Die verwegenen Vier retten das große Pferderennen Eine spannende Geschichte für Jungen und Mädchen von Enid Blyton
C. B...
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Die verwegenen Vier retten das große Pferderennen Eine spannende Geschichte für Jungen und Mädchen von Enid Blyton
C. BERTELSMANN VERLAG
© 1978 by Darrell Waters Ltd., London Alle Deutschen Rechte bei C. Bertelsmann Verlag GmbH, München 1979 / 54321 Aus dem Englischen von Brigitte Blobel Einband und Illustrationen von Frantisek Chochola Gesamtherstellung: Mohndruck Reinhard Mohn GmbH, Gütersloh ISBN 3-570-02104-1 • Printed in Germany
Wer sind die verwegenen Vier? Chris Arnold
Lissy,
Peggy
Ben
ist der älteste der vier Geschwister. Er hat braune krause Haare und ist genauso abenteuerhungrig und fröhlich wie seine Zwillingsschwester, die ihm mit den braunen Haaren und blauen Augen sehr ähnlich sieht. Ganz anders als das Nesthäkchen der Arnolds, das immer gerne alles mitmachen möchte, aber eigentlich ein bißchen zu klein und zu ängstlich dazu ist. Außerdem kaut sie ständig an ihren blonden Zöpfen und stellt im unpassendsten Moment ihre komischen Fragen. ist ein Adoptivsohn der Arnolds. Er ist älter als seine neuen Geschwister und fühlt sich bei all den aufregenden Abenteuern auch immer ein bißchen
Larry,
für sie verantwortlich. Ben hat früher auf einem Dorf bei seinem Großvater gelebt, bis er die Arnold-Kinder kennenlernte und bei ihnen bleiben durfte. der Sohn eines amerikanischen Millionärs, ist auch immer dabei. In den Ferien tut er nichts lieber, als mit den »verwegenen Vier«, wie die ArnoldKinder auch genannt werden, zu verreisen – denn bei ihnen kann man ganz sicher sein, daß immer etwas Spannendes passiert. Genau wie dieses Mal …
Fahrerflucht! Peggy strampelte sich verzweifelt auf ihrem Fahrrad ab, um mit den großen Geschwistern auf gleicher Höhe zu bleiben. »Nicht so schnell«, keuchte sie. »Ihr seid richtig gemein! Ihr wißt genau, daß ich nicht so schnell fahren kann wie ihr! Schließlich habe ich keine Gangschaltung!« Ben bremste sofort und drehte sich zu Peggy um, der schon die Tränen in den Augen standen. »Heul nicht, Peggy«, sagte er gutmütig. »Wir warten doch immer auf dich, das weißt du doch!« Chris, der schon weit voraus war, schrie fröhlich: »Was heißt hier, Peggy hat keine Gangschaltung! Sie kann doch ihre Zöpfe als Propeller nehmen!« Lissy, seine Zwillingsschwester, kicherte amüsiert. »Stell dir das bloß mal vor, Chris«, schrie sie begeistert. »Peggys Zöpfe als Propeller …« »… wenn sie sich anstrengt, kann sie bestimmt damit vom Boden abheben wie ein Hubschrauber!« lach6
te Chris, der inzwischen ebenfalls gebremst hatte und auf Peggy und Ben wartete. Peggy warf ihrem Bruder einen vernichtenden Blick zu. »Ich möchte mal wissen, warum ihr ständig eure Witze über mich reißt!« sagte sie empört. »Warum nimmst du nicht einmal Lissy für deine blöden Scherze?« »Weil Lissy nicht so hübsche Zöpfe hat, an denen sie immerzu herumkaut, mein liebes Schwesterchen«, sagte Chris fröhlich, während er zum Spaß an ihren roten Schleifchen zog. Peggy zog einen Schmollmund, beugte sich vor und trat voller Trotz noch heftiger in die Pedale. »Wenn sie will, ist sie richtig schnell«, sagte Ben anerkennend. »Das sollte man gar nicht denken bei so einem kleinen Persönchen.« Er zeigte nach vorn auf die gerade Landstraße, die wie mit dem Lineal gezogen zwischen den Pappelreihen hindurchlief. Peggy war nur noch als kleiner schwarzer Punkt zu sehen. Manchmal glitzerte die Sonne in den Radspeichen. »Achtung!« rief Chris und riß sein Fahrrad auf den Grünstreifen. »Da kommt ein Auto! Donnerwetter, hat der ein Tempo drauf!« 7
