sinn haben, denn die Bestimmung einer Verbindung zwischen Satz und Wirklichkeit ist die seines Sinns, die, ob er etwas besagt, die, ob es sich um Sprache handelt. Dabei gilt es zu betonen, dass jene Relation nicht aufgefasst werden darf als eine, die nur gelegentlich bzw. willkürlich gegeben ist: And you do not discover its sense – nor do you discover whether it has sense – by looking for its relation to something else which is not language. So that to ask whether there is any relation of thought and reality would be wrong headed in some way. But it might be a way of asking whether the relation of language and reality was arbitrary or contrived.
Falls es eine allgemeine Regel der Satzanalyse gibt, ist diese in einer allgemeinen Regel dessen, was Denken ist, begründet; einer generellen Unterscheidung zwischen Sinn und Unsinn; einer Konzeption dessen, was gesagt oder gedacht werden kann. Die Annahme, dass die Beziehung zwischen Gedanke und Wirklichkeit nicht willkürlich ist, entspricht dabei der Annahme, dass das, was gedacht werden kann, und somit die Unterscheidung, was gedacht und was nicht gedacht werden kann, ebenfalls keine willkürliche ist. Nochmals: Die Forderung nach Elementarsätzen ist eine zwingende. Allerdings verfügen wir über keine allgemeinen Identifizierungskriterien, mit Ausnahme des formalen, dass ein Elementarsatz keine Wahrheitsfunktion eines anderen Satzes ist und des »internen«, dass ein Elementarsatz seinen Sinn unmittelbar zeigt. Die Frage ist jedoch, ob sich die Annahme von Sätzen, deren Sinn »unmittelbar« gegeben ist und welche als Basen
4. Satz, unmittelbarer Sinn und Bedeutungskörper
61
von Wahrheitsoperationen und somit a forteriori als sinnstiftend für andere Sätze dienen können, überhaupt als haltbar erweist. Rhees bemerkt: Certainly the statement that [e.g.] this is an atomic proposition cannot be arbitrary. But it does not follow that there must be some way of proving it. In fact the statement that there are elementary propositions is a way of saying that the relation of language to reality cannot be // is not arbitrary; or: that there must be elementary propositions is a way of saying that the relation of language to reality cannot be arbitrary. The difficulty would be in the idea that logical analysis shows the relation of language to reality.
Allerdings verdeutlicht diese Stelle das Motiv einer solchen Forderung, welches offensichtlich in der Annahme einer internen Verbindung zwischen Sprache und Wirklichkeit gründet. Zwar liegt nun, wie bereits erwähnt, eine der Schwierigkeiten vollständiger Analyse in fehlenden Kriterien ihrer Bestimmung. Jedoch scheint sie unverzichtbar für die ganze Konzeption von Sätzen des Traktats. Rhees bemerkt: If we are to say that ‘Ein Satz zeigt seinen Sinn’ then it would seem as though we ought to be able to give an example of this. Yet I do not think there is an example in the Tractatus, unless it might be in where he mentions ‘This shade of blue is darker than that one’24, which he would have later called a proposition in the phenomenological language, and which is really grammatical. If a proposition shows its sense, then we might think its sense should be as immediately present as the propositional sign is; and we might think it would be meaningless to ask whether it had this sense, or to ask whether it had sense at all. At any rate the distinction between simple signs ad complex signs in the Tractatus seems to be the distinction between what symbolizes immediately and what does not; and similarly with the distinction between elementary propositions and compound propositions: elementary propositions have sense in a more immediate way than the others do. If there is a difficulty in how we should recognize these, then this is a difficulty which goes over into any view which thinks of primary propositions as descriptions of sense data, for instance, were it appears in such expressions as »immediate experience«.
24
Vgl. TLP 4.123: » [...] (Diese blaue Farbe und jene stehen in der internen Relation von heller und dunkler eo ipso. Es ist undenkbar, daß diese beiden Gegenstände nicht in dieser Relation stünden.)«
62
Elementarsatz und phänomenologische Sprache
Diese Bemerkungen veranschaulichen sehr deutlich den Zusammenhang zwischen Wittgensteins Elementarsatzkonzeption und dem Übergang zu Sätzen einer phänomenologischen Sprache bis hin zum Begriff der grammatischen Regel. Darüber hinaus verdeutlichen sie ebenfalls die Schwäche des wahrheitsfunktionalen Kalküls, denn er liefert keine generelle Angabe von Sätzen. Es hilft unserem Verständnis von Sätzen nichts, wenn wir von einem Satzkalkül reden, oder der Anwendung dieses Kalküls auf Sätze. Das heißt, hierin liegt die Forderung begründet, dass bestimmte Sätze ihren Sinn unmittelbarer zeigen als andere: The conception of propositions as truth functions will not help us to understand what »having sense« is – unless we bring in some notion of primitive signs and of ‘having sense immediately’. Without simple signs there cannot be complex signs – without some signs which have immediate significance, there cannot be significant signs at all. Without elementary propositions there cannot be compound propositions – without propositions which have there sense immediately, there can be no sense or no propositions.
Auch auf der semantischen Ebene lassen sich sowohl die Zusammenhänge als auch die Übergänge zwischen der Tractatusauffassung und Wittgensteins Wiederaufnahme seiner philosophischen Tätigkeit deutlich aufzeigen. Im Rahmen des Problems der Mehrdeutigkeit sprachlicher Ausdrücke entwickelt er 1929 die Metapher eines durchsichtigen Würfels. Eine seiner Seiten sei jedoch rot eingefärbt. Die Form dieses Glaswürfels würde natürlich nur eine bestimmte Anzahl von Anordnungen mit anderen Figuren erlauben, andere hingegen ausschließen. Die Regel, so Wittgenstein, welche die Möglichkeit der verschiedenen Zuordnungen solcher Würfel bestimmt, ließe sich auch ohne ihre Erwähnung angeben. Sie enthält das Wesen ihrer Form, mit anderen Worten, ihre Geometrie und besagt – in diesem speziellen Fall – nicht, dass sich Würfelkörper hinter den roten Oberflächen befänden.25 Die unterschiedlichen »Bedeutungskörper«, wie Wittgenstein sie im Zusammenhang sprachlicher Ausdrücke bezeichnet, lassen sich nun ganz 25
Dieser Punkt wird uns nochmals im Zusammenhang der Bestimmung von Phänomenologie als Grammatik begegnen.
4. Satz, unmittelbarer Sinn und Bedeutungskörper
63
analog etwa am Wort »ist« beschreiben, welches sich beispielsweise in Verwendungen wie »Die Rose ist rot« semantisch unterscheidet von Ausdrücken wie »2+2=4«. In diesem Fall erlaubt eine Regel, das Wort »ist« durch »ist gleich« zu ersetzen, in jenem nicht. In der Sprache geometrischer Figuren hieße dies, dass sich in beiden Fällen die den Wortausdruck umgebenden Bedeutungskörper unterscheiden und daher bestimmte räumliche Anordnungen verbieten bzw. im Zusammenhang sprachlicher Ausdrücke die Verwendung desselben Symbols in verschiedenen Sätzen.26 Die enge Verbindung dieses Problems zum Tractatus zeigt sich dabei an den Stellen TLP 3.322 ff. Hier bemerkt Wittgenstein zunächst: »In der Umgangssprache kommt es ungemein häufig vor, daß dasselbe Wort auf verschiedene Art und Weise bezeichnet – also verschiedenen Symbolen angehört –, oder, daß zwei Wörter, die auf verschiedene Art und Weise bezeichnen, äußerlich in der gleichen Weise im Satze angewandt werden.«27 Diesen Umstand verdeutlicht er ebenfalls am Wort »ist«, welches als Kopula, als Gleichheitszeichen und als Existentialausdruck Verwendung findet. Um dadurch entstehende Irrtümer zu vermeiden, bedarf es einer Zeichensprache, die der »logischen Syntax« bzw. »logischen Grammatik« gehorcht, das heißt, die es vermeidet, gleiche Zeichen mit verschiedenen Symbolen zu verwenden und vice versa. Die Identifizierung des Symbols am Zeichen erfolgt auch schon hier mittels des sinnvollen Gebrauchs.28 Die Idee eines solchen Symbolismus spielte dann jedoch im Rahmen der Glaswürfelmetapher nicht mehr diese Rolle. Vielmehr tritt nun der Begriff der Regel stärker in den Vordergrund. Allerdings hat sich gezeigt, dass beiden Konzeptionen offensichtlich ein und dasselbe Problem der Mehrdeutigkeit von Ausdrücken zu Grunde liegt, ein Punkt, der uns im späteren Verlauf der Untersuchungen nochmals in großem Umfang begegnen wird.
26 27 28
Vgl. PG, S. 53 f. TLP 3.323. Vgl. TLP 3.326.
64
Elementarsatz und phänomenologische Sprache
Das Beispiel der geometrischen Figuren dient also offensichtlich zur Illustration der Auffassung, dass eine bestimmte Regel, etwa die Regel des Gebrauchs von »ist«, in bestimmten Kontexten von einem ganzen System von Regeln abhängt und nicht etwa von Naturgesetzen oder Eigenschaften physikalischer Gegenstände. Dieser Punkt erweist sich insbesondere für die Verbindung zwischen Sinn und Verifikation und die Frage, ob wir von einem vollständig analysierten Satz sprechen können, als wichtig. Damit verknüpft ist natürlich die Diskussion über Elementarsätze und einfache Gegenstände. Laut Rhees gab Wittgenstein den Begriff des Bedeutungskörpers jedoch bald auf, da ihm etwas »Mystisches« anhaftete.29 Es hat sich allerdings gezeigt, dass die nach 1929 entwickelte logische Multiplizität nicht mehr der des Tractatus entsprach, welche wohl offensichtlich ausschließlich durch die Wahrheitswertszuschreibungen, das heißt zweidimensional bestimmt war. Und falls der Begriff jener geometrischen Körper noch immer die Annahme einschloss, ein Satz trüge seine Bedeutung vollständig in sich, wäre dies wenigstens nicht mehr durch bestimmte Konfigurationen einfacher Gegenstände gewährleistet gewesen. So zeigt sich auch hierin eine Abkehr von der Semantik des Tractatus. Bedeutungskörper ermöglichen also bestimmte Wortkombinationen und verhindern bestimmte andere. Hierbei handelt es sich allerdings um eine geometrische Unmöglichkeit. Der wahrheitsfunktionale Kalkül lieferte jedoch lediglich einen Teil der Grammatik von »und«, »oder«, «nicht« und »wenn dann«. Rhees notiert: »They are used in ways that cannot be reduced to their use in logic, although they are not cut off from that either.« Und Wittgenstein bemerkt: »Die grammatischen Regeln über ,und‘, ‚nicht‘, ,oder‘ etc. sind eben nicht damit erschöpft, was ich in der Abhandlung gesagt habe, sondern es gibt Regeln über die Wahrheitsfunktionen, die auch von dem elementaren Teil des Satzes handeln.«30 29
30
Entwickelt hat Wittgenstein ihn aus der Idee des Ausdrucks »Beweiskörper« im Zusammenhang des mathematischen Satzes: »Man könnte das auch so sagen: Der völlig analysierte mathematische Satz ist sein eigener Beweis. Oder auch so: der mathematische Satz ist nur die unmittelbar sichtbare Oberfläche des ganzen Beweiskörpers, den sie vorne begrenzt. Der mathematische Satz ist – im Gegensatz zu einem eigentlichen Satze – wesentlich das letzte Glied einer Demonstration, die ihn als richtig oder unrichtig sichtbar macht.« (PB, S. 192) PB, S. 109. Siehe auch: »Die Regeln über ,und‘, ,oder‘, ,nicht‘ etc., die ich durch die W-F-Notation dargestellt habe, sind ein Teil der Grammatik über diese Wör-
5. Elemente und Erfahrung
65
Eine der Überlegungen, die ihn zu dieser Auffassung führte, war das Problem der Unmöglichkeit einer Behauptung der Art, ein Fleck wäre zugleich rot und grün. Damit verbunden war natürlich die fehlerhafte Bestimmung von Elementarsätzen als voneinander unabhängig, ein Problem, welches im späteren Verlauf unserer Untersuchungen im Rahmen des Farbenunvereinbarkeitsproblems eine zentrale Rolle einnehmen wird.
5. Elemente und Erfahrung Die Frage nach dem Sinn eines Satzes scheint sich offensichtlich, wie wir bereits an mehreren Stellen gesehen haben, nicht mit dem zu befassen, was existiert, sondern lediglich mit dem, was gedacht werden kann. Rhees spricht in diesem Zusammenhang von: »The difference between »the elements of knowledge« (what is required for logical analysis) and anything like physical elements.« Das heißt vor allem, die Bestimmung von Gegenständen erfolgt nicht durch irgendwelche Experimente. Ebenso handelt es sich nicht um eine Referenz auf individuelle Gegenstände. Die eigentlichen Gegenstände sind also offensichtlich solche, die allem, worüber wir sprechen, gemeinsam sind. An einer uns bereits bekannten Stelle bemerkt Wittgenstein auch, dass die Elemente nicht in der Realität aufgefunden, sondern gleichsam durch uns in sie hineingetragen werden.31 Auch schon in den ganz frühen Tagebuchaufzeichnungen heißt es, dass die einfachen Gegenstände nicht aus der Anschauung bekannt sind und ihre Existenz nicht aus der Existenz bestimmter einfacher Gegenstände geschlossen wird, sondern dass ihre Kenntnis dem Endresultat logischer Analyse entspringt.32
31 32
ter, aber nicht die ganze. Der Begriff der unabhängigen Koordinaten der Beschreibung: Die Sätze, die z.B. durch ,und‘ verbunden werden, sind nicht voneinander unabhängig, sondern sie bilden ein Bild und lassen sich auf ihre Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit prüfen. In meiner alten Auffassung der Elementarsätze gab es keine Bestimmung des Wertes einer Koordinate; obwohl meine Bemerkung, daß ein farbiger Körper in einem Farbenraum ist etc., mich direkt hätte dahin bringen können. Eine Koordinate der Wirklichkeit darf nur einmal bestimmt werden.« (PB, S.111) Siehe die bereits zitierte Stelle aus MS 152 C8, S. 60 f. Vgl. TB 23. 05. 1915 und 24. 05. 1915.
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Elementarsatz und phänomenologische Sprache
Nochmals: Die Elemente, welche die Form des Satzes bestimmen, das heißt, die Elemente, welche in der logischen Analyse benannt sind, wären somit offensichtlich dieselben für Alles der identischen logischen Analyse oder Form. Der Unterschied zwischen tatsächlichem und möglichem Sachverhalt kann daher wohl nicht durch Verweis auf die eigentlichen Gegenstände geliefert werden. Die vollständige Analyse selbst bedarf keines besonderen Symbolismus, um sie anzuzeigen, sondern hängt vielmehr ab vom Aspekt der Verständlichkeit: »Without some actual connexion with reality it would not be language at all.« Offensichtlich versteht Wittgenstein im Tractatus den Begriff der logischen Analyse fälschlicherweise, wie er später bekennt, ganz ähnlich dem einer physikalischen33, und in den Tagebüchern erscheint es gelegentlich, dass »materielle Punkte« dieselbe Art logische Funktion hätten wie »Gegenstände«.34 Möglicherweise vertrat er daher auch die Auffassung, die physikalische Struktur des Lichtes sei ebenfalls die logische Struktur der Farben. Die später eingeräumte Inkompatibilität am Beispiel bestimmter Farbzuschreibungen kann jedenfalls nicht durch die physikalische Struktur begründet sein, das heißt durch eine mögliche Entdeckung mittels bestimmter Experimente. Und bereits in den Tagebüchern betont Wittgenstein die logische Unmöglichkeit im Gegensatz zur physikalischen.35 Hierin könnten auch Analogien zu seinen Bemer33
34
35
PG, S. 210: »Die Idee, Elementarsätze zu konstruieren (wie dies z.B. Carnap versucht hat), beruht auf einer falschen Auffassung der logischen Analyse. Das Problem dieser Analyse ist nicht: es sei eine Theorie der Elementarsätze zu finden. Als seien Prinzipien der Mechanik zu finden. Meine Auffassung in der Logisch-philosophischen Abhandlung war falsch: 1) weil ich mir über den Sinn der Worte ,in einem Satz ist ein logisches Produkt versteckt‘ (und ähnlicher) nicht klar war, 2) weil auch ich dachte, die logische Analyse müsse verborgene Dinge an den Tag bringen (wie es die chemische und physikalische tut).« So lautet eine Bemerkung vom 20. 06. 1915: »Die Zerlegung der Körper in materielle Punkte, wie wir sie in der Physik haben, ist weiter nichts als die Analyse in einfache Bestandteile.« Siehe z.B. Tagebucheintragung vom 16. 08. 1916: »Daß ein Punkt nicht zugleich rot und grün sein kann, muß dem ersten Anschein nach keine logische Unmöglichkeit sein. Aber schon die physikalische Ausdrucksweise reduziert sie zu einer kinetischen Unmöglichkeit. Man sieht, zwischen Rot und Grün besteht eine Verschiedenheit der Struktur. Und nun ordnet sie die Physik gar noch in eine Reihe. Und nun sieht man, wie hier die wahre Struktur der Gegenstände ans Licht ge-
5. Elemente und Erfahrung
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kungen über primäre Sätze und primäre Zeichen liegen, sowie zu der Erkenntnis, dass es nicht nur einen Symbolismus gibt, in welchem die Grammatik einer Sprache ausgedrückt werden müsste, sollte sie klar ausgedrückt werden. Ursprünglich schien es so, als ob der wahrheitsfunktionale Kalkül als eine Erklärung der Grammatik unserer Sprache diene. Das lag zum Teil darin begründet, dass die Beziehung zwischen Gedanken und Realität bzw. Sprache und Realität, wie bereits mehrfach betont, als eine interne nicht willkürlich sein darf. Eine ganz ähnliche Vorstellung wurde in die Idee der phänomenologischen Sprache als primär aufgenommen, obgleich der wahrheitsfunktionale Kalkül nicht mehr im Mittelpunkt stand. Die Funktion der logischen Analyse kann nicht darin liegen, die Elemente der Sprache aufzuzeigen: »Showing how a symbolism can have sense. It cannot be: to show what the atomic propositions are. To show what that is, on which the intelligibility of language depends.« Als Wittgenstein seine frühere Auffassung des Sinnbegriffs aufgab, war dies sicher der entscheidende Schritt zur Einsicht, dass die Annahme, es gäbe eine und nur eine vollständige Analyse des Satzes, falsch war. Denn: »Leave this and there were no longer die ‘Forderung der Einfachheit der Zeichen’«.36 Die Grammatik, welche durch logische Analyse aufgedeckt wird, ist nun die Grammatik, von der die Möglichkeiten aller oberflächlichen und willkürlichen Grammatiken abhängen. Damit in Zusammenhang stehen auch die Begriffe »eigentlicher Name«, »eigentlicher Satz« und »Das Wesen der Sprache«, zu welchem der eigentliche Satz gehört. Hierin wiederum zeigt sich ein Zusammenhang zur logischen Form und der Möglichkeit, logische Form in der Sprache oder einem Symbolismus zu repräsentieren: »The idea of a language and the idea
36
bracht wird. Daß ein Teilchen nicht zu gleicher Zeit an zwei Orten sein kann, das sieht schon vielmehr aus wie eine logische Unmöglichkeit. Fragen wir z.B. warum, so taucht sofort der Gedanke auf: Nun, wir würden eben Teilchen, die sich an zwei Orten befänden, verschiedene nennen, und das scheint alles wieder aus der Struktur des Raumes und der Zeichen zu folgen.« Rhees bemerkt hierzu: »He thinks that this is apparent from the fact that physics orders the structures in a series – a mathematical series – and the impossibility can be derived from this. (What he later said about differences of degree was not such a new departure.) In so far as the light waves enter in at all, it is their logical structures (what is shown by measurements, perhaps) that is important.« Vgl. TLP 2.011 und 3.23.
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Elementarsatz und phänomenologische Sprache
of a notation.« Unsere konventionelle Grammatik oder unser konventioneller Symbolismus decken jedoch nicht die eigentlichen Unterschiede bezüglich logischer Form auf. Falls die Gegenstände tatsächlich als Bedeutungen aufzufassen sind, dann handelt es sich bei Sätzen, welche solche Namen als »Konstituenten« enthalten, um grammatische. Möglicherweise ist die Vorstellung einer unmittelbaren Verbindung zwischen Zeichen und Gegenstand daher immer die zwischen Zeichen und Bedeutung. Rhees bemerkt: »Seems as though the recognition that elementary propositions are grammatical must be a consequence of the distinction between the meaning of a name and the bearer of a name. Logical form, logic and language. The reality of logical forms.« Im Zuge der Revision seiner referentiellen Semantik räumt Wittgenstein dann selbst den Irrtum ein, ein Wortausdruck müsse einem Gegenstand »entsprechen«, ein Fehler, welcher in der Verwechslung des Trägers und der Bedeutung eines Namens gründet.37 So zeigt sich hier auch die gewandelte Auffassung der Funktion von Namen und die spätere Aufgabe der Elementarsatzkonzeption zugunsten der Einführung des Regelbegriffs.
6. Bemerkungen zu Gegenstand, Farben und Allgemeinheit Die im späteren Verlauf thematisierte Farbenproblematik wird bereits in diesem Kontext angesprochen, da sie auch im Zusammenhang mit Äußerungen zur Funktion von Maßstab und zu messenden Objekten steht und einem besseren Verständnis der sich anschließenden Erörterungen über die Bedeutung und Funktion von Mustern dienen soll. Zur Verbindung von Gegenstand und Farbbegriff im Tractatus bemerkt Rhees zunächst: »In the Tractatus the idea seems to have been that all colours are Mischfarben (his change to the term Zwischenfarben was meant to avoid some of the confusions of this.)38 And the objects would be the ingredients of the mixed colours – pre-
37
38
Vgl. z.B. Wittgenstein, Ludwig: Eine Philosophische Betrachtung (Werkausgabe Band 5), S. 158. Vgl. z.B. PB, S. 108 oder auch Wittgenstein, Ludwig: Bemerkungen über die Farben (Werkausgabe Band 8), I, § 10, S. 15.
6. Bemerkungen zu Gegenstand, Farben und Allgemeinheit
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sumably the pure colours. (Cf. what he says in the chapter on Mythologie in unserer Sprache and the comparison with Plato).«39 Mit der Behauptung, dass die Inkompatibilität von Farben sich in ihrer Struktur begründet, ist, wie wir bereits gesehen haben, nicht irgendeine physikalische Struktur gemeint – etwa ähnlich der des Glaswürfels, welche bestimmte räumliche Zusammenstellungen verhindert –, da es sich vielmehr um grammatische Strukturen handelt.40 Und daher drückt sich der Unterschied zwischen den reinen Farben und entsprechenden Zwischenfarben auch nicht durch die unterschiedliche Menge des reinen Farbtons in den jeweiligen Mischungen aus41, sondern in der ihnen zugrundeliegenden Grammatik. In diesem Zusammenhang stellt Rhees die höchst interessante und durchaus berechtigte Frage, welche auch nochmals das Problem der Verwechslung von Träger und Bedeutung eines Namens aufgreift: Counting in mathematics (or in immediate experience?) and outside mathematics. Has this distinction some parallel with that between the meaning of the name and the bearer of the name? If so, then it would have something to do with the question of what eigentliche »Gegenstände« are. The idea that a number is an internal property of an extension. This is clear when we are speaking of »points of intersections of a construction«. And also when we are speaking of »the numbers of primary colours«. […] I think it is only in this way that he can say that a number characterizes the sense of a proposition. […] The question of generality and univer39
40 41
Auf welches Kapitel Rhees hier anspielt ist mir nicht klar. In den »Bemerkungen über Frazers ‚Golden Bough‘« allerdings findet sich die folgende Stelle: »In unserer Sprache ist eine ganze Mythologie niedergelegt. Austreiben des Todes oder Umbringen des Todes; aber anderseits wird er als Gerippe dargestellt, als selbst in gewissem Sinne tot. ,As dead as death.‘ ,Nichts ist so tot wie der Tod; nichts ist so schön wie die Schönheit selbst.‘ Das Bild, worunter man sich hier die Realität denkt ist, daß die Schönheit, der Tod, etc. die reinen (konzentrierten) Substanzen sind, während sie in einem schönen Gegenstand als Beimischung vorhanden sind. Und erkenne ich hier nicht meine eigenen Betrachtungen über ,Gegenstand‘ und ,Komplex‘?« (Wittgenstein, Ludwig: »Bemerkungen über Frazers ‚Golden Bough‘«, in Wittgenstein, Ludwig: Vortrag über Ethik und andere kleine Schriften [VE], hrsg. und übers. von Joachim Schulte, Frankfurt 1989, S. 38.) Der Verweis auf Platon bezieht sich wahrscheinlich auf PU, § 46. Dieser Punkt wird nochmals in der Diskussion TLP 6.3751 aufgegriffen. »Pure colours as ingredients and therefore as objects, and there we seem to have one object excluding another. Or ‘This object is here’ excluding ‘That object is here’.«
70
Elementarsatz und phänomenologische Sprache
sality: whether this has to do with the extent of a class; and possibly the extent of the application of a concept. I suppose that what he goes on to say about structures and about arithmetical propositions as propositions whose correctness you can see by insight into the structures, has something to do with this matter of generality, too.
Wie verhält es sich nun mit der Unterscheidung des Zählens (der Zahlen) inner- und außerhalb der Mathematik? Das von Wittgenstein diskutierte Beispiel der Kenntnis möglicher und das heißt natürlich aller in Zahlen ausgedrückten Kombinationen, dreier gegebener Buchstaben etwa, scheint offensichtlich von ganz anderer Art, als das Wissen über eine bestimmte Anzahl von Gegenständen in einem Raum: »Worin liegt der Unterschied zwischen der Zahlangabe über den Umfang eines Begriffs und der Zahlangabe über den Umfang einer Variablen? Die erste ist ein Satz, die zweite keiner. Denn die Zahlangabe über eine Variable kann ich aus dieser selbst ableiten.«42 Das hieße beispielsweise, dass die Kenntnis sechs möglicher Kombinationen von drei Zahlen von gänzlich anderer Art ist als die, dass sich sechs Personen in einem Raum aufhalten. Oder wie Rhees in diesem Zusammenhang bemerkt: »Counting in arithmetic and counting outside arithmetic: counting the roots of an equation and counting apples. And similarly with geometrical ideas.«43 Da es sich also bei der Zahl um eine interne Eigenschaft der Extension handelt, lässt sie sich auch nicht von ihr aussagen, im Gegensatz etwa zur Zahl des Begriffs, welcher die Extension vereint.44 Darin
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44
PB, S. 133 f. Die folgenden Bemerkungen scheinen diese Vermutung offensichtlich zu stützen: »Die Permutationen (ohne Wiederholung) von AB sind AB, BA. Sie sind nicht die Extension eines Begriffs, sondern sie allein sind der Begriff. Dann kann man aber von ihnen nicht sagen, daß ihrer zwei sind. [...] Der Satz, daß es 2 Permutationen von AB gibt, ist wirklich ganz analog dem, daß die Gerade den Kreis in 2 Punkten schneidet. Oder, daß eine Gleichung zweiten Grades zwei Wurzeln hat. [...] Das, was ich in AB, BA sehe, ist eine interne Relation, die sich daher nicht beschreiben läßt. D.h., das läßt sich nicht beschreiben, was diese Klasse von Permutationen komplett macht.« (PB, S. 138 f.) Dies hängt natürlich mit Wittgensteins Verständnis interner Relationen zusammen. Sein Beispiel lautet: »Wir können sagen, es sind 2 Kreise in diesem Viereck, obwohl in Wirklichkeit ihrer 3 sind, und dieser Satz ist nur falsch. Ich kann aber nicht sagen, diese Gruppe von Kreisen besteht aus 2 Kreisen, und ebensowenig,
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spiegeln sich möglicherweise auch noch Auffassungen über den Gegenstandsbegriff des Tractatus wider. Denn insofern der Gegenstandsbereich den Möglichkeitsraum umfasst, das heißt, den gesamten Umfang dessen, was sich denken lässt, scheint es verständlicher, warum man nicht sinnvoll von der Anzahl der Gegenstände sprechen kann, denn »Zählen kann ich nur, was tatsächlich da ist, nicht die Möglichkeiten.«45 Und ebenso erschiene es verständlicher zu vertreten, inwieweit durch das Gegebensein der Gegenstände damit auch alle Gegenstände gegeben sind.46
7. Einfach und zusammengesetzt Das Problem in allen von Wittgenstein geführten Diskussionen über Phänomene und das Primäre lag wohl im Wesentlichen in der falschen Auffassung begründet, Bedeutungen mittels Analyse klarzulegen und das heißt auch, in seiner falschen Auffassung bezüglich logischer Analyse und logischer Exaktheit47. Insbesondere die Paragraphen 46–64 der Philosophischen Untersuchungen befassen sich mit dem Verhältnis zwischen »einfach« und »zusammengesetzt«. Dabei wird die Frühauffassung jener Relation und ihrer Bestandteile verworfen. In diesem Zusammenhang diskutiert Wittgenstein ebenfalls seine damit in enger Verbindung stehende, ursprüngliche Vorstellung der Gegenstands-Namens-Beziehung, welche sich vor allem ausdrückt in der in TLP 3.203 geäußerten Bemerkung, der Name bedeute den Gegenstand. Die in den PU neu entwickelten und insbesondere mit den Begriffen des Gebrauchs und der Familienähnlichkeiten einhergehenden Ansichten dienen insbesondere der Betonung des fundamentalen Missverständnisses der Verwechslung des Trägers eines Namens mit seiner Bedeutung. Der Tractatus selbst ist für diesen Irrtum exempla-
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47
sie besteht aus 3 Kreisen, weil ich da eine interne Eigenschaft aussagen würde.« (Vgl. PB, S. 141) Ebd., S. 139. Vgl. TLP 5.524, TB 11. 07. 1916. Daher gibt es in der Logik auch keine Überraschungen, da es eben nichts zu entdecken gibt. Vgl. TLP 6.1251 und Abschnitt 9 dieses Kapitels. Laut Rhees hat Wittgenstein dies später selber explizit geäußert.
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Elementarsatz und phänomenologische Sprache
risch. Hier kommt auch die Funktion des Musters zum Tragen. In »‘Ontology’ and Identity in the Tractatus«48 pointiert Rhees das Problem in exzellenter Weise wie folgt: The Tractatus hardly distinguishes naming and calling something by its name. And 3.3 shows that this is not an oversight. ‘Nur im Zusammenhange des Satzes hat der Name Bedeutung.’ So we may think that what the word ‘red’ means is expressed by the sentence ‘a is red.’ Someone might say: ‘the name must correspond to some reality. It cannot describe anything if there is nothing which it signifies.’ Or suppose I told you: ‘I call each of these roses red because each of them is red. The word I use corresponds to the colour of the flower.’ – But what corresponds is the sentence. The Tractatus supposed that »red« determines how I use it.49
Wie bereits gesehen, verwarf Wittgenstein diese Auffassung, da sie jener angesprochenen Verwechslung der Bedeutung eines Namens mit seinem Träger unterlag. Zwar kann ich zur Erklärung einer bestimmten Farbe etwa »sepia« ein entsprechendes Muster verwenden, oder aber statt des Wortausdrucks mittels seiner Verwendung die Farbe eines bestimmten Gegenstandes benennen, nicht jedoch das Muster gebrauchen, um seine eigene Farbe zu erklären. Die fehlerhafte Auffassung bestand darin, Muster als primäre Zeichen zu verstehen, welche unmissverständlich sich selbst und im Weiteren sekundäre Zeichen erklären. »Wittgenstein brought out the confusion in all this. But it showed that the distinction between what a name means and what is called by it is not always simple or easy.«50 Die willkürliche Bestimmung der Bedeutung von Namen besagt nun natürlich keinesfalls, dass es sich auch bei der Bestimmung des Satzsinns um eine willkürliche handelt. Und an die Fixierung der Bedeutung durch das Wort tritt nun der Begriff der Regel. Am Beispiel des Schwertes »Nothung« diskutiert Wittgenstein seine eigene, irrtümliche Auffassung der Gegenstands-NamensRelation in ihrem Zusammenhang mit dem Einfachen. Dabei räumt er explizit drei Fehler ein:51 Erstens die Abhängigkeit der Bedeutung 48
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Rhees, Rush: »‘Ontology’ and Identity in the Tractatus«, in: Rhees, Rush: Discussions of Wittgenstein, S. 23–36. Ebd., S. 28. Ebd., S. 29. Vgl. Philosophische Betrachtung, S. 158.
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eines Ausdruckes von einer sogenannten »Entsprechung« eines Gegenstandes, welche die Verwechslung der Bedeutung mit dem Namensträger gerade bedingt, zweitens die Auffassung der logischen (philosophischen) Satzanalyse im Sinne einer chemischen oder physikalischen, und drittens die Vorstellung von logischer Exaktheit in Unkenntnis der insbesondere in den PU entwickelten Idee der »Familie« und der »Familienähnlichkeiten«52. Der Eigenname »Nothung« etwa würde im TLP als solcher verworfen, da er etwas Zusammengesetztes bezeichnet und dies der Forderung der Namensbezeichnung von etwas Einfachem widersprach. Wäre »Nothung« allerdings die Bezeichnung eines einfachen Gegenstandes, müsste bei dessen Zerstörung bzw. Zerlegung in die einzelnen Bestandteile der Ausdruck bedeutungslos werden. Ein offensichtlich sinnvoller Satz wie etwa »Nothung hat eine scharfe Klinge«, dessen Sinngehalt nicht durch die Existenz des Schwertes als Ganzes bestimmt ist, enthielte dann allerdings einen bedeutungslosen Ausdruck und müsste somit eigentlich als unsinnig aufgefasst werden. So erfordert der vorhandene Satzsinn, welcher eine Ausdrucks-RealitätsEntsprechung garantiert, eine weitere Analyse mit dem Ziel der Ersetzung des Eigennamens durch »eigentliche« Namen, die eben Einfaches bezeichnen. Wittgensteins Einführung des Familienbegriffs löste diese Vorstellung der eigentlichen Namen ab. Der Namensbegriff umfasst nun verschiedene untereinander »verwandte« Gebrauchsarten eines Wortes. Die in den Paragraphen 38–40 der PU wieder aufgenommene Diskussion des Namensbegriffs an obigem Beispiel betont nun auch explizit die sprachwidrige Verwendung des Bedeutungsbegriffs als Zuschreibung eines dem Ausdruck »entsprechenden« Gegenstandes. »Dies heißt, die Bedeutung eines Namens verwechseln mit dem Träger des Namens.«53 Hinge die Bedeutung eines Namens ab von der Existenz seines Trägers, hätte dies die absurde Konsequenz zur Folge, Sätze der Art »Herr N. N. ist gestorben« als unsinnig auffassen zu müssen. Die von Wittgenstein im Tractatus vollzogene Identifizierung der Bedeutung eines Namens mit dem entsprechenden Gegenstand könnte wohl auch 52
53
Siehe aber auch bereits PG, S. 75 und vor allem Philosophische Betrachtung, S. 129, 143, 158, 166 und insbesondere 170 ff. PU, § 40.
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die Forderung nach der »Unzerstörbarkeit« der Gegenstände plausibilisieren. Daher stellt sich auch hier wieder die Frage, ob ihre Bestimmung sich überhaupt nach empirischen Gesichtspunkten, wie etwa nach ihrer Existenz (im Sinne des Entstehens und Vergehens von Sinnesdaten der unmittelbaren Erfahrung) richten kann. Die Unzerstörbarkeit einer Substanz besagt schlicht, dass Ausdrücke wie »Zerstören einer Substanz« als sinnlos aufzufassen sind. Wie Wittgenstein an einer Stelle bemerkt54, darf man Gegenständen keine Eigenschaft zuschreiben, welche die Existenz des Gegenstandes selbst zunichte machen würde bzw. darf die Beschreibung keine Wesenszüge des Gegenstandes enthalten. Zuschreibungen sind daher als extern und somit willkürlich aufzufassen. Eine Bestimmung der Art »das ist ein Kreis« durch Hinweisen auf eine Linie hätte dann den möglichen Einwand zur Folge, »daß, wenn es kein Kreis wäre, es nicht mehr das wäre. D.h.: was ich mit dem Wort ,das‘ meine, muß unabhängig von dem sein, was davon ausgesagt wird.«55 Zur Verdeutlichung dieses Punktes wählt Wittgenstein das Beispiel eines lauten Geräusches, welches zwar die Frage erlaubt, ob es sich dabei z.B. um einen Schuss oder Donner handelt, nicht aber eine solche, ob es ein Lärm war. In diesem Zusammenhang läßt sich auch die Vermutung äußern, ob es sich bei der Eigenschaft der tatsächlichen Existenz von Gegenständen im Sinne des Tractatus nicht um eine ganz analoge Auffassung handelt, etwa bei Aussagen wie »Es gibt Gegenstände«. An dieser Stelle sei abschließend eine weitere, etwas ausführlichere Bemerkung angeführt, da sie sich auch als Übergang zur Frage der Rolle und Funktion von Mustern bzw. Paradigmen eignet:56 Zunächst paraphrasiert Wittgenstein offensichtlich seine im Tractatus vertretene Position der Unzerstörbarkeit von Gegenständen57: »Die Idee von der Unzerstörbarkeit des Einfachen sieht im Zerstören ein Zerreißen, Zerschlagen, und im unzerstörbaren Einfachen eine Art Atom. Die Gegenstände müssen unzerstörbar sein, denn wären sie zerstörbar, so könnte es überhaupt keinen sinnvollen Satz geben – – – so könnte man 54
55 56
57
PB, S. 119. Welche Gegenstandsauffassung an diesen Stellen zugrundegelegt wird, erscheint mir in diesem Zusammenhang vernachlässigbar. PB, S. 121. Es handelt sich hier wiederum um die bereits angeführte Stelle aus MS 152 C 8, S. 60–65. Vgl. TLP 2.021 ff.
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von nichts sagen, es sei zerstörbar. Dann muß man auch sagen können es sei alles zerstört, und wenn dieser Satz wahr wäre so müßte er noch immer Sinn haben. D.h., es müßte noch immer die Gegenstände geben, die den Worten dieses Satzes entsprechen.«
Dem stellt Wittgenstein nun zunächst die Bemerkung entgegen: »Ich aber will sagen: Es muß nur das geben, was zur Sprache gehört! (Neurath?)« und erwidert seiner offensichtlich nochmals auf den Tractatus bezugnehmenden Äußerung: »Was seinen Worten entspricht kann nicht zerstörbar sein, denn sonst hätte der Satz ,es ist zerstört‘ keinen Sinn. Was seinen Worten entspricht muß einfach sein, denn wäre es zusammengesetzt so wäre es zerstörbar« ganz entsprechend seines ersten Einwandes: »Aber das, wovon wir hier sagen, es entspricht den Worten muß das sein, ohne dem die Worte keine Bedeutung haben. Das ist z.B. ein Muster oder Paradigma welches in unserm Sprachspiel zusammen mit den Worten gebraucht wird.« Das heißt, bereits hier zeigt sich die Rolle der nun eingeführten Funktion von Mustern bzw. Paradigmen und ihr enger Zusammenhang zum Gegenstandsbegriff des Tractatus. Die sich anschließenden Bemerkungen Wittgensteins entsprechen ihrer Struktur nach ganz den bisher angeführten, indem stets einer Paraphrasierung, welche offensichtlich seine frühe Auffassung des Verhältnisses Gegenstand und Name repräsentiert, eine Widerlegung folgt, die sich auf die insbesondere in den PU ausgeführte Gebrauchssemantik von Namen bezieht. So heißt es etwa zunächst: »Ich will ‚Name‘ nur das nennen was nicht in der Verbindung „ξ existiert“ stehen kann« und sodann eingreifend: »Richtiger: wenn ,ξ existiert‘ soviel besagen soll als ‚ξ‘ habe Bedeutung – und dies müsste durchaus nicht der Fall sein – dann ist es kein Satz der von ξ handelt sondern ein Satz über unsern Sprachgebrauch nämlich den Gebrauch des Wortes ‚ξ‘ [...].«58 Hier zeigt sich natürlich auch ganz deutlich Wittgen58
Noch deutlicher wird dieser Punkt in der entsprechenden Stelle der PU, § 58: »„Ich will ,Name‘ nur das nennen, was nicht in der Verbindung ,X existiert‘ stehen kann. – Und so kann man nicht sagen ,Rot existiert‘, weil, wenn es Rot nicht gäbe, von ihm überhaupt nicht geredet werden könnte.“ – Richtiger: Wenn ,X existiert‘ soviel besagen soll, wie: ‚X‘ habe Bedeutung, – dann ist es kein Satz, der von X handelt, sondern ein Satz über unsern Sprachgebrauch, nämlich den Gebrauch des Wortes ,X‘. Es erscheint uns, als sagten wir damit etwas über die Natur von Rot: daß die Worte ‚Rot existiert‘ keinen Sinn ergeben. Es existiere
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steins Abkehr von der referentiellen Semantik des Traktats und die dadurch bedingte Unsinnigkeit von Existenzaussagen über Gegenstände wie »es gibt Gegenstände«. Im Anschluss greift er nun nochmals eine Position des Gegners auf, welche alleine durch die Setzung in Anführungszeichen verdeutlicht wird: »,Ein Name soll nur das bezeichnen, was Element der Wirklichkeit ist. Was sich nicht zerstören läßt; was in allem Wandel gleichbleibt.‘«59 Und als Erwiderung findet sich nun die folgende höchst interessante Bemerkung: Aber was ist das? Während wir jenen Satz sagten, schwebte es uns ja schon vor! Wir sprachen schon eine ganz bestimmte Vorstellung aus, ein ganz bestimmtes Bild. Denn diese Elemente finden wir ja nicht in der Wirklichkeit. Wir haben sie nicht aus der Beobachtung der Realität genommen, sondern tragen sie hinein. Und dass etwas nicht zerstörbar ist, das soll dabei in der Natur des Dinges liegen. Zerstörung möchte man sagen, ist in irgendeinem Sinn Trennung der Elemente. Das heißt: Zerstörung läßt sich irgendwie mit diesem Bild vergleichen. Aber das heißt nur, daß dieses Bild irgendwie, nämlich gut oder schlecht, paßt.60
Die Paragraphen 46–64 der PU setzen sich ausführlich mit der Idee des Einfachen und Zusammengesetzten auseinander und verdeutlichen dabei auch in aller Klarheit Wittgensteins verfehlte Auffassung im
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eben ‚an und für sich‘. [...] Aber eigentlich wollen wir eben nur ,Rot existiert‘ auffassen als Aussage: das Wort ,Rot‘ hat Bedeutung. Oder vielleicht richtiger: ,Rot existiert nicht‘ als „,Rot‘ hat keine Bedeutung“. Nur wollen wir nicht sagen, daß jener Ausdruck das sagt, sondern daß er das sagen müßte, wenn er einen Sinn hätte. Daß er sich aber beim Versuch, das zu sagen, selbst widerspricht – da eben Rot ,an und für sich‘ sei. Während ein Widerspruch nur etwa darin liegt, daß der Satz aussieht, als rede er von der Farbe, während er etwas über den Gebrauch des Wortes ‚rot‘ sagen soll. –«. Die publizierte Fassung findet sich in PU, § 59. In der Endfassung PU, § 59 heißt es dann: »Denn die Erfahrung zeigt uns diese Elemente ja nicht. Wir sehen Bestandteile von etwas Zusammengesetztem (eines Sessels z.B.). Wir sagen, die Lehne ist ein Teil des Sessels, aber selbst wieder zusammengesetzt aus verschiedenen Hölzern; während ein Fuß ein einfacher Bestandteil ist. Wir sehen auch ein Ganzes, was sich ändert (zerstört wird), während seine Bestandteile unverändert bleiben. Dies sind die Materialien, aus denen wir jenes Bild der Wirklichkeit anfertigen.«
8. Muster und Paradigma
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Tractatus, so etwa die Annahme einfacher Bestandteile schlechthin.61 Zudem haben wir gesehen, dass die Bedeutung eines Ausdrucks nun nicht mehr durch die Bezeichnung eines Gegenstandes bestimmt ist, sondern vielmehr durch die Gebräuche in entsprechenden Sprachzusammenhängen. In dieser neuentwickelten Auffassung tritt nun die Funktion von Paradigmen als Mittel der angewendeten Sprache zu Tage: »Das, was dem Namen entspricht, und ohne das er keine Bedeutung hätte, ist z.B. ein Paradigma, das im Sprachspiel in Verbindung mit dem Namen gebraucht wird.«62
8. Muster und Paradigma Die folgenden Bemerkungen sollen mittels zweier exemplarischer Stellen in aller Kürze Position und Funktion von Muster bzw. Paradigma etwas genauer verdeutlichen: Als Beispiel eines Satzes, welcher bereits bei unmittelbarer Betrachtung als wahr erscheint, nennt Wittgenstein den folgenden, auf die Wand eines Zimmers in roter Farbe geschriebenen: »In diesem Zimmer befindet sich etwas Rotes«63. Er betont jedoch zugleich die Irrelevanz eines solchen Falles und zwar, wie es scheint, aus folgendem Grund: Die hinweisende Definition dient nach seiner Auffassung nicht dazu, Aussagen über das Muster (Paradigma) selbst zu machen, sondern vielmehr über diesem Muster entsprechende Gegenstände, auf die es Anwendung finden kann. Dies erinnert stark an die von Rhees erwähnte Verwechslung von »giving a sample« und »using a sample«: Als Beispiel eines Rottons etwa kann ich zwar auf ein bestimmtes Muster verweisen und ebenso kann ich ein solches verwenden, um Aussagen über diesem Muster entsprechende farbige Gegenstände zu äußern. Allerdings kann das Muster selbst nicht dazu dienen, Bestimmungen über seine eigenen Beschaffenheiten zu treffen. Das Paradigma ist demnach Bestandteil des Symbolismus und nicht der entsprechenden Gegenstände, auf welche es angewendet wird. Zur Illustration dieser Auffassung wählt Wittgenstein die willkürliche Längeneinheit »ein Fuß« als Längenbestimmung eines Stabes. Ein 61 62 63
Vgl. PU, §§ 46–48. Ebd., § 55. PG, S. 345.
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Elementarsatz und phänomenologische Sprache
Gegenstand, welcher beispielsweise der sechsfachen Länge dieses Stabes entspräche, hätte dann eine Länge von sechs Fuß. Vom definierten Stab selbst hingegen lässt sich keine Längenangabe machen, was natürlich zunächst unverständlich erscheint, denn ein Satz wie »es gibt einen Gegenstand mit der Länge von einem Fuß« wäre offensichtlich durch den Stab selbst verifiziert. Laut Wittgenstein lässt sich jedoch vom Einheitsstab gerade nicht sagen, er habe die Länge von einem Fuß, denn: »Wenn ich nämlich statt ,1 Fuß‘ das Zeichen ,diese Länge‘ einführe, so hieße die Aussage, daß der Einheitsstab die Länge 1 Fuß hat: ,dieser Stab hat diese Länge‘ (wobei ich beide Male auf den gleichen Stab zeige).«64 Das Paradigma des Einheitsstabes selbst lässt sich also nicht durch den Ausdruck »ein Fuß« beschreiben. Das deutet offensichtlich darauf hin, dass wenn etwas, beispielsweise eine willkürliche Länge, durch eine Bestimmung fixiert worden ist, man nun dieser Bestimmung ihren Inhalt nicht selbst zuschreiben kann. Denn es scheint dann, als hieße etwa »Dieser Stab ist ein Fuß lang« bzw. »Diese Länge ist ein Fuß« im Grunde nichts anderes als »Ein Fuß ist ein Fuß.« Die von Wittgenstein vorgenommene Trennung in Symbolismus, welchem offensichtlich Definitionsangaben zugehören,65 und Gegenstandsbereich, auf den er angewendet wird, scheint das Problem der Selbstreferenz zu vermeiden bzw. es zumindest als, wie im Fall des mit roter Farbe geschriebenen Satzes angedeutet, irrelevant und somit vernachlässigbar aufzufassen. An einer Stelle der Philosophischen Betrachtung heißt es entsprechend: »Es handelt sich darum, was sind die Paradigmen für die Verwendung des Wortes und welches die Gegenstände, auf die es angewandt wird.«66 Was folgt nun daraus für die notwendige Existenz eines Musters als Bedingung der Verwendung eines ihm entsprechenden Namens innerhalb eines Satzes? Während die Tractatusauffassung durch die Gleichsetzung der Bedeutung mit dem Träger des Ausdrucks das Bestehen eines solchen zu fordern scheint, ermöglicht die hier diskutierte 64 65
66
Ebd., S. 346. So heißt es etwa in PB, S. 143: »Zeichenregeln, z.B. Definitionen, kann man zwar als Sätze, die von Zeichen handeln, auffassen, aber man muß sie gar nicht als Sätze auffassen. Sie sind Hilfsmittel der Sprache. Hilfsmittel anderer Art als die Sätze der Sprache.« Philosophische Betrachtung, S. 200.
8. Muster und Paradigma
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Neuinterpretation den sinnvollen Gebrauch des Musterausdrucks unabhängig vom Bestehen seiner dinglichen »Entsprechung«. Es scheint, als löse der Begriff den Gegenstand ab. Und möglicherweise ist in diesem Zusammenhang auch Wittgensteins bereits angeführte Stelle zu verstehen: »Es muß nur das geben, was zur Sprache gehört!«.67 Unterstützung für den offensichtlich engen Zusammenhang zwischen Wittgensteins Gegenstandbegriff des Tractatus und dem des Paradigmas findet sich auch durch eine Stelle der PU, an der Wittgenstein interessanterweise Bemerkungen zum Begriff des Elements und des Musters innerhalb eines Paragraphen diskutiert. Allein dieser Tatbestand scheint darauf hinzuweisen, dass hier eine Verbindung besteht: In Paragraph 50 greift Wittgenstein zunächst die Bemerkung auf, was es heißt, einem Element weder Sein noch Nichtsein zuschreiben zu können, offensichtlich eine Wiederaufnahme seiner eigenen Tractatusauffassung. Die Unsinnigkeit, Elementen Sein zuzusprechen, liegt einfach in der Begriffsauffassung von »Sein« und »Nichtsein« im Sinne von »Bestehen« bzw. »Nichtbestehen« elementarer Verbindungen begründet. »Sein« (»Nichtsein«) scheint sich demnach nicht auf das Einfache, sondern vielmehr das Vorhandensein (Nichtvorhandensein) aus ihnen zusammengesetzter Komplexe zu beziehen. Analoges gilt für den Begriff des Zerstörens, versteht man ihn als die Trennung von Elementen. Wittgenstein fährt fort: »Man kann dem Element nicht Sein beilegen, denn wäre es nicht, so könnte man es auch nicht einmal nennen und also garnichts von ihm aussagen. – Betrachten wir doch einen analogen Fall!«68 Wichtig für unsere Betrachtung ist hier Wittgensteins Verwendung des Begriffs »analog«: Zur Illustration dieses Falls wählt er das Urmeter von Paris, welchem nach seiner Auffassung weder eine Länge zu- noch abgeschrieben werden kann, das heißt, weder es sei einen Meter noch es sei nicht einen Meter lang69: »Damit haben wir aber diesem natürlich nicht irgendeine merkwürdige Eigenschaft zugeschrieben, sondern nur seine eigenartige Rolle im Spiel des Messens mit dem Metermaß gekenn-
67 68 69
Vgl. Fußnote 56. PU, § 50. Natürlich hängt diese Auffassung wiederum mit der Bedeutung der Negation grammatischer Sätze zusammen.
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zeichnet.«70 Diese »eigenartige Rolle«, wie Wittgenstein sie hier nennt, liegt offensichtlich darin, dass das Urmeter gerade das bezeichnet, was wir »einen Meter« nennen. Mittels seiner Verwendung werden nun Längenbestimmungen beliebiger Gegenstände getroffen. Nur lässt sich natürlich vom Urmeter selbst nicht sagen, es habe auch diese Länge, ein Argument, das uns bereits aus der Diskussion der Auffassung von Mustern bekannt ist. Und die Parallelen zu seinen Ausführungen über den Einheitsstab in der Philosophischen Grammatik sind ebenfalls unübersehbar. Die mittels des Musters fixierte und offensichtlich völlig willkürliche Bestimmung kann also nicht dazu dienen, selbsterklärend zu fungieren. Der Wortausdruck »heißen« bezieht sich dabei offensichtlich auf die entsprechenden Definitionen und das »Haben« auf die jeweiligen Gegenstände, welche unter die Bestimmung fallen.71 Als wichtig an dieser Stelle gilt es nochmals hervorzuheben, dass es sich, wie erwähnt, nicht um eine eigentümliche Eigenschaftszuschreibung handelt, sondern vielmehr um eine Einsicht unseren Sprachgebrauch betreffend. Das heißt, das Muster erfüllt eine bestimmte Funktion innerhalb eines Sprachspiels. So bemerkt Wittgenstein in Zusammenhang mit Farbmustern ganz entsprechend: [Das] Muster ist ein Instrument der Sprache, mit der wir Farbaussagen machen. Es ist in diesem Spiel nicht Dargestelltes, sondern Mittel der Darstellung. […] Und zu sagen ,Wäre es nicht, so könnte es keinen Namen haben‘ sagt nun so viel, und so wenig, wie: gäbe es dieses Ding nicht, so könnten wir es in unserem Spiel nicht verwenden. – Was es, scheinbar, geben muß, gehört zur Sprache. Es ist in unserem Spiel ein Paradigma; etwas, womit verglichen wird. Und dies feststellen, kann heißen, eine wichtige Feststellung machen; aber es ist dennoch eine Feststellung unser Sprachspiel – unsere Darstellungsweise – betreffend.72
Die dieser Stelle vorausgehenden Bemerkungen scheinen dabei zumindest implizit auf eine Bemerkung des Tractatus zu verweisen. Wittgenstein greift hier den Aspekt der Benennung von Elementen auf und bezeichnet es nun als »seltsam« zu behaupten, man könne ein 70 71
72
PU, § 50. An ganz anderer Stelle spricht Wittgenstein von der Vermischung von »ist« und »heißt«. Vgl. Wittgenstein, Ludwig: »Ursache und Wirkung, intuitives Erfassen« in: Vortrag über Ethik, S. 117. PU, § 50.
8. Muster und Paradigma
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Element »nur« benennen und nicht etwa beschreiben73. Seltsam insofern, als dass Benennung und Beschreibung offensichtlich auf ganz unterschiedlichen Ebenen liegen. Die Benennung gilt lediglich als Vorbereitung einer möglichen Beschreibung und ist somit nicht einer ihrer Bestandteile. Als Illustration dient dabei die Analogie, dass das Aufstellen des Königs noch kein Zug im Schachspiel ist. Allgemein gesprochen, so Wittgenstein: »Mit dem Benennen eines Dings ist noch nichts getan. Es hat auch keinen Namen, außer im Spiel. Das war es auch, was Frege damit meinte: ein Wort habe nur im Satzzusammenhang Bedeutung.«74 Nun erscheint es offensichtlich, dass es sich bei den Erläuterungen der Paragraphen 46–64 um eine massive Kritik Wittgensteins an seiner Tractatusauffassung handelt. Dies gilt insbesondere für das Verhältnis von »einfach« und »zusammengesetzt«. Nicht so eindeutig jedoch lässt sich die Frage beantworten, ob es sich – abgesehen von der Beschaffenheit der Gegenstände – auch um eine Kritik ihrer Bestimmung hinsichtlich der Funktion und Relevanz im Sprachzusammenhang75 handelt oder lediglich um eine Korrektur der Annahme, Beschreibung und Benennung lägen auf einer Stufe. Denn der Verweis auf Frege findet sich jedenfalls auch in TLP 3.3: »Nur der Satz hat Sinn; nur im Zusammenhange des Satzes hat ein Name Bedeutung.« Wenn Wittgenstein nun davon spricht, die Benennung sei eine Vorbereitung eines Sprachspiels, ist sie als solche natürlich ebenso eine Bedingung entsprechender Verwendungen. Und bereits in einer Tagebucheintragung vom 31. 05. 1915 heißt es: »Könnte man also ohne Namen auskommen?? Doch wohl nicht. Die Namen sind notwendig zu einer Aussage, daß dieses Ding jene Eigenschaft besitzt u.s.f.«.76 Bezüglich Muster bzw. Paradigma lässt sich abschließend also festhalten, dass sie in Wittgensteins Philosophie eine zentrale Rolle einnahmen. Und die vollzogene Trennung zwischen Sprachspiel und den jeweiligen ihm zugrunde liegenden Voraussetzungen und Bedin73
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»Die Gegenstände kann ich nur nennen. Zeichen vertreten sie. Ich kann nur von ihnen sprechen, sie aussprechen kann ich nicht. Ein Satz kann nur sagen, wie ein Ding ist, nicht was es ist«. (TLP 3.221) PU, § 49. Und somit Denkzusammenhang. TB, S. 145.
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Elementarsatz und phänomenologische Sprache
gungen erweist sich auch im ganzen Kontext des Regelbegriffs und der Regelanwendung als fundamental.
9. Elementarsatz, Sinnesdatenproposition und Regel der Grammatik. Eine kurze Rekonstruktion der Übergänge 9.1. Pseudoparadigmen Nach der kurzen Darstellung des Paradigmenbegriffs soll nun noch die Frage erhoben werden, ob nicht auch bereits die Bestimmungen im Rahmen eines Kalküls und die Sätze der sogenannten primären Sprache als Kandidaten möglicher Paradigmen in Frage kommen konnten. Im Zentrum dieser Überlegungen sollten dann auch offensichtliche Unterschiede der entsprechenden Satztypauffassungen deutlich werden. Rhees bemerkt: Compare: a rule of calculation as a paradigm – »of which the opposite is inconceivable«. (You can imagine the process going differently. But you cannot imagine that picture as a picture of the process going differently; or you cannot imagine its going differently in that picture. This again is a grammatical remark about »picture of a process« or »paradigm of a process«.) But both tautology (as a paradigm of what is known) and »private experience« are »pseudo paradigms«: cannot serve as paradigms. Compare: phänomenologische Sprache – also as a pseudo paradigm, which can never be expressed; which would never have any interest, and would never tell anyone anything. If we spoke of Sätze in der phänomenologischen Sprache, none of them would be a Satz one would ever have a reason to say.
Gemeint ist hier offensichtlich ganz einfach, dass man sich natürlich einen bestimmten Prozess auch anders vorstellen kann, als er etwa in einem entsprechenden Bild dargestellt wird. Dieses Bild kann dann allerdings nicht als Veranschaulichung eines alternativen Verlaufs dienen, da es sich natürlich um ein gänzlich anderes Bild handeln würde, was offenbar nichts anderes heißt, als dass ein Bild nur zur Darstellung eines bestimmten Prozesses dienen kann. Diese Bemerkung von Rhees hängt natürlich sehr eng mit der unterschiedlichen
9. Elementarsatz, Sinnesdatenpropositionen
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Bedeutung der Negation von Sätzen einerseits und von Regeln andererseits77 zusammen, ein Punkt, der uns im späteren Verlauf noch an zahlreichen Stellen begegnen wird. Inwieweit es sich bei Sätzen einer phänomenologischen Sprache um solche handelt, die nichts besagen, bleibt an diesen Bemerkungen von Rhees zunächst etwas unklar. Vermutlich steht sie aber in Zusammenhang mit der Beziehung primärer Sätze zu Hypothesen. Wittgenstein vergleicht dabei die Frage, ob Sätze vorstellbar wären, welche nicht Facetten einer Hypothese und somit ein für allemal verifiziert seien mit der nach möglichen Oberflächen, die keine Oberflächen von Körpern bilden78. Rhees bemerkt hierzu: He spoke of propositions which could be verified once and for all, and were not facets in the verification of an hypothesis, as something like surfaces which were not the surfaces of bodies. This would hold of any description of »immediate experience«. If such propositions are propositions, they do not seem to lead on to anything beyond themselves. But the figure of »mere surfaces« suggests that he did not think they were proper propositions – although they had an important role in the verifcation of hypotheses. If it makes no sense to say that they might be false, then they certainly cannot be elementary propositions. They are the means whereby a proposition may be connected with reality. If they were only surfaces, they would not belong to a meaningful description.
Das heißt, das, was wir die »Beschreibung der unmittelbaren Erfahrung« nennen, gehört zum Ausdruck und der Verifikation von Hypothesen. Sie fungieren nicht als eigenständige Sätze, sondern sind vielmehr die Mittel, die einen Satz mit der Wirklichkeit verbinden. Durch sie sind Sätze mit der Wirklichkeit verbunden. So bemerkt Wittgenstein: »Die Hypothese wird, mit der Facette an die Realität angelegt, zum Satz.«79 Und dies zeigt natürlich auch, dass sie nicht die uns bereits bekannte Funktion von Paradigmen einer Sprache erfüllen können.
77 78 79
In diesem Fall Bilder. Vgl. PG, S. 221. Ebd., S. 222.
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Elementarsatz und phänomenologische Sprache
9.2. Elementarsatz versus Sinnesdatenproposition In den angeführten Bemerkungen wird nun zunächst ein offensichtlicher Unterschied der primären Sätze zu den Elementarsatzbestimmungen des Tractatus sichtbar. Denn diese waren ja, wie wir gesehen haben, unter anderem durch ihre Unabhängigkeit bestimmt. Allein das im folgenden Kapitel genauer untersuchte Farbenunvereinbarkeitsproblem zeigt allerdings bereits die Abhängigkeit und die dadurch bedingte teilweise Inkompatibilität von Sätzen einer primären Sprache80. Ebenso waren sie durch ihre wesentliche Verbindung zu Hypothesen in anderer Weise gekennzeichnet. Rhees bemerkt aus einem Gespräch mit Wittgenstein: Wittgenstein remarked once that a description which left out everything hypothetical – all reference to the past or the future, for instance – would leave out everything that would give it any interest// could be of no interest for anyone. Their [sense data propositions] connexion with hypotheses is not formed by truth operations, as the truth functions of elementary propositions are. // They have a logical connexion with hypotheses – but not through truth operations. And the way in which hypotheses depend upon sense datum propositions for their connexion with reality and so for their sense, is not like the way in which truth functions depend upon elementary propositions in the Tractatus.
Diese Bemerkung wirft nun offensichtlich auch ein besseres Licht auf die oben angesprochene Unklarheit der Bedeutung primärer Sätze und betont zudem einen ganz entscheidenden Punkt zur Frage der Abgrenzung dieser Sätze von den Elementarsätzen des Tractatus. Denn die Bestimmungen der Unabhängigkeit und die wahrheitsfunktionale Relation zwischen Satz und Elementarsatz finden offensichtlich bei Sätzen der phänomenologischen Sprache und ihrer Verbindung zu Hypothesen keine Anwendung und verbieten allein daher einen Interpretationsansatz, welcher dafür plädiert, dass es sich bei jenen Elementarausdrücken um nichts anderes als Sinnesdatenpropositionen handelt, eine Auffassung, wie sie etwa Hintikka vertritt. Natürlich wird da80
Etwa die Behauptung, zugleich die Farben Rot und Grün in einem Punkt zu sehen.
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durch ebenfalls ausgeschlossen, dass es sich bei den Gegenständen des Tractatus um Russell’sche »objects of immediate experience« handelt.81 So zeigt sich auch in der von Wittgenstein für kurze Zeit geforderten »logical analysis of actual phenomena« die Abkehr vom wahrheitsfunktionalen Kalkül. Zu diesem »account of colours as given in ‘immediate experience’« bemerkt Rhees entsprechend: »If such an account is the result of an analysis, this is not the analysis which went with the calculus of truth functions in the Tractatus. So it would mean nothing to ask whether colour statements are elementary propositions or not. But I think they were meant to have much in common with elementary propositions.« Auch wenn sich die phänomenologische Farbenlehre – etwa die Repräsentation der Farbengrammatik mittels eines Farboktaeders – als eine vollständige Analyse von Farbaussagen begreift, entspricht diese keineswegs mehr den Operationen im Rahmen des wahrheitsfunktionalen Kalküls. So zeigt die Forderung nach einer solchen Lehre auch, dass die Grammatik der Farben, das heißt, was sich sinnvoll im Zusammenhang mit Farben sagen lässt, nicht in der Logik der Wahrheitsfunktionen geliefert werden kann. Der Bereich sinnvoller Kombinationen von Aussagen ist nun vielmehr durch die elementare Verwandtschaftsbeziehung zwischen den Farben bestimmt, ein Punkt, der uns nochmals in der Auseinandersetzung mit dem Farbeninkompatibilitätsproblem begegnen wird. Rhees bemerkt in diesem Zusammenhang: In LPA the Möglichkeiten were represented by the logical constants. And this means, I suppose, that they were represented finally by the logical constants which give (form?) the Grammatik jeder möglichen Beschreibung. In the Bemerkungen the ‘Grammatik der Beschreibung der Tatsachen’ is found or festgestellt in the Phänomenen. And these do not have the kind of systematic unity which LPA gives to the logical constants and the Logik/Kalkül der Wahrheitsfunktionen. […] This Phänomenologie was part of the recognition of the diversity of Systeme, the diversity of possible grammars: and so of possibilities. It had an immense importance in connexion with the notion of ‘logical possibility’ and ‘logical impossibility’«.
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Vgl. Hintikka, Untersuchungen zu Wittgenstein, Kapitel III, insbesondere die Abschnitte 5–9.
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An dieser Stelle zeigen sich bereits die unterschiedlichen Satzkonzeptionen und die steigende Bedeutung des Begriffs der Grammatik bzw. von verschiedenen Systemen zugrundeliegenden Grammatiken. Ein weiterer Unterschied schließlich findet sich im Kontext von Wahrscheinlichkeitsbestimmungen. Denn Sätze der unmittelbaren Erfahrung gelten offensichtlich als sicher, das heißt, es wäre Unsinn, in ihrem Zusammenhang von mehr oder weniger wahrscheinlich zu sprechen. Eine solche Selbstevidenz findet sich hingegen nicht bei den Elementarsätzen des Tractatus, da diese primär durch ihre Sinnhaftigkeit bestimmt sind. Natürlich bildet die Gewissheit auch einen Grund für die Gewichtigkeit primärer Sätze in Zusammenhang mit der Relation zwischen Sprache und Wirklichkeit: Der Mechanismus der Hypothese würde nicht funktionieren, wenn der Schein auch noch zweifelhaft wäre; wenn also nicht eine Facette der Hypothese unzweifelhaft verifiziert würde. Wenn es hier Zweifel gäbe, was könnte den Zweifel heben? Wenn auch diese Verbindung locker wäre, so gäbe es auch nicht Bestätigung einer Hypothese, die Hypothese hinge dann gänzlich in der Luft und wäre zwecklos (und damit sinnlos).82
Die vorangegangenen Bemerkungen zeigen somit offensichtlich, wie in all den entwickelten Konzeptionen das Grundproblem der Verbindung zwischen Sprache und Realität zutage tritt. Jedoch lässt sich ebenso plausibel dafür plädieren, dass die sogenannten primären Sätze nicht mit den Elementarsätzen des Tractatus gleichzusetzen sind, da natürlich ihre Verbindung mit entsprechenden Hypothesen nicht der wahrheitsfunktionalen Relation zwischen Satz und Elementarsatz entspricht. Bezüglich der Wittgenstein’schen Idee einer primären Sprache bemerkt Rhees auch ganz entsprechend: »Wittgenstein changed and developed these views very quickly and I mention some of them only to show how far from the Tractatus one has moved when one starts to talk in this way.« In Zusammenhang mit der von Wittgenstein nach 1929 entwickelten Idee des Farbenraums und der Farbengrammatik, welche nun den entsprechenden Bereich des Denkbaren abgrenzte, betont Rhees ebenfalls die Abkehr vom Tractatus, der den logischen Raum durch die 82
PG, S. 222.
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logischen Konstanten in ihrer verbindenden Funktion von Elementarsätzen bestimmte: We have a conception of »was sich denken läßt« which depends on Farbenraum, or on Farbengrammatik – not on the general form of a proposition – not on the truthfunctional calculus. Phänomenologie was getting away from this. And it took even a different view of the »formal requirements of symbolism«.83 In other words, phenomenalism was getting away from the Tractatus.
Abschließend versuche ich nun noch eine grobe Skizzierung des Übergangs von einer phänomenologischen Sprache hin zur Bestimmung von Phänomenologie als Grammatik.
9.3. Phänomenologische Sprache und Phänomenologie als Grammatik. Bemerkungen zum Farboktaeder Als Wittgenstein im Frühjahr 1929 nach Cambridge zurückkehrte, spielten Untersuchungen zu Phänomen und Phänomenbegriff zunächst eine zentrale Rolle. Wie wir noch sehen werden, zwang das Farbenunvereinbarkeitsproblem Wittgenstein zu einer Neubestimmung seiner Elementarsatzkonzeption und Gegenstandsbestimmung. In seinem Vortrag über logische Formen, gehalten im Sommer desselben Jahres, stand dabei zunächst noch die Forderung nach der Analyse aktualer Phänomene im Vordergrund. Jedoch bereits Ende 1929 verwarf Wittgenstein diesen Anspruch und die damit verbundene Idee einer primären Sprache über Sinnesdaten wieder. So heißt es zwar noch im Manuskriptband 105, welchen Wittgenstein im Februar 1929 begann: »Was ich brauche, ist eine psychologische oder vielmehr phänomenologische Farbenlehre, keine physikalische und ebensowenig eine physiologische. 83
So heißt es etwa an einer Stelle der PB: »Der Widerspruch muß sich ganz im Symbolismus zeigen lassen, denn, wenn ich von einem Fleck sage, daß er grün und rot ist, so ist er ja eines dieser beiden sicher nicht, und der Widerspruch muß im Sinn der beiden Sätze liegen«. (Ebd., S. 107) Oder auch: »Wer die Farbe Grün einen Gegenstand nennt, muß sagen, daß dieser Gegenstand im Symbolismus vorkommt. Denn sonst wäre der Sinn des Symbolismus, also daß es ein Symbolismus ist, nicht gewährleistet.« (PG, S. 209)
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Und zwar muß es eine rein phänomenologische Farbenlehre sein, in der nur von wirklich Wahrnehmbarem die Rede ist und keine hypothetischen Gegenstände – Wellen, Zellen etc. – vorkommen.«84 Bereits im November desselben Jahres bemerkt Wittgenstein jedoch: »Die phänomenologische Sprache oder ,primäre Sprache‘, wie ich sie nannte, schwebt mir jetzt nicht als Ziel vor; ich halte sie jetzt nicht mehr für nötig. Alles, was möglich und nötig ist, ist das Wesentliche unserer Sprache von ihrem Unwesentlichen zu sondern.«85 An einer Stelle vom 21. Dezember 1929 verwirft Wittgenstein dann auch explizit die Forderung nach einer phänomenologischen Sprache: »Es gibt nicht – wie ich früher glaubte – eine primäre Sprache im Gegensatz zu unserer gewöhnlichen, der ,sekundären‘.«86 Hier nun soll vor allem der Übergang zur Bestimmung von Phänomenologie als Grammatik etwas deutlicher veranschaulicht werden. So stellt sich zunächst die Frage, was Wittgenstein nach Wiederaufnahme seiner philosophischen Tätigkeit im Jahr 1929 überhaupt zur Idee einer phänomenologischen Sprache bewegte. Wie wir zu einem späteren Zeitpunkt noch genauer sehen werden, hat sich der Symbolismus des Tractatus und die Grundbestimmung der Unabhängigkeit von Elementarsätzen als falsch erwiesen. Den zentralen Bestandteil dieser neuen Konzeption bildete jedoch nach wie vor die Frage der Beziehung zwischen Sprache und Realität: »And he [Wittgenstein] thought that this connexion was given in immediate experience, and in the way in which immediate experience can be understood.«87 Die fundamentale Ausgangsfrage nach der Relation zwischen Sprache und Wirklichkeit war nun also nicht mehr durch die Bestimmung des Gegenstandsbegriffs und seiner Relation zu Namen zu beantworten. Allerdings hielt Wittgenstein zunächst weiter an der Idee der vollständigen Analyse fest, da er offensichtlich noch immer im Wesen des Satzes seine Relation zur Wirklichkeit sah. An die Stelle der einfachen Namen traten nun scheinbar die primären Zeichen und die primäre Sprache bildete die Grundlage der sekundären. Primä-
84 85 86 87
Siehe PB, S. 273. MS 107, S. 205 f. vom 25. 11. 1929, siehe auch PB, S. 51. MS 108, S. 29, siehe auch PB, S. 84. Rhees, unpublished.
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rer Satz und Hypothese übernahmen die Position von Elementarsatz und Satz. Rhees schreibt: At first he spoke of a »primary language« and I think he thought of an account of the data which would verify hypothesis and would verify sciences. He also thought of it as what is essential to language – what the sense of »secondary language« or secondary propositions depends on. Here of course we think of the way in which the sense of compound propositions in the Tractatus depend upon elementary propositions. Yet in both accounts it is this point – or what they seem to have in common here – that is especially difficult.
Allerdings standen die primären Sätze im Unterschied zum Elementarsatz des Tractatus nicht mehr, wie bereits mehrfach betont, in der wahrheitsfunktionalen Beziehung zueinander. Die Annahme einer notwendigen Verknüpfung zwischen Sprache und Wirklichkeit erforderte jedoch weiterhin einen Satztypus, welcher das Kriterium des unmittelbaren Einleuchtens erfüllte. Wittgenstein sah diese Bedingung offensichtlich durch die Sätze der unmittelbaren Erfahrung und ihren apodiktischen Charakter erfüllt, eine Bestimmung, die nicht den Elementarsätzen des Tractatus zugeschrieben werden konnte. Denn der Begriff der Möglichkeit war dort durch die Wahrheitsfunktionen bestimmt und so spielte der Inhalt jener Sätze dementsprechend auch keine Rolle für die logische Möglichkeit von Beschreibungen. Wie wir im Rahmen der Untersuchungen zum Farbeninkompatibilitätsproblem noch genauer sehen werden, galt dies nach 1929 nicht mehr, da nun das im Satz Ausgedrückte sehr wohl den Bereich möglicher Beschreibungen bestimmte. Und die Irrtumsicherheit der primären Sätze unmittelbarer Erfahrung schien ihre Bestimmung als fundamental zu ermöglichen. So bemerkt Wittgenstein etwa: »Das Reden von Sinnesdaten und der unmittelbaren Erfahrung hat den Sinn, daß wir eine nicht-hypothetische Darstellung suchen. Wenn eine Hypothese nicht definitiv verifiziert werden kann, so kann sie überhaupt nicht verifiziert werden, und es gibt für sie nicht Wahrheit oder Falschheit.«88 Hier zeigt sich auch, dass nun die Frage der Verifizierbarkeit in den Vordergrund trat, ein Begriff, der sich in den Tagebüchern der 88
PB, S. 283.