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Der Wagen, ein grüner Sportwagen, war mit einem kleinen Bogen um Peggy herumgefahren und raste nun ihnen entgegen. »Ich finde es unerhört«, sagte Lissy ärgerlich, »daß die Leute hier so schnell fahren! Außerdem verpesten die mit ihren stinkenden Abgasen die ganze Landschaft.« »Genau«, sagte Ben, »solche Autos müßten verboten werden. Hört bloß mal, was der für einen Lärm macht.« »Der ist ja ganz kaputt!« sagte Chris plötzlich. »Seht euch das an! Vollkommen zerbeulter Kühler!« »Und der rechte Scheinwerfer ist zerbrochen!« »Und die Stoßstange hängt bloß noch an einem Halter«, stellte Ben fest. »Es würde mich nicht wundern, wenn das Ding gleich zu Bruch gehen würde. Guckt euch das an, die Stoßstange scheppert schon auf dem Boden!« Er hob den Arm und fuchtelte damit herum. »He! Anhalten!« brüllte Ben. »Sie verlieren ja Ihre Stoßstange!« Aber der Fahrer achtete nicht auf den Jungen, der da winkend am Straßenrand stand. Mit heulendem Motor schoß er wie eine Rakete an den Kindern vor9
bei und war Sekunden später in einer Bodenwelle verschwunden. »Der spinnt doch«, sagte Lissy kopfschüttelnd. »Mit so einem kaputten Wagen kann doch kein Mensch mehr fahren.« Sie hielt die Hand schützend über die Augen und spähte nach ihrer Schwester aus. »Könnt ihr die Peggy sehen?« fragte sie plötzlich. Ben und Chris strengten sich an, aber von Peggy war keine Spur zu entdecken. »Hoffentlich macht die keinen Blödsinn«, sagte Ben erschrocken. »Wir haben sie so geärgert, da könnte ich mir schon vorstellen, daß sie uns jetzt einen Schrecken versetzen will.« Er schwang sich auf sein Rad und spurtete los. »Mir nach!« schrie er. »Wer sie zuerst sieht, kriegt ein Eis!« Nebeneinander radelten sie die Straße hinunter bis zur Biegung, hinter der sich eine kleine Brücke über den Bach spannte. Als sie mitten auf der Brücke waren, entdeckten sie plötzlich Peggys Fahrrad, das an das alte Brückengeländer gelehnt war. Ben bremste so scharf, daß die Reifen eine schwarze Bremsspur auf dem Asphalt hinterließen. »Peggy!« rief er. »He! Wir haben dich längst gefunden!« Er sah sich um, konnte Peggy aber nicht entdek10
ken. »Mach doch keinen Quatsch, Peggy! Wir haben das mit deinen Zöpfen doch gar nicht so gemeint!« Da tauchte Peggys blonder Kopf plötzlich aus dem Straßengraben auf, zwischen mannshohem Ginster und dichtem verwildertem Gras. Peggy war ganz blaß, sie zitterte richtig und winkte Ben verzweifelt heran. »O Ben!« schluchzte sie. »Wenn ihr wüßtet, was ich gefunden habe!« »Was ist los?« fragte Chris. »Was soll das …« er kam gar nicht weiter. Mit einem leisen erstaunten Pfiff ließ er sich die Böschung herabrutschen und war nun ebenfalls verschwunden. Ben warf Lissy einen auffordernden Blick zu. »Ich glaube«, sagte er, »da ist wirklich etwas los. Komm, wir gucken uns die Sache einmal von der Nähe an.« »Ben!« Peggy richtete sich auf und lief auf Ben zu. »Ben, du mußt ihm helfen! Schnell! Du verstehst doch etwas von Tieren, nicht wahr? Oh, guck doch mal, wie das aussieht«, sie schluchzte schon wieder. »Hoffentlich stirbt es nicht!« Ben schwieg. Er starrte wortlos auf ein kleines Rehkitz, das im Straßengraben lag, mit Schürfwunden an Kopf und Rücken, und überall sickerte Blut heraus. Das Rehkitz blickte die Kinder mit riesengroßen, 11
völlig verängstigten Augen an. Immer wieder versuchte es verzweifelt, auf seine Beine zu kommen, aber dann sackte es hilflos zurück. Von der Anstrengung bildete sich schon Schweiß auf dem weichen hellbraunen Fell.