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Jahre 1914–1916 und im Tractatus an keiner Stelle findet. Die Selbstevidenz primärer Sätze garantierte so überhaupt erst die Möglichkeit der Verifikation eigentlicher hypothetischer Sätze und erfüllte zudem die Forderung, unmittelbar einzuleuchten. Am Beispiel einer phänomenologischen Farbenlehre ließe sich ebenso dieser nichthypothetische Anspruch sehr deutlich zeigen.89 Aber auch nach der Aufgabe einer primären Sprache im Gegensatz zu unseren gewöhnlichen bemerkt Wittgenstein noch: »Aber insofern könnte man im Gegensatz zu unserer Sprache von einer primären reden, als in dieser keine Bevorzugung gewisser Phänomene vor anderen ausgedrückt sein dürfte; sie müßte sozusagen absolut sachlich sein.«90 Rhees notiert in diesem Zusammenhang jedoch völlig zu Recht: »It is strange to call it ‘absolut sachlich’ when all its propositions are grammatical propositions«, eine Bemerkung die den Übergang zur Bestimmung von Phänomenologie bereits vorwegnimmt. Zunächst sollten wir uns jedoch noch – wenn auch nur in aller Kürze – zwei weiteren Kritikpunkten an der Idee einer phänomenologischen Sprache zuwenden. Wittgensteins Metapher der Oberflächen von Körpern hat uns bereits einen ersten solchen geliefert. Sätze, welche unmittelbare Erfahrung ausdrücken, enthalten keinen Sinn in sich selbst, sondern lediglich in Verbindung mit Hypothesen. Allerdings sollten sie diese ursprünglich ja eigentlich ersetzen. Am klarsten erscheint jene Relation im Zusammenhang der Verifikation von Hypothesen. So bilden Sinnesdatenaussagen – wie Wittgenstein bemerkt – verschiedene Schnitte durch Hypothesen.91 Die Forderung nach nichthypothetischen Angaben durch primäre Sätze schien jedoch noch eine weitere Idee zu enthalten. In seiner Auseinandersetzung mit Maslow zitiert Rhees in Zusammenhang mit der Frage »Woher aber diese Tendenz, ,zum Unmittelbaren‘ kommen zu wollen?«92 die folgende Bemerkung Wittgensteins, wahrscheinlich aus dem Sommer 1931: »Wenn die vollkommene Klarlegung eines Satzes darauf hinausläuft, 89 90 91
92
Vgl. ebd., S. 273. Ebd., S. 84. »Eine Hypothese ist ein Gesetz zur Bildung von Sätzen. Eine Hypothese ist ein Gesetz zur Bildung von Erwartungen. Ein Satz ist sozusagen ein Schnitt durch eine Hypothese in einem bestimmten Ort.« (PB, S. 285) Dieselben Bemerkungen finden sich auch in PG, Abschnitt 6 »Wesen der Hypothese«, S. 219 ff. MS 111, Band VII, S. 5.
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bloß das Unmittelbare hinzustellen, das für uns das zweifellos Verständliche an ihm bildet, dann können wir auch die grammatischen Formen verstehen – d.h., die Formen der ,Zusammenstellungen von Vorstellungen‘.«93 So hing die Idee von primären Zeichen, als Zeichen, die nicht missverstanden werden können, möglicherweise mit der Auffassung zusammen, dass Bilder oder Sinnesdaten selbst als Symbole fungieren könnten. Und diese von jeglicher Konvention unabhängigen Symbole würden über eine Grammatik verfügen, die sich uns durch die geforderte unmittelbare Einsicht zeigen würde, eine Grammatik dessen, was vorgestellt oder gedacht werden kann. Denn eine solche Sprache von Vorstellungen schließt natürlich unsinnige Vorstellungskombinationen aus, und jede weitere Verifikation würde hinfällig. So wäre also auch die phänomenologische Sprache als ein Symbolismus aufzufassen, welcher das unmittelbare Einleuchten und jeglichen Ausschluss von Willkürlichkeit garantiert und als die Quelle, aus welcher die Sprache ihren Sinn erhält, das heißt dasjenige, was die Sprache zur Sprache macht. Rhees bemerkt: »The idea that there is a kind of notwendiger (wesentlicher) Zusammenhang and a kind of Unmöglichkeit (nicht denkbar; nicht vorstellbar) in dem unmittelbar Gegebenen«. Wir hätten also auch hier so etwas wie einen logischen Maßstab.94 Ob es sich im Rahmen jener Auffassung um die Frage von Beschreibungen von Phänomenen oder vielmehr um eine solche mittels Phänomenen handelt, kommentiert Rhees mit den Worten: »I think at first Wittgenstein meant now one, now the other. Perhaps because he had still not clearly distinguished between the bearer of a name and the meaning of a name.« Diese Unterscheidung zwischen Namensträger und seiner Bedeutung bzw. ihre fehlerhafte Gleichsetzung ist uns ja auch aus Wittgensteins Bemerkungen selbst bereits hinlänglich vertraut.
93 94
Möglicherweise stammt diese Bemerkung auch aus MS 111. In seinen Diskussionen über Freud etwa spricht Wittgenstein von der Idee einer Traumsprache und einer möglichen Symbolisierung in Träumen. So etwa: »Suppose you look on a dream as a kind of language. A way of saying something or a way of symbolizing something.« Wittgenstein, Ludwig: »Conversations on Freud«, in: Wittgenstein, Ludwig: Lectures and Conversations on Aesthetics, Psychology and Religious Belief [LC], hrsg. von Cyrill Barrett, Oxford 51989, S. 48. Vgl. auch ebd., S. 43–45.
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Gestützt zu werden scheint Rhees’ Vermutung ebenso durch die folgenden beiden Überlegungen, von denen die erste von Wittgenstein selbst stammt: In Abkehr vom fehlerhaften Symbolismus des Traktates und der Forderung einer erweiterten Notation bemerkt er: »Wer die Farbe Grün einen Gegenstand nennt, muß sagen, daß dieser Gegenstand im Symbolismus vorkommt. Denn sonst wäre der Sinn des Symbolismus, also daß es ein Symbolismus ist, nicht gewährleistet.«95 Eine ebenfalls sehr prominente Kritik dieser möglichen Verwechslung findet sich in den philosophischen Schriften Ramseys. So lautet eine Stelle, an der sich Ramsey zum Problem logischer Exaktheit äußert: »The chief danger to our philosophy apart from lazyness and woolliness is scholasticism the essence of which is treating what is vague as if it were precise and trying to fit it into an exact logical category.«96 Als exemplarisch für sein Verständnis einer solchen Dogmatik nennt er in diesem Zusammenhang zwei Gedanken Wittgensteins, von welchen uns in dem hier diskutierten Kontext jedoch nur der zweite interessieren muss. Ramsey schreibt: Another is the argumentation about acquaintance with before leading to the conclusion that we perceive the past. […] It turns on a play with ‘acquaintance’ which means, first, capacity to symbolize and, secondly, sensory perception. Wittgenstein seems to equivocate in just the same way with his notion of »given«.97
In dieser Kritik zeichnet sich offenbar ganz deutlich Wittgensteins gespaltene Auffassung des Phänomenologiebegriffes ab, welchen er einerseits bestimmt als die Grammatik des unmittelbar Gegebenen, andererseits als eine Beschreibung dieses unmittelbar Gegebenen selbst. Auch Rhees bemerkt in diesem Zusammenhang: »The confusion comes, presumably, in treating ‘das Gegebene’ als das eigentliche Zeichen oder das eigentliche Symbol a kind of limes to which we approach as we see what various equivalent ‘conventional’ symbols have in common: ‘Das, was verunreinigt worden ist’.« Natürlich zeigt sich auch hierin noch Wittgensteins verfehlter Anspruch eines Ideals, welches all unseren gewöhnlichen Ausdruckswei95 96 97
PG, S. 209. Ramsey, Frank P.: Philosophical Papers, Cambridge 1990, S. 7. Ebd.
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sen zugrunde liegt und mittels vollständiger Analyse freizulegen ist, um das eigentliche Wesen eines Satzes und das heißt, wie wir gesehen haben, seine Relation zur Wirklichkeit zu erfassen, eine Forderung, welche noch ganz in der Tradition seiner Philosophie des Tractatus steht.98 Auch Rhees betont diese enge Verbindung zwischen Wittgensteins Idee einer phänomenologischen Sprache und dem reduktionistischen Ansatz des TLP: Wittgenstein abandoned the notion of a primary language. As though there were some one form of expression which all attempts to get at what is essential in language would be seeking. It would mean that there is no one form of expression that is nearer to reality than another; or to which others can be reduced. This is the mistake in the idea of reduction in the Tractatus. We may translate from one form of expression to another; from one notation to another. But there is no reason to think that we come any nearer to the true form of expression in doing this. Perhaps because the phenomenological language got rid of the idea of configurations of objects, it made this more apparent. But the recognition that there is not one fundamental form, probably went with the recognition that we cannot do without signs.
Und an anderer Stelle bemerkt er in diesem Zusammenhang: It sometimes seems as though grammar would be what is common to all languages which say the same thing: as though such a language if it could be expressed at all, would be the expression of a grammar. But it is hard to see how there could be a grammar without signs. Is this the point of the suggestion about a grammar of Vorstellungen? Then you have the difficulty of whether this grammar could be the same if you changed all the words; how would you know which word stood for what?
Hierin zeigt sich bereits ein fundamentales Problem in der Annahme, eine solche phänomenologische Sprache käme gänzlich ohne Sprach98
Eine von Wittgenstein selbst vorgenommene Kritik am Anspruch eines solchen Ideals findet sich etwa in den PU, §§ 100–109. Exemplarisch sei in diesem Zusammenhang nur die folgende Stelle angeführt: »Der Satz, das Wort, von dem die Logik handelt, soll etwas Reines und Scharfgeschnittenes sein. Und wir zerbrechen uns nun über das Wesen des eigentlichen Zeichens den Kopf. – Ist es etwa die Vorstellung vom Zeichen? oder die Vorstellung im gegenwärtigen Augenblick?« (Ebd., § 105)
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zeichen aus und dass die Vorstellungen und Gegenstände unserer unmittelbaren Erfahrung selbst als Symbole fungieren könnten. Denn in welchem Sinn lässt sich die unmittelbare Erfahrung überhaupt als sprachunabhängig und als für die Sprache sinnstiftend bestimmen, da eine Angabe möglicher Kombinationen von Phänomenen offensichtlich keineswegs zeigt, wie eine solche Sprache zu verwenden ist, mit anderen Worten, was es heißt, Aussagen solcher möglichen Kombinationen als grammatisch zu bezeichnen. Und wie kann die unmittelbare Erfahrung Aufschluss geben über den richtigen Sprachgebrauch? Oder wie Rhees bemerkt: »How can immediate experience itself show me whether I am describing immediate experience correctly – unless there be some rules for the use of words in such descriptions: rules which would presumably be independent of immediate experience.« Offensichtlich erkannte auch Wittgenstein die verfehlte Annahme, dass die Phänomene selbst die Funktion von Zeichen übernehmen und ihnen eine sprachunabhängige »primäre« Bedeutung zukommen könnte. In sehr zentraler Weise zeigt sich die Frage des Sprachgebrauchs bzw. genauer der korrekten Wortverwendung von Ausdrücken, welche unmittelbare Erlebniszustände bezeichnen dann insbesondere in seiner Diskussion einer möglichen Privatsprache am Beispiel einer Empfindungssprache. Im späteren Verlauf unserer Untersuchungen wird uns diese Frage der Rechtfertigung korrekter Verwendungen und die damit verbundene zentrale Funktion des Regelbegriffs nochmals begegnen. Wie bereits angesprochen, verwarf Wittgenstein bereits im Herbst des Jahres 1929, also nach kaum mehr als einem halben Jahr, die Idee einer phänomenologischen Sprache und bestimmte nun die Phänomenologie als Grammatik99, welche den Bereich möglicher Beschreibungen überhaupt festlegt. So heißt es etwa an einer Stelle der PB: »Die Physik unterscheidet sich von der Phänomenologie dadurch, daß sie Gesetze feststellen will. Die Phänomenologie stellt nur die Möglichkeiten fest. Dann wäre also die Phänomenologie die Grammatik der Beschreibung derjenigen Tatsachen, auf denen die Physik ihre Theorien aufbaut.«100 99
100
Ausführlich findet sich diese Neubestimmung vor allem im Kapitel »Phänomenologie« des Big Typescript. Vgl. Wiener Ausgabe Band 11, S. 295–323. Der erste Abschnitt ist dabei überschrieben mit »Phänomenologie ist Grammatik«. PB, S. 51.
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Die gewandelte Auffassung vollzieht Wittgenstein in den Philosophischen Bemerkungen, die daher sowohl die verworfene als auch die neu entwickelte Position enthalten.101 Sehr anschaulich lässt sich die neue Konzeption am Beispiel seiner Diskussion einer Farbengrammatik aufzeigen, welcher wir uns daher abschließend noch in aller Kürze zuwenden sollten. Eine Variante zur Darstellung des Farbenraumes bildet für Wittgenstein der sogenannte Farboktaeder, in welchem die reinen Farben sich an den jeweiligen Eckpunkten befinden. Diese Darstellung bezeichnet er als eine grammatische und nicht psychologische, wie etwa in einem experimentellen Fall, welcher Umstände untersucht, in denen beispielsweise ein konkretes Farbnachbild zu erzeugen wäre. Vielmehr dient die Farbanordnung mittels einer solchen geometrischen Figur dazu, die grammatischen Regeln unserer Farbbegriffe übersichtlich darzustellen.102 So bestimmt sie etwa, dass wir zwar sinnvoll von einem rötlichen Blau nicht aber von einem rötlichen Grün sprechen können. Der Farboktaeder bildet dabei nur eine von mehreren Alternativen einer solchen Übersicht über unsere Farbbegriffe. Denkbar wären etwa auch die Anordnung in einer geraden Linie mit den Farben Schwarz und Weiß an den Grenzen, in Form eines Doppelkegels oder einer achtseitigen Doppelpyramide. Natürlich muss in all diesen Modellen die räumliche Struktur den Farbverbindungen entsprechen. Allerdings wird sie offensichtlich im Modell des Oktaeders schon durch seine rein äußere Erscheinung deutlicher sichtbar.103 Es sollte nun inzwischen klar geworden sein, dass die geometrischen Anordnungen des Farbensystems keinen empirischen Satz repräsentieren. So bemerkt auch Rhees: »We are talking about colours, of course. We are not saying that one sense datum is between two others, – which would mean‚ ‘spatially between’ I suppose. To see a colour is to see, what colour it is. And this is, where the concept comes in.« Das heißt, falls die Farben nicht diese spezielle Anordnung hätten, dann 101 102 103
Vgl. etwa PB, § 218 (S. 273) im Gegensatz zu § 1 (S. 51). Vgl. ebd., S. 51 f. Vgl. ebd., S. 277. Zum Modell des Doppelkegels vgl. die Ausführungen Wundts und Ostwalds in: Wundt, Wilhelm: Philosophische Studien 6, Berlin 1887, S. 375, Ostwald, Wilhelm: Die Harmonie der Farben, Leipzig 31921 und Rothaupt, Joseph G. H.: Farbthemen in Wittgensteins Gesamtnachlass, Weinheim 1996, S. 262–269. Wittgenstein war offensichtlich mit den Schriften Wundts vertraut. Vgl. Rothaupt, ebd., S. 263.
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wären sie nicht das, was wir Farben nennen bzw. entsprächen sie nicht unseren Farbausdrücken. Und gerade darin liegt der Fehler der Annahme begründet, dass auch eine andere Anordnung als die uns gegebene logisch möglich wäre: »We should not know what was meant by ‘seeing red and green in the same place’. Nor can we ask whether experience agrees with the order of colours represented in the colouroctahedron, for instance. If they did not have this order they would not be what we call colours.« Die räumliche Anordnung kann dabei zunächst etwas irreführend erscheinen. Daher gilt es zu beachten, dass Ausdrücke wie etwa das Wort »zwischen« eine andere Bedeutung erhalten. Denn wenn wir von einer Farbe »zwischen« zwei anderen sprechen, bezeichnet dieses »zwischen« nicht einfach das, was wir meinen, wenn wir über Punkte oder Bereiche im Raum sprechen, etwa wenn wir behaupten, einen Ball zwischen zwei Pfosten zu sehen.104 Ein Farbintervall ist nicht in demselben Sinn teilbar wie ein räumliches Intervall, das heißt ein Intervall des Gesichtsraumes. Und die Eigenschaften eines Farbkontinuums sind nicht denen eines Kontinuums im Wahrnehmungsraum gleichzusetzen. Gerade deshalb betont Wittgenstein, dass der Farboktaeder die Grammatik von Farben repräsentiert und spricht analog von der Geometrie des visuellen Raumes und Teilen der Harmonielehre als Grammatik.105 Hierin zeigt sich natürlich auch ganz deutlich die Abkehr von der Idee einer phänomenologischen Sprache und den damit verbundenen Daten unserer unmittelbaren Erfahrung. So zitiert Rhees eine Stelle Wittgensteins mit den Worten: »Das unmittelbar Gegebene kann kein Gegenstand einer Untersuchung sein – d.h., wir können keine Theorien aufstellen, die etwa die Eigenschaften oder die Struktur der Phänomene erklären würden – sowenig wie der Raum ein Gegenstand einer Untersuchung sein könnte.«106 Die Analogie zwischen Phänomenologie und Geometrie lässt sich abschließend auch an einem weiteren Beispiel sehr deutlich veranschaulichen. So bemerkt Wittgenstein an einer Stelle, dass die Geometrie nichts von (bestimmten) Würfeln aussagt, da sie die Form der 104
105 106
Wie wir im Rahmen des Farbenunvereinbarkeitsproblems noch sehen werden, gilt diese Bedeutungsverschiedenheit ganz analog für die Ausdrücke »mehr« bzw. »weniger« im Zusammenhang der Farbbegriffe. Vgl. PB, S. 53. Rhees zitiert diese Stelle wie sehr oft ohne Quellenverweis. Ein Stellennachweis ist mir bisher leider nicht gelungen.
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Würfel nicht beschreibt, sondern vielmehr definiert und verbindet damit zunächst die Frage, ob denn in der Beschreibung, wie man etwa eine Kiste konstruiert, nicht auch die Beschreibung der Würfelform enthalten sei. Seine Erwiderung darauf: »Das Wesentliche am Würfel ist damit nicht beschrieben, das steckt vielmehr in der Möglichkeit dieser Beschreibung, d.h. darin, dass sie eine Beschreibung ist; nicht darin, dass sie zutrifft«107 zeigt dabei sehr deutlich, inwiefern die Idee der Grammatik mit dem Begriff der Möglichkeit verbunden ist. Die Frage lautet daher, worin die Möglichkeit einer solchen Beschreibung begründet liegt, das heißt, dass es überhaupt Beschreibungen sind und nicht, ob es sich um eine wahre handelt. Auch der apodiktische Charakter von Sätzen der unmittelbaren Erfahrung könnte jedenfalls nicht zeigen, ob es sich bei einer konkreten Beschreibung um eine richtige handelt oder nicht. Ganz analog bestimmt, wie bereits gezeigt, die Phänomenologie den Bereich möglicher Beschreibungen von Tatsachen und das heißt, sie bildet seine Grammatik. Nun stellt sich natürlich auch hier wieder die Frage der Verbindung dieser Grammatik zur Wirklichkeit. Darin liegt, wie die weiteren Untersuchungen noch zeigen werden, die fundamentale Bedeutung des Begriffs der Regel und ihrer Anwendungen. Das im folgenden Kapitel diskutierte Problem der Unvereinbarkeit von Aussagen bestimmter Farbzuschreibungen soll ebenfalls zur Verdeutlichung dieser grundlegenden Beziehung beitragen. Wie wir im späteren Verlauf noch genauer sehen werden, spielt dabei vor allem der Begriff der logischen Mannigfaltigkeit auf Seiten der Sprache einerseits und der Wirklichkeit andererseits eine zentrale Rolle. Diese Idee der gleichen Multiplizität lässt sich dabei besonders am Beispiel des Schachspiels und seiner Figuren sehr anschaulich verdeutlichen.
107
Big Typescript, S. 163 (Wiener Ausgabe Band 11, S. 116). An der entsprechenden Stelle der PG heißt es: »Eine Beschreibung nur, sofern von diesem Ding gesagt wird, es sei würfelförmig, und im Übrigen eine Analyse des Begriffs Würfel.« (Ebd., S. 53)
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KAPITEL III DIE WANDELNDE BEDEUTUNG DER ELEMENTARSÄTZE IM RAHMEN DES FARBENINKOMPATIBILITÄTSPROBLEMS 1. Einleitende Bemerkungen Die im Tractatus eingeführte Elementarsatzkonzeption steht hinsichtlich ihrer Weiterentwicklung bzw. teilweisen Korrektur in sehr engem Zusammenhang mit dem sogenannten Farbenausschlussproblem. Anfang des Jahres 1929 entschließt sich Wittgenstein nach Cambridge zu wechseln. In der Folgezeit nimmt zunächst die Erörterung der Farbeninkompatibilitätsthematik eine zentrale Rolle seiner philosophischen Untersuchungen ein. Wesentlichen Einfluss auf die weitere Entwicklung und teilweise Revision grundlegender Bestimmungen des Tractatus und diesbezüglich relevanter, in der ersten Hälfte des Jahres 1929 entstandener Ansätze hatte dabei zweifelsfrei die kritische Auseinandersetzung mit Frank Ramsey. Da auch die nach Wiederaufnahme seines philosophischen Wirkens zunächst vertretene und später verworfene Idee einer »phänomenologischen« bzw. »primären Sprache« und Wittgensteins Verständnis von »Phänomenologie« in enger Beziehung mit der Farbeninkompatibilität stehen, erweist sich die Behandlung dieses Komplexes zum besseren Verständnis der Tractatusphilosophie und der in der Folge entwickelten Linie Wittgensteins als äußerst hilfreich. Zudem ermöglicht das Auftreten des Problems der Unvereinbarkeit bestimmter Farbaussagen bereits von Wittgensteins ersten Schriften an, bis hin zu zentralen Bemerkungen seiner letzten Lebensjahre eine genauere Rekonstruktion des diesbezüglichen Argumentationsverlaufs.
2. Apropos 6.3751 Bereits in den an G. E. Moore diktierten Aufzeichnungen im April 1914 spricht Wittgenstein von einer internen Relation zwischen verschiedenen Helligkeitsgraden einer Farbe. Aus der unmittelbaren vi-
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suellen Erfassung zweier unterschiedlicher Farbschattierungen scheint bereits zu folgen, dass sie sich in dieser internen Heller-DunklerBeziehung zueinander befinden. Hier setzt Wittgenstein eine solche Verknüpfung in Verbindung zum Formbegriff: From the fact that I see that one spot is to the left of another, or that one colour is darker than another, it seems to follow that it is so; and if so, this can only be if there is an internal relation between the two; and we might express this by saying that the form of the latter is part of the form of the former.1
Wittgensteins Bemerkung mag zunächst etwas irreführend wirken, da der »Tatbestand« (man beachte die explizite Hervorhebung des »is« und »see«) der Relation in Abhängigkeit zur tatsächlichen visuellen Erfassung zu stehen scheint. Allerdings lässt sich bereits hier einwenden, dass dies nur dadurch möglich wird, dass die Beziehung eine interne ist. Bereits in der Anfangsphase der philosophischen Erörterungen Wittgensteins lässt sich also im Zusammenhang der Farbbegriffe die zentrale Frage des Verhältnisses zwischen Empirie und Logik lokalisieren. Eine Frage, welche sein gesamtes Werk durchzieht und die den Eindruck eines sich schließenden Kreises erweckt. So bemerkt er im Frühjahr 1950: Aber auch das reine Gelb ist heller als das reine, satte Rot, oder Blau. Und ist dies ein Satz der Erfahrung? – Ich weiß z.B. nicht, ob Rot (d.h. das reine) heller oder dunkler ist als Blau; ich müßte sie sehen, um es sagen zu können. Und doch, wenn ich es gesehen hätte, so wüßte ich’s nun ein für alle mal, wie das Resultat einer Rechnung. Wo trennen sich hier Logik und Erfahrung (Empirie)?2
Die folgenden Bemerkungen beschränken sich nun jedoch zunächst auf den Versuch einer Plausibilisierung des Problems im Rahmen des Tractatus. Hierbei stellt sich zunächst die Frage nach dem Satzstatus von Farbzuschreibungen der Art »A ist jetzt rot«, »Dieser Ort ist jetzt grün« etc. Neben den beiden bereits erwähnten Elementarsatzkriterien, dass sie ihren Sinn unmittelbar zeigen und als Wahrheitsargu1
2
Wittgenstein, Ludwig: »Notes dictated to G.E. Moore«, in: Wittgenstein, Ludwig: Notebooks 1914–1916, Oxford 21979, S. 118. Bemerkungen über Farben III 4 (Werkausgabe Band 8), S. 41.
2. Apropos 6.3751
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mente von Sätzen bzw. Wahrheitsfunktionen ihrer selbst bestimmt sind, nimmt Wittgensteins Auffassung der Unabhängigkeit zwischen Sachverhalten und somit zwischen den sie abbildenden Elementarsätzen die zentrale Position ein. Diese ist auch insofern von besonderem Interesse, da sie zu Beginn des Jahres 1929 von Wittgenstein selbst neu thematisiert und revidiert wird und im Rahmen seiner Revision auch ein erweitertes Verständnis des Tractatusansatzes ermöglicht. Die Bestimmung der Welt erfolgt durch die Gesamtheit der Sachverhalte, welche neben den bestehenden auch die nichtbestehenden umfasst. In diesem Zusammenhang betont Wittgenstein explizit ihre gegenseitige Unabhängigkeit.3 Zwar legt die Summe der positiven Tatsachen auch die entsprechenden negativen fest, aber aus dem Bestehen (respektive Nichtbestehen) eines Sachverhaltes kann nicht auf das eines anderen geschlossen werden. Diese Unabhängigkeit impliziert für den Bereich der Elementarsätze als Ausdruck bestehender Sachverhalte, dass sie einander nicht widersprechen können. Und was für Sätze gilt, welche keine gemeinsamen Wahrheitsargumente enthalten, gilt natürlich a forteriori für Elementarsätze, da sie überhaupt keine weiteren Wahrheitsargumente enthalten, sondern diese selbst für entsprechende Wahrheitsfunktionen bilden. Somit lässt sich aus einem Elementarsatz kein anderer folgern und analog aus keiner Sachlage eine ihr völlig verschiedene.4 Interessanterweise verwendet Wittgenstein zur Bestimmung des Begriffs der internen Relation ein Beispiel aus dem Bereich der Farben. In TLP 4.123 heißt es: »Eine Eigenschaft ist intern, wenn es undenkbar ist, daß ihr Gegenstand sie nicht besitzt. (Diese blaue Farbe und jene stehen in der internen Relation von heller und dunkler eo ipso. Es ist undenkbar, daß diese beiden Gegenstände nicht in dieser Relation stünden.)«5 Hier weist schon die Verwendung des insbesondere für die Frühphilosophie Wittgensteins zentralen Ausdrucks der Undenkbarkeit darauf hin, dass es sich im Fall der Farbbeziehung zweier Gegenstände nicht um einen empirischen Tatbestand handeln kann. Denn die internen Eigenschaften und Relationen sind Kennzeichen der Struktur von Gegenständen bzw. Sachverhalten und streng zu unterscheiden von externen und somit willkürlichen Bestimmungen. 3 4 5
Vgl. TLP 2.061. Vgl. TLP 5.152, 5.134, 5.135. TLP 4.123.
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Die wandelnde Bedeutung der Elementarsätze
Da nach der Auffassung Wittgensteins diese internen Merkmale nicht in einem Satz ausgedrückt werden können, sondern sich vielmehr selbst in ihm ausdrücken, muss die Struktur der jeweiligen Sätze bereits diese Zusammenhänge aufweisen. Der Widerspruch zweier Sätze oder aber auch ihre Folgebeziehung zeigt sich dabei in ihrer logischen Form. So wird ein Symbolismus erforderlich, der genau diese Auffassung erfüllt. Bezüglich der Farbenthematik schreibt Wittgenstein in TLP 6.3751: Daß z.B. zwei Farben zugleich an einem Ort des Gesichtsfeldes sind, ist unmöglich, und zwar logisch unmöglich, denn es ist durch die logische Struktur der Farbe ausgeschlossen. Denken wir daran, wie sich dieser Widerspruch in der Physik darstellt: Ungefähr so, daß ein Teilchen nicht zu gleicher Zeit zwei Geschwindigkeiten haben kann; das heißt, daß es nicht zu gleicher Zeit an zwei Orten sein kann; das heißt, daß Teilchen an verschiedenen Orten zu Einer Zeit nicht identisch sein können. (Es ist klar, daß das logische Produkt zweier Elementarsätze weder eine Tautologie noch eine Kontradiktion sein kann. Die Aussage, daß ein Punkt des Gesichtsfeldes zu gleicher Zeit zwei verschiedene Farben hat, ist eine Kontradiktion.).6
In der Prototractatus-Version lautet eine alternative Formulierung: »,A ist grün und A ist rot‘ ist eine Contradiction.«7 Die zitierte Stelle bildet unter anderem die Grundlage zur Frage, ob Farbaussagen der Art, dass ein bestimmter Gegenstand G, z.B. ein Fleck, zu einem bestimmten Zeitpunkt Z, an einem bestimmten Ort O, eine bestimmte Farbe F hat, in den Bereich der Elementarsätze fallen. Diese Frage ist aus ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten von zentralem Interesse. So steht sie beispielsweise in engem Zusammenhang mit der Problematik, ob der Gegenstandsbegriff auch Eigenschaften und Relationen umfasst8, oder aber mit einer Interpretationsvariante von Elementar6 7
8
TLP 6.3751. Prototractatus 6.3752. In der Endfassung des TLP wurde dieser Punkt unter 6.3751 subsummiert. Vgl. z.B.: Copi, I. M.: »Objects, Properties and Relations in the ‘Tractatus’«‚ in: Copi, I. M., Beard, R. W. (Hg.): Essays on Wittgenstein’s Tractatus, New York, London 1966, S. 167–186, Stenius, Erik: Wittgensteins Traktat. Eine kritische Darlegung seiner Hauptgedanken, Frankfurt a.M. 1969, Anscombe, Gertrude E. M.: An Introduction to Wittgenstein’s Tractatus, London 1959, Pitcher, George:
2. Apropos 6.3751
103
sätzen als Sinnesdatenaussagen, welche insbesondere von Hintikka wieder neu thematisiert wurde. Hier soll zunächst jedoch versucht werden, Wittgensteins eigene Auffassung näher zu beleuchten. Auf das Problem der Farbeninkompatibilität im Rahmen der Satzkonzeption der Logisch-Philosophischen Abhandlung weist bereits Ramsey in seiner Tractatusrezension hin9. Da jeder Satz durch den Ausdruck der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit den Wahrheitsmöglichkeiten der in ihm enthaltenen Elementarsätze lediglich etwas Willkürliches aussagt, sind die Bestimmungen der Notwendigkeit und Unmöglichkeit lediglich auf den Bereich der Tautologien bzw. Kontradiktionen festgelegt10. Wie nun aber verhält es sich mit Sätzen der Art, dass ein Punkt im Gesichtsfeld nicht zugleich zwei Farben annehmen kann? Da solche Ausdrücke nicht logisch aufzufassen sind und da es sich für Wittgenstein auch bei der Induktion nicht um ein logisches Gesetz, sondern selbst um einen Satz handelt11, erscheint es laut Ramsey problematisch, die Behauptung zweier Farben in einem Punkt als kontradiktorisch aufzufassen. Die Annahme dieser Unmöglichkeit entbehrt zunächst jeglicher Grundlage. Wittgenstein selbst räumt ein, dass diese Unmöglichkeit dem »ersten Anschein nach« keine logische sein muss, betont aber im selben Zusammenhang, dass zwischen zwei Farben, etwa Rot und Blau eine strukturelle Verschiedenheit liegt.12 Da es sich bei Sätzen wie »A ist grün und A ist rot« gemäß Prototractatus um eine Kontradiktion handelt, folgt daraus offensichtlich, dass es sich bei Farbprädikaten um komplexe Begriffe und auf der Satzebene entsprechend bei Farbaussagen (»G ist
9
10
11
12
The Philosophy of Wittgenstein, Englewood Cliffs 1964, Maury, André: The Concepts of Sinn and Gegenstand in Wittgenstein’s »Tractatus«, Amsterdam 1977 oder Hintikka, Merrill B., Jaakko Hintikka: Untersuchungen zu Wittgenstein, Frankfurt am Main 1996. Ramsey, Frank P.: »Rezension des ,Tractatus‘« in: Schulte Joachim (Hg.): Texte zum Tractatus, Frankfurt 1989, S. 11–31, insb. S. 22 f. Diese Bemerkung bezieht sich auf den Bereich der Sätze, welcher eben durch Kontradiktion von außen und Tautologie von innen (»substanzloser Mittelpunkt«) begrenzt ist. Das heißt interne Eigenschaften und Relationen sind hier bezüglich des Notwendigkeitsbegriffs natürlich nicht berührt. TB 04. 05. 1915, TLP 6.31. Auch in Gesprächen mit dem Wiener Kreis 1929 betont Wittgenstein nochmals, dass, bedingt durch die Annahme der Unabhängigkeit von Elementarsätzen, alle Folgerungen auf die Form der Tautologie beschränkt seien. (Vgl. WWK, S. 63 f.) Vgl. TB 16. 08. 1916.
104
Die wandelnde Bedeutung der Elementarsätze
f«) nicht um Elementarsätze handeln kann. Laut Ramsey steht Wittgensteins These der Kontradiktion ausdrücklich in Abhängigkeit von der Unmöglichkeit, dass ein Teilchen zu einem bestimmten Zeitpunkt zwei Örtlichkeiten einnehmen könne.13 Diese Annahme scheint jedoch zumindest fragwürdig. Rhees bemerkt hierzu: When Wittgenstein refers both to the proposition that two colours cannot be simultaneously at the same place in the visual field, and that a particle cannot have two velocities at once, he is saying that we have the same sort of contradiction in the one and in the other; not that the one is an explanation of the other, for then he would not have called the first a contradiction. By calling it a contradiction, he implies that ‘red is here’ is not an elementary proposition. Wittgenstein thought (in the Tractatus) that colours as they are given are always complex.
Betrachten wir nun zunächst die Frage, ob es sich bei Farbaussagen tatsächlich um komplexe Sätze handelt: Bereits in einer Tagebuchaufzeichnung vom 08. 01. 1917 betont Wittgenstein, dass das logische Produkt von Elementarsätzen keine Tautologie sein kann. Analoges gilt für die Kontradiktion. Ist ein logisches Produkt scheinbarer Elementarsätze in Form einer Kontradiktion gegeben, »so sieht man, daß in diesem Falle der Schein trügt. (Z.B.: A ist rot und A ist grün.)«.14 Im letzten Abschnitt des Kapitels »Phänomenologie«15 des Big Typescript, überschrieben mit »Farben und Farbmischung«, greift Wittgenstein wieder die Farbeninkompatibilitätsproblematik auf und verweist nochmals auf seine Tractatusauffassung, welche er auch noch im ersten Halbjahr des Jahres 1929 vertrat und erst im Rahmen seines Vortrages Some Remarks on Logical Form16 diesbezüglich revidierte: Sei f(r) eine Farbangabe, z.B. »Dies ist rot«, dann ist eine Folgerung der Art: »Aus ‚Dies ist rot‘ folgt ‚Dies ist nicht grün‘« nur möglich, wenn sich die Farbangabe f(r) in ein logisches Produkt aus »Dies ist nicht grün« und einem anderen Satz zerlegen ließe. Denn falls ein Satz aus einem anderen folgt, muss dieser andere Satz mehr besagen als der Fol13 14 15 16
Vgl. Ramsey, Rezension, S. 23. TB 08. 01. 1917 (Werkausgabe Band 1, S. 187). Dieses Kapitel wurde nicht in die Philosophische Grammatik übernommen. Wittgenstein, Ludwig: »Some Remarks on Logical Form« in: Proceedings of the Aristotelian Society Suppl. Vol. 9 (1929), S. 162–171 (deutsch: »Bemerkungen über logische Form« in: Vortrag über Ethik, S. 20–28).
2. Apropos 6.3751
105
gerungssatz.17 Da sich aus einem Elementarsatz kein anderer folgern lässt, scheint die Annahme einer Farbaussage als logisches Produkt die einzige Alternative. Formal ausgedrückt ist f(r) = f(r) und ~f(g) nur möglich, wenn gilt: f(r) = p · ~f(g). Wie die weitere Zerlegung eines solchen Produktes allerdings auszusehen habe, blieb unbeantwortet. Denn natürlich stellt sich auch in der Folge die Frage, ob die Bestandteile dieser Konjunktion selbst wieder komplex oder einfach seien. Zudem setzt die Übersetzung einer Farbzuschreibung in ein logisches Produkt voraus, dass die jeweiligen Faktoren selbst bereits sinnvolle Sätze sein müssen. Offensichtlich scheint auch die Annahme, dass aus dem Bestehen eines Sachverhaltes auch bestimmt ist, was nicht der Fall ist, wenig hilfreich, da aus einer Zuschreibung »Dies ist rot« wohl offensichtlich nur folgt, dass dies nicht nicht rot ist, bedingt durch das Postulat der Unabhängigkeit. Die Unmöglichkeit der Kombination von Farbaussagen muss durch ihre logische Struktur begründet sein und das heißt, dass sich die Kontradiktion vollständig im Symbolismus zeigen muss. Es gilt also zu zeigen, warum f(r) · f(g) einen Widerspruch ausdrückt, obgleich er nicht der Form »p · ~p« entspricht. »On the Tractatus view, the contradiction – or the incompatability – should follow from the sense of a proposition.«18 Die Unmöglichkeit zweier Farben zu einer Zeit an einem Ort muss also in ihrer Form und in der Form des Raumes liegen.19 In diesem Sinn ist der Farbbegriff mit dem Raumbegriff verbunden. Und bereits in den Anfangsbemerkungen des Tractatus betont Wittgenstein, dass ein Fleck im Gesichtsraum zwar keine bestimmte Farbe haben, sich aber im Bereich des Farbenraums befinden muss. Somit zählen Raum und Färbigkeit zu den Formen der Gegenstände.20 In der späteren Terminologie Wittgensteins hieße dies, dass die Unmöglichkeit, sich den Gesichtsraum nicht farbig vorzustellen, besagt, dass die Definition der Färbigkeit in der des Gesichtsraumes eingeschlossen ist und das heißt, »in der Grammatik des Wortes ‚Gesichtsraum‘ enthalten.«21 Allerdings, so bemerkt Wittgenstein: »In meiner alten Auffassung der 17 18 19 20 21
Vgl. TLP 5.14. Rhees, unpublished papers. »Sinn folgt aus Sinn und daher Form aus Form.« (PB, S. 107) Vgl. TLP 2.0131, 2.0251. Big Typescript (BT), S. 441.
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Die wandelnde Bedeutung der Elementarsätze
Elementarsätze gab es keine Bestimmung des Wertes einer Koordinate; obwohl meine Bemerkung, daß ein farbiger Körper in einem Farbenraum ist etc., mich direkt hätte dahin bringen können.«22 Damit hing natürlich auch das Problem der vollständigen Beschreibung zusammen, denn wie sollte ein Symbolismus zeigen, dass ein Satz »Der Fleck ist rot« die Fläche bezüglich ihrer Farbbestimmung bereits vollständig beschreibt? Zu Beginn des Jahres 1929 greift Wittgenstein diesen Aspekt wieder auf und bietet zunächst einen Lösungsansatz, den er aber bereits im selben Jahr wieder verwirft.
3. Das problematische Schema der Ingredienzien Der Manuskriptband MS 105/7023 (ab dem 02. Februar 1929) eröffnet die Farbenunvereinbarkeitsproblematik mit der Frage, wie eine bestimmte Notation zeigen soll, dass ein Fleck nicht zugleich zwei Farben in sich vereinen kann. Eine Aussage, die beispielsweise die Anzahl einer bestimmten Menge an Gegenständen an einem Ort24 behauptet, soll über diese Bestimmung hinaus ebenfalls ausschließen, dass sich weitere Gegenstände dort befinden. Eine entsprechende Notation muss demnach die vollständige Beschreibung dieses Ortes ausdrücken. Behaupte ich etwa, dass auf einem Tisch 4 Äpfel liegen, will ich damit auch ausschließen, dass dort mehr oder weniger als 4 liegen, was sich etwa ausdrücken ließe durch »4 Äpfel und keiner mehr«. Es stellt sich nun analog die Frage, ob sich dieses Verfahren auch auf Farbaussagen anwenden lässt. 25 Zunächst geht Wittgenstein noch davon aus, dass eine Aussage der Art, dass sich eine bestimmte Farbe zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort befindet, ihn vollständig beschreibt.26 Dies hängt offensichtlich mit einem Gedanken zusammen, der sich im Ansatz auch schon im Tractatus zeigt. In der bereits angesprochenen 22 23
24 25
26
PB, S.111. Vgl. Wittgenstein, Ludwig: Wiener Ausgabe Band 1: Philosophische Bemerkungen, hrsg. von Michael Nedo, Wien, New York 1994, S. 19. Gemeint ist hier natürlich nicht Ort im Sinne von Punkt. Vgl. MS 105, S. 74 in: Wiener Ausgabe Band 1, S. 20. Vgl. auch Rothaupt: Farbthemen, S. 29. Vgl. MS 105, S. 72 in: Wiener Ausgabe Band 1, S. 20. Diese Bemerkung findet sich später auch in den PB, S. 108 oder BT, S. 473 f.
3. Das problematische Schema der Ingredienzien
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Bemerkung 2.0131, die das notwendige Befinden eines Gegenstandes im Farbenraum behauptet, heißt es im Weiteren, dass auch ein Ton eine Höhe oder ein tastbarer Gegenstand eine Härte haben muss. Im wahrscheinlich Mitte 1929 verfassten Vortrag Some Remarks on Logical Form erweitert Wittgenstein diesen Gedanken und variiert in der Folge dadurch auch seine Elementarsatzkonzeption und Auffassung der logischen Analyse, die allerdings, wie wir gesehen haben, nur für einen kurzen Zeitraum auf tatsächliche Phänomene Anwendung findet: Zur Veranschaulichung seiner neuen These, dass zur Darstellung jener Phänomene mittels der Elementarsätze in der Form dieser Sätze Zahlen enthalten sein müssen, wählt er die Beschreibung eines roten Fleckes innerhalb eines Gesichtsfeldes, welches selbst mittels eines rechtwinkligen Koordinatensystems strukturiert ist. Symbolisieren ließe sich der Fleck z.B. durch »[6–9, 3–8] R«, wobei die Zahlenpaare die jeweiligen Koordinaten und R seine Farbe bezeichnen: The occurrence of numbers in the forms of atomic propositions is, in my opinion, not merely a feature of a special symbolism, but an essential and, consequently, unavoidable feature of the representation. And numbers will have to enter these forms when – as we should say in ordinary language – we are dealing with properties which admit of gradation, i.e., properties as the length of an interval, the pitch of a tone, the brightness or redness of a shade of colour, etc. It is a characteristic of these properties that one degree of them excludes any other. One shade of colour cannot simultaneously have two different degrees of brightness or redness, a tone not two different strengths, etc. And the important point here is that these remarks do not express an experience but are in some sense tautologies.27
Zunächst greift Wittgenstein nochmals den Gedanken der vollständigen Beschreibung auf: Nehmen wir an, eine Farbangabe wäre ein logisches Produkt einzelner Farbmengenangaben r, s, t etc. Diese Faktoren geben die jeweiligen Ingredienzien an. Um nun einen Widerspruch zu einer weiteren Farbangabe zu erzeugen, müsste durch die Angabe der jeweiligen Bestandteile auch gewährleistet sein, dass sie eine vollständige ist. Zu einem logischen Produkt »r · s · t« müsste demnach ein weiterer Faktor u hinzukommen, welcher besagt, dass keine weiteren Bestandteile enthalten sind. So stünde dann beispielsweise der 27
Some Remarks on Logical Form, S. 167.
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Die wandelnde Bedeutung der Elementarsätze
Ausdruck »r · s · t · u« in Widerspruch zu »r · s · t · u · v«, wäre v eine weitere Farbingredienz. Umgangssprachlich hieße dies etwa statt »Dies ist rot«, »Dies ist ausschließlich rot«, »In dieser Farbe ist nur rot enthalten«, »In dieser Farbe ist rot enthalten und keine andere Farbe« etc. Im Falle der Konjunktion zweier verschiedener Farben wäre die Verknüpfung die Beschreibung einer Misch- oder besser Zwischenfarbe. Zur Verdeutlichung seiner früheren Auffassung zur Angabe von Qualitäten unterschiedlicher Grade wählt Wittgenstein das Beispiel einer Hosentasche: »‘It contains a penny, a shilling, two keys, and nothing else’. This ‘and nothing else’ is the supplementary statement which completes the description.«28 Dieses Modell wirft allerdings verschiedene Probleme auf. In seinem Vortrag über logische Formen diskutiert Wittgenstein das Mangelhafte dieser Art der Analyse von Gradangaben nur kurz: Nehmen wir an, h bezeichne einen bestimmten Helligkeitsgrad eines Gegenstandes G. G(h) besagt dann, dass der Gegenstand eben diesen Helligkeitsgrad hat. Ein Satz G(2h), welcher jenem Ding zwei Helligkeitsgrade zuschreibt, müsste sich demnach in das logische Produkt »G(h) · G(h)« zerlegen lassen. Da aber (h) und (h) offensichtlich ununterscheidbar sind, hieße das nichts anderes als G(h). Nimmt man stattdessen zwei verschiedene Helligkeitseinheiten an und schreibt ihnen eine unterschiedliche Notation zu, etwa h´ und h´´, sodass gilt: »G(2h) = G(h´) · G(h´´)« drängt sich im Fall eines Gegenstands mit nur einem Helligkeitsgrad die offensichtlich absurde Frage auf, ob es sich nun um h´ oder h´´ handelt. Wie wir bereits aus einer Bemerkung von Rhees wissen, wurden im Rahmen des Tractatus scheinbar sämtliche Farben als Mischfarben aufgefasst, wobei die Gegenstände als reine Farben die Bestandteile von Mischfarben bilden. Die gewandelte Farbauffassung lässt nun offensichtlich den – wie Rhees bemerkt – folgenden Schluss zu: If you say »This is red« or »This is blue« you are not dealing with Teilstriche (as you would be in f(1+1)) but rather with Maßstäbe, as in f(1) and f(1). I take it this means that the pure colours are Maßstäbe. And this is one reason why it were misleading or nonsense to speak of adding them – the addition of comparable quantities – even in the mixed colours. (You can say that there is more blue in this than in that, which just means that it is nearer to blue than that. But you cannot say that there is more blue in 28
Ebd.
3. Das problematische Schema der Ingredienzien
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this than there is red in that – or that it is nearer to blue than that is to red.) The difference between: 2+2=4 and f(a) · f(a) = f(a).29
Das heißt, der Unterschied zwischen den reinen Farben und Zwischenfarben drückt sich nicht in der unterschiedlichen Menge der reinen Farben in den jeweiligen Zwischenfarben aus, sondern vielmehr sind ihre Relationen in der Grammatik der Farben zugrundegelegt. Im Kapitel über Farben und Farbmischungen30 diskutiert Wittgenstein das angesprochene Problem der Analyse von Gradangaben im Vergleich zu Some Remarks on Logical Form leicht abgewandelt, und die Überlegungen von Rhees erweisen sich hier als äußert hilfreich: Sätze, wie »In dieser Farbe ist nur rot enthalten«, welche eine Farbe vollständig beschreiben, besagen im Fall einer beliebigen Rotschattierung, die sich nicht aus mehreren Graden zusammensetzt, sondern nur einen Farbstich enthält, demnach, dass es sich um die reine Farbe dieses Tones handelt, was offensichtlich unsinnig ist. Es muss daher die Möglichkeit mehrerer Farbtöne eingeräumt werden, wobei dieses »mehr« oder »weniger« lediglich besagt, dass ein entsprechender Ton näher oder weniger nah am reinen Rotton liegt. Und in diesem Sinn »enthält« z.B. ein rötliches Blau mehr oder weniger rot als etwa ein ihm auf der Farbenskala benachbartes. Denn die Annahme, dass ein Rotton sich aus mehreren Rotbestandteilen zusammensetzt und dadurch ein logisches Produkt bildet, setzt ja voraus, dass bereits die einzelnen Faktoren Sinn haben. Aber, so Wittgenstein, »dass dieser Ort rein rot gefärbt ist und die und die Qualität von rot enthalte, […] hat keinen Sinn.« 31 Denn die Frage, wie viel rot das reine Rot selbst enthält, ist offensichtlich unsinnig. Wie verhält es sich nun mit Sätzen, die einem Farbfleck verschiedene Grade zuschreiben? Nimmt man etwa zwei verschiedene Schattierungen S1 und S2 von rot an und soll ihr logisches Produkt keinen Widerspruch enthalten, hieße dies, dass »S1 · ~S2« einander widersprechen. Nach Wittgensteins alter Auffassung müsste sich S1 wiederum zusammensetzen aus S2 und einem anderen Satz, welcher die fehlende Quantität zwischen S1 und S2 angibt, das heißt die Schwierigkeit löst sich dadurch nicht auf. Nach dem Ingredienzienschema 29 30 31
Rhees, unpublished papers. Big Typescript (BT), S. 473–485. Ebd., S. 476.
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Die wandelnde Bedeutung der Elementarsätze
führen also verschiedene Angaben über die Menge eines Faktors zu Widersprüchen: […] oder, wenn ich festsetze, daß p ( = ich habe 3kg Salz verwendet) und q (= ich habe 5kg Salz verwendet) einander nicht widersprechen sollen, dann doch q und non-p. Und es läuft alles darauf hinaus, daß der Satz »ich habe 2kg Salz verwendet« nicht heißt »ich habe 1kg Salz verwendet und ich habe 1kg Salz verwendet«, daß also f(1+1) nicht gleich ist f(1) & f(1).32 Unsere Erkenntnis ist eben, daß wir es mit Maßstäben und nicht quasi mit isolierten Teilstrichen zu tun haben.33
Die von Wittgenstein entwickelte Idee des Maßstabes steht ebenfalls in sehr engem Zusammenhang mit seiner gewandelten Elementarsatzkonzeption, nach der ihre gegenseitige Unabhängigkeit nun verworfen wird. So lautet eine Gesprächsaufzeichnung Waismanns: »Ich habe einmal geschrieben ,Der Satz ist wie ein Maßstab an die Wirklichkeit angelegt. Nur die äußeren Teilpunkte berühren den zu messenden Gegenstand.‘34 Ich möchte jetzt lieber sagen: Ein Satzsystem ist wie ein Maßstab an die Wirklichkeit angelegt.«35 Durch das Anlegen des ganzen Maßstabes und nicht jeweils einzelner Teilstriche wird garantiert, dass jeder dieser Werte der Skala auch nur einmal besetzt sein kann. Das Anlegen garantiert hierbei, dass auch immer nur ein Sachverhalt und nicht zugleich mehrere bestehen können. Im Fall von Farbzuschreibungen hieße dies, dass etwa ein blauer Fleck nicht auch rot, grün etc. ist, bzw. allgemein gesprochen, dass ein Fleck zu einer Zeit nicht zugleich zwei oder mehrere Farben haben kann. Natürlich steht dieser Punkt auch im Gegensatz zur Tractatusauffassung, welche den logischen Schluss auf die Tautologie beschränkte und daher eine Folgerung von einer Gradbestimmung, wie beispielsweise einer bestimmten Länge, auf den Ausschluss sämtlicher anderer nicht zuließ. Und diese Unzulässigkeit lag in der Unabhängigkeit der Elementarsätze begründet. »Wenn aber meine jetzige Auffassung mit dem Satzsys32
33 34 35
An anderer Stelle heißt es in ganz analoger Weise: »Es heißt auch nichts, zu sagen, daß ein Stab, der 3 m lang ist, auch 2 m lang ist, weil er 2 + 1 m lang ist, denn man kann nicht sagen, er ist 2 m lang und er ist 1 m lang. Die Länge von 3 m ist etwas Neues.« (PB, S. 105) BT, S. 476 (Wiener Ausgabe, S. 317). Vgl. TLP 2.1512, 2.15121. WWK, S. 63. Vgl. auch ebd., S. 89.
3. Das problematische Schema der Ingredienzien
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tem richtig ist, ist es sogar die Regel, daß man aus dem Bestehen eines Sachverhaltes auf das Nicht-Bestehen aller übrigen schließen kann, die durch das Satzsystem beschrieben werden.«36 Da also durch das Anlegen jeder Grad bereits belegt ist, kann etwa eine Person, die 1,60 Meter groß ist, nicht auch 1,80 Meter sein, ein roter Fleck nicht zugleich grün etc. In der Terminologie des Koordinatensystems hieße dies analog, dass auch nur jeder Wert des Systems einmal bestimmt werden kann. Die Zuschreibung von mehreren, miteinander unvereinbaren Attributen muss dabei von vornherein ausgeschlossen sein und nicht erst durch die Untersuchung einer möglichen Kompatibilität, da zwei Bestimmungen derselben Art nicht möglich sind. Dies hat natürlich auch Konsequenzen für die Bedeutung des logischen »und« in Konjunktionen von Sätzen, die Eigenschaften mit graduellen Abstufungen behaupten, welche Wittgenstein in der Folge zu einem neuen Lösungsansatz des Farbenproblems führten.37 Auch in den Manuskripten MS 105 und MS 10638 diskutiert Wittgenstein die Auffassung von Farben als Quantitäten von Farbbestandteilen. Zur weiteren Verdeutlichung der Problematik werden sie hier wörtlich wiedergegeben: Es ist, wie gesagt, klar, daß der Satz, daß eine Farbe fünf Stiche Gelb enthält, nicht sagen kann, sie enthalte den Stich No. 1 und sie enthalte den Stich No. 2 etc. Sondern die Addition der Stiche muß innerhalb des Elementarsatzes erfolgen. Wie aber, wenn diese Stiche Gegenstände sind, die sich in gewisser Weise aneinanderreihen wie Glieder einer Kette; und in einem Satz ist nun von fünf solchen Gliedern die Rede, in einem andern Satz von dreien. Wohl, aber diese beiden Sätze müssen einander ausschließen, ohne doch zerlegbar zu sein. – Müssen dann aber F5 und F6 einander ausschließen? Kann ich nicht sagen, Fn heißt nicht, die Farbe enthält nur N-Stiche, sondern sie enthält auch N-Stiche? Sie enthält nur N-Stiche, würde durch den Satz F(n) · ~F(n + 1) ausgedrückt. Aber auch dann sind die Elementarsätze voneinander abhängig, weil aus F(n) doch jedenfalls F(n – 1) folgt, und F(5) ~F(4) widerspricht. Der Satz, der einen gewissen Grad einer Eigenschaft behauptet, widerspricht in der einen
36 37 38
Ebd., S. 64. Siehe anschließender Abschnitt. MS 105, S. 76 u.78 findet sich in PB, S. 108, MS 106, S. 71–75 in PB, S. 105 ff.
112
Die wandelnde Bedeutung der Elementarsätze
Auffassung jeder andern Angabe des Grades, und folgt in der andern Auffassung aus der Angabe jedes höheren Grades.39
In MS 106 nimmt Wittgenstein nochmals das Problem der Inkompatibilität auf und diskutiert es nun auch im Zusammenhang mit Komplementär- und Mischfarben. Wendet man gegen die Unvereinbarkeit zweier Farben an einem Ort ein, sie könnten sich sehr wohl zu einer resultierenden Farbe ergänzen, muss dies auch für Komplementärfarben gelten, und im Fall von Rot und Grün z.B. drängt sich dann die Frage nach der neu gewonnenen Farbe und der Erkenntnis ihrer Bestandteile auf. Auch im Fall von Mischfarben40, wie etwa Rot und Blau, erscheint die Aussage, eine aus diesen Farben erzeugte enthalte mehr oder weniger eines ihrer Bestandteile als eine andere Kombination von Blau und Rot, fraglich, da die Bedeutung des »Enthaltenseins« einer Farbe unklar ist. Wie wir gesehen haben, sind verschiedene Grade von Rot miteinander unverträglich. Was es nun heißt, dass eine Farbe mehr Rot enthält als eine andere, könnte sich zunächst wie folgt erklären: Bestimmte Mengen von Rot ergeben addiert einen bestimmten Rotton. Auf die Frage allerdings, was es bedeutet, dass eine bestimmte Anzahl solcher Quantitäten gegeben ist, erwidert Wittgenstein: »Es kann natürlich nicht ein logisches Produkt sein, daß die Quantität No. 1 vorhanden ist, und die Quantität No. 2 etc. bis 5; denn wie würden sich diese voneinander unterscheiden?«41 Das heißt, dass ein Satz mit einer bestimmten Gradangabe, z.B. fünf Einheiten, nicht auf diese Weise zerlegt werden kann und demnach auch keine vollständige Beschreibung durch einen ergänzenden Satz »dass das das ganze rot ist«42 möglich ist, wie etwa im Fall des Inhalts einer Hosentasche. Denn eine Addition bestimmter Quantitäten mittels des logischen »und« ist ausgeschlossen.43 Analoges gilt natürlich für die Zwischenfarben, da die Annahme einer internen Beziehung zwischen 39
40
41
42 43
Und ergänzend bemerkt Wittgenstein: »Auch eine Auffassung, die sich eines Produktes aRx · xRy · yRb bedient, genügt nicht, denn ich muß die Dinge x, y etc. unterscheiden können, sonst ergeben sie keine Distanzen.« (PB, S. 105) Um zusätzliche Verwirrungen zu vermeiden, sprach Wittgenstein in der Folge von Zwischen- statt von Mischfarben. PB, S. 105. Zur weiteren Illustration des Quantitätsproblems siehe auch PB, S. 275. Ebd. Vgl. ebd.
3. Das problematische Schema der Ingredienzien
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Farbstrukturen als elementar bedingt, dass etwa die Zuschreibung einer Farbkombination »Dies ist blaurot« nicht als logisches Produkt von »Dies ist rot« und »Dies ist blau« aufgefasst werden kann.44 Aus der Erkenntnis, dass es sich bei Gradangaben nicht um additive Verknüpfungen von Quantitäten handelt, folgt, dass sich solche Bestimmungen nicht weiter analysieren lassen. Dennoch besteht zwischen Zuschreibungen gleicher Art ein interner Zusammenhang und diese Abhängigkeit erfordert eine neue Konzeption der Elementarsätze bezüglich ihrer Analysierbarkeit. Zunächst hält Wittgenstein daran fest, dass Elementarsätze einander nicht widersprechen, räumt allerdings ein, dass sie einander ausschließen und zwar aus einem Grund, der schon in der Logischphilosophischen Abhandlung zu finden ist. Die dort entwickelte Abbildtheorie, der entsprechend jeder Elementarsatz einen möglichen Sachverhalt abbildet und dem dadurch, dass er einen solchen denkbaren Sachverhalt ausdrückt, sein Sinn gegeben ist, impliziert, dass die Menge der sinnvollen Sätze jener der möglichen Tatbestände entspricht. Das heißt, jeder in einem Elementarsatz behauptete Sachverhalt ist ein denkbarer und daher ist der Sinn der sie zum Ausdruck bringenden Sätze auch unabhängig von ihrer Wahr- oder Falschheit. Diesen Spielraum möglicher Tatbestände nennt Wittgenstein auch die »logische Mannigfaltigkeit«, und der Extension dieser Mannigfaltigkeit auf der Sachverhaltsebene muss die Anzahl sinnvoller Sätze entsprechen. Im Tractatus 4.04 heißt es daher auch: »Am Satz muß gerade soviel zu unterscheiden sein als an der Sachlage, die er darstellt. Die beiden müssen die gleiche logische (mathematische) Mannigfaltigkeit besitzen.« Dieses Argument der Mannigfaltigkeit dient nun auch dem Gedanken der Unvereinbarkeit von Elementarsätzen: Zwar ließe sich das logische Produkt zweier Sätze g und r schreiben als »(w w w), (w f f), (f w f) und (f f f)45«. Bestimmen jene beiden Sätze aber zwei verschiedene Farben eines Punktes zu einem Zeitpunkt, muss die Möglichkeit (w w w) entfallen, da nicht beide Konjunktionsglieder zugleich wahr sein können. Die Subjunktion g~r mit den Belegungen (w w f), (w f w), (f w w) und (f f w) wird dann durch den Wegfall der Kombination (w w f) zur Tautologie. 44 45
Vgl. ebd. u. PB, S. 108. Die beiden ersten Werte sind dabei die der jeweiligen Faktoren und der letzte ihr logisches Produkt.
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Die wandelnde Bedeutung der Elementarsätze
In Mauskriptband MS 106 fragt Wittgenstein: »Wie soll es symbolisiert werden, daß zwei Argumente einer Funktion einander ausschließen? Hier scheint etwas im Symbolismus für ,und‘ zu fehlen. [...] Man kann aber auch so sagen: Wenn ich das Produkt zweier Sätze bilden kann, so können sie nicht die Sinne haben ,a ist rot‘ und ,a ist grün‘.«46 Und an einer ganz analogen Stelle der Philosophischen Bemerkungen heißt es: Der Satz f(g) · f(r) ist nicht Unsinn, weil ja nicht alle Wahrheitsmöglichkeiten wegfallen, wenn sie auch alle abgewiesen werden. Man kann aber sagen, daß hier das »·« eine andere Bedeutung hat, denn im allgemeinen bedeutet »x · y« (WFFF), dagegen hier (FFF). Und Analoges gilt für »x · v · y« etc.47
Greifen wir nochmals den Aspekt der logischen Mannigfaltigkeit auf: In Some Remarks on Logical Form argumentiert Wittgenstein, dass Gradzuschreibungen von Eigenschaften nicht weiter analysierbar sind, dass die Relation unterschiedlicher Grade gleicher Art interner Natur ist und durch eine ebensolche zwischen entsprechenden Aussagen über graduelle Bestimmungen ausgedrückt wird. Diese Annahme impliziert, dass die »atomic propositions«, wie Wittgenstein sie hier nennt, dieselbe Mannigfaltigkeit besitzen wie die jeweiligen Grade, welche sie zuschreiben. Diese numerische Charakteristik bewirkt, dass Zahlen in die Form der Elementarsätze eingehen und sich folglich durch die Unmöglichkeit einer doppelten quantitativen Bestimmung gegenseitig ausschließen. Denn: »Eine Koordinate der Wirklichkeit darf nur einmal bestimmt werden.«48 Eine entsprechende Syntax oder ein alternatives System muss dabei die Möglichkeit verbieten, dass eine Beschreibung einen Punkt des Koordinatensystems zwei- oder mehrmals bestimmt.49 Die im Tractatus entwickelte Syntax der logischen Konstanten erfüllte dieses Erfordernis offensichtlich nicht. Ein logisches Produkt, wie beispielsweise »Dies ist rot und dies ist grün« wäre nach der früheren Auffassung Wittgensteins noch als widersprüchlich zu bezeichnen, fasst man Rot als die Farbe auf, welche 46 47 48 49
Wiener Ausgabe Band 1, S. 58. PB, S. 107. PB, S. 111. Zur Anwendung des Koordinatensystems auf die Darstellung von Farben vgl. auch PB, S. 79 oder WWK, S. 76 f.
3. Das problematische Schema der Ingredienzien
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alle Grade von Rot und keine von Grün enthält und vice versa. Das Schema der Ingredienzien hat sich allerdings als unpassend erwiesen, denn Gradangaben können mittels Analyse nicht eliminiert werden, da sie in die Form der Elementarsätze als wesentliche Bestandteile eingehen. Anders ausgedrückt, beschreiben bereits die jeweiligen Faktoren des Produkts den Ort vollständig, das heißt, eine Funktion f( ) kann als Argument auch nur einen Gegenstand zulassen. Dies bedeutet wiederum, dass solche Arten von Funktionen nur für jeweils ein Argument eine wahre Aussage ergeben. Eine Notation, welche eine Konjunktion der obigen Art erlaubt, entspricht dann nicht einem angemessenen Bild der Realität. Die Wahrheitswertbesetzung (w w w) einer Konjunktion »p · q«, die eine in der Wirklichkeit unmögliche Kombination behauptet, muss demnach aus dem Symbolismus entfallen. Handelt es sich nicht um ein gegenseitiges Ausschließen, sondern, wie früher angenommen, um eine Kontradiktion, würde die formale Bestimmung (w w f) im Symbolismus gemäß der logischen Mannigfaltigkeit nicht den tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten entsprechen. Da die bisher zugrundegelegte Notation eine solche unsinnige Konjunktion von Sätzen, die Gradangaben gleicher Art behaupten, ermöglicht, bedarf sie einer Modifikation bzw. Erweiterung syntaktischer Regeln, welche solch eine Kombination ausschließen. Auch in den Anfangsvorlesungen des Jahres 1930 thematisiert Wittgenstein die Idee der Mannigfaltigkeit im Zusammenhang von Sprache und Realität. Die Mannigfaltigkeit der Sprache wird durch die Grammatik gegeben. Sie bestimmt ihren möglichen Spielraum. Und die interne Beziehung zwischen Satz und Wirklichkeit garantiert dabei dieselbe logische Mannigfaltigkeit: »A proposition must have the same multiplicity as the fact which it expresses: it must have the same degree of freedom. We must be able to do as much with language as can happen in fact. Grammar lets us do some things with language and not others; it fixes the degree of freedom.«50 Im Zuge der Revision fundamentaler Ansichten des Tractatus hinsichtlich des dort entwickelten Formalismus tritt nun also der Begriff der Grammatik, welcher die Erweiterung der rein logischen Syntax mitumfasst bzw. erst durch die Einbeziehung weiterer syntaktischer Regeln in seiner Bedeutung bestimmt ist, immer weiter in den Vor50
Wittgenstein, Ludwig: Wittgenstein’s Lectures Cambridge 1930–1932, hrsg. von Desmond Lee, Totowa NJ 1980, S. 8.
116
Die wandelnde Bedeutung der Elementarsätze
dergrund. Diese neu entwickelte Vorstellung von Grammatik berücksichtigt auch den Bereich der sogenannten Phänomene. Die Regeln zum Gebrauch von Phänomenbegriffen wie Farbwörtern lassen sich dabei klar abgrenzen von nicht-phänomenologischen, wie beispielsweise logischen Konstanten: »Es würde, z.B., aus den Regeln hervorgehen, daß diese letzteren Wörter in jedem Satz anzuwenden seien (nicht aber die Farbwörter). Und dieses ,jedem‘ hätte nicht den Charakter einer erfahrungsmäßigen Allgemeinheit; sondern der inappellablen Allgemeinheit einer obersten Spielregel.«51
4. Die neue Elementarsatzkonzeption Die Anfang 1929 neu entwickelten Ansätze erforderten offensichtlich eine Revision oder gar Aufgabe zentraler im Tractatus postulierter Kennzeichen der Wittgenstein’schen Elementarsatzkonzeption, etwa hinsichtlich ihrer logischen Unabhängigkeit und dadurch implizierter Ansichten über mögliches Schließen. Der Begriff der Möglichkeit, der schon in der Logisch-philosophischen Abhandlung im Zusammenhang mit der Sinnhaftigkeit von Sätzen in ihrer abbildenden Beziehung zu denkbaren Sachverhalten eine zentrale Rolle einnahm, kann auch in den Neuansätzen nach 1929 als fundamental angesehen werden. Allerdings schien das Kriterium der Possibilität im Tractatus anders bestimmt. Hier fand sie ihren Ausdruck in den Wahrheitsfunktionen, und die logische Möglichkeit von Beschreibungen war gänzlich unabhängig von dem in Sätzen behaupteten Inhalt. Die in Some Remarks on Logical Form vorgestellte neue These der Darstellung elementarer Farbbeziehungen durch Zahlen zeigte nun offensichtlich, dass es sich bei diesen numerischen Relationen nicht um logische handelt. Der wahrheitsfunktionale Kalkül umfasst somit offensichtlich nicht die gesamte Grammatik der Operatoren »und« und »nicht«. Rhees bemerkt völlig zu Recht: »The error of the Tractatus was in the grammar of ‘and’« and ‘not’«. Dadurch tritt in der Folge auch die Frage in den Hintergrund, ob es sich bei singulären Farbzuschreibungen um elementare oder komplexe Sätze handelt, da ihre Lösung nicht zum Problem des im Tractatus entwickelten, mangelhaf51
PG, S. 215; »diese letzteren Wörter« bezieht sich auf Ausdrücke wie »nicht«, »oder« etc.
4. Die neue Elementarsatzkonzeption
117
ten Symbolismus beiträgt. Wittgensteins für kurze Zeit geforderte »logical analysis of actual phenomena«, welche er im Vortrag über logische Formen auch noch als »ultimate« bezeichnete, entsprach nicht mehr der Analyse im Rahmen des wahrheitsfunktionalen Kalküls. Wie wir nun bereits aus einer Bemerkung von Rhees wissen, finden sich zwar im Tractatus explizit keine Beispiele für Sätze, die ihren Sinn unmittelbar zeigen, außer möglicherweise der in 4.123 formulierte, dass zwei Blautöne in der internen Relation von heller und dunkler zueinander stehen52, ein Satz, so Rhees, »which he [Wittgenstein] would have later called a proposition in the phenomenological language, and which is really grammatical.« Diese Stelle verdeutlicht offensichtlich sehr klar die Verbindung der Wittgenstein’schen Konzeption von Elementarsatz, Satz einer phänomenologischen Sprache und Regel der Grammatik. Und im Manuskriptband MS 106 räumt Wittgenstein ein: »Wenn etwas in meinen Fundamenten falsch ist, so könnte es nur so sein daß es Elementarsätze wesentlich überhaupt nicht gibt + daß die Analyse ein System von ins Unendliche zerlegbaren Sätzen ergibt. Genügt dieses System nicht der Forderung der Analyse welche ich stelle?«53 Durch die Entwicklung einer phänomenologischen Sprache und ihrer Verbindung zu Hypothesen verliert, wie wir bereits gesehen haben, der Elementarsatz seine ursprüngliche Bedeutung. Dies steht natürlich auch in enger Verbindung mit der in der Folgezeit ausgearbeiteten Vorstellung unterschiedlicher Grammatiken von Wahrnehmungsfeldern und verschiedenen Teilen des Gesichtsfeldes oder Farben. Die Kombinationsmöglichkeiten von Aussagen in diesen Bereichen sind nicht mehr mittels der vollständigen Analyse im Sinne des Tractatus bestimmt: »The phenomenological account of colours – the representation of the grammar of colours, for instance – may be something like a complete analysis of colour propositions. But it is not the sort of thing you have in a truth functional calculus.«54 Wittgensteins Beispiele seiner nun erweiterten Elementarsatzkonzeption »Dieser Ort ist jetzt rot«, »Dieser Kreis ist jetzt rot« oder 52
53 54
Siehe TLP 4.123: »[…] (Diese blaue Farbe und jene stehen in der internen Relation von heller und dunkler eo ipso. Es ist undenkbar, daß diese beiden Gegenstände nicht in dieser Relation stünden.)« Wiener Ausgabe Band 1, S. 50. Rhees, unpublished papers.
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Die wandelnde Bedeutung der Elementarsätze
»Hier steht eine rote Rose« bilden nun offensichtlich nicht mehr das Resultat einer logischen Analyse innerhalb des wahrheitsfunktionalen Kalküls, obgleich sie keine weiteren Wahrheitsfunktionen anderer Sätze sind oder selbst weitere solche Funktionen mehr enthalten. Betrachten wir nun nochmals kurz die Probleme der ursprünglichen Elementarsatzauffassung im Zusammenhang mit logischen Konstanten. Wittgenstein selbst räumt ein: »Der Begriff des ,Elementarsatzes‘ verliert jetzt überhaupt seine frühere Bedeutung. Die Regeln über ,und‘, ,oder‘, ,nicht‘ etc., die ich durch die W-F-Notation dargestellt habe, sind ein Teil der Grammatik über diese Wörter, aber nicht die ganze.«55 Da der Möglichkeitsspielraum in der Philosophie des Tractatus eben gerade durch die logischen Konstanten bestimmt wurde, bedurfte diese Auffassung einer Revision. Und diese stand auch in enger Beziehung zur in der Folge sinkenden Bedeutung des wahrheitsfunktionalen Kalküls und der Relevanz der logischen Analyse. So schreibt etwa noch Moore in seinen Vorlesungsaufzeichnungen 1930–33: He said […] that it was with regard to ‘elementary’ propositions and their connections with truth-functions or ‘molecular’ propositions that he had had to change his opinions most. […] His present view [1932] was that it was senseless to talk of a ‘final’ analysis, and he said that he would now treat as atomic all propositions in the expression of which neither ‘and’, ‘or’, nor ‘not’ occurred, nor any expression of generality.56
Die Grundannahme der Elementarsätze als Wahrheitsargumente des Satzes bzw. als Wahrheitsfunktionen ihrer selbst konnte zunächst jedoch weiterhin aufrechterhalten werden. In einem Gespräch mit Schlick vom 02. Januar 193057 betont Wittgenstein, dass er weiterhin an der Annahme festhalten möchte, durch logische Analyse zu Elementarsätzen zu gelangen, welche einer unmittelbaren Verbindung von Gegenständen entsprechen. Diese unmittelbare Verknüpfung be55
56
57
PB, S. 111. In der ursprünglichen Formulierung zu dieser Stelle vom 01. 01. 1930 (MS 108, S. 52) heißt es sogar: »Der Begriff »Elementarsatz« verliert jetzt überhaupt seine ganze Bedeutung.« (Das Wort »ganze« wurde von Wittgenstein in dieser Fassung durchgestrichen.) Moore, Georg Edward: »Wittgenstein’s Lectures in 1930–33«, in: Wittgenstein, Ludwig: Philosophical Occasions 1912–1951, hrsg. von James C. Klagge und Alfred Nordmann, Indianapolis IN [u.a.] 1993, S. 88. Vgl. WWK, S. 73 f.
4. Die neue Elementarsatzkonzeption
119
darf keiner Verwendung logischer Konstanten.58 Auch noch im Kapitel »Elementarsatz« des Big Typescript, vermutlich aus dem Jahr 1932, heißt es, man könne einen Satz Elementarsatz nennen, wenn er keine Wahrheitsfunktion anderer Sätze ist, oder durch einen Ausdruck definiert ist, welcher weitere Wahrheitsargumente enthält.59 Die Bedeutung dieser Bestimmung verliert jedoch entscheidend an Gewicht, da sie in engem Zusammenhang steht mit der Auffassung über die logische Analyse, die Wittgenstein ab 1929 einer starken Kritik unterzieht: Zwar kann man an der Bestimmung eines Elementarsatzes als Wahrheitsfunktion seiner selbst festhalten. Soll seine Identifizierung allerdings mittels logischer Analyse vollzogen werden, setzt dies ein klares Verständnis einer solchen Analyse voraus. Wittgensteins ursprüngliche Bestimmung von »Analyse« als die einzige und vollständige60 lieferte diese Klarheit allerdings nicht. Bereits im Juni 1915 räumt er ein, dass er sich trotz seiner Überzeugung über die Möglichkeit einer solchen Analyse außerstande sieht, sie vollständig durchzuführen. Sein in den Bemerkungen zum Elementarsatz Anfang der dreißiger Jahre formuliertes Eingeständnis einer irreführenden Vorstellung dieser Analyse61 ist also durchaus nicht als eine neue Einsicht aufzufassen. Die Unklarheit hing natürlich auch mit der Annahme zusammen, in einem Satz sei ein logisches Produkt enthalten. Zwar wäre ein Kalkül denkbar, welcher Sätze in ihre Bestandteile zerlegt, allerdings wäre diese Identifizierung eines möglichen logischen Produkts ein rein mathematisches Problem, das heißt, die Aufdeckung einer solchen Verknüpfung entspräche etwa der Bestimmung eines Quotienten mittels Division. Die maßgeblich durch die Farbenausschlussproblematik revidierte Elementarsatzkonzeption ist nun allerdings nicht mehr vollständig mittels wahrheitsfunktionalen Kalküls bestimmbar, obgleich sie immer noch in Zusammenhang mit ihm stand. Und die ursprüngliche Betrachtung der logischen Analyse ori58 59
60
61
Vgl. etwa TLP 4.0312. Auch in einem Manuskriptband wahrscheinlich aus dem Jahr 1936 ist dieser Gedanke noch zu finden. Vgl. PG Teil I Anhang 4, S. 211. Vgl. TLP 3.25. Vgl. auch ebd. 3.201 u. Tagebucheintragungen vom 16. 06, 17. 06. und 03. 09. 1914. »[...] ich dachte, die logische Analyse müsse verborgene Dinge an den Tag bringen (wie es die chemische und physikalische tut).« (PG, S. 210). Vgl. Auch Big Typescript, S. 100 f.