Lissy trat vorsichtig noch einen Schritt näher. Zaghaft streckte sie die Hand aus und versuchte, über das Fell zu streichen. Aber schon machte das Rehkitz wieder einen Satz, um zu fliehen, und Lissy zuckte sofort mit der Hand zurück. Ben schüttelte den Kopf. »Du mußt nicht so hastig an das Tier herangehen«, sagte er streng. »Das ist 12
doch scheu. Es hat noch nie einen Menschen gerochen, und da hat es Angst.« »Aber ich tu ihm doch gar nichts«, sagte Lissy verständnislos. »Ich will ihm doch nur helfen. Ich wollte es trösten, weißt du.« Ben lächelte. »Das weiß ich«, sagte er. »Aber das Rehkitz versteht dich eben nicht. Du riechst nach Mensch, und vor Menschen haben die freien Tiere eben Angst. Das löst bei ihnen sofort einen Fluchtreflex aus.« Staunend hörte Chris zu. »Was du alles weißt! Hat dir dein Großvater das erklärt?« Ben nickte. »Bei uns auf dem Dorf hat es manchmal Unfälle mit Rehen gegeben, im Sommer, wenn das Gras gemäht wurde. Da kam es schon vor, daß so ein kleines Rehkitz in die Sense kam und …« »Hör auf!« Lissy hielt sich die Ohren zu. »Ich kann das nicht hören! Das ist ja entsetzlich!« Ben zuckte mit den Schultern. »Auf dem Lande ist das eben so.« Ben war der Adoptivsohn von Herrn und Frau Arnold. Er hatte schon vor Jahren seine Eltern verloren und dann bei seinem uralten Großvater auf dem Lande gelebt, wo die Arnoldkinder ihn in den 13
Ferien kennengelernt hatten. Weil sie sich so gut verstanden und Ben sich in den Ferien so rührend um sie gekümmert hatte, beschlossen Herr und Frau Arnold, Ben zu adoptieren. Seitdem war aus dem ernsten, stillen Ben ein fröhlicher, lustiger Junge geworden, der seine neuen Geschwister über alles liebte und für sie jederzeit durchs Feuer gehen würde. Jetzt beugte er sich über das Reh und begutachtete es fachmännisch. Er zeigte auf die Schürfwunden. »So was«, sagte er sachlich, »ist nicht weiter schlimm. Das heilt von selbst. Was mir aber viel größeren Kummer macht«, Ben runzelte die Stirn, während er das Rehkitz betrachtete, »ist, daß es nicht hochkommen kann. Ich befürchte fast, es hat sich ein Bein gebrochen.« Peggy schrie auf. »O nein! Glaubst du das wirklich, Ben? Wie schrecklich!« »Muß es dann sterben?« fragte Chris mit rauher Stimme. Ben grübelte. »Es gibt da ein großes Problem«, sagte er nachdenklich. »Wenn wir das Reh untersuchen wollen, müssen wir es anfassen.« »Natürlich!« rief Lissy hastig. »Das Reh beißt doch nicht! Es ist doch noch so klein! Schau mal, was für 14
ein süßen Gesicht es hat!« »Das weiß ich selbst, daß Rehe nicht beißen«, erwiderte Ben verächtlich. »Mir macht bloß Sorgen, daß die Rehmutter das Kitz nicht mehr annehmen wird, wenn wir es einmal berührt haben.« Peggy riß verständnislos die Augen auf. »Wieso? Das begreife ich nicht. Warum soll die Mutter es dann nicht mehr annehmen?« »Mann, du hast in der Biologiestunde wahrscheinlich wieder geschlafen!« rief Chris ärgerlich. »Das weiß doch jedes Kind, daß eine Rehmutter ihr Kitz nicht mehr annimmt, wenn es nach Menschen riecht, und daß es dann ausgestoßen wird.« »Kommt!« Ben wurde energisch. »Wir müssen uns jetzt entscheiden. Wollen wir das Kitz hier liegenlassen oder es mitnehmen?« »Mitnehmen!« schrien die drei Kinder wie aus einem Mund. »Okay.« Ben bückte sich und nahm ganz behutsam den schmalen linken Hinterlauf an dem kleinen Huf und versuchte, ihn zu strecken. Das Bein schlackerte lose herum. »Seht ihr!« sagte Ben triumphierend. »Hier ist es. Das Bein ist gebrochen. Wir müssen gleich die Bruchstelle schienen.« 15
Chris sah Ben forschend an. »Gleich schienen?« wiederholte er. »Meinst du, wir können das?« Ben zuckte mit den Achseln. »Wir müssen es eben versuchen. Mein Großvater hat es mir gezeigt.« Er sah sich suchend um. »Was wir nur brauchen, ist ein gerader fester Stock, der nicht länger ist als der Unterschenkel hier von dem Rehkitz. So höchstens zwanzig Zentimeter.« »Da drüben!« rief Chris. »In dem Birkenwäldchen – da muß es doch massenweise Stöcke und Zweige geben!« »Ich komm mit!« beschloß Lissy, die froh war, nicht länger den traurigen Anblick des kleinen Rehkitzes ertragen zu müssen. »Warte doch auf mich, Chris!« Inzwischen war Ben aus seinem Unterhemd geschlüpft und hatte es in lauter gleich breite Streifen gerissen, deren Festigkeit er testete, indem er sie über seinem angewinkelten Knie dehnte. Schließlich nickte er zufrieden. »Das müßte klappen. Wo die Zwillinge bloß so lange bleiben?« »Da kommen sie schon!« rief Peggy erleichtert. Ben prüfte fachmännisch die Holzstücke, die die beiden gebracht hatten, und entschied sich schließlich für einen etwas gebogenen aber dicken Stock, den er 16
an den Unterschenkel des Rehes hielt. »Der könnte passen«, knurrte er. »So, jetzt brauche ich die Binden.« Ben arbeitete wie ein Profi. Nach zehn Minuten richtete er sich wieder auf und rieb sich zufrieden die Hände. »Ich glaube, so könnt es gehen.« Das Rehkitz bewegte sich überhaupt nicht mehr, es hatte die Augen inzwischen geschlossen, und man sah sein tiefes unregelmäßiges Atmen nur noch an den eingefallenen Flanken. »Hoffentlich überlebt es das«, wisperte Chris. »Und der Transport?« fragte Peggy. »Wie wollen wir das machen?« »Ich nehme es auf die Schulter, wie die Jäger, das geht ganz einfach«, entschied Ben. »Wenn Chris mein Rad schiebt, dann ist das kinderleicht. Bis nach Hause sind es ja höchstens drei Kilometer.« Lissy nickte aufgeregt. »Das können wir in einer halben Stunde schaffen. Ich bin ja so gespannt, was Mutter sagt!« »Und Vater! Ich wette, der hat noch nie ein Rehkitz aus der Nähe gesehen!« rief Peggy. »Der interessiert sich eben mehr für das Technische«, sagte Chris verständnisvoll. »Vater hat eben 17