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Die wandelnde Bedeutung der Elementarsätze
entierte sich fälschlicherweise an der Bedeutung von Grundgesetzen in der Mechanik, aus denen sich das ganze Satzsystem entwickeln ließe. Das heißt, der irrtümliche Anspruch an die logische Analyse lag in der Vorstellung begründet, eine Theorie von Elementarsätzen zu konstruieren analog den Prinzipien der Mechanik.62 Die Unlösbarkeit des Farbeninkompatibilitätsproblems mittels des Formalismus der Logisch-Philosophischen Abhandlung erforderte nun auch eine Revision des Verhältnisses zwischen atomaren Sätzen: In Manuskriptband 106 heißt es noch: » [...] wenn die Bedeutung von , · ‘ gewahrt bleibt, so hindert das den Eintritt dieser beiden Sätze63 als Argument. Entweder das ,und‘ oder die Sätze!«64 Offensichtlich entschied sich Wittgenstein für eine Bedeutungsrevision des Konjunktors, da er erkannte, dass die Regeln der logischen Konstanten im Tractatus nicht vollständig erfasst waren, insofern sie die elementaren Teile der Sätze nicht einschlossen. Die nun postulierte elementare Verwandtschaft zwischen Farbaussagen verdeutlichte die Möglichkeit einer logischen Konstruktion von Sätzen außerhalb des wahrheitsfunktionalen Zusammenhangs. Und dies hing natürlich mit der Einsicht zusammen, dass sich das Postulat der Unabhängigkeit von Elementarsätzen nicht mehr aufrecht erhalten ließ und dass somit aus dem Vorhandensein eines durch einen Elementarsatz zum Ausdruck gebrachten Sachverhalts Folgerungen auf das Nichtbestehen anderer Tatbestände möglich wurden.65 Um es mit Wittgensteins eigenen Worten am Beispiel einer der uns bekannten Sätze zweier Farbzuschreibungen eines Fleckes zu formulieren: Ich hatte Regeln für den syntaktischen Gebrauch von logischen Konstanten aufgestellt, zum Beispiel »p · q«, und hatte nicht daran gedacht, daß diese Regeln etwas zu tun haben könnten mit der inneren Struktur der Sätze. Falsch war an meiner Auffassung, daß ich glaubte, daß sich die Syntax der logischen Konstanten aufstellen lasse, ohne auf den inneren Zusammenhang der Sätze zu achten. So verhält es sich nicht. Ich kann z.B. nicht sagen: an ein und demselben Punkt ist rot und blau zugleich. 62 63 64 65
Vgl. PG, S. 210. Gemeint sind Sätze der Art »Dies ist rot« und »Dies ist grün«. MS 106, S. 87 f. (Wiener Ausgabe Band 1, S. 58) Vgl. hierzu auch die früheren Bemerkungen zur Idee des Anlegens eines Maßstabes bzw. ganzen Satzsystems.
4. Die neue Elementarsatzkonzeption
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Hier ist das logische Produkt unvollziehbar. Die Regeln für die logischen Konstanten bilden vielmehr nur einen Teil einer umfassenden Syntax, von der ich damals noch nichts wußte.66
Diese Bemerkungen deuten also bereits auf den neuen Lösungsversuch des Farbenausschlussproblems hin. Regeln dieser neuen, erweiterten Syntax sollen unsinnige Satzverknüpfungen wie etwa die der mehrfachen Bestimmung einer Koordinate derselben Art verhindern. Der Regelkatalog bezieht sich dabei auf den Gebrauch der jeweiligen Begriffe und nicht etwa auf empirische Tatbestände bzw. deren Unmöglichkeit. So heißt es etwa an einer Stelle der Philosophischen Bemerkungen: »,Rot und grün gehen nicht zusammen an denselben Ort‘, heißt nicht, sie sind tatsächlich nie beisammen, sondern man kann es auch nicht einmal sagen, daß sie beisammen sind, also auch nicht, daß sie nie beisammen sind.«67 Im Gegensatz zum Tractatus liegt hier nicht mehr eine Kontradiktion, sondern vielmehr ein unsinniger Satz vor. Denn bei Ausdrücken wie »Ein Fleck kann zu einem Zeitpunkt t0 nur eine Farbe haben« handelt es sich nun um grammatische Bestimmungen zu Farbbegriffen. Seine Verneinung ist daher kein Widerspruch, sondern widerspricht vielmehr einer Regel dieser Grammatik.68 Rhees bemerkt in diesem Zusammenhang vortrefflich: The final paragraph – the paranthesis – of 6.3751 does imply that the proposition that a point has a given colour is not an elementary proposition. But this is meant to show how »This point is both pure red and pure blue« can be a contradiction. In fact, of course, if we deny the proposition »Two colours cannot occupy the same point in visual space« we are not asserting a contradiction. But what we are asserting contradicts a rule of our grammar. It makes no sense to say »it is both red and green«. But this is not something we know because of an insight into the structure of red and green (or the analysis of »This is red« and of »This is green«) unless we understand by »structure« just its grammar – not something to be brought out by analysis. The sense in which numbers exclude one another. The sense in which colours exclude other colours. The kind of »calculation«
66 67 68
WWK, S. 74. PB, S. 107. Vgl. BT, S. 477.
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Die wandelnde Bedeutung der Elementarsätze
there is in the grammar of colours. The kind of metric there is here – not expressible in numbers.69
Da der Symbolismus des Tractatus das Farbeninkompatibilitätsproblem also nicht zu lösen vermochte, soll nun die Erweiterung um zusätzliche syntaktische Regeln unsinnige Satzverbindungen wie etwa die mehrfache Bestimmung ein und derselben Koordinate verhindern. Mögliche Formulierungen solcher Richtlinien wären etwa: »Zwei Farben können nicht zugleich in einem Punkt sein«, »In einem Ort hat zu einer Zeit nur eine Farbe Platz«, »Es gibt kein rötliches Grün« etc. Diese Regeln erklären nun offensichtlich, warum es sich bei Sätzen wie »A ist rot und a ist grün« um eine unsinnige Satzverknüpfung handelt: Zwar entspricht eine Konjunktion wie »f(a) · f(b)« nicht der Form des Widerspruchs »p · ~p«, sie widerspricht aber der neu eingeführten Regel, dass ein Punkt zu einem Zeitpunkt nur eine Farbe haben kann. So schreibt Wittgenstein: Die Entscheidung darüber, ob »fa & fb« Unsinn ist, wie »a & f«, könnte man so fällen: Ist p & non (fa & fb) = p, oder ist die linke Seite dieser Gleichung (und also die Gleichung) Unsinn? – Kann ich nicht entscheiden, wie ich will? Kann ich die Regel, die dem allem zu Grunde liegt, so schreiben: fa = (fa & non(fb))? d.i. aus fa folgt non-fb.70
In dieser Bemerkung wird allerdings auf ein Problem hingewiesen, das zwar auf Grund seiner Komplexität einer eigenen Studie bedürfte, an dieser Stelle jedoch zumindest angesprochen werden sollte: Natürlich erscheint es auf den ersten Blick höchst verwunderlich, dass eine einfache Erweiterung oder Modifizierung eines jeweiligen Regelkatalogs ein so grundlegendes Problem wie das der Farbenunvereinbarkeit lösen könnte. Denn alleine hinsichtlich der Grundschwierigkeit der hier diskutierten Fragestellung wirkt diese Art von Lösungsansatz gleichsam trivial. Zudem drängt sich natürlich neben vielen anderen auch die Grundsatzfrage auf, um welche Art von Problem es sich bei der Farbeninkompatibilität überhaupt handelt und somit auch, welche Art von Untersuchung anzustreben ist. Zu den folgenden Erörterungen sei als Vorbemerkung erlaubt, dass die mit den hier diskutierten Punk69 70
Rhees, unpublished papers. BT, S. 474.
4. Die neue Elementarsatzkonzeption
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ten verbundene und nun zu behandelnde Relation zwischen Erfahrung und Begrifflichkeit bzw. Grammatik, zwischen Willkür und Notwendigkeit selbstverständlich nur angedeutet werden kann. Aber vielleicht dienen die Interpretationsansätze zumindest dazu, die innere Verknüpfung zahlreicher fundamentaler Probleme in Wittgensteins Auseinandersetzung mit der Farbenthematik sichtbar zu machen und Hinweise zu liefern, in welcher Weise fortzufahren sein könnte.
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KAPITEL IV REGEL UND NOTWENDIGER SATZ. G. E. MOORE ÜBER WITTGENSTEINS AUFFASSUNG VON »NECESSARY PROPOSITIONS«1
1. Notwendige versus empirische Sätze und die Frage nach dem Sinn Die anschließenden Untersuchungen sollen insbesondere dazu dienen, den im vorangegangenen Kapitel eingeführten Regelbegriff etwas genauer zu bestimmen und das heißt vor allem, ihn von Sätzen, welche Tatbestände behaupten, genauer zu differenzieren. Dabei werden allerdings auch die mit dem Versuch einer Unterscheidung zusammenhängenden Probleme, so etwa das einer scharfen Grenzziehung oder das der Mehrdeutigkeit von Aussagen sichtbar. Nach Moore unterscheidet Wittgenstein grundsätzlich zwei Arten von Sätzen, die sogenannten »experiential propositions«2 und die traditionell bezeichneten »necessary propositions«. Als Beispiel dieser notwendigen Sätze nennt Wittgenstein mathematische. Es sei allerdings bereits hier angemerkt, dass er selbst diese Sätze nicht als notwendig verstanden wissen wollte, das heißt, die im Folgenden verwendete Terminologie »notwendig« bzw. »necessary« entspricht lediglich der traditionellen Bezeichnung jenes Satztyps und nicht, wie es noch zu zeigen gilt, der Wittgenstein’schen Auffassung. Gelegentlich sprach er sogar davon, dass sie gar keine Sätze seien. Bezeichnenderweise ist ihr Gegenteil »unimaginable«, »unthinkable«, »impossible«. 1
2
Moores Diskussion liegen seine Vorlesungsaufzeichnungen 1930–33 zugrunde (G. E. Moore: Wittgenstein’s Lectures in 1930–33, in Klagge, ebd., S. 46–114). Die folgenden Untersuchungen beschränken sich auf seine Bemerkungen zu den sogenannten »necessary propositions« (ebd., S. 60–87). Eine weitere Teilung der empirischen Sätze in »eigentliche« Sätze der Art »Dort scheint ein Mann zu sein« und Hypothesen wie »Dort ist ein Mann« (vgl. ebd., S. 55) hing möglicherweise noch mit Wittgensteins Unterscheidung in primäre und hypothetische Sätze zusammen.
126
Regel und notwendiger Satz
Die sogenannten »notwendigen« Sätze schließen für Wittgenstein entsprechend den Moore’schen Aufzeichnungen neben den Sätzen der reinen Mathematik auch die der deduktiven Logik, bestimmte Aussagen über Farben »and an immense number of others«3 ein. Ausgezeichnet sind sie dadurch, dass sie einen Vergleich mit der Wirklichkeit ausschließen, das heißt, es liegt keine Übereinstimmungs- bzw. Nichtübereinstimmungsrelation mit der Realität vor. Moore rekapituliert zunächst zwei Kriterien: Erstens, notwendige Sätze haben keinen Sachgehalt, sind sinnlos und zweitens stehen sie in einer bestimmten Beziehung zu grammatischen Regeln (und daher erstens). Diese Relation fasst Moore als äußerst unklar auf. Kann sie als eine der Identität aufgefasst werden? Nach Moore vertrat Wittgenstein die Auffassung, dass sie vielmehr als Ausdruck einer grammatischen Regel verwendet werden können: And I think he did in fact hold that the very same expression, which would commonly be said to express necessary propositions, can also be used in such a way that, when so used, they merely express rules of grammar. But I think he must have been aware (though I think he never expressly pointed this out) that, if so, when such expressions are being used merely to express rules of grammar they are being used in a very different way from that in which, on his view, they are being used when they would commonly be said to be expressing necessary propositions.4
Offensichtlich sind alle Sätze, wenn so verwendet, stets sinn- und gehaltlos – Kennzeichen, die den Bestimmungen von Tautologien im Tractatus entsprechen – aber dennoch, so Moore, in einem ganz bestimmten Sinne »wahr«, gänzlich verschieden von jenem, in dem Erfahrungssätze wahr sind. Dieser Sinn wird von Moore allerdings nicht weiter ausgeführt. Möglicherweise hängt der Sinn mit der Wahrheitswertbestimmung von Sätzen zusammen, denn offensichtlich wird die Wahrheit von empirischen Sätzen durch die Erfahrung bestimmt, der formale Charakter jener »sinnlosen« Sätze hingegen zeigt die Wahrbzw. Falschheit solcher Ausdrücke durch ihren internen Zusammenhang. So bemerkt Wittgenstein an einer Stelle: »Den mathematischen Satz kann man sich vorstellen als ein Lebewesen, das selbst weiß, ob 3 4
Ebd., S. 60. Ebd., S. 61.
1. Notwendige versus empirische Sätze
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es wahr oder falsch ist. (Zum Unterschied von den eigentlichen Sätzen.) [...] Der mathematische Satz weiß selbst, daß er wahr oder daß er falsch ist. Wie der Sinn, so muß auch seine Wahrheit oder Falschheit in ihm liegen.«5 Nach Moores Auffassung können Ausdrücke von Deduktionsregeln allerdings nicht ernsthaft als »sinnlos« bestimmt werden, auch wenn sie nicht wahrheitswertfähig sind und Wittgenstein selbst betonte mehrfach »if it is to have any meaning it must be a mere rule of a game«.6 Hier drängt sich nun die Frage nach dem Verständnis des Ausdrucks »Regeln der Grammatik« auf und Moore vermutet zwei verschiedene Bedeutungen hinsichtlich ihrer Wahrheitswertfähigkeit. Drücken sie ein Verbot aus, etwa »You can’t say ‘Two men was working in that field’« oder im Schach »You can’t make that move« sind sie laut Moore sehr wohl wahr oder falsch, wenn etwa eine etablierte Regel des Schachs einen bestimmten Zug verbietet. Die Frage nach dieser etablierten Regel führt uns zu eben jenem anderen Sinn von Regel als Beschreibung möglicher Handlungen und insofern weder wahr noch falsch. Angenommen, ein und derselbe Satz kann sowohl als Ausdruck eines notwendigen Satzes, als auch eines Erfahrungssatzes verwendet werden, dann müssen diese Verwendungsweisen sehr verschieden sein. Moore schreibt: It is perhaps worth noting that the statement that such a rule is an established rule in a given language, (as is implied for English by, e.g., the statement, »You can’t say ‘Two men was working in that field’«) which really is true or false, is of course, an experiential proposition about the way in which words or forms of sentences are actually used in the language in question.7
Analoges gilt natürlich auch für die unterschiedlichen Verwendungsweisen als Ausdruck einer Regel oder eines notwendigen Satzes. Ob diese Auffassung allerdings jener Wittgensteins entspricht, stellt Moore zumindest in Frage und das aus folgendem Grund: Wittgensteins oftmals angesprochenes Kriterium für sinnvolle Sätze als »constructed 5
6 7
PB, S. 143 f. Dieselbe Bemerkung findet sich nochmals in der PG, S. 455, ist dort allerdings in Anführungszeichen gesetzt. Moore, ebd., S. 62. Ebd., S. 63.
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Regel und notwendiger Satz
in accordance with the rules of grammar of the language to which the sentence belongs«8 scheint offensichtlich auch in Sätzen wie »2+2=4« oder »Die Proposition bezüglich zweier Sätze, dass beide nicht falsch sind, folgt logisch daraus, dass beide wahr sind«9, erfüllt, obgleich sie nach Wittgenstein sinnlos sind. Das hieße allerdings, dass sie nicht in Übereinstimmung mit den Regeln der englischen Grammatik gebildet sind, oder aber, dass solche traditionell aufgefassten notwendigen Sätze auch trotz ihrer Übereinstimmung mit den entsprechenden Regeln der Grammatik sinnlos sind und das zum Teil gerade, weil sie in Übereinstimmung mit den gewöhnlichen Regeln verwendet werden: »[...] for he certainly would not have denied that the expression might be used in such a way that it had sense.«10 So vermutet Moore auch, dass Wittgenstein die Ausdrücke »without sense« (und entsprechende Äquivalente wie »meaningless« »nonsense« oder gar »useless«) und »Regeln der Grammatik« in anderer als der gewöhnlichen, allerdings in unklarer Weise verwendet. Denn für Moore scheint z.B. die Behauptung, ein Mann der wisse, dass es entweder regnet oder nicht, eigentlich nichts wisse11, nicht haltbar, sondern lediglich, dass er nichts über die gegenwärtige Wetterlage wisse. Allerdings könne man nur im ersten Fall die Auffassung vertreten, der Satz »entweder es regnet oder es regnet nicht« sei sinnlos. In der gewöhnlichen Verwendungsweise dieses Satzes ist er, laut Moore, allerdings durchaus sinnvoll, denn er lässt sich beispielsweise von einem Satz unterscheiden, welcher behauptet, dass es entweder schneit oder nicht schneit. Die unterschiedliche Bedeutung impliziert dabei natürlich, dass beide überhaupt Bedeutung haben.12 Dieser Einwand Moores scheint mir allerdings kein echter zu sein. Denn Wittgenstein selbst sagt explizit, dass man nichts über das Wetter weiß, wenn man weiß, dass es entweder regnet oder nicht, räumt aber in der unmittelbar darauffolgenden Bemerkung ein, dass Tautologien keines8 9 10 11
12
Ebd. Für Moore zwei Beispiele notwendiger Sätze. Moore, ebd., S. 65. Moore legt hier Wittgensteins Tractatusauffassung zugrunde, dass Tautologie und Kontradiktion etwas zeigen und nichts sagen, in 4.461 verwendet Wittgenstein selbst das Wetterbeispiel. An dieser Stelle sei angemerkt, dass Moore argumentiert, die Sätze hätten Sinn, da sie »meaning« hätten. Diese Auffassung allerdings entspricht nicht der Terminologie des Tractatus, verwendet man sense und meaning synonym.
1. Notwendige versus empirische Sätze
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falls unsinnig seien, sondern einen Teil des Symbolismus bilden, etwa ähnlich der 0 in der Arithmetik. Sinnlos sind sie dadurch, dass sie keine Sachverhalte abbilden und ein Satz sagt nach Wittgenstein nur als logisches Bild einer Sachlage etwas aus13. An einer Stelle geht er sogar soweit zu behaupten, dass selbst in der Tautologie der Elementarsatz noch abbildet: »[...] aber er ist mit der Wirklichkeit so lose verbunden, daß diese unbeschränkte Freiheit hat.«14 Und natürlich ist der im Tractatus entwickelte fundamentale Zusammenhang zwischen Logik und Wirklichkeit als interne Relation wesentlich für die Stellung der Tautologie innerhalb dieses Systems. Die logischen Sätze beschreiben das Gerüst der Welt, oder vielmehr, sie stellen es dar. Sie »handeln« von nichts. Sie setzen voraus, daß Namen Bedeutung, und Elementarsätze Sinn haben: Und dies ist ihre Verbindung mit der Welt. Es ist klar, daß es etwas über die Welt anzeigen muß, daß gewisse Verbindungen von Symbolen – welche wesentlich einen bestimmten Charakter haben – Tautologien sind. Hierin liegt das Entscheidende.15
Die Logik der Welt zeigen die Sätze der Logik eben in diesen Tautologien.16 Wittgensteins Behauptung, dass die Sätze der Logik alle dasselbe, nämlich nichts sagen17, eine Bestimmung, welche Moore als falsch auffasst, hängt offensichtlich mit Wittgensteins fundamentaler Dichotomie von »Sagen« und »Zeigen« und der Rolle von Tautologien und Kontradiktionen im Rahmen dieser Differenzierung zusammen. Insofern kann man sowohl Tautologie als auch Kontradiktion als sinnlos bezeichnen, da sich ihr Unterschied nicht in dem manifestiert, was sie sagen, sondern was sie zeigen. Aber auch innerhalb des Bereichs von Tautologien insistiert Moore darauf, dass in gewöhnlicher Verwendung ein Satz wie »Es regnet und ich habe entweder graues Haar oder nicht« nicht gleich ist dem »Es regnet«, da der Sinn von »Ich 13 14
15 16
17
Vgl. TLP 4.03, TB 03. 10. 1914. TB 12. 11. 1914. In einer Bemerkung vom 03. 05. 1915 betont Wittgenstein, dass man auch nicht behaupten kann, Tautologie und Kontradiktion sagten nichts, insofern sie etwa beide Nullpunkte in der Satzskala wären, da ja beide die jeweils äußeren Grenzen dieses Systems bilden, sich also diametral entgegenstehen. TLP 6.124. Vgl. ebd. 6.22. Zum Verhältnis Logik und Empirie siehe auch die zentralen Bemerkungen 5.552 und 5.5521. Vgl. ebd. 5.43.
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Regel und notwendiger Satz
habe graue Haare oder nicht« sich beispielsweise von dem »Ich bin 1,80 m groß oder nicht« unterscheidet. So ließe sich nach Moore nicht überzeugend behaupten, sie sagten beide nichts und daher dasselbe.18 Die Frage allerdings, worin laut Moore ihr unterschiedlicher Aussagegehalt liegt bzw. was die beiden Sätze überhaupt aussagen, bleibt unbeantwortet und ähnlich unklar wie die von Moore kritisierte Verwendungsweise Wittgensteins. Zudem ist Moores Einwand natürlich kein Tractatusimmanenter, da die darin entwickelte Satzkonzeption sich – wie wir gesehen haben – auf rein formale Betrachtungsweisen beschränkt. Heißt nun die Aussage »Es ist logisch unmöglich, dass p« dasselbe wie »Der Satz ,p‘ hat keinen Sinn«? Wittgensteins verwendetes Beispiel »Doesn’t ‘I can’t feel his toothache’ mean that ‘I feel his toothache’ has no sense?« scheint diese Annahme offensichtlich zu implizieren, denn allgemein formuliert bedeutet »p can’t be the case« im Sinne eines logischen »cannot« dasselbe wie »The sentence ‘p’ has no sense«. Moore nun argumentiert, dass aus dieser Bedeutungsgleichheit und der Sinnlosigkeit des letzten Satzes auch die des ersten, »Es ist logisch unmöglich, dass p« folgt. Der Satz »The sentence ‘p’ has no sense« hat laut Moore jedoch offensichtlich Sinn und kann daher nicht dasselbe meinen wie »It is logically impossible that p«. Nochmals: »‘p’ ist ein sinnvoller Satz« heißt, der in ihm behauptete Sachverhalt p kann bestehen. Wenn ich nun nach dem Sinn eines Satzes frage, frage ich dann, ob es sich um das Bild eines möglichen Sachverhaltes handelt, oder verhält es sich gerade entgegengesetzt, das heißt, um zu wissen, was ein möglicher Sachverhalt ist, muss ich wissen, was Sinn hat? Zumindest ließe sich argumentieren, dass die Möglichkeit bzw. Denkbarkeit einer bestimmten Konfiguration von Gegenständen nach dem Verständnis des Tractatus den Sinn eines Satzes charakterisiert, was nichts anderes meint, als dass der Satz etwas sagt. Inwiefern allerdings der Satz »‘,p‘ ist ein (kein) sinnvoller Satz’ ist ein sinnvoller Satz« etwas über einen (un)denkbaren Sachverhalt aussagt, ist zumindest prima facie nicht einsichtig, da er offensichtlich etwas über den Satz »,p‘ ist ein sinnvoller Satz« aussagt, also etwas über einen Satz.19 Oder aber anders formuliert, welchen denkba18 19
Vgl. Moore, ebd., S. 67. Dass Moore hier den Satz selbst als Tatsache aufgefasst haben will, erscheint an dieser Stelle weniger naheliegend.
2. Grammatische Regel und Willkürlichkeit
131
ren Sachverhalt beschreibt der Satz »,p‘ ist ein sinnvoller Satz«? Oder, worin bestünde der Unterschied zwischen »p« und »,p‘ ist ein sinnvoller Satz«? Moore räumt allerdings ein, dass der Satz »The sentence ‘p’ has no sense« Sinn hat in der gewöhnlichen Verwendung des Sinnbegriffs, die er allerdings nicht weiter expliziert bzw. als klar annimmt.
2. Grammatische Regel und Willkürlichkeit Auch den Begriff der grammatischen Regel verwendet Wittgenstein nach Moore in einem anderen als dem gewöhnlichen Sinn. Bemerkungen in der im sich anschließenden Kapitel diskutierten Single Lecture On Necessary Propositions bestätigen diese Vermutung Moores offensichtlich, obgleich Wittgenstein noch im akademischen Jahr 1930–31 insistierte, den Ausdruck sehr wohl in seinem gewöhnlichen Sinn zu verwenden: We are inclined to say that we can’t imagine or think something, and imply that we could express it correctly if we had the experience. To say that something is »logically impossible« sounds like a proposition. So if we say we can’t think of red and blue together in the same visual space, we have a feeling of trying to do so, as if we were talking about the physical world; we somehow cheat ourselves and think it can be done. Grammatical rules are all of the same kind but it is not the same kind of mistake if a man breaks one as if he breaks another.20
Zur Vermeidung falscher Analogien sollte durch die Verwendung des »can’t« der Ausdruck durch »It has no sense to say« ersetzt werden.21 Auch hier scheint wieder der Vorwurf impliziert, logische bzw. grammatische mit empirischen Bestimmungen – in diesem Fall mit psychologischen – zu verwechseln und dadurch unzulässige Analo20 21
Lectures 1930–1932, S. 97. Ebd. Wittgensteins Behauptung, dass es sich bei allen grammatischen Regeln um dieselbe Art handelt, bezieht sich auf zwei von Moore gewählte Beispielsätze und nach dessen Auffassung Ausdrücke unterschiedlicher grammatischer Regeln. »Three men was working« und »Different colours cannot be in the same place in a visual field at the same time.« Laut Wittgenstein ist die Farbaussage jedoch, wie wir im Farbenauschlusskapitel gezeigt haben, eine über den Gebrauch des Wortes »und«.
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Regel und notwendiger Satz
gien zu bilden. Die Unmöglichkeit einer bestimmten Vorstellung bzw. die Undenkbarkeit eines möglichen Sachverhaltes ist weder durch die eingeschränkte menschliche Vorstellungskraft noch durch eine besondere Wesensbestimmung von irgendwelchen, im vorliegenden Ausdruck bezeichneten Gegenständen bedingt. So bemerkt Wittgenstein etwa an anderer Stelle, dass man geneigt ist, eine Aussage der Art »Ich kann nicht die Schmerzen eines anderen haben« als eine Bemerkung über die Natur des Schmerzes, das heißt, als eine Wesensbestimmung aufzufassen, im Gegensatz etwa zu besonderen Kausalverhältnissen zu anderen Phänomenen. Demnach wäre ein Ausdruck wie »Ich fühle seine Schmerzen« nicht falsch sondern unsinnig aufgrund der Natur des Schmerzes oder einer Person, die den Schmerz empfindet, was allgemein gesagt hieße, dass Aussagen dieser Art Aussagen über das Wesen wären.22 Wittgensteins Ablehnung dieser Auffassung steht dabei in sehr engem Zusammenhang mit der Verbindung zwischen Grammatik und Empirie und der Frage, ob Sätze der Grammatik sich durch die Realität rechtfertigen lassen, ein Punkt, der uns im Rahmen der Diskussion psychologischer Verben nochmals ausführlich beschäftigen wird. Im Folgenden diskutiert Moore die Frage, in welchem Sinn Wittgensteins Regeln der Grammatik willkürlich seien. Diese Auffassung hing offensichtlich damit zusammen, dass sich keine Rechtfertigung einer grammatischen Regel angeben lässt, das heißt, keine Gründe, die Befolgung irgendeiner Regel einer anderen vorzuziehen. Dieser Annahme wiederum entspringt Wittgensteins Bestimmung von Grund (reason) als einer Beschreibung der Wirklichkeit mit Wahrheitswertcharakter. Moore bemerkt: »[…] to complete the argument he had to say something like […] ‘and, if it were false, it would have to be said in a language not using this grammar’, and this I do not clearly understand« und fährt fort: He gave as an illustration of his meaning that it cannot be because of a »quality in reality« that »I use sweet« in such a way that »sweeter« has meaning, but »identical« in such a way that »more identical« has none; giving as a reason »If it were because of a ‘quality’ in reality, it must be possible to say that reality hasn’t got this quality, which grammar for22
Vgl. Wittgenstein, Ludwig: Notes on Lectures for Private Experience and Sense Data [LPE], in: Philosophical Review 77 (1968), S. 277.
2. Grammatische Regel und Willkürlichkeit
133
bids.« And he had said previously »I can’t say what reality would have to be like, in order that what makes nonsense should make sense, because in order to do so I should have to use this new grammar«. 23
Wittgensteins selbst gewähltes Beispiel soll dabei illustrieren, dass die Annahme, die Wortverwendung sei durch eine Qualität der Realität bestimmt, die Möglichkeit impliziere, der Wirklichkeit sinnvoll diese Qualität abzusprechen, was allerdings die Grammatik verhindert. Oder anders formuliert, wäre die Zu- oder Abschreibung einer Eigenschaft der Realität falsch und somit sinnvoll, müsste ihr eine andere Grammatik zu Grunde liegen. Um dieses Argument stärker zu plausibilisieren, vermutet Moore, dass Wittgenstein die Ausdrücke »description of reality« und »quality of reality« in einem restringierten Sinn verwendet, insofern er Sätze, welche etwas über den Gebrauch von Ausdrücken aussagen, nicht als Beschreibungen der Wirklichkeit bzw. einer Qualität der Wirklichkeit auffasst, obgleich es sich offensichtlich um empirische Sätze handelt: »For if he were not, it is obviously perfectly easy to say what reality would have to be like in order that [e.g.] ‘more identical’, which is nonsense should make sense: we can say that if ‘more identical’ were used to mean what we now mean by ‘sweeter’ then it would make sense.«24 Versuchen wir zunächst Wittgensteins Argument näher zu bestimmen. Der Ausdruck »description of reality« soll offensichtlich verstanden werden als eine mögliche Beschreibung der Wirklichkeit, unabhängig von ihrer Wahr- oder Falschheit. Diese Auffassung steht in Zusammenhang mit der eigentümlichen Relation zwischen Grammatik und Realität. Wie bereits erwähnt, muss ein Satz als eine mögliche Beschreibung dieselbe logische Mannigfaltigkeit besitzen wie der darin zum Ausdruck gebrachte Sachverhalt. In diesem Sinne bestimmen die Regeln der Grammatik den sprachlichen Umgang, oder, wie Wittgenstein formuliert, den Freiheitsgrad von Sätzen innerhalb einer Sprache. Im Zusammenhang mit der Beschreibung eines Wortgebrauchs gilt es dabei, auf die Umstände zu achten, in denen ein entsprechender Ausdruck verwendet wird und ebenso, mögliche Regelmäßigkeiten der Verwendungsweisen zu erkennen. Denn normaler-
23 24
Moore, ebd., S. 71. Ebd.
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Regel und notwendiger Satz
weise lernt man die Verwendung eines Wortes nicht unter Zuhilfenahme von etwaigen Regeln.25 Die Bemerkungen 3.315 bis 3.317 der Logisch-Philosophischen Abhandlung behaupten, dass zwar die Bedeutung der Zeichen willkürlich festgelegt wird26, durch diese Festsetzung aber nichts über das Bezeichnete ausgesagt wird. So heißt es in 3.317: Die Festsetzung der Werte der Satzvariablen ist die Angabe der Sätze deren gemeinsames Merkmal die Variable ist. Die Festsetzung wird […] nur von Symbolen, nicht von deren Bedeutung handeln. Und nur dies ist der Festsetzung wesentlich, daß sie nur eine Beschreibung von Symbolen ist und nichts über das Bezeichnete aussagt. Wie die Beschreibung der Sätze geschieht, ist unwesentlich.
Insofern wäre natürlich auch eine willkürliche Bestimmung von »mehr identisch« als synonym zu »süßer« zu verwenden, möglich, allerdings erschiene es eher ungewöhnlich, dies als eine Beschreibung einer Qualität der Wirklichkeit aufzufassen. Und natürlich müssten neben dieser auch weitere Änderungen im Symbolismus vorgenommen werden. Wie bereits angedeutet, will Wittgenstein die Regeln insofern als willkürlich verstanden wissen, dass sie sich nicht durch irgendwelche Gründe im Sinne möglicher Beschreibungen der Realität rechtfertigen lassen. So lautet eine Bemerkung der Philosophischen Bemerkungen: Ich nenne die Regel der Darstellung keine Konvention, die sich durch Sätze rechtfertigen läßt, Sätze, welche das Dargestellte beschreiben und zeigen, daß die Darstellung adäquat ist. Die Konventionen der Grammatik lassen sich nicht durch eine Beschreibung des Dargestellten rechtfertigen. Jede solche Beschreibung setzt schon die Regeln der Grammatik voraus. D.h., was in der zu rechtfertigenden Grammatik als Unsinn gilt, kann in der Grammatik der rechtfertigenden Sätze auch nicht als Sinn gelten, u.u.27
25
26
27
Vgl. hierzu auch Wittgenstein, Ludwig: Über Gewissheit (Werkausgabe Band 8), §§ 44 ff. und 61 ff. Bedeutung ist hier natürlich nicht verstanden als Denotation sondern meint vielmehr die in Übereinkunft festgelegte Bestimmung der Zeichen. PB, S. 55.
3. Arithmetische Sätze und ihre Anwendung
135
Das heißt natürlich auch, dass die Behauptung eines Sprachbenutzers, eine für uns unsinnige Wortverbindung habe für ihn Sinn, impliziert, dass die verwendeten Ausdrücke für ihn eine andere Bedeutung haben.28 Die Bedeutung eines Zeichens ist in der Grammatik dieses Zeichens niedergelegt und das Verstehen eines Ausdrucks äußert sich eben in den Fällen seiner Verwendung. So wäre selbst eine Aussage wie »Ein Ding ist so identisch wie ein anderes« nicht unbedingt unsinnig, wenn der Sprecher zu diesem Zeitpunkt mit dem Ausdruck eine andere Bedeutung verbindet als etwa mit »2+2=4«. Der von Moore angesprochene Punkt fehlender Gründe zur Rechtfertigung der Befolgung bestimmter Regeln im Gegensatz zu anderen, lässt sich alternativ mit Wittgensteins eigenen Worten wie folgt formulieren: Wenn ich sagte: »ob p aus q folgt, muß aus p und q allein hervorgehen«; so müßte es heißen: daß p aus q folgt, ist eine Bestimmung, die den Sinn von p und q bestimmt; nicht etwas, das, von dem Sinn dieser beiden ausgesagt, wahr ist. Daher kann man wohl die Schlußregeln angeben, gibt damit aber Regeln für die Benützung der Schriftzeichen an, die deren Sinn erst bestimmen; was nichts anderes heißt, als daß diese Regeln willkürlich festzusetzen sind; d.h., nicht von der Wirklichkeit abzulesen, wie eine Beschreibung. Denn, wenn ich sage, die Regeln sind willkürlich, so meine ich, sie sind nicht von der Wirklichkeit determiniert, wie die Beschreibung dieser Wirklichkeit. Und das heißt: Es ist Unsinn, von ihnen zu sagen, sie stimmen mit der Wirklichkeit überein; [...] .29
3. Arithmetische Sätze und ihre Anwendung Im Folgenden nun diskutiert Moore Wittgensteins analoges Verständnis von Deduktionsregeln und den Bestimmungen einer Maßeinheit. »3+3=6« als Beispiel einer solchen Ableitungsregel ist demnach eine Regel für einen bestimmten Sprachgebrauch bzw. eine Vorbereitung für eine mögliche Beschreibung, wie etwa die Fixierung einer Maßeinheit die Vorbereitung für künftige Messungen. Moore betont zurecht, dass im Zuge dieses Argumentationsstranges die Behauptung »3+3=6« sei weder wahr noch falsch höchst unverständlich er28 29
Natürlich abgesehen von Situationen der Täuschung, Gedankenlosigkeit etc. PG, S. 246.
136
Regel und notwendiger Satz
scheint.30 Sein Hauptvorwurf gegen Wittgenstein richtet sich dabei gegen dessen Versäumnis, zumindest nie explizit auf die beiden unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten einer solchen Zeichenverbindung hingewiesen zu haben, das heißt, als im üblichen Sinne verstandener notwendiger Satz einerseits und Ausdruck einer möglichen alternativen Zeichenverwendung andererseits, und somit weder wahr noch falsch.31 Moore vermutet sogar, dass Wittgenstein einer solchen Deduktionsregel auch in ihrer Verwendungsweise als notwendiger Satz Wahrheitswertcharakter absprach.32 Zum besseren Verständnis dieser von Moore im Anschluss explizierten, recht eigentümlichen Auffassung Wittgensteins, werden sich einige, über Moores Bemerkungen hinausgehende Überlegungen zum Verständnis grammatischer und hier insbesondere mathematischer Sätze als äußerst hilfreich erweisen. Zunächst gilt es dabei zu zeigen, in welchem Sinn Ausdrücke der Art »3+3=6« in Zusammenhang stehen mit dem Ereignis 3 und nochmals 3 Äpfel in einen Korb zu legen und inwieweit solch ein empirischer Vorgang in Beziehung steht zu dem, 6 Äpfel hinein zu geben. Für Wittgenstein handelt es sich offensichtlich beim Zählvorgang der jeweiligen Dreier-Gruppen von Äpfeln und dem Vorfinden von 6 Äpfeln durch Zählung der Gesamtmenge um drei verschiedene Erfahrungen, da es offenbar denkbar wäre, dass sich nach der Zusammenlegung beider Mengen lediglich 5 Äpfel im Korb befänden. Dies hieße allerdings, dass der Ausdruck »3+3=6« nicht garantiert, dass nach dem dritten Zählvorgang tatsächlich 6 Äpfel vorgefunden werden bzw. ist mit anderen Worten solch ein arithmetischer Ausdruck durchaus vereinbar mit einer im Korb enthaltenen Stückzahl von z.B. 5 Früchten. Allgemeiner ausgedrückt handelt es sich hier lediglich um den empirischen Tatbestand, dass sich unter normalen Umständen eine bestimmte Anzahl von Äpfeln nicht verkleinert oder vergrößert, da ohne offensichtliche Ursache eine Menge von Dingen nicht einfach schwindet oder wächst. Ihr Charakter eines reinen Faktums schließt eine solche Möglichkeit allerdings nicht aus, 30
31
32
Wittgenstein selbst räumt ein, die Aussage, Deduktionsregeln seien weder wahr noch falsch »is apt to give an uncomfortable feeling.« (Moore, ebd., S. 73) Moore spricht von »a possible way of speaking and writing, which might or might not be actually adopted.« (Ebd.) Die im anschließenden Kapitel diskutierte Single Lecture on Necessary Propositions, Ende der dreißiger Jahre, lässt allerdings vermuten, dass zumindest zu diesem Zeitpunkt Wittgenstein jene Auffassung nicht mehr vertrat.
3. Arithmetische Sätze und ihre Anwendung
137
was im Sinne Wittgensteins heißt, dass sie als solche nicht »undenkbar« ist. Stellte sich nun nach Ablauf jener drei Vorgänge heraus, dass sich im Korb nur 5 Äpfel befänden, würde eine Äußerung wie »Einer muss wohl verschwunden sein« laut Wittgenstein nichts anderes bedeuten als: »Wenn die arithmetische Regel ,3+3=6‘ befolgt wurde, so ist nun zu behaupten, dass einer verschwunden sein muss.«33 Interessant an dieser, zugegebenermaßen ungewöhnlichen Situation sind dabei vor allem die ihr zugrundegelegten, von Moore angeführten vier Bedingungen: (1) Die aus der korrekten Zählung hervorgegangene Kenntnis einer Person A, dass sie zwei Gruppen mit jeweils 3 Äpfel abgelegt hat, (2) Das Wissen von A, dass sich zu einem späteren Zeitpunkt lediglich 5 Äpfel im Korb befinden, (3) Die Kenntnis von A, dass durch keinen erkennbaren Vorgang etwas darauf hinwiese, es befänden sich nur noch 5 Früchte im Korb (etwa durch ständiges Beobachten) und (4) Die wohl wesentliche Bedingung, dass A nicht durch irgendeinen von ihr oder einer anderen Person vorgenommenen Zählvorgang über die Kenntnis verfügt, dass sie 6 Äpfel abgelegt hat. Diese Bedingung resultiert offensichtlich aus der Annahme, dass A’s Wissen über die Anzahl der Äpfel ihrer Deduktion des Ausdrucks »3+3« entspringt und nicht einem empirischen Tatbestand, da das Ergebnis eines solchen Vorgangs durchaus dem der Ableitung widersprechen kann. Das heißt, eine durch Zählen ermittelte, von 6 abweichende Gesamtanzahl ist durchaus mit der arithmetischen Regel »3+3=6« vereinbar. Daher bedeutet die Behauptung »I put 6« unter den angeführten Bedingungen lediglich: »I shall be keeping to the rule ‘3+3=6’, if I assert that I put 6, and shall be violating that rule if I make any assertion inconsistent with asserting that I put six«34 und somit nicht dasselbe wie beim Vorfinden von 6 Früchten mittels einer Zählung der Gesamtmenge.
33
34
Moores anschließende Diskussion der Annahme, die Wörter »One must have vanished« only mean »If you keep to the arithmetical rule ‘3+3=6’, you have to say so« (ebd., S. 75) kann hier vernachlässigt werden, da sie an späterer Stelle zur Untersuchung der Bedeutung des Ausdrucks »I put six« in den zentralen Punkten ganz analog geführt wird. Ebd., S. 77.
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Regel und notwendiger Satz
Moores anschließende Kritik an Wittgensteins Auffassung des »only mean« scheint allerdings am hier zugrundeliegenden Gedanken vorbeizugehen, da sie lediglich auf die übliche Verwendung solcher Äußerungen wie »one must have vanished» oder »I put six« abzielt. In bestimmten gewöhnlichen Situationen ist normalerweise natürlich nicht gemeint, dass man sich mit jenen Äußerungen an die arithmetische Regel »3+3=6« gehalten hätte. Dies würde auch niemand ernsthaft bestreiten. Der hier relevante Punkt ist jedoch vielmehr auf das Verhältnis von Regeln und Erfahrungssätzen hinsichtlich der in ihnen zum Ausdruck gebrachten Ergebnisse gerichtet. In den Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik schreibt Wittgenstein: »,252 = 625‘ kann darum nicht der Erfahrungssatz sein, daß die Menschen so rechnen, weil 252 ≠ 626 dann nicht der Satz wäre, daß die Menschen nicht dieses, sondern ein andres Resultat erhalten; und auch wahr sein könnte, wenn die Menschen überhaupt nicht rechneten.«35 Hierin zeigt sich offensichtlich, dass die Negation eines empirischen Satzes nicht der einer Regel entsprechen kann. Denn behauptet man, die Anerkennung dieser Regel basiere darauf, dass menschliche Rechenvorgänge normalerweise zu obigem Ergebnis führten und man daher statt der Regel auch den empirischen Satz heranziehen könnte, scheint im Sinne Wittgensteins die angemessene Erwiderung hierauf wohl, dass die Negation des Erfahrungssatzes, dass Menschen üblicherweise so rechnen, eben nicht der Verneinung jener Regel entspricht. Das heißt, die Wahrheit der arithmetischen Gleichung wäre auch mit der Negation des empirischen Satzes vereinbar. So ist etwa im Apfelbeispiel das Resultat von 5 Äpfeln nach Zusammenlegung von 3+3 Äpfeln nicht auf einen Verstoß der Regel »3+3=6« zurückzuführen bzw. sogar durchaus mit ihr vereinbar.36 Darüber hinaus wirft jene Stelle aus den BGM offensichtlich auch ein Licht auf die unterschiedliche Bedeutung von Resultaten mathematischer Sätze einerseits und experimenteller Ergebnisse andererseits. Denn offensichtlich bilden die Lösungen arithmetischer Gleichungen gerade das Kriterium dafür, die ihnen zugrundegelegte Regel angewandt zu haben, was in unserem Fall hieße, dass die Lösung »6« das Resultat der Addition »3+3« ist. Ergäbe hingegen der Zählvorgang 35
36
Wittgenstein, Ludwig: Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik (Werkausgabe Band 6) [BGM], S. 332. Vgl. ebd., S. 327.
3. Arithmetische Sätze und ihre Anwendung
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der Gesamtmenge an Früchten lediglich »5«, hieße dies bei entsprechender Anwendung der Regel »3+3=6«, dass eine abhanden gekommen sein muss bzw. wäre die durch Zählen ermittelte Menge »5« kein Kriterium dafür, dass ein Verstoß gegen jene Regel vorliegt. Daher ist die angebliche Voraussage des Ergebnisses von »3+3« durch Befolgung der Additionsregel auch keine echte Voraussage, da der Satz »Wenn du dieser Regel folgst wirst du dieses Ergebnis erzielen« nichts anderes besagt als »Das Ergebnis dieser Rechnung lautet …«, da eben der Begriff des Regelfolgens gerade dadurch bestimmt ist, dass das Ergebnis als Kriterium der Befolgung dient. Mit anderen Worten, ist die Regel kein Erfahrungssatz, dann muss das Resultat als Begründung ihrer Anwendung angenommen werden, denn wäre sie ein solcher – und das hieße, dass ein Experiment als Kriterium der Befolgung diente – dann wäre es denkbar, dass 3+3 von 6 abweicht.37 Somit hat die Behauptung »wenn du 3 Äpfel und nochmals 3 Äpfel in den Korb legst, wirst du 6 Äpfel im Korb vorfinden« den Charakter einer Hypothese, die sich als falsch erweisen könnte, wenn sich nach abschließendem Zählvorgang lediglich 5 Äpfel auffänden. In diesem Sinn berechtigt uns die obige Kalkulation auch nicht zu Vorhersagen über die Gesamtmenge an Äpfeln, sondern nur physikalische Hypothesen, die jedoch nicht dem Bereich von Rechnungen zuzuordnen sind, da diese sich nur auf logische Formen bzw. Strukturen beziehen38. Natürlich, so Wittgenstein, besteht die Rechtfertigung des Satzes »3+3=6« durchaus darin, dass unter normalen Umständen und bei Beherrschen entsprechender arithmetischer Verfahren »6« das Resultat dieser Addition ist, jedoch, so fährt er fort: Der arithmetische Satz aber sagt nicht dies aus. Er ist sozusagen ein zur Regel verhärteter Erfahrungssatz. Er bestimmt, daß der Regel nur dann gefolgt wurde, wenn dies das Resultat des Multiplizierens ist. Er ist also der Kontrolle durch die Erfahrung entzogen, dient aber nun als Paradigma dazu, die Erfahrung zu beurteilen. Wollen wir eine Rechnung praktisch benützen, so überzeugen wir uns davon, daß »richtig gerechnet« wurde, daß das richtige Resultat erhalten wurde. Und das richtige Resultat der Multiplikation, zum Beispiel, darf nur eins sein und hängt nicht davon ab, was die Anwendung der Rechnung ergeben wird. Wir beurteilen also die Fakten mit Hilfe der Rech37 38
Vgl. ebd., S. 317 ff. Vgl. PB, S. 133–135.
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Regel und notwendiger Satz
nung ganz anders als wir es täten, wenn wir das Resultat der Rechnung nicht als etwas ein für allemal bestimmtes ansähen.39
Hier zeigt sich auch ganz klar, warum nach der Zusammenlegung von jeweils zwei Dreier-Gruppen und einer nach abschließendem Zählvorgang vorgefundenen Menge von nur 5, die Behauptung »one must have vanished« nichts anderes bedeutet als »If you keep to the arithmetical rule ‘3+3=6’ you have to say ‘One must have vanished’«,40 da dies als ein Beispiel der Beurteilung von Erfahrung durch einen arithmetischen Satz dient. Das heißt nichts anderes, als dass nicht die Tatsache, die aus einem Experiment resultiert, als Paradigma anderer vergleichbarer Situationen dient, sondern eben der mathematische Satz als eine Regel, die wir befolgen. Und »3+3=6« ist daher keine Erfahrungstatsache, da die Operation eben nur ein Ergebnis zulässt. Denn genau darin liegt die Bedeutung der Regel: »Weil das der Vorgang ist, auf dem wir alles Urteilen aufbauen.«41 Natürlich hängen diese Erwägungen auch in elementarer Weise mit der im Folgenden noch angesprochenen Begründung der Arithmetik und ihrer Anwendung zusammen.42 Denn hierin zeigt sich wieder die uns bereits vertraute Idee, dass die Arithmetik ihre eigene Anwendung ist bzw., dass sich ein Kalkül nur dadurch beschreiben lässt, dass man ihn wiederholt. Und für Wittgenstein ist die Grammatik, welche entsprechende Regeln enthält, eben selbst ein Kalkül und nicht die Anwendung eines solchen auf die Erfahrung. Somit erscheint es auch einleuchtend, dass »3 Äpfel + 3 Äpfel = 6 Äpfel« keine spezielle Gleichung des allgemeineren Ausdrucks »3+3=6« ist, da es mit den Worten Wittgensteins ausgedrückt, keine »Arithmetik der Äpfel« gibt und somit »3 Äpfel + 3 Äpfel = 39 40 41
42
BGM, S. 325. Moore, ebd., S. 74. BGM, S. 330. Und an anderer Stelle heißt es: »Zu sagen: ,diese 200 Äpfel und diese 200 Äpfel geben 400‘ – sagt: Wenn man sie zusammenschüttet, kommt keiner weg noch dazu, sie verhalten sich normal. […] Der Beweis ist unser Vorbild des richtigen Zusammenzählens von 200 Äpfeln und 200 Äpfeln. Das heißt, er bestimmt einen neuen Begriff: ,das Zusammenzählen von 200 und 200 Gegenständen‘. Oder man könnte auch sagen: ,ein neues Kriterium dafür, daß nichts weggekommen oder dazugekommen ist‘. Der Beweis definiert das ,richtige Zusammenzählen‘. Der Beweis ist unser Vorbild eines bestimmten Ergebens, welches als Vergleichsobjekt (Maßstab) für wirkliche Veränderungen dient.« (Ebd., S. 160 f.) Als weiteren Beleg dieser Auffassung vgl. ebd., S. 51 f., 310 f. und 320. Vgl. hierzu insbesondere PG, Teil II, Abschnitt III, § 15.
4. Apropos »Rules treat only of the symbolism«
141
6 Äpfel« nicht von Äpfeln handelt. In diesem Sinne kann man sagen, dass das Wort »Äpfel« bedeutungslos und auch durch andere Ausdrücke, die zählbare Gegenstände benennen, ersetzbar, oder gänzlich eliminierbar ist.43 Nun sollte auch klar geworden sein, warum Wittgenstein auf die Ähnlichkeit der beiden Propositionen verweist »Wenn ich 3+3 in den Korb lege, so lege ich notwendigerweise 6 hinein«, welche er laut Moore für falsch hält und der richtigen, dass wenn ich 3+3 in den Korb gelegt habe, ich, wenn ich behaupte, 6 abgelegt zu haben, lediglich der Regel »3+3=6« gefolgt bin, bedingt durch eine Deduktion mittels Anwendung eben dieser Regel und nicht durch einen Zählvorgang. Es ist genau diese Ähnlichkeit, die dazu verleitet, die obige Notwendigkeitsbehauptung fälschlicherweise für wahr zu halten. So sollten die in den vergangenen Erörterungen Moores angedeuteten Zweifel an dieser Auffassung Wittgensteins bezüglich solcher »necessary propositions« im Zusammenhang des Apfelbeispiels behoben sein.44
4. Apropos »Rules treat only of the symbolism« Nach Moores anschließenden Ausführungen vertrat Wittgenstein zudem die Position, dass ein Ausdruck der Art »3+3=6« in keinem Fall der Arithmetik eine Anwendung findet, selbst nicht in solchen, in denen er zur Formulierung einer im üblichen Sinne bezeichneten Proposition dient, aus der sich aus dem Verteilen von »3+3« notwendigerweise das Verteilen von »6« ableiten ließe. Offensichtlich hängt diese Behauptung Wittgensteins mit seiner Auffassung zusammen, dass die, wie er sie nannte »arithmetischen Regeln« (z.B. »3+3=6«), ausschließlich als Regeln der Grammatik fungieren und insofern auch nur von Symbolen handeln.45 Moores folgende, korrekte Explikation 43
44 45
Vgl. ebd., S. 312 und 308 sowie PB, Abschnitt X. An anderer Stelle heißt es: »Zahlangaben in der Mathematik (z.B. ,die Gleichung x2 = 1 hat 2 Wurzeln‘) sind daher von ganz anderer Art, als die Zahlangaben außerhalb der Mathematik (,auf dem Tisch liegen 2 Äpfel‘)«. (Ebd., S. 348) Vgl. Moore, ebd., S. 79. Moore zitiert Wittgenstein mit den Worten »treat only of the symbolism«. (Ebd., S. 79)
142
Regel und notwendiger Satz
dieser These ließe sich etwa wie folgt formulieren: Behaupte ich 3+3 Äpfel abgelegt zu haben, so behaupte ich in Übereinstimmung bzw. Anwendung der arithmetischen Regel »3+3=6« ebenfalls, auch 6 Äpfel abgelegt zu haben. Demnach folgt aus der Regelbefolgung allerdings weder, dass die Aussage selbst wahr ist, noch aus einem etwaigen Regelbruch ihre Falschheit. Dies hängt wiederum mit der Annahme zusammen, dass die Behauptung des Ablegens von 6 Äpfeln nicht dem Resultat durch Abzählen sondern einer Deduktion aus »3+3« entspringt und es somit vorstellbar wäre, der Zählvorgang ergäbe lediglich 5 Äpfel. Das heißt, eine korrekte Anwendung der Regel im Sinne eines korrekten Sprachgebrauchs hat keinen Einfluss auf die Wahrheitswerte der mittels ihrer Anwendung behaupteten Aussagen. Moores im Folgenden gewähltes Beispiel der richtigen bzw. falschen Verwendung einer Maßeinheit zur Illustration dieses Punktes erscheint allerdings irreführend, da es gerade den zentralen Punkt der Wittgenstein’schen Idee eher verschleiert: Nach Moore folgt bei richtiger Verwendung der Maßeinheit »foot«46 aus einer Behauptung wie »Dieser Stab ist 4 Fuß lang« nicht seine Richtigkeit und analog aus einem falschen Gebrauch eines Längenausdrucks wie »inch« oder »yard« nicht die Falschheit der behaupteten Längenangabe. Moores Beispiel der Verwendung unterschiedlicher Maßangaben und ihrer Bestimmung innerhalb der englischen Sprache und Grammatik scheint zur Veranschaulichung des von Wittgenstein vertretenen Ansatzes allerdings ungeeignet, da dieser den Begriff der grammatischen Regel nicht dem die gewöhnliche Grammatik bestimmenden Regelausdruck gleichsetzt. So lauten etwa seine Anfangsbemerkungen zur im folgenden Abschnitt besprochenen „Single Lecture on Necessary Propositions“: What I call a rule of grammar is not what would be found in grammar books [...] . Ordinary grammar deals with rules about the order of words, gender etc. No one could learn the use of language from such a grammar. It only gives a tiny bit of rules about the use of language. It is chiefly assigned to make you avoid mistakes. If you listen to the English people using language in all sorts of ways you might make up all kinds of rules about the use of English. You could make quite formal rules about the use of the language, the sounds etc. You could also make rules relating to the 46
Im Sinne der Übereinstimmung mit dem englischen Sprachgebrauch.
4. Apropos »Rules treat only of the symbolism«
143
sort of situation in which the sounds were used. Finally you could get what I choose to call »rules of grammar«.
Moores Beispiel erscheint zumindest ungeeignet, die intendierte Unterscheidung zwischen dem Fall einer falschen Behauptung innerhalb eines Regelsystems47 und der Verwendung eines gänzlich anderen Regelverzeichnisses zu verdeutlichen. Diese Differenzierung steht natürlich in engem Zusammenhang mit Wittgensteins nach 1929 entwickelten Idee verschiedener Grammatiken im Gegensatz zur Vorstellung eines einheitlichen Symbolismus und einer einzigen vollständigen Analyse im Sinne der Philosophie des Tractatus. Im Folgenden werden zunächst Moores Erörterungen dieses Zusammenhangs kommentiert und zum Abschluss gebracht. Da die hier angesprochenen Auffassungen Wittgensteins jedoch fundamental und einzigartig sind, wird sich ein weiterer Abschnitt etwas eingehender mit diesen allerdings sehr schwierigen und einen weiten Interpretationsraum eröffnenden Fragestellungen auseinandersetzen. Moore greift zunächst nochmals Wittgensteins eigentümliche Behauptung auf, ein arithmetischer Satz der Art »3+3=6« sei weder wahr noch falsch und argumentiert zu ihrer Verteidigung, dass hier wohl der Wahrheitsbegriff in einem restringierten Sinn verwendet werde, welcher sich lediglich auf die Bestimmungen empirischer Sätze als Beschreibungen unserer Realität bezieht. Selbst die Tatsache, dass unter gewöhnlichen Umständen, das heißt in gewöhnlichem Sinn, ein Satz wie »Es lässt sich nicht zugleich behaupten, 3+3 und bestreiten, 6 abgelegt zu haben« als wahr aufgefasst wird,48 so würde Wittgenstein im hier diskutierten Zusammenhang eine Wahrheitsbehauptung ablehnen, da sich solche Sätze in ihrer Bestimmung als Regeln lediglich auf die Gebräuche sprachlicher Ausdrücke beziehen und in jenem beschränkten Sinn von »wahr« nicht wahrheitswertfähig sind. Mit anderen Worten: Sprachliche Konventionen und Anwendungsbestimmungen werden von Zuschreibungen des Wahrheitsbegriffs ausgeklammert. Zwar ist dieser semantische Bestandteil des Gebrauchs empirischer Natur, was jedoch nicht besagt, dass Regeln in ihrem Status als solche in erfah-
47 48
In diesem Fall die Bestimmungen von Längeneinheiten. Eine Auffassung die Moore auch Wittgenstein zuschreibt.
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Regel und notwendiger Satz
rungsmäßigen Sinn wahr oder falsch sein können.49 Hierin zeigt sich ebenfalls wieder der zentrale Punkt, Regeln nicht als empirische Sätze, das heißt als mögliche Beschreibungen der Wirklichkeit auffassen zu dürfen, da ihre Abgrenzung zu diesen in der unterschiedlichen Bedeutung der Negation liegt. An ihr lässt sich überhaupt die Differenzierung in falsche und unsinnige Sätze verdeutlichen. Im Fall einer inkorrekten Regelanwendung wird ja nicht etwas Falsches behauptet, sondern es ist vielmehr von etwas gänzlich Anderem die Rede bzw. anders ausgedrückt, läge einer mit diesem Bruch einhergehenden Behauptung bereits eine andere Grammatik zugrunde. So ließe sich auch bei einem solchen Verstoß zunächst nicht beurteilen, ob es sich um eine wahre oder falsche Aussage handelt, da die Frage nach der mit einer alternativen Grammatik in Zusammenhang stehenden »Realität« noch gar nicht zu beantworten wäre50. Und es ist gerade diese Unterscheidung, welche unsere Urteile bestimmt, ob jemand etwas Falsches sagt, oder von etwas gänzlich anderem spricht, das heißt, dass seinen Behauptungen eine andere Grammatik zugrunde liegt. So bemerkt Wittgenstein an einer Stelle zum Verständnis mathematischer Sätze: Es ist klar, man kann auch den unbewiesenen mathematischen Satz anwenden; ja auch den falschen. Der mathematische Satz sagt mir dann: Verfahre so! »Wenn uns der Beweis überzeugt, dann müssen wir auch von den Axiomen überzeugt sein.« Nicht als von empirischen Sätzen; das ist ihre Rolle nicht. Sie sind im Sprachspiel von der Verifikation durch die Erfahrung ausgeschlossen. Sind nicht Erfahrungssätze, sondern Prinzipien des Urteilens.51
Die Tatsache allerdings, dass unter normalen Voraussetzungen und Bedingungen »3+3=6« ergibt und dies auch keiner bestreiten würde, kann keine Rechtfertigung eines solchen Ausdrucks sein, da seine Bedeutung nicht in diesem Faktum liegt, das heißt, jene Tatsache nicht das ist, was er besagt. Möglicherweise, aber das sei nur als Vermutung erwähnt, hängt Wittgensteins Beschränkung des Wahrheitsbegriffs auf 49
50
51
Vgl. Haller, Rudolf: »War Wittgenstein ein Neokantianer«, in: Haller, Rudolf: Fragen zu Wittgenstein und Aufsätze zur Österreichischen Philosophie, Amsterdam 1986, S. 161. Wir erinnern uns an Wittgensteins Beispiel der Ausdrücke »sweeter« und »more identical«. BGM, S. 435.
4. Apropos »Rules treat only of the symbolism«
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empirische Sätze zu jener Zeit noch mit dem starken Gewicht zusammen, welches er dem Problem der Verifikation und seiner Methode zuwies, ein Ausdruck, der in den Spätschriften kaum mehr eine Rolle spielt. Seine Bedeutung in den Schriften zwischen 1929 und 1933/3452 stand dabei natürlich mit zentralen Fragen seiner damaligen Untersuchungen in enger Verbindung, so vor allem – wie wir gesehen haben – mit der Möglichkeit einer phänomenologischen Sprache und dem Verhältnis primärer Sätze zu Hypothesen. Natürlich spielte der Begriff der Verifikation auch im Rahmen der Diskussionen des Wiener Kreises, dem Wittgenstein zu jener Zeit Ende der zwanziger Jahre noch recht nahe stand, eine nicht unerhebliche Rolle53. Moores anschließende Kritik an Wittgensteins Ablehnung der Wahrheit eines Satzes wie »wenn ich 3+3 in den Korb lege, so lege ich notwendigerweise auch 6 hinein« scheint wiederum nicht besonders gravierend, da sie nicht wirklich Wittgensteins Punkt trifft: Zwar gesteht Moore ein, er könne sich vorstellen, dass zu einem späteren Zeitpunkt eine andere Anzahl vorliegt. Die Frage allerdings, ob sich
52 53
Vgl. insbesondere Philosophische Bemerkungen und Philosophische Grammatik. Vgl. alleine die zahlreichen Bemerkungen in: Wittgenstein, Ludwig: Wittgenstein und der Wiener Kreis (Werkausgabe Band 3) [WWK]. In den Philosophischen Untersuchungen (§ 353) heißt es dann: »Die Frage nach der Art und Möglichkeit der Verifikation eines Satzes ist nur eine besondere Form der Frage ,Wie meinst du das?‘ Die Antwort ist ein Beitrag zur Grammatik des Satzes.« Diese Bemerkung erinnert sehr stark an eine Stelle des Tractatus, die üblicherweise als Bestimmung des Sinnkriteriums aufgefasst wird. 4.024 lautet: »Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist. (Man kann ihn also verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist.)« Und in den Philosophischen Bemerkungen findet sich die folgende Stelle: »Den Sinn eines Satzes verstehen, heißt, wissen wie die Entscheidung herbeizuführen ist, ob er wahr oder falsch ist.« (PB, S. 77). Dieser Gedanke steht zweifellos in engem Zusammenhang mit der Sinnkriteriumsbestimmung des Wiener Kreises um Moritz Schlick, der Sinn eines Satzes sei die Methode seiner Verifikation. Vgl. hierzu auch Moore, ebd., S. 59 f. Dass die Frage nach dem Sinn eines Satzes, dem Verstehen und der Möglichkeit in Wittgensteins Schriften von grundlegenderer Bedeutung war als die Frage nach der Wahrheit, scheint im Übrigen außer Frage zu stehen, da jene Bestimmungen den Wahrheitswertzuschreibungen gegenüber primär sind. Das heißt, der Bereich des Denkbaren, Möglichen bzw. Sinnvollen umfasst sowohl Gegebenes wie nicht Gegebenes, bzw. wahre wie falsche Behauptungen und so können wir einen Satz verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist.
146
Regel und notwendiger Satz
zum selben Zeitpunkt54 möglicherweise eine veränderte Menge auffindet, scheint ihm eine andere zu sein und die Bezweiflung der Wahrheit jener hypothetischen Sätze, die das Hineinlegen der Äpfel behaupten, nicht haltbar. »I am, therefore, implying that I cannot imagine these hypothetical propositions not to be true: but I do not think I can imagine this«55. Moores Charakterisierung dieser Sätze als hypothetisch macht die Unmöglichkeit der Vorstellung ihrer Unwahrheit allerdings nicht sehr verständlich. Vermutlich hängt das mit seiner Unterscheidung in verschiedene Zeitpunkte zusammen, da die Verwendung des Ausdrucks »at that time« in Bezug auf einen empirischen Vorgang des Hineinlegens nicht klar ist. Denn entweder beschreibt Moore hier einen experimentellen Zusammenhang und sollte daher nicht von »demselben Zeitpunkt« sprechen, oder aber es handelt sich vielmehr um eine Bemerkung zum arithmetischen Satz »3+3=6«. Und interessanterweise verwendet Moore in den ganzen vorangegangenen Erörterungen zu diesem Ausdruck nicht mehr Gegenstandsbezeichnungen (in diesem Fall »Äpfel«) sondern lediglich einfache Zahlen. Daher scheint sein Einwand auch nicht schlagend, denn die Sätze der Mathematik unterscheiden sich von denen der Empirie ja gerade dadurch, dass sie zeitlos bzw. unzeitlich sind. So bemerkt Wittgenstein: »Die 100 Äpfel in der Kiste bestehen aus 50 und 50« – hier ist wichtig der unzeitliche Charakter von ,bestehen‘. Denn es heißt nicht, sie bestünden jetzt, oder für einige Zeit aus 50 und 50. […] Wenn wir sagen: »dieser Satz folgt aus jenem«, so ist hier »folgen« wieder unzeitlich gebraucht. (Und das zeigt, daß dieser Satz nicht das Resultat eines Experiments ausspricht.)56
Allerdings darf der Aspekt der Zeitlosigkeit nicht missverstanden werden im Sinne einer definiten Unanfechtbarkeit. Denn diese Auffassung würde sie dem Status der traditionell aufgefassten notwendi54
55 56
Moore schreibt »at that time« im Gegensatz zu »at a subsequent time« (Moore, ebd., S. 81). Zwei Seiten zuvor heißt es »at that very time«. Ebd., S. 81. BGM, S. 74. Die Unterscheidung hinsichtlich zeitlich und unzeitlich trifft Wittgenstein an zahlreichen Stellen im Zusammenhang mit Bemerkungen zum Kalkül, arithmetischen, geometrischen, bzw. grammatischen Sätzen und internen Relationen. Vgl. z.B. ebd., S. 304, 339, PG, S. 481 und BüF I, § 1 u. III, § 131.
4. Apropos »Rules treat only of the symbolism«
147
gen Sätze angleichen, eine Bestimmung, die Wittgenstein ja gerade explizit ablehnt. Gemeint ist hier offensichtlich vielmehr, dass der Begriff der Zeit an Sätze der Erfahrung gebunden sein soll, was jedoch keinesfalls ausschließt, dass etwa ganz analog im Fall mathematischer Systeme zu unserer vertrauten Euklidischen Geometrie auch Alternativen denkbar wären. Wenn man überhaupt von einer Unantastbarkeit sprechen möchte, so bezieht sich diese auf Zusammenhänge innerhalb einer bestimmten zugrundeliegenden Grammatik, da eben gerade diese die Basis unserer Erfahrungsurteile bildet. Moores Bedenken gegen Wittgensteins weitere Auffassung, Ausdrücke wie »3+3=6« würden niemals Anwendung finden, um beispielsweise einen Satz zu behaupten, aus dem »if I put 3+3« »I put 6« folgt, sondern stets nur als eine grammatische Regel, wie entsprechende Ausdrücke zu verwenden sind,57 ist wiederum von der Art eines Common-Sense Arguments. Wie spätere Bemerkungen Wittgensteins noch zeigen werden, ist er jedoch von jener radikalen Ausschließlichkeitsbehauptung abgewichen. So macht er etwa in der Vorlesung über »necessary propositions« das Zugeständnis: »‘212 + 416 = 628’. You could say this is a necessary statement58«, welches er Anfang der dreißiger Jahre wohl noch vermieden hätte. Moores anschließende Diskussion über das Verständnis des Wittgenstein’schen Ausdrucks »treats only of the symbolism« im Zusammenhang arithmetischer Sätze wie »3+3=6« stellt nun die zentrale Frage, von welchen Symbolen ein Ausdruck wie »3+3=6« denn überhaupt handelt. In Analogie zu einem Satz wie »Rot ist eine Primärfarbe«, bei dem es sich nach Wittgenstein nicht um einen eigentlichen Satz handelt, der die Farbe rot näher bestimmt, sondern vielmehr um eine der Grammatik der Farben entnommene Bestimmung über den Begriff »rot«, wären arithmetische Sätze der obigen Art Regeln über die bestimmten Ausdrücke »3+3« und »6«. Moore bestreitet, dass es sich dabei um Festlegungen über die sichtbar wahrnehmbaren Zeichen »rot«, »3+3« oder »6« handeln kann, da natürlich alternative Formulierungen derselben Bestimmungen in anderen Sprachen oder Notationen möglich sind. Und Wittgensteins Verweis auf Freges Einwand gegen die Formalisten, in der Mathematik handle es sich nicht um
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Obgleich dies, wie Moore einräumt, in einigen Kontexten der Fall ist. Lecture on Necessary Propositions.
148
Regel und notwendiger Satz
Zeichen auf dem Papier, scheint Moores Einwand aufzuheben.59 Allerdings teilt Wittgenstein nicht Freges daraus entnommene Folgerung, die Arithmetik handle nicht von den Zeichen sondern von dem Bezeichneten. So bemerkt Frege an einer Stelle: [...] die Gebilde, die wir Zahlzeichen nennen, [haben] physikalische und chemische Eigenschaften, die von dem Schreibmittel abhängen. Man könnte sich denken, daß einmal ganz neue Zahlzeichen eingeführt werden, wie die arabischen z.B. die römischen verdrängt haben. Niemand wird im Ernste annehmen, daß man dadurch ganz neue Zahlen bekäme, ganz neue Gegenstände der Arithmetik mit bisher noch unerforschten Eigenschaften.60
Natürlich hängt diese Kritik mit Freges Unterscheidung in Zahlzeichen und deren Bedeutung in seinem Sinne der Referenzbeziehung zusammen, eine Auffassung die Wittgenstein schon zu Zeiten des Tractatus bestreitet. So heißt es etwa an der uns bereits bekannten Stelle 3.317: »[…] Die Festsetzung wird also nur von Symbolen, nicht von deren Bedeutung handeln. Und nur dies ist der Festsetzung wesentlich, daß sie nur eine Beschreibung von Symbolen ist und nichts über das Bezeichnete aussagt.« Sollten zwei verschiedene Symbole durch ein und dasselbe Zeichen ausgedrückt sein, so bezeichnen sie eben auf verschiedene Weise, was natürlich damit zusammenhängt, dass die sinnlich wahrnehmbaren Zeichen selbst willkürlich gewählt sind. So liegt die verschiedene Art der Bezeichnung von Wörtern in ihrer jeweiligen Zugehörigkeit zu verschiedenen Symbolen begründet. Das Wesentliche von Regeln liegt für Wittgenstein vielmehr in der 59
60
Eine diese Auffassung stützende These findet sich in den Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik (S. 389): »Was heißt es, wenn ich, zum Beispiel, sage: diese Zahl läßt sich durch Multiplikation aus jenen beiden ableiten? Frage dich: Wann gebraucht man diesen Satz? Nun, es ist z.B. kein psychologischer Satz, der sagen soll, was Menschen unter gewissen Bedingungen tun werden, was sie befriedigen wird; es ist auch kein physikalischer, das Benehmen von Zeichen auf dem Papier betreffend. Es wird nämlich in einer andern Umgebung, als ein psychologischer, oder physikalischer, angewandt.« Und eine Stelle der Philosophischen Grammatik lautet: »Handelt die Mathematik von Schriftzeichen? Ebensowenig, wie das Schachspiel von Holzfiguren handelt.« (Ebd., S. 290) Frege, Gottlob: Funktion, Begriff, Bedeutung, Fünf logische Studien, Göttingen 7 1994, S. 20. Zuvor wendet Frege sich dabei explizit gegen H. v. Helmholtz und Leopold Kronecker.
4. Apropos »Rules treat only of the symbolism«
149
gemeinsamen logischen Mannigfaltigkeit der in ihnen enthaltenen Symbole. Moores Kritik, dass es sich bei zwei Regeln, die sich verschiedener Zeichen bedienen, etwa »3« und »III« aufgrund dieser Verschiedenheit offensichtlich nicht um den Ausdruck ein und derselben handeln kann, es sei denn, der Begriff der Selbigkeit bezieht sich in eigentümlicher Weise lediglich auf ihre gleiche logische Mannigfaltigkeit, scheint durch die im Tractatus gezogene Unterscheidung von »Zeichen« und »Symbol« widerlegt. Denn verschiedene Symbole sind durch ihre unterschiedliche Bezeichnungsweise und nicht durch ihre sinnlich wahrnehmbare Gestalt bestimmt. Somit scheint eine Unterscheidung in Zeichen und Symbol auch nicht die Annahme der Existenz von Zahlen zur Sicherung ihrer »Bedeutung«61 zu erfordern. In der noch zu behandelnden Single Lecture on Necessary Propositions findet sich ebenfalls die Frage, ob Sätze der Arithmetik von Symbolen handeln. Dort scheint sie jedoch bereits an Gewicht verloren zu haben, da nun verstärkt die Rolle der Anwendung an Bedeutung gewann. So bemerkt Wittgenstein etwa an einer Stelle: »First answer to ‘What’s 2 + 2 about?’ is ‘About 2 + 2’ etc. But if you ask how it’s used we can say ‘It’s used as a sort of paradigm in doing something.’ Compare: – ‘Here is a road, go on it.’« Die zentrale Bedeutung der internen Relationen und ihre Bestimmung als eine zwischen symbolischen Formen bleibt dadurch natürlich unangetastet. Wittgensteins postulierte Analogie der auf die Arithmetik bezogenen Behauptung »what is essential to its rules is the logical multiplicity which all the different possible symbols have in common« und der das Schachspiel betreffenden »what is characteristic of chess is the logical multiplicity of its rules«62 hält Moore für zweifelhaft, alleine schon aufgrund der letzten, Schach sei wesentlich durch die logische Mannigfaltigkeit seiner Regeln bestimmt. Zwar räumt Moore ein, dass die Möglichkeit Schach zu spielen, nicht von der physikalischen Beschaffenheit der in ihm verwendeten Figuren abhängt, bestreitet jedoch die Annahme, dass die Multiplizität der Schachregeln, Regeln, welche die jeweils gültigen Züge der Figuren festlegen, ausreichen, diese voneinander zu unterscheiden. Moores Argumentation erscheint allerdings unverständlich, zum einen, da sie immanente Schwächen aufweist, zum anderen, da sie möglicherweise die ganze Idee der logi61 62
Im Sinne Freges. Moore zitiert hier Wittgenstein wörtlich. (Moore, ebd., S. 84)
150
Regel und notwendiger Satz
schen Mannigfaltigkeit falsch anwendet. Denn Moores Annahme, die logische Multiplizität diene der Unterscheidung einzelner Figuren, ist äußerst fraglich und seine Klammereinschübe (»whatever that may mean«63) im Anschluss an den Ausdruck »logical multiplicity« zeigen offensichtlich die Schwierigkeit, den Begriff in seinen Interpretationsansatz zu integrieren. Auch wenn Moores Bemerkungen an dieser Stelle nur schwer verständlich sind64, so scheint er zumindest anzunehmen – und das fälschlicherweise –, der Begriff der logischen Multiplizität bezöge sich auf die Spannweite möglicher Züge von Figuren innerhalb eines Schachspiels. Seine Äußerung: »[…] even if he [Wittgenstein] was right in holding that the rules for the moves of pawns have a different ‘logical muliplicity’ from those for the moves of bishops and similarly in the case of all the other different kinds of pieces«65 scheint diese Auffassung zumindest nahezulegen. Moores weiterer Punkt, dass die Bestimmung der erlaubten Züge in Abhängigkeit von der Anfangsposition der jeweiligen Figuren steht66, sodass sie sich notwendigerweise durch eben diese Stellung unterscheiden lassen, da es sich bei anderer Ausgangslage und somit anderer relativer räumlicher Bestimmungen nicht um Schach handeln würde, erscheint in diesem Zusammenhang nicht von besonderer Relevanz. Denn zum einen lässt sich etwa im Training von Endspielen mit anderen als der Anfangsformation beginnen, zum anderen scheint die Ausgangsposition als zum Regelwerk gehörend ebenfalls unproblematisch67, zumindest im Zusammenhang mit der Idee der logischen Mannigfaltigkeit.
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Ebd. So bemerkt er etwa in sehr unklarer Weise: »The rule that a pawn can only make certain moves certainly, I think, does not mean that any piece the rules for the moves of which have a certain ‘logical multiplicity’ (whatever that may mean) only make the moves in question […]. (Ebd.) Ebd. Moore versucht ja zu zeigen, dass die Regeln alleine nicht zur Unterscheidung der einzelnen Figuren genügen. So bemerkt Wittgenstein z.B.: »Es gibt auch beim Schach einige Konfigurationen, die unmöglich sind, obwohl jeder Stein in einer ihm erlaubten Stellung steht. (Wenn z.B. die Anfangsstellung der Bauern intakt ist und ein Läufer schon auf dem Feld.) Aber man könnte sich ein Spiel denken, in welchem die Anzahl der Züge vom Anfang der Partie notiert würde, und dann gäbe es den Fall, daß nach n Zügen diese Konfiguration nicht eintreten könnte und man es der Konfiguration
5. Logische Mannigfaltigkeit
151
Eine genauere Betrachtung der von Moore zitierten Analogie Wittgensteins zwischen den Regeln des Schachs und der Arithmetik ermöglicht daher eine Lesart, die nicht der Moores entspricht. Zum besseren Verständnis scheint es allerdings von Nutzen, neben einigen Bemerkungen zur Idee dieser logischen Mannigfaltigkeit auch einige der zahlreichen Hinweise Wittgensteins über das Verhältnis der Mathematik zum Schachspiel zu liefern.
5. Logische Mannigfaltigkeit. Eine Analogie der Arithmetik zum Schachspiel Offensichtlich bezieht sich die Idee der gleichen Multiplizität sowohl auf verschiedene Systeme innerhalb einer Kategorie als auch auf unterschiedliche miteinander in Beziehung stehende Kategorien. Den ersten Fall betreffen etwa alternative Notationen, in welchen die adäquate Übersetzbarkeit eines Zeichensystems in ein anderes durch eben eine gleiche Multiplizität bestimmt ist. Als Beispiele wären hier etwa das Sheffer’sche System zu nennen68 oder aber ein Fall, in dem man sich eine Sprache derart verändert vorstellt, dass die Reihenfolge der in ihr verwendeten Worte der ursprünglichen genau entgegensteht, das heißt, dass die Wortfolgen derjenigen, die wir bei umgekehrter Lesart der unveränderten Sprache vorfänden, entsprächen. Die Mannigfaltigkeit der Ausdrucksmöglichkeiten bliebe dadurch natürlich die gleiche69. So kommt auch hier wieder der Unterschied der wesentlichen und willkürlichen Aspekte der Zeichen bzw. Zeichensysteme zum Ausdruck.
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doch nicht ohneweiters ansehen kann, ob sie als n-te möglich ist, oder nicht. (PG, S. 289 f.) Z. B. sind p ∨ q und ~p ausdrückbar durch p⏐q. Vgl. hierzu PG, S. 361 oder auch 443 f. Vgl. ebd., S. 122, Zettel, § 149. Und interessanterweise verwendete Wittgenstein bereits in den Jahren 1914 bis 1916 in den sogenannten Geheimen Tagebüchern einen Code, der sich der Regel einer umgekehrten Lesart des Alphabetes bediente: So stand etwa der Buchstabe »Z« für »A«, »Y« für »B« etc. Zur Plausibilisierung der Idee einer unterschiedlichen logischen Mannigfaltigkeit dient etwa die Unterscheidung in Gesichtsraum und physikalischen Raum. Vgl. beispielsweise PB, S. 260, S. 269 f., S. 287.
152
Regel und notwendiger Satz
Das entscheidendere Gewicht des Konzepts der logischen Mannigfaltigkeit kommt jedoch wohl eher dem Bereich der Beziehung zwischen unterschiedlichen Kategorien zu: Wie wir bereits gesehen haben, entwickelte Wittgenstein die Idee der Multiplizität im Tractatus in Zusammenhang mit der Beziehung des sinnvollen Satzes zum möglichen Sachverhalt, den er ausdrückt bzw. »abbildet«.70 Hier zeigt sich, dass der Begriff der Mannigfaltigkeit sich auf den Spielraum des logischen Raums bezieht, dem in der Wirklichkeit der möglicher, denkbarer Sachverhalte entspricht. Diese Idee greift Wittgenstein dann wieder im Vortrag Some Remarks on Logical Form auf, in welchem er im Zusammenhang des Farbeninkompatibilitätsproblems zeigt, dass die Fehlerhaftigkeit des im Tractatus entwickelten Symbolismus eine Ungleichheit der logischen Mannigfaltigkeit auf Satz- und Realitätsebene bedingt, da die Konjunktion zweier Sätze, die unterschiedliche Gradangaben behaupten, in der Wirklichkeit keine Entsprechung hat.71 In den späteren Schriften finden sich weitere Stellen, die diese Idee einer Entsprechung der logischen Mannigfaltigkeit zwischen Satz und den in ihm zum Ausdruck Gebrachten illustrieren, so beispielsweise bei in Sätzen oder Worten artikulierten Erwartungen, Gedanken, Intentionen, Wünschen oder Gefühlen, sowie in Beschreibungen mittels Hypothesen in Abgrenzung zu rein phänomenologischen etc.72 Die nun von Wittgenstein behauptete charakteristische Bestimmung des Schachs durch die Multiplizität seiner Regeln hängt natürlich mit dem Verhältnis des Spiels und seinen Regeln zu den jeweiligen Figuren zusammen. Um bereits hier einen Zusammenhang zur Mathematik herzustellen, dient dabei das folgende Beispiel: Denken wir uns eine Rechenmaschine, die, anstatt mit Kugeln, mit Farben in einem Streifen rechnet. [...] Wie aber müßte diese Farbenrechenmaschine konstruiert sein, um funktionieren zu können? [...] Man muß sich den Abakus als ein Gebrauchsinstrument denken und als Mittel der Sprache. Und, so wie man etwa 5 durch die fünf Finger einer Hand darstellen kann [...] , so würde man es durch den Streifen mit 5 Farben darstellen. Aber für die 0 brauche ich ein Zeichen, sonst habe ich die nötige Multiplizität nicht. [...] Es ist ganz gleichgültig, welche Bezeichnungsweise
70 71 72
Vgl. z.B. die in TLP 4.04 formulierte Forderung an Sätze. Vgl. Some Remarks on Logical Form, S. 169 und S. 165 sowie 168. Vgl. z.B. PB, S. 69 f., S. 93, S. 286 f., Lectures 1930–1932, S. 7 f.
5. Logische Mannigfaltigkeit
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ich wähle. Und man sieht hier, wie sich die Mannigfaltigkeit der Kugeln auf die Mannigfaltigkeit der Farben in einer Fläche projiziert.73
Dieses Beispiel veranschaulicht sehr deutlich die Idee der Mannigfaltigkeit im Zusammenhang mit der Befolgung von Regeln und ihrer Anwendung. Gerade die Irrelevanz der Bezeichnungsweise soll dabei die Idee der gleichen Multiplizität verdeutlichen, natürlich unter der Voraussetzung, dass sie die Extension des logischen Spielraumes im Zuge ihrer Substitution durch eine andere nicht verändert. Das hieße in dem obigen Beispiel etwa, dass in irgendeiner Form die Darstellung der 0 gewährleistet sein müsste. Betrachten wir also nochmals Wittgensteins von Moore formulierte Analogie zwischen den Regeln des Schach und der Arithmetik: »what is characteristic of chess is the logical multiplicity of its rules« und »what is essential to its rules is the logical multiplicity which all the different possible symbols have in common«, so müsste sich auch im Fall des Schachspiels die logische Multiplizität der Regeln auf die der unterschiedlichen möglichen Symbole, hier Figuren beziehen, was in der Behauptung zum Ausdruck kommt, dass die Mathematik so wenig von den Schriftzeichen handelt, wie das Schachspiel von Holzfiguren.74 An einer Stelle der Lecture on Necessary Propositions heißt es ganz entsprechend: Is »The king in chess moves in such and such a way« about a piece of wood? No, in the sense that it doesn’t act like »This piece of wood is soft«. It is not a natural thing to say. Yes, in the sense that we aren’t inclined to mention any other thing it is about. It can be given a sense. Compare: it is in the nature or in the essence of »212 + 416« that it equals 628.
Insofern liegt auch die Vermutung nahe, dass sich die logische Multiplizität nicht, wie Moore offensichtlich annimmt, auf die Figuren innerhalb eines Spiels, etwa mögliche Zugvarianten des Bauern im Unterschied zum Springer bezieht, sondern auf die Möglichkeit der Regelanwendung unterschiedlicher Platzhalter für Figuren und Brett. So wäre es etwa denkbar, dass Schach ursprünglich gar nicht als Brettspiel bestand, sondern mittels Ziffern und Buchstaben auf Papier 73 74
PG, S. 325 f. Vgl. z.B. PG, S. 108, 121, 290 u. PU, § 108.
154
Regel und notwendiger Satz
gespielt wurde, dass die Entsprechung mit einem solchen erst später aufgefallen wäre und man nun aus Gründen der Erleichterung künftig die Brettvariante vorzog. Dies wäre dann ein Fall der Ersetzung eines Zeichensystems durch ein neues, welches sich zwar in seiner Überschaubarkeit vom alten unterschiede, nicht aber in den ihnen zugrundeliegenden Regeln: »Man muß also die Spielregeln von unwesentlichen Aussagen über die Schachfiguren trennen.«75 Wollte man nun die Frage der gleichen Multiplizität auf die zweier verschiedener Figuren innerhalb eines Spiels beziehen, wird dadurch unverständlich, worauf genau sie sich richtet. Natürlich sind die jeweiligen Figuren durch ihren möglichen Bewegungsspielraum voneinander unterschieden, der seinerseits im Regelverzeichnis festgehalten ist. Hieße dies dann einfach, dass etwa die Dame über eine höhere logische Mannigfaltigkeit verfüge als der Bauer, da die Varianz ihrer Züge sich von der des Bauern unterscheidet? Und hätten etwa Turm und Läufer die gleiche oder aber eine durch ihre Anfangsposition bestimmte unterschiedliche? Und würde eine übereinstimmende Multiplizität die Ersetzung einer Figur durch eine andere erlauben, ohne das Spiel zu verändern? Was etwa ihre physikalische Beschaffenheit betrifft, ist es natürlich unproblematisch, beide Holzstücke auszutauschen und nun festzulegen, dass die Figur des Läufers die des Turms übernimmt, weil einem beispielsweise nur eine bestimmte Anzahl von Figuren zur Verfügung steht, oder man findet, dass der Läufer in seiner Form viel eher dem Turm gleicht. Allerdings übernähme jener dann dessen Funktion und wir würden ihn fortan als Turm bezeichnen. Solch ein Fall hat aber offensichtlich keinen Bezug zur logischen Mannigfaltigkeit, denn die hängt, wie wir gesehen haben, vielmehr mit der Bedeutung einer Figur, das heißt, mit ihrer Verwendung im Spiel zusammen. Inwieweit eine Analogie zwischen der Grammatik unserer Sprache und der eines Spiels besteht, veranschaulicht dabei die folgende Bemerkung Wittgensteins sehr gut: Der Unterschied der Wortarten ist dem Unterschied der Spielfiguren im Schach zu vergleichen, aber auch dem noch größeren einer Spielfigur und des Schachbretts. Man sagt: Das Wesentliche am Wort ist seine Bedeutung. Man kann das Wort durch ein anderes ersetzen, das die gleiche Be75
PG, S. 468.
5. Logische Mannigfaltigkeit
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deutung hat. Damit ist ein Platz für das Wort fixiert, und man kann ein Wort für ein anderes setzen, wenn man es an den gleichen Platz setzt. [...] Wenn man übereinkäme, im Deutschen statt »nicht« »non« zu sagen und dafür statt »rot« »nicht«; so bliebe das Wort »nicht« in der Sprache, und doch könnte man sagen, daß »non« jetzt so gebraucht wird, wie früher »nicht«, und daß jetzt »nicht« anders gebraucht wird. Wäre es nicht ähnlich, wenn ich mich entschlösse, die Formen der Schachfiguren zu ändern, oder, die Figur eines Pferdchens als König zu verwenden? Wie würde es sich nun zeigen, daß das Pferdchen Schachkönig ist? Kann ich hier nicht sehr gut von einem Wechsel der Bedeutung reden? Ich will erklären: der Ort eines Worts in der Grammatik ist seine Bedeutung.76
Die Mannigfaltigkeit der Sprache ist offensichtlich in den Regeln der Grammatik niedergelegt, das heißt, sie bestimmt, wie bereits erwähnt, den Spielraum oder, wie Wittgenstein sagen würde, den Freiheitsgrad der Sätze innerhalb einer Sprache. Und der Freiheitsgrad muss dem der in ihr zum Ausdruck gebrachten möglichen Tatsache entsprechen. Genau in diesem Sinne ist die Grammatik nicht vollständig willkürlich, da sie so gestaltet sein muss, dass sie dieselbe Mannigfaltigkeit auf Seiten der Wirklichkeit ermöglicht. Diese Möglichkeit ist in der Sprache selbst enthalten. Analog zu den grammatischen Regeln, die die sinnvolle Verbindung von sprachlichen Ausdrücken festsetzen und unsinnige Wortverknüpfungen verbieten, legen die Bestimmungen des Schachspiels fest, welche Konstellationen untersagt sind, so etwa, dass sich mehrere Figuren auf einem Feld oder eine auf mehreren Feldern befindet.77 Die kompakteste Stelle zum Verständnis der Wittgenstein’schen Vorstellung des Vergleichs der Mathematik mit einem Spiel findet sich im 3. Abschnitt des zweiten Teils der Philosophischen Grammatik, welcher mit »Die Mathematik mit einem Spiel verglichen« überschrieben ist. Inzwischen sollte zumindest klar geworden sein, dass Moores Vorwurf an Wittgenstein gegen die Behauptung einer Analogie zwischen den Regeln der Arithmetik und denen des Schach bezüglich ihrer logischen Multiplizität auf einem unvollständigen oder gar falschen Verständnis dieser »logical multiplicity« beruht.
76
77
Ebd., S. 59. Zur Analogie zwischen Grammatik und Spiel vgl. auch ebd., S. 121, 125, 170, 184, 187. Vgl. Lectures 1930–1932, S. 7 f. und PG, S. 125.
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Regel und notwendiger Satz
6. Abschließende Bemerkungen zur logischen Deduktion Zum Abschluss von Moores Aufzeichnungen über »necessary propositions« folgen noch einige Überlegungen zu Wittgensteins Auffassung des Schlussfolgerns, die im Folgenden etwas genauer betrachtet werden, da sie auch in engem Zusammenhang mit dem Begriff der internen Relation stehen. Die Beziehung zwischen logischen Folgerungen und internen Relationen wird bereits in Moores Wiedergabe des Wittgenstein’schen Gedankens »What justifies inference is an internal relation«78 deutlich. Auch bei der Folgerung handelt es sich um eine Beziehung zwischen zwei Ausdrücken. Allerdings ist sie in Abgrenzung von externen, das heißt, willkürlichen Relationen vollständig durch die in ihr verwendeten Symbole bestimmt. Dieser Zusammenhang ist uns ja schon aus den Erörterungen der Addition und des Verhältnisses des Resultats zu den es bedingenden Summanden bekannt, findet sich jedoch bereits an einer Stelle des Tractatus, an der Wittgenstein den Begriff der internen Relation einführt, um ihn von den »eigentlichen« Relationen abzugrenzen. In Entsprechung zu formalen Eigenschaften von Gegenständen und Sachverhalten bzw. Eigenschaften ihrer Struktur bezeichnen die internen Relationen die Beziehungen der jeweiligen Strukturen.79 Da die internen Relationen der Rechtfertigung von Schlussfolgerungen dienen, sind sie, wie uns ja schon aus früheren Untersuchungen bekannt, ausschließlich auf logische beschränkt. Daher sprach Wittgenstein in diesem Zusammenhang auch immer von »deductive inference«80. Somit liegt eine andere Art der Verwendung des Begriffs der Folgerung vor, als etwa im Fall der Behauptung, dass aus der Beschaffenheit eines dünnen Seiles und des Anhängens eines entsprechend schweren Gewichts folgt, dass das Seil reißt. Denn im Unterschied zur logischen Folgerung ist es jedenfalls denkbar, dass erstens das Seil nicht reißt, und zweitens folgt aus der Schwere des Gewichts und der Beschaffenheit des Seiles allein nicht, dass es reißt. 78 79
80
Moore, ebd., S. 85. Vgl. Tractatus 4.122–4.1252. Insbesondere Moore müsste mit dem Begriff der internen Relationen durchaus vertraut sein, da er sich bereits in seinen Aufzeichnungen nach einem Diktat Wittgensteins in Norwegen im April 1914 findet. (Siehe TB, S. 220 u. 223). Zu weiteren Stellen vgl. auch die Tagebuchaufzeichnungen vom 24. 10., 29. 10., 03. 11. und 24. 11. des Jahres 1914, vom 03. 04., 23. 04. und 08. 05. des folgenden Jahres, sowie vom 11. 09. und 12. 09. aus dem Jahr 1916. Moore, ebd., S. 85.
6. Abschließende Bemerkungen
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Im Fall der Folgerung von »p ∨ q« aus »p · q« ist hingegen das Nichtbestehen der Folgerungsbeziehung »unthinkable«. Sie ist allerdings, wie Wittgenstein bereits in den Notes dictated to G. E. Moore betont, selbst nicht durch einen Satz ausdrückbar81, sondern zeigt sich vielmehr in den jeweils verwendeten Sätzen, in diesem Fall in »p ∨ q« und »p · q« selbst. Bedürfte es zur Rechtfertigung einer solchen logischen Folgerungsbeziehung eines weiteren Satzes, so wäre zur Rechtfertigung dieses Satzes ein zusätzlicher erforderlich und so ad infinitum. Denn würde eine Regel einen Schluss eines Satzes p zu q rechtfertigen, so ergäbe sich diese Ableitung aus der Konjunktion von p und jener Regel und bedürfte so einer weiteren zur Rechtfertigung des Übergangs dieser Konjunktion zum Satz q. »Hence an inference can only be justified by what we see«82. Wittgensteins Auffassung, dass eine deduktive Schlussregel niemals eine Folgerung rechtfertigen kann, hängt offensichtlich wiederum mit der an früherer Stelle erörterten Idee zusammen, dass ein Ausdruck wie »3+3=6« nicht als Rechtfertigung des Schlusses dienen kann, dass sich etwa nach dem Zusammenlegen von 3+3 Äpfeln in einen Korb 6 in diesem befinden, da es selbst bei der Befolgung jener Regel denkbar wäre, dort nur 5 vorzufinden. Abschließend sei noch kurz auf einige Bemerkungen Wittgensteins zum Begriff der internen Relation aus der im folgenden Kapitel noch genauer zu betrachtenden Vorlesung zu notwendigen Sätzen verwiesen: An einer Stelle dieser »Lecture« führt Wittgenstein die folgende Bestimmung notwendiger Sätze in ihrem Zusammenhang zu internen Relationen und den in ihnen verwendeten Symbolen an: »A necessary proposition states what one is tempted to call an internal relation, e.g. ‘A brother is male’, while other propositions state external relations. Every statement about internal relations is a masked statement about a form of expression. You get the idea of an internal relation when the relation is one between two forms of expression.« Als Beispiel zur Veranschaulichung dieser Unterscheidung wählt Wittgenstein die Sätze, dass ein bestimmtes Stück Kreide größer sei als ein danebenlie81
82
»Internal relations are relations between types, which can’t be expressed in propositions, but are all shewn in the symbols themselves, and can be exhibited systematically in tautologies.« (Ebd., S. 116) Vgl. auch Tractatus 4.122, 4.124 und 4.125 sowie Moore, ebd., S. 87. Ebd.
158
Regel und notwendiger Satz
gendes und dass eine Zahl größer sei als eine andere. Die interne Relation der letzten Aussage liegt im Gegensatz zur ersten in ihr begründet: »An internal relation is one which holds between symbolic forms«, eine Formulierung, die uns schon aus Moores Aufzeichnungen Anfang der dreißiger Jahre bekannt ist. Überhaupt hat Wittgenstein bezüglich dieser Bestimmungen im Rahmen jener Vorlesung keine Veränderungen vorgenommen. So findet sich etwa ebenfalls der Gedanke wieder, dass externe Behauptungen wie die des ersten Typs zeitliche Bezüge aufweisen, beispielsweise, dass das Kreidestück zu einem konkreten Zeitpunkt größer ist als das danebenliegende. Die Zeitlosigkeit der zweiten Art hingegen bestimmt Aussagen wie »2+2 war 4« als unsinnig. Und Ausdrücke wie »3 ist größer als 2« können als Glieder einer Schlussfolgerung dienen, etwa in einem Fall wie: Dieses Stück ist 2 cm, jenes 3 cm lang, 3 ist größer als 2, ergo ist das eine größer als das andere: »As a rule of inference ‘three is greater than two’ can be expressed as a symbolic rule«. In diesen Bestimmungen zeigt sich ebenfalls deutlich, dass im Fall von Aussagen, die Zahlangaben enthalten, den jeweiligen Referenzobjekten zentrale Bedeutung zukommt. So bemerkt Wittgenstein: You might say »three dashes is obviously greater than two dashes«. This is intelligible if you are referring to dashes, but if we write »three is greater than two« it may not be at all clear what we are referring to. »Can’t you see that three small dashes is greater than two big dashes?« It isn’t at all clear what you are referring to.
Diese Bemerkung steht offensichtlich wiederum im Zusammenhang mit der bereits gestellten Frage, wovon Ausdrücke, welche formale Bestimmungen enthalten, überhaupt handeln. Die im folgenden Kapitel genauer untersuchte Single Lecture on Necessary Propositions soll dieses Problem daher nochmals aufgreifen.
KAPITEL V WITTGENSTEINS »SINGLE LECTURE ON NECESSARY PROPOSITIONS«
1. Einleitende Bemerkungen Die im folgenden Abschnitt unter anderem diskutierte Vorlesung Wittgensteins zu den sogenannten notwendigen Sätzen stammt aus dem Nachlass von Yorick Smythies, einem sehr engen Freund und Schüler Wittgensteins.1 Sie ist Bestandteil eines umfangreichen Korpus von Vorlesungsmitschriften Smythies’, vermutlich aus den Jahren 1935–39.2 In dieser Zeit studierte Smythies in Cambridge, wo er im Juli 1939 mit einem First Class Degree in Philosophie abschloss. Smythies selbst bezifferte – allerdings 30 Jahre später – den Zeitraum der Vorlesungen von 1938–48. In den vierziger Jahren jedoch lehrte Wittgenstein nicht mehr regelmäßig und legte bereits 1947 seinen Lehrstuhl nieder. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass Smythies, der in dieser Zeit in Oxford lebte, weiterhin Veranstaltungen Wittgensteins in Cambridge besuchte, oder, dass Teile der Notizen aus persönlichen Gesprächen stammen. Der Umfang des Materials und die enge thematische Verknüpfung mit bereits veröffentlichten Aufzeichnungen, etwa den Lectures on the Foundations of Mathematics von 19393,
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Zum genaueren Verhältnis Wittgensteins zu Smythies vgl. Volker A. Munz: Ludwig Wittgenstein and Yorick Smythies. A hitherto Unknown Relationship, in: Wittgenstein und die Zukunft der Philosophie. Eine Neubewertung nach 50 Jahren. Beiträge der Österreichischen Ludwig Wittgenstein Gesellschaft Volume IX (2), Kirchberg am Wechsel 2001, S. 92–97. Vgl. hierzu vor allem die übersichtliche Darstellung über Wittgensteinvorlesungen von James Klagge in: Wittgenstein, Ludwig: Public and Private Occasions, hrsg. von James A. Klagge und Alfred Nordmann, Lanham [u.a.] 2003, S. 331– 373. Wittgenstein, Ludwig: Lectures on the Foundations of Mathematics Cambridge 1939 [LFM], hrsg. von Cora Diamond, Itaha NY 21976.
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Wittgensteins »Single lecture«
den Lectures on Knowledge4 aus dem akademischen Jahr 1938/39, oder aber dem Auszug einer Vorlesung über Beschreibung, welche aus dem Korpus der Smythies-Mitschriften stammt und in den Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychoanalyse und religiösen Glauben5 erschienen ist, lassen jedoch vermuten, dass zumindest der größte Teil des Materials aus der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre stammt. Als weiteres Indiz dieser Einschätzung dienen die beiden bereits veröffentlichten Vorlesungen über Willensfreiheit6, die nach Meinung der Herausgeber ebenfalls aus dem Jahr 1939 stammen. Die Aufzeichnungen behandeln Themenbereiche wie »Knowledge«, »States of Mind«, »Free Will«, »Similarity«, »Description« und andere. Das bisher unveröffentlichte Material ist in Bälde zur Publikation vorgesehen. Das hier zugrunde liegende Thema umfasst nur eine einzige Vorlesung. Smythies selbst gab ihr den Titel Necessary Propositions (Single Lecture) bzw. Lecture on Necessary Propositions (Single Lecture) [LNP]. Inhaltliche Überschneidungen zu den Lectures on Knowledge, wie er sie nannte, aus dem akademischen Jahr 1938/397 lassen vermuten, dass auch die im Folgenden diskutierte Vorlesung etwa aus diesem Zeitraum stammt. Zwar betonte Smythies, dass keine der vorliegenden Bemerkungen Wittgensteins Autorität bezüglich Form oder Inhalt genießt und von keiner mit Sicherheit gesagt werden kann, dass es Wittgensteins eigene Worte seien. Jedoch erscheint seine Wertschätzung der Mitschriften Grund genug anzunehmen, dass es sich um eine sehr getreue Wiedergabe Wittgenstein’scher Gedanken handelt. So bemerkt Smythies etwa: »Wittgenstein said to me, on several occasions, that he would like me to publish, one day, my notes of his lectures.«8 4
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Wittgenstein, Ludwig: »Ursache und Wirkung: Intuitives Erfassen«, in: Vortrag über Ethik und andere kleine Schriften [VE], hrsg. und übers. von Joachim Schulte, Frankfurt 1989, S. 122–127, 130–134 und 135–139. Wittgenstein, Ludwig: Lectures and Conversations on Aesthetics, Psychology and Religious Belief [LC], hrsg. von Cyrill Barrett, Oxford 51989. Gehalten wurden die Vorlesungen 1938. Philosophical Investigations Vol. 12, Nr. 2 (1989) wieder abgedruckt in: Wittgenstein, Ludwig: Philosophical Occasions 1912–1951, hrsg. von James C. Klagge u. A. Nordmann, Indianapolis IN [u.a.] 1993. S. VE, S. 122. Und Wolfe Mays ein weiterer Schüler Wittgensteins bemerkt an einer Stelle: »Wittgenstein disliked us to take notes during his classes and he would prevent
2. Notwendige Sätze. Eine Einführung
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Im Laufe dieses Kapitels werden an zahlreichen Stellen ebenso weitere Vorlesungsmitschriften dieser Reihe ausführlich angeführt, auch, um einen genaueren Einblick in das bisher unveröffentlichte Material zu ermöglichen.
2. Notwendige Sätze. Eine Einführung Da es sich nur um eine einzige Vorlesung handelt und diese sich systematisch – wenn überhaupt – nur sehr schwierig strukturieren lässt, werden wir ihr größtenteils chronologisch folgen und relevante Stellen mit uns bereits vertrauten Überlegungen aus vorausgegangenen Untersuchungen vergleichen und gegebenenfalls kontrastieren. Zunächst folgen einige einleitende Bemerkungen zum Begriff der Grammatik im üblichen Sinn des Wortes.9 Wittgensteins Behauptung, dass das Erlernen einer Sprache mittels der in ihr festgeschriebenen Bestimmungen über Wortstellungen, Fallunterscheidungen etc. nicht möglich sei, verweist jedoch schon auf eine erste Unterscheidung bezüglich Funktion und Bedeutung von Grammatik: Wie wir schon an zahlreichen früheren Stellen gesehen haben, ist sie nämlich wesentlich dadurch bestimmt, dass die in ihr enthaltenen Festsetzungen auf den Gebrauch eines Wortes in der entsprechenden Sprache abzielen. Und hierin zeigt sich auch die für Wittgenstein fundamentale Bedeutung
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anyone foolhardy enough to try. He did, however, allow Smythies to take notes.« (Mays, Wolfe: »Recollections of Wittgenstein«, in: K.T. Fann [Hg.]: Ludwig Wittgenstein: The Man an his Philosophy, New Jersey 21978, S. 81). Auch die zahlreichen Überschneidungen und engen Bezüge zu bereits veröffentlichten Schriften Wittgensteins, Rhees’ hohe Wertschätzung des Materials, die Art der Aufzeichnungen mittels Stenographie, sowie nicht zuletzt die Ernsthaftigkeit des Verfassers der Mitschriften selbst sollten dafür sprechen. Diese Bemerkungen sind uns ja bereits aus dem vorangegangenen Kapitel in Auseinandersetzung mit Moores Beispiel der Maßeinheit »foot« und »inch« bekannt. Allerdings betonte Wittgenstein auch, dass sein Begriff der Grammatik nicht vom üblichen Verständnis des Ausdrucks abweiche. Der entscheidende Unterschied liege, so Wittgenstein, vielmehr in der abweichenden Zielsetzung von Linguisten und Philosophen und dadurch bedingten differenzierten Blickwinkeln des Untersuchungsgegenstandes. Vgl. z.B. Lectures 1932–35, S. 31 u. O’Neill, Martin: »Explaining ‘The Hardness of the Logical Must’: Wittgenstein on Grammar, Arbitrariness and Logical Necessity«, in: Philosophical Investigations Vol. 24 No. 1 (2001), S. 2.
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Wittgensteins »Single lecture«
von Gesten für das Erlernen des Gebrauchs einer Sprache im Gegensatz zum Verständnis von Grammatik im herkömmlichen Sinn, so etwa: »You would observe the sort of gesture and tone of voice that is characteristic of the use of ‘perhaps’, ‘I beg your pardon’, ‘Good morning’, etc. You say ‘Good morning’ when you meet someone not yourself.«10 In einer möglichen Satztypklassifizierung, etwa in Sätze über Gegenstände in Raum und Zeit, naturwissenschaftliche und mathematische Aussagen, ließen sich nun auch die sogenannten »necessary propositions« subsumieren, für Wittgenstein allerdings nur ein sehr kleiner Bereich, und, wie mir scheint, für seine Sprachauffassung kennzeichnend, von besonders geringem praktischen Nutzen. Daher stellt sich bereits hier die Frage nach ihrer eigentlichen Rolle und Äußerungsrelevanz. Wittgenstein bemerkt: »Every rod must have some length«, »Character must show somehow in handwriting«, »‘Can’, ‘cannot’, ‘must’ nearly always occur in philosophical propositions«. These propositions are said with a tone of conviction, said roughly as we say other things of which we are experientially certain. A tone and gesture as in »I’m sure he’s ill«. Suppose we know nothing about these sentences except that they had no use unless said with a tone of conviction. This would constitute a whole usage of a sentence. [...] To say that there are sentences which have no use and are uttered with a tone of conviction may be to describe an important class of sentences, just as describing swear words may be important.
Offensichtlich also steht Wittgensteins Auffassung der sogenannten »necessary propositions« in sehr engem Zusammenhang mit den jeweiligen Situationen ihrer Äußerung und damit einhergehenden Überzeugungen des Sprechers, wenn man die Frage ihres Nutzens oder Gebrauchs betrachtet. Es wären demnach also auch Fälle denkbar, in denen man eine Person, die einen notwendigen Satz äußert, durch konstruierte, zugegebenermaßen ausgefallene Gegebenheiten zur gegenteiligen Behauptung bzw. Aufgabe der Notwendigkeitsbehauptung führt. Als Beispiel zur Illustration dieser Überlegung wählt Wittgenstein ein schon aus den Vorlesungen über den Wissensbegriff aus dem 10
LNP.
2. Notwendige Sätze. Eine Einführung
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Frühjahrtrimester 193811 bekanntes: Angenommen es gäbe zwei ununterscheidbare Samen verschiedener Pflanzen A und B. Der Samen der Pflanze A produziert stets diese, Samen B stets jene. Nun ist man geneigt zu behaupten, es müsse ein Unterschied im Samen liegen. Wird schlussendlich ein solcher gefunden, schiene die zwingende Äußerung bestätigt. Allerdings, so betont Wittgenstein zurecht: »Notice the connection between our saying »There must be a difference« and the fact that in most cases there is a difference«.12 Diese Bemerkung erinnert sehr stark an seine schon in den Vorlesungen Anfang der dreißiger Jahre geäußerte Warnung im Zusammenhang der Annahme einer Notwendigkeit zu einer stets gegebenen Tatsache: »Don’t be prejudiced by anything which is a fact but which might be otherwise.«13 So sind auch Umstände denkbar, in denen wir die Suche nach Unterschieden aufgäben, laut Wittgenstein eine wohl ganz außergewöhnliche Handlung, ähnlich der Akzeptanz von Unschärfe, wie er in seinen Vorlesungen über den Wissensbegriff betont.14 Der Verzicht auf die Suche nach Differenzen hätte dann wohl zur Folge, Aussagen der Art »Es muss [...]« zu verwerfen. Solche Ausdrücke entsprechen – so Wittgenstein – vielmehr einem Ideal, in dessen Richtungen experimentelle Untersuchungen stets gerichtet sind. In der Lecture on Necessary Propositions umschreibt er diese Auffassung wie folgt: Saying »There must be a difference« will make you act differently, e.g., make you look for differences, etc. But if cases such as above become common, we might give up this usage. [...] Under certain circumstances we will stop saying »Seeds must be different«, we will say »We never had any good reason to suppose there must have been a difference«. To begin a new method would be an enormously difficult thing. You can say that these masked sentences are uttered when people are preoccupied with one method of representing picturing. It may be utterly revolting to say that these seeds are the same, how then can they produce different plants? How do they know what plants to produce? How queer that you can’t sort of cheat them, interchange them on a dark night and get them the other way about. Suppose I said that the surrounding ether is different although 11 12 13
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Vgl. VE, insb. S. 126. LNP. Siehe Moore, S. 98. Auch Rhees erwähnte in Gesprächen die Häufigkeit dieser Äußerung in Wittgensteins Vorlesungen. Vgl. VE, S. 126.
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the seeds are the same. This will satisfy you although there may not be the slightest verification of it. Or supposing you get different things from the seeds of the same plant. You can’t see any difference, nor predict what will happen. This is the sort of thing people are disinclined to take lying down. They make some terminological adjustment to count for this. They like things neatly explained.
Im Folgenden führt Wittgenstein zwei weitere Beispiele zur Plausibilisierung seiner Auffassung an. Nehmen wir zum Beispiel den Satz »Jeder Stab muss eine Länge haben«. Wir würden zwar sagen, ein Stab hätte diese oder jene Länge, nicht aber, ein Stab hätte keine bestimmte Länge. Allerdings, so Wittgenstein, wären auch Fälle denkbar, in denen eine solche Aussage möglicherweise Verwendung finden könnte, etwa, wenn ein Stab sich zunehmend verkleinerte, bis er ganz verschwände, oder aber, wenn er starken Vibrationen unterläge. Hier scheinen wir nun zunächst einen Fall zu haben, der von dem der Samenkörner abweicht, unterscheiden wir die Aussage »Jeder Stab muss eine Länge haben« von einer solchen wie »Jeder Stab muss eine bestimmte Länge haben«. Hier ist es natürlich denkbar, dass Gegenstände durch bestimmte Einflüsse in ihren graduell bestimmten Eigenschaften variieren. Der Satz »The rod must have some length« scheint allerdings eher in Zusammenhang zu stehen mit der an Kant erinnernden Begriffsbestimmung von Körpern als ausgedehnt15, das heißt, dass der Begriff des Stabes unter anderem dadurch bestimmt ist, dass er eine – wenn auch unter besonderen Umständen unbestimmte – Länge hat. Die Aussage über einen Stab, welcher ständig kürzer würde, erscheint uns zumindest verständlich, ein Stab ohne irgendeine Länge allerdings nicht.
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So heißt es etwa im vierten Abschnitt der Einleitung (B11) zur Kritik der reinen Vernunft, welcher die Unterscheidung in analytische und synthetische Urteile diskutiert: »Z.B. wenn ich sage, alle Körper sind ausgedehnt, so ist dies ein analytisch Urteil. Denn ich darf nicht über den Begriff, den ich mit dem Körper verbinde, hinausgehen, um die Ausdehnung, als mit demselben verknüpft, zu finden, sondern jenen Begriff nur zergliedern, d. i. des Mannigfaltigen, welches ich jederzeit in ihm denke, mir nur bewußt werden, um dieses Prädikat darin anzutreffen.« (Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, hrsg. von Georg Mohr u. Marcus Willaschek, Berlin 1998).
2. Notwendige Sätze. Eine Einführung
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Natürlich könnte man zunächst einwenden, dass in Wittgensteins Beispielsatz nicht von der Länge eines jeden Stabes die Rede ist, sondern die Verwendung der Ausdrücke »the« und »this« auf einen bestimmten singulären Stab verweist. Allerdings lassen die zu Beginn der Vorlesung angeführten Ausdrücke mit entsprechender »MustNotation«, wie »Every rod must have some length« darauf schließen, dass es sich hier nicht um die Bestimmung eines konkreten Stabes bzw. seiner Länge handelt. Auch die zunächst abweichend erscheinenden Ausführungen des Samenkornbeispiels erweisen sich bei genauerer Betrachtung dem Fall der Konstatierung einer Längeneinheit ganz analog, da ihnen der Behauptungssatz »Alles muss eine Ursache haben« zugrunde liegt. Und Wittgensteins Äußerungen zur Funktion dieses Satzes zeigen ganz deutlich, wie sehr der Aspekt der Verwendung im Mittelpunkt der Analyse sogenannter notwendiger Sätze steht. So bemerkt er zu Beginn der Vorlesung: »Philosophers talk about this [the Law of Causality] on certain special occasions. A physicist may mention it as a ground law at the beginning of a book but never use it. A huge class of people would say ‘Bosh’ if you asked them about these propositions.«16 Ein weiteres, nur in sehr kurzen Bemerkungen angeführtes Beispiel bezieht sich auf die Unterscheidung zwischen physikalischem Raum und Gesichtsraum, eine Unterscheidung, welche insbesondere in den Philosophischen Bemerkungen eine zentrale Rolle einnahm17. Diese Differenzierung erscheint geradezu paradigmatisch zur Plausibilisierung der Idee unterschiedlicher Grammatiken – hier des jeweiligen Raumes – und verdeutlicht auch, dass der Anspruch notwendiger Behauptungen systemübergreifend nicht aufrecht zu erhalten ist, bedingt wiederum durch die Willkürlichkeit der jeweiligen Grammatiken und 16
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In der ersten Vorlesung der Lectures on Knowledge findet sich eine ganz analoge Stelle, dort heißt es: »The Law of Causality is referred to at the beginning of scientific books, and then never mentioned again. Ought we to leave out the bow to the Law of Causality? I say ‘Do away with it’.« Interessanterweise, dies sei nur angemerkt, ließe sich auch hier wieder eine Verbindung zu Kant herstellen, so bemerkt dieser etwa im Rahmen der Auflösung der dritten Antinomie zwischen Freiheit und Notwendigkeit (B 561): »[…] weil es ein allgemeines Gesetz, selbst der Möglichkeit aller Erfahrung ist, daß alles, was geschieht, eine Ursache […] haben müsse.« (Kant, ebd.) Vgl. etwa PB, Kap. IV–IX, XII, XVI, XX u. XXI, sowie den Brief an Schlick vom 18. Februar 1929.
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Wittgensteins »Single lecture«
der damit verbundenen Auffassung, dass sie einander nicht widersprechen können. Denn grundsätzlich ist dann von etwas ganz Anderem die Rede und nicht von negierenden Bestimmungen alternativer Notationen. So heißt es an einer Stelle der Philosophischen Grammatik: Das was so schwer einzusehen ist, kann so ausgedrückt werden: daß, solange wir im Bereich der Wahr-Falsch-Spiele bleiben, eine Änderung der Grammatik uns nur von einem solchen Spiel zu einem andern führen kann, aber nicht von etwas Wahrem zu etwas Falschem. Und wenn wir anderseits aus dem Bereich dieser Spiele heraustreten, so nennen wir es nicht mehr »Sprache« und »Grammatik«, und zu einem Widerspruch mit der Wirklichkeit kommen wir wieder nicht.18
Wittgensteins gewähltes Beispiel bezieht sich dabei auf eine genau bestimmte Anzahl gesehener Regentropfen. Auf die Frage, wie viele Tropfen man beim Betrachten eines Regenschauers sieht, wäre eine mögliche Erwiderung, man müsse eine bestimmte Anzahl an Tropfen sehen. Die Bestimmung des Begriffs der definiten Anzahl steht hier offenbar in Beziehung zu bestimmten Methoden des Zählens oder auch der Möglichkeit des Fotografierens. Wie allerdings verhält es sich im Fall der Sinnesdatenterminologie? Hierzu bemerkt Wittgenstein mit der interessanten Schlussfolgerung: »How many drops are contained in my sense datum?« Here there are no methods of counting, etc. The very uncertainty you are in can be taken to be the uncertainty of the number. Here, keeping sense datum notation consistent, you’d better say »Here, there is an indefinite number«. You can be persuaded to give up ‘must notation’. Now a person would no longer be inclined to say he was uttering a necessary proposition. Former use of proposition will be abandoned entirely. At the moment when you persuade him to give up the proposition, it will, as it were, have lost its point. Its point was that it should never be given up or part of its point was this.
Da uns das erstgewählte Beispiel Wittgensteins bereits aus früheren Untersuchungen vertraut ist, erscheint es an dieser Stelle angebracht, 18
PG, S. 111. In seinen Schriften über die Philosophie der Psychologie bemerkt Wittgenstein, dass es einen richtigen und falschen Zug nur in einem Spiel geben kann, ganz analog der Heuchelei und seinem Gegenteil nur im Rahmen eines komplizierten Ausdrucksspiels (vgl. LPP, § 946).
3. Denkbarkeit und Negation
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nochmals auf einige weitergehende Überlegungen im Bezug auf notwendige Sätze zurückzugreifen.
3. Denkbarkeit und Negation Welche zentrale Rolle die Negation hinsichtlich der Unterscheidung in grammatische und empirische Sätze spielt, zeigt sich auch in § 251 der Philosophischen Untersuchungen: Im Rahmen des sogenannten Privatsprachenarguments diskutiert Wittgenstein zunächst die Frage, wie der Ausdruck »Ich kann mir das Gegenteil nicht vorstellen« zu verstehen ist. In dem hier angesprochenen Paragraphen wird klar ersichtlich, dass das Konzept des Vorstellungsvermögens nicht psychologisch oder physiologisch bestimmt ist, etwa, dass die Unmöglichkeit gegenteiliger Vorstellungen durch eine Beschränkung oder einen Mangel an Vorstellungskraft bedingt sei, welche sich beispielsweise durch übermäßige Anstrengungen beheben ließen. Es würde sich dann um den Ausdruck eines empirischen Tatbestandes handeln. Hier liegt jedoch vielmehr die Verwechslung eines empirischen Satzes mit einem grammatischen vor, erzeugt durch seine Form als die eines Erfahrungssatzes. Dass der Begriff der Denkbarkeit der Seite der Logik zuzuordnen ist, verdeutlicht die folgende Bemerkung: Die logischen Gesetze sind allerdings der Ausdruck von »Denkgewohnheiten«, aber auch von der Gewohnheit zu denken. D.h., man kann sagen, sie zeigten: wie Menschen denken und auch, was Menschen »denken« nennen. […] Die Sätze der Logik sind »Denkgesetze«‚ »weil sie das Wesen des menschlichen Denkens zum Ausdruck bringen« – richtiger aber: weil sie das Wesen, die Technik, des Denkens zum Ausdruck bringen, oder zeigen. Sie zeigen, was das Denken ist, und auch Arten des Denkens.19
Hier ist es allerdings wichtig zu betonen, dass die logischen Gesetze zum Phänomen des Denkens nicht in einem Zusammenhang der Ab-
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BGM, S. 89 f. In einer Bemerkung aus dem Frühjahr 1930 heißt es: »Die Logik ist eine Geometrie des Denkens. Was an der Logik menschlich ist, geht uns nichts an.« (Den Hinweis zu dieser Stelle verdanke ich Rhees, sie stammt aus Band IV, S. 242.)
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Wittgensteins »Single lecture«
hängigkeit stehen, wie etwa physikalische Gesetze zu Beobachtungen und Experimenten.20 Zur Plausibilisierung des Begriffs der Unmöglichkeit verweist Wittgenstein auf Freges Bemerkung, dass es den Menschen unmöglich sei, einen Gegenstand als von sich verschieden anzuerkennen.21 Auch hier ist man zunächst geneigt zu glauben, man könne zwar versuchen, das Unmögliche zu denken, würde aber scheitern. Es zeigt sich allerdings, dass ein Satz, welcher die Verschiedenheit eines Gegenstandes von sich selbst behauptet, nicht falsch, sondern gänzlich unverständlich ist, das heißt, wir wüssten gar nichts damit anzufangen. Hier wäre natürlich ganz grundsätzlich zu bedenken, wie sich überhaupt sinnvoll nach der Möglichkeit einer logischen Unmöglichkeit fragen lässt, denn das hieße nach Wittgensteins Auffassung, dass man logisch nicht miteinander vereinbare Begriffe gegen die Regeln der Grammatik – und somit unsinnig – zusammensetzt und nun sinnvoll nach der Möglichkeit einer solchen Zusammenstellung fragt, etwa analog dem Beispiel: »Ist 25 · 25 = 620?«, da doch das Ergebnis dieses Ausdrucks logisch unmöglich ist22. Denn wie sähe eine Beschreibung aus, für die diese Bestimmung gilt? Offensichtlich hängt die sinnvolle Infragestellung eines solchen Satzes von möglichen Methoden der Verifikation ab: »Wir stellen uns hier nicht vor, oder beschreiben, wie es ist, wenn 25 · 25 = 620 ist, und das heißt eben, daß wir es hier mit einer andern (logischen) Art von Frage zu tun haben, als etwa der: ‚ist diese Straße 620 oder 625 m lang?‘«23 Warum nun, so ließe sich fragen, neigt man vielmehr zu der Aussage, man könne sich das Gegenteil des Gesagten nicht vorstellen? Zur Veranschaulichung der Problematik wählt Wittgenstein in § 251 den Satz »Jeder Stab hat eine Länge«, welchen er paraphrasiert mit den Worten: »Wir nennen etwas (oder dies) die Länge eines Stabes«. Hingegen finden Längenbestimmungen beispielsweise keine Anwen20
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Rhees erwähnte hierzu Wittgensteins Ablehnung gegenüber Ramseys Neigung, die Logik als eine Erfahrungswissenschaft aufzufassen, da dieser nicht den Unterschied zwischen logischer und wissenschaftlicher (scientific) Exaktheit sah. Vgl. auch Rhees, Rush: »The Philosophy of Wittgenstein«, in: Rhees, Rush: Discussions of Wittgenstein, S. 43 f. Vgl. Frege, Gottlob: Grundgesetze der Arithmetik Band I, Hildesheim 21998, S. XVII. Vgl. hierzu auch PU, §§ 215 f. Vgl. PG, S. 392. Ebd.
3. Denkbarkeit und Negation
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dungen bei Kugeln.24 Die Vorstellung nun, dass jeder Stab eine Länge hat, besteht offensichtlich in nichts mehr, als der Vorstellung eines Stabes. Und natürlich wüssten wir nicht, was es hieße, sich davon nun eine gegenteilige Vorstellung zu machen, im Gegensatz etwa zu einem Fall, der die Längengleichheit zweier Gegenstände behauptet. Wenn ein Ausdruck wie »Jeder Stab hat eine Länge« nichts anderes heißt, als dass wir etwas als die Länge eines Stabes bezeichnen, dann lässt sich nicht mehr sinnvoll nach einem Gegenteil bzw. seiner Möglichkeit fragen. Der Paragraph endet mit der zentralen, wenn auch in zweifache Klammer gesetzten Äußerung: »((Bemerkung über die Verneinung eines Satzes a priori))«. Zur Beantwortung der in § 252 nur geäußerten Frage, warum wir vielmehr dazu neigen, einem Satz wie »Dieser Körper hat eine Ausdehnung« zuzustimmen, statt ihn für Unsinn zu erklären, dient ein Abschnitt im sechsten Kapitel des ersten Teils der Philosophischen Grammatik, in welchem Wittgenstein jenen Zusammenhang bereits diskutiert. Hier setzt er die Idee der Unvorstellbarkeit des Gegenteils in Beziehung zur Sinnlosigkeit metaphysischer Ausdrücke und argumentiert ganz analog der Stelle aus den PU, dass die Unmöglichkeit des gegenteiligen Vorstellens ebenso die Vorstellung selbst ausschließt. Begründet wird die Behauptung wiederum durch die Negation im Rahmen empirischer im Gegensatz zu grammatischen Sätzen, da die Ausgeschlossenheit nicht auf einer mangelnden Vorstellungsgabe, das heißt, einem empirischen Phänomen beruht. Im Zusammenhang solcher Ausdrücke wie »Dieser Stab hat eine Länge« liegt also keine Verbindung zwischen einem Satz und der Darstellungsweise in Form einer Vorstellung vor.25 Die zunächst eigentümlich erscheinende Idee dieses Arguments hängt wohl sehr stark mit der in § 252 aufgeworfenen Frage nach der Neigung zur Verwerfung solchen Sätzen widersprechender Aussagen und dem Fürwahrhalten ihres Gegenteils zusammen. Wittgensteins Rechtfertigung dieser Neigung liegt in der fälschlichen Auffassung 24
25
Interessanterweise findet sich schon in einer Tagebuchaufzeichnung vom 22. 06. 1915 die folgende Bemerkung: »Nenne ich z.B. irgend einen Stab ‚A‘, eine Kugel ‚B‘, so kann ich von A sagen, es lehnt an der Wand, aber nicht von B. Hier macht sich die interne Natur von A und B bemerkbar.« (TB, S. 164) Der Begriff der Vorstellung ist dabei nicht notwendigerweise an den eines Vorstellungsbildes geknüpft, bzw. anders ausgedrückt, bestünde eine entsprechende Vorstellung in nichts anderem als in der eines Stabes.
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Wittgensteins »Single lecture«
solcher Sätze als Tautologien begründet, da sie offensichtlich dadurch verifiziert sind, dass, wie im hier besprochenen Beispiel, eine bestimmte Längenzuschreibung eines Stabes das Vorliegen einer Länge garantiert. Wie wir allerdings bereits aus früheren Untersuchungen wissen, handelt es sich bei solchen Sätzen um grammatische, welchen kein Wahrheitswert zugeschrieben werden kann. Hier zeigt sich also wiederum Wittgensteins Bestimmung von »Sätzen« als Aussagen über Eigenschaftsbestimmungen von Gegenständen einerseits und als Regeln der Verwendung sprachlicher Ausdrücke andererseits. Ein Satz wie »Dieser Stab hat eine Länge« bezeichnet demnach das, was wir »die Länge eines Stabes« nennen und nicht etwa eine bestimmte Qualität des Gegenstandes.26 Offensichtlich weisen diese Überlegungen zudem auf die Verwechslung der Ausdrücke »haben« bzw. »sein« und «heißen« hin, die wiederum in sehr engem Zusammenhang stehen zur Funktion von Paradigmen und ihrer Verwechslung mit Gegenständen, denen sie zugeschrieben werden, ein Punkt, der uns auch bereits aus früheren Untersuchungen bekannt ist.27 So können wir beispielsweise auch im Fall des Urmeters in Paris nicht sagen, es sei einen Meter lang, noch ihm diese Eigenschaft absprechen, da er ja gerade das Paradigma dessen bildet, was wir »einen Meter« nennen.28 Diese Überlegungen, das sei hier nur erwähnt, werfen auch ein Licht auf Wittgensteins Auffassung von Wesensbestimmungen, wenn er etwa an einer Stelle der Philosophischen Untersuchungen bemerkt, dass das Wesen in der Grammatik ausgesprochen sei.29 26
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Diese mögliche Irreführung wird offensichtlich auch im Rahmen der Symbolisierung eines Ausdrucks wie »A hat eine Länge« sichtbar, so etwa in »(∃L). La«, welche ebenso verwendet werden könnte für Aussagen wie »A hat einen Vater«. (Vgl. hierzu PG, S. 351 f.) Siehe Kap. 2. An einer Stelle der BGM (S. 76) heißt es: »Ist es nicht so: das Bild eines schwarzen und eines weißen Flecks dient uns zugleich als Paradigma dessen, was wir unter ‚heller‘ und ‚dunkler‘ verstehen und als Paradigma für ‚weiß‘ und für ‚schwarz‘. In so fern ‚liegt‘ nun die Dunkelheit ‚im‘ Schwarz, als sie beide von diesem Fleck dargestellt werden. Er ist dunkel, dadurch daß er schwarz ist. – Aber richtiger gesagt: er heißt ‚schwarz‘ und damit, in unserer Sprache, auch ‚dunkel‘. Jene Verbindung, eine Verbindung der Paradigmen und Namen ist in unsrer Sprache hergestellt.« In einem späteren Abschnitt wird dieser Gedanke nochmals aufgegriffen und einer genaueren Untersuchung unterzogen.
4. Regeln der Grammatik
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4. Regeln der Grammatik im Schema analytischer und synthetischer Sätze Die bisherigen Erörterungen legen zunächst die Annahme nahe, Sätze der Grammatik ließen sich unter die Kategorie der sogenannten analytischen und empirische unter die der synthetischen Sätze subsumieren. Bei genauerer Betrachtung erweist sich diese Klassifizierung allerdings als unzureichend und das zumindest aus zwei Gründen: Erstens sind im Rahmen der von Wittgenstein entwickelten, üblicherweise bezeichneten Gebrauchstheorie der Bedeutung30 Sätze ohne Berücksichtigung des Kontexts nicht eindeutig zuordenbar und zweitens umfasst der Bereich der grammatischen Regeln mehr als den Umfang analytischer Aussagen. Im Folgenden sollten wir daher etwas genauer auf das Verhältnis von Regeln zu empirischen und analytischen Sätzen eingehen.31
4.1. Regeln der Grammatik und empirische Sätze Die hier zugrunde liegende Fragestellung lässt sich zumindest in zwei Kontexten diskutieren, von welchen allerdings im Rahmen der hier skizzierten Problematik nur der erste genauer untersucht werden soll. Thematisiert wird er in intensiver Weise in Wittgensteins Auseinandersetzung mit dem Problem des Solipsismus, insbesondere in den Vorlesungen der ersten Hälfte der dreißiger Jahre und den Blue and Brown Books. In dieser Kontroverse wird durch die Abgrenzung empirischer von grammatischen Sätzen vor allem Wittgensteins Auffassung der Metaphysik sehr deutlich. Seine Beurteilung metaphysischer Aussagen erfolgt dabei im Rahmen jener Dichotomie, auf welche hier etwas genauer eingegangen werden sollte. Ein zweiter Untersuchungs30
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Natürlich ist uns Wittgensteins ablehnende Einstellung gegenüber Theorien bekannt. »Und wir dürfen keinerlei Theorie aufstellen. Es darf nichts Hypothetisches in unsern Betrachtungen sein. Alle Erklärung muß fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten. Und diese Beschreibung empfängt ihr Licht, d.i. ihren Zweck, von den philosophischen Problemen.« (PU, § 109) Vgl. hierzu auch: Munz, Volker A.: Regel und notwendiger Satz. Wittgensteins Begriff der Grammatik im Kontext analytischer und synthetischer Sätze, in: Neumer, Katalin [Hg.]: Die Traditionen Wittgensteins, Frankfurt am Main u. a. 2004 (Wittgenstein Studien Band 10), S. 57–83.
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Wittgensteins »Single lecture«
strang ließe sich in Wittgensteins Auseinandersetzung32 mit G. E. Moores »A Defence of Common Sense« und »Proof of an External World«33 rekonstruieren. In vielen dieser Bemerkungen zeigt sich offensichtlich, dass auch Ausdrücke, die eigentlich dem Bereich der Erfahrungssätze entstammen, die Rolle von Regeln übernehmen können. So heißt es etwa an einer Stelle: »Daß unsre Erfahrungsaussagen nicht alle gleichen Status haben, ist klar, da man so einen Satz festlegen und ihn vom Erfahrungssatz zu einer Norm der Beschreibung machen kann«34. Da der weitere Zusammenhang allerdings das Problem des sinnvollen Zweifels bzw. Irrtums und den damit einhergehenden Wissensbegriff umfasst und die Funktion dieser gleichsam zur Norm erhärteten Erfahrungssätze daher weniger einer sinnvollen Anwendungsbestimmung zuzuschreiben ist, kann er hier vernachlässigt werden. Allerdings zeigt die Tatsache, dass Wittgenstein in diesem Kontext auch von der logischen Möglichkeit spricht35, offensichtlich die enge Verknüpfung des Verhältnisses von Empirie und Logik und damit einhergehend, dass eine eindeutige Kategorisierung in grammatische und empirische Sätze nicht durchführbar scheint: Die Grenze der beiden Bereiche erweist sich als fließend und auch Sätze, die dem Bereich der Erfahrung entstammen, können, ganz analog den Regeln der Grammatik, im Rahmen eines Systems von Überzeugungen die Grundlage unserer Urteilsbildung liefern: Kann ein Behauptungssatz, der als Hypothese funktionieren könnte, nicht auch als ein Grundsatz des Forschens und Handelns gebraucht werden? D.h., kann er nicht einfach dem Zweifel entzogen sein, wenn auch nicht einer ausgesprochenen Regel gemäß? Er wird einfach als eine Selbstverständlichkeit hingenommen, nie in Frage gezogen, ja vielleicht nie ausgesprochen.36
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In Über Gewissheit [ÜG]. Moore, George Edward: Philosophical Papers, London 1959, S. 32–59 u. 127– 150. ÜG, § 167. In einer Bemerkung nur einige Wochen vor seinem Tod heißt es: »[…] Es ist aber keine scharfe Grenze zwischen methodologischen Sätzen und Sätzen innerhalb einer Methode. Aber müßte man dann nicht sagen, daß es keine scharfe Grenze gibt zwischen Sätzen der Logik und Erfahrungssätzen? Die Unschärfe ist eben die der Grenze zwischen Regel und Erfahrungssatz.« (Ebd., § 318 f.) Vgl. ebd., §§ 21, 26, 155, 194, 308, 454. Ebd., § 87. Vgl. auch ÜG, §§ 92–99, 102–105.
4. Regeln der Grammatik
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Oder auch: »Ich will sagen: Sätze von der Form der Erfahrungssätze und nicht nur Sätze der Logik gehören zum Fundament alles Operierens mit Gedanken (mit der Sprache).«37 Ohne im Weiteren genauer auf die Solipsismusdebatte eingehen zu können, sollen in diesem Abschnitt lediglich die in Verbindung mit der hier zu untersuchenden Satzklassifizierung stehenden Bemerkungen Wittgensteins zumindest im Ansatz etwas genauer beleuchtet werden, da sie neben dem bereits erörterten Farbeninkompatibilitätsproblem eine zentrale Position zur Plausibilisierung des Grammatikbegriffs einnehmen. Zunächst erscheint es mir dabei wichtig zu erwägen, welche Rolle der Begriff des Unsinns in dieser Konzeption spielt.
4.2. Bemerkungen zum Begriff des Unsinns38 Der Einleitung des Tractatus entnehmen wir zunächst das zugrunde liegende Programm der Grenzziehung des Denkens bzw. des Ausdrucks der Gedanken. Demnach kann die Grenze dessen, was gedacht wird, nur in der Sprache gezogen werden. Sinnvolle Sätze bilden dabei mögliche bzw. denkbare Sachverhalte ab, alles jenseits jenes Li37
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Ebd., 401. Eine Bemerkung Wittgensteins, vermutlich aus dem Jahre 1943/44, lautet ganz analog: »Es ist als hätten wir den Erfahrungssatz zur Regel verhärtet. Und wir haben nun nicht eine Hypothese, die durch die Erfahrung geprüft wird, sondern ein Paradigma, womit die Erfahrung verglichen und beurteilt wird. Also eine neue Art von Urteil.« (BGM, S. 324) Zu Bemerkungen über das System von Überzeugungen siehe insb. §§ 92–105. Als weitere Stellen zum Beleg obiger Ausführungen seien u.a. genannt: §§ 136, 139–41,167, 318, 319, 321, 402, 494. Zu einer genaueren Untersuchung der in Über Gewissheit zugrunde liegenden Fragestellungen vgl. Schulte, Joachim: Wittgenstein. Eine Einführung, Stuttgart 1991, S. 211–234. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Diskussion über die Bedeutung des Ausdrucks »Unsinn« im TLP hier vernachlässigt werden kann. Als prominente Vertreter wären hier etwa Cora Diamond, James Conant oder Warren Goldfarb zu nennen. Vgl. etwa Diamond, Cora: »What Nonsense Might Be«, in: Diamond, Cora: The Realistic Spirit, Cambridge 1991, Diamond, Cora: »Frege and Nonsense«, in: Diamond, Cora: The Realistic Spirit, Goldfarb, Warren: »Metaphysiscs and Nonsense: On Cora Diamond’s The Realistic Spirit«, in: Journal of Philosophical Research, Vol. XXII, 1997, S. 57–73. Vgl. auch Vilhauer, Ben: »On a Tension in Diamond’s Account of Tractarian Nonsense«, in : Philosophical Investigations 26, 3 (2003), S. 230–238.
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mits wird schlicht Unsinn sein. Diese Idee hängt natürlich neben der in der Abhandlung postulierten Isomorphie zwischen Gedanke, Satz und Welt als Basis der daraus entwickelten Abbildtheorie auch mit der in TLP 6.53 formulierten philosophischen Auffassung Wittgensteins zusammen. Obgleich er die Theorie der Abbildung nach Wiederaufnahme seiner philosophischen Studien im Jahr 1929 verwarf, spielt die interne Relation zwischen Sprache und Wirklichkeit weiterhin eine zentrale Rolle. In 4.03 des Tractatus heißt es zwar noch, dass der Satz dadurch, dass er uns einen Sachverhalt mitteilt, mit diesem wesentlich verbunden sein muss und ihre Verknüpfung in der des logischen Bildes besteht, das heißt, dass der Satz nur als ein solches überhaupt etwas aussagt. In den Philosophischen Bemerkungen findet sich dann jedoch die folgende Stelle: Was zum Wesen der Welt gehört, kann die Sprache nicht ausdrücken. […] – Denn was zum Wesen der Welt gehört, läßt sich eben nicht sagen. Und die Philosophie, wenn sie etwas sagen könnte, müßte das Wesen der Welt beschreiben. Das Wesen der Sprache aber ist ein Bild des Wesens der Welt; und die Philosophie als Verwalterin der Grammatik kann tatsächlich das Wesen der Welt erfassen, nur nicht in Sätzen der Sprache, sondern in Regeln für diese Sprache, die unsinnige Zeichenverbindungen ausschließen.39
In dieser Bemerkung zeigt sich bereits Wittgensteins gewandelte Auffassung der Aufgabe der Philosophie und ihrer Stellung zum Begriff der Grammatik. Wie wir ja bereits in der Diskussion des Farbenunvereinbarkeitsproblems gesehen haben, erwies sich der Symbolismus des Tractatus als nicht ausreichend, unsinnige Satzverknüpfungen, wie etwa die Mehrfachbestimmung einer Gradangabe, auszuschließen. War dort noch der Möglichkeitsraum durch die logischen Konstanten bestimmt, wurde diese Auffassung unter Verwerfung der Annahme einer und nur einer logischen Analyse im System eines wahrheitsfunktionalen Kalküls nun ersetzt durch die Einführung des Regelbegriffs im Rahmen bestimmter Grammatiken. Und wie es scheint, legen dabei die jeweiligen zugrunde liegenden Regelkataloge die entsprechenden Grammatiken fest. Im Gegensatz zum Tractatus, in dem Wittgenstein noch die Annahme einer fundamentalen logischen Syntax und ihrer 39
PB, S. 84 f.
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Offenlegung mittels logischer Analyse vertrat, entwickelte er nach 1929 nun die Idee mehrerer Grammatiken, etwa für verschiedene Wahrnehmungsfelder oder Farben40, welche nun auch den Begriff der logischen Möglichkeit und Unmöglichkeit maßgebend revidierte und neu bestimmte. Andererseits wiederum sprach er auch in sehr allgemeinem Sinn von den Regeln der Grammatik bzw. grammatischen Regeln.41 Im Rahmen dieser neuen Konzeption nun stoßen wir auch wieder auf den Begriff des Unsinns, der nach wie vor in negativer Form durch den Bereich des Denkbaren und damit sinnvoll Sagbaren bestimmt ist. So heißt es im Tractatus, dass ein Satz wie »Sokrates ist identisch« deshalb nichts besagt, weil es keine mit »identisch« bezeichnete Eigenschaft gibt und die Unsinnigkeit eines solchen Ausdrucks auf einer nicht getroffenen, willkürlichen Bestimmung beruht. Und metaphysische Aussagen sind offensichtlich dadurch definiert, dass einigen in ihnen enthaltenen Zeichen keine Bedeutung zugewiesen wurde.42 Zwar hat Wittgenstein im Zuge der Verwerfung seiner Abbildtheorie und referentiellen Semantik auch den Begriff der Bedeutung selbst durch eine entsprechende Gebrauchstheorie neu bestimmt, was jedoch nichts daran ändert, dass er im Rahmen der Beurteilung metaphysischer Aussagen und unsinniger Sätze weiterhin die zentrale Rolle spielt, wie alleine schon obige Stelle aus den Philosophischen Bemerkungen belegt. Neu nun an Wittgensteins Konzeption ist der Grundgedanke, dass sich die Sinnhaftigkeit und damit die mögliche Wahrheitswertzuschreibung von Sätzen an der Übereinstimmung mit den Regeln der 40
41 42
Siehe beispielsweise Russells Report (08. 05. 1930): »[…] There is thus a collection of possibilities of a certain kind which is concerned in any fact. Such a collection of possibilities Wittgenstein would call a ‘space’. Thus there is a ‘space’ of colours, and a ‘space’ of sounds. There are various relations among colours which constitute the geometry of that ‘space’. All this is in one sense, independent of experience: that is to say, we need the kind of experience through which we know what ‘green’ is, but not the kind through which we know that a certain patch of wall is green. Wittgenstein uses the word ‘grammar’ to cover what corresponds in language to the existence of these various ‘spaces’.« Russell, Bertrand: The Autobiography of Bertrand Russell Volume I– III, London 1967–1968, S. 199 f. So beispielsweise PB, S. 55, 278, PG, S. 53, 89, 110, 184 ff., 324. Vgl. TLP 5.473, 6.53.
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Grammatik orientiert. Zur Verdeutlichung dieses Zusammenhangs wird die Analogie zu den Regeln eines Spiels hergestellt, welches zwar im Rahmen eines Kanons falsche und richtige Züge erlaubt. Solche allerdings, die einer der zugrunde liegenden Regeln widersprechen, sind nicht selbst Bestandteil dieses, sondern vielmehr eines anderen oder gar keines Spiels. Die Analogie dient dabei wiederum der Abgrenzung wahrer und falscher von unsinnigen Sätzen und der Betonung des Unterschieds in der Negation zwischen Sätzen und Regeln, welche ihre Grundlage bilden. Dieser Punkt des Widerspruchs von Sätzen einerseits und Regeln andererseits ist uns ja auch schon aus früheren Untersuchungen bekannt. Exemplarisch soll hier nur nochmals an einen Gedankengang im Rahmen des Farbenunvereinbarkeitsproblems erinnert werden: Der Satz, dass rot und grün nicht zugleich am selben Ort sein können, bringt keine faktische Begebenheit zum Ausdruck, da es vielmehr Unsinn ist, zu behaupten, sie seien zugleich an einem Ort, was für Wittgenstein grundsätzlich auch für ihre Negation gilt. Begründet wird dieses Argument dadurch, dass ein solcher Satz durch seine Negation keinen Widerspruch erzeugt, sondern vielmehr einer verkappten Regel unserer Grammatik widerspricht, welche eben gerade besagt, dass an einem Ort zu einem Zeitpunkt nur eine Farbe Platz hat.43 So lautet eine Vorlesungsbemerkung Wittgensteins: »Nonsense is produced by trying to express in a proposition something which belongs to the grammar of our language«44. Ganz analog heißt es in einer Gesprächsaufzeichnung Waismanns vom Dezember 1929: »,Ich kann nicht Ihren Zahnschmerz fühlen.‘ Der […] Satz ist reiner Unsinn. Ein solcher Satz ist durch die Syntax verboten.«45 Diese Bemerkung liefert uns nun vielleicht den Übergang zu einer genaueren Betrachtung der Wittgenstein’schen Auffassung des Verhältnisses zwischen empirischen und grammatischen Sätzen und der Positionierung metaphysischer Ausdrücke im Rahmen dieser Konzeption. Wie bereits angedeutet, findet sich ein Diskussionsschwerpunkt der Problematik in den Diktaten des Blue Book und Yellow Book so43
44 45
Vgl. Big Typescript, S. 477. Ein analoges Argument zur Negation unsinniger Sätze findet sich etwa im Blue Book (Wittgenstein, Ludwig: The Blue and Brown Books. Preliminary Studies for the »Philosophical Investigations«, Oxford 51972, S. 88). Lectures 1932–35, S. 18. WWK, S. 49.
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wie den Vorlesungen aus den Jahren 1932–35. Daher werden sie auch in den folgenden Erörterungen eine der Textgrundlagen bilden.
4.3. Metaphysik und Symbolismus 4.3.1. Apropos »Ein Anderer kann nicht meine Schmerzen spüren.«46 Im Rahmen eines Gesprächs mit Mitgliedern des Wiener Kreises im Dezember 1929 diskutiert Wittgenstein zunächst seine Auffassung des Sinnbegriffs von Sätzen im Zusammenhang mit dem Verifikationsprinzip und verweist bereits in diesem Kontext auf das Problem der Mehrdeutigkeit sprachlicher Ausdrücke. Der hier etwas genauer zu untersuchende Status von Sätzen der Art »Ich kann nicht die Schmerzen eines Anderen spüren« steht hier natürlich in enger Verbindung mit der Frage, ob es sich bei solchen Aussagen um die Behauptung empirischer Phänomene handelt. Wittgenstein unterscheidet die folgenden Sätze: »Ich kann nicht in Ihrem Zahn Schmerz fühlen« und »Ich kann nicht Ihren Zahnschmerz fühlen«. Da der Sinnbegriff zunächst nur auf Sätze der Empirie Anwendung findet, handelt es sich bei der ersten Behauptung um eine sinnvolle, da in ihr ein empirischer Tatbestand zum Ausdruck gebracht wird. Zur Erläuterung dieser These führt Wittgenstein ein Beispiel an, welches er im Blue Book wieder aufgreift und genauer diskutiert. Es handelt sich dabei um die Vorstellung im Zahn eines anderen Menschen Schmerzen zu empfinden. Das entscheidende Gewicht liegt hier auf der Abgrenzung empirischer von logischer Unmöglichkeit.47 Denn diese Differenzierung wird erst dann deutlich, wenn man sich darüber klar wird, dass es sehr wohl möglich, das heißt, widerspruchsfrei denkbar ist, im Zahn eines anderen Schmerzen zu empfinden. Genau darin zeigen sich offensichtlich die semantischen Unterschiede im Gebrauch eines Satzes wie »Ich kann nicht die Schmerzen eines Anderen haben«, denn soll damit zum Aus46
47
Vgl. hierzu auch: Munz, Volker A.: I can’t have your pains. First Person Statements and the Ambiguity of Meaning, in: Personen. Ein interdisziplinärer Dialog. Beiträge der Österreichischen Ludwig Wittgenstein Gesellschaft Volume X, Kirchberg am Wechsel 2002, S. 179–181. Vgl. u.a. BB, S. 56 ff.
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druck gebracht werden, dass man nicht an irgendeiner Körperstelle des anderen Schmerzen spüren kann, handelt es sich um die Konstatierung eines empirischen Tatbestandes, welcher allerdings auch in seiner negierten Form denkbar und also durch einen sinnvollen Satz beschreibbar ist. Wird hingegen behauptet, dass eine Person nicht die Schmerzen einer anderen haben kann, da jede immer nur ihre eigenen Schmerzen spürt, handelt es sich nicht mehr um einen sinnvollen Satz. Ausdrücke von der Art des zweiten Beispiels sind für Wittgenstein unsinnig, da sie gegen die Syntax der Sprache verstoßen. Was allerdings ist darunter zu verstehen? Für Wittgenstein handelt es sich bei obigem Problem offenbar um eine grammatische Schwierigkeit: The grammatical difficulty which we are in we shall only see clearly if we get familiar with the idea of feeling pain in another person’s body. For otherwise, in puzzling about this problem, we shall be liable to confuse our metaphysical proposition »I can’t feel his pain« with the experiential proposition, »We can’t have (haven’t as a rule) pains in another person’s tooth«.48
Wittgensteins Beispiel richtet sich zunächst gegen den Realismus, der den Zahnschmerz einer anderen Person nicht von dem Schmerz in ihrem Zahn unterscheidet und dadurch den Begriff des Könnens als Konstatierung einer empirischen Unmöglichkeit verwendet. Der Punkt des Zahnbeispiels soll allerdings illustrieren, dass ein Satz der Art »Ich kann seine Schmerzen nicht spüren« gerade nicht einen solchen Sachverhalt beschreibt und somit kein Faktum behauptet. In diesem Sinne ist auch die Differenzierung in empirische und metaphysische Sätze zu verstehen. In einer Diskussion mit A. C. Ewing und Richard Braithwaite im April 1947 antwortete Wittgenstein auf die Frage, was er über die Merkmale metaphysischer Sätze sagen könne: [...] the characteristics of a Metaphysical [sic!] statement, insofar as one could be given at all, was the empirical air, the pseudo empirical character. They are put in such a way as to make us think we could experiment to find out more about them.«49 Offensichtlich würde ein Metaphysi48 49
BB, S. 49. Festgehalten wurden diese Bemerkungen von Gilbert Edwards, in: Edwards, Gilbert Harris: Wittgenstein’s Lectures, Cambridge Wren Library, 1946–1947. Die zitierte Stelle findet sich auf den Seiten 119 ff. Vgl. hierzu auch Wittgenstein: Private and Public Occasions, S. 338.