nichts als die Fliegerei im Kopf. Und so etwas ist ja auch wichtig, oder? Wenn es so mutige Leute wie unsere Eltern nicht gäbe, die alle neuen Flugzeuge ausprobieren, dann hätten wir zum Beispiel damals diese aufregende Reise nach Afrika nicht machen können!« Lissy stöhnte. »Erinnere mich bloß nicht an Afrika! Sonst werde ich gleich wieder sauer! Ich mag überhaupt nicht dran denken, daß wir jetzt schon seit einer Woche Ferien haben und noch nichts unternommen haben. Ich finde es scheußlich, die ganzen Ferien über zu Hause herumzuhocken. Und das jetzt noch sechs Wochen so weiter!« Sie schüttelte sich. Chris nahm seine Zwillingsschwester in den Arm. Die beiden sahen sich mit ihren kurzen schwarzen Haaren und den blauen Augen wirklich verblüffend ähnlich. »Nimm’s nicht so tragisch, Schwesterchen«, tröstete er sie. »Vielleicht können wir die Eltern dazu überreden, das Rehkitz zu behalten …« »Wenn es überhaupt überlebt«, unterbrach Ben. »Und das ist nicht so sicher. Komm, hilf mir mal, Chris, damit ich es gut auf die Schulter bekomme. Paß auf, daß du das kranke Bein nicht berührst.« Ganz vorsichtig hoben die Kinder das kleine Reh auf Bens Schultern. Das Kitz ließ sich alles apathisch 18
gefallen, aber als Ben vorsichtig einen Schritt vor den anderen tat und der frische Wind plötzlich um die Nüstern des Rehkitzes strich, da hob es leicht den Kopf und fing ganz schwach und jämmerlich an zu blöken. »Wie süß!« sagte Peggy hingerissen. »Hoffentlich dürfen wir es behalten. Es ist so süß, findet ihr nicht?« »Wir könnten es Bambi nennen«, schlug Lissy vor, »wie das kleine Reh in dem Film von Walt Disney. Es hat überhaupt große Ähnlichkeit damit, finde ich.« Die anderen lachten belustigt. Lissy mit ihrer Leidenschaft für sämtliche Tiere verwechselte oft Stofftiere mit der Wirklichkeit. Sie fand immer alles »süß« und »niedlich«.
Ein neuer Hausgenosse? Sie brauchten wirklich nicht einmal eine halbe Stunde, bis sie wieder zu Hause ankamen. Ben schnaufte erleichtert auf, als er das Rehkitz im Vorgarten sanft auf den Rasen gleiten lassen konnte. Er reckte und streckte sich. 19
»Ganz schön schwer«, stellte er fest. »Ich hätte nicht gedacht, daß Bambi schon so ein Gewicht hat.« Chris sah forschend zum Haus hinüber. »Ich bin ja so gespannt, was Mutter sagt«, murmelte er. »Hoffentlich dürfen wir es behalten!« »Wir müssen alle ganz fest die Daumen drücken!« schlug Peggy vor. »Und dann können wir ja auch sagen, daß die Ferien sonst so langweilig sind, weil wir doch nicht verreisen …« »… und nicht einmal Larry wird kommen«, ergänzte Ben. »Der wird langsam auch treulos. Dabei hatte er uns in den letzten Ferien ganz fest versprochen, daß er uns besuchen würde.« »Und Larrys Vater hatte sogar etwas von einer Überraschung gemurmelt!« rief Lissy. Chris zuckte mit den Achseln. »So ist das eben mit den Millionären. Die haben viel zuviel zu tun. Die können sich nicht an das erinnern, was sie irgendwelchen Kindern einmal versprochen haben.« Empört sah Lissy ihren Bruder an. »Irgendwelchen Kindern sagst du? Schließlich sind wir Larrys beste Freunde, das hat er immer gesagt, und auch Larrys 20