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ker diesem Gedankengang wohl ebenfalls zustimmen, keinen Anspruch auf empirische Fakten zu stellen. Es müsste daher in der Folge gezeigt werden, inwiefern die Sätze der obigen Art, die die logische Unmöglichkeit der Schmerzempfindung anderer Personen konstatieren, unsinnig sind und warum es sich dabei vielmehr um versteckte Regeln unserer Grammatik des Schmerzbegriffes handelt. So bemerkt Wittgenstein an einer Stelle: By »I can’t feel his toothache« is meant that I can’t try. It is the character of the logical cannot that one can’t try. […] In the arguments of idealists and realists somewhere there always occur the words ‘can’, ‘cannot’, ‘must’. No attempt is made to prove their doctrins by experience. The words ‘possibility’ and ‘necessity’ express part of grammar, although patterned after their analogy to ‘physical possibility’ and ‘physical necessity’.50
Unsinn entsteht somit immer dann, wenn man der Versuchung erliegt, etwas in einem Satz und das heißt in einem sinnvollen Satz, welcher einen denkbaren Sachverhalt ausdrückt, zu behaupten, was vielmehr als ein Bestandteil der jenem Satz zugrunde liegenden Grammatik zuzuordnen ist. Hierin zeigt sich also bereits, dass das Problemfeld zumindest aus zwei Bereichen besteht, welche einerseits durch die Mehrdeutigkeit sprachlicher Ausdrücke und andererseits durch ihren Satzstatus selbst bestimmt sind. Wenn demnach zunächst gezeigt wurde, inwiefern ein und derselbe Satz sowohl einen empirischen Sachverhalt als auch eine metaphysische These zum Ausdruck bringen kann, gilt es im Weiteren bei Vorliegen einer solchen metaphysischen Behauptung zu verdeutlichen, warum sie als unsinnig aufzufassen ist und worin ihre tatsächliche Funktion besteht.
4.3.2. Zum Problem der Mehrdeutigkeit von Sätzen Die Doppeldeutigkeit von sprachlichen Ausdrücken wie »Nur ich kann meine Schmerzen haben« diskutiert Wittgenstein insbesondere in seiner Auseinandersetzung mit dem Problem des Solipsismus in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre. Allerdings finden sich auch in den Philosophischen Untersuchungen Stellen, etwa im Rahmen des soge50
Lectures 1932–1935, S. 18.
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nannten Privatsprachenarguments, die offensichtlich die Mehrdeutigkeit sprachlicher Ausdrücke illustrieren sollen.51 Als Beispiele verwendet Wittgenstein radikalisiertere Sätze der Art »Only I have real toothache« oder auch »Only my pain is real pain«. Aber selbst in ihrem Fall ist es möglich, dass durch sie auch ein empirischer Tatbestand zum Ausdruck gebracht werden kann: »The statement ‘Only I have real toothache’, either has a commonsense meaning, or, if it is a grammatical proposition, it is meant to be a statement of a rule.«52 Die umgangssprachliche Bedeutung einer solchen Äußerung bezieht sich dabei etwa auf Situationen, in denen andere als die erste Person Schmerzen heucheln. Besonders an einer Stelle des Blue Book wird die hier vorgestellte Auffassung Wittgensteins in sehr pointierter Weise formuliert. Dort heißt es: »When something seems queer about the grammar of our words, it is because we are alternately tempted to use a word in several different ways. And it is particularly difficult to discover that an assertion which the metaphysician makes expresses discontentment with our grammar when the words of this assertion can also be used to state a fact of experience.«53
51
52 53
Dies wird insbesondere in der Diskussion der epistemischen Privatheit von Empfindungen deutlich. So heißt es etwa in § 246 im Zusammenhang mit dem Begriff des Wissens: »In wiefern sind nun meine Empfindungen privat? – Nun, nur ich kann wissen, ob ich wirklich Schmerzen habe; der Andere kann es nur vermuten. – Das ist in einer Weise falsch, in einer andern unsinnig.« [Hervorhebung V. M.] Vgl. hierzu auch die Ausführungen in Blue and Brown Books, S. 48 ff. Lectures 1932–1935, S. 22. BB, S. 56. Eine ganz analoge Formulierung findet sich in den Vorlesungen 1932– 1935: »We are likely to muddle statements of fact which are undisputed with grammatical statements. Statements of fact and grammatical statements are not to be confused.« (Lectures 1932–1935, S. 18) Als andere Beispielsätze zur Illustration der Doppeldeutigkeit wählt Wittgenstein etwa: »Two books have the same colour« (BB, S. 55), »This tree doesn’t exist when nobody sees it« (ebd., S. 56), oder auch »I am here« (ebd., S. 71 f.). Bezüglich metaphysischer Fragen äußert sich Wittgenstein ganz entsprechend: »[…] the characteristic of a metaphysical question being that we express an unclarity about the grammar of words in the form of a scientific question« (ebd., S. 35). Und an einer Stelle der Vorlesungsaufzeichnungen über »privates Erlebnis« und »Sinnesdaten« heißt es ganz analog: »We constantly confuse and change about the commonsense use and the metaphysical use.« (LPE, S. 320)
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An Äußerungen der Art »nur meine Schmerzen sind wirkliche Schmerzen« soll hierbei gezeigt werden, dass es sich nicht um einen Fall handelt, in welchem mittels gewöhnlicher Kriterien, das heißt, Kriterien, welche die gewöhnliche Bedeutung der in solchen Sätzen enthaltenen Ausdrücke bestimmen, die Schmerzsimulation anderer als der eigenen Person behauptet wird. Vielmehr stehen die in solchen Sätzen enthaltenen Wörter gerade nicht in Verbindung mit den gewöhnlichen Kriterien ihrer Bedeutungsfestlegung. Und hierin lokalisiert Wittgenstein offensichtlich eines der beiden Hauptprobleme metaphysischer Aussagen. Natürlich, das sei an dieser Stelle nur nochmals angemerkt, handelt es sich hier nicht um ein rein semantisches Problem sprachlicher Ausdrücke. Denn so stehen etwa die innerhalb einer bestimmten Grammatik nach ihr gebildeten sinnvollen Sätze in Zusammenhang mit der Frage ihrer Verifikation. Dies zeigt sich insbesondere bei Schmerzäußerungen der ersten und dritten Person. Im Fall von Schmerzen der ersten Person endet mit der Äußerung auch die Verifikation im Gegensatz zu einem solchen von Schmerzzuschreibungen dritter Personen. Die diesbezüglichen Unterschiede zeigen dabei die jeweils zugrunde liegenden differierenden Grammatiken, beispielsweise dadurch, dass man bei Zuschreibungen anderer als der ersten Person sinnvoll nach dem Wissen solcher Behauptungen fragen kann.54 Um die Annahme unterschiedlicher Regelsysteme besser rekonstruieren zu können, sollten wir an dieser Stelle vielleicht etwas genauer Sätze der ersten und dritten Person, welche psychologische Verben enthalten, betrachten, indem wir nochmals die Idee der logischen Mannigfaltigkeit aufgreifen. Zunächst ließe sich dabei die Frage stellen, ob das Wort »Zahnschmerzen« im Fall von Ausdrücken wie »Ich habe Zahnschmerzen« und »Er hat Zahnschmerzen« bedeutungsgleich verwendet wird. Als Differenzierungsmöglichkeiten wären etwa unterschiedliche qualitative Bestimmungen wie Intensität oder Lokalisation denkbar. Läge in diesen völlige Übereinstimmung vor, kann man auch von gleichen Schmerzen sprechen, analog der Aussage, dass zwei Gegenstände die gleiche Farbe haben, wird diese beispielsweise durch Helligkeits- oder Sättigungsgrade bestimmt. Gleichheit hieße in diesem Fall, dass eine Prädikation zwei verschiedenen Gegenständen wahr zugeschrieben werden kann. In den Vorle54
Vgl. hierzu etwa WWK, S. 49 f. und Lectures 1932–1935, S. 21 ff.
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sungen des akademischen Jahres 1932–33 diskutiert Wittgenstein ganz entsprechend die Frage nach der Möglichkeit, dass zwei Personen über das gleiche Sinnesdatum verfügen. Dort heißt es: Consider the statement that no two people can ever see the same sense datum. If being in the same position as another person were taken as the criterion for someone’s seeing the same sense datum as he does, then one could imagine a person seeing the same datum, say, by seeing through someone’s head. But if there is no criterion for seeing the same datum, then »I can’t know that he sees what I see« does not make sense. We are likely to muddle statements of fact which are undisputed with grammatical statements.55
Diese Stelle zeigt ganz deutlich, dass sich die Frage der Identität56 von Empfindungen durchaus sinnvoll stellen lässt und ihre Beantwortung sich dabei an dem Vorliegen entsprechender Kriterien und der Möglichkeit ihrer Vergleichbarkeit orientiert. Und in diesen Fällen handelt es sich offensichtlich um empirische Tatbestände, die es ermöglichen, sinnvoll von einer solchen Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung zu sprechen. Dass sich hier die Fixierung der Vergleichskriterien selbst als schwierig erweisen kann, scheint jene Möglichkeit dennoch nicht prinzipiell auszuschließen. Denn analog des Farbvergleiches zweier Gegenstände ließe sich dann auch einwenden, dass ein solcher ausgeschlossen sei, da die Wahrnehmungserlebnisse dieser Objekte grundlegend und subjektiv seien. Auch die Tatsache, dass bestimmte Schmerzen mittels entsprechender Symptome, Schmerzbilder oder Reaktionen identifiziert werden, scheint jedenfalls im Prinzip von objektiven Farbbestimmungen nicht unterschieden. Generell gesprochen hieße dies, dass im Rahmen einer Subjekt-Objektdichotomie entweder auch der Vergleich auf der extramentalen Gegenstandsebene 55
56
Lectures 1932–1935, S. 18. Die Annahme einer solchen Möglichkeit verdeutlichen die Ausdrücke »if« und »then«. An einer Stelle der PB heißt es: »Wenn das Wort ,Zahnschmerzen‘ in beiden Fällen die gleiche Bedeutung hat, dann muß man die Zahnschmerzen der beiden miteinander vergleichen können; und wenn sie in Stärke etc. miteinander übereinstimmen, so sind sie die gleichen. Wie zwei Anzüge die gleiche Farbe haben, wenn sie in bezug auf Helligkeit, Sättigung etc. miteinander übereinstimmen. Ebenso ist es Unsinn zu sagen, daß zwei Menschen nicht das gleiche Sinnesdatum besitzen können, wenn mit ,Sinnesdatum‘ wirklich das Primäre gemeint ist.« (Ebd., S. 91) Gemeint ist hier natürlich qualitative Identität.
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aufgrund der jeweils subjektiven Wahrnehmungserlebnisse ausgeschlossen ist, oder aber andererseits auch für den Bereich – nennen wir sie innerer Wahrnehmungszustände oder Ereignisse – eine solche Vergleichsmöglichkeit eingeräumt werden muss. An einer Stelle der Philosophischen Grammatik bemerkt Wittgenstein: »(Der Unterschied zwischen ‚innen‘ und ,außen‘ interessiert uns nicht.) Das Gefühl, welches man bei jeder […] – gleichsam behaviouristischen – Darstellung hat, daß sie roh (unbeholfen) ist, leitet irre; wir sind versucht, nach einer ‚besseren‘ Darstellung zu suchen; die gibt es aber nicht. Eine ist so gut wie die andere […].«57 Dabei gilt es natürlich zu erkennen, dass wir uns hier im Bereich empirischer Tatbestände bewegen und dass das Postulat der Unmöglichkeit von Vergleichen subjektiver Erlebnisse im Sinne einer logischen Unmöglichkeit nicht diesem zugeordnet werden kann. Ein Hinweis darauf findet sich ja auch in der oben zitierten Stelle, welche auf die Grundproblematik der Verwechslung empirischer und grammatischer Sätze anspielt. Hier nun ließe sich gegen die Möglichkeiten einer Gleichheit oder Nichtübereinstimmung von Eigenschaftszuschreibungen – insbesondere von Empfindungen – ihre Ichhaftigkeit oder allgemeiner gesprochen, Subjektgebundenheit anführen. Eine mögliche Behauptung wäre etwa eine solche wie: »Ich kann nicht die Schmerzen einer anderen Person haben, da schließlich meine Schmerzen meine und ihre ihre sind«, oder im Fall von Farbzuschreibungen »Zwei Gegenstände können nicht dieselbe Farbe haben, da ja jeder schließlich seine eigene hat«. In diesem Zusammenhang führt Wittgenstein die folgende Überlegung vor: Von Empfindungen oder Sinnesdaten, gemäß der Bedeutung, nach welcher es undenkbar ist, dass der Andere sie hat, lässt sich auch nicht sinnvoll sagen, dass der Andere sie nicht hat. Und aus demselben Grund ist es auch sinnlos zu sagen, dass ich, im Gegensatz zu einer anderen Person, sie habe. Denn offensichtlich wird dadurch auch die Kontrastierung der eigenen mit anderen Personen hinfällig. Natürlich zeigt sich auch hier wieder die unterschiedliche Bedeutung der Negation im Rahmen sinnvoller und unsinniger Sätze, denn Ausdrücken wie »Ich habe meine Schmerzen« bzw. »Ich kann nur meine Schmerzen haben« kann nur dann Sinn 57
PG, S. 100. Im Manuskriptband VI der Philosophischen Bemerkungen aus der ersten Hälfte des Jahres 1931 findet sich eine dem Klammereinschub entsprechende Stelle.
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zugeschrieben werden, wenn dies auch für ihre Negation gilt, das heißt, »Ich habe nicht meine Schmerzen«. Analoges gilt entsprechend für die Behauptung »Ich kann nicht Schmerzen einer anderen Person haben«.58 In den Vorlesungsaufzeichnungen über private Erfahrung und Sinnesdaten nimmt die Frage nach der Unterscheidung von Aussagen der ersten und dritten Person eine zentrale Position ein. Zu ihrer Verdeutlichung ist es dabei wichtig zu sehen, wie die Differenzierung im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit dem Solipsismus vollzogen wird. Wittgenstein bemerkt: »You can’t deny that there is my personal experience and that this in a most important sense has no neighbour. – But you don’t mean that it happens to be alone but that its grammatical position is that of having no neighbour.«59 Vielleicht lässt sich diese Ausgezeichnetheit der ersten Person in jenen nicht-empirischen Kontexten mit der uns bereits bekannten Idee der logischen Multiplizität etwas näher bestimmen. Entscheidend ist hierbei offensichtlich die Frage möglicher Ersetzbarkeit von Personalpronomen in entsprechenden Empfindungsäußerungen. Im Fall äußerer Wahrnehmungsgegenstände ist diese Substituierbarkeit offensichtlich unproblematisch. So lässt sich etwa in Sätzen wie »Ich fühle mein Notizbuch in meiner Jacke« »mein« durch »dein oder »sein« ersetzen. Analoges gilt natürlich für die Negation. Bei gleicher Multiplizität müsste dies allerdings auch im Kontext von Empfindungsäußerungen möglich sein. Hier nun ließe sich wieder eine Unterscheidung vornehmen, um die Differenzierung in Sätze der Empirie und der Grammatik zu verdeutlichen: Nehmen wir einen Satz wie »Ich habe Schmerzen« und »Er hat Schmerzen«. In einem nicht empirischen Kontext ist mit dem zweiten Satz dann wohl gemeint, dass die dritte Person so etwas ähnliches wie die erste fühlt. Offensichtlich handelt es sich aber nicht um eine Analogie zum Beispiel des Notizbuches im Sinne desselben Gegenstandes, welchen sie oder ich fühlen kann. In einem Satz wie »Ich habe Schmerzen, ich fühle sie aber nicht« ist zwar im ersten Teilsatz die erste Person durch die dritte ersetzbar, allerdings stellt sich die Frage, ob man eine solche Aussage überhaupt 58
59
Als typische Kennzeichnung metaphysischer Bestimmungen findet sich die folgende Stelle im Blue Book: »We are using the words […] wrongly, in a typically metaphysical way, namely without an antithesis [...].« (Ebd., S. 46) LPE, S. 283.
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sinnvoll behaupten kann. Die Annahme der gleichen Multiplizität müsste diese Substitution garantieren. Das heißt »Ich habe Schmerzen« und »Er hat Schmerzen« müssten dann auf der selben logischen Stufe stehen: »Ich könnte auch so sagen: Nur insofern ich Schmerzen haben kann, die ich nicht fühle, kann er Schmerzen haben, die ich nicht fühle. Es könnte dann noch immer der Fall sein, daß ich tatsächlich die Schmerzen, die ich habe, immer fühle, aber es muß Sinn haben, das zu verneinen.«60 Eine mögliche Variante einer solchen sinnvollen Verneinung wäre etwa die, in welcher wir den Begriff des unbewussten Schmerzes einführen. Die Sinnhaftigkeit wäre dabei garantiert durch die Angabe diverser empirischer Kriterien zur Beurteilung eines Falls, in dem sich etwa eine Person in einem Schmerzzustand befindet, ohne es zu wissen. In der hier zugrunde liegenden Vorlesung über notwendige Sätze bemerkt Wittgenstein in diesem Zusammenhang: »There is no reason why I should not say: ‘I have unconscious toothache’, if a.) I feel no pain, b.) I have a bad tooth. Saying this would produce depression and fear. It suggests that if I don’t feel it now I shall feel it in a second.«61 Auch an verschiedenen Stellen des Blue Book diskutiert Wittgenstein diese Variante in Auseinandersetzung mit dem Wissensbegriff, ebenfalls im Zusammenhang seiner Unterscheidung metaphysischer und empirischer Kontexte. Dort heißt es etwa: Again, when in a metaphysical sense I say »I must always know when I have pain«, this simply makes the word »know« redundant; and instead of »I know that I have pain«, I can simply say »I have pain«. The matter is different, of course, if we give the phrase »unconscious pain« sense by fixing experiential criteria for the case in which a man has pain and doesn’t know it, and if then we say (rightly or wrongly) that as a matter of fact nobody has ever had pains which he didn’t know of.62 60 61 62
Vgl. PB, S. 91. LNP. BB, S. 55. An anderer Stelle wird dieser Vorschlag etwas genauer ausgeführt, dort heißt es: »It might be found practical to call a certain state of decay in a tooth, not accompanied by what we commonly call toothache, ‘unconscious toothache’ and to use in such a case the expression that we have toothache, but don’t know it. […] There is nothing wrong about it, as it is just a new terminology and can at any time be retranslated into ordinary language. On the other hand it obviously makes use of the word ‘to know’ in a new way. […] It isn’t wrong, according to our new
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In jenem – wie Wittgenstein ihn interessanterweise nennt – metaphysischen Sinn eines Satzes wie »Ich kann seine Schmerzen nicht fühlen« ist jedoch offensichtlich nicht zum Ausdruck gebracht, dass die erste Person tatsächlich nie die Schmerzen einer anderen gespürt hat, sondern, dass es sich hier vielmehr um eine logische Unmöglichkeit handelt. Und daran zeigt sich ebenfalls wieder ihre Abgrenzung zur physikalischen Unmöglichkeit. Im ersten Fall scheint auch die Frage einer möglichen Verifikation eine andere. Denn wenn eine von A verschiedene Person den Satz »A hat Schmerzen« verifizieren sollte, wie sähe eine solche aus? Würde sie etwa das Fühlen des Schmerzes erfordern? Gerade darin zeigt sich ja die unterschiedliche Grammatik der Ausdrücke »Ich habe Schmerzen und »Er hat Schmerzen«. So bemerkt Wittgenstein in den Gesprächen mit dem Wiener Kreis: »Wenn A Zahnschmerzen hat, so kann er sagen: Jetzt schmerzt der Zahn, und das ist der Schluß der Verifikation. B aber müßte sagen: A hat Zahnschmerzen, und dieser Satz ist nicht mehr das Ende der Verifikation. Hier ist der Punkt, wo die Sonderstellung der verschiedenen Sprachen deutlich zutage tritt.«63 Die Unsinnigkeit von Aussagen der Art »Ich fühle meine Schmerzen« oder »Ich fühle seine Schmerzen« zeigt sich eben gerade in der fehlenden Multiplizität von Empfindungen in diesem Kontext. Denn
63
convention, to say ‘I have unconscious toothache’. For what more can you ask of your notation than that it should distinguish between a bad tooth which doesn’t give you toothache and one which does? But the new expression misleads us by calling up pictures and analogies which make it difficult for us to go through with our convention.« [Ebd., S. 23] Ein anderer Fall wäre etwa der Begriff unbewusster Gedanken im Bereich der Psychoanalyse. WWK, S. 50. Eine analoge Stelle findet sich in den Lectures 1932–1935: »[…] the differing grammars of ‘I have toothache’ and ‘he has toothache’ […] show up in the fact that the statements have different verifications.« (Ebd., S. 21) Strenggenommen ließe sich natürlich die Frage stellen, ob im Falle von Empfindungsäußerungen der ersten Person überhaupt sinnvoll von Verifikation gesprochen werden kann, das heißt, ob solche Sätze überhaupt verifikationsfähig sind. Der Verweis auf die Methode der Introspektion bedürfte jedenfalls einer genauen Explikation dieses Verfahrens insbesondere in Zusammenhang mit entsprechenden, zur möglichen Anwendung kommenden Kriterien. Dass sich diese, ließen sie sich auch tatsächlich anführen, von denen im Falle des Urteilens über dritte Personen unterscheiden, scheint jedoch offensichtlich. Als weiteres Unterscheidungskriterium wäre zu betonen, dass sich die Frage »Wie weiß ich das?« nur im Fall von »Er hat Zahnschmerzen« als sinnvoll erweist, nicht aber im ersten.
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die Verwendung der Ausdrücke »meine« und »seine« wäre offensichtlich nur dann gerechtfertigt, wenn sie füreinander substituierbar wären. Allerdings fände diese Ersetzung keine Entsprechung auf der Gefühlsebene. Und das zeigt die unterschiedliche logische Stufe der ersten Person im Rahmen eines solipsistischen Zusammenhanges. Zudem weist natürlich auch die Negation obiger Sätze diese Asymmetrie auf, da die Negation von Aussagen der ersten Person, welche Reflexivpronomen enthalten, in der Realität keine Entsprechung findet. Da die Sinnhaftigkeit bzw. Unsinnigkeit für Sätze auch stets die Negation mit einschließt, sollte klar sein, warum sowohl IchAussagen, die auf eigene Schmerzen, als auch auf die Schmerzen anderer Bezug nehmen, in diesem Kontext als unsinnig aufzufassen sind: »Der negative Satz gibt der Wirklichkeit dieselbe Multiplizität wie der positive.«64 Gerade darin liegt die Sinnentsprechung von Sätzen und ihrer Negation, wie etwa das Beispiel des unbewussten Schmerzes gezeigt hat.65
4.3.3. Zur Lösung des Problems der Mehrdeutigkeit Bevor wir uns dem zweiten Problem metaphysischer Aussagen in ihrem Anspruch auf Wesensbestimmungen über die in ihnen zum Ausdruck gebrachten Dinge zuwenden, eine Schwierigkeit, welche auch maßgeblich mit der internen Relation zwischen Sprache und Wirklichkeit in Verbindung steht, sollten wir zunächst die Frage eines möglichen Lösungsansatzes zum Problem der Doppeldeutigkeit sprachlicher Ausdrücke im Zusammenhang metaphysischer Thesen etwas genauer untersuchen. Eine naheliegende Variante liefert sicher der Versuch, Mehrdeutigkeiten in irgendeiner Form auszuschließen. Eine solche findet sich beispielsweise in den Paragraphen §§ 116 ff. der Philosophischen Untersuchungen, in welchen sich auch das eben erwähnte zweite Hauptproblem metaphysischer Sätze angedeutet findet. Dort heißt es: 64 65
WWK, S. 85. Vgl. u.a. PB, S. 91 ff. Zur Sonderstellung der Sprache, in welche die erste Person eine ausgezeichnete Position einnimmt, vgl. auch Wittgensteins Bemerkungen in den Gesprächen mit Mitgliedern des Wiener Kreises vom Dezember 1929 (WWK, S. 49) und entsprechende in den PB (S. 88 f.) sowie Lectures 1932–1935 (S. 18 f.).
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Wenn die Philosophen ein Wort gebrauchen – »Wissen«, »Sein«, »Gegenstand«, »Ich«, »Satz«, »Name« – und das Wesen des Dings zu erfassen trachten, muß man sich immer fragen: Wird denn dieses Wort in der Sprache, in der es seine Heimat hat, je tatsächlich so gebraucht? – Wir führen die Wörter von ihrer metaphysischen, wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück.66
Die alltägliche Verwendung ist dabei offensichtlich durch die ihr zugrunde liegende Grammatik der gewöhnlichen Sprache bestimmt. Das heißt, immer wenn wir eine metaphysische Aussage betrachten, gilt es zu zeigen, in welcher Weise sie gegen diesen Regelkonnex verstößt und insofern als unsinnig zu verwerfen ist. Auch wenn die Bestimmung des Bedeutungsbegriffs im Tractatus im Sinne einer referentiellen Beziehung zwischen Name und benanntem Gegenstand von der nun postulierten Gebrauchsauffassung der Bedeutung abgelöst wird, findet sich dennoch bereits dort eine Bemerkung, die jenem Lösungsansatz durchaus vorangestellt werden könnte: »Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen läßt, […], und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, daß er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat.«67 Der in der neuen Konzeption zu erbringende Nachweis läge nun in einem Regelverstoß gegen die Grammatik unserer Alltagssprache beim Behaupten metaphysischer Aussagen. Dieser Lösungsversuch erscheint prima facie jedoch nicht ohne weiteres einsichtig und offensichtlich nur verständlich, wenn man Wittgensteins Konzeption des Verhältnisses metaphysischer Aussagen zum Regelbegriff der Gebrauchsgrammatik versteht. Was sich hier jedoch bereits offensichtlich zeigt, ist seine Vorstellung, metaphysische Probleme durch Konfrontation mit Sprachregulierungen zu entkräften. Die Begründung eines solchen Lösungsversuchs hängt dabei, wie wir noch sehen werden, mit Wittgensteins zweiter Diagnose metaphy66 67
PU, § 116. TLP 6.53. Natürlich lässt sich der Begriff der alltäglichen Verwendung nicht mit Sätzen der Naturwissenschaft gleichsetzen, welche für Wittgenstein zur Zeit des Tractatus den Bereich der sinnvoll sagbaren Sätze umfassten. Hier geht es allerdings lediglich darum, Übereinstimmungen hinsichtlich der Methodik sichtbar zu machen, daher werden nur die in diesem Zusammenhang relevanten Bemerkungen aus 6.53 wiedergegeben.
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sischer Aussagen zusammen. Allerdings zeigt sich jene Auffassung auch schon im Rahmen der Diskussion des ersten Problemfalls, in einer weiteren Lösungsalternative zu der hier thematisierten Schwierigkeit der Doppeldeutigkeit sprachlicher Ausdrücke.68 Denn liegt das Kriterium sinnvoller Sätze in ihrer Übereinstimmung mit der jeweils zugrunde gelegten Grammatik, so stellt sich natürlich die Frage, ob neben der Verwerfung sämtlicher, den Regeln des gewöhnlichen Sprachgebrauchs widersprechender Äußerungen – und für diese scheint § 116 der PU geradezu programmatisch – nicht auch eine der Grammatik der alltäglichen Sprachverwendung alternative denkbar wäre. Eine solche alternative Grammatik könnte dann durch ihre eigenen, von der Umgangssprache abweichenden Bedeutungsregeln eine Übereinstimmung mit den Sätzen ermöglichen, welche den zugrundeliegenden Bestimmungen jener alltäglichen Verwendungen widersprächen. Und diese neu gewonnene Konformität garantierte dann deren Sinn. Wie nun sähe ein solcher Lösungsversuch in etwa aus? Zunächst wäre es dabei hilfreich, nochmals die Ausgangssituation des Wittgenstein’schen Solipsisten zu skizzieren, um eine solche Alternative etwas genauer zu verdeutlichen. Der im Folgenden angedeutete Lösungsansatz geht natürlich von einer bestimmten Problemlage aus, die es zu beseitigen gilt. Wittgenstein diagnostiziert diese in der gerade diskutierten Doppeldeutigkeit solipsistischer Aussagen: »And it is particularly difficult to discover that an assertion which the metaphysician makes expresses discontentment with our grammar when the words of this assertion can also be used to state a fact of experience.«69 Diese zunächst ganz grundsätzliche Fixierung des Problems metaphysischer Aussagen hängt natürlich mit Wittgensteins Auffassung solcher Ausdrücke im Kontext des revidierten Bedeutungsbegriffs zusammen. Die referentielle Semantik des Tractatus im Rahmen der dort entwickelten Abbildtheorie verwies sämtliche den Erfahrungsbereich transzendierenden Wortverbindungen in den Bereich des Unsagbaren, Unsinnigen. Die unmittelbare Beziehung des Namens zum Gegenstand und dessen substantieller Charakter, welcher die Frage nach seiner Existenz bzw. Nichtexistenz und somit nach der leerer Eigennamen auflöste, erlaubte somit 68
69
D.h. im Sinne der Konstatierung eines empirischen Tatbestandes einerseits und einer metaphysischen Behauptung andererseits. BB, S. 56.
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auch eine eindeutige Bestimmung von Sätzen als sinnvoll im Sinne von Bildern eines möglichen Sachverhalts. Alle Ausdrücke, die bedeutungslose Zeichen enthielten – und zu diesen zählten die der Metaphysik – fielen somit in den Bereich jenseits der durch die Sprache gezogenen Grenze. Wie die Auseinandersetzung mit dem Farbeninkompatibilitätsproblem allerdings gezeigt hat, erwies sich die referentiell bestimmte Semantik von Ausdrücken – die logischen Konstanten inbegriffen – als nicht mehr haltbar.70 Die nach 1929 entwickelte Gebrauchstheorie der Bedeutung eröffnete damit natürlich wieder von Neuem die Frage nach dem Status metaphysischer Sätze. Galten sie im Rahmen des Tractatus als durch die in ihnen enthaltenen bedeutungslosen Zeichen unsagbar und daher unsinnig, war nun durch die Möglichkeit der Mehrdeutigkeit von Ausdrücken auch ihre mögliche Sinnhaftigkeit anders zu bestimmen. Dass Wittgenstein sie auch in der neu entwickelten Bedeutungskonzeption als unsinnig auffasste, zeigt, dass auch dieser Begriff des Unsinns nun anderer Kriterien bedurfte. Betrachten wir aber zunächst nochmals die Ausgangslage: In Sätzen wie »Nur meine Schmerzen sind wirkliche Schmerzen« entsprechen die darin enthaltenen Ausdrücke nicht der gewöhnlichen Verwendungsweise, welche durch die entsprechenden Kriterien in ihrer Bedeutung bestimmt sind. Da sich solche Ausdrücke gerade gegen die umgangssprachliche Benutzung richten, in welcher der Sprecher etwa darauf aufmerksam machen möchte, dass alle anderen außer ihm ihren Schmerz lediglich vortäuschen, scheint demnach auch Wittgensteins Verweis auf die Betrachtung ihres herkömmlichen Gebrauchs, wie wir ihn etwa in § 116 der PU finden, hinfällig. Wie nun sind solche Sätze wie »Nur meine Schmerzen sind wirkliche Schmerzen« zu verstehen und worin liegt das Problematische? Zunächst ist es dabei hilfreich, die Beziehung zwischen den Begriffen der Grammatik, des Sinns und Unsinns etwas genauer zu betrachten. Zur besseren Illustration dieser Relation bieten sich aus dem Bereich metaphysischer Aussagen die des Solipsisten besonders an, obgleich natürlich die Argumentationslinie auch an sämtlichen anderen metaphysischen Aussagen, welche Wittgenstein als solche im Rahmen seiner zahlreichen Beispielsätze bestimmt, nachzuziehen wäre. Offen70
Auf andere zentrale Revisionen der Philosophie des Tractatus, die natürlich auch in engem Zusammenhang mit der hier diskutierten Problematik stehen, wurde ja bereits an verschiedenen anderen Stellen unserer Untersuchungen hingewiesen.
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sichtlich drücken, wie ja bereits schon an mehreren Stellen gezeigt, solche metaphysischen Sätze eine logische Notwendigkeit bzw. Unmöglichkeit aus. Dies impliziert natürlich auch, dass unsere Grammatik der Umgangssprache ein Verständnis solcher Äußerungen ausschließt und zwar logisch, da die in ihnen enthaltenen Ausdrücke ja gerade gegen die Regeln dieser alltäglichen Verwendung verstoßen. Die Frage nach dem richtigem Verstehen ist dadurch nicht mit falsch zu beantworten, wie etwa im Fall mangelnder Information anderer, sondern als sinnlos zu verwerfen. So bemerkt Wittgenstein: Thus my expression is one of the many which is used on various occasions by philosophers and supposed to convey something to the person who says it, though essentially incapable of conveying anything to anyone else. Now if for an expression to convey a meaning means to be accompanied by or to produce certain experiences, our expression may have all sorts of meanings. […] But we are, as a matter of fact, misled into thinking that our expression has a meaning in the sense in which a nonmetaphysical expression has […].71
Soll die Beseitigung der oberflächlichen Ähnlichkeit zwischen empirischen und metaphysischen Sätzen nicht durch eine Rückführung der in diesen enthaltenen Ausdrücke auf die Bedeutung unseres alltäglichen Sprachgebrauchs erfolgen, muss ihre Sinnhaftigkeit in anderer Weise gestiftet werden: »[…] we try to find the form of expression which fulfils a certain craving of the metaphysician which our ordinary language does not fulfil and which, as long as it isn’t fulfilled, produces the metaphysical puzzlement.«72 Gefordert wird demnach ein unserer gewöhnlichen Verwendung alternatives Bezeichnungssystem, das durch die darin enthaltenen, dem umgangssprachlichen Gebrauch widersprechenden Bedeutungsregeln, den nun mittels ihrer Anwendung geformten Sätzen Sinn verleiht. Da im Fall des Wittgenstein’schen Solipsisten andere Erfahrungen als die seinen undenkbar sind, müsste eine alternative Notation durch entsprechende Regeln Sätze, welche anderen Personen solche zuschreiben, verbieten. Diese Idee entspricht etwa der Möglichkeit von der Euklidischen Geometrie widersprechenden Geometrien oder divergierenden Arithmetiken. Da 71 72
BB, S. 65. Ebd., S. 55.
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natürlich die Regeln unserer Alltagssprache ebenso willkürlich sind wie die mathematischer Systeme, sind alternative Grammatiken denkbar, welche Ausdrücke des Solipsisten anders, das heißt, als von ihrer gewöhnlichen Bedeutung verschieden, bestimmen. Dadurch erweisen sich Sätze nur als unsinnig relativ zu dem jeweiligen Sprachrahmen, etwa dem umgangssprachlichen Bezugssystem. Und da durch die Willkürlichkeit73 keine Notation einer anderen gegenüber Vorzüge vorweist, wird natürlich auch der Begriff des notwendigen Satzes relativiert. Wenn wir uns des Ausdrucks der Notwendigkeit überhaupt bedienen wollen, so bezieht sich dieser immer nur auf Sätze innerhalb eines bestimmten Bezugssystems und nicht etwa systemübergreifend, da als für ihre Sinnhaftigkeit relevant nur die jeweils zugrunde liegenden Regeln des entsprechenden Begriffsrahmens gelten. Natürlich dient dieser Lösungsansatz im Fall metaphysischer Aussagen ebenfalls dazu, notwendige Sätze analog der Diskussion mathematischer Sätze als Regeln zu interpretieren, die durch ihren eigentümlichen Charakter der Willkürlichkeit somit die Frage nach Notwendigkeit aufheben. Wie ein solches alternatives Bezeichnungssystem auszusehen habe, lässt sich nicht ohne Weiteres beantworten. Auch Wittgenstein selbst beschränkt sich bei der Vorstellung dieser Lösungskonzeption auf die von ihm angeführten Beispielsätze. So wäre etwa bei Sätzen wie »A hat wirkliche Schmerzen« eine Notation denkbar, die, falls es sich bei Person A um den Solipsisten handelt, einen Ausdruck wie »Es gibt wirkliche Zahnschmerzen« erlaubt und im Fall von Schmerzäußerungen anderer als der ersten Person Äußerungen wie: »X benimmt sich so, wie A, wenn dieser Zahnschmerzen hat«74. Die Übersetzbarkeit der gewöhnlichen in die alternative Ausdrucksweise ist damit gesichert, und die Gleichwertigkeit gegenüber allen anderen Bezeichnungssystemen ermöglicht natürlich auch, dass die Position der ersten Person von jeder beliebigen anderen eingenommen werden kann. Unterscheiden lassen sich die verschiedenen Sprachen demnach nur im Zuge ihrer Anwendung, da natürlich die Ausgezeichnetheit der ersten Person selbst nicht sprachlich fassbar ist:
73 74
Im Sinne ihrer Nichtrechtfertigbarkeit. Vgl. BB, S. 59 f., WWK, S. 59 f., PB, S. 89.
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Nur die Anwendung unterscheidet wirklich zwischen den Sprachen; aber von ihr abgesehen, sind alle Sprachen gleichwertig. – Alle diese Sprachen stellen nur ein Einziges, Unvergleichliches dar, und können nichts anderes darstellen. (Die beiden Betrachtungsweisen müssen zu demselben führen: Die eine, daß das Dargestellte nicht eines unter mehreren ist, daß es keines Gegensatzes fähig ist; die andere, daß ich den Vorzug meiner Sprache nicht aussprechen kann.)75
Die dem in diesem Abschnitt diskutierten Satz zugrunde liegende Regel, welche besagt, dass keine außer der ersten Person – nennen wir sie A – Schmerzen haben kann, schließt dann offensichtlich eine Formulierung wie, »alle von A Verschiedenen haben keine Schmerzen« aus, da eine solche auch die sinnvolle Behauptung ihrer Negation ermöglichen muss, die aber gerade gegen jene Regel verstößt. Natürlich, das sei an dieser Stelle auch angemerkt, da es in kritischen Auseinandersetzungen mit der Idee eines alternativen Regelsystems gerne übersehen wird, bedingen etwaige Bedeutungsänderungen bestimmter Ausdrücke auch entsprechende andere damit verbundene, so wird beispielsweise der Begriff »wirklich« in obigem Satz »Es gibt wirkliche Schmerzen« nicht mehr in seiner ursprünglichen Bedeutung als Komplementärbegriff zur Simulation verwendet, da offensichtlich die diesbezüglich relevanten Differenzierungskriterien nicht mehr diese Anwendung finden können. Zudem, und auch das erweist sich in Zusammenhang mit der Idee alternativer Regelverzeichnisse und ihrer Willkürlichkeit von zentraler Bedeutung, muss die Implementierung einer neuen Norm auch weitere Bestimmungen zum Gebrauch der nun im Rahmen dieses Systems bestehenden bzw. neu entstandenen sinnvollen Sätze liefern, etwa bezüglich der Frage ihrer möglichen Verifikation. Allein diese »Beschränkung« zeigt, dass die Willkürlichkeit sprachlicher Regulierungen nicht der alltagssprachlichen Bedeutung dieses Begriffs entspricht.76 Daher liegt der Wittgenstein’sche Lösungsansatz nicht einfach in der Einführung beliebiger Regeln für eine alternative Verwendung nur der jeweils in Frage stehenden Ausdrücke. Dadurch ist die »Willkürlichkeit« der Gebrauchsregeln auch durch den für diesen Ansatz so zentralen Begriff der Anwendung näher bestimmt: »Sometimes we introduce a sentence into our language 75 76
Ebd. Vgl. BB, S. 59 f., S. 106, PG, S. 59, S. 127.
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without realizing that we have to show rules for its use. […] To show what sense a statement makes requires saying how it can be verified and what can be done with it. Just because a sentence is constructed after a model does not make it part of a game. We must provide a system of applications.77 Dieser Gedanke erweist sich für das Verständnis der Einführung alternativer Bezeichnungssysteme als absolut grundlegend. So wäre es etwa nicht einfach damit getan, eine Regel zu implementieren, welche dem Satz »Ich fühle meine Schmerzen« Sinn verleiht. Denn natürlich stellt sich im Zuge dieser Einführung, wenn sie solche Ausdrücke als sinnvoll erlaubt, beispielsweise die Frage nach dem Sinn ihrer Negation, das heißt, etwa nach der Möglichkeit unbewusster Schmerzen. Und das wäre eine Frage nach der Anwendung solcher Aussagen. Durch diesen zweiten Lösungsansatz im Rahmen der Auseinandersetzung mit Sätzen der Metaphysik wird somit auch Einwänden begegnet, welche sich im ersten Teil, das heißt, im Rahmen des Programms der Rückführung metaphysischer Ausdrücke auf ihre alltägliche Verwendung gleichsam aufdrängen. So diskutiert etwa Peter Strasser in diesem Zusammenhang drei Einwände, die zunächst grundsätzliche Probleme einer Gebrauchstheorie der Semantik ansprechen und offensichtlich für die Möglichkeit eines metaphysischen Sprachspiels plädieren. Die von Strasser zunächst angeführte Frage: »Was ist eigentlich ein Sprachspiel, was ist eine Lebensform?«78 zählt sicherlich zu einer der fundamentalen Fragen in der Spätphilosophie Wittgensteins. Dass sich im Rahmen der Bestimmung von Sprachspielen Abgrenzungsprobleme ergeben, dessen war sich auch Wittgenstein bewusst. In Abkehr von der im Tractatus entwickelten Idee einer gemeinsamen, allgemeinen Satzform, die gesamte Sprache betreffend, wird nun der Begriff der Familienähnlichkeit zwischen jeweiligen Sprachspielen eingeführt: »Statt etwas anzugeben, was allem, was wir Sprache nennen, gemeinsam ist, sage ich, es ist diesen Erscheinungen garnicht [sic!] Eines gemeinsam, weswegen wir für alle das gleiche Wort verwenden, – sondern sie sind mit einander in vielen verschiedenen Weisen verwandt. Und dieser Verwandtschaft, oder dieser
77 78
Lectures 1932–1935, S. 19. Strasser, Peter: Der Weg nach draußen. Skeptisches, metaphysisches und religiöses Denken, Frankfurt 2000, S. 114.
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Verwandtschaften wegen nennen wir sie alle ,Sprachen‘.«79 Und einige Paragraphen weiter heißt es: Und so verwenden wir ja das Wort »Spiel«. Wie ist denn der Begriff des Spiels abgeschlossen? Was ist noch ein Spiel und was ist keines mehr? Kannst du die Grenzen angeben? Nein. Du kannst welche ziehen: denn es sind noch keine gezogen. (Aber das hat dich noch nie gestört, wenn du das Wort »Spiel« angewendet hast.) [...] Wir kennen die Grenzen nicht, weil keine gezogen sind. Wie gesagt, wir können – für einen besondern Zweck – eine Grenze ziehen. Machen wir dadurch den Begriff erst brauchbar? Durchaus nicht!80
Der Frage, inwieweit Wittgensteins Argumente gegen das Problem der exakten Abgrenzung überzeugend erscheinen, kann an dieser Stelle nicht nachgegangen werden. Dessen Explikation des Ausdrucks »Spiel« stellt jedenfalls die Frage der Vagheit in den Vordergrund und versucht trotz der begrifflichen Randverschwommenheit für eine sinnvolle Verwendung und die Möglichkeit nachvollziehbaren Verstehens durch extensionale Bestimmungen zu plädieren.81 Ob allerdings allen Sprachspielen ein fundamentales des Alltags zugrunde liegt, aus dem sich sämtliche jener konstituieren, wie Strasser argumentiert,82 scheint zumindest im Rahmen dieses zweiten Lösungsansatzes nicht mehr zwingend und auch mit den Bestimmungen des Spielbegriffs und dem Konzept der Familienähnlichkeit nicht ohne weiteres vereinbar, da diese ja gerade der Idee einer einheitlichen Gemeinsamkeit entgegenstehen. Dadurch wird auch Strassers zweiter Problemfixierung der Frage nach der Möglichkeit mehrerer Sprachspiele begegnet, zunächst ganz unabhängig von der Frage ihrer Relati79 80 81
82
PU, § 65. Ebd., § 68 f. Z.B. ebd., §§ 67–77 u. 82–85. Zur Frage des Ideals vgl. vor allem ebd., §§ 98– 108. Jedenfalls scheint die umgangssprachliche Verwendung zahlreicher Prädikationen, trotz ihrer unbestimmten Grenzbereiche, – dies gilt neben sämtlichen mentalen Ausdrücken sicher auch für objektiv bestimmbare Zuschreibungen wie etwa Größe, Gewicht, Einkommen, Entfernungen usw.– unproblematisch. Die Frage der Vagheit spielt allerdings in der Quantorenlogik im Rahmen von Wahrheitswertbestimmungen eine zentrale Rolle, veranschaulicht etwa am SoritesParadoxon und der Einführung zur klassischen Logik alternativer Systeme, etwa der Fuzzy Logic. Strasser: Der Weg nach draußen, S. 114.
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onen zueinander. Insofern wird auch seiner Forderung nach der Möglichkeit, die Grammatik im Sinne einer metaphysischen Begriffsverwendung zu ändern bzw. eine neue einzuführen, entsprochen und dadurch die Annahme von nichtkonventionellen und das heißt hier prinzipiellen und unveränderlichen sinnvollen Verwendungsweisen eines Wortes hinfällig.83 Durch den hier vorgeschlagenen Weg differenzierter Lösungsansätze scheint sich auch Strassers folgendes diagnostiziertes Zirkelproblem aufzulösen: »Damit scheinen wir uns ausweglos im Kreis zu drehen. Um zu wissen, was die logische Grammatik ist, müssen wir das Sprachspiel studieren, insofern es korrekt gespielt wird; um aber zu erkennen, ob es korrekt gespielt wird, müssen wir auf die logische Grammatik des Sprachspiels zurückgreifen.«84 Denn entsprechend Wittgensteins erster in PU § 116 pointiert formulierter und methodologisch ganz in der Tractatustradition stehender Alternative erfolgt die Beurteilung entsprechender Sprachspiele mittels der uns vertrauten »alltäglichen Verwendung«85, welche ja gerade Regelverstöße gegen die ihr zugrunde liegenden, sie konstituierenden sprachlichen Bestimmungen zu identifizieren ermöglicht. Im zweiten Fall der Einführung bzw. des Bestehens alterierender Notationssysteme kann eine Beurteilung der Regelkonformität durch die Mitglieder der entsprechenden Sprachgemeinschaft auf Grundlage jener entwickelten Sprachbestimmungen erfolgen oder von Externen erlernt werden. Allerdings, das haben wir ja bereits schon mehrfach betont, handelt es sich bei diesem zweiten Lösungsansatz – bedingt durch die interne Relation zwischen Sprachspiel und Lebensform – nicht einfach um die Implementierung rein sprachimmanenter und in diesem Sinne willkürlicher Notationssysteme, denn: »Was man eine Änderung in den Begriffen nennt, ist natürlich nicht nur eine Änderung im Reden, sondern auch eine im Tun.«86 Strassers dritter Einwand schließlich lautet wie folgt: »Wenn es aber mehrere oder sogar viele Sprachspiele und ihnen korrespondierende Lebensformen gibt, wie ist dann eine wechselseitige kritische Beurteilung und Abwägung möglich? Die Antwortet lautet: Gar nicht, 83 84 85 86
Vgl. ebd., S. 113. Ebd. PU, § 116. BPP I, § 910 f.
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es sei denn, wir haben einen universellen Standard der an kein bestimmtes Sprachspiel gebunden ist.« Natürlich werden auch in diesem Einwand fundamentale Probleme angesprochen, die hier nicht weiter vertieft werden können, so etwa das Verhältnis von Sprachspiel und Lebensform, die Frage nach dem Verständnis einer Lebensform, der Beurteilung von Sprachspielen entsprechend ihrer Regelkonformität etc. Auch die Frage, ob die Beurteilung der Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung bestimmter Spielzüge mit entsprechenden, jeweils zugrunde gelegten Regeln einen solchen Standard erfordert, kann hier nicht beantwortet werden. Allerdings scheint klar, dass die Idee alternativer Symbolismen keines solchen mehr bedarf, »um die Metaphysik zu eliminieren«87, da ja ihrer Begrifflichkeit eine gleichwertige Position zugesprochen wird. Zudem scheint auch die Kenntnis alternativer Begriffssysteme zur wechselseitigen Bewertung nicht zwingend eines solchen universalen Standards zu bedürfen. Sind die Regelverzeichnisse bekannt, sollte die mögliche Konstatierung eines entsprechenden Verstoßes auch im Rahmen der jeweiligen Spielbewertung als ausreichend gewährleistet sein. Vielleicht geben uns jedoch die folgenden beiden Bemerkungen Wittgensteins einen Hinweis, in welche Richtung Untersuchungen zur Frage eines möglichen Fundamentes zu führen wären: So heißt es in § 206 der PU: »Die gemeinsame menschliche Handlungsweise ist das Bezugssystem, mittels welches wir uns eine fremde Sprache deuten.« Und zur Erläuterung des fundamentalen Begriffes der gemeinsamen menschlichen Handlungsweise findet sich die folgende aufschlussreiche Stelle: Wie könnte man die menschliche Handlungsweise beschreiben? Doch nur, insofern man die Handlungen der verschiedenen Menschen, wie sie durcheinanderwimmeln, schilderte. Nicht, was einer jetzt tut, eine einzelne Handlung, sondern das ganze Gewimmel der menschlichen Handlungen, der Hintergrund, worauf wir jede Handlung sehen, bestimmt unser Urteil, unsere Begriffe und Reaktionen.88
87 88
Strasser, Der Weg nach draußen, S. 115. Zettel, § 567. Diese Stelle findet sich auch im zweiten Teil der BPP, § 629. Zur Frage der Erklärung des Ausdrucks »Schmerz heucheln« bemerkt Wittgenstein im Anschlussparagraphen: »Man möchte sagen: ,Leb einige Zeit unter uns und du wirst es verstehen lernen.‘«
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Rudolf Haller prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des praxeologischen Fundamentes – bzw. Fundamentalismus und bemerkt an einer Stelle: Und soweit Weltbilder und Lebensformen verbunden [...] sind, soweit kann das Bezugssystem weder dem Weltbild noch der Lebensform inhärieren oder gar mit ihnen identisch sein. Vielmehr müssen wir »die gemeinsame menschliche Handlungsweise« als einen Weltbild-transzendierenden Boden ansehen, auf dem wir – in der Perspektive verschiedener Darstellungsformen – Lebensformen und Weltbilder unterscheiden.89
Wichtig ist hierbei, wie Haller natürlich völlig zurecht betont, dass dieser Weltbild–transzendierende Boden nicht als eine transzendentale Bedingung der Urteils- und Begriffsbildung aufzufassen ist, sondern vielmehr als eine Erfahrungstatsache, da ihr anderenfalls der Charakter der Notwendigkeit zugeschrieben werden müsste. Und es ist eine Tatsache der Erfahrung, dass Menschen im Zuge des Kennenlernens neuer Fakten Begriffe variieren oder gänzlich verwerfen. Das heißt allerdings nicht, dass, wie wir schon an früheren Stellen gesehen haben, die Erfahrung als Rechtfertigung unserer Begriffsbildungen dient.90 Denn die Annahme, dass unsere Begriffe durch ein Gerüst von Tatsachen bedingt sind, das heißt, dass bestimmte gedankliche Veränderungen solcher Tatsachen die Anwendung bestimmter Begriffe ausschließen, da unter diesen Umständen die Anwendungsregeln keine Entsprechung mehr finden, setzt offensichtlich eine allgemeine Form der faktischen Übereinstimmung voraus.91 Der Unterschied zwischen der Bestimmung einer transzendentalen Bedingung und einer Tatsache 89
90
91
Haller, Rudolf: »Die gemeinsame menschliche Handlungsweise«, in: Rudolf Haller [Hg.]: Sprache und Erkenntnis als soziale Tatsache, Wien 1981, S. 65. So ist etwa die »Erfahrung«, dass wir bestimmte Regeln verwenden, das heißt, der Sprachgebrauch als »empirisches« Phänomen keine Rechtfertigung dieser Regeln. Wittgenstein zieht in diesem Zusammenhang das Beispiel eines juristischen Gesetzes heran: »Ein Gesetz wird für Menschen gegeben, und ein Jurist mag wohl fähig sein, Konsequenzen für jeden Fall zu ziehen, der ihm gewöhnlich vorkommt, das Gesetz hat also offenbar seine Verwendung, einen Sinn. Trotzdem aber setzt seine Gültigkeit allerlei voraus; und wenn das Wesen, welches er zu richten hat, ganz vom gewöhnlichen Menschen abweicht, dann wird z.B. die Entscheidung, ob er eine Tat mit böser Absicht begangen hat, nicht etwa schwer, sondern (einfach) unmöglich werden.« (Zettel, § 350)
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wird dabei an einer Bemerkung Wittgensteins zum Beispiel der Farbbegriffe sehr deutlich. Im Anschluss an die eben ausgeführten Bemerkungen heißt es: »,Wenn die Menschen nicht im allgemeinen über die Farben der Dinge übereinstimmten, wenn Unstimmigkeiten nicht Ausnahmen wären, könnte es unsern Farbbegriff nicht geben.‘ Nein: – gäbe es unsern Farbbegriff nicht.«92 Dies sind allerdings nur sehr vage Andeutungen zu einem der, wie bereits betont, zentralen Themen der Spätphilosophie Wittgensteins, welche hier nicht weiter vertieft werden können.93 Wenden wir uns daher wieder dem Lösungsansatz alternativer Grammatiken zu, so scheint dieser nun allerdings zu fordern, dass etwa, wie im hier diskutierten Fall, die Annahme, eine andere Person als die eigene habe Schmerzen und die, dass sie sich so benehme wie jene, nicht sinnverschieden sein dürfen, wenn jede mögliche Erfahrung zur Bestätigung bzw. Widerlegung beider Hypothesen dient, mit anderen Worten, eine erfahrungsbedingte Differenzierung ausgeschlossen ist. Das hieße etwa, dass sich meine Einstellung Personen gegenüber, die Schmerzen haben, nicht von der solchen gegenüber, die sich so benehmen, als hätten sie Schmerzen, unterschiede.94 Dieser Punkt scheint mir für das Verständnis im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Solipsismus insbesondere deshalb relevant, weil seine Missachtung zu Fehlinter92
93
94
Ebd., § 351. Und in Abschnitt XII des zweiten Teils der PU, nach Rhees »the most important short statement for an understanding of the book« (Rhees, Discussions, S. 54), heißt es: »Wer glaubt, gewisse Begriffe seien schlechtweg die richtigen, wer andere hätte, sähe eben etwas nicht ein, was wir einsehen, – der möge sich gewisse sehr allgemeine Naturtatsachen anders vorstellen, als wir sie gewohnt sind, und andere Begriffsbildungen als die gewohnten werden ihm verständlich werden.« (Ebd., S. 578) Verwiesen sei an dieser Stelle auf die Diskussion Hallers und Newton Garvers. Vgl. Haller, Rudolf: »Die gemeinsame menschliche Handlungsweise«, in: Sprache und Erkenntnis, S. 57–68, Garver, Newton: »Die Lebensform in Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen«, in: Grazer Philosophische Studien 21 (1984), S. 33–54, sowie Haller, Rudolf: »Lebensform oder Lebensformen? Eine Bemerkung zu Garvers »Die Lebensform in Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen««, in: Grazer Philosophische Studien ebd., S. 55–68, Neumer, Katalin: Relativität der Grenzen. Studien zur Philosophie Wittgensteins, Amsterdam [u.a.] 2000, S. 49–80, Malcolm, Norman: »Wittgenstein: The Relation of Language to instinctive Behaviour«, in Philosophical Investigations Vol. 5/1 (1982), S. 3–22 und Rhees, Rush: »Language as Emerging from instinctive Behaviour«, in Philosophical Investigations Vol 20/1 (1997), S. 1–14. Vgl. PB, S. 93.
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pretationen und kritischen Einwänden verleitet, die wenigstens nicht unmittelbar die Wittgenstein’sche Position berühren, wiederum durch die fehlende Berücksichtigung der so fundamentalen Dichotomie zwischen empirischen und metaphysischen Kontexten bedingt. Im Folgenden soll in aller Kürze ein möglicher Lösungsvorschlag eines differenzierten Symbolismus anhand des Solipsisten vorgestellt und einem naheliegenden Einwand begegnet werden.
4.3.4. Zur Eliminierbarkeit der ersten Person95 Kernstück der Wittgenstein’schen Diskussion eines alternativen Bezeichnungssystems bildet sicherlich die These von der Eliminierbarkeit des Ausdrucks »Ich«, die sich im Zusammenhang des Solipsismus durch die Ausgezeichnetheit der ersten Person und Verlagerung der semantischen Bestimmungen in den Bereich der Grammatik und das heißt, außerhalb des sinnvollen Sprechens verlagert. Als paradigmatisch für zahlreiche Formulierungen seiner Idee zur Lösung sei nur die folgende angeführt: To the person who says »Only I have real toothache« the reply should be: »If only you can have real toothache« there is no sense in saying »Only I have toothache«. Either you don’t need »I« or you don’t need »real«. […] »I« is no longer opposed to anything. You had much better say »There is toothache«. […] The solipsist wishes to say »I should like to put, instead of the notation ‘I have real toothache’ ‘There is toothache’«. What the solipsist wants is not a notation in which the ego has a monopoly, but one in which the ego vanishes.96
Natürlich hängt dieser Ansatz eng mit der Frage zusammen, ob es sich bei dem Sprachzeichen »Ich« um einen referentiellen Ausdruck handelt, eine Diskussion, auf die hier nicht genauer eingegangen werden kann. Jedenfalls spielt die Frage nach der Funktion der ersten Person seit der Frühphilosophie Wittgensteins eine zentrale Rolle und hat 95
96
Vgl. hierzu Munz, Volker A.: »Some Further Remarks on the ‘I’«, in: Wissen und Glauben. Beiträge der Österreichischen Ludwig Wittgenstein Gesellschaft Volume XI, Kirchberg am Wechsel 2003, S. 251–253. Lectures 1932–1935, S. 22. Vgl. auch z.B. BB, S. 61 ff., PB, S. 88 ff., WWK, S. 45 ff., Lectures 1932–1935, S. 17 ff., 62 ff., BT, S. 499 ff., LPE, S. 280 ff., PU, §§ 398 ff.
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auch in der Sekundärliteratur dementsprechend großen Niederschlag gefunden. Daher würde eine weitere Vertiefung den Rahmen der hier zugrunde liegenden Fragestellungen zweifellos sprengen. Gezeigt werden soll anhand dieser Auseinandersetzung lediglich die von Wittgenstein eingeräumte Lösungsalternative eines hinsichtlich des Personalpronomens »Ich« von unserer Alltagssprache divergierenden Symbolismus. Denn auch an diesem Beispiel lässt sich die Dichotomie der diskutierten Sprachkontexte und die damit verbundene semantische Divergenz dieses Ausdrucks verdeutlichen. So muss gezeigt werden, dass auch im Fall der »Ich«-Verwendungen in empirischen Kontexten dem Ich keine Sonderstellung gegenüber dritten Personen eingeräumt wird, und, dass Zusammenhänge denkbar sind, in welchen entsprechende Aussagen mit »falsch« bewerten werden können. Das heißt natürlich auch, dass Ausdrücke wie »Ich habe Schmerzen« und »Er hat Schmerzen« bezüglich des Schmerzbegriffs bedeutungsgleich sein müssen. Andererseits wäre im Kontext eines alternativen Symbolismus die gegebene semantische Divergenz durch unterschiedliche zugrunde liegende Regelverzeichnisse bedingt. Im ersten Fall hieße dies jedoch, dass »Ich« bei gegebener Bedeutungsgleichheit jedenfalls referentiell verwendet wird in Entsprechung zu analogen Fremdzuschreibungen. Nun finden sich jedoch zahlreiche Stellen, in denen Wittgenstein sich explizit gegen eine referentielle Semantik ausspricht und es gilt nun zu zeigen, ob durch Anwendung des dichotomischen Interpretationsansatzes ein möglicher Hinweis zum Verständnis seiner Behandlung des »Ich«Pronomens geliefert werden kann. Im Blue Book findet sich die bekannte Unterscheidung in SubjektObjektverwendung bezüglich verschiedener Ich-Aussagen: Sätze des Objektgebrauchs, wie etwa »Ich bin 2 cm gewachsen« oder »Mein Arm ist gebrochen«, erfordern das Erkennen einer bestimmten Person und im Zuge dieser Identifikation ist die Möglichkeit des Irrtums vorgesehen. Dies gilt jedoch nicht für Sätze der zweiten Kategorie, so beispielsweise »Ich sehe so und so«, oder »Ich habe Schmerzen«, denn in diesen Fällen wird nicht zunächst eine Person erkannt, welche sich in weiterer Folge möglicherweise als die eigene erweist. Wittgensteins Beispiele des Subjektgebrauchs beschränken sich offensichtlich auf solche psychischer Prädikationen. Die Unmöglichkeit des Irrtums in diesen Fällen zeigt jedenfalls, dass wir uns offensichtlich in einem anderen, als dem Kontext des Objektgebrauchs befinden. Das zeigt
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neben der Verwendung des Begriffs der Kategorie97 auch der Hinweis, dass der Irrtum in der Sprachspielterminologie, – im Gegensatz zu einem falschen, so etwa im Fall der Cartesischen Irrtumssicherheit bezüglich mentaler Selbstzuschreibungen –, gar kein Zug dieses Spiels wäre. Interessanterweise charakterisiert Wittgenstein nun die Frage nach möglichen Bezeichnungen von »Ich« in ganz analoger Weise zu der über referentielle Funktionen mentaler Ausdrücke, ein Tatbestand, welcher daher auch eine Anwendung des dichotomischen Interpretationsansatzes erlaubt: We feel then that in the cases in which »I« is used as subject, we don’t use it because we recognize a particular person by his bodily characteristics; and this creates the illusion that we use this word to refer to something bodiless, which, however, has its seat in our body. In fact this seems to be the real ego, the one of which it was said, »Cogito, ergo sum«. – »Is there then no mind, but only a body?« Answer: The word »mind« has meaning, i.e., it has a use in our language; but saying this doesn’t yet say what kind of use we make of it.98
Die irreführende Annahme sinnstiftender Funktion privater hinweisender Definition ist uns aus der introspektionistischen Auffassung bereits wohl bekannt. Ganz analog dieser Diskussion wird obiger Bemerkung ein Beispiel vorangestellt, in welchem mittels ostensiver Bestimmung durch Zeigen auf die Wange, die Benennung des Zahnschmerzes erfolgt.99 Um jener Cartesischen Gefahr zu entgehen, argumentiert Wittgenstein daher, dass es sich im metaphysischen Zusammenhang bei der Verwendung des ersten Personalpronomens nicht um einen referentiellen Kontext handelt. Dieser Thematik sollten wir uns vielleicht etwas genauer zuwenden: So unterscheidet etwa Klaus
97 98 99
Vgl. BB., S. 67. Ebd., S. 69 f. »We say we call something ‘toothache’, and think that the word has received a definite function in the dealings we carry out with language when, under certain circumstances, we have pointed to our cheek and said: ‘This is toothache’. (Our idea is that when we point and the other ‘only knows what we are pointing to’ he knows the use of the word. And here we have in mind the special case when ‘what we point to’ is, say, a person and ‘to know what I point to’ means to see which of the persons present I point to.)« (Ebd.)
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Puhl im Rahmen des Subjektgebrauchs bei Wittgenstein die folgenden drei Thesen: 1.) Die Eliminierbarkeitsthese, welche »ich« als überflüssig ausweist; 2.) Die Bezugslosigkeitsthese, welche »ich« als nicht-referentiell bestimmt und 3.) Die Expressivitätsthese, welche besagt, dass Selbstzuschreibungen der ersten Person nicht als deskriptiv, sondern substitutiv für natürliche Äußerungen aufzufassen sind.100 In diesem Zusammenhang betont Puhl völlig zurecht, dass die drei Thesen klar auseinander zu halten sind. Andererseits steht natürlich ebenso außer Frage, dass sie alle in bestimmten unterschiedlichen Relationen zueinander stehen. Im Rahmen der Frage referentieller Funktionen des Ichs argumentiert Puhl, dass Wittgenstein die Bezugslosigkeit ohne jegliche argumentative Stütze implizit aus dem Fehlen entsprechender Identifikationskriterien schließt.101 In PU § 404 bemerkt Wittgenstein das Folgende: »Wenn ich sage ,ich habe Schmerzen‘, weise ich nicht auf eine Person, die die Schmerzen hat, da ich in gewissem Sinne garnicht weiß, wer sie hat.« Und das läßt sich rechtfertigen. Denn vor allem: Ich sagte ja nicht, die und die Person habe Schmerzen, sondern »ich habe ...«. Nun, damit nenne ich ja keine Person [...] Worauf will ich hinaus? Darauf, daß es sehr verschiedene Kriterien der »Identität« der Person gibt. Nun, welches ist es, das mich bestimmt, zu sagen, ich habe Schmerzen? Gar keins.
Zu wissen, wer Schmerzen hat, heißt etwa zu wissen, wer in einem Krankenzimmer Schmerzen hat, und die Person ließe sich beispielsweise durch räumliche Angaben oder ihre besonderen körperlichen Erscheinungen bestimmen. Im Fall von Selbstzuschreibungen in Zusammenhang des § 404 liegen solche Kriterien offensichtlich nicht 100
101
Vgl. Puhl, Klaus: Subjekt und Körper. Untersuchungen zur Ichlehre Wittgensteins und der Theorie der Subjektivität, Paderborn 1999, S. 93. Puhl verweist hier auf Freges Bestimmung: »Wenn uns das Zeichen a einen Gegenstand bezeichnen soll, so müssen wir ein Kennzeichen haben, welches überall entscheidet, ob b dasselbe sei wie a, wenn es auch nicht immer in unserer Macht steht, dies Kennzeichen anzuwenden.« Siehe Frege, Gottlob: Die Grundlagen der Arithmetik: Eine logisch mathematische Untersuchung über den Begriff der Zahl, mit erg. Texten krit. hrsg. von Christian Thiel, Hamburg 1986, § 62.
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vor. In einem empirischen Sprachkontext hingegen sind natürlich Situationen denkbar, in welchen Sätze wie »Ich habe Schmerzen« deskriptive oder informative Funktion erfüllen bzw. die Aufmerksamkeit auf die eigene Person richten können. Dies gilt auch im Fall der expressiven Verwendung.102 Eine analoge Stelle im Blue Book scheint ebenfalls die unterschiedlichen Kontexte zu verdeutlichen. Dort heißt es: Compare the two cases: 1. »How do you know that he has pains?« – »Because I hear him moan«. 2. »How do you know that you have pains?« – »Because I feel them«. But »I feel them« means the same as »I have them«. Therefore this was no explanation at all. That, however, in my answer I am inclined to stress the word »feel« and not the word »I« indicates that by »I« I don’t wish to pick out one person (from amongst different persons).103
Diese Stelle ist insbesondere deshalb von Interesse, weil sie wiederum die so zentrale Rechtfertigungsproblematik für die Wortverwendung psychischer Prädikate mittels entsprechender Erlebnisinhalte betont. Daher scheint auch im Fall referentieller Verwendungsweisen des Personalpronomens »Ich« der hier vorgestellte dichotomische Interpretationsansatz nicht ausgeschlossen. Gestützt wird solch eine Lesart auch durch entsprechende Bemerkungen Wittgensteins, welche er seiner Subjekt–Objektgebrauchsunterscheidung voranstellt: There is, as we have said, no objection to adopting a symbolism in which a certain person always or temporarily holds an exceptional place. And therefore, if I utter the sentence »Only I really see«, it is conceivable that my fellow creatures thereupon will arrange their notation so as to fall in with me by saying »so–and–so is really seen« instead of »L.W. sees so– and–so«, etc., etc. What, however, is wrong, is to think that I can justify this choice of notation. [...] There is nothing wrong in suggesting that the others should give me an exceptional place in their notation; but the justification which I wish to give for it: that this body is now the seat of that which really lives – is senseless. For admittedly this is not to state anything which in the ordinary sense is a matter of experience.104
102 103 104
Vgl. LPP, § 45–51, PU II, S. 512. BB, S. 68. Ebd., S. 66. Entscheidend für unseren Zusammenhang sind hier die Ausdrücke »justify« bzw. »justification«.
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An diesen Stellen zeigt sich offensichtlich, dass es ganz analog der Frage einer referentiellen Semantik psychologischer Verben nicht um die Existenz der durch sie bezeichneten Erlebnisse geht, sondern um die irregeleitete Annahme ihrer Rechtfertigungsfunktion für entsprechende Wortverwendungen. Zur Vermeidung dieses metaphysischen Missverständnisses ist daher ein alternatives Notationssystem denkbar, in dem sich durch entsprechende Sprachregulierungen die Verwendung des »Ich«-Ausdrucks als überflüssig erweist (Eliminierbarkeitsthese). Dieser alternative Begriffsrahmen neutralisiert damit auch den häufig vorgebrachten Einwand fehlender Kennzeichnung mentaler Erlebnisse als je meine.105 Bezug genommen wird dabei auf Lichtenbergs berühmtes Beispiel: »Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt.«106 In Wittgensteins Vorlesungen finden sich ganz analog die folgenden Bemerkungen: The function »x has toothache« has various values, Smith, Jones, etc. But not I. I is in a class by itself. The word »I« does not refer to a possessor in sentences about having an experience, unlike its use in »I have a cigarette«. We could have a language from which I is omitted from sentences describing personal experiences. [Instead of saying »I think« or »I have an ache« one might say »It thinks« (like »It rains«), and in place of »I have an ache«, »There is an ache here«. It is not the case that certain changes in our symbolism are really omissions. One symbolism is in fact as good as the next. No one symbolism is necessary].107
Ein Satz wie »Es gibt Schmerzen« wird im Fall einer Situation der Alltagssprache wohl kaum eine Anwendung finden. Selbst wenn er in sehr speziellen Fällen gebraucht würde, eine Bedingung, welche die Annahme der Doppeldeutigkeit solcher Sätze erfordert, würde solch eine Verwendung wohl unweigerlich die Fragen der Art nach sich ziehen: »Was soll das heißen, es gibt Schmerzen, was ist passiert? Wer hat sie?« etc. Der Witz der Analogie liegt offensichtlich gerade darin, dass ein Satz wie »Es gibt Schmerzen« in der Notation des So-
105
106 107
Exemplarisch sei hier genannt: Marek, Johann C.: »Haller on the First Person« in: Keith Lehrer und Johann C. Marek [Hg.]: Austrian Philosophy. Past and Present. Essays in Honour of Rudolf Haller, Dordrecht u.a. 1997, Kapitel 5. Zit. nach Marek, ebd., S. 72. Lectures 1932–1935, S. 21 f.
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lipsisten Analoges leistet, wie »Es regnet« in der Sprachverwendung des Alltags. Darin liegt das Gewicht der Unterscheidung beider Situationen. Im Zentrum steht nicht die Diskussion einer Tatsache, sondern die verschiedener Bezeichnungsweisen. Der Einwand fehlender Individuierungsfunktion übersieht diese Differenzierung offensichtlich, denn im Bezeichnungssystem des Solipsisten bestimmt etwa die Regel »Nur ich kann wirklich Schmerzen haben« eindeutig den Bezugsrahmen der Aussage »Es gibt Schmerzen«, nämlich die jeweilige Person, die diesen Satz ausspricht. Bei Fremdzuschreibungen von Schmerzzuständen wären hingegen Aussagen wie »A benimmt sich so, als hätte er Schmerzen«, wobei A nicht der Solipsist ist, zu verwenden. Der gewöhnliche Sprachgebrauch enthält eine solche Regel offensichtlich nicht, denn es sind durchaus Situationen denkbar, in denen jemand mit einer Erkältung an einem kalten Tag hinausgeht und wir sagen »Ich werde Deine Erkältung nicht spüren«, was bedeuten kann »Ich leide nicht, wenn du dich erkältest«, ein Satz, den uns wiederum die Erfahrung gelehrt hat.108 Die Eliminierung der ersten Person im Fall des solipsistischen Zusammenhangs bedarf natürlich noch weiterer Modifikationen, etwa die der Unterscheidung zwischen »wirklich« und »simuliert«, da es sich in diesem Kontext nicht um eine Tatsachenbehauptung (»Nur ich habe wirkliche Schmerzen«) handelt, welche sich als falsch erweisen könnte, wäre der Schmerz nur geheuchelt oder etwa auf der Bühne dargestellt. Unter Voraussetzung unterschiedlicher Bezeichnungsweisen scheint somit jener Einwand nicht mehr überzeugend vertretbar, das heißt, das Problem mangelhafter Zuschreibungskriterien nicht mehr zu bestehen. »Es gibt Schmerzen« leistet dasselbe wie »Ich habe Schmerzen« usw., da die Regel eine andere Zuschreibung verbietet. Analog wäre die Angabe eines Zuges im Schachspiel wie beispielsweise b1–c3 oder b1–a3 ausreichend zur Bestimmung der Figur, welche ausschließlich für diesen Zug in Frage kommt, da das Regelwerk nur für das Pferd eine solche Zugmöglichkeit vorsieht.109
108 109
Vgl. BB, S. 54. Natürlich wäre für b1 jede andere Koordinate des Brettes anzugeben, um den Einwand zu verwerfen, die Bestimmung b1 wäre durch die Ortsangabe in der Anfangsstellung auf das Pferd beschränkt.
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Neben der Gleichwertigkeit eines solchen alternativen Bezeichnungssystems gilt natürlich auch, dass diese Sprache jeden beliebigen Verwender als Zentrum haben kann, ein Punkt, welcher durch die Funktion der »Ich«-Verwendung bedingt ist.110 Auch hier ließe sich die Idee der logischen Mannigfaltigkeit heranziehen, die zeigt, dass sich der Gebrauch des Personalpronomens weder auf nur eine Person beschränken lässt, noch in substitutionaler Relation zu Wortverwendungen wie »Dieser Körper« steht, ein Gedanke, der im Folgenden nochmals aufgegriffen wird. Die Frage, ob Wittgenstein tatsächlich die fehlende Referenz des Wortes »Ich« aus der Tatsache fehlender identitätsstiftender Kriterien des Subjektes in Fällen wie »Ich habe Schmerzen« schließt, soll hier offengelassen werden. Gezeigt hat sich jedenfalls das Motiv seiner Auffassung im Rahmen der Rechtfertigungsproblematik sprachlicher Ausdrücke. Abschließend wird nun noch der Versuch unternommen, in Anwendung des dichotomischen Ansatzes das Verhältnis von Elimination, Referenzlosigkeit und Expressivität im Zusammenhang des Subjektgebrauchs etwas genauer zu bestimmen, ein Ansatz, der meines Wissens in dieser Form keine Entsprechung findet. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass sich Wittgensteins Subjektgebrauch111 seinen Beispielen gemäß, offensichtlich auf Selbstzuschreibungen bestimmter Erfahrungserlebnisse beschränkt. Nun gilt es zu zeigen, ob auch in diesem Zusammenhang eine Differenzierung in falsche und sinnlose Sätze zu vollziehen ist. Offensichtlich lassen sich die expressiven Fälle eindeutig dem empirischen Kontext zuordnen, da, wie wir gesehen haben, »Ich«Verwendungen als Substitute für non-verbale Empfindungsäußerungen aufgefasst werden, wie beispielsweise »Autsch«. Das heißt, hier handelt es sich nicht um autoreferentielle Zustandsbeschreibungen in Subjekt-Prädikat Form, z.B. »Ich habe ein so-und-so Erlebnis«, da solche natürlichen Bekundungen über gar keine entsprechende Satzstruktur verfügen. Dadurch wird auch die Frage möglicher Referenzrelationen hinfällig. Insofern wäre die Annahme einer entsprechenden Bezeichnungsfunktion des ersten Personalpronomens falsch, nicht aber sinnlos. Nun findet sich aber in den BB auch eine Stelle, die eine Lesart erlaubt, welche selbst in Zusammenhang des Subjektgebrau110 111
Vgl. PB, S. 99. In späteren Schriften findet sich diese Unterscheidung nicht mehr.