Vater schreibt immer wieder, wie dankbar er uns ist, daß wir den Larry damals vor den Entführern gerettet haben! Schließlich …« Aber weiter kam Lissy nicht. Denn in diesem Augenblick öffnete sich die Haustür, und Frau Arnold, noch in der Küchenschürze, erschien auf der Türschwelle. Erstaunt sah sie zu den Kindern hinüber. »Was macht ihr denn da?« fragte sie. Ihre Stimme klang etwas ärgerlich. »Ich warte schon seit einer Stunde auf euch. Schließlich hatten Peggy und Lissy mir fest versprochen, beim Bettenbeziehen zu helfen, und Chris hat immer noch nicht die Kisten in den Keller gebracht, und Ben wollte …« »Mami!« rief Peggy und rannte auf ihre Mutter zu. »Bitte, bitte, liebe Mami, wir dürfen Bambi doch behalten, ja? Es ist ein so süßes Rehkitz! Wir haben es auf der Straße gefunden, ein Bein ist gebrochen.« »Bestimmt ist es von einem Auto angefahren worden«, erklärte Ben. »Wir haben nämlich vorher so einen grünen Sportwagen gesehen, der hatte einen ganz zerbeulten Kühler und …« Frau Arnold hob abwehrend die Hände. »Langsam, Kinder, langsam!« rief sie beschwörend. »Ich verstehe 21
überhaupt nichts mehr! Von welchem Bambi redet ihr eigentlich? Und was war das für ein Auto?« Peggy zerrte ungeduldig ihre Mutter am Arm. »Das Auto ist weitergefahren, das haben wir dir doch eben erklärt! Aber Bambi haben wir mitgebracht, Ben hat sein Bein geschient, das ist nämlich gebrochen.« Erwartungsvoll starrten die Kinder ihre Mutter an, die sich über das Rehkitz beugte und es lange betrachtete. Als sie den Kopf wieder hob, machte sie ein ernstes Gesicht. »Das sieht aber schlimm aus. Ich weiß nicht, ob ein so junges Tier das überlebt. Wir müssen sofort den Förster anrufen, damit er sich darum kümmert.« »Ach bitte, Mami!« Peggy sah ihre Mutter flehend an. »Wir wollen es doch so gerne behalten! Wir kümmern uns auch um alles!« Die Mutter schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß es erlaubt ist, ein Rehkitz einfach mitzunehmen. Da wird sich der Förster bestimmt beschweren.« »Aber wir brauchen es ihm doch überhaupt nicht zu sagen!« rief Chris. »Schließlich gibt es so viele Rehe, da kommt es auf eins mehr oder weniger nun auch nicht an! Oder glaubst du, er hat sie alle gezählt?« Seine Mutter lächelte. »Das glaube ich natürlich 22
nicht. Aber ich weiß, daß es Pflicht ist, so etwas zu melden.« Die Kinder verzogen schmollend ihr Gesicht. »Zu dumm«, sagte Peggy enttäuscht, »und wir hatten so gehofft, für die Ferien wenigstens einen Spielkameraden zu haben. Dann wären die Ferien nicht so schrecklich langweilig geworden.« Erstaunt sah die Mutter von einem zum anderen. »Langweilt ihr euch denn?« fragte sie mit Unschuldsmiene. »Als wenn du das nicht genau wüßtest!« maulte Lissy. »Nicht einmal Larry hat uns geschrieben. Kein Mensch kümmert sich um uns. Fräulein Jonas hat keine Zeit, und nach Spiggy Holes können wir auch nicht, Vater arbeitet den ganzen Tag, und du kannst dich auch nicht um uns kümmern, seit du niemanden mehr für den Haushalt hast.« »Ich schlage vor«, sagte Frau Arnold, »wir gehen jetzt alle ins Haus und rufen den Förster an. Dann essen wir zu Mittag und dann …« sie machte eine kleine Pause. Irgend etwas in ihrer Stimme klang anders. Verheißungsvoll. Sie sprach immer so komisch, wenn etwas in der Luft lag. »Mutter!« rief Peggy. »Was ist los? Sag schnell! 23