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ches im eben bestimmten Sinn von Selbstzuschreibungen psychischer Zustände oder Vorgänge eine referentielle Funktion einzuräumen scheint. Wittgenstein bemerkt: »All this comes to saying that the person of whom we say ‘he has pain’ is, by the rules of the game, the person who cries, contorts his face, etc. [...] If, in saying ‘I’, I point to my own body, I model the use of the word ‘I’ on that of the demonstrative ‘this person’ or ‘he’.«112 Hier zeigt sich an Wittgensteins gewähltem Beispiel offensichtlich einerseits, dass es sich um einen Subjektgebrauch handelt und andererseits, dass der Begriff des »Ich« eine analoge Funktion der Ausdrücke »Er« oder »Diese Person« einnimmt und das heißt in diesem Kontext, eine referentielle.113 Das gilt natürlich auch für Fälle, in denen man mit entsprechenden Sätzen auf sich aufmerksam machen, oder etwa über seinen physischen Zustand informieren will. Der entscheidende Punkt des dichotomischen Ansatzes liegt ja gerade darin, dass Sätze, welche irrtümlich eine metaphysische Bestimmung beanspruchen, in empirischen Kontexten sehr wohl eine sinnvolle Anwendung finden können. So heißt es etwa auch an anderer Stelle: If, however, I believe that by pointing to that which in my grammar has no neighbour I can convey something to myself (if not to others), I make a mistake similar to that of thinking that the sentence »I am here« makes sense to me (and, by the way, is always true) under conditions different from those very special conditions under which it does make sense. [...]. Again an important case where you can learn that a word has meaning by the particular use we make of it.114
Es wären also Situationen denkbar, in welchen durch Stimmerkennung und -ortung Identifizierung und Lokalisation ermöglicht werden. Voraussetzung dieser sinnvollen Verwendung ist dabei, dass eine bestimmte Aufmerksamkeit auf einen Ort des gemeinsamen, das heißt, physikalischen Raumes gelenkt wird. Im metaphysischen Kontext 112 113
114
BB, S. 68. Im Zusammenhang des Deutens im Fall von Zahnschmerzen heißt es etwas später: »(Our idea is that when we point and the other ‘only knows what we are pointing to’ he knows the use of the word. And here we have in mind the special case when ‘what we point to’ is, say, a person and ‘to know what I point to’ means to see which of the persons present I point to.)« (Ebd., S. 69) Ebd., S. 72.
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hingegen hieße ein Satz wie »Ich bin hier« zu sich selbst gesprochen, mit Verweis auf den eigenen Gesichtsraum, etwas wie »Hier ist hier«.115 Natürlich gilt es im Zusammenhang des expressiven Gebrauchs und der Objekt-Verwendung116 insbesondere zu betonen, dass in beiden Fällen der subjektive Gebrauch von »Ich« nicht mit dem ObjektGebrauch zusammenfällt. Vielmehr handelt es sich hier um eine Analogie bzw. die Angleichung zweier Ausdrücke im Gegensatz zu ihrer Identifizierung.117 Im Fall der Expressivitätsthese wird der Punkt durch die von Wittgenstein verwendete Terminologie deutlich. So spricht er etwa im Blue Book davon, dass es ebenso unmöglich sei, bei Ausdrücken der Art »Ich habe Zahnschmerzen« eine andere als die eigene Person für sich selbst zu halten, wie in Fällen des Aufschreis118, bzw.: »To say, ‘I have pain’ is no more a statement about a particular person than moaning is« und »the difference between the propositions ‘I have pain’ and ‘he has pain’ is not that of ‘L.W. has pain’ and ‘Smith has pain’. Rather, it corresponds to the difference between moaning and saying that someone moans.«119 Die Ausdrücke »as impossible as«, »no more […] than« und »corresponds« stützen offensichtlich die These, dass es sich hier nicht um eine Gleichsetzung 115
116
117
118 119
»When it makes sense to say ‘I see this’, or ‘this is seen’, pointing to what I see, it also makes sense to say ‘I see this’, or ‘this is seen’, pointing to something I don’t see. When I made my solipsist statement, I pointed, but I robbed the pointing of its sense by inseparably connecting that which points and that to which it points. And in this way the solipsist’s ‘Only this is really seen’ reminds us of a tautology.« (Ebd., S. 71) D.h. des »Objektgebrauchs« von »Ich«. Wittgenstein spricht von »the use as object«. (BB, S. 66). In Zusammenhang des Angleichens des Ausdrucks »Ich« an »diese Person« verweist Wittgenstein auf eine analoge Methodik in der Mathematik, im Rahmen des Beweises der Winkelsumme eines Dreiecks: »We say ‘a=a’, b=b’, and c=c’. The first two equalities are of an entirely different kind from the third.)«. (Ebd., S. 68) Möglicherweise, obgleich diese Auslegung sicher diskussionswürdig ist, handelt es sich im Falle von ,a=a'‘ um den Subjektgebrauch, welcher sich dem Objektgebrauch angleicht, bei ,b=b'‘ um eine Angleichung an die expressive Verwendung (natürlich sind »a« und»b« hier vertauschbar) und bei ,c=c‘ um den solipsistischen Kontext, welcher uns an eine Tautologie erinnert (vgl. ebd., S. 71). Hier zeigt sich wiederum ganz deutlich die entscheidende Rolle der Negation: Ist ein Satz nicht sinnvoll verneinbar, ist auch der Satz selbst »unsinnig«. Wittgenstein spricht von »it is as impossible [...] as«. (Ebd., S. 67) Ebd., S. 67 u. 68.
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sondern vielmehr um einen analogen Gebrauch handelt. In § 404 der PU schließlich heißt es entsprechend, dass das »Ich habe« in »Ich habe Schmerzen« »ebenso wenig« eine Person benennt, »wie« ein durch Schmerzen hervorgerufenes Stöhnen. Allerdings wird aus dem Schrei natürlich ersichtlich, welche Person sich in entsprechendem Zustand befindet. Und dieselbe Identifizierung im Rahmen einer alternativen Notation durch die Elimination des ersten Personalpronomens wird ganz analog durch die jeweils zugrunde liegende Sprachregulierung erfüllt. Das heißt, offensichtlich soll die Expressivitätsthese durch ihre Analogie zum Subjektgebrauch verdeutlichen, dass es sich bei seiner Verwendung im solipsistischen Kontext ganz entsprechend dem »Autsch« nicht um einen Fall von Referenz handelt. In beiden Fällen, sowohl des Subjektgebrauchs, als auch der expressiven Verwendung, lässt sich der Satz »Ich habe Schmerzen« in einen Satz, der keine referentiellen Ausdrücke enthält, übersetzen. Im Fall einer Angleichung an den Objektgebrauch gilt dann auch hier, dass es sich nicht um eine Identifizierung beider Ausdrucksformen handelt, das heißt, dass etwa »Ich« ersetzbar wäre durch »Dieser Körper«. Zur Stützung des Argumentes findet sich eine sehr aufschlussreiche Bemerkung im sogenannten Yellow Book: »The fact that it makes sense to suppose that I change my body, but that it does not make sense that I have a self without a body, shows that the word ‘I’ cannot be replaced by ‘this body’; and at the same time it shows that ‘I’ only has meaning with reference to a body.«120 Diese Stelle erinnert sehr stark an Wittgensteins Argumentationslinie bezüglich psychischer Prädikate im Rahmen der Auseinandersetzung mit der behaviouristischen Übersetzungsthese. Auch hier zeigt sich, wie wir noch sehen werden, dass Zuschreibungen psychischer Zustände oder Erlebnisse zwar nicht durch eine Verhaltensterminologie zu ersetzen sind, sie ihre Bedeutung jedoch in vielen Fällen durch entsprechenden Bezug auf beobachtbare Phänomene erhalten, bedingt durch die kriteriale Bestimmung von Verhaltensparametern als grundlegend für die Semantik mentaler Wortverwendungen. Veranschaulichen lässt sich diese Überlegung wiederum mit einer Analogie des Schachspiels, in welchem etwa der König einerseits nicht identifizierbar ist mit einem entsprechenden Holzstück, andererseits von einem reinen König ohne Verweis auf ein korrespondieren120
Lectures 1932–1935, S. 62.
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des Symbol gar nicht gesprochen werden kann. In der Lecture on Necessary Propositions bemerkt Wittgenstein entsprechend: Is »The king in chess moves in such and such a way« about a piece of wood? No, in the sense that it doesn’t act like »This piece of wood is soft«. It is not a natural thing to say. Yes, in the sense that we aren’t inclined to mention any other thing it is about. It can be given a sense.121
Und dieser Punkt steht natürlich wieder in Zusammenhang mit der uns bereits vertrauten Bewertung von Symbolen: Is »212 + 416 = 628« about symbols or isn’t it? We might have a convention of writing »is true« after every proposition. Instead of writing »p is true« we would write » ‘p’ is true«. Instead of »Wisdom is eccentric« we would write »the proposition ‘Wisdom is eccentric’ is true«. Couldn’t we then say that all propositions were about symbols? You might be inclined to say »Surely these two can’t mean the same. The one is about symbols the other is not«. What do you mean »What is 212 + 416 = 628 about?« What is »I shut the door« about? Is it an answer to say «About the door«? [...] First answer to »What’s 2 + 2 about?« is »About 2 + 2«, etc. But if you ask how it’s used we can say »It’s used as a sort of paradigm in doing something«.122
Die Verwendung des Ausdrucks »Ich« hängt natürlich ab von einer erfahrungsgemäßen Korrelation zwischen dem Mund der sprechenden Person und bestimmten Körperteilen. Dies zeigt sich etwa an der Tatsache, dass der Schrei dem Mund desjenigen entstammt, welcher an einer bestimmten Körperstelle Schmerz empfindet. Die Fehlerhaftigkeit der Identifizierung des Ichs mit dem eigenen Körper zeigt sich allerdings allein an der denkbaren Vorstellung, dass zwei Personen ein und denselben Körper teilen. Bekannt ist uns ein entsprechendes Gedankenexperiment ja bereits aus Wittgensteins Beispiel der Schmerz121
122
Auch in den Gesprächen mit Waismann betont Wittgenstein diesen Punkt, dass im Schach in Abgrenzung zu Freges zweigeteilter Zahlauffassung, die sich entweder auf einen Gegenstand oder die einfachen Strichzeichen auf dem Papier bezieht, etwa der Bauer weder Zeichen von etwas ist, noch die auf dem Brett bewegte Holzfigur. Das heißt, ein Zeichen ist nicht nur entweder notwendigerweise ein Zeichen von etwas, oder identisch mit einem sinnlich wahrnehmbaren Gebilde (vgl. hierzu WWK, S. 105 u.150). Lecture on Necessary Propositions.
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empfindung im Zahn eines anderen. Die unterschiedliche Verwendungsweise von »Ich« und »Mein Körper« impliziert allerdings nicht die Existenz einer Entität neben diesem. Im Fall einer Schmerzempfindung zu sagen, dass statt »Ich« »Mein Körper« ihn verspüre, wäre demnach schlichtweg falsch, nicht jedoch unsinnig. Darin zeigt sich eben gerade der differenzierte Gebrauch dieser beiden Ausdrücke. Die Substitution impliziert nämlich die fälschliche Annahme eines nicht vorhandenen Ichs, ganz analog der Mathematik, in welcher aufgrund der Behauptung, es gäbe keine Zahlen als eigenständige Entitäten, der falsche Schluss gezogen wurde, es handelte sich hierbei lediglich um Striche auf dem Papier. Dieser Gedanke ist uns ja bereits in Zusammenhang mit Freges Zahlauffassung bekannt.123 In einer dem Diktat des Blue Book vorangegangenen Vorlesung diskutiert Wittgenstein die fehlerhafte Annahme, durch ostensive Gesten auf den eigenen Körper beim Aussprechen des Wortes »Ich« indirekt auf ein Selbst hinzuweisen in Verbindung mit dem Zählen von Gegenständen in unserem Gesichtsraum im Gegensatz zum physikalischen Raum, ein Punkt, der uns bereits aus den Anfangsbemerkungen der Vorlesung über notwendige Sätze am Beispiel der Anzahl von Regentropfen im visuellen Raum vertraut ist und sich an dieser Stelle des Yellow Book wiederfindet.124 So lassen sich zwar Körper zählen, wie aber verhält es sich bezüglich der Ich-Substanz? Denn das Ich hat offensichtlich »keine Nachbarn«.125 Da im Fall Dritter der Name auf einen Körper referiert, wird bei Aussagen der ersten Person auf eine mit dem Körper verbundene, hypothetische Entität geschlossen. Hierin liegt jedoch gerade der Fehler, da etwa eine Aussage wie »Ich habe ein Selbst« in Analogie zu »Ich habe einen Euro« gebildet wird126. 123
124
125
126
Frege, Gottlob: »Funktion und Begriff«, in: Frege, Gottlob: Funktion, Begriff, Bedeutung, S. 20. Vgl. auch WWK, S. 105 u. 150. Natürlich widersprach Frege dieser Hilbert’schen Position von Zahlzeichen. »It is like saying of falling raindrops ‘Our vision is so inadequate that we cannot say how many drops we saw, though surely we did see a specific number’. The fact is that it makes no sense to talk of the number of drops we saw.« (Lectures 1932–1935, S. 63) »You can’t deny that there is my personal experience and that this in a most important sense has no neighbour. – But you don’t mean that it happens to be alone but that its grammatical position is that of having no neighbour.« (LPE, S. 283) Wittgenstein spricht von »Each of you has a self« und »Each of you has a shilling«. (Lectures 1932–1935, S. 61)
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Daraus folgt jedoch keineswegs die Annahme, andere als die eigene Person verfügten über ein Ich, als notwendigerweise unsinnig: »It might mean that other people are alive«127. Und natürlich ist die Möglichkeit eines sinnvollen Kontextes durch die Interpretation gemäß des dichotomischen Ansatzes gewährleistet, da jeder Ausdruck eines metaphysischen Zusammenhangs auch in irgendeinem denkbaren empirischen sinnvoll sein muss. Gezeigt wird mit diesen Überlegungen ganz analog der Debatte über mentale Phänomenausdrücke lediglich, dass die Verwendungen des ersten Personalpronomens in metaphysischen Kontexten nicht durch die Existenz eines Ichs und die entsprechende referentielle Relation gerechtfertigt werden kann, keineswegs jedoch, dass etwa ein solches geleugnet werden soll. Aus der Nichtidentifizierbarkeit des Ichs mit einem Körper folgt allerdings eine Art Koexistenz. Das zeigt sich allein an der Unmöglichkeit der Vorstellung eines Selbst ohne Körper. Denn was hieße es etwa, in Anlehnung an Descartes, zu wissen, dass ich einen Traum hatte, ohne jedoch einen Körper zu besitzen, ein Schluss der sich unsinnigerweise aus der Tatsache gewinnen ließe, dass zu sagen »Ich hatte einen Traum« nicht bedeutet »Mein Körper hatte einen Traum« und sich dies insbesondere im Fall eines solchen Traumes zeigen würde, in dem mein Körper wechselt. Denn wie machen sich die jeweiligen Ich-Wesen ohne Körper verständlich? Auch die Annahme der Vorstellung, dass von verschiedenen Raumpunkten Stimmen erklingen könnten, leistet hier nichts, da natürlich denkbar wäre, dass ein und dieselbe Stimme auch an mehreren Orten zu hören sei.128 Die Denkmöglichkeit, den eigenen Körper zu wechseln und die sinnlose Annahme eines körperlosen Ichs zeigen somit offensichtlich, dass einerseits das erste Personalpronomen nicht durch »Dieser Körper« ersetzbar, und andererseits seine Semantik nur durch Referenz auf einen Körper zu bestimmen ist. Aus der Eliminierbarkeitsthese folgt jedoch nicht, dass der nun entsprechende alternative Symbolismus dadurch unvollständig wird: We think we describe phenomena incompletely if we leave out personal pronouns, as though we would thus omit pointing to something, the per127
128
Ebd., S. 62. Vgl. auch Haller: »Bemerkungen zur Egologie Wittgensteins«, S. 369. Vgl. Lectures 1932–1935, S. 62.
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sonality, which »I« in our present language points to. But this is not so. One symbolism is just as good as the next. The word »I« is one symbol among others having a practical use and could be discarded when not necessary for practical speech. It does not stand out among all other words we use in practical life unless we begin using it as Descartes did. I have tried to convince you of just the opposite of Descartes’ emphasis on »I«.129
Auch diese Bemerkungen zeigen ganz klar die dichotomische Struktur von Ich-Aussagen in alltäglichen Kontexten, in denen das erste Personalpronomen ganz analog anderer Bezeichnungsweisen referentiell verwendet wird und solchen des Solipsisten, in dem die Elimination des Ausdrucks »Ich« keinen unvollständigen oder fehlerhaften Symbolismus erzeugt, da die Funktion dieses Begriffs im Zuge seiner Aufhebung durch ein entsprechendes alternatives Regelwerk gesichert ist, das natürlich selbst »Ich«-Verwendungen beinhaltet. Die Frage nach der Bezeichnungsweise, etwa analog einer mathematischen Gleichung, führt uns nun im nächsten Abschnitt in aller Kürze zum zweiten Grundsatzproblem metaphysischer Aussagen im Sinne Wittgensteins, welches uns ebenfalls bereits an verschiedenen Stellen begegnet ist. So heißt es etwa im Anschluss an die uns bereits bekannte Frage: »What do you mean ‘What is 212 + 416 = 628 about?’« und der Analogie zum Schachkönig: »Compare: it is in the nature or in the essence of ‘212 + 416’ that it equals 628.«130 Betrachten wir im Folgenden also nochmals etwas genauer die Relation zwischen Sätzen der Grammatik und Wesensaussagen.
4.3.5. Wesen und Grammatik131 Wie die bisherigen Untersuchungen gezeigt haben, war die Metaphysik des Tractatus durch die fehlende Semantik der in metaphysischen Aussagen verwendeten Bezeichnungen bestimmt.132 Der Gedanke, dass Wesensbestimmungen der Welt sich nicht aussagen lassen, findet 129
130 131
132
Ebd., S. 63. Zur Ich-Problematik Wittgensteins vgl. auch Haller, Rudolf: »Bemerkungen zur Egologie Wittgensteins«. LNP. Vgl. hierzu Munz, Volker A.: »Wesen und Sprache. Auszüge einer variierten Metaphysikkritik«, in: Newsletter Moderne. Zeitschrift des SFB Moderne 6, Heft 1 (März 2003), S. 4–9. Vgl. TLP 6.53.
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sich dann explizit in den Philosophischen Bemerkungen: »Was zum Wesen der Welt gehört, kann die Sprache nicht ausdrücken.«133 Aufgabe der Philosophie wäre eigentlich die Beschreibung dieses Wesens. Seine Erfassung erfolgt allerdings nicht in der Sprache, da die Sprache als ein Bild der Welt eine solche Bestimmung nicht liefern kann. Die ihr zugrundeliegende Grammatik hingegen ermöglicht eine Wesenserfassung durch die in ihr enthaltenen semantischen Regeln, welche unsinnige Zeichenverbindungen verbieten.134 Zwar zeigt sich auch hier noch die Verlegung metaphysischer Behauptungen außerhalb des sinnvollen Redens135, allerdings nicht mehr in der radikalen Form der Wittgenstein’schen Frühphilosophie. Alles Metaphysische findet sich nun in der Grammatik der Sprache.136 Und darin zeigt sich die Verknüpfung zwischen dem Begriff des Wesens und der Grammatik, in welcher die Regeln des Sprachgebrauchs bestimmt sind. Die Wesenserfassung erfolgt durch den Ausschluss der ihnen widersprechenden Zeichenverbindungen. Diese Überlegungen finden sich auch noch in der in PU § 116 vorgetragenen Lösungsalternative zur Mehrdeutigkeit sprachlicher Ausdrücke. Die bisherigen Untersuchungen haben dabei klar gezeigt, dass Wittgensteins Wesensbegriff nicht der klassischen Bedeutung etwa eines Aristotelischen entspricht137. Insofern erweist sich allein in methodologischer Hinsicht ein fundamentaler Unterschied bezüglich Wesensbestimmungen. Des Weiteren werden sie im Vergleich zur Elimination unsinniger Zeichenverbindungen ebenfalls dadurch modifiziert, dass der von mir vorgestellte zweite Lösungsansatz durch das Einräumen der möglichen Einführung alternativer Symbolismen die Unsinnigkeit nur noch relativ zu den entsprechenden Sprachsystemen bestimmt. Pointiert lässt sich die zweite Diagnose 133 134
135 136 137
PB, S. 85. Vgl. PB, S. 85. In TLP heißt es in 5.4711 »Das Wesen des Satzes angeben heißt das Wesen aller Beschreibung angeben, also das Wesen der Welt.« Und in den PB ganz entsprechend: »Das Wesen der Sprache aber ist ein Bild des Wesens der Welt.« (Ebd., S. 85) D.h. in empirischen Sätzen. Vgl. PG, S. 162, Zettel, § 55. Vgl. u.a.: Aristoteles: »Lehre vom Beweis oder Zweite Analytik«, Buch 2, Kapitel 7, in: Philosophische Schriften in sechs Bänden. Bd. 1. Kategorien. Lehre vom Satz. Lehre vom Schluß oder Erste Analytik. Lehre vom Beweis oder Zweite Analytik, Hamburg 1995. Diesen Hinweis verdanke ich Werner Sauer. Vgl. auch Haller: »War Wittgenstein ein Neokantianer«, S. 159. Natürlich gilt dies um so mehr für den Wesensbegriff etwa bei Husserl.
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über die Metaphysik in methodologischer und semantischer Hinsicht vielleicht wie folgt diagnostizieren: »Philosophische Untersuchungen: begriffliche Untersuchungen. Das Wesentliche der Metaphysik: daß ihr der Unterschied zwischen sachlichen und begrifflichen Untersuchungen nicht klar ist. Die metaphysische Frage immer dem Anscheine nach eine sachliche, obschon das Problem ein begriffliches ist.«138 Und in der letzten Vorlesung der Reihe Lectures on Description bemerkt Wittgenstein bezüglich der Natur von Farben, einer der, wie wir bereits gesehen haben, zentralen Themenbereiche im Rahmen des Wesensbegriffs, abschließend: »The particular form which a philosophical question takes is suggested to us by our use of language. When we ask for the essence or nature of colour there are no philosophical ways of investigating this. We can imagine circumstances under which there would be no such notion at all as ‘colour’«.139 Die Charakterisierung einer solchen Untersuchung ließe sich umschreiben als eine Art Naturgeschichte menschlicher Begriffe, ganz analog einer solchen von Pflanzen und Tieren, in der bei Gegebensein der Beschreibung sämtlicher Einzelheiten durch die Kenntlichmachung ganz neuer Analogien und Ordnungszusammenhänge auch in wissenschaftlicher Hinsicht richtungsweisende Veränderungen denkbar wären. Denn offenbar fehlt es der Grammatik unserer Sprache an Übersichtlichkeit. In diesem Zusammenhang findet Wittgensteins Programm der übersichtlichen Darstellung seine fundamentale Bedeutung. Die übersichtliche Darstellung vermittelt dabei ein Verständnis durch das Erkennen formaler Zusammenhänge. So ist auch die philosophische Methodik Wittgensteins bestimmt, welche nicht im Aufweisen von Erklärungs- bzw. Begründungszusammenhängen liegt, sondern in der rein deskriptiven Funktion des Gebrauchs sprachlicher Zeichen, mittels der ihnen jeweils zugrunde gelegten Regelsysteme.140 138 139 140
BPP I, § 949. Siehe auch Zettel, § 458. Lecture 10. »Die übersichtliche Darstellung vermittelt das Verständnis, welches eben darin besteht, daß wir die ,Zusammenhänge sehen’. [...] Der Begriff der übersichtlichen Darstellung [...] bezeichnet unsere Darstellungsform, die Art, wie wir die Dinge sehen« (PU, § 122). Vgl. hierzu auch PB, S. 52, »Bemerkungen über Frazers Golden Bough« (Wittgenstein: Vortrag über Ethik, S. 37), »Ursache und Wirkung: Intuitives Erfassen« (VE, S. 118, sowie PU, §§ 123 f.).
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In diesem Kontext zeigt sich uns wieder die fundamentale Rolle der internen Relation, da Wittgenstein die Frage nach der Wesensbestimmung gerade als eine solche nach der begrifflichen Beziehung auffasst: »We wish to talk not about an external relation, but about an internal relation. ‘It is in the nature of’« and ‘It is because of an internal relation’ are used in the same way.«141 Diesen Punkt verdeutlicht Wittgenstein an der Frage möglicher Verbindungen zwischen Gabeln unterschiedlicher Zinkenanzahl.142 Hier zeigt sich ebenfalls die uns bereits bekannte Differenzierung in paradigmatische Bestimmungen einerseits und ihre Anwendung andererseits. So heißt es etwa: »Surely this is not a mere matter of words. It lies in the nature of 3- and 4-pronged forks that they can’t be joined in this way«. This may be a bit of information, not about paradigms, but about the two forks, i.e. that they have a different number of prongs, i.e. an empirical statement which tells us about the forks. [...] Suppose that when I try to join them a new prong grows and I ask »Is it still this fork or not?« So the proposition (1) above might mean that when two forks are brought together, a new fourth prong doesn’t appear. It is not clear what criterion for identity is being used for the forks – what is being done with (1). You say »these two forks have different natures« meaning they have a different number of prongs. But you can’t refer to a paradigm of their having different natures.143
An diesen Stellen zeigt sich wiederum sehr anschaulich die Konsequenz der Wittgenstein’schen Argumentationslinie, wie wir sie etwa auch in der Auseinandersetzung mit Moores Diskussion des Regelbegriffs im Rahmen arithmetischer Gleichungen und ihrer Anwendung am Beispiel der Anzahl einer bestimmten Menge Äpfel sahen. Und die Verwechslung der Bestimmung eines Paradigmas und seiner Anwendung auf einen bestimmten Fall, wie beispielsweise der irrtümliche Versuch einer Definition des Begriffs der Wesensverschiedenheit durch Verweis auf ein bestimmtes Gabelpaar, ist uns ebenfalls aus
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142 143
Lectures on Knowledge, Lecture 8. Diesen Punkt habe ich ja bereits an zahlreichen Zusammenhängen illustriert, exemplarisch sei nur nochmals an das Problem der Farbeninkompatibilität erinnert. Vgl. Wittgenstein: VE, S. 135 ff. Lectures on Knowledge, Lecture 8. Diese Stelle erinnert natürlich stark an das Apfelbeispiel in Moores Diskussion des »One must have vanished.«
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vielen anderen Zusammenhängen vertraut.144 Ist ein bestimmtes Paradigma der Wesensverschiedenheit eingeführt, so lässt sich dieser Begriff nicht mehr autoreferentiell anwenden.145 Interessanterweise, dies sei hier jedoch nur mittels zweier weiterer Vorlesungsbemerkungen Wittgensteins betont, findet sich auch eine Auffassung des Begriffs »Natur einer Sache«, die den hier vorgeschlagenen dichotomischen Interpretationsansatz stützt und ganz analog des Begriffs »Selbst« Anwendung findet.146 So heißt es: Suppose someone called brown reddish green, could we say he had misunderstood our explanations of red and green, bluish red, etc.? I might then say: Suppose some colour blind people called »brown« »reddish green« and some »more red« and others »more green«. Could we say that they stood in a relation to us, as we stand in relation to a colour blind person? What would come of the assertion that the non-existence of reddish green depends on the nature of red and green? We could even say that the non-existence of red and green depends on our nature. [...] It is a fantastic case where people distinguish red and green in cases where we should say »brown«. The nature of what is revealed? We might say the nature of our eyes, or of us or of anything, but not of red and green. Because if we say that something reveals the nature of so and so this means that to say it, is to give some sort of description of what it is the nature of. »It is in the nature of Mr. Lewy not to be able to distinguish this, but it is in the nature of Mr. Smythies.« I can describe Mr. Lewy doing this, but what is it to say you can describe red by saying there is no reddish green? You might say »What would it be a description of?« These two bits of paper have colours of which you could say »There is no A-ish B«. It could be called »describing the colour«.147
Diese Bemerkungen im Zusammenhang mit Farben und unserer Natur beantworten wohl auch die in Zettel gestellte Frage der Beziehung 144
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Erinnert sei hier nur exemplarisch an den Begriff des Urmeters und an die Verwechslung von »giving a sample« und »using a sample«. Der Zusammenhang zwischen der Einführung von Paradigmen und experimentellen Anwendungen wird u.a. in der 12. Vorlesung über die Grundlagen der Mathematik sehr anschaulich thematisiert. Vgl. Lectures on the Foundations of Mathematics, S. 111–122. Diese Verwendung des Wesensbegriffs steht auch der Aristotelischen naturalistischen Bestimmung sehr viel näher. Lectures on Categories and Objects, Lecture G.
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solcher Systeme zu den jeweils unter sie fallenden Gegenständen und des menschlichen Vermögens. So heißt es etwa: »Wir haben ein System der Farben wie ein System der Zahlen. Liegen die Systeme in unserer Natur oder in der Natur der Dinge? Wie soll man’s sagen? – Nicht in der Natur der Zahlen oder Farben.«148 Und zwei Vorlesungen später bemerkt Wittgenstein entsprechend: The words »essence«, »point«, »nature« are all in this way of the same kind. »This is the essence of the game«, »this is the point of the game«, »this is the nature of the game«. These are similar kinds of questions. To ask to give a name to one particular combination of colour words you might say has no point, and what it means to have no point is I wish to say nothing simple. First you might say »it is useless«, but »useless« is a very difficult concept. Do you mean »we don’t get money by it?« Instead of saying that we try to discuss the nature of so and so we might rather say that we try to discover what has a nature or what forms a nature and what not. Or we might even say that we try to find what are natures. We can’t say that the nature of colour is reflected in grammar, say. I could say that what is interesting to us is that philosophers are inclined to talk of the nature of colour. Or that they do regard colour as such an absolutely fundamental thing. What is interesting to us is interesting not as a convention but because it has enormously important consequences.149
Wittgensteins Auffassung der Beziehung zwischen Wesensbestimmungen und Grammatik im ersteren Sinne findet sich in pointiertester Form wohl in den Paragraphen 371–373 der PU, interessanterweise im unmittelbaren Anschluss an die uns bereits bekannten Bemerkungen zur Bedeutung innerer Vorgänge am Beispiel des Redens zu sich selbst, des Kopfrechnens und Vorstellens. Dass die Bedeutung entsprechender Wortausdrücke nicht durch irgendeine Art privater hinweisender Funktion geliefert werden kann, das heißt, die fehlgeleitete Annahme semantischer Bestimmungen mittels Referenz auf etwaige innere Erlebnisinhalte150, wirft offensichtlich ein besseres Licht auf die Idee, dass das Wesen sich vielmehr in der Grammatik des jeweiligen Sprachausdrucks findet: Die Grammatik bestimmt, was ein Gegenstand seinem Wesen nach ist. So lautet eine Stelle der BGM: 148 149 150
Zettel, § 357. Categories and Objects, Lecture I. Vgl. z.B. PU, §§ 362 u. 370.
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»,Wesentlich‘ ist nie die Eigenschaft des Gegenstandes, sondern das Merkmal des Begriffes.«151 Im Zusammenhang mit dieser Art der Wesensbestimmung verweist Wittgenstein auf eine mögliche Beziehung zwischen sprachlichen Bestimmungen und Naturnotwendigkeiten. Analog solcher Notwendigkeiten, welche sich nicht in einem notwendigen Satz ausdrücken, lässt sich auch im Zusammenhang von Sprache nur eine willkürliche Regel extrahieren: »Überlege: ,Das einzige Korrelat in der Sprache zu einer Naturnotwendigkeit ist eine willkürliche Regel. Sie ist das Einzige, was man von dieser Naturnotwendigkeit in einen Satz abziehen kann.‘«152 An der entsprechenden Stelle der PG findet sich ein interessanter Verweis auf eine Bleistiftbemerkung des Manuskriptes: »[Vielleicht zu dem Paradox daß die Mathematik aus Regeln besteht]«153. Und in einer früheren Manuskriptfassung des § 372 heißt es: »Das Naturnotwendige wird nicht wie das Notwendige durch einen notwendigen Satz ausgedrückt, sondern charakteristisch durch eine Regel, die einfach beschreibt, was ist.« Auch Rhees verwies auf die Wichtigkeit, dass sich diese Bemerkungen in Zusammenhang mit dem »Phänomen« des Kopfrechnens und Wissens finden, da sich hier offensichtlich ganz analoge Schwierigkeiten zeigen: »We have perhaps the illusion of einer Naturnotwendigkeit as something like ‘ein Gegenstand’ which I could not show to anyone.«154 Und im Rahmen der Wittgenstein’schen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Kontinuität heißt es: »Should we say that all motion consists of atoms? This might be said as a theory born out by facts, or merely as a way of speaking that we might adopt; by analogy with the atomic theory of matter. – Any very general empirical statement or general law may come to be treated more and more as a norm or way of speaking about phenomena.«155 Schließlich
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155
BGM, S. 64. PU, § 372. PG, S. 184. Diese Bemerkung findet sich als handschriftliche Anmerkung in Rhees’ Ausgabe der PU. Laut Rhees nahm Wittgenstein jenen Zusatz in der späteren Version nicht mehr auf, da er Missverständnisse bezüglich »einer Regel die einfach beschreibt, was ist«, vermutete. Rhees, Rush: »On Continuity. Wittgenstein’s Ideas 1938«, in: Rhees: Discussions of Wittgenstein, S. 148. Auch hier zeigt sich der bereits mit den Stellen aus Über
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wirft auch eine Vorlesungsbemerkung Wittgensteins bereits aus dem Jahre 1931 weiteres Licht auf den Zusammenhang zwischen Regeln, deren Anwendung und Naturnotwendigkeiten. Dort heißt es: »We can only prepare language for its usage; we can only describe it as long as we do not yet regard it as language. Only when the rules are fixed can I use the game as a language. To a necessity in the world there corresponds an arbitrary rule in language.«156 Natürlich zeigt sich in PU § 372 auch die Eigentümlichkeit grammatischer Regeln in ihrer Bestimmung durch einerseits Willkürlichkeit, bedingt durch ihre Nichtrechtfertigbarkeit und Möglichkeit der Variation durch alternative Symbolismen, und andererseits ihre begriffsrahmenimmanente Notwendigkeit im Kontext entsprechender Anwendungen. Mit anderen Worten weisen die Regeln der Grammatik den Zeichen ihre Bedeutung zu, da sie Regeln ihrer Verwendung sind. In diesem Sinn sind sie selbst nicht wahrheitswertfähig. Das heißt, hier kontrastiert sich die Willkürlichkeit einer Notation als Notation von der in ihr inhärierenden Notwendigkeit, als Kriterium der Differenzierung wahrer und falscher Sätze von unsinnigen dieses Sprachsystems. So bemerkt etwa auch Ayer, dass die notwendige Tatsache, dass etwa ein physikalischer Gegenstand nicht zugleich an zwei Orten sein kann, lediglich die Unvereinbarkeit der Aussage, dass zwei Wahrnehmungsinhalte im selben sicht- oder tastbaren Sinnesbereich auftreten mit der, dass sie zum selben physikalischen Gegenstand gehören, mitteilt. Diese Unvereinbarkeit beruht jedoch auf einer sprachlichen Übereinkunft. Die Tatsache wird dadurch eine notwendige, dass wir willkürlich die entsprechenden Wortausdrücke in dieser besonderen Weise verwenden.157 So zeigt sich auch an folgender Be-
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Gewißheit angedeutete Problemzusammenhang eines fließenden Übergangs zwischen Regeln und empirischen Sätzen. Lectures 1930–1932, S. 57. Vgl. Ayer: Language Truth and Logic, London 81958, S. 58. Ayer spricht von »we happen to use the relevant words in a particular way.« Bei Wittgenstein findet sich in dem hier thematisierten Zusammenhang von Grammatik und Gegenständen ein ganz analoges Beispiel bezüglich des Begriffs »Sinnesdatum«. Im Blue Book heißt es entsprechend: »Now when one uses the word ‘sense datum’, one should be clear about the peculiarity of its grammar. For the idea in introducing this expression was to model expressions referring to ‘appearance’ after expressions referring to ‘reality’. It was said, e.g., that if two things seem to be equal, there must be two somethings which are equal. Which of course means
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merkung Wittgensteins der so fundamentale Zusammenhang zwischen Grammatik und Gebrauch: »Also hängt es ganz von unserer Grammatik ab, was (logisch) möglich genannt wird, und was nicht, – nämlich eben was sie zuläßt?« – Aber das ist doch willkürlich! – Ist es willkürlich? – Nicht mit jeder satzartigen Bildung wissen wir etwas anzufangen, nicht jede Technik hat eine Verwendung in unserm Leben, und wenn wir in der Philosophie versucht sind, etwas ganz Unnützes unter die Sätze zu zählen, so geschieht es oft, weil wir uns seine Anwendung nicht genügend überlegt haben.158
Im Zusammenhang der Frage von Kategorisierungen159 und ihrer Verbindung zu Konventionen einerseits bzw. ihrer möglichen Fundierung in der Natur der jeweiligen Gegenstandsbereiche andererseits, findet sich diese, ebenfalls aus der Smythies-Reihe stammende, sehr interessante Bemerkung: If our categories depend upon an enormous mass of such facts which never get mentioned, but are actually as it were fundamental, then if we said that our categories rested upon a convention it would obviously be very funny in a way. You see »convention« this isn’t what you would normally call a convention. [...] On the other hand if you said »If it isn’t convention, that we distinguish these categories then it is a matter of the nature of these objects« this is just as misleading. If we said it was the nature of anything we might say it is a matter of the nature of our lives. You might say that the way we distinguish our categories is based upon reality. I would say: »Yes it is, but you couldn’t say of any category what facts make it indispensible, distinguishable, etc.«
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nothing else but that we have decided to use such an expression as ‘the appearances of these two things are equal’ synonymously with ‘these two things seem to be equal’. Queerly enough, the introduction of this new phraseology has deluded people into thinking that they had discovered new entities, new elements of the structure of the world, as though to say ‘I believe that there are sense data’ were similar to saying ‘I believe that matter consists of electrons’« (BB, S. 70). Zur dichotomischen Struktur grammatischer Regeln vgl. auch Haller: »War Wittgenstein ein Neokantianer«, S. 161. PU, § 520, vgl. auch PG, S. 127. Etwa im Bereich der Farben oder aber auch der möglichen Gruppierung von Farbmit Formbestimmungen in einem Begriff.
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Dass die Regeln der Grammatik als bedeutungskonstitutiv bestimmt sind, kennzeichnet ihre Willkürlichkeit. Diese Willkürlichkeit ist zudem über die fehlende Zweckgerichtetheit von Regeln charakterisiert. Das zeigt sich etwa an Wittgensteins Beispiel ihrer Abgrenzung zu Formeln, die das Kochen bestimmen, denn in diesem Fall ist der Begriff »Kochen« durch seinen Zweck definiert, das heißt, wer nicht den diesem Vorgang zugrunde gelegten Weisungen folgt, kocht falsch. Im Fall grammatischer Regeln hingegen, in welchen der Begriff der Sprache nicht durch den Zweck bestimmt ist, sagt man nicht etwas Falsches, sondern spricht von etwas gänzlich Anderem, und allein darin zeigt sich wieder die Abgrenzung von Wahr- bzw. Falschheit und Unsinn.160 Das bedeutet weiter, dass die Wahr- bzw. Falschheit in Zusammenhang mit Sprache auch nicht durch daraus gewonnene Resultate zu rechtfertigen ist, wie etwa im Fall des Kochens, ein Punkt, der uns ja auch schon aus der Diskussion der Wittgenstein’schen Auffassung arithmetischer Gleichungen bekannt ist. Das heißt, dass die pragmatische Komponente in der Bestimmung von Wahrheitswertzuschreibungen keine Rolle spielt. Und darin zeigt sich wiederum die unterschiedliche Art der Rechtfertigung von Normen, welche die Sprache betreffen und solchen, die zweckgebunden sind.161 »Die Sprache ist für uns nicht als Einrichtung definiert, die einen bestimmten Zweck erfüllt. [...] Die Sprache interessiert mich als Erscheinung und nicht als das Mittel zu einem bestimmten Zweck. [...] Die Grammatik besteht aus Vereinbarungen« bzw.: »,Die Regeln eines Spiels sind willkürlich‘ heißt: der Begriff ,Spiel‘ ist nicht durch die Wirkungen, die das Spiel auf uns haben soll, definiert.«162 Natürlich stehen 160 161
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Vgl. PG, S. 184 f. Wittgenstein verdeutlicht diesen Punkt durch einen Witz, in welchem jemand durch eine falsche Multiplikation der Zahlen 5 und 7 als Resultat 64 erhält und mit dem Setzen auf dieses Ergebnis den Haupttreffer erzielt. Ein weiteres Beispiel der pragmatischen Bestimmung eines wahren oder falschen Zuges wäre bei der Bearbeitung eines Holzklotzes zur Erzeugung einer bestimmten Form der Schlag, welcher genau diese gewünschte Figur erzeugt (vgl. ebd., S. 185). PG, S. 190 bzw. S. 192. In PU, §§ 496 f. heißt es entsprechend: »Grammatik sagt nicht, wie die Sprache gebaut sein muß, um ihren Zweck zu erfüllen, um so und so auf Menschen zu wirken. Sie beschreibt nur, aber erklärt in keiner Weise, den Gebrauch der Zeichen. Man kann die Regeln der Grammatik ,willkürlich‘ nennen, wenn damit gesagt sein soll, der Zweck der Grammatik sei nur der der Sprache. Wenn Einer sagt ,Hätte unsere Sprache nicht diese Grammatik, so könnte sie diese Tatsachen nicht ausdrücken‘ – so frage man sich, was hier das ,könnte‘ bedeutet.«
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diese Bemerkungen wiederum in engem Zusammenhang mit unserer Begriffsbildung und entsprechenden Naturtatsachen, insbesondere bezüglich des Problems der Rechtfertigung. Im Rahmen der Frage solcher möglichen Korrelationen fällt unser Interesse allerdings nicht, wie Wittgenstein betont, auf deren mögliche Ursachen zurück, denn natürlich ließen sich ganz alternative naturgeschichtliche Tatsachen erdichten, ein Punkt, der ja vor allem durch die Idee alternativer Symbolismen deutlich wird. Insofern erweist sich auch die Frage, ob veränderte Naturtatsachen ein verändertes Begriffssystem bedingten, als hypothetisch und daher ohne Interesse. Gezeigt werden soll damit lediglich, dass sich die Annahme einer besonderen Vorherrschaft unseres bestehenden Notationssystems als nicht haltbar erweist, denn: Wenn du glaubst, unsere Begriffe seien die richtigen, die intelligenten Menschen gemäßen, wer andere hätte, sähe eben etwas nicht ein, was wir einsehen, dann stelle dir gewisse allgemeine Naturtatsachen anders vor, als sie sind, und andere Begriffsbildungen als die unseren werden dir natürlich scheinen. »Natürlich«, nicht »notwendig«. Ist denn alles, was wir tun, zweckmäßig? Ist alles, was nicht zweckmäßig genannt werden kann, zweckwidrig?!163
Bezüglich der philosophischen Begriffsanalyse findet sich die äußerst aufschlussreiche Bemerkung Wittgensteins im Diktat des Blue Book: »Philosophers very often talk about investigating, analysing, the meaning of words. But let’s not forget that a word hasn’t got a meaning given to it, as it were, by a power independent of us, so that there could be a kind of scientific investigation into what the word really means. A word has the meaning someone has given to it«.164 Die Willkürlichkeit grammatischer Regeln ist dadurch bestimmt, dass ihr Zweck nicht darin liegt, dem Wesen der Negation oder der Farben zu entsprechen, sondern vielmehr gerade diesem Zweck selbst, so wie der Zweck der Schachregeln nicht dadurch bestimmt ist, dem Wesen des Schachs zu entsprechen, sondern dem Zweck dieses Spiels. »Oder: Die Schachregeln sollen nicht dem Wesen // der Natur // des Schachkönigs entsprechen denn sie geben ihm dieses Wesen, wohl 163
164
BPP I, §§ 48 f. Diese grundlegende Bemerkung Wittgensteins findet sich ganz entsprechend im bereits angesprochenen, von Rhees als den zentralen des zweiten Teils der PU bezeichneten Abschnitt xii, S. 578. BB, S. 27 f.
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aber sollen die Regeln des Kochens und Bratens der Natur des Fleisches entsprechen. Dies ist natürlich eine grammatische Bemerkung.«165 Gerade hierin zeigt sich also die Idee der Autonomie sprachlicher Bestimmungen im Gegensatz zu solchen, die auf eine bestimmte Wirkung als ihre Rechtfertigung ausgerichtet sind. Die in diesem Abschnitt thematisierte Metaphysikkritik als fehlerhafte Auffassung metaphysischer Aussagen als solche über Dinge findet sich in ganz ähnlicher Form bei Ayer und Carnap. In Kapitel 2 von Langugage, Truth and Logic identifiziert Ayer philosophische Propositionen ebenfalls als linguistisch, das heißt, nicht als Beschreibungen von Verhaltensweisen psychischer oder physischer Gegenstände, sondern als Ausdruck von Definitionen oder damit einhergehenden formalen Konsequenzen. Die Frage nach dem Wesen eines Gegenstandes ist somit für Ayer als linguistisch bestimmt und entsprechend ebenso die sie beantwortenden Propositionen. Auch wenn sie ihrer Ausdrucksform nach Tatsachenbehauptungen entsprechen, sind sie dennoch Aussagen über Relationen zwischen Symbolen und nicht über die durch sie bezeichneten Eigenschaften von Dingen.166 Bezüglich dieses Missverständnisses, linguistische Propositionen als Aussagen über Tatsachen aufzufassen, verweist Ayer in diesem Zusammenhang explizit auf Carnaps Logische Syntax der Sprache.167 In Abschnitt V »Philosophie und Syntax« führt Carnap zur Illustration dieser Fehldeutung die Unterscheidung in Objekt- und PseudoObjektsätze ein: Das Gebiet dieser Pseudo-Objektsätze bildet hierbei ein Zwischenglied der Objekt- und syntaktischen Sätze. In ihren Bereich fallen Ausdrücke, »die so formuliert sind, als ob sie sich (auch oder ausschließlich) auf Objekte bezögen, während sie sich in Wirklichkeit auf syntaktische Formen beziehen, und zwar auf die Formen der Bezeichnungen der Objekte, auf die sie sich scheinbar beziehen. Diese Sätze sind also ihrem Inhalt nach syntaktische Sätze, aber verkleidet als Objektsätze.«168 Anders ausgedrückt handelt es sich bei diesen Pseudo-Objektsätzen um die »quasi-syntaktischen Sätze der 165
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MS 160, 6. Vgl. auch Baker, G. P., Hacker, P. M. S.: Wittgenstein. Rules, Grammar and Necessity. An Analytical Commentary on the »Philosophical Investigations«, Oxford 1988, S. 331 ff. Und zu Grammatik, Wesen und Notwendigkeit ebd., Kapitel VI, sowie Hacker: Insight and Illusion, Kapitel VI. Vgl. Ayer: Language, S. 64 f. Carnap, Rudolf: Logische Syntax der Sprache, Wien, New York 21968. Ebd., S. 211.
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uneigentlichen inhaltlichen Redeweise.«169 In Prädikatsposition stehen dabei Allworte, die bei Variation jeweiliger Gegenstandsbezeichnungen einer zugrunde liegenden Gattung stets einen analytischen Satz ergeben. Bei Einsetzung eines Subjektausdrucks hingegen, der nicht unter diese oberste Gattung fällt, entsteht überhaupt kein Satz. Als Beispiel wären zu nennen: »Ding«, »Gegenstand«, »Zahl«, »Eigenschaft«, »Beziehung«, »Sachverhalt« etc. Die Allwortbestimmung zeigt demnach, dass es sich nicht um echte Prädikationen handeln kann, sondern, dass sie vielmehr auf ein korrespondierendes syntaktisches Prädikat für entsprechende Gegenstandsbezeichnungen verweisen.170 Ein ganz analoger Gedankengang zeigt sich bereits in einer Vorlesungsbemerkung Wittgensteins vom März des Jahres 1930: »‘Primary colour’ and ‘colour’ are pseudo-concepts. Its nonsense to say ‘Red is a colour’ [...]. The pseudo-concept (colour) draws a boundary of language the concept proper (red) draws a boundary in language.«171 Veranschaulichen lässt sich diese von Carnap vorgenommene Dreiteilung an einem Satz wie S1: »Fünf ist kein Gegenstand sondern eine Zahl«, ein Pseudo-Objektsatz, der sich von einer eigentlichen Gegenstandsaussage S2 wie: »Fünf ist eine ungerade Zahl« darin unterscheidet, dass er sich nicht auf die Zahl fünf bezieht, sondern auf 169
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Im Zusammenhang syntaktischer Sätze betont Carnap auch seine Abweichung von Wittgensteins Auffassung des Tractatus, dass sich die logische Form eines Satzes nicht darstellen lässt, das heißt, dass sich keine Sätze über Satzformen bilden lassen. So hat der Carnap’sche Aufbau der Syntax zu zeigen versucht, dass auch die Form ganz analog etwa der Geometrie exakt formulierbar ist. (Vgl. u.a. ebd., S. 208 f.) Vgl. Carnap: Logische Syntax, S. 219 f. und Sauer, Werner: »Carnaps Verwerfung der Metaphysik«, in: Conceptus XXVI Nr. 68/69 (1992/93), S. 149–172, insbesondere S. 154. Lectures 1930–1932, S. 12 [Hervorhebung Desmond Lee]. Braithwaite bemerkt in diesem Zusammenhang: »[…] And Wittgenstein gives an explanation of it which is perhaps the most shocking feature of his philosophy. He says that »Red is a colour« is not a proper proposition, but a mere rule of syntax stating the contexts in which the words »red« and »colour« are used. If I say »Red is not a colour« I am talking nonsense – that is, I am using words of the English language in a context which makes them non-significant. […] For we cannot convey any information about redness or colour by saying the sentence. […] The sentence can only be used profitably to explain the use of a word; it is what Wittgenstein calls a »rule of grammar«. (Zit. nach Rothaupt: Farbthemen, S. 84)
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den Wortausdruck »fünf« entsprechend der Aussage S3: »,Fünf‘ ist kein Ding- sondern ein Zahlwort.« Der syntaktische Satz S3 der formalen Redeweise ist somit gehaltgleich der quasi-syntaktischen Aussage S1 (in uneigentlicher inhaltlicher Redeweise). Zudem fasst Carnap sämtliche Aussagen über Sinn, Inhalt und Bedeutung von Sätzen oder Sprachzeichen als Pseudo-Objektsätze auf, eine weitere Bestimmung, welche sehr eindeutig die Nähe zum Wittgenstein’schen Verständnis grammatischer Regeln aufzeigt.172 Die hier von Carnap getroffene Satztypisierung lässt sich durchaus als Vorwegnahme seiner Intern-Extern-Unterscheidung begreifen, die er in Empiricism, Semantics and Ontology einführt.173 Diese Differenzierung ermöglicht interne Fragen, die bei Gegebenheit eines bestimmten entsprechenden Sprachrahmens, so beispielsweise dem Bereich der Zahlen, auf Wahrheitswertbestimmungen innerhalb dieses Bezugssystems gerichtet sind, so etwa, ob es eine Primzahl größer als 100 gibt. Externe Bestimmungen hingegen beziehen sich auf den Begriffsrahmen selbst, das heißt in diesem Fall auf den Bereich der Zahlen. Sie referieren jedoch nach Carnap ganz analog Wittgenstein nicht auf Gegenstände irgendeiner Art, sondern sind vielmehr auf sprachliche Verwendungsweisen gerichtet. Wenn jemand über eine neue Art von Entität sprechen will, muss demnach zunächst ein durch neue Regeln bestimmtes, alternatives Sprachsystem eingeführt werden, das in Folge entsprechende Gegenstandsbehauptungen erlaubt.174 Im Fall einer Dingsprache etwa bemerkt Carnap: »If someone decides to accept the thing language, there is no objection against saying that he has accepted the world of things. But [...] to accept the thing world means nothing more than to accept a certain form of language, in other words, to accept the rules for forming statements and for testing, accepting, or rejecting them.«175 172 173
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Vgl. Carnap: Logische Syntax, S. 211. Carnap argumentiert an dieser Stelle, dass es zum Zweck des Sprechens über eine neue Art von Wesenheiten der Einführung eines Sprachsystems neuer Sprechweisen bedarf, das heißt mit anderen Worten, der Konstruktion eines entsprechenden linguistischen Begriffsrahmens. Vgl. Carnap, Rudolf: »Empiricism, Semantics and Ontology«, in: Carnap, Rudolf: Meaning and Necessity. A Study in Semantics and Modal Logic, Chicago/London 21956, S. 206. Zu folgenden Ausführungen siehe insbesondere Sauer: »Carnaps Verwerfung der Metaphysik«. Vgl. Carnap: » Empiricism, Semantics and Ontology«, S. 206. Ebd., S. 207 f.
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Externe Fragen hingegen richten sich nach Carnap auf die Realität des Systems von Entitäten in ihrer Gesamtheit. Metaphysiker betrachten jedoch nach seiner Auffassung die Implementierung alternativer Sprachrahmen nur durch die Zustimmung der Realitätsfrage gerechtfertigt, das heißt, im Sinne einer ontologischen Einsicht. Diese Diagnose Carnaps steht ganz in der Tradition der Objektsatz- und PseudoObjektsatzterminologie. Metaphysische Kategorienbestimmungen unterliegen demnach der Verwechslung meta- und objektsprachlicher Ausdrücke bzw. von Sprachregeln und Wirklichkeitsbehauptungen.176 Ein dem metaphysischen Begriffssystem alternatives ist allerdings, wie jedes andere, eine rein praktische Frage der Sprachwahl und daher keine Ablehnung jenes Begriffsrahmens, da natürlich auch die Frage seiner Gültigkeit nur eine solche der Entscheidung für eine bestimmte Sprachform und als »Verwendungsvorschlag«177 eben nicht durch externe Realitätsbehauptungen zu begründen oder zu rechtfertigen ist. Zwar lassen sich im Rahmen eines metaphysischen Begriffssystems noch immer Sätze in Form von Tatsachenbehauptungen bilden. Ohne entsprechende externe Kategorienbehauptungen können diesen widersprechende Aussagen dann allerdings nicht mehr als falsche Bestimmungen der Wirklichkeit identifiziert werden178. Und hierin liegt offensichtlich der eigentliche Anspruch metaphysischer Thesen im Sinne ihrer Gerichtetheit auf die Welt und ihrer adäquaten Erfassung. Dadurch, dass es sich hingegen bei den Carnap’schen externen Bestimmungen ganz im Sinne Wittgensteins als Sprachvorschläge um echte Alternativen handelt, die nicht durch irgendeinen Verweis auf die Realität zu rechtfertigen sind, geht dieses metaphysische Ideal verloren und darin zeigt sich offensichtlich die eigentliche Metaphysikkritik. Allerdings ist sie entsprechend dieses »methodischen Neutralismus«179 auch nicht mehr in ihrer ursprünglichen radikalen Form unsinniger Scheinsätze bestimmt, da im Zuge der Carnap’schen Metaphysikdebatte seine Präferenz auf ein wissenschaftlich fundiertes Sprachsystem empiristischer Natur fiel.
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Vgl. Sauer, Carnaps Verwerfung, S. 155. Vgl. Carnap, Rudolf: »Testability and Meaning«, in: R. R. Ammermann [Hg.]: Classics in Analytic Philosophy, New York 1965, S. 169. Vgl. Sauer, Carnaps Verwerfung, S. 159. Haller, Rudolf: Neopositivismus: Eine historische Einführung in die Philosophie des Wiener Kreises, Darmstadt 1993, S. 182.
5. Abschlussbemerkungen
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Nun findet sich bei Carnap allerdings keine Entsprechung zu Wittgensteins Betonung der internen Relation zwischen Sprachspiel und entsprechender Lebensform. So bemerkt dieser beispielsweise im Oktober 1937: Ich will sagen: es ist charakteristisch für unsere Sprache, daß sie auf dem Grund fester Lebensformen, regelmäßigen Tuns, emporwächst. Ihre Funktion ist vor allem durch die Handlung, deren Begleiterin sie ist, bestimmt. [...] Die Grundform des Spiels muß eine sein, in der gehandelt wird. [...] Das Wesentliche des Sprachspiels ist eine praktische Methode (eine Art des Handelns), – keine Spekulation, kein Geschwätz.180
Diese Bemerkungen lassen zumindest die Frage offen, ob sich durch bestimmte Lebensweisen nicht auch ein metaphysisches Begriffssystem beschreiben ließe. So wäre es von hohem Interesse, ob etwa ein Sprachspiel religiöser Art solch eine Position einnehmen könnte, indem die damit korrelierte Lebensweise nicht mehr nur eine reine Entscheidung zugunsten einer alternativen Notation wäre, etwa aus pragmatischen Gründen. Und Wittgensteins Auseinandersetzung mit der Religion und damit verbundenen Glaubenseinstellungen ließe sich ja anhand seines ganzen Lebens rekonstruieren, eine Aufgabe, die hier allerdings nur angeregt werden soll und welche allein durch ihren Umfang und Gehalt in hohem Maße gerechtfertigt scheint.
5. Abschlussbemerkungen zu notwendigen Sätzen Der letzte Abschnitt dieses Kapitels greift nochmals die Vorlesung über notwendige Sätze auf. Zunächst sei allerdings betont, dass natürlich insbesondere durch die kontextrelevante dichotomische Semantik empirischer Ausdrücke und die Einführung des Regelbegriffs klar geworden sein sollte, dass Wittgensteins Satzauffassung sich nicht in das Schema »analytisch-synthetisch« einordnen lässt. Das hängt natürlich maßgeblich mit der Auffassung zusammen, dass ein und dieselbe Zeichenverbindung in entsprechender Verwendungsabhängigkeit ei-
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Wittgenstein, Ludwig: »Ursache und Wirkung: Intuitives Erfassen«, in: Vortrag über Ethik, S. 115.
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nerseits sinnvoll, andererseits unsinnig und das heißt, einer Wahrheitswertzuschreibung unfähig sein kann. Die Bestimmung des Regelbegriffs verhindert ebenfalls, etwa in Abgrenzung von Carnaps Pseudo-Objektsätzen, die bei Variation der Gegenstandsinstanzen einer jeweiligen Gattung stets analytische Sätze erzeugen, überhaupt von Sätzen in diesem Zusammenhang zu sprechen. Zudem verbieten die teilweise fließenden Übergänge zwischen Regeln und empirischen Sätzen – auch was ihre Funktion betrifft – eine entsprechende schematische Zuordnung. Heißt es noch am 29. 10. 1914 in einer Tagebuchaufzeichnung, dass es keine analytischen Sätze gibt und werden sie im Tractatus mit den Sätzen der Logik identifiziert181, spielt in der Folgezeit der Wittgenstein’schen Philosophie diese – insbesondere für den Neopositivismus und Wiener Kreis so zentrale – Satztypklassifizierung keine Rolle mehr.182 Bezüglich arithmetischer Gleichungen gilt sogar in Abkehr von Bestimmungen des Wiener Kreises und in Anlehnung an Kant ihre Bestimmung als synthetisch a priori.183 An einer Stelle der BGM findet sich der Begriff »synthetisch a priori« explizit: Die Sätze »a = a«, »p p«, »Das Wort ‚Bismarck‘ hat 8 Buchstaben«, »Es gibt kein rötlichgrün«, sind alle einleuchtend und Sätze über das Wesen: was haben sie gemeinsam? Sie sind offenbar jeder von andrer Art und anderem Gebrauch. Der vorletzte ist einem Erfahrungssatz am ähnlichsten. Und es ist verständlich, daß man ihn einen synthetischen Satz a priori nennen kann.184 181 182
183 184
Vgl. TLP 6.11. Überhaupt taucht meines Wissens der Begriff des analytischen Satzes in Wittgensteins Schriften nach 1929 nicht mehr auf. Diese klassische Aussagendifferenzierung findet sich bereits bei Humes Unterscheidung in Tatsachenbehauptungen und Begriffsrelationen. Hume spricht bezüglich der Einteilung allerdings nicht von Aussagentypen, sondern von »all objects of human reasoning or enquiry« und ihren zwei Arten der »matters of facts« und »relations of ideas«. Vgl. Hume, David: Enquiries concerning Human Understanding and concerning the Principles of Morals, hrsg. von L. A. Selby-Bigge, Oxford 31975, Kapitel 4. Vgl. PB, S. 129 u. PG, S. 404. BGM, S. 245 In den Lectures on the Foundations of Mathematics heißt es bezüglich des Farbeninkompatibilitätsproblems ganz entsprechend: »There are propositions regarded as synthetic a priori, like ‘A patch cannot be at the same time both red and green.’ This is not reckoned a proposition of logic. But the impossibility which it expresses is not a matter of experience – it is not a matter of
5. Abschlussbemerkungen
231
Als Beispiel für den synthetischen Charakter mathematischer Sätze ließe sich hierbei die unbestimmte Vorhersehbarkeit des Auftretens von Primzahlen anführen. Das synthetische a priori zeigt sich dadurch, dass diese Sätze nicht aus reinen begriffsanalytischen Untersuchungen gewonnen werden können und sie vielmehr durch Synthese überhaupt erst einen Begriff bestimmen.185 Dieser Punkt hängt natürlich auch damit zusammen, dass Zahlzeichen durch die ihnen zugrunde gelegte Arithmetik überhaupt erst ihre Bedeutung erlangen.186 Schließlich werden auch die Abschlussbemerkungen zum Regelbegriff zeigen, dass die grammatischen Sätze nicht ausnahmslos mit analytischen in ihrer klassischen Bestimmung gleichzusetzen sind. Wie wir bereits an zahlreichen Stellen gesehen haben, hängt Wittgensteins Auffassung notwendiger Sätze mit dem Gebrauch entsprechender Sprachformen zusammen, die selbst allerdings keineswegs zwingend sind und das heißt, durch andere ersetzbar:
185
186
what we have observed« (ebd., S. 232). Im Anschluss an diese Stelle bemerkt Wittgenstein jedoch ganz in Übereinstimmung mit dem diesem Kapitel zugrunde gelegten Interpretationsansatz der Mehrdeutigkeit ein und derselben Zeichenverbindung, dass einem Satz wie »Dieser Fleck ist zugleich rot und grün« durchaus Bedeutung gegeben werden kann. Das zeigen ebenfalls diverse von ihm angeführte Beispiele der sinnvollen Verwendung des Ausdruck »rötliches grün«. So etwa: »First of all, nothing is easier than to form something which you might call a reddish green. A revolving plate or tiny dots of two colours mixed.« Oder auch: »Of leaves red, green on the outside, green in middle. If green approaches red, it seems to extinguish it. If you put green on this it would grow more and more dirty, then the dirt would become greenish.« (Lectures on Categories and Objects, Lecture G) Vgl. BGM, S. 246. Vgl. auch Zettel, §§ 353–368. In Entsprechung zu Wittgensteins zweitem Beispiel des Wortausdrucks »Bismarck« heißt es an späterer Stelle: »Was ist das für ein Satz: „das Wort ,OBEN‘ hat vier Laute“? Ist es ein Erfahrungssatz? Ehe wir die Buchstaben gezählt haben, wissen wir es nicht. [...] Ist Zählen ein Experiment? Es kann eins sein.« (Ebd., S. 338) Ein möglicher Grund, laut Wittgenstein, jenen Satz als synthetisch a priori zu bezeichnen. Vgl. hierzu u.a. Rhees: On Continuity, S. 113 f. Des Weiteren ließen sich die Regeln der Grammatik durch ihre Eigentümlichkeit des Notwendigen im Rahmen eines entsprechenden Sprachzusammenhangs und des Willkürlichen als solche Regeln in verführerischer Weise als synthetisch a priori auffassen. Vgl. hierzu Haller: War Wittgenstein Neokantianer, S. 161. Auch Kripke wies auf das Problem der Vermengung analytischer, a priorischer und notwendiger Aussagen hin. Vgl. Kripke, Saul A.: Naming and Necessity, Oxford 21980, S. 34 ff. Allerdings ist natürlich auch seine Bestimmung des Analytischen nicht mit Wittgensteins Regelbegriff vereinbar, allein bedingt durch dessen begriffsrahmenrelevante Semantik.
232
Wittgensteins »Single lecture«
(1) We characterise an expression as necessary by saying that we haven’t been lead to it by experience. No experiment to falsify it. (2) We show you cases where you are inclined to give the expression up. What is left is characteristic use which is being replaced by another and which made you say what you did say. Suppose you read somewhere that the rod he saw had no length. You could well say this is an ungrammatical sentence. Compare: »I’ll be there in no time«. Does it mean the rod is very small or very difficult to measure, etc.? Two different reactions: (1) The sentence is not English. He should have said that the rod was hazy, etc. giving a grammar lesson. »We don’t say this.« (2) We might say »Surely it must have had a length«. This comes to the same thing as (1).
Betrachten wir etwa einen Ausdruck wie »212 + 416 = 628« als notwendig, so wäre dennoch eine alternative Arithmetik denkbar, die solch eine Auffassung zumindest in Frage stellt. Die Bestimmung als nicht empirisch erweist sich als eine nur sehr grobe Unterscheidung. Zur Ersetzung des Begriffs der Notwendigkeit führt Wittgenstein im Laufe jener Vorlesung am Beispiel einer Gesetzesauslegung den Begriff des Unerbittlichen ein. So bemerkt er: If there is a law in this state condemning a man to death for murder, we say that the law condemns him to death, and we say people, the jury, judge, etc. condemn him to death. We can then say »The jury do not condemn him to death the law does«. We make a picture of the law as stricter, less lenient than men. The law is inexorable. Similarly you are inclined to say that 212 + 416 = 628 is inexorable. Suppose you change law then the old law is gone, the new law is inexorable. »Unities of arithmetic can’t vanish, they must always give 212 + 416 = 628«. If you adopt the proposition and make it inaccessible by experience, you can use the picture »inexorable«. When you make it inexorable it still seems the law of nature, but ever stricter than anything else. Infinitely stricter. You stress the word »can’t« abnormally as if here was a compulsion greater than any other.187
187
Die im Folgenden kurz diskutierte Frage nach möglichen Begründungen für Rechenvorgänge überhaupt, welche Wittgenstein als solche verwirft, kann hier vernachlässigt werden, wird aber in aller Kürze wiedergegeben, da sie ebenfalls Licht auf das so zentrale Rechtfertigungsproblem wirft: Answer to »Why do we rea-
5. Abschlussbemerkungen
233
In der Folge wird nochmals der uns bereits bekannte Zusammenhang zwischen arithmetischen Sätzen und ihrer Anwendung thematisiert: Zu sagen, dass beispielsweise drei oftmals größer sei als zwei, bedeutet etwas von der Art »Drei Dinge sind meist größer als zwei«. Hier greifen Methoden des Messens, Zählens etc. In solchen Fällen ließe sich auch von einem Schritt im Rahmen eines Schlusses sprechen, so etwa, dass demnach drei bestimmte Stäbe wahrscheinlich länger sind als zwei. Durch Abstraktion von sämtlichen Bezugsgegenständen allerdings, durch reine Referenz auf Zahlen, wird eine Schlussregel erzeugt: It agrees with any experience. Formerly it stood as a premise, then it loses its character as a premise being drained of its contents. It is now a formal link. It is now a rule. Now the way of inference goes through this form. But it can be a purely empirical statement. Though ordinarily we would not use the arithmetical statement to describe the result of an experiment. It would be more natural to say that the experiment showed that no beans have vanished. If it is experiential it is temporal, if not, not.
Auch diese Bemerkungen sind uns ja bereits aus der Auseinandersetzung mit dem Apfelbeispiel im Rahmen der Moore’schen Vorlesungsschriften hinreichend bekannt. Und »But it can be a purely empirical statement« betont abermals die Mehrdeutigkeit einer Regel, die auch als empirischer Ausdruck und in solchen Kontexten sinnvoll verwendet werden kann. Abschließend stellt Wittgenstein die äußerst zentrale Frage nach dem Regelbegriff, zwar – wenig verwunderlich – ohne genauer darauf einzugehen, dennoch mit sehr aufschlussreichen Vergleichen: We are now getting to the question »What is a rule«? I said the other day that we can best compare a rule to a road. A road can be taken as a road through a garden, or as a command »go this way«. »Way through garden« interpreted: (1) Path to go (2) Order »Go this way« (3) Instructions how to go.
Mit Verweis auf Russells Implikationsbestimmung endet die Lecture mit den folgenden Worten:
son?« is »Because we reason«. The fact is you do reason, in a sense there it ends. We do react in this way.« Zentral ist hier die Verwendung des Ausdrucks »react«.
234
Wittgensteins »Single lecture«
You may take this [his rule of inference] as a paradigm for his inferences. It is not an order or description, it is the road of inferences which he uses. You could in the same sense call »212 + 416 = 628« a rule. Russell makes symbols (1) By substitutions (2) By things like the above. As a matter of fact he always goes back to the primary propositions. But he does not need to. He could take each fresh proposition as a rule of inference. The above is the only case in which he writes an implication between assertion signs. I might ask you »Is the rule of inference about symbols?« But why should you say so? It’s a rule of inference. Russell could have just said »I am going to do so and so« or »Let us do so and so«, or any damn thing. [...]188 Compare: – »Here is a road, go on it.« You write it down then go on the road. Suppose you had a playground with a game in which there are two lines. There may be a rule according to which lines are drawn. I have a principle from which I calculate the way in which the lines are to be drawn. Couldn’t I call this »developing rules for going about in a field«, or »an order«? It is not a misuse of language to say: »By calculation I always calculate the road by which I walk.« Could you call this an experiential statement? No. Nor an order. You could call »rule« (a) the rule according to which I calculate or (b) the actual lines which show me the way I must go. Suppose in this case Redpath drew a picture like ∩. In a sense this could be replaced by an equation. This illustrates how a rule can be said to be a pass. »∩« is neither an experiential proposition nor is it an order about anything. You might say it is a rule that Wittgenstein should go in along the curve in a certain way. But it obviously doesn’t mention Wittgenstein, and to say this might be very misleading.
Hier erfahren wir also abschließend noch eine zusätzliche Erweiterung des Regelbegriffs, der weder als analytisch noch als normativ bestimmt werden kann, wie etwa die Zeichnung der Kurve verdeutlicht. Allerdings lässt sie sich natürlich in arithmetischer Form darstellen. Das zeigt wiederum die Unvereinbarkeit des Regelbegriffs mit traditionellen Satztypschemata und der streng eigentümlichen Bedeutung dieses Ausdrucks.
188
An dieser Stelle folgt die bereits zitierte Stelle: First answer to »What’s 2 + 2 about?« is »About 2 + 2«, etc. But if you ask how it’s used we can say »It’s used as a sort of paradigm in doing something.«
KAPITEL VI EINE BEHAVIOURISTISCHE FEHLINTERPRETATION
1. Einleitende Bemerkungen Das letzte Kapitel setzt sich mit der Frage der Stellung Wittgensteins zum Behaviourismus auseinander. Insbesondere seine Diskussion des sogenannten Privatsprachenarguments ermöglichte verschiedene, teilweise sehr kontroversielle Deutungsversuche seiner philosophischen Positionierung bezüglich des Behaviourismus. Dass eine genauere Untersuchung dieser Frage den Umfang der folgenden Bemerkungen bei weitem übersteigen würde, ist selbstverständlich. Dennoch sind zumindest einige Hinweise, in welche Richtung detailliertere Bestimmungen zu verstehen sein könnten, in der hier thematisierten Problemsituation durchaus hilfreich, da Fehlinterpretationen auch durch die Ignoranz des Problems der kontextualen Doppeldeutigkeit bedingt sind. Ziel der folgenden Erörterungen ist also der Versuch, den von mir vorgestellten dichotomischen Ansatz im Zuge der semantischen Ambivalenz sprachlicher Ausdrücke auch auf die Behaviourismusdebatte anzuwenden. Offensichtlich war sich Wittgenstein insbesondere im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Frage nach der Möglichkeit einer privaten Sprache selbst der Gefahr einer behaviouristischen Auslegung bewusst. So heißt es in Paragraph 307 der PU: »,Bist du nicht doch ein verkappter Behaviourist? Sagst du nicht doch, im Grunde, daß alles Fiktion ist, außer dem menschlichen Benehmen?‘.« Die unmittelbar im Anschluss gelieferte Antwort: » – Wenn ich von einer Fiktion rede, dann von einer grammatischen Fiktion«, gibt uns vielleicht einen, wenn auch sehr vagen Hinweis auf eine mögliche Lesart der hier angedeuteten Auffassung im Zusammenhang seiner – schwerpunktmäßig in den §§ 243–315 entwickelten – Privatsprachenkonzeption. Zunächst sollten wir uns jedoch dem psychologischen
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Eine behaviouristische Fehlinterpretation
Behaviourismus widmen, um seine Unvereinbarkeit mit Wittgensteins Position zu sehen. Bereits eine Stelle aus dem Jahr 1930/31 gibt uns zunächst einen Hinweis darauf, inwiefern seine Untersuchungen überhaupt Parallelen zum Behaviourismus enthalten könnten: Dort heißt es: »Das behaviouristische an meiner Auffassung //unserer Behandlung// besteht nur darin, das ich keinen Unterschied zwischen ,außen‘ und ,innen‘ mache.«1 Allerdings, so erfahren wir in der unmittelbar sich anschließenden Bemerkung, liegt die Aufhebung dieser Dichotomie gerade nicht im Einklang mit dem psychologischen Behaviourismus: »Weil mich die Psychologie nichts angeht.«2 Nach Fertigstellung des ersten Teils der PU befasste sich Wittgenstein in den Jahren 1946–49 allerdings beinahe ausschließlich mit der Natur psychologischer Begriffe. Die Manuskriptbände 130–138, erschienen unter dem Titel Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie3 stehen insbesondere mit dem zweiten Teil der Philosophischen Untersuchungen in sehr engem Zusammenhang.4 Dass also Wittgensteins Behandlung mentaler Ausdrücke in Verbindung zum psychologischen Behaviourismus stünde, scheint schon alleine durch die angewandte Methodik und die zugrunde liegenden Untersuchungsgegenstände eher fragwürdig.5 Dennoch finden sich immer wieder Interpretationsansätze, welche sich nicht nur im Sinne des sogenannten »Logical Behaviourism« bzw. »Conceptual Behaviourism« auf die Ausdrücke psychischer Phänomene beziehen, sondern auf die Phänomene selbst und hierbei vor allem auf ihre Infragestellung im Rahmen der Auseinandersetzung mit Wittgensteins Überlegungen. 1
2 3
4
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Manuskriptband VI der Philosophischen Bemerkungen, S. 297, in: Wittgenstein, Ludwig: Wiener Ausgabe Band 3: Bemerkungen. Philosophische Bemerkungen, Wien, New York 1995, S. 331. Ebd. Der Band umfasst zwei Teile zu den Bemerkungen der Philosophie der Psychologie (Typoskripte 229 und 232) sowie letzte Schriften zum gleichen Thema (Manuskriptbände 137 und 138). Im Vorwort zu den BPP bezeichnen die Herausgeber mit Recht diesen Band als Vorstudien zum Teil II der PU. Vgl. z.B. Schulte, Joachim: Erlebnis und Ausdruck: Wittgensteins Philosophie der Psychologie, München, Wien 1987, S. 147 f. und Fodor, Jerry A., Chiara, Charles: »Operationalism and Ordinary Language« in: Fodor, Jerry A.: Representations. Philosophical Essays on the Foundations of Cognitive Science, Cambrigde Ms. 1981, S. 318.