Können wir doch zu Fräulein Jonas?« Frau Arnold schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ihr wißt doch genau, daß Fräulein Jonas diesen Sommer über bei ihrer Schwester in Südengland ist. Aber …« Sie stockte wieder. Chris stampfte mit dem Fuß auf. »Du spannst uns ganz schön auf die Folter!« rief er. Frau Arnold lächelte geheimnisvoll. »Wartet nur ab«, sagte sie. »Ihr erfahrt es schon noch früh genug.« »Dann sag es doch jetzt gleich!« bettelte Lissy. »Nein, nein. Erst einmal möchte ich sehen, wie meine braven Töchter die Betten beziehen und Ben die Glühbirne auswechselt und Chris …« »… die Kisten in den Keller bringt«, vollendete Chris gelangweilt. »Ich hab schon kapiert. So wird man heutzutage schon von seinen Eltern zur Arbeit ausgebeutet!« Die Kinder erledigten in Windeseile ihre Aufträge, Frau Arnold telefonierte mit dem Förster (er versprach, noch am Nachmittag vorbeizukommen), und dann saßen vier sehr gespannte, neugierige Kinder im Speisezimmer um den runden Tisch und bekamen vor Aufregung und Ungeduld nicht einen Bissen von dem schönen Braten hinunter. 24
»Jetzt mußt du es uns verraten!« stöhnte Peggy. »Sonst esse ich keinen einzigen Bissen!« Frau Arnold wollte die Kinder nun nicht länger auf die Folter spannen. »Morgen also«, begann sie, »werden wir alle zum Flugplatz fahren. Vater, ihr und ich.« Lissy verdrehte die Augen. »Das wissen wir doch längst! Da kommt das neue französische Flugzeug, das ihr besichtigen wollt! Ist das etwa die ganze Überraschung?« »So laß mich doch erst einmal ausreden, Kind!« sagte Frau Arnold vorwurfsvoll. »Mann, machst du das spannend!« stöhnte Ben. Frau Arnold mußte lachen, als sie die erwartungsvollen Gesichter der Kinder sah. »Larrys Vater hat euch doch eine Überraschung für die Sommerferien versprochen«, begann sie, »und er hat mir gesagt, ich sollte euch erst im letzten Moment einweihen, damit ihr nicht schon wochenlang vorher mit dem Kofferpacken beginnt und mir Löcher in den Bauch fragt. Ich möchte nicht wissen, was für ein Geheul hier ausgebrochen wäre, wenn ich euch früher erzählt hätte, daß Larrys Vater in Irland ein Pferdegestüt gekauft hat und daß ihr dort zusammen mit Larry die Ferien verbringen dürft …« 25
Das Geheul, das Frau Arnold befürchtet hatte, brach natürlich sofort aus. Die Kinder sprangen auf, stürzten sich gegenseitig in die Arme, johlten und schrien, und Frau Arnold faßte erschrocken nach der Tischdecke, um wenigstens den Braten vor dem Untergang zu retten. »Ruhe, Kinder! Ruhe!« rief sie. »Ein Reiterhof!« schrie Chris. »Habt ihr gehört, ein Reiterhof. Ein richtiges Gestüt! Wo es von Fohlen und Hengsten und Stuten wimmelt, und überall hängen Pferdesättel an der Wand, und alle Leute tragen Cowboystiefel mit klirrenden Sporen – oh, wird das toll!« Ben grinste. »Du hast in deinem Leben wohl schon zu viele Western gesehen«, belehrte er Chris. »Ein Gestüt ist doch etwas anderes als Hot-Gun-Town!« »Und was ist Hot-Gun-Town?« fragte Peggy verwundert, während sie an ihren Zopfenden kaute. »Das ist so eine Stadt im Wilden Westen