2. Die psychologische Form des Behaviourismus
237
2. Die psychologische Form des Behaviourismus John B. Watsons Behaviourism6 aus dem Jahr 1925 gilt als das Gründungswerk der behaviouristischen Ausrichtung im Rahmen der Psychologie. In positivistischer Anlehnung an die Physik stand dabei die Forderung nach strengen Kriterien der Wissenschaftlichkeit im Vordergrund. Aufgrund des nur mittelbaren Zugangs introspektiver Beobachtung durch dritte Personen, wurden entsprechende Berichte über innere Zustände verworfen bzw. ausgeklammert und vielmehr das Verhältnis von Reiz und Reaktion in ihrem funktionalen Zusammenhang thematisiert. »Die Regel und Richtschnur des Behaviouristen lautet: Ist das Stückchen Verhalten, das ich eben sehe, als ,Reiz‘ oder ,Reaktion‘ zu bezeichnen?«7 Die basalen Daten externer Stimuli und entsprechender Verhaltensmuster garantierten somit intersubjektive Forschung analog der Physik. Mögliche Untersuchungen nicht beobachtbarer, den sichtbaren Phänomenen zugrunde liegender Strukturen werden somit ausgeschlossen. Das Stimulus-Response Schema garantiert nach Watson im Rahmen eines vollständigen psychologischen Systems eine eindeutige Reaktionsprognose bei vorliegenden Reizen. Der Unterschied zwischen manifesten äußeren und impliziten Reaktionen bezüglich ihrer Beobachtbarkeit war für Watson jedenfalls nicht prinzipieller Natur. Etwaige Mängel im Untersuchungsrahmen impliziter Reaktionen werden dabei beispielsweise im zugrunde gelegten technischen Instrumentarium lokalisiert. Dieser Punkt steht offensichtlich in sehr engem Zusammenhang mit Wittgensteins in § 308 der PU prognostiziertem Problem des Mentalen und Behaviourismus, auf den an späterer Stelle etwas genauer einzugehen sein wird. Zu betonen sei hier zunächst vor allem die Tatsache, dass sich der Behaviourismus im Watson’schen Sinne als die Gegenposition zur traditionellen introspektionistischen Bewusstseinspsychologie verstand, insbesondere hinsichtlich ihres Dualismus im Rahmen des Problems psycho-physischer Relationen.8 Entwicklungsbedingte Differenzierungsvarianten, so etwa der operationale Behaviourismus oder auch Neobehaviourismus, – zu nennen 6 7
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Watson, John B.: Behaviorism, London 1925. Watson, John B.: Der Behaviorismus, Berlin, Leipzig 1930, S. 25. Zur Bestimmung der Begriffe »Reiz« bzw. »Stimulus« und »Reaktion« siehe ebd. Vgl. z.B. Walter, Friedrich: Zur Kritik des Behaviourismus. Studien zur Kritischen Psychologie, Köln 1979, S. 73 f.
238
Eine behaviouristische Fehlinterpretation
wären hier beispielsweise E. C. Tolman oder C. L. Hull –, erlaubten in der Folge zwar Parameter, die alltagssprachliche Bezeichnungen für innere Zustände enthielten, allerdings mit der Einschränkung fehlender Kriterien für die Angemessenheit solcher Bezeichnungen9. Ein Ausgangspunkt dieser Sublimierung des Watson’schen Ansatzes lag vor allem in der empirischen Tatsache begründet, dass verschiedene Personen unter intersubjektiv gleichen Stimulusimpulsen unterschiedliche Reaktionen äußerten. So wurden zwischen die Reiz-Reaktionskette sogenannte »intervenierende« Variablen geschaltet, welche in sehr weitem Sinne sämtliche Arten von solchen Parametern umfassten. Watsons Ideal der unmittelbaren Stimulus-Response Relation wurde dadurch obsolet. Die Auffassung, dass sich nicht-beobachtbare Merkmale auf ihre beobachtbaren Phänomene oder zumindest Sätze über intervenierende Variablen auf entsprechende Beobachtungssätze zurückführen lassen10, zeigen bereits hier Ansätze der logischen Variante des Behaviourismus. Entgegen Watsons streng reduktionistischem Ansatz der Psychologie betont B. F. Skinner11 in seiner Auseinandersetzung mit zentralen Missverständnissen des Behaviorismus explizit die Annahme von Bewusstseinszuständen im Rahmen dieses Programms. Seine Klassifizierung in methodologischen und radikalen Behaviorismus bezieht sich hierbei auf die Berücksichtigung bzw. spezielle Auseinandersetzung mit entsprechenden Bewusstseinszuständen. Enthält sich Watson der Frage solcher Phänomene, so wie etwa der Epiphänomenalismus oder psycho-physische Parallelismus12, reinterpretiert Skinner sie im Sinne stimulativer Prozesse und als soziales Produkt in Abhängigkeit jeweiliger Sprachgemeinschaften.13 Auch bei Tolman findet sich die Akzeptanz mentaler Zustände:
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11 12 13
Auch der sogenannte Neobehaviourismus erlaubte introspektive Berichte der Versuchspersonen. Vgl. hierzu Janich, Peter: Behaviorismus, in: Mittelstrass, Jürgen [Hg.]: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie Band 1, Stuttgart [u.a.] 1980, S. 274. Vgl. Friedrich, Zur Kritik des Behaviourismus, S. 107. Zum Begriff der »intervenierenden Variablen« bei Tolman und zur Kritik am Neobehaviourismus vgl. ebd., S. 104–115. Skinner, B. F.: About Behaviourism, London 1974. Vgl. ebd., S. 15. Vgl. hierzu ebd., S. 3 f., 13–18 und 219 ff., sowie Skinner, B. F.: Science and Human Behaviour, New York 1953, S. 38 f.
2. Die psychologische Form des Behaviourismus
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For the behaviorist ‘mental processes’ are to be identified and defined in terms of the behaviors to which they lead. ‘Mental processes’ are for the behaviorist, naught but inferred determinants of behavior, which ultimately are deducible from behavior. Behavior and the inferred determinants are both objectively defined types of entity. There is about them the behaviorist would declare, nothing private or ‘inside’.14
Skinners Annahme der Möglichkeit, dass bestimmte psychische Verfassungen, wie etwa, sich durstig zu fühlen und den Wunsch nach Wasser zu hegen, in bestimmter (zwar ungeklärter) Weise auf das Nervensystem einwirken, zeigt demnach, dass er interne Zustände oder Ereignisse als Grundlage entsprechender Verhaltensdispositionen nicht kategorisch ablehnt, sondern sie lediglich aus methodologischen Gründen ausgrenzt. Natürlich, das sei nur noch angemerkt, bilden diese sogenannten psychischen Zustände selbst nur das Mittelglied einer Kausalkette, welche ursprünglich von äußeren Einwirkungen auf den Organismus initiiert wird.15 Da die von Tolman eingeführten intervenierenden Variablen sich gänzlich operational bestimmen lassen und diese Variante des operationalen Behaviourismus auch der Wittgenstein’schen Auseinandersetzung mit psychischen Ausdrücken zugeschrieben wird16, wenn auch nicht im Rahmen dieses Kausalschemas, sollte ich an dieser Stelle wenigstens eine vage Begriffsbestimmung jener Spielart des logischen Behaviourismus liefern. Tolman selbst bezieht sich in der Explikation seines operationalistischen Ansatzes auf die folgende, von Stevens vorgelegte Begriffsbestimmung: »[...] a term or proposition has meaning (denotes something) if, and only if, the criteria of its applicability or truth consist of concrete repeatable operations by independent observers.«17 Das heißt, es müssen sich entsprechende Begriffe in Aus14
15 16
17
Tolman, E. C: Purposive Behavior in Animals and Men, New York, 1932, S. 410 f. [Hervorhebung V. M.] Zur sogenannten »Causal Theory of Mind« vgl. auch Armstrong, D. M.: A Materialist Theory of the Mind, London 41976. Vgl. Skinner: Science and Human Behaviour, S. 40 und Friedrich, S. 168. So behaupten etwa Chihara und Fodor: »[...] that the later writings of Wittgenstein express a coherent doctrine in which an operationalistic analysis of confirmation and language supports a philosophical psychology of a type we shall call ‘logical behaviourism’. (Fodor, ebd., S. 35) Stevens, S. S.: »The Operational Definition of Psychological Concepts«, in: Psychological Review 42 (1935), zit. nach Friedrich, ebd., S. 127.
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Eine behaviouristische Fehlinterpretation
drücken konkreter, intersubjektiv wiederhol- und verifizierbarer Operationen bestimmen lassen. Tolman vertritt demnach die Auffassung, dass sich sämtliche psychologischen Begriffe als objektiv definierte, intervenierende Variablen in operationalistischer Terminologie bestimmen lassen: »[...] intervening variables are to be defined wholly operationally – that is, in terms of the actual experimental operations whereby their presence or absence and their relations to the controlling independent variables and to the final dependent behavior are determined.«18 Bevor wir etwas genauer auf einige der Wittgenstein’schen Gedankengänge eingehen, sei auf eine fundamentale Schwierigkeit im Rahmen einer kohärenten Klassifizierung der hier zugrunde gelegten Problemfelder hingewiesen: Die psychologische Form des Behaviourismus versteht sich natürlich in Anlehnung an die Physik als rein empirische Wissenschaft. Zudem bestehen selbstverständlich ebenfalls bestimmte Relationen zwischen den entsprechenden Untersuchungsparametern und ihren jeweiligen Ausdrucksformen. Die Frage dieser Beziehung spielt nun auch insofern eine Rolle, als dass sie im Rahmen psychologischer Erörterungen offensichtlich nur eine empirische und somit kontingente darstellt, nach Wittgensteins Verständnis allerdings eine logische19. Jedenfalls zeigen sich aber auch in jenem Feld, wie wir ja bereits an verschiedenen Stellen gesehen haben, Anlehnungen an die Variante des logischen Behaviourismus, zu nennen wären beispielsweise Tolmans intervenierende Variablen oder Skinners Übersetzbarkeitsthese20. Des Weiteren hat sich gezeigt, dass die grundsätzliche Leugnung mentaler Phänomene als Kriterium der klassischen Variante nicht ohne Einschränkung aufrecht erhalten werden kann. Da im Zentrum dieses Abschnittes allerdings Wittgensteins Auseinandersetzung mit dem Behaviourismus steht, werden wir uns in der Folge auch an seiner Auffassung orientieren, die sich, so werden die folgenden Stellen zeigen, offensichtlich an der radikalen Interpretation im 18
19
20
Tolman, E. C.: »Operational behaviorism and current trends in Psychology«, in: M. H. Marx (Hg.): Psychological Theory, New York, 1951, S. 101, siehe auch Friedrich, Zur Kritik des Behaviourismus, S. 128. Möglicherweise trifft die Annahme einer rein empirischen Relation auf Hull nur bedingt zu. Vgl. hierzu Fodors und Chiharas Position (Fodor, ebd., S. 319), welche auch aufgrund der Annahme logischer Relationen bei Hull auffällige Ähnlichkeiten zur Position Wittgensteins sehen. Vgl. Skinner: About Behaviourism, S. 17.
2. Die psychologische Form des Behaviourismus
241
Sinne Watsons orientiert. Ob er mit Watsons Werk vertraut war, ist zwar fraglich, allerdings kannte er offensichtlich Russells Werk Analysis of Mind, in welchem dieser verschiedene Thesen Watsons diskutiert.21 Als sinnvolles Abgrenzungskriterium des psychologischen vom logischen Behaviourismus erweist sich die Frage nach dem Status mentaler Phänomene. So schreibt etwa Hacker: »Unlike radical versions of psychological behaviourism [...] logical behaviourism did not imply that mental states, etc. are fictions – i.e. that there are really not such things. Rather the claim was that all psychological sentences are translatable into an array of ‘physicalist’ ones«22. Hacker verweist an dieser Stelle explizit auf Carnaps Position, welche sich vor allem auch durch ihre Klarheit zur Explikation dieser Form des Behaviourismus besonders eignet.23 In seiner Erwiderung auf K. Dunckers kritische Auseinandersetzung mit Carnaps »Psychologie in physikalischer Sprache«24 zitiert dieser sehr ausführlich aus einem bis dahin noch unveröffentlichten Text C. G. Hempels mit dem Titel »Die logische Grundlegung des Behaviourismus«. Dessen wohl differenzierteste Bestimmung des logischen Behaviourismus lautet unter anderem wie folgt: Der logische Behaviourismus [so nennt Hempel den Physikalismus] fordert nicht wie der ältere Behaviourismus in der Psychologie gewisse methodische Beschränkungen der psychologischen Forschung etwa auf die Reaktionen, die Organismen auf bestimmte Reize hin ausüben; er stellt überhaupt keine intern-psychologische Theorie dar, sondern eine logische
21
22 23
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Russell, Betrand: The Analysis of Mind, London 1921. Vgl. z.B. die Vorlesungen I, II und X. Vgl. zu diesem Punkt auch: Hacker, Peter M. S.: Wittgenstein: Meaning and Mind, Oxford [u.a.], 1990, S. 232. Hacker, ebd., S. 230. Später werden wir etwas genauer auf einige der Grundthesen aus seinem Aufsatz »Psychologie in physikalischer Sprache« aus dem Jahr 1932 eingehen. (Siehe Carnap Rudolf: »Psychologie in physikalischer Sprache«, in: Rudolf Carnap u. Hans Reichenbach (Hg.): Erkenntnis Band 3 (1932/1933), S. 107–142). Carnap, Rudolf: »Erwiderung auf die Aufsätze von E. Zilsel und K. Duncker«, in: Rudolf Carnap u. Hans Reichenbach (Hg.): Erkenntnis Band 3 (1932/1933), S. 177–188. Es sei hier angemerkt, dass Carnap die logisch-behaviouristische Position nicht aufrecht erhielt. Allerdings erweist sie sich durch ihre klare Darstellung als besonders geeignet zur Explikation dieser Auffassung.
242
Eine behaviouristische Fehlinterpretation
Theorie über die Sätze der wissenschaftlichen Psychologie. Von den letzten lehrt er, daß sie sämtlich physikalistische Sätze seien – [...].25
Hempels Behauptung, dass die Gültigkeit des logischen Behaviourismus weder die Kenntnis entsprechender physikalischer Zustände, welche durch psychologische Begriffe, wie beispielsweise dem der Schmerzempfindung, bezeichnet werden, noch aller physikalischen Gesetzmäßigkeiten voraussetzt, stößt nach seinen Worten »auf sehr heftigen Widerstand, der dem Eindruck entspringt, als solle durch solche Analyse der Reichtum des seelischen und geistigen Lebens gewaltsam und sehr erheblich reduziert werden, als wolle man wesentliche und umfangreiche Überlegungen unserer Erfahrung durch derartige Überlegungen einfach wegdiskutieren.«26 Allerdings beruht diese Auffassung laut Hempel auf einer Fehlinterpretation des logischen Behaviourismus. Denn Untersuchungsgegenstand sei vielmehr die Form wissenschaftlicher Sätze und ihre jeweiligen Ableitungszusammenhänge und nicht Wahrheitswertbestimmungen einzelwissenschaftlicher Sätze, oder das »Wegdiskutieren« irgendwelcher Tatbestände, »d.h. wahre Sätze für falsche erklären zu wollen«27. Es scheint daher sinnvoll, die anschließenden Untersuchungen an dieser Klassifizierung zu orientieren. Entscheidend ist auch im Folgenden die Betonung der Dichotomie zwischen empirischen und metaphysischen Kontexten. Der Begriff des Empirischen bezieht sich dabei nicht auf die jeweils zugrunde liegende Methodologie, sondern auf das Verhältnis von psychischen Ausdrücken in ihrer gewöhnlichen Verwendungsweise und dem was sie bezeichnen, das heißt im empirischen Begriffsrahmen, innerhalb dessen es zu zeigen gilt, dass die in Frage stehenden Thesen des Behaviourismus sich als falsch erweisen. Der nun folgende metaphysische Kontext bezieht sich hingegen auf die »metaphysische« Frage nach der Existenz bzw. Nichtexistenz innerer Zustände und Prozesse ganz analog der Solipsismusdebatte.
25 26 27
Ebd. S 187 f. Ebd. Ebd.
3. Wittgenstein und Behaviourismus
243
3. Wittgenstein und Behaviourismus Zunächst sei bemerkt, dass Wittgenstein sich an keiner Stelle ausführlicher mit der Position des Behaviourismus auseinandersetzt, ein Tatbestand, der eine kohärente Darstellung seiner diesbezüglichen Auffassung erschwert. Auch wenn sich eine klare Trennung in Bemerkungen zur klassischen Ausprägung des Behaviourismus und seiner logischen Variante nicht ohne weiteres ziehen lässt28, ist dennoch, wie bereits betont, davon auszugehen, dass Wittgensteins explizite Äußerungen zum Behaviourismus sich auf die ursprüngliche psychologische Bestimmung beziehen. Das zeigen neben den bereits angeführten Stellen des Big Typescript und der Paragraphen 304–308 der PU auch die folgenden Ausführungen in den ebenfalls aus Smythies’ Nachlass stammenden, von diesem bezeichneten Lectures on Similarity. Da sie auch als Erläuterung des § 307 der PU verstanden werden können, werden sie im Folgenden etwas ausführlicher wiedergegeben. In der zwölften Vorlesung dieser Reihe, ebenfalls vermutlich aus dem akademischen Jahr 1938/39 heißt es dort: When you say that I tend to talk behaviourism, you forget that I am not talking about pain, but about the use of the word »pain«. If I was talking about pain I would say »I’ve got intolerable pain«. (1) I seem to talk about a certain phenomenon (2) Denying it exists. In a sense rubbing out something. How can I rub out anything, or how can I say like Russell »Even if it does exist, it doesn’t matter«? Suppose one of us had a rather intense pain. Surely you don’t wish to tell me »This is nothing! Surely this is something!« Suppose you say »This is something«, you might seem to be quarelling with me whether it is something or nothing. But how are we to decide this? How could we discuss this? Would our discussion be about the nature of pain? Must I call it »something«? Why use this word? I would say that you are strongly inclined to say »This is something«. […]29 28
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Dies gilt natürlich nicht für die Methodik und das streng reduktionistische Stimulus-Response Schema. Wittgenstein fährt fort: »Are you making a statement like ‘Surely there is something there’? I say ‘No’. You say ‘There is …’, etc. Am I playing the language game I’m playing there? Surely you will say ‘No’. If you are not playing this language game what would my denial come to when I said ‘There is nothing’?«. In PU 304 heißt es: »,Und doch gelangst du immer wieder zum Ergebnis, die Empfindung selbst sei ein Nichts.‘ – Nicht doch. Sie ist kein Etwas, aber auch nicht ein
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Eine behaviouristische Fehlinterpretation
Either this is a routine case, and I was saying »You have no pain«, or I was saying that you were using »There is something« in an inappropriate sense. Someone could be said to be a behaviourist by saying »If you have pain you’ve got nothing«, meaning »‘got’ is a very inappropriate word«. If I said it is a very appropriate word, then I would not be said to be a behaviourist. Only in one way could I wave something aside and that is by saying »It is an inappropriate word«. This is talking about appropriateness of language. The fact that I am a behaviourist boils down to my saying that it is inappropriate.
Diese Stelle zeigt ganz deutlich die in den vergangenen Abschnitten erörterte Dichotomie zwischen Äußerungen empirischer Tatbestände einerseits und Begriffsbestimmungen andererseits. Entweder handelt es sich um einen Routinefall oder einen unzulässigen Sprachgebrauch. Insofern zeigt natürlich auch die Kontroverse mit dem Behaviourismus, dass zu ihrem Verständnis vor allem eine klare Positionierung in einen der beiden Bereiche zu erfolgen hat. Betrachten wir zunächst einige Stellen, die man offensichtlich recht eindeutig in Zusammenhang mit der klassischen Version des Behaviourismus sehen kann. Wie bereits angemerkt, setzen sich insbesondere die Spätschriften Wittgensteins mit dem Verhältnis sprachlicher Ausdrücke und psychologischer Phänomene auseinander. Die §§ 578 ff. der Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie erinnern sogar recht stark an Watsons Extremfall der Identifizierung von Gedanken und Bewegungen der Stimmbänder des Kehlkopfes. Private Erlebnisse, so beispielsweise stilles Reden, werden dabei als verbales Verhalten reinterpretiert und sind dem Zugang Dritter durch Beobachtung etwa laryngealer Bewegungen prinzipiell nicht verwehrt.30 In seinen Ausführungen des Behaviouristen über Gedanken31 stellt Watson allerdings klar, dass diese laryngealen Bewegungen nicht die, wie von Interpreten angenommen, zentrale Rolle spielen, da etwa durch Entfernen des Kehlkopfes die Denkfähigkeit nicht aufgehoben wird. Gedanken wer-
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Nichts! Das Ergebnis war nur, daß ein Nichts die gleichen Dienste täte, wie ein Etwas, worüber sich nichts aussagen läßt. Wir verwarfen nur die Grammatik, die sich uns hier aufdrängen will.« Vgl. z.B. Watson, John B.: Behaviour. An Introduction to Comparative Psychology, New York, 1967, S. 19 f. und Watson, John B.: Der Behaviorismus, S. 281– 315. Ebd., S. 299 f.
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den nun vielmehr mit dem Vorgang des zu sich selbst Sprechens gleichgesetzt.32 Dabei müsste der Begriff des Denkens das gesamte »Wortverhalten« subvokaler Art einschließen.33 Wittgensteins Bemerkungen zum Vorgang des monologischen Sprechens und Denkens scheinen allerdings nur bei oberflächlicher Betrachtung als ähnlich, teilweise dadurch bedingt, dass sich für ihn der Vergleich des Denkens mit einem inneren, verborgenen Vorgang als irreführend erweist.34 Die allerdings zentrale Problematik, insbesondere für die Relevanz des diesem Kapitel zugrunde gelegten Zusammenhangs, findet sich in den Paragraphen 581 und 582 des ersten Teils der BPP. Dort heißt es: Was uns verwirrt, ist, daß die Gedanken des Andern zu kennen, von einer Seite besehen, logisch unmöglich, und von einer andern besehen, psychologisch und physiologisch unmöglich ist. Ist es nun richtig, zu sagen: daß diese beiden ,Unmöglichkeiten‘ so miteinander zusammenhängen, daß die psychologische Unmöglichkeit (hier) das Bild liefert, das uns (dann) zum Abzeichen des Begriffs ,denken‘ wird?
Lesen wir hier den Ausdruck »ein Bild liefern« im Sinne einer Rechtfertigung der Verwendung des Denkbegriffs mittels psychologischer Begründung, ist die Frage, ob die Grammatik dieses Ausdrucks durch die Natur der sie bezeichnenden Gedanken bestimmt ist, offensichtlich zu verneinen. Dadurch erscheint die Annahme eines für andere Personen unzugänglichen, gleichsam stummen Denkens als sinnlos: »,Ich weiß nicht, was du dir denkst. Sag, was du dir denkst!‘ – Das heißt 32
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So erweist sich etwa der in Zur Kritik des Behaviourismus vorgebrachte Einwand: »Es genügt jedoch der schlichte Hinweis auf Personen, die, obwohl ohne Kehlkopf, unzweifelhaft denken können, um diese Betrachtungsweise [Denkprozesse in Form schwacher Kontraktionen bestimmter äußerlich wahrnehmbarer Muskelsysteme] als vulgärmaterialistische Spekulationen verwerfen zu können« (Friedrich, Zur Kritik des Behaviourismus, S. 90), zumindest in diesem Zusammenhang als hinfällig. »Vergessen Sie nicht, daß Denken subvokales Sprechen ist!«. (Watson, John B.: Der Behaviourismus, S. 304) Vgl. BPP I, §§ 578 ff. Allerdings heißt es bereits einige Bemerkungen später: »Man kann nicht sagen: das Schreiben in’s Notizbuch, oder das monologische Sprechen, sei dem stummen Denken ,ähnlich‘; wohl aber kann der eine Vorgang den andern (das Rechnen im Kopf das schriftliche Rechnen, z.B.) für gewisse Zwecke ersetzen.« (Ebd., § 583)
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Eine behaviouristische Fehlinterpretation
etwa: ,Rede!‘«35 Zwar verwirft Wittgenstein in diesem Zusammenhang klar eine behaviouristische Interpretation, betont jedoch, dass auch eine solche Auslegung zulässig sein kann, obgleich mit der Einführung eines entsprechenden Begriffssystems zunächst noch kein Zug im Sprachspiel vollzogen ist. Denn, wie wir bereits an früheren Stellen mehrmals gesehen haben, erfordert die Implementierung eines alternativen Symbolismus wesentlich einen sinnvollen Gebrauch: Ist es also irreführend, von der Seele des Menschen, oder von seinem Geist zu reden? So wenig, daß es ganz verständlich ist, wenn ich sage: »Meine Seele ist müde, nicht bloß mein Verstand.« Aber sagst du nicht doch, daß alles, was man durch das Wort »Seele« ausdrücken kann, irgendwie auch durch Worte für Körperliches sich ausdrücken läßt? Ich sage es nicht. Aber wenn es auch so wäre, – was würde es besagen? Die Worte, so wie auch das, worauf wir bei ihrer Erklärung weisen, sind ja nur die Instrumente, und nun kommt’s auf ihren Gebrauch an.36
Natürlich zeigt sich an dieser Stelle auch, dass die klassische Position des Behaviourismus in engem Zusammenhang zur entsprechenden Begrifflichkeit steht. Die Idee der Konstruktion alternativer Symbolismen muss zunächst auch eine solche behaviouristische Notation erlauben. Dies gilt jedoch ebenfalls für sämtliche anderen Regelkataloge, etwa einen solchen, der den solipsistischen Sprachgebrauch fixiert, da es sich eben im Kontext des zweiten Lösungsansatzes in der begrifflichen Einführungsphase um völlig gleichwertige, echte Alternativen handelt37. Und darin liegt auch die logische Unabhängigkeit der jeweiligen Systeme begründet. Auffällig ist jedoch, dass auch Vertreter des logischen Behaviourismus nicht immer eindeutig zwischen begriffsanalytischen und phänomenalen Untersuchungen unterscheiden, was sich wohl aber vor allem auf die bereits angesprochene enge Verknüpfung beider Bereiche zurückführen lässt.38 Es sollte 35
36 37
38
Ebd., § 585. Die Sinnlosigkeit einer solchen Annahme setzt Wittgenstein sogar einer solchen gleich, Gedanken bei Haaren oder Steinen anzunehmen. Ebd., § 586. Vgl. hierzu auch Schulte, S. 147 ff. Vgl. hierzu Wittgensteins Bemerkung zur Gleichwertigkeit alternativer Darstellungen bezüglich einer behaviouristischen Ausdrucksweise in PG, S. 100. Vgl. etwa die Positionen Carnaps, Armstrongs, Quines, Sellars’ oder Ryles in: Carnap, Rudolf: Psychologie und physikalische Sprache, Armstrong, A Materialist Theory of the Mind, S. 54 ff., Quine, Willard, V.: »Mind and Verbal Disposi-
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jedoch recht klar sein, dass die Alternative eines behaviouristischen Sprachrahmens im hier diskutierten Zusammenhang eines alternativen Symbolismus nicht dem empirischen Teil der semantischen Dichotomie zuzuordnen ist. Es sei an dieser Stelle nochmals betont, dass die hier geführte Auseinandersetzung mit dem Behaviourismus ganz analog der Solipsismusdiskussion nur in Verbindung mit der Differenzierung in begriffsregulierende und empirische Kontexte verstanden werden soll. So zeigt letzterer etwa, dass innerhalb seines konzeptualen Rahmens zwischen Verhalten und psychologischen Begriffen eine logische Verbindung besteht, die unterschiedlichen Begriffssysteme jedoch voneinander logisch unabhängig sind. Übersieht man auch hier diese Unterscheidung, lässt sich eine behaviouristische Auslegung des Wittgenstein’schen Programms sehr viel leichter rechtfertigen. Der zentrale Punkt meines Interpretationsansatzes liegt also in der Trennung der behaviouristischen Fragestellung in sprachspielimmanente Untersuchungen einerseits und begriffsrahmenrelevante, das heißt sprachspielexterne bzw. sprachspielübergreifende andererseits. So gilt die Betrachtung sowohl Äußerungen innerhalb eines bestimmten Sprachspiels39, als auch Bestimmungen, die überhaupt erst Sprachspiele regulativ ermöglichen. Bedienen wir uns Ryles Klassifizierung des methodologischen Behaviourismus im Sinne einer – wie Ryle sie nennt – mechanistischen Lehre, welche die Daten des Bewusstseins und der Introspektion als solche leugneten, oder einer paramechanischen, welche sie lediglich aus dem Forschungsprogramm ihrer wissenschaftlichen Untersuchungen eliminierten40, sind jedenfalls die Wittgenstein’schen Be-
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tions«, in: Guttenplan, Samuel (Hg.): Mind and Language, Oxford 1975, S. 83– 95, Sellars, Wilfried: Essays in the Philosophy of History, Dordrecht 1974, S. 93– 118, Ryle, Gilbert: The Concept of Mind, London 1949. Etwa eines behaviouristischen. Vgl. Ryle, The Concept of Mind, S. 327. Beide Theorien basieren auf überprüfbaren und wiederholbaren Experimenten auf der Grundlage öffentlich zugänglicher Beobachtungen. Die mechanistische Lehre fasst dabei jedoch Bewusstsein und Introspektion als Fiktion auf, die paramechanische lediglich als der wissenschaftlichen Forschung unzugänglich. Der fiktive Charakter des Bewussteins führt im Fall der mechanistischen Auffassung zu einer Identifizierung etwa des Denkens mit gewissen Geräuschen und Verhaltensweisen. Die paramechanische Lehre hin-
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merkungen mit ersterer nicht vereinbar. Allerdings, soviel sei an dieser Stelle bemerkt, scheint Ryles Klassifizierung nicht der klassischen Gliederung – zumindest nicht nach Skinners Auffassung – zu entsprechen. Denn dieser unterscheidet, wie bereits angesprochen, im Rahmen des psychologistischen Programms zwischen einem methodologischen Behaviourismus einerseits, den er als eine Variante des logischen Positivismus bzw. Operationalismus bezeichnet und der Ryles paramechanischer Lehre am ehesten insofern äquivalent erscheint, als dass seelische Ereignisse zwar nicht geleugnet, aufgrund ihrer Unbeobachtbarkeit als Untersuchungsgegenstände allerdings nicht erwogen werden. Der radikale Behaviourismus andererseits entspricht nicht der mechanistischen Bestimmung Ryles, da jene radikale Variante Introspektion nicht verwirft, sondern reinterpretiert und von ihren Vertretern als Bindeglied zwischen Mentalismus und der methodologischen Variante bestimmt wird.41 Diese Kategorisierung erscheint jedoch insofern etwas irreführend, als dass alleine die Bestimmung der Introspektion als prinzipiell beobachtbar und nicht subjektiv offensichtlich von einer anderen Begrifflichkeit ausgeht. Und Skinners Bemerkung »What is felt or introspectively observed is not some nonphysical world of consciousness, mind or mental life but the observer’s own body«, scheint dies zu bestätigen42. Das zunehmende Wissen über die von der Umwelt ausgeübte Kontrolle ermöglicht es laut Skinner jedoch, wie bereits angedeutet, entsprechende Wirkungen auf das Wesen der Selbsterkenntnis und der »world within the skin« als Untersuchungsgegenstand zu erlauben. Und »it also makes it possible to interpret a wide range of mentalistic expressions«. Einige solcher Ausdrücke wie Willensakte, Erinnerungen oder auch Vorstellungen angeborener oder erworbener Art »‘can be translated into behaviour’ others discarded as unnecessary or meaningless«43. Das heißt jedenfalls, auch in der klassischen Variante des Behaviourismus lässt
41 42
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gegen behauptet eine Relation zwischen inneren und äußerlich wahrnehmbaren Zuständen bzw. Prozessen. Vgl. Skinner: About Behaviourism, S. 14 ff., insb. S. 16. Ebd., S. 17. Dies scheint mir auch nicht dadurch besonders abgeschwächt, dass Skinner gleich in der Folgebemerkung einräumt, bei Introspektion handle es sich nicht um eine Art physiologischer Untersuchung. Insofern scheint Ryle mit seiner Behauptung der Leugnung mentaler Ereignisse vielleicht ganz richtig zu liegen. Ebd.
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sich die enge Verbindung zwischen mentalen Phänomenen und jeweiligen sprachlichen Ausdrücken verdeutlichen.
3.1. Bemerkungen zur Existenz psychischer Phänomene Interessanterweise skizziert Wittgenstein das philosophische Problem des Behaviourismus und mentaler Zustände bzw. Prozesse im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der Frage einer Privatsprache folgendermaßen: Wir reden von Vorgängen und Zuständen, und lassen ihre Natur unentschieden! […] Aber eben dadurch haben wir uns auf eine bestimmte Betrachtungsweise festgelegt. Denn wir haben einen bestimmten Begriff davon, was es heißt: einen Vorgang näher kennen zu lernen. (Der entscheidende Schritt im Taschenspielerkunststück ist getan, und gerade er schien uns unschuldig.) – Und nun zerfällt der Vergleich, der uns unsere Gedanken hätte begreiflich machen sollen. Wir müssen also den noch unverstandenen Prozeß im noch unerforschten Medium leugnen. Und so scheinen wir also die geistigen Vorgänge geleugnet zu haben. Und wollen sie doch natürlich nicht leugnen!44
Das Problem seelischer Zustände und Prozesse ist dabei offenbar auf eine dualistische Position im Sinne Descartes gerichtet: Unmittelbarer Zugang wird gewährleistet durch Introspektion. Behaviouristen hingegen bewerten mentale Phänomene im Sinne fiktionaler Entitäten. Die Variante des logischen Behaviourismus wiederum fasst sie auf als logische Konstruktionen von Verhalten und Verhaltensdispositionen.45
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PU, § 308. Und bereits an einer Stelle der PG heißt es: »Wenn gesagt wird: ‚Denken ist ein geistiger Vorgang‘, so ist das wohl nur richtig, insofern man auch das Sehen eines geschriebenen Satzes oder das Hören eines gesprochenen einen geistigen Vorgang nennt. Also in dem Sinne in welchem man Schmerzen einen geistigen Zustand nennt. Man will dann mit dem Wort ,geistiger Vorgang‘ das ,Erlebnis‘ vom ,physikalischen Vorgang‘ unterscheiden. – Anderseits deutet freilich das Wort ,geistiger Vorgang‘ an, daß es sich hier um unverstandene Vorgänge in einer uns nicht zugänglichen Sphäre handelt.« (Ebd., S 106) So bemerkt etwa Russell an einer Stelle: »The supreme maxim in scientific philosophizing is this: Wherever possible, logical constructions are to be substituted for inferred entities.« (Russell, Bertrand: »The Relation of Sense Data to Phy-
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Nach Wittgenstein liegt das Problem beider Richtungen, des Dualismus und Behaviourismus, jedoch offenbar bereits im Gebrauch der Ausdrücke »Vorgang« und »Zustand« im Zusammenhang psychischer Phänomene, da diese uns beispielsweise durch den Begriff des Kennenlernens eines Vorgangs bereits auf ein bestimmtes Bild festlegen, welches uns zunächst veranlasst, die Natur jener Prozesse als unbestimmt aufzufassen. Aber die Zustands- und Ereignisterminologie als solche ist bereits irreführend und damit einhergehend die Frage nach einer entsprechenden Wesensbestimmung. Denn wie wir bereits aus PU § 371 wissen, ist das Wesen in der Grammatik ausgesprochen. Am Begriff der Vorstellung lässt sich dieses Argument auf mentale Vorgänge im Allgemeinen übertragen: »Nicht, was Vorstellungen sind, oder was da geschieht, wenn man sich etwas vorstellt, muß man fragen, sondern: wie das Wort ,Vorstellung‘ gebraucht wird. Das heißt aber nicht, daß ich nur von Worten reden will. Denn soweit in meiner Frage vom Wort ,Vorstellung‘ die Rede ist, ist sie’s auch in der Frage nach dem Wesen der Vorstellung.«46 Erklären lässt sich die Frage nach Wittgenstein jedoch weder durch ein Hinweisen der ersten oder einer anderen Person noch durch die Beschreibung irgendeines Vorgangs. Und interessanterweise befindet sich im Manuskriptband MS XII zwischen zwei Fassungen des Paragraphen 308, die in der Endfassung unter § 571 erschienene folgende Bemerkung: Irreführende Parallele: Psychologie handelt von den Vorgängen in der psychischen Sphäre, wie Physik in der physischen. So sind etwa das Sehen, Hören, Denken, Fühlen oder Wollen nicht im gleichen Sinn Untersuchungsgegenstände der Psychologie wie Körperbewegungen oder elektrische Erscheinungen, etc. in der Physik, da Psychologen vielmehr Äußerungen (Benehmen) von Personen beobachten, Physiker hingegen ihre entsprechenden Phänomenbereiche wahrnehmen, darüber reflektieren etc.47
Die Übertragung des Begriffs eines physischen Vorgangs auf die psychische Sphäre verwischt also offensichtlich seine unterschiedliche
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sics«, in: Russell, Bertrand: Mysticism and Logic and other Essays, London 1963, S. 115.) PU, § 370. Vgl. MS XII, S. 333.
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Grammatik in diesem Zusammenhang.48 Der in PU § 308 erwähnte »entscheidende« Schritt wird in Manuskriptband MS XII (S. 322) etwas genauer skizziert. Dort heißt es: Der erste Schritt ist die unschuldige pneumatische Auffassung wobei man (aber) die »Art« der Vorgänge oder Zustände offen lässt. Der nächste aber ist, dass man sieht: welcher Art immer dieses etwas ist, wovon man reden will – es erkläre nichts und sei eine unnütze Fiktion. Gibt man nun aber diese Fiktion auf, so scheint man alles Geistige zu leugnen und dadurch zu sagen es gäbe nur Körperliches.49
Inwiefern der Begriff des geistigen Vorgangs nach Wittgenstein als problematisch bestimmt ist, wird an späterer Stelle etwas genauer untersucht. Zunächst stehen, ganz allgemein bemerkt, Wittgensteins Erörterungen meist in Zusammenhang mit dem Begriff des Schmerzes und entsprechendem Schmerzbenehmen. Die bisherigen Untersuchungen, so vor allem die Bemerkungen zu sprachlichen Verwendungen mentaler Begriffe im Zusammenhang empirischer Aussagen, etwa in der Redeweise von »gleichen Empfindungen«, zeigten dabei deutlich, dass Wittgenstein keineswegs Mentales als solches leugnet. Dies lässt sich auch mit zahlreichen Stellen belegen, insbesondere im Rahmen der Privatsprachendiskussion. Besonders pointiert findet sich die damit einhergehende Problematik in den Paragraphen 304–309 der PU. So heißt es etwa:
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So bemerkt etwa Hacker: »But instead of examining the rather special uses of ‘mental state’ and ‘mental process’ which vary from case to case, philosophers (and psychologists) transpose the expressions ‘state’ and ‘process’ from the physical to the mental domain, leaving their nature undecided, as if the facts, if we are lucky will reveal to us.« Hacker: Meaning and Mind, S. 260. Zit. nach Hacker, S. 262. Einen weiteren Hinweis, dass es sich an diesen Stellen um eine Auseinandersetzung im Rahmen eines metaphysischen Kontextes handelt, liefert der Anschlussparagraph 309, in welchem Wittgenstein das Ziel der Philosophie metaphorisch durch ein Weisen des Auswegs der Fliege aus dem Fliegenglas umschreibt. Und dass es sich bei dieser Fliege um den Solipsisten handelt, belegt eindeutig die folgende Stelle aus den LPE (S. 300): »(Der Solipsist flattert und flattert in der Fliegenglocke, stößt sich an den Wänden, flattert weiter. Wie ist er zur Ruhe zu bringen?)«
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»Aber du wirst doch zugeben, daß ein Unterschied ist, zwischen Schmerzbenehmen mit Schmerzen und Schmerzbenehmen ohne Schmerzen.« – Zugeben? Welcher Unterschied könnte größer sein! – »Und doch gelangst du immer wieder zum Ergebnis, die Empfindung selbst sei ein Nichts.« – Nicht doch. Sie ist kein Etwas, aber auch nicht ein Nichts! Das Ergebnis war nur, daß ein Nichts die gleichen Dienste täte, wie ein Etwas, worüber sich nichts aussagen läßt. Wir verwarfen nur die Grammatik, die sich uns hier aufdrängen will.50
Inwiefern es sich also vielmehr um eine grammatische als eine psychologische Fiktion handelt, zeigt auch eine Stelle aus den Vorlesungen über Sinnesdaten und privates Erlebnis: Auf die Frage nach dem Unterschied des faktischen Sprachgebrauchs, falls der entsprechende Wortverwender mit dem Ausdruck »Zahnschmerzen« keinen wirklichen Schmerz meint und dem richtigen Gebrauch dieses Begriffs bemerkt Wittgenstein: »The private experience is to serve as a paradigm, and at the same time admittedly it can’t be a paradigm. The ‘private experience’ is a degenerate construction of our grammar […]. And this grammatical monster now fools us; when we wish to do away with it, it seems as though we denied the existence of an experience, say, toothache.«51 Allein diese Stelle zeigt sehr deutlich, dass sich die Frage nach der Existenz privater Erlebnisse nicht außerhalb des Wittgenstein’schen Kontextes diskutieren lässt, sondern nur im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Augustinischen Sprachbild einer referentiellen Semantik, auch bei psychischen Phänomenen, wie wir sie etwa im Paragraphen 293 der PU finden. Inwieweit eine Vernachlässigung dieses Aspektes eine Interpretation im Sinne der Leugnung von Empfindungen geradezu zwingend erscheinen lässt, legt neben dem berühmten Käferbeispiel eine häufig zitierte Stelle aus dem zweiten Teil der PU nahe: »Eliminiere dir immer das private Objekt, in50 51
PU, § 304. In diesem Zusammenhang sei nochmals an eine Bemerkung Rhees’ erinnert: »Compare: a rule of calculation as a paradigm – ‘of which the opposite is inconceivable’. (You can imagine the process going differently. But you cannot imagine that picture as a picture of the process going differently; or you cannot imagine its going differently in that picture. This again is a grammatical remark about ‘picture of a process’ or ‘paradigm of a process’.) But both tautology (as a paradigm of what is known) and ‘private experience’ are ‘pseudo paradigms’: cannot serve as paradigms.«
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dem du annimmst: es ändere sich fortwährend; du merkst es aber nicht, weil dich dein Gedächtnis fortwährend täuscht.«52 Die zitierten Stellen stehen offensichtlich in Zusammenhang mit der Auseinandersetzung einer denkbaren Privatsprache, deren Verständnis für andere als der ersten Person logisch ausgeschlossen wird.53 Der diesem Kapitel zugrunde liegende Interpretationsansatz versucht nun, eine der Solipsismusdebatte ganz analoge Argumentationsstruktur im Rahmen der Behaviourismusdiskussion vorzuschlagen und zu verteidigen. Demnach wäre zunächst zu zeigen, dass es Fälle gibt, die aufweisen, dass zentrale Thesen des Behaviourismus unsinnig sind, sollen sie als metaphysische Behauptungen verstanden werden und nicht als Regeln eines alternativen Sprachgebrauchs54. Die begriffliche Unabhängigkeit alternativer Notationen scheint dabei – in Abgrenzung zu einer solipsistischen – die Befürwortung einer entsprechenden behaviouristischen Positionierung geradezu zu bedingen. Stützen lässt sich diese Annahme zumindest mit den folgenden Bemerkungen: An einer Stelle der BGM skizziert Wittgenstein den Behaviourismus ähnlich dem Finitismus, der uns hier nicht interessieren muss, wie folgt: »Finitismus und Behaviourismus sind ganz ähnliche Richtungen. Beide sagen: hier ist doch nur ... Beide leugnen die Existenz von etwas, beide zu dem Zweck, um aus einer Verwirrung zu entkommen.«55 So argumentiert etwa Malcolm in seinem Essay Body 52
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PU II, S. 542. Dass eine solche Auslegung auch zentral mit dem von uns in diesem Kapitel vorgeschlagenen Interpretationsversuch der Doppeldeutigkeit sprachlicher Ausdrücke steht, soll der in einem der nächsten Abschnitte thematisierte Komplementärfarbenseher etwas stärker verdeutlichen. Die Skizzierung einer Privatsprache findet sich in § 243: »Die Wörter dieser Sprache sollen sich auf das beziehen, wovon nur der Sprechende wissen kann; auf seine unmittelbaren, privaten, Empfindungen. Ein Anderer kann diese Sprache also nicht verstehen«, zeigen ganz klar, dass es sich in Verbindung mit dem ersten Absatz dieses Paragraphen nur um ein logisches »kann« handeln kann. So bemerkt etwa Strasser im Zusammenhang der Eliminierung bzw. jedenfalls radikalen Neudefinition des Begriffs »der autonome Mensch« in dem unserer Kultur zugrunde liegenden ontologischen Bezugssystems mit Verweis auf Skinner: »Radikale Behaviouristen betreiben revisionäre Metaphysik«. Siehe Strasser, Peter: Wirklichkeitskonstruktion und Rationalität. Ein Versuch über den Relativismus, Freiburg, München 1980, S. 159. BGM, S. 142. In der zwölften Vorlesung über die Grundlagen der Mathematik findet sich in diesem Zusammenhang die folgende interessante Bemerkung: »Finitism and behaviourism are as alike as two eggs. The same absurdities, and the sa-
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and Mind 56, dass Auffassungen die eine begriffliche Verbindung zwischen mentalen Begriffen und physikalischen Aspekten und Verhaltensweisen bestreiten und für eine Bedeutungserfassung solcher Begriffe durch Introspektion und in weiterer Folge durch Korrelation mit eigenen und fremden Körperbewegungen plädieren, welche dann per Analogie auf Fremdpsychisches schließen lassen, letztlich in eine solipsistische Position münden.57 Auch Ayers Auseinandersetzung mit dem sogenannten Analogieschlussverfahren im Rahmen der Frage nach der Existenz des Fremdpsychischen spricht für meine vorgeschlagene Auslegungsmöglichkeit. Denn hat er in den Foundations of Empirical Knowledge aus dem Jahr 1940 das Verfahren noch als zulässig erachtet58, bestreitet er in der Einleitung der zweiten Auflage von Language, Truth and Logic59 seine Gültigkeit, wenn auch mit einigem Zögern. Die Aufgabe des Analogiebeweises veranlasste ihn daraufhin, zurückzukehren »to a ‘behaviouristic’ interpretation of propositions about other people’s experiences.«60 In seiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob zwei Personen dieselben Schmerzen haben können61 und ihre Schmerzbeschreibungen miteinander übereinstimmen, betont Wittgenstein, dass es sich bei einem Argument der Art, die Je-meinigkeit von Schmerzempfindun-
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me kind of answers. Both sides of such disputes are based on a particular kind of misunderstanding – which arises from gazing a form of words on forgetting to ask yourself what’s done with it, or from gazing into our own soul to see if two expressions have the same meaning, and such things«. (LFM, S. 111) Malcolm, Norman: Problems of Mind. Descartes to Wittgenstein, Trowbridge 1971, S. 1–59. Malcolm nennt in diesem Zusammenhang die Positionen Lockes und Descartes. Vgl. ebd., S. 25 u. 28 und Abschnitt 23: »The Rejection of Introspection«, S. 80 ff. Das Analogieschlussverfahren wird insbesondere von John Stuart Mill postuliert und von Malcolm in beeindruckender Weise kritisiert. Ayer, A. J.: Foundations of Empirical Knowledge, London 81963, S. 168–170. Ayer, A. J.: Language, Truth and Logic, London 81951. Ebd., S. 20. Da auch die Argumente im Rahmen eines solchen Analogieschlussverfahrens eine sehr klare Unterscheidung in empirische und logische Zusammenhänge erlauben – auch Ayers Strategie scheint dafür paradigmatisch – werden sie im Verlauf der sich anschließenden Untersuchungen, wenn auch in aller Kürze, etwas genauer rekonstruiert. Etwa in einem Fall, in welchem ihre beiden Körper miteinander drahtlos verbunden sind, oder sie über ein gemeinsames Körperteil verfügen, in dem ein bestimmtes Schmerzgefühl lokalisiert ist.
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gen schließe eine Befürwortung von Schmerzidentität aus, um eine grammatische Bestimmung über den Gebrauch des Ausdrucks »derselbe Schmerz« handle, der Verwendungen wie »Er hat meinen Schmerz« oder »Wir beide haben denselben Schmerz« ausschließen soll: Of course, if we exclude the phrase »I have his toothache« from our language, we thereby also exclude »I have (or feel) my toothache«. Another form of our metaphysical statement is this: »A man’s sense data are private to himself«. And this way of expressing it is even more misleading because it looks still more like an experiential proposition; the philosopher who says this may well think that he is expressing a kind of scientific truth.62
An einer Stelle der Philosophischen Bemerkungen heißt es ganz analog: »Ein Ausdruck ,ich fühle meine Schmerzen‘ oder ,ich fühle seine Schmerzen‘ ist Unsinn. Und darauf scheint mir am Ende die ganze Kontroverse über den Behaviourism zu beruhen.«63 Offensichtlich zeigen diese Zitate, dass beide Richtungen dem Missverständnis der Asymmetrie zwischen psychologischen Sätzen der ersten und dritten Person entspringen.64 In Gesprächen mit Desmond Lee im akademischen Jahr 1930/31 bemerkt Wittgenstein sogar: »Solipsism and Behaviourism are opposites of each other«.65 Ob er diese Auffassung aufrechterhalten hat, ist allerdings offen. In seinen Vorlesungsaufzeichnungen über private Erlebnisse und Sinnesdaten bemerkt er jedenfalls, dass die Behauptung, ich könne nur von mir wissen, dass ich sehe, nicht aber von anderen, zumindest weniger absurd sei, als ihr Gegenteil: »Ist eine Philosophie undenkbar, die das diametrale Gegenteil des Solipsismus ist?«66 lässt diese Frage jedoch unbeantwortet. Dass sich allerdings auch hier Missverständnisse bezüglich Symbolismus und Wesensbestimmungen zeigen, wie Wittgen62 63 64
65 66
BB, S. 55. PB, S. 94. »Wir sprechen also etwa von einer Asymmetrie unserer Ausdrucksweise und fassen diese auf als ein Spiegelbild des Wesens der Dinge.« (LPE, S. 277) Vgl. auch Hacker: Meaning and Mind, S. 235. Wittgenstein: Lectures 1930–1932, S. 112. LPE, S. 282. Vgl. hierzu auch Haller, Rudolf: »Bemerkungen zur Egologie Wittgensteins«, in: Grazer Philosophische Studien 33/34 (1989), insb., S. 359 ff.
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stein in der sich daran anschließenden Bemerkung betont, scheint jedenfalls seiner ursprünglichen Bestimmung dieser Gegensätzlichkeit von Solipsismus und Behaviourismus nicht entgegenzustehen. Und einige Seiten vorher heißt es in Zusammenhang mit der Frage der Beurteilung von Wahrnehmungserlebnissen durch die erste Person: »If we say ‘he’ll tell us what he saw,’ it is as though he would make use of language which we had never taught him. [...] It is as if now we have got an insight into something which before we had only seen from the outside. Inside and outside!«67 Offensichtlich erweist sich aber die Behauptung, Wittgenstein hätte den Behaviourismus verworfen als durchaus begründet, zumindest gemäß seiner Bemerkung aus den frühen dreißiger Jahren in Zusammenhang mit der Bestimmung von Unsinnigkeit auch im Fall der Negation.68 Im Folgenden werden einige seiner hier relevanten Gedankenansätze noch etwas genauer beleuchtet, um die Rekonstruktion solch einer behaviouristischen Fehlinterpretation etwas transparenter zu machen.
3.2. Erlebnis und Bezeichnung Eine Quelle möglicher Missverständnisse bildet sicher Wittgensteins Auseinandersetzung mit der Idee eines geistigen Vorgangs in Verbindung mit speziellen Ausdrucksformen. Zentrale Bedeutung nehmen hier insbesondere die Begriffe des Meinens, Verstehens, Denkens und der Absicht ein. So bemerkt etwa Rhees in etwas pointierter Form, dass die Schlussparagraphen 692 und 693 der PU das Thema der Paragraphen 81 ff. liefern.69 In den beiden Abschnitten verwirft Wittgenstein explizit die Auffassung, »meinen« als geistige Tätigkeit zu bestimmen. Grundsätzlich hängt diese Problematik in sehr starkem Maße mit der Frage der Rechtfertigung solcher Wortverwendungen zusammen, überhaupt eines der zentralen Themen im Rahmen dieser Auseinandersetzungen. Denn offensichtlich dient die Postulierung 67 68
69
LPE, S. 279. Vgl. z.B. PB, S. 90 u. 92 sowie BB, S. 53 f. Dies hieße natürlich in Wittgensteins Terminologie die Negation der den jeweiligen Systemen zugrundeliegenden Bedeutungsregeln. Rhees: Discussions, S. 54.
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mentaler Vorgänge irrtümlicherweise als Instrument einer solchen Begründung. Wittgensteins kriteriale Bestimmungen von Ausdrücken wie die des Meinens, Verstehens etc. liegen im Gegensatz hierzu vielmehr in der dispositionalen Beherrschung bestimmter Techniken der Anwendung: »Die Anwendung bleibt ein Kriterium des Verständnisses«, und: Denk doch einmal garnicht an das Verstehen als »seelischen Vorgang«! – Denn das ist die Redeweise, die dich verwirrt. Sondern frage dich: in was für einem Fall, unter was für Umständen sagen wir denn »Jetzt weiß ich weiter«? ich meine, wenn mir die Formel eingefallen ist. – In dem Sinne, in welchem es für das Verstehen charakteristische Vorgänge (auch seelische Vorgänge) gibt, ist das Verstehen kein seelischer Vorgang.70
Insbesondere die Paragraphen 138–242 der PU beschäftigen sich intensiv mit dem Begriff des Verstehens im Zusammenhang mit der Erfassung von Bedeutungen. Natürlich greifen hier die für die ganze Philosophie Wittgensteins nach 1929 zentralen Begriffe der Regel und des Regel-Folgens und damit verbunden die Idee des Beherrschens einer Technik und die Rolle von Gepflogenheiten. Exemplarisch sei nur die folgende Stelle angeführt: »Einer Regel folgen, eine Mitteilung machen, einen Befehl geben, eine Schachpartie spielen sind Gepflogenheiten (Gebräuche, Institutionen). Einen Satz verstehen, heißt, eine Sprache verstehen. Eine Sprache verstehen, heißt eine Technik beherrschen.«71 Zwar spricht Wittgenstein an einigen Stellen durchaus vom Verstehen als einem psychischen Phänomen oder Zustand72, allerdings 70
71
72
PU, §§ 146 u. 154. Zur Idee des Verstehens als ein sonderbarer geistiger Vorgang siehe auch Zettel, § 445 f. PU, § 199. Vgl. auch ebd., § 150 u. PG, S. 131. Und an anderer Stelle der PG heißt es: »Wir können das Aussprechen der Regel allein ,Kriterium des Verstehens‘ nennen, oder auch Proben des Gebrauchs allein. In einem Fall wird dann ,er versteht‘ heißen: ,wenn Du ihn nach der Regel fragst, wird er sie sagen‘; im andern Fall: ,wenn Du eine Anwendung der Regel von ihm verlangst, wird er Deinen Befehl ausführen.‘« (Ebd., S. 84) Vgl. etwa ebd. Auch spricht er an manchen Stellen vom Glauben, Sehen und anderen Sinneswahrnehmungen sowie Schmerzempfindungen von Zuständen. Vgl. BPP I, §§ 1 u. 704, sowie BPP II, § 45. Als mögliche Begründung vgl. hierzu auch Hacker: Meaning and Mind, S. 261.
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Eine behaviouristische Fehlinterpretation
birgt diese Redeweise offensichtlich die Gefahr einer falschen grammatischen Einstellung zum Wort des Vorganges in sich. Und: (In unserem Studium des Symbolismus gibt es keinen Vordergrund und Hintergrund, nicht wesentlich ein greifbares Zeichen und ein es begleitendes ungreifbares Vermögen oder Verständnis.) Das was uns am Zeichen interessiert, die Bedeutung die für uns maßgebend ist, ist das, was in der Grammatik des Zeichens niedergelegt ist. Wir fragen: Wie gebrauchst Du das Wort, was machst Du damit – das wird uns lehren, wie Du es verstehst.73
Und an späterer Stelle heißt es: »Der seelische Vorgang des Verstehens interessiert uns eben gar nicht.«74 Natürlich kann hier auf diesen umfassenden Komplex nicht näher eingegangen werden.75 Zeigen sollten diese Bemerkungen jedoch zumindest, dass es Wittgenstein nicht um die Leugnung mentaler Zustände und Vorgänge ging, sondern vielmehr darum, auf mögliche Missverständnisse hinzuweisen, welche sich durch die Annahme, bestimmte Wortverwendungen mittels solcher Vorgänge rechtfertigen zu wollen bzw. diese als Kriterien des Gebrauchs der sie »bezeichnenden« Ausdrücke aufzufassen, eröffnen. Seine folgende Bemerkung scheint hierfür geradezu paradigmatisch:
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PG, S. 87. Ebd., S. 271. Im Rahmen der Mehrdeutigkeit des Ausdrucks »Bank« in Sätzen wie »Ich muß zur Bank gehen« bemerkt Wittgenstein: »Wenn der Satz unter verschiedenen Umständen ausgesprochen wird, so daß das Wort ,Bank‘ einmal offenbar das, einmal etwas anderes bedeutet, – muß da etwas besonderes beim Hören des Satzes vorgehen, damit du ihn verstehst? Werden hier nicht alle Erlebnisse des Verstehens vom Gebrauch, von der Praxis des Sprachspiels zugedeckt? Und das heißt nur: Solche Erlebnisse interessieren uns hier garnicht.« (BPP I, § 184) Daher sei auch nur auf einige Stellen verwiesen, welche die Frage bestimmter Ausdrücke und der irreführenden Auffassung ihrer Bezeichnung eines inneren Vorganges betreffen. Zum Begriff des Verstehens siehe PG, S. 82–87 u. 106, Zettel, §§ 445 ff., des Erinnerns PU, § 154, §§ 305, 306, des Denkens Philosophische Betrachtung, S. 152, PG., S. 160 u. insbesondere BB, S. 6, da sich auch hier Bemerkungen in Zusammenhang mit physiologischen Prozessen finden, Zettel 123 ff., BPP I, § 580, des Meinens PU, §§ 664, 692 ff., Zettel, §§ 16, 20, 123 ff., des Kopfrechnens PU, § 366, des Lesens PU, § 156, §§ 165–178, Philosophische Betrachtung, §§ 78–87, PG, S. 99 f., der Absicht BPP II, § 178, §§ 242 ff. usw.
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Es kann nie essentiell für unsere Betrachtungen sein, daß ein symbolisches Phänomen in der Seele sich abspielt und nicht auf dem Papier, für Andere sichtbar. Immer wieder ist man in Versuchung, einen symbolischen Vorgang durch einen besonderen psychologischen Vorgang erklären zu wollen; als ob die Psyche »in dieser Sache viel mehr tun könnte«, als die Zeichen.76
Daher spricht Wittgenstein auch an zahlreichen Stellen davon, dass uns solche seelischen Erlebnisse im Rahmen seiner Untersuchungsmethoden und Vorgehensweisen nicht zu interessieren haben.77 Diese Position steht natürlich den Vertretern des logischen Behaviourismus sehr nahe, welche sich ebenfalls der Frage des Status solcher mentalen Phänomene enthalten und sich ganz auf den Aspekt der Übersetzbarkeit mentaler Begriffe in solche des Verhaltens (Verhaltensdispositionen) beschränken. Jedoch lassen sich auch im Kontext dieser Richtung Argumente anführen, die eine klare Abgrenzung Wittgensteins ermöglichen und denen wir uns im späteren Verlauf dieses Abschnittes noch widmen sollten. Bevor im Rahmen des metaphysischen Kontextes die bereits angeführten Bemerkungen des berühmten Käferbeispiels etwas genauer in ihrem Zusammenhang betrachtet werden, sei noch kurz ein weiterer Punkt angesprochen, der ebenfalls eine behaviouristische Auslegung ermöglichen könnte.78 Dieser Aspekt steht in sehr engem Zusammenhang mit dem Begriff der Gleichheit und Identität insbesondere bei Erlebnisinhalten. Zunächst, so bemerkt Wittgenstein in den von Smythies stammenden Vorlesungsmitschriften, ist die Frage nach der Gleichheit von Erfahrungen bestimmt durch den Vergleich von Verhalten verbaler und nonverbaler Art. Damit verbunden ist die Frage, inwieweit man beispielsweise sinnvoll von gleichen Schmerzen oder Vorstellungen sprechen kann:
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PG, S. 99. In sehr pointierter Form heißt es an einer Stelle: »„Was ist daran überhaupt Interessantes, was ,in ihm‘, in seinem Geiste, vorgeht – angenommen, daß etwas vorgeht?“ (Hol’s der Teufel, was in ihm vorgeht!)« (BPP I, § 579) Da die folgenden Bemerkungen natürlich in Zusammenhang mit der logischen Verbindung zwischen mentalen Begriffen und Verhalten stehen, ließen sie sich auch im Zusammenhang des logischen Behaviourismus anführen.
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Eine behaviouristische Fehlinterpretation
You all agreed we know what is meant by saying »He feels the same as I«, but this doesn’t mean it is any explanation to say that, when he feels so and so he feels the same as I. The explanation couples the word »equals« with the word »feeling«. You might say »If he has toothache and another has toothache, we say he and the other have the same feeling«. Or »If I have pain and he has the same, then he has pain«. Or »If this is red and that is the same, then that is red«. Partly, this idea is derived from the idea that we have one absolute paradigm of identity, and this is the identity of a thing with itself. I would say »Well, this explanation may either work or not work«. I could imagine a case where we would say, in order to explain what is meant by »He has the same amount of money«, »Well, this is the same as this«, holding a coin in my hand. Although this may be as misleading as hell. On the other hand, what I have said is, of course, the reason for holding such views as behaviourism; not that this is a good reason for it. Because, of course, the comparison of experiences is achieved by a comparison of behaviour. Without the comparison of behaviour there is nothing like what we call a comparison of experiences at all. This, by the way, does not contradict the fact that we can surmise an experience when the man doesn’t show it. It has nothing to do with this. The point is that we have to have some technique of using »the same experience«.79
An diesen Stellen zeigt sich deutlich, dass es Kontexte gibt, in denen sich die Frage, was es heißt, dieselben Schmerzen zu haben – etwa bedingt durch mögliche Zweifel – überhaupt nicht stellt.80 Damit verbunden ist natürlich die Annahme, dass sich ein solches Verständnis keineswegs aus einem Vergleich von Erlebnissen ableitet.81 Anderer79
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Diese Bemerkungen stammen aus der achten Vorlesung: Lecture H über Categories and Objects. The peculiar way in which we sometimes explain the meaning of a word by means of equality. The other day I had a conversation with one of you and there the phrase was constantly used »Do you understand what you mean by saying a person has a certain experience?« and you say »Yes, I certainly understand because I mean he has the same experience I have.« As though there had to be any doubt as to whether he had the same thing or something else. There may be specific cases in which we say: »If I say ‘He has so and so’ I mean what I mean when I say ‘I have so and so’.« Cases in which there is doubt. But such cases aren’t very frequent. (Ebd.) I’d say »Certainly in special cases, there is no doubt what it means to say I have the same pain as him«. You would, again and again, find yourself thinking of the means of comparison as something secondary. (Ebd.)
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seits jedoch, und das scheint im Rahmen des metaphysischen Kontextes der interessante Fall zu sein, leistet der Begriff der Gleichheit nichts zur Erklärung eines Satzes der Art »Er hat Schmerzen«, etwa durch Ausdrücke wie »Wenn er Schmerzen hat, hat er dasselbe wie ich, wenn ich Schmerzen habe.« Und das aus einem ganz offensichtlichen Grund, den Wittgenstein sehr anschaulich mit diversen Beispielen verdeutlicht. In § 350 der PU beschreibt er die irrtümliche Annahme, dass jemand, der den Satz »Es ist hier 5 Uhr« versteht, auch die Aussage »Es ist 5 Uhr auf der Sonne« erfasst und zwar mittels der Erklärung durch Gleichheit »[...] Es heißt eben, es sei dort ebensoviel Uhr, wie hier, wenn es hier 5 Uhr ist.« Aber offensichtlich kann der Sinn von Aussagen über Uhrzeiten auf der Sonne nicht durch den Begriff der Gleichheit erklärt werden, da dieser ja bereits ein Verständnis solcher temporären Bestimmungen voraussetzt, wenn es etwa auf der Sonne und in Graz 5 Uhr ist, dann liegt Zeitgleichheit vor. Allerdings liefert unsere Zeitmessung gerade durch ihren Bezug auf den Sonnenstand keine Methode einer dortigen Zeitbestimmung. Das heißt natürlich nicht, dass wir einem solchen Satz nicht Sinn verleihen könnten,82 sondern lediglich, dass wir ihre behauptete Sinnhaftigkeit nicht erklären können mittels des Begriffs der Gleichheit. Analoges gilt für den Fall der Schmerzzuschreibungen dritter Personen, denn solche können ebenfalls nicht durch eine Gleichheitsbehauptung als sinnvoll erachtet werden. »Denn dieser Teil der Grammatik ist mir wohl klar: daß man nämlich sagen werde, der Ofen habe das gleiche Erlebnis wie ich, wenn man sagt: er habe Schmerzen und ich habe Schmerzen.«83 Solche Fälle dienen also überhaupt nur der Bestim82
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How does one measure a time? It is like saying »It is five-o’-clock in the sun«. In a fairy tale: »When it was five-o’-clock in the sun they had tea«. Should we say »It is impossible to understand what is said in the poem?«. (Ebd.) PU, § 350. Zur genaueren Analyse dieses Argumentes vgl. auch Hacker: Meaning and Mind, S. 372 ff. Hacker verweist auf MS XII, S. 141, der ersten Fassung des Paragraphen. Sie enthält allerdings die Zusatzbemerkung »Wie appliziere ich diese meine Erfahrung auf den Fall des Andern?« Diese, obgleich im Rahmen der PU verworfene Frage, findet sich genauer bestimmt in § 302, in welchem es heißt: »Wenn man sich den Schmerz des Andern nach dem Vorbild des eigenen vorstellen muß, dann ist das keine so leichte Sache: da ich mir nach den Schmerzen, die ich fühle, Schmerzen vorstellen soll, die ich nicht fühle. Ich habe nämlich in der Vorstellung nicht einfach einen Übergang von einem Ort des Schmerzes zu einem andern zu machen. [...] Denn ich soll mir nicht vorstellen, daß ich an einer Stelle seines Körpers Schmerz empfinde. (Was auch möglich wäre.)« Diese Bemerkung
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mung des Ausdrucks »Gleichheit«, setzen also bereits die Sinnhaftigkeit der beiden Subjunktionsglieder voraus. In diesem Zusammenhang stellt Wittgenstein an anderer Stelle die Frage, wie man jemanden lehrt, leise für sich selbst zu lesen oder zu reden. Das heißt, was wäre etwa ein denkbares Kriterium zur Bestimmung der Gleichheit von Vorgängen, wenn zwei Personen sich im inneren das ABC vorsagen84. Ganz im Sinne Watsons85 wäre der Vergleich von Kehlkopfbewegungen denkbar. Allerdings ist es offensichtlich, dass wir die Verwendung solcher Ausdrücke wie jenen des »Im Stillen vor sich hersagen« gerade nicht durch Verweise auf den Kehlkopf oder bestimmte Hirnprozesse erlernen. Und natürlich scheint es auch denkbar, dass bestimmten Vorstellungen verschiedener Personen unterschiedliche physiologische Vorgänge entsprechen bzw., dass überhaupt keine solchen Beziehungen bestehen. Diesen Aspekt diskutiert Wittgenstein an einer Stelle der BPP86, an der uns auch wieder das aus der Kausalitätsdiskussion im Rahmen notwendiger Sätze bekannte Samenbeispiel begegnet. Thema dieser Paragraphen bildet die Frage der Korrelation psychischer Vorgänge mit physiologischen Prozessen, das heißt mit bestimmten Systemzuordnungen neuronaler Impulse etwa im Fall des Redens, Schreibens oder Denkens. Der Verweis auf das Samenbeispiel87 zeigt hierbei offensichtlich, dass die Relation der psycho-physischen Bereiche kausal zu bestimmen ist.88 Allerdings, so Wittgenstein, ist es durchaus denkbar, dass
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steht natürlich in Zusammenhang mit dem sogenannten Analogieschlussverfahren, welches uns an späterer Stelle nochmals begegnen wird. Vgl. ebd., § 376. »I should throw out imagery altogether and attempt to show that all natural thought goes on in terms of sensory-motor processes in the larynx.« Watson, John B.: »Image and Affection in Behaviour«, in: Journal of Philosophy, Psychology and scientific Methods 10 (1913), zit. nach Hacker: Meaning and Mind, S. 444. BPP I, §§ 903–906. Siehe auch Zettel, §§ 608–611. »Der Fall wäre ähnlich dem – daß sich gewisse Pflanzenarten durch Samen vermehrten, so daß ein Same immer dieselbe Pflanzenart erzeugt, von der er erzeugt wurde – daß aber nichts in dem Samen der Pflanze, die aus ihm wird, entspricht; so daß es unmöglich ist, aus den Eigenschaften, oder der Struktur des Samens, auf die der Pflanze, die aus ihm wird, zu schließen, – daß man dies nur aus seiner Geschichte tun kann.« (BPP I, § 903) Im Rahmen seiner Erörterungen zur »Central State Theory« bemerkt etwa Armstrong bezüglich der Analyse mentaler Begriffe: »Indeed it is startling to observe that Wittgenstein’s dictum “an ‘inner process’ stands in need of outward criteria”
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fehlende physiologische Entsprechungen sogar die Möglichkeit von Untersuchungen psychologischer Erscheinungen verbieten. Das hängt natürlich mit der Auffassung des Kausalitätsbegriffs selbst zusammen, der hier nur eine weitere Anwendung findet.89 Daraus folgt jedoch nicht die Annahme eines psycho-physischen Parallelismus, denn: »Das Vorurteil für den psycho-physischen Parallelismus ist auch eine Frucht der primitiven Auffassung der Grammatik. Denn, wenn man Kausalität zwischen psychologischen Erscheinungen zuläßt, die nicht physiologisch vermittelt ist, so meint man damit ein Zugestehen, es existiere eine Seele neben dem Körper, ein geisterhaftes Seelenwesen.«90 Es scheint also offensichtlich, dass Wittgenstein sämtliche der hier diskutierten metaphysischen Konzepte als irreführend auffasst, da sie, entgegen der in ihr eigentlich formulierten sprachlichen Verwendungsregeln, Anspruch auf Aussagen über die Natur der Dinge erheben. Nun zeigt allerdings die Frage nach der Gleichheit zweier Erlebnisse, Vorstellungen etc. auch ihre enge Verbindung mit der Annahme privater Gegenstände als Klassifizierungstypus solcher mentalen Phänomene. Das heißt, der Begriff der Gleichheit leitet nicht nur hinsichtlich seines Erklärungsanspruchs dahingehend fehl, die jeweiligen Relationsobjekte bereits als gegeben bzw. genauer gesagt, die sie enthaltenden sprachlichen Ausdrücke als sinnvoll voraussetzen zu müssen. Vielmehr kann die Sinnhaftigkeit selbst nicht kriterial bestimmt werden. Denn im Fall von Vorstellungen dritter Personen liefert zwar ihr verbales und nonverbales Verhalten das Kriterium zur Bestimmung des Vorliegens dieser Phänomene, nicht aber bei Vorstellungen der eigenen Person. Dieser Punkt wird ganz analog durch das Zeitmes-
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might be the slogan of a Causal analysis of mental concepts. Mental processes have a nature of their own, although this nature is not directly given to us. Yet, qua mental processes they ‘stand in need of outward criteria’ [...].« Armstrong, ebd., S. 92. Die Frage nach der Berechtigung einer solchen Auslegung erscheint nach den bisher geführten Erörterungen hinfällig. »Warum soll es keine psychologische Gesetzmäßigkeit geben, der keine physiologische entspricht? Wenn das unsere Begriffe von der Kausalität umstößt, Dann ist es Zeit, daß sie umgestoßen werden.« (BPP I., § 905) Bereits zur Zeit des Tractatus war Wittgenstein der Überzeugung, die Annahme eines Kausalnexus sei verfehlt. (Vgl. Tagebucheintragung vom 15. 10. 1916 und TLP 5.136 f.) Zum Verhältnis von Gedanken und physiologischen Vorgängen siehe auch die interessanten Bemerkungen in BB, S. 6 ff. BPP I, § 906.
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sungsbeispiel auf der Sonne verdeutlicht. Die Identifizierung von Schmerzempfindungen der eigenen Person erfolgt nicht durch Beobachtung des eigenen Verhaltens oder entsprechende Ich-Aussagen, ein weiteres Argument, welches eindeutig gegen eine behaviouristische Interpretation der Wittgenstein’schen Auseinandersetzung im Zusammenhang mit mentalen Phänomenen spricht. »Was ist das Kriterium der Gleichheit zweier Vorstellungen? – Was ist das Kriterium der Röte einer Vorstellung? Für mich, wenn der Andre sie hat: was er sagt und tut. Für mich, wenn ich sie habe: garnichts. Und was für ,rot‘ gilt, gilt auch für ,gleich‘.«91 Natürlich zeigen diese Untersuchungen, inwieweit sich der Begriff der Gleichheit überhaupt auf mentale Phänomene anwenden lässt. Wie wir bereits gesehen haben, sind bei qualitativen Übereinstimmungen entsprechend gegebener Kriterien, Vergleichsaussagen insofern möglich, als dass von zwei Erlebnissen, Zuständen etc. die gleiche Zuschreibung wahr und das heißt a forteriori sinnvoll prädiziert werden kann. Die schwerpunktmäßig im Rahmen der Privatsprachenauseinandersetzung entwickelten Argumente Wittgensteins setzen sich im Kontext der möglichen Anwendbarkeit des Augustinischen Sprachbildes auf innere Vorgänge und Zustände – im Sinne einer streng referientellen Semantik mittels ostensiver Definition – mit der Idee privater Gegenstände auseinander und legen die Problematik einer solchen Auffassung in diesem Zusammenhang offen. Das in PU § 293 entwickelte Käferbeispiel zeigt nun allerdings, dass sich selbst unter Annahme solcher mentalen Objekte diese »Gegenstände« nach dem Muster referierender Ausdrücke als irrelevant erweisen. Vielleicht sollten wir im Folgenden den Verlauf dieses Argumentes noch etwas genauer betrachten, da er sich auch als geeigneter Übergang zur Variante des logischen Behaviourismus anbietet und zudem Möglichkeiten weiterer Fehlinterpretationen illustriert.92 Daher erscheint es zunächst zweck91 92
PU, § 377. So argumentiert etwa Armstrong an einer Stelle, dass die Annahme einer logisch notwendigen Beziehung zwischen inneren Zuständen und äußeren Kriterien, Armstrong bezieht sich hier wiederum auf § 580 der PU, entweder die Auffassung distinkt existierender Relata, oder ihre Gleichsetzung bedingt, das heißt, in jedem Fall eine behaviouristische Auffassung. Dem Argument, dass Wittgenstein (und Armstrong argumentiert analog für Ryle) sich explizit gegen eine solche Position richtete, versucht er dadurch zu begegnen, dass Wittgenstein jene Auffassung mit der Leugnung des Mentalen assoziierte. »Since they [Wittgenstein und Ryle] did
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dienlich, nochmals einige kurze, ganz allgemeine Bemerkungen zum Begriff des logischen Behaviourismus anzuführen. Die folgenden Punkte ließen sich für den hier relevanten Zusammenhang im Grunde auch im Rahmen der klassischen Variante und entsprechenden Ausdrucksformen diskutieren. Das heißt lediglich, dass die Argumente sich gegen eine behaviouristische Auffassung wenden, die sowohl Elemente der methodologischen bzw. radikalen Form, beispielsweise beobachtbares Verhalten im Fall der ersten Person, als auch der logischen Version, etwa Selbst- und Fremdzuschreibungen psychischer Begriffe enthalten. So findet sich bei Carnap die folgende paradigmatische Formulierung des logischen Behaviourismus: Es soll [...] die These erläutert werden, daß jeder Satz der Psychologie in physikalischer Sprache formuliert werden kann; (in inhaltlicher Redeweise:) daß alle Sätze der Psychologie von physikalischen Vorgängen sprechen, nämlich von dem physischen Verhalten von Menschen und anderen Tieren. Dies ist eine Teilthese der allgemeinen These des Physikalismus, daß die physikalische Sprache eine Universalsprache ist, d.h. eine Sprache, in die jeder Satz übersetzt werden kann.93
An späterer Stelle heißt es weiter: »[...] die hier vertretene Auffassung stimmt mit der Richtung der Psychologie, die als ,Behaviourismus‘ oder ,Verhaltenspsychologie‘ bezeichnet wird, in den Hauptzügen überein, wenn wir auf die erkenntnistheoretische Grundthese dieser Richtung achten und absehen von ihrer speziellen Methode und von ihren empirischen Ergebnissen.«94 In den zusammenfassenden Schlussbemerkungen betont Carnap schließlich den Gedanken einer Universalwissenschaft, welchen er bereits in Zusammenhang mit einem entsprechenden Sprachsystem ein Jahr zuvor in Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft95 entwickelte, mit den
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not want to deny the existence of minds, but simply wanted to give an account of the mind in terms of behaviour, they denied that they were Behaviourists.« (Armstrong, ebd., S. 55) Carnap: »Psychologie in physikalischer Sprache«, S. 107. [Kursive Hervorhebung R. C.] Ebd., S. 124. Carnap Rudolf: Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft, in: Rudolf Carnap u. Hans Reichenbach (Hg.): Erkenntnis, Band 2 (1931), S. 432–465.
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Worten: »Und zwar bezieht jeder psychologische Satz sich auf physikalische Vorgänge am Leib der betreffenden Person(en). Daher ist die Psychologie ein Teilgebiet der Einheitswissenschaft auf physikalischer Basis.«96 Verstehen wir hier Physik nicht im gängigen Sinne als das System physikalischer Gesetzmäßigkeiten sondern vielmehr als eine Wissenschaft, charakterisiert durch eine Art von Begriffsbestimmungen, welche sich sämtlich zurückführen lassen auf Zustandskoordinaten, das heißt, auf systematische numerische Zuschreibungen von Raum-Zeit-Stellen, dann lässt sich Carnaps These als Teilthese des Physikalismus umschreiben mit: »Die Psychologie ist ein Zweig der Physik.«97 Für Wittgenstein hing der Sinnbegriff nach Wiederaufnahme seiner philosophischen Tätigkeit im Jahr 1929 nun in differenzierter Weise mit dem des Verstehens zusammen. In TLP 4.024 findet sich noch ein solches »Sinnkriterium« in Verbindung mit dem Wahrheitsbegriff. Das Satzverständnis steht dabei in interner Beziehung zu ihm, das heißt, einen Satz verstehen, heißt den Sachverhalt zu kennen, welcher ihn als wahr auszeichnet, ohne die notwendige Kenntnis seiner tatsächlichen Wahrheit.98 Die uns nun vertrauten Bemerkungen zum Verstehensbegriff in Zusammenhang mit dem Problem mentaler Vorgänge haben allerdings gezeigt, dass er nicht mehr nur in dieser Beziehung zur Wahrheitsfrage steht. Das wird insbesondere in den Fällen deutlich, in welchen Wittgenstein vom Verstehen von Gedichten oder Märchen spricht, welches sich offenbar abgrenzt von einem Verständnis im wissenschaftlichen Sinn, was etwa das Beispiel der Zeitmessung anschaulich verdeutlicht.99 Dadurch erhält natürlich auch die 96 97 98
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Carnap: »Psychologie in physikalischer Sprache«, S. 142. Ebd. [Kursive Hervorhebung R. C.] Auch in den PB heißt es noch. »Den Sinn eines Satzes verstehen, heißt, wissen wie die Entscheidung herbeizuführen ist, ob er wahr oder falsch ist.« (Ebd., S. 77) »When it was five-o’-clock in the sun they had tea« Should we say »It is impossible to understand what is said in the poem?« On the other hand if we took it to be a scientific statement would it be relevant to know how things are compared? You might make some such remark as »Oh these poets they don’t bother their heads« if you say this. Has Milton overlooked anything? Could this, as it were, be improved upon? Mr. Lewy said: »Well, in a scientific work I wouldn’t understand it, in a poem I would«. Und etwas später: Understanding as something like understanding a poem. If I understand a poem and you quote it wrongly, it gives me the
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Frage der Verifikation ein anderes Gewicht. Und bereits hierin zeigt sich eine sehr differenzierte Auffassung zur Position des logischen Behaviourismus. Mit Verweis auf die Paragraphen 293 und 580100 betont auch Geach die dadurch initiierten Fehlinterpretationen der Wittgenstein’schen Auffassung über private Gegenstände. Natürlich, so Geach, verneinte Wittgenstein weder die offensichtliche Wahrheit des Bestehens eines privaten mentalen Bereiches, noch versuchte er, diese mittels neo-behaviouristischer Argumente weg zu analysieren.101 In dem Zusammenhang verweist Geach auf eine Vorlesungsbemerkung bezüglich Lytton Strachey’s Phantasiebeschreibungen von Queen Victorias gedanklichen Auseinandersetzungen mit dem Tode102: »He [Wittgenstein] expressly repudiated the view that such a description is meaningless because ‘unverifiable’; it has meaning, he said, but only through its connexion with a wider, public ‘language game’ of describing people’s thougths; [...]«103 Dieser Gedankenansatz des Verstehens einerseits und der Wahrheitswertbesetzung andererseits erinnert natürlich sehr stark an Freges Konzeption von Sinn und Bedeutung.104 Entscheidend ist hier, dass Wittgenstein eben nicht eine denkbare
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creeps. [...] The same thing happens with a tune. »Thank the Lord this bar is that way and not the other way«. I don’t understand a line of Milton. I haven’t the faintest idea why Milton wrote in one way and not in another way. Sometimes it might be the criterion of understanding that you have a vivid picture before you. (Categories and Objects, Lecture H) »Ein ,innerer Vorgang‘ bedarf äußerer Kriterien.« In seiner diesjährigen Kirchbergpublikation verwies Masahiro Oku darauf, dass Wittgenstein in TS 228 und TS 230 auch »outward criteria« in Anführungszeichen setzte, die wir allerdings in den PU nicht mehr finden. Vgl. Oku, Masahiro: »Some Remarks on the Publishing and Editing of Zettel«, in: Erfahrung und Analyse. Beiträge der Österreichischen Ludwig Wittgenstein Gesellschaft Volume XII, Kirchberg am Wechsel 2004, S. 265. Vgl. Geach, Peter: Mental Acts. Their Content and Their Objects, London 51971, S. 3 f. Wittgenstein bezieht sich hier wohl auf Stracheys Queen Victoria aus dem Jahr 1921. Vgl. hierzu Wittgenstein, Ludwig: Lectures on Philosophical Psychology 1946–47, hrsg. von Peter Geach, Hemstead 1988, S. 32, 99, 229 u. 274. Geach: Mental Acts, S. 4. Vgl. Frege, Gottlob: »Über Sinn und Bedeutung«, in: Frege, Gottlob: Funktion, Begriff, Bedeutung, Göttingen 71994, S. 40–65. Frege wählt zur Illustration dieser Unterscheidung den Satz »Odysseus wurde tief schlafend in Ithaka ans Land gesetzt.« (Ebd., S. 47)
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private Referenz psychologischer Ausdrücke bestritt, so dass diese eine Art von Erfahrung bezeichnen, die sich als »privat« charakterisieren ließe, sondern vielmehr die Möglichkeit, solchen Sprachzeichen einen privaten Sinn zu verleihen, etwa mittels privater ostensiver Definition. Insofern erweist sich die Annahme privater Gegenstände als irrelevant. Paraphrasiert findet sich die Käfermetapher in den Paragraphen 271 und 272 der PU, welche die Fehlreferenzen als nicht zum Sprachspiel gehörig und in diesem Sinne irrelevant bezeichnen. Die Bemerkungen gehen dabei von einem Fall aus, in dem eine Person trotz permanenter Erinnerungsirrtümer bezüglich der Semantik des Wortes »Schmerz« und dadurch bedingter, stets falscher Bezeichnungsweisen, diesen Sprachausdruck dennoch – in Übereinstimmung mit einer Sprachgemeinschaft – bei gewöhnlichen Schmerzanzeichen und -voraussetzungen gebraucht: Hier möchte ich sagen: das Rad gehört nicht zur Maschine, das man drehen kann, ohne daß Anderes sich mitbewegt. Das Wesentliche am privaten Erlebnis ist eigentlich nicht, daß Jeder sein eigenes Exemplar besitzt, sondern, daß keiner weiß, ob der Andere auch dies hat, oder etwas anderes. Es wäre also die Annahme möglich – obwohl nicht verifizierbar – ein Teil der Menschheit habe eine Rotempfindung, ein anderer Teil eine andere.105
In der uns bereits bekannten Stelle im zweiten Teil der PU heißt es dann: »Eliminiere dir immer das private Objekt, indem du annimmst: es ändere sich fortwährend; du merkst es aber nicht, weil dich dein Gedächtnis fortwährend täuscht.«106 Die in PU § 271 angedeutete Entsprechung findet sich wieder in § 293, der ebenfalls die Situation eines Wortgebrauchs im Rahmen ständiger Variationen des Bezugsobjektes beschreibt. Ist eine solche einheitliche Verwendungsweise gegeben, die nicht durch innere hinweisende Definitionen oder bestimmte Assoziationsformen zwischen Bezeichnung und Bezeichnetem107 konstruiert ist, dann erweist sich das »Wie« und im Extremfall sogar das »Dass« der Empfindungsgegenstände als hinfällig.
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PU, §§ 271, 272. PU ii, S. 542. Vgl. z.B. PU, § 256.
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In methodologischer Hinsicht zeigt die Argumentationsstruktur, dass es an diesen Stellen nicht um die Widerlegung jener Konzeption geht, sondern vielmehr um ihre Identifizierung als unsinnig, ein Aspekt, der bereits durch die Verwendung des logischen Könnens in PU § 243 verbürgt ist. Insofern erweisen sich auch Argumente empirischer Natur hier nicht als dienlich, da die Absurdität privater Sinnstiftung und nicht ihre Falschheit gezeigt werden soll. Das lässt sich vor allem an den Argumenten des Komplementärfarbensehers und der Wirkungslosigkeit des Analogieschlussverfahrens zeigen. Die beiden Aussagen, dass entweder auch andere Personen als die erste Person Schmerzen empfinden, oder aber, dass jene sich »nur« so benehmen wie diese, müssen, wie bereits erwähnt, sinngleich sein, wenn sämtliche mögliche Erfahrung, sowohl die eine als auch die andere bestätigt, das heißt, keine empirische Entscheidung für die Gültigkeit einer der beiden Wortausdrücke denkbar ist.108 Zwar spricht Wittgenstein zu dieser Zeit 1929/30 noch von einem hypothetischen Charakter solcher Äußerungen, was allerdings mit seiner damaligen Auffassung von Sätzen der ersten Person über unmittelbare Erfahrung zusammenhing. Wie wir bereits gesehen haben, waren diese in Abgrenzung zu Sätzen hypothetischer Natur als primär bestimmt. In solchen Fällen von Schmerzzuschreibungen dritter Personen galten dabei Verhaltensweisen als Symptome eines möglichen psychischen Erlebnisses. Das Phänomen in Zusammenhang von Sätzen der ersten Person über unmittelbare Erfahrungen hingegen war selbst nicht als symptomatisch bestimmt, sondern vielmehr als verifizierendes Moment solcher Äußerungen selbst.109 Das heißt, im Rahmen der Bestimmung von Fremdzuschreibungen ließe sich wohl eine behaviouristische Auffassung rekonstruieren, allerdings zeigt bereits die asymmetrische Struktur zu entsprechenden Ich-Aussagen eine klare Abgrenzung, da für Vertreter jener Position eine völlige Gleichbehandlung von Sätzen der ersten Person und Aussagen über andere Personen erfolgt. Diese strukturelle Differenziertheit wird als erstes von zwei Argumenten gegen eine logisch-behaviouristische Auslegung Wittgensteins an 108 109
Vgl. PB, S. 94 f. So heißt es etwa an einer Stelle: »Das Phänomen ist nicht Symptom für etwas anderes, sondern ist die Realität. Das Phänomen ist nicht Symptom für etwas anderes, was den Satz erst wahr oder falsch macht, sondern ist selbst das, was ihn verifiziert.« (Ebd., S. 283)
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späterer Stelle nochmals aufgegriffen. Es sei jedoch hier der wichtige Punkt angemerkt, dass sich die strukturelle Differenziertheit nicht auf eine Bedeutungsverschiedenheit psychischer Ausdrücke, sondern auf die Rolle des Verhaltens in beiden Fällen bezieht. Denn die irreführende Diagnose einer solchen Asymmetrie im Rahmen eines psychophysischen Parallelismus bildete ja gerade die Grundlage einer behaviouristischen Alternativposition. Das heißt, durch die Behauptung einer Bedeutungsgleichheit in der Anwendung psychologischer Begriffe auf die erste Person und andere Personen, befinden wir uns ja gerade innerhalb ein und desselben und hier, eines empirischen Sprachzusammenhangs. Und in diesem bestehen natürlich logische Relationen zwischen mentalen Begriffen und Verhaltensweisen. Semantische Abweichungen im Rahmen etwa eines solipsistischen Kontexts bedürfen hingegen entsprechend alternativer Regelsysteme. Des weiteren verwarf Wittgenstein die Idee primärer Sätze und ihrer Relation zu Hypothesen binnen kurzer Zeit wieder. Im Zuge dieser Abkehr erfuhr auch die Funktion von Symptomen in Zusammenhang mit Verhaltensweisen nicht mehr dieselbe Rolle. Verbale und nonverbale Äußerungen galten nun vielmehr als Kriterien des Vorliegens innerer Empfindungen bzw. des richtigen Verständnisses der sie bezeichnenden Ausdrücke. Im Gegensatz zum empirischen Charakter symptomatischer Bestimmungen standen nun die kriterialen Determinanten in logischer Relation zu den entsprechenden Wortverwendungen und waren so der Seite des regulativen Sprachgebrauchs zuzuschreiben. In diesem Sinn besagt § 580 der PU, dass »innere Vorgänge« äußerer Kriterien bedürfen, eine Bestimmung, wohlgemerkt, zur Grammatik dieses Begriffs. 110 Natürlich ließe sich dadurch 110
Zur genaueren Bestimmung von Symptom und Kriterium und damit verbundenen Problemen sei hier nur verwiesen auf Hacker: Meaning and Mind, S. 545–568 u. Fodor, Chiara: Operationalism, S. 39–62. Dass natürlich ganz analog den Regeln und empirischen Sätzen eine grammatische Schwankung zwischen den Begriffen des Symptoms und Kriteriums besteht, sei hier auch erwähnt. Explizit findet sich dieser Gedanke in Zettel § 438, dort heißt es: »Es ist nichts gewöhnlicher als daß die Bedeutung eines Ausdrucks in der Weise schwankt, daß ein Phänomen bald als Symptom, bald als Kriterium eines Sachverhalts angesehen wird. Und meistens wird dann in einem solchen Fall der Wechsel der Bedeutung nicht gemerkt. [...]. Eine Unmenge von Verwirrungen ist auf diese Weise entstanden.« Und einige Paragraphen weiter finden sich einige, insbesondere für den hier relevanten Bereich innerer Vorgänge, aufschlussreiche Bemerkungen: »Die Behandlung aller
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nun auch wieder eine logisch-behaviouristische Auslegung rechtfertigen. Zunächst soll uns jedoch an dieser Stelle nur die Frage der Verwendung von Erlebnisausdrücken und ihr möglicher funktionaler Zusammenhang mit den durch sie bezeichneten Phänomenen interessieren.
3.3 Ausdruck und Rechtfertigung Wittgensteins Auseinandersetzung mit der Funktion innerer Erlebnisse in ihrer Relation zu ihnen entsprechenden Ausdrücken steht, wie bereits an zahlreichen Stellen betont, in ganz zentraler Weise in Verbindung mit der Frage der Rechtfertigung dieser sprachlichen Verwendungen. Denn darin liegt offensichtlich die irreführende Rolle der durch ihre Je-meinigkeit gekennzeichneten mentalen Vorgänge. Zwar kann ich im Rahmen der hier durchgeführten Untersuchungen nicht genauer auf diese für die Wittgenstein’sche Auseinandersetzung mit der Philosophie der Psychologie fundamentale Problematik eingehen, zur Stützung der These sollen im Folgenden aber zumindest einige Stellen aus den bislang unveröffentlichten Vorlesungsmitschriften von Smythies dienen. Die wohl in diesem Zusammenhang pointierteste Stelle findet sich in der fünften Vorlesung aus der Reihe Lectures on Descriptions. Dort heißt es:
dieser Erscheinungen des Seelenlebens ist mir nicht darum wichtig, weil es mir auf Vollständigkeit ankommt. Sondern, weil jede für mich auf die richtige Behandlung aller ein Licht wirft: Und nicht um Symptome handelt es sich hier, sondern um logische Kriterien. Daß diese nicht immer scharf getrennt sind, hindert nicht, daß sie getrennt sind. Unsere Untersuchung trachtet nicht, die eigentliche, exakte Bedeutung der Wörter zu finden; wohl aber geben wir den Wörtern im Verlauf unsrer Untersuchung oft exakte Bedeutungen.« (Ebd., §§ 465–467) Dieser Gedanke der Bedeutungsstiftung findet sich ganz entsprechend auch in den BB (vgl., S. 27 f.). Insbesondere steht die Idee der semantischen Festlegungen in völligem Einklang mit dem hier vorgeschlagenen zweiten Lösungsansatz zum Problem der Mehrdeutigkeit durch die Implementierung alternativer Regeln bzw. Sprachsysteme. Zu Kriterium und Symptom vgl. auch PU, § 354 und BB, S. 24 f. Zur Rolle von Symptomen in logisch-behaviouristischem Kontext vgl. vor allem Hempel, Carl G.: »The Logical Analysis of Psychology«, in: Herbert Feigl und Wilfrid Sellars [Hg.]: Readings in Philosophical Analysis, New York 1949, S. 379 f. Dieser Aufsatz bietet insgesamt sehr hilfreiche Aufschlüsse zum Verständnis jener philosophischen Ausrichtung.
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Eine behaviouristische Fehlinterpretation
We distinguish the grammar of »He has pain« and »He behaves in such and such a way«. We make the distinction but a primitive distinction. A distinction is there but not the one we think there is. There is the distinction of the expression »I have pain« never being replaceable by a behaviouristic expression. This shows the different grammar but not one we’d expected. We’d expected to say »It doesn’t mean this it means that«. If we say these mean different things we are making a mistake. We are looking for the distinction in the wrong place. To say »He holds his cheek and moans« doesn’t mean the same as »He is in pain«. That the distinction is so different from what we thought, is what makes it so difficult to get hold of it. Nevertheless, it is entirely correct to say in the description of a language game, the mention of an experience as the justification of what he says does not enter. What I meant to show you is that this is not behaviourism although it sounds like it. It is not behaviourism if one says that in the description of a language game we don’t use having a certain experience as the justification for his saying something, but we only use the circumstances, and of course here you see in a way the reasons why people say such things as »experiences are private«. I might put it in this way. Nothing private enters the description of a language game. You might say that if nothing private enters this description of a language game that means there is nothing private, there are no experiences. I’d say »Not at all, it could enter it by saying ‘And then he sometimes says this’ instead of ‘whenever ...’«. I want to show you: It doesn’t mean there are no experiences if experiences don’t enter into the description of a language game.
Die grammatische Differenzierung von Aussagen wie »Er hat Schmerzen« und »Er verhält sich so und so« wird uns noch an späterer Stelle als Gegenargument zu einer logisch-behaviouristischen Auslegung begegnen. Ebenso die Idee, dass sich solche Äußerungen in der ersten Person nicht durch Wortverwendungen von Verhaltensausdrücken ersetzen lassen. Im ersten Fall spielt dabei zum einen die Frage der Einstellung gegenüber einer anderen Person durch entsprechende Reaktionen eine zentrale Rolle. So unterscheidet sich beispielsweise der Glaube, ob jemand sich in einem Schmerzzustand befindet, von einem solchen an das Vorliegen bestimmter Verhaltensweisen. Zum anderen verhindern entsprechende sprachliche Ersetzungen mögliche Differenzierungen gegenüber Fällen des Lügens oder der Bühnendarstellung: »If you said that he has a justification for saying ‘I feel toothache’, all right, so long as what you mean is that what he says is
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true.«111 Das heißt, dass er Zahnschmerzen hat, als Rechtfertigung der entsprechenden Aussage, schließt lediglich den Fall der Lüge oder Darstellung aus. »‘I have a justification’ plays the same role as »‘It is so’ or ‘It is true’. To say ‘It is so’ or ‘It is true’ doesn’t so far give us any idea of what criterion you take for the truth of the sentence, e.g., criterion for the truth of mathematical sentences.«112 Die nicht gegebene Ersetzbarkeit von Selbstzuschreibungen von Schmerzempfindungen durch entsprechende Verhaltensausdrücke ist hingegen, wie bereits erwähnt, dadurch begründet, dass sie nicht wie im Fall von Fremdzuschreibungen durch Beobachtung der eigenen Person erfolgen. Das erklärt sich wiederum dadurch, dass bei Selbstzuschreibungen überhaupt keine Rechtfertigungsinstanzen empirischer Art gegeben sind, weder Verhaltensweisen noch innere Erlebnisse oder Zustände. Natürlich steht dieser Punkt in Zusammenhang mit Wittgensteins Auffassung, dass es Verwendungsweisen von Sätzen der ersten Person gibt, bei welchen es sich nicht um Beschreibungen handelt. So ließen sich zwar Schmerzbeschreibungen durch Verhaltensbeschreibungen substituieren, nicht jedoch Schmerzäußerungen. In diesen Fällen der Verwendung handelt es sich vielmehr um die Ersetzung eines natürlichen Ausdrucks durch einen verbalen: »So sagst du also, daß das Wort ,Schmerz‘ eigentlich das Schreien bedeute?« – Im Gegenteil; der Wortausdruck des Schmerzes ersetzt das Schreien und beschreibt es nicht. [...] Das primitive Schmerzbenehmen ist ein Empfindungsbenehmen; es wird ersetzt durch einen sprachlichen Ausdruck. »Das Wort ,Schmerz‘ bezeichnet eine Empfindung« heißt so viel wie: »,Ich habe Schmerzen‘ ist eine Empfindungsäußerung.‘«113
In den Vorlesungen über die Philosophie der Psychologie aus dem akademischen Jahr 1946/47 heißt es ganz entsprechend: »I am not doing Behaviourism. ‘I have pain’ doesn’t mean ‘I cry’; it replaces 111 112 113
Lectures on Similarity, Lecture 6. Ebd., Lecture 8. PU, §§ 244 u. 313. Natürlich stehen diese Bemerkungen wiederum in Zusammenhang mit der Möglichkeit einer Privatsprache und insbesondere der Frage einer referentiellen Semantik des Personalpronomens »Ich«. In empirischen Kontexten hingegen kann ein Ausdruck wie »Ich habe Schmerzen« ohne weiteres eine informative oder deskriptive Funktion erfüllen. Vgl. hierzu auch LPE, S. 301 f. u. Malcolm: Problems, S. 86 f.
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crying or other expressions of pain.«114 Und eine weitere Entsprechung findet sich in der Lecture 5, On Description. Die Stelle wird im Folgenden wiedergegeben, zum einen, da sie genau die hier diskutierte Asymmetrie thematisiert, zum anderen da sie durch ihre Klarheit keines weiteren Kommentars bedarf: You say that you taught the child to say »hungry« when he cried or when he did so and so. You would have to describe when it said »hungry« behaviouristicly. »Whenever it cried I taught it to use ‘hungry’. Whenever he felt hungry I taught him to use ‘hungry’.« I could have said »And then on these occasions he said ‘hungry’ and ‘these occasions’ would be characterised by some material circumstances.« You might say some such thing as »If this were true we could actually eliminate all expressions of experience« and this, of course, is entirely wrong, because for the child to say »hungry« is not for it to say that there are certain circumstances, ..., etc. It’s quite true that we have eliminated the mention of experiences from language games. Now you may say »What happened to these experiences? In what way are they still there?« We have not eliminated the expression of them and we have not defined the expression by means of circumstances. Suppose I substituted crying for the use of the word »pain«. I would not then have substituted the word »pain« for the word »crying«.115 The child would not have said »I’m crying«, when it said »pain«. Suppose we simplified the matter enormously and said that someone said ‘having pain’ means ‘crying’. I would say »what do you mean the word ‘having pains’ means crying? So ‘I have pains’ means ‘I am crying’? Well that’s wrong.« Lewy said that I would substitute the description of behaviour for the description of pain. I’d say »For the description but not for the expression.« If I say ‘I have pain’ I don’t mean that I am behaving in a certain way.
Hierin zeigt sich natürlich eine klare Gegenposition zum logischen Behaviourismus, der ja gerade die Übersetzungsthese von mentalen in reine Verhaltensausdrücke vertritt, eine These, die jedoch im Zuge der Forderung nach Bedeutungsgleichheit durch die Substitution einer Verhaltensbeschreibung natürlich auch Selbstzuschreibungen psycho-
114
115
Wittgenstein’s Lectures on Philosophical Psychology 1946–47, hrsg. von Peter Geach, Hemstead 1988, S. 37. So heißt es ganz analog in den LPE: »Roughly speaking: The expression ‘I have toothache’ stands for a moan but it does not mean ‘I moan’.« (Ebd., S. 301)
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logischer Begriffe wie etwa »Ich habe Schmerzen« als deskriptiv voraussetzt. Zur weiteren Plausibilisierung der Rechtfertigungsproblematik seien noch die folgenden Vorlesungsbemerkungen angeführt: Supposing I look at the colour of these shoes and say »I now see brown«. I am very inclined to say that there is something which made me say »brown«, – just me, now – namely, that I had a peculiar impression. The idea of this justification would be roughly this: – Not a justification derived from a rule but a justification by intuition. »This impression I now have justifies me in saying ‘I see brown’«. When I said »This impression«, I could have been said to point to an impression. For whose sake am I pointing? What I said could only mean »Looking at these shoes justifies me in saying ‘I see brown’«. It seems as though I pointed privately and informed myself of the fact that this impression justified me. The words are entirely all right, but I’m inclined to do something very queer with them. »What I see justifies me«, is so used that this means »They are brown and if you look you will see for yourself«. If you say »This impression justifies me«, so it does – here, it means »This impression when I see this.« But in the former philosophical case, I am saying to myself »This impression justifies me in saying ‘brown’«. One could say it to someone else, but also to oneself. It is not at all clear in all cases what is meant by »Saying to myself«116. Under what circumstances does one say that one says something to oneself? Is it when one says something when one is alone? People assume that language games played with others can be played with oneself.117 Compare: – Giving a present to oneself from the right hand to the left118. I can cheat myself, but not in the same way that I cheat others. The mere fact that I can ask myself a question and answer it, give myself an order, tell myself a lie, the mere fact that there
116
117 118
Diese Bemerkungen erinnern uns natürlich auch an die bereits bekannten zur Frage der Bedeutung des Ausdrucks »zu sich selber sprechen«. Diese Stelle trifft genau den Kern des Privatsprachenargumentes. In den PU, § 268 heißt es ganz analog: »Warum kann meine rechte Hand nicht meiner linken Geld schenken? – Meine rechte Hand kann es in meine linke geben. Meine rechte Hand kann eine Schenkungsurkunde schreiben und meine linke eine Quittung. – Aber die weitern praktischen Folgen wären nicht die einer Schenkung. Wenn die linke Hand das Geld von der rechten genommen hat, etc., wird man fragen: ,Nun, und was weiter?‘ Und das Gleiche könnte man fragen, wenn Einer sich eine private Worterklärung gegeben hätte; ich meine, wenn er sich ein Wort vorgesagt und dabei seine Aufmerksamkeit auf eine Empfindung gerichtet hat.«
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are analogies doesn’t yet tell you what the analogy is. [...]119 »This impression suggests to me I should say ‘brown’.« There isn’t so far mentioned a language game. You would have to specify.120
Zu Beginn der sich anschließenden Vorlesung finden wir abermals in Zusammenhang möglicher gegebener Analogien des Sprechens zu anderen und zu sich selbst den Verweis auf die Schwierigkeit, dass das Bestehen solcher Analogien keineswegs auch eine entsprechende Anwendung garantiert: »Surely I can give myself information, even if I have never heard of it. I’d straight away grant it. Why? I am sure, I can.« Certainly there will be cases in which you can say this. But this is without relevance as an objection. Don’t think that because there are such cases, you can be sure that you know what the application of this phrase will be. That there are such cases, that you have to look for rather special cases, enforces what we said.
In Lecture 9 dieser Reihe schließlich greift Wittgenstein nochmals die Frage der Rechtfertigung und damit verbunden der Referenz psychologischer Verben auf: 119
120
Suppose I said »The sentence ‘I have toothache’ makes sense, therefore it makes sense whether I say it to others or to myself«. Lewy: »If I said it to myself, I wouldn’t be informing myself«. Wittgenstein: »You might say I’m reminding myself. This suggests that it is the same use as when I remind someone else, but it is an entirely different behaviour«. Suppose you constantly said to yourself such things as »Dash it all, I forgot to go to Hall. Must you go to Hall? Yes, I must«, etc. You might, alternatively be cheeky with yourself, slap yourself, etc. A behaviour crazy as hell. My right hand acting in a kindly way, my left hand being overjoyed. Lectures on Similarity, Lecture 8. An einer Stelle der BB bemerkt Wittgenstein in ganz analoger Weise: »What we are talking about is connected with that peculiar temptation to say: “I never know what the other really means by ‘brown’, or what he really sees when he (truthfully) says that he sees a brown object”. – We could propose to one who says this to use two different words instead of the one word ‘brown’; one word for his particular impression, the other word with that meaning which other people besides himself can understand as well. If he thinks about this proposal he will see that there is something wrong in his conception of the meaning, function, of the word ‘brown’ and others. He looks for a justification of his description where there is none. (Ebd., S. 72 f.)
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The point was that we are sometimes inclined to say »The peculiar impression I see justifies me in using the word ‘brown’, quite independently of what anyone else says«. Here, it seems we had a justification independent of any rule given. »If I see brown, by ‘brown’ I just mean this«. – How on earth can a word »brown« refer to an experience? If I whistle how does this refer to anything? What queer connection is this »refer to«? It sounds like »shooting at« or »pointing at«. »Pointing at« may mean several things. [...] What use do I make of pointing at my visual field? Pointing is of importance if I want to show someone something, if, e.g., I say »Look at this spot«. As a matter of fact, when we point to something people do something, react in a certain way. If they didn’t do that, pointing would be completely useless.«121
Die Verwendung des Begriffs »rule« zeigt dabei, dass Wittgensteins Problem der Rechtfertigung sprachlicher Ausdrücke eben nicht, wie wir auch schon im Rahmen der Auseinandersetzung mit Moore gesehen haben, durch empirische Tatbestände und hier insbesondere Erlebniszustände oder -vorgänge zu lösen ist, sondern vielmehr mittels Rekurs auf Sprachregulierungen. In diesem Sinn ist wohl auch die etwas eigentümlich anmutende Bemerkung: »Wie erkenne ich, daß diese Farbe Rot ist? – Eine Antwort wäre: ,Ich habe Deutsch gelernt.‘« zu verstehen. Denn: »Wir analysieren nicht ein Phänomen (z.B. das Denken), sondern einen Begriff (z.B. den des Denkens), und also die Anwendung eines Worts.«122 Allerdings, so bemerkt Wittgenstein an einer Stelle der Lectures on Knowledge: »A philosophical question (such as ‘What is the nature of thought?’«) is not about language – the whole point of it is that it is not – though talk about lan121 122
Lectures on Similarity, Lecture 9. PU, §§ 381u. 383. Natürlich haben auch diese Bemerkungen zu Missinterpretationen geführt, etwa dass Wittgenstein rein sprachimmanente Conceptual Analysis betriebe. So erlauben auch die Bemerkungen, dass es sich bei philosophischen um begriffliche Untersuchungen handelt (vgl. Zettel, § 458, BPP I, § 949) oder aber, dass sich diese nicht auf Erscheinungen richten, sondern vielmehr auf die Art der Aussagen über diese (PU, § 90) solch eine Auffassung. Allerdings betont Wittgenstein ebenfalls, dass es sich bei der Frage nach dem Gebrauch etwa des Wortes »Vorstellung« nicht nur um eine solche nach Worten, sondern auch nach dem Wesen der durch sie bezeichneten Phänomene handelt. (Vgl. ebd., § 370) Natürlich stehen diese Bemerkungen auch in Zusammenhang der Frage nach der Beziehung von Wesen und Grammatik. (Vgl. hierzu neben PU, § 371 auch Zettel, § 458, da die Bemerkung über begriffliche Untersuchungen gerade im Kontext der Relation zwischen Metaphysik und Grammatik steht.)
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guage can eliminate it. What happens when one is puzzled about thought is that one tries to observe a thought. One asks ‘What is it like?’«.123
3.4. Die Möglichkeit einer Privatsprache, der Komplementärfarbenseher und das Analogieschlussverfahren Natürlich stehen die vorangegangenen Bemerkungen auch in engem Zusammenhang mit der Möglichkeit einer Privatsprache und, wie es scheint, liegt gerade im Vorhandensein bestimmter Analogien die Annahme einer solchen denkbaren Sprache begründet. Im weiteren Verlauf unserer Untersuchungen kann selbstverständlich nicht genauer auf diese fundamentale und umfangreiche Problematik eingegangen werden. Es soll jedoch zumindest gezeigt werden, in welchem Sinn sich die Annahme privater Gegenstände als funktional irrelevant erweist. In den Lectures on Similarity findet sich eine Stelle, welche die Thematik in ganz treffender Weise beschreibt und daher hier wiedergegeben wird, vor allem auch, weil sie ein ganz grundsätzliches Licht wirft auf die Frage der Möglichkeit alternativer Sprachsysteme anhand eines privaten Begriffsrahmens. Wittgenstein bemerkt: Suppose that in order to draw on the blackboard with crayon – white, blue, etc.124 each person has a private colour chart. Each looks up the colour from the chart. The assumption is that I don’t know what is on your colour chart. The colours on the chart may have changed. You look the colours up and point according to my orders – »Blue!« »Red!«, etc. One day someone comes in and inspects. Your red patch has changed to green, etc. or all your patches are grey. But you look the colours up from your chart and draw them or point to them correctly. Are we to say that the word »green« means something different to you from what it means to us? Or are we to say that it means the same? We don’t know here what »using the chart« means. Your chart has now nothing in common with an ordinary chart at all. I judge whether he has understood me, my order etc. by what he does. Suppose when we play chess we each have a private chess board on which we make moves before we make moves on the public board. Sup123 124
Lectures on Knowledge, Lecture 3. An dieser Stelle ist ein entsprechendes Farbdiagramm vorgesehen.
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pose someone plays chess all right, but makes moves on his private board in a completely haphazard way, but with all the appearances of setting great value on his moves on the private board, etc. Malcolm and I, before using our private charts, both learnt the words »green«, »blue«, etc. How did we learn to use the table on our charts?– We learnt the private chart by learning the public chart. A private game may be any damn thing, since it is only judged by giving rights to the game of chess which we publicly play. Robinson Crusoe invented a language and used it for himself. Imagine that you have a diary in which you write down your experiences: Monday Tuesday Wednesday
x X0 ∂
etc. »What’s all this?« »A private language.« »What does it describe?« »I’m afraid I can’t tell you.« What reason have I to believe that I mean by the language what I do? That I mean by the language all that I claim I mean? If you say »It is a private language describing experiences«, this has as much meaning to me as the word »experience« has. »Is it pains?« »No«. »Is it religious experiences?« »No«. On Monday, Tuesday and Wednesday he makes different scratches. What is at all similar here to a language? I wouldn’t know at all whether to say that it is a private language. All I know is that he makes scratches and says that it is a private language. But suppose that he makes scratches and says »I can’t explain«. Suppose he says »If X is repeated it’s the same experience.« I can’t be sure whether to say he is using a private language. If this were the rule that people made scratches and said »I can’t explain«, etc. there would be nothing more I could call a private language. This – the kind of situation where we say there is a private language – is only possible because it is exceptional. You may say »There’s something here I can’t explain«.
Diese Bemerkungen veranschaulichen sehr treffend die in § 293 der PU angeführten Überlegungen. Allerdings zeigt sich an ihnen auch die Schwierigkeit, das Problem des Komplementärfarbensehers überhaupt zu verbalisieren. Denn offensichtlich scheint Wittgensteins Gedankenexperiment den unmittelbaren Zugang zu den jeweils nur eigenen
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inneren Wahrnehmungs- oder Vorstellungserlebnissen aufzuheben bzw. auf andere Personen zu erweitern.125 Wie sonst wäre die Bemerkung zu verstehen, ein Anderer stelle mittels Inspektion Farbveränderungen der privaten Farbtabelle fest? Auch das Beispiel des planlosen privaten Schachspiels legt diese Vermutung nahe, denn offensichtlich erscheint jener Person selbst die in Gedanken gespielte Partie nicht auf gleiche Weise unsystematisiert. Ein ähnlicher Ansatz findet sich auch in der uns bereits bekannten Stelle des Erinnerungsirrtums einer Person bezüglich des Schmerzbegriffs126. Zwar bezeichnet sie auf Grund ihrer Gedächtnisschwäche immer etwas anderes mit dem Ausdruck »Schmerz«, offensichtlich aber unter der Annahme, stets dasselbe damit zu benennen, da sie sich ja immer desselben Wortausdrucks bedient. Und dies zeigt gerade die Sinnlosigkeit des Komplementärfarbensehers auf und damit die Annahme innerer Erlebnisse als Kriterien bzw. Rechtfertigungsinstanzen entsprechender Sprachzeichen.127 Das heißt, dass man offensichtlich zur Plausibilisierung jener Absurdität den privilegierten Zugang zu eigenen Bewusstseinsdaten aufheben muss, um das Problem empirischer Nichtfeststellbarkeit zu verdeutlichen. Denn die Frage der Farbkomplementarität oder anderer innerer abweichender Vorgänge oder Zustände soll ja gerade durch ihre metaphysische Bestimmung als sinnlos verstanden werden, und das heißt, als empirisch nicht identifizierbar. Gezeigt werden soll dies durch die 125
126 127
In den LPE skizziert Wittgenstein den Komplementärfarbenseher allerdings abgewandelt als durch die erste Person bestimmt: »Consider this case: someone says ‘I can’t understand it, I see everything red blue today and vice versa.’ We answer ‘it must look queer!’ He says it does and, e.g., goes on to say how cold the glowing coal looks and how warm the clear (blue) sky. I think we should under these or similar circumstances be inclined to say that he saw red what we saw blue. And again we should say that we know that he means by the words ‘blue’ and ‘red’ what we do as he has always used them as we do. On the other hand: Someone tells us today that yesterday he always saw everything red blue, and so on. We say: But you called the glowing coal red, you know, and the sky blue. He answers: That was because I had also changed the names. We say: But didn’t it feel very queer? and he says: No, it seemed all perfectly natural. Would we in this case too say: ...?« (Ebd., S. 284) Vgl. PU, § 271. »Aber die Rechtfertigung besteht doch darin, daß man an eine unabhängige Stelle appelliert. [...] In der Vorstellung eine Tabelle nachschlagen ist so wenig ein Nachschlagen einer Tabelle, wie die Vorstellung des Ergebnisses eines vorgestellten Experiments das Ergebnis eines Experiments ist.« (PU, § 265)
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Denkbarkeit (Möglichkeit) eines solchen stetig wechselnden Zustandes bis hin zur Annahme, er sei gänzlich nicht vorhanden und die Irrelevanz dieser Annahme im Rahmen des Gebrauches entsprechender sie »bezeichnender« Ausdrücke innerhalb einer Sprachgemeinschaft. Hierin zeigt sich auch in ganz pointierter Form die Wittgenstein’sche Aufgabe der referentiellen Semantik seiner Frühphilosophie zugunsten einer Gebrauchstheorie der Bedeutung. Deutlich wird der metaphysische Status des Komplementärfarbensehers auch an einer weiteren Stelle der Vorlesungsaufzeichnungen über Sinnesdaten und private Erlebnisse:128 Ausgehend von dem Zugeständnis bestimmter Fälle, in welchen verschiedene Personen über unterschiedliche Farbwahrnehmungen ein und desselben Gegenstandes verfügen, ließe sich natürlich die Frage stellen, ob solch ein Phänomen nicht auf sämtliche solcher Erlebnisse erweiterbar sei. Die Extrapolation einzelner Fälle zeigt dann allerdings, dass etwa bei RotGründifferenzierungen der Ausdruck des Rot- bzw. Grünsehens nichts mehr leistet, das heißt, eine Erlebnisabgrenzung ist durch diese Annahme unmöglich geworden.129 Ließe sich nun nicht zumindest vorstellen, dass beispielsweise alle Blinden ebenfalls über ein Sehvermögen verfügen und sich lediglich in ihren Verhaltensweisen unterscheiden? Denn eine solche Vorstellbarkeit verleiht der Frage natürlich ihren Sinn. Allerdings so Wittgenstein: »Imagine a man, say W., now blind, now seeing, and observe what you do! How do these images give sense to the question? They don’t, and you see that the expression stands and falls with its usefulness.«130 Analoges gilt beispielsweise für die Frage, ob auf Grund der Tatsache, dass Personen in bestimmten Fällen Schmerzerlebnisse erfahren, welche sie nicht zeigen, sich diese nicht auch auf alle entsprechenden Zustände erweitern ließen und somit gar der Fall denkbar wäre, dass alle menschlichen Wesen ständig unter Schmerzen litten oder Schmerzen auch Gegenständen zugeschrieben werden könnten. Denn solch eine Annahme wird durch die uns bereits bekannte Gleichheitsthese ermöglicht, die ohne jegliches verbales oder nonverbales Verhalten anderer als der eigenen 128 129
130
Vgl LPE, S. 316 f. »We introduced the expression that A sees something else than B and we mustn’t forget that this had use only under the circumstances under which we introduced it.« (Ebd.) Ebd.
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Person nur durch die reine Vorstellung der Analogie Sinn zu erhalten scheint. Hierin zeigt sich offensichtlich, dass der Sinn eines Satzes wie »Er hat Schmerzen« nicht durch entsprechende Ich-Vorstellungen gestiftet wird. Die Konstruktion des Komplementärfarbensehers hängt natürlich mit dem bereits angesprochenen Analogieschlussverfahren zusammen, welches ebenfalls sehr anschaulich die Differenzierung in empirische und metaphysische Kontexte ermöglicht. Verdeutlichen wir ihn uns nochmals an einem Wortausdruck wie: »Ich kann nur von mir selbst wissen, dass ich persönliche Erfahrungen habe, nicht jedoch von einer anderen Person«. Hier stellt sich nach Wittgenstein die Frage: »Shall we then call it an unnecessary hypothesis that anyone else has personal experiences? – But is it an hypothesis at all? For how can I even make the hypothesis if it transcends all possible experience? How could such a hypothesis be backed by meaning?«131 Die Behauptung, dass wir trotz solch einer Unkenntnis dennoch über einen Glauben an Empfindungen anderer verfügen, erscheint hier als unzutreffend, denn: »Certainly we shouldn’t pity him if we didn’t believe that he had pains; but is this a philosophical, a metaphysical belief? Does a realist pity me more than an idealist or a solipsist? – In fact the solipsist asks: ‘How can we believe that the other has pain; what does it mean to believe this? How can the expression of such a supposition make sense?’«132 Hierin zeigt sich also ganz deutlich die Unterscheidung durch die Frage nach dem Sinn solcher Glaubenseinstellungen, im Gegensatz zu bestimmten Kontexten, in welchen sie sich als wahr oder falsch erweisen können, wie im Fall geheuchelter Schmerzen. Natürlich liefert eine Common-Sense-Antwort der Art, sich der eigenen Vorstellung von Schmerzzuständen zum Verständnis möglicher ähnlicher Empfindungen anderer zu bedienen, keine Lösung, da hier gerade die fundamentale Differenzierung in empirische und metaphysische Zusammenhänge 131 132
BB, S. 48. Ebd. Und an einer Stelle der PB heißt es: »Wenn ich jemand, der Zahnschmerzen hat, bemitleide, so setze ich mich in Gedanken an seine Stelle. Aber ich setze mich an seine Stelle. Die Frage ist, ob es Sinn hat, zu sagen: „Nur A kann den Satz ,A hat Schmerzen‘ verifizieren, ich nicht.“ Wie aber wäre es, wenn dieser Satz falsch wäre, wenn ich also den Satz verifizieren könnte: kann es etwas anderes heißen, als daß ich Schmerzen fühlen müßte? Aber wäre das eine Verifikation? Vergessen wir nicht: es ist Unsinn zu sagen, ich müßte meine oder seine Schmerzen fühlen.« (Ebd., S. 92)
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übersehen wird, ein Punkt, der uns bereits durch das Beispiel der Vorstellung von Schmerzen im Körper eines anderen vertraut ist. Besonders veranschaulichen lässt sich dieser Punkt auch mit Ayers Diskussion des Analogieschlussverfahrens und seiner diesbezüglich gewandelten Auffassung. Denn noch in den Foundations of Empirical Knowledge vertrat er die Gültigkeit des Verfahrens, bedingt durch den Status von Sinnesinhalten und ihrer Relation zur ersten Person. Die Annahme einer solchen Verbindung als kontingent ermöglicht natürlich, dass ein und dieselbe Erfahrung auch anderen als der eigenen Person zukommen kann: »[...] it is not logically inconceivable that I should have an experience that is in fact owned by someone else. [...] The point is that there is nothing in an experience considered by itself, apart from the relation that it happens to bear to other phenomena, to make it form part of one’s person’s history rather than another’s.«133 Der metaphysische Kontext hingegen bestimmt ja gerade sämtliche Erfahrungen als ichhaft, denn durch sie stellt sich überhaupt die Frage nach Fremdpsychischem. Es soll demnach logisch unmöglich sein, dass eine andere Person meine Erfahrungen haben kann. Im Fall eines solchen Analogieschlusses handelt es sich aber um einen hypothetischen und ebenso bei der ihn bedingenden Annahme mentaler Phänomene Dritter. Somit kann ein empirisch fundiertes Argument nicht den logischen Status der Ursprungsbestimmung der Je-meinigkeit berühren. Mit anderen Worten verhindert ihre Sinnlosigkeit und das heißt hier Nichtverifizierbarkeit sowohl Bestätigung als auch Widerlegung bzw. genauer gesagt eine Variation ihrer Wahrscheinlichkeit mittels hypothetischer Verfahren. Ayer verwirft daher die Annahme der Unzugänglichkeit von Erfahrungen anderer Personen134, eine Posi133
134
Ayer: Foundations, S. 169. Diese Position erinnert natürlich stark an Humes sogenannte »Bundle Theory of Perceptions«. In Zusammenhang mit persönlicher Identität spricht Hume von »a bundle or collection of different perceptions«. (Hume, David: A Treatise of Human Nature, Harmondsworth, Middlesex 1985, S. 300.) In diesem (»Of personal Identity«) und im vorangegangenen Abschnitt betont Hume ebenfalls die Eigenschaft der unabhängigen Existenz sämtlicher Perzeptionen von irgendeiner Trägersubstanz, (vgl. etwa S. 282, 293 u. 298), eine, wie wir gesehen haben, zwingende Bedingung für die Anwendungsmöglichkeit des Analogieschlussverfahrens. Vgl. Ayer: Language Truth and Logic, Kapitel 7. Aus der Einleitung dieses Werkes geht allerdings hervor, dass Ayer sich im Gegensatz zu Wittgenstein für eine behavioristische Alternative dieser Problematik entschied.
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tion, die der empirischen Variante Wittgensteins entspricht, denn dieser räumt in seinem zweiten Lösungsansatz, wie ja bereits mehrfach betont, durchaus eine solche Position im Rahmen alternativer Symbolismen ein. Als entscheidend in diesem Zusammenhang erweist sich allerdings wiederum, dass die Unsinnigkeit135 eines Arguments nicht empirisch gezeigt werden kann, da es sich in solchem Fall vielmehr um eine Widerlegung handelt, ein Verfahren, welches somit den Solipsisten offensichtlich nicht neutralisiert, da er im Rahmen metaphysischer Behauptungen keine Tatsachen konstatiert. Und nur in einem faktischen Kontext ließen sich seine Aussagen als wahr oder falsch bestimmen. Das heißt, die Zulassung des Analogieschlussverfahrens übersieht die meinen Überlegungen zugrunde gelegte Dichotomie.136 Die Erörterungen zum Gleichheitsbegriff haben ebenfalls bereits die Problematik des Analogieschlusses aufgezeigt. Auch in den Vorlesungsaufzeichnungen zu privaten Erlebnissen und Sinnesdaten nehmen dieses Verfahren und der Komplementärfarbenseher zentrale Rollen ein. Insbesondere eine Stelle ermöglicht uns dabei eine Verbindung zu § 293 der PU, da auch sie das irreführende Bild der Streichholzschachtel anführt: It seems a direct and simple thing to understand »thinking that he has what I have,« but it isn’t at all. [...]137 »I know only indirectly what he
135
136
137
Die Begriffe »Unsinnigkeit« und »Sinnlosigkeit« verwende ich übrigens synonym, da die Tractatusdifferenzierung nach 1929 auch bei Wittgenstein keine Rolle mehr spielt. Zur Anwendung des Analogieschlusses und des Komplementärfarbensehers vgl. auch Strasser: Der Weg nach draußen, S. 102 ff. Strassers Argumente wenden sich in ihrem Status als empirische eher gegen den Solipsisten und lassen sich in diesem Zusammenhang durchaus im Sinne Wittgensteins und nicht als gegen ihn vorgebrachte Einwände anführen, wie sie Strasser verstanden haben will, natürlich unter Voraussetzung der vorgeschlagenen Dichotomie und dementsprechender methodologischer Unterscheidung in Strategien zur Offenlegung von Unsinnigkeit einerseits und Versuchen der Widerlegung im Sinne von Falschheit andererseits. In diesem Fall haben unsere Untersuchungen ja gezeigt, dass wir, etwa entsprechend gegebener Kriterien, durchaus von gleichen Schmerzen zweier Personen sprechen können, was natürlich das Vorliegen solcher Erlebnisse impliziert. »The case is simple only if we speak, e.g., of physiological processes.« (LPE, S. 319) Diese Position findet sich etwa bei Quine in seiner Auseinandersetzung mit dem Problem des Komplementärfarbensehers. Vgl. Quine, Mind and Verbal Dispositions, S. 84.
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sees, but directly what I see« embodies an absolutely misleading picture. [...] The misleading picture is this: I see my own matchbox but I know only from hearsay what his looks like.138
Dieses Argument ist vor allem deshalb relevant, weil eine solche irreführende Annahme eine unterschiedliche Semantik psychischer Phänomenausdrücke im Fall erster und dritter Person impliziert. Die Unterscheidung von Ausdrücken wie »Er hat Schmerzen« und »Ich habe Schmerzen« zeigt sich zwar in ihren unterschiedlichen Verifikationen, nicht aber, wie man fälschlicherweise annehmen könnte, in ihrer unterschiedlichen Bedeutung. Hierin liegt offensichtlich die Wurzel der von Wittgenstein bereits angeführten fehlerhaften Differenzierung: »There is the distinction of the expression ‘I have pain’ never being replaceable by a behaviouristic expression. This shows the different grammar but not one we’d expected. We’d expected to say ‘It doesn’t mean this it means that’. If we say these mean different things we are making a mistake. We are looking for the distinction in the wrong place.«139 Denn die Bedeutungsgleichheit der psychischen Ausdrücke ist vielmehr durch ihre logischen Entsprechungen hinsichtlich ihrer Wahrheitswertbestimmungen bedingt. So wäre etwa ein Satz wie »Ich, V. M., habe Schmerzen« nur dann wahr, wenn Entsprechendes salva veritate auch im Fall der Worte »V. M. hat Schmerzen« einer dritten Person gilt. Gäbe es keine Wahrheitswertkriterien im Fall von Fremdzuschreibungen, fände der Wahrheitsbegriff keine Anwendung. Analoges gälte natürlich für Aussagen der ersten Person, da zwischen beiden hinsichtlich Wahrheitswertzuschreibungen logische Äquivalenz gegeben sein muss. So bemerkt etwa Malcolm: »First person utterances and their second and third person counterparts are linked in meaning by virtue of being tied, in different ways, to the same behavioral criteria. This connection prevents it from being true that I have different concepts of pain, or fear, one for myself and one for other persons.«140 Dieser Punkt betrifft offensichtlich die von Wittgenstein angesprochene unterschiedliche Grammatik von Schmerzzuschreibungen erster und dritter Personen. Und diese Grammatik liegt in der Tatsache begründet, dass in Fällen von Schmerzzuschreibungen nicht 138 139 140
LPE, S. 319. Lectures on Description, Lecture 5. Malcolm: Problems of Mind, S. 91.
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auf eigene Verhaltensweisen rekurriert wird, wie etwa sowohl Vertreter der klassischen als auch der logischen Variante des Behaviourismus behaupten, und nicht darin, dass ein unterschiedlicher semantischer Gehalt vorliegt. Die These allerdings, dass Fremdzuschreibungen auf Basis von Verhaltensbeobachtungen erfolgen, Ich-Aussagen hingegen aufgrund gegenwärtiger Erlebnisinhalte, legt eine solche irrtümlich angenommene semantische Asymmetrie der sie bezeichnenden Ausdrücke nahe: »We can’t say: ‘I say he has toothache because I observe his behaviour, but I say that I have because I feel it.’ (This might lead one to say that ‘toothache‘ has two meanings, one for me and one for the other person.)«.141
3.5. Selbstzuschreibung und Verhalten Das Asymmetrieargument führt uns nun noch zu zwei weiteren Einwänden gegen eine logisch-behaviouristische Auslegung Wittgensteins, welche den Abschluss dieses Buches bilden und auch nur in aller Kürze angeführt werden, da sie uns bereits aus früheren Untersuchungen bekannt sind. Zunächst haben die vorangegangenen Erörterungen gezeigt, dass zwei durch die Übersetzbarkeitsmaxime bestimmte zentrale Thesen des logischen Behaviourismus nicht mit Wittgensteins Position zusammenfallen. Diese beiden Kennzeichen beziehen sich sowohl auf Fremd- wie auf Selbstzuschreibungen mentaler Zustände oder Ereignisse und finden sich besonders pointiert in Carnaps »Psychologie in physikalischer Sprache«. Dort betont Carnap zum einen, dass jeder singuläre Satz über Fremdpsychisches in inhaltlichem Sinn als mit einem physikalischen gehaltgleich aufzufassen sei, zum anderen, dass auch eigenpsychische Sprachausdrücke physikalische Leibvorgänge beschreiben.142 Die Unvereinbarkeit mit der Wittgenstein’schen Auffassung gilt insbesondere für Carnaps letztere These, welche er am Beispielsatz »Ich bin jetzt aufgeregt« illustriert: Ein solcher Ausdruck stimmt gehaltlich mit dem Satz »Mein Leib ist jetzt physikalisch aufgeregt« überein und wird rational aus »Hier meine Hände zittern« bzw. intuitiv aus »Jetzt aufgeregt« gewonnen. Besonders deutlich wird 141 142
LPE, S. 319. Carnap: »Psychologie in physikalischer Sprache«, S. 117 u. S. 136.
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Wittgensteins Gegenposition durch Carnaps Annahme einer rationalen, und das heißt hier mittels induktivem Schluss gewonnenen Einsicht in eigenpsychische Zustände. So heißt es etwa in der elften Vorlesung aus Lectures on Similarity: (1) Behaviour of another person is the criterion of his pain. [...] Behaviour enters in as a criterion for the truth or falsity of whether someone has pain. It doesn’t enter in as a criterion for whether I have pain, and that is a fact. I have said so far only if I say of myself I have pain, then there is no such criterion. I don’t take a mirror, look at myself and say »Gosh, I must have pain«. I could say »My leg jumps, it must have awful pain«. This would be a behaviouristic use. Lewy: »You want to reduce pain entirely to behaviour?« Wittgenstein: »Not a bit. Sometimes we can be said to describe behaviour by ‘He is in pain’, ‘This patient is in pain’«. »X has pain« takes as a criterion in one case behaviour but in other cases not. Lewy seems to be saying »Wittgenstein says that pain has two meanings«. It has one use but a compound, complicated use. I say we both have pain, we both have the same feeling, we are both in the same state. You say that here is one set of criteria, here is another set. What is in common between these things? If here we have these criteria, and there those, what’s in common is absurd. [...] With the word »pain«, there is every reason to use one word. Regarding one small selection of usage, you do want two words. In one case there is no such thing as a verification. In another case we talk of a method of verification.143
Diese Bemerkungen verdeutlichen einerseits nochmals die irreführende Annahme einer differenzierten Semantik im Zuge der Asymmetrie innerhalb eines bestimmten – hier empirischen – Kontextes und stützen andererseits die Dichotomie zwischen Erfahrungs- und metaphysischen Sätzen, da Wittgenstein davon spricht, dass es sich mit der Behauptung fehlender kriterialer Bestimmungen im Fall von Selbstzuschreibungen um eine Tatsache (fact) handelt. Eine Auffassung im Sinne Carnaps erweist sich somit nicht als sinnlos sondern falsch144. 143 144
Die letzten vier Zeilen stammen aus Vorlesung 12 der Lectures on Similarity. Eine entsprechende Auffassung von induktiv gewonnenen Selbstzuschreibungen mittels Beobachtung der eigenen Person findet sich im Übrigen auch bei Skinner, (vgl. Skinner: Science, S. 262) und als weitere Stellen der Wittgenstein’schen Gegenposition seien hier noch BPP I, §§ 704 ff., § 912, PU II, S. 516 sowie LPE, S. 278 genannt.
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Und dass sich die behauptete Asymmetrie durch die unterschiedlichen Methoden der Verifikation begründet, wird dadurch natürlich auch offensichtlich.145 Allerdings, das sei in diesem Kontext auch angemerkt, besagt die fehlende Korrelation zwischen Selbstzuschreibungen und Verhaltensweisen nicht, dass beide in gar keinem Zusammenhang miteinander stehen. Zwar dienen Beobachtungen nicht als Rechtfertigungsinstanz eigenpsychischer Ausdrücke, wohl aber erhalten sie ihren Sinn auch durch die Art und Weise des Benehmens: »Unser Kriterium dafür, daß Einer zu sich selbst spricht, ist das, was er uns sagt, und sein übriges Verhalten; und wir sagen nur von dem, er spräche zu sich selbst, der, im gewöhnlichen Sinne, sprechen kann.«146 Natürlich hängt dieser Punkt auch mit der Tatsache zusammen, dass wir Begriffe psychologischer Natur durch Verweis auf bestimmte Verhaltensweisen erlernen147 und mit ihrer kriterialen Funktion für das Verständnis solcher Ausdrücke: It is clear that we in our language use the words »seeing red« in such a way that we can say »A sees red but doesn’t show it«; on the other hand it is easy to see that we should have no use for these words if their application was severed from the criteria of behaviour. That is to say: to the language game which we play with these words it is both essential that the people who play it behave in the particular way we call expressing (saying, showing) what they see, and also that sometimes they more or less entirely conceal what they see. 148
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Als zusätzlicher Beleg dient auch die folgende Stelle aus den Vorlesungen 1932– 1935: »To return to the differing grammars of ‘I have toothache’ and ‘He has toothache’, which show up in the fact that the statements have different verifications.« (Lectures 1932–1935, S. 21) PU, § 344. Und in § 357 heißt es: »Aber sage ich auch von mir, ich spreche zu mir selber, weil ich mich so und so benehme? – Ich sage es nicht auf die Beobachtung meines Benehmens hin. Aber es hat nur Sinn, weil ich mich so benehme.« So etwa im Fall des Ausdrucks »A hat Zahnschmerzen« durch Verweis auf entsprechende Verhaltensweisen A’s, der sich selbst diesen Zustand zuschreibt. Vgl. BB, S. 24 und Lectures 1946/47, S. 86. LPE, S. 286. Und einige Seiten weiter heißt es: »The game we play with the word ‘toothache’ entirely depends upon there being a behaviour which we call the expression of toothache.« (Ebd., S. 290.) Vgl. des Weiteren ebd., S. 285 am Beispiel des Begriffs der Blindheit, S. 293 zum Ausdruck der Lüge und des Lügens zu sich selbst (im Zusammenhang des Komplementärfarbensehers), sowie S. 295–298 u. BB, S. 138 ff.
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Schließlich ist die Grammatik des Wortes «Schmerz« auch dadurch bestimmt, dass wir Schmerzvergleiche durch Verhaltensvergleiche vollziehen. Dieser Punkt findet sich ebenfalls in der elften Vorlesung der Lectures on Similarity und wird zum Abschluss dieses Argumentes angeführt, da sich auch hier die Dichotomie von Empirie und Metaphysik und die damit einhergehende Problematik divergierender Semantiken im Rahmen abweichender kriterialer Bestimmungen verdeutlichen lässt. Das Beispiel des Begriffs der Gleichheit zeigt hier besonders, dass er sich im Zusammenhang vorliegender Schmerzqualitäten durchaus sinnvoll anwenden lässt. Der solipsistische Kontext hingegen schließt einen solchen Vergleich offensichtlich aus, da es sich hier um differenzierte Notationen handelt, in welchen der Schmerzbegriff hinsichtlich seiner Bedeutung divergiert, allein dadurch bedingt, dass er sich hier nur auf die erste Person anwenden lässt: Compare: – »I have a watch. You have a watch«. We compare watches. »Yes, yours is the same«. But we compare pains by a behaviour and that is the difference. To the word »pain« belongs a peculiar way in which we compare pains. Whether one is stronger or one is only an itch, etc. This is simply part of the grammar of the word »pain«. [...] Suppose someone said »I am having pain«. The other person hasn’t got real pain. Speaking solipsism. We are up against one absolutely definite use of language. If I say »Lewy hasn’t got real pain«, he’ll be offended. I am belittling his sufferings. This I don’t want to do. The answer would be »sometimes yes, sometimes no«. It would be a distinguishing property of language as we now use it. If you look at a certain rather small circle of examples, then it doesn’t seem proper. If you only have in mind this, criterion this, criterion that, I’m inclined to say that they have different meanings. If I only look at these expressions then I am not inclined to use the word »same«.
3.6. Fremdzuschreibung und natürliche Einstellung Betrachten wir abschließend noch in aller Kürze ein weiteres Argument, das ebenfalls bereits angeklungen ist und sich auch besonders klar in Kontrast zu Carnaps Position von 1932/33 verdeutlichen lässt. Carnap vertritt die Auffassung, dass keine prinzipiellen Unterschiede bestehen zwischen Aussagen über menschliche Körperbewegungen, entsprechenden tierischen Verhaltensformen, Veränderungen eines Voltmeters und denen eines Regentropfens. Grundsätzlich handelt es
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sich in allen Fällen um aus jeweils zugrunde gelegten physikalischen Bestimmungen mittels kausaler Schlussverfahren gewonnene Sätze.149 Dass sich bestimmte Zustände von Personen rein behaviouristisch beschreiben lassen, scheint zunächst außer Frage. Allerdings, so zeigt sich offensichtlich – und hierin liegt das Gewicht dieses letzten Punktes – sind Fremdzuschreibungen etwa in Fällen des Schmerzes mit einer bestimmten Einstellung der betroffenen Person gegenüber verbunden. Und diese manifestiert sich in bestimmten spontanen Reaktionen, welche sich nicht durch Induktion von beobachtbaren Verhaltensweisen auf bestimmte, möglicherweise vorliegende Erlebniszustände begründen: What is the difference between saying »He has pain« and saying that he behaves in a certain way? [...] We can do with his description of behaviour all that we can do with his description of pain, but this description always leaves something open. [...] You know that if you see a man in pain there is such a thing as »believing he is in pain« and »not believing it«. This »believing« and »not believing it« is first of all a particular reaction. There are very many different reactions to the expression of pain in another person. To believe that a person is in pain is to have a particular reaction towards them. This is the case in all cases of belief.150
Das heißt natürlich, dass die Reaktionen mit entsprechenden Glaubenseinstellungen verbunden sind, die sich nicht auf beobachtetes Verhalten beziehen: I said that the belief that he has pain was sometimes, mainly, a peculiar reaction of one man to another man: He imitates the other man’s face, etc. 149
150
Vgl. Carnap: »Psychologie in physikalischer Sprache«, S. 140 f. Wittgenstein bemerkt in den BPP: »Sieh es einmal rein behaviouristisch an: Jemand sagt: Der Mensch denkt, wünscht, freut sich, ist zornig, etc. Denk, es sei hier nur von gewissen Formen des Verhaltens bei gewissen Anlässen die Rede. Man könnte sich vorstellen, wer so vom Menschen redet, habe diese Verhaltungsweisen zuerst bei andern Wesen beobachtet und sage nun, beim Menschen ließen sich diese Erscheinungen auch beobachten. Das wäre also, wie wenn wir dies von einer Tierart sagten.« Und zwei Paragraphen später: »Ich würde gerne sagen: Die Psychologie hat es mit bestimmten Aspekten des menschlichen Lebens zu tun. Oder auch: mit gewissen Erscheinungen – aber die Wörter ,denken‘, ,fürchten‘, etc. etc. bezeichnen nicht diese Erscheinungen.« (BPP II, §§ 33 u. 35) Lectures on Description, Lecture 5.
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What I was driving at I could put: If someone said »Surely there is such a thing as believing he is in pain apart from seeing that he behaves in such and such a way«, I’d have to say »Obviously there is«. Here we have another, I was going to say, »argument against behavourism«, but I won’t be such a blasted ass. Saying »He has pain« doesn’t mean »He behaves in such and such a way«, it means something different. Therefore »I believe he is in pain doesn’t mean »I believe he behaves in such and such a way.«151
Diese Bemerkungen zeigen offensichtlich, dass sich die Fälle einer rein behaviouristischen Beschreibung von solchen, die eine bestimmte Einstellung zum Ausdruck bringen, durch eben diesen Teil unterscheiden, welcher allerdings selbst natürlich nicht sprachlich artikuliert wird. Es sind hier vielmehr bestimmte nonverbale Haltungen, die die Sprachzeichen begleiten, wie etwa Mitgefühl die Imitation des Gesichtsausdrucks.152 Streng physikalistische Bestimmungen sind hingegen in der Regel nicht von solchen Ausdrucksformen begleitet. Die wohl bekannteste Bemerkung Wittgensteins zu diesem Punkt findet sich im zweiten Teil der PU, im Zusammenhang der Frage des Sinns folgender Glaubenshaltung: »,Ich glaube, daß er leidet.‘ – Glaube ich auch, daß er kein Automat ist? [...] ,Ich glaube, daß er kein Automat ist‘ hat, so ohne weiteres, noch gar keinen Sinn. Meine Einstellung zu ihm ist eine Einstellung zur Seele. Ich habe nicht die Meinung, daß er eine Seele hat.«153 Natürlich ist die Haltung einem anderen gegenüber auch durch dessen Verhalten bestimmt, so beziehen sich psychische Fremdzuschreibungen entsprechend auf Organismen, welche menschliches bzw. menschenähnliches Verhalten zeigen. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist allerdings vielmehr das Erkennen eines Menschen als Menschen bzw. in unserem Zusammenhang des Leidenden als Leidenden und nicht etwa das Erfassen be151 152
153
Ebd. So wird etwa Kindern der Ausdruck »Er hat Schmerzen« beigebracht, in dem sich eine bestimmte Person entsprechend verstellt und nun mit einem Ausdruck des Mitgefühls gepflegt wird. PU II, S. 495. Auf die hier zugrunde gelegte Frage wird im Folgenden nicht eingegangen, da sie offensichtlich in einem metaphysischen Kontext diskutiert werden müsste und den Rahmen der hier vorgestellten Untersuchungen bei weitem überschreiten würde. Zum Aspekt der Einstellung gegenüber anderen Personen vgl. auch Malcolm: Problems, S. 91–103 und Shoemaker, Sidney: SelfKnowledge and Self-Identity, Ithaca, N.Y. 1963, S. 249 f.
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stimmter Verhaltensweisen oder physikalischer Zustandsvariablen: »Denk an das Erkennen des Gesichtsausdrucks. Oder an die Beschreibung des Gesichtsausdrucks, – die nicht darin besteht, daß man die Maße des Gesichts angibt!«154 Sicher lässt sich anhand dieser Bemerkung im Weiteren argumentieren, dass solch eine geometrische Bestimmung von Gesichtsausdrücken auch nicht geliefert werden kann, oder allgemeiner, dass bestimmte mentale Beschreibungen nicht auf ihnen zugrunde liegende physikalische zurückgeführt bzw. in solche übersetzt werden können, wie es die These des logischen Behaviourismus fordert. Somit ist weder die Annahme bestimmter basaler physikalischer Beschreibungen als Grundlage induktiver Schlüsse auf entsprechende psychische Erlebnisse und damit verbundener Glaubenseinstellungen noch in bestimmten Fällen die Möglichkeit einer solchen Angabe haltbar. Und wie wir bereits an zahlreichen Stellen gesehen haben, spielt natürlich auch im Rahmen von Glaubenseinstellungen die Frage der Rechtfertigung eine wichtige Rolle, denn offensichtlich wird durch die Kausalrelationsbehauptung eine solche für entsprechende intentionale Haltungen behauptet. Der Begriff der unmittelbaren Reaktion hat allerdings auch hier das Fehlen einer Rechtfertigungsinstanz gezeigt. So erweist sich die logisch-behaviouristische Position auch in dieser Hinsicht als falsch, allerdings nicht als sinnlos.155 Und so dienten die beiden letzten Argumente der Widerlegung dieser Richtung sowohl in Fällen von Ich-Aussagen im Indikativ Präsens als auch von solchen fremdpsychischer Zuschreibungen.
154
155
PU, § 285. Diese Idee des Aspektsehens, soviel sei hier nur erwähnt, spielt insbesondere im zweiten Teil der PU und den BBP wohl einer der bzw. die zentrale Rolle. Malcolm bemerkt in diesem Zusammenhang »In fact, however, logical behaviourism is a radically false view.« (Malcolm: Problems, S. 100) Die Verwendung der beiden Ausdrücke «fact« und »false« sprechen offensichtlich eindeutig für den hier vorgeschlagenen empirischen Kontext im Rahmen der thematisierten Dichotomie.
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PERSONENREGISTER
Anscombe, G. E. M. 43f Aristoteles 215, 218 Armstrong, David M. 239, 246, 262– 265 Augustinus 252, 264 Ayer, A. J. 221, 225, 254, 283 Baker, Gordon P. 225 Bismarck, Otto von 230f Braithwaite, Richard 178, 226 Carnap, Rudolf 66, 225–230, 241, 246, 265f, 286, 289f Chiara, Charles 236, 270 Conant, James 173 Descartes, Rene 202, 213f, 249, 254 Diamond, Cora 173 Duncker, Karl 241 Eccles, William 24 Edwards, Gilbert Harris 178 Engelmann, Paul 24 Ewing, A. C. 178 Ficker, Ludwig v. 24 Fodor, Jerry A. 236, 239f, 270 Frazer, Sir James George 69 Frege, Gottlob 81, 147, 148, 149, 168, 173, 203, 211, 212, 267 Freud, Sigmund 91 Garver, Newton 199 Geach, Peter 267, 274
Goldfarb, Warren 173 Hacker, Peter M. S. 225, 241, 251, 255, 257, 261f, 270 Haller, Rudolf 144, 198f, 205, 213– 215, 222, 228 Helmholtz, Hermann von 148 Hempel, Carl Gustav 241f, 271 Hilbert, David 212 Hintikka, Jaakko 13, 50, 84f Hull, C. L. 238, 240 Hume, David 25, 34, 230, 283 Husserl, Edmund 215 Janich, Peter 238 Kant, Immanuel 164f, 230 Keynes, John Maynard 24 Kierkegaard, Søren 32 Klagge, James 159 Kripke, Saul 231 Kronecker, Leopold 148 Lee, Desmond 226, 255 Lewy, Casmir 218, 266, 274, 276, 287, 289 Lichtenberg, Georg Christoph 205 Locke, John 254 Malcolm, Norman 24, 55, 199, 253f, 273, 279, 285, 291f Marek, Johann C. 205 Maslow, Alexander 14, 49f, 54, 90 Mays, Wolfe 160 Mill, John Stuart 254
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Personenregister
Milton, John 266f Moore, G. E. 14, 18–21, 24, 126–133, 135–137, 141–143, 145–147, 149–151, 153, 156f, 161, 163, 172, 217, 233 Mounce, H. 25, 34 Munz, Volker A. 159, 171, 177, 200, 214 Neumer, Katalin 199 Neurath, Otto 75 Nyíri, J. C. 31–34 Oku, Masahiro 267 Ostwald, Wilhelm 95 Philipp, Peter 15 Pitcher, George 34–45 Platon 29, 35, 38, 69 Puhl, Klaus 203 Quine, Willard Van Orman 246, 284 Ramsey, Frank Plumpton 24, 92, 168 Redpath, Theodore 234 Rhees, Rush 11f, 14f, 27f, 42–44, 49– 61, 64f, 67–72, 77, 82–86, 88–96, 161, 163, 167, 168, 199, 220, 224, 231, 252, 256
Rothaupt, Joseph G. H. 95 Russell, Bertrand 14, 24, 26, 33, 36, 85, 175, 233f, 241, 243, 249f Ryle, Gilbert 247, 248, 264 Sauer, Werner 215 Schlick, Moritz 145 Schulte, Joachim 173, 236 Sellars, Wilfried 246f, 271 Skinner, B. F. 238–240, 248, 253, 287 Smythies, Peg 49 Smythies, Yorick 11, 15, 159–161, 218, 222, 243, 259, 271 Sokrates 29f, 35, 38, 48 Stevens, Stanley S. 239 Strasser, Peter 194–197, 253, 284 Tolman, Edward C. 238–240 Vilhauer, Ben 173 Waismann, Friedrich 176, 211 Walter, Friedrich 237 Watson, John B. 237f, 244f, 262 Winch, Peter 18–20 Wisdom, John 44f, 211 Wundt, Wilhelm 95 Zilsel, Edgar 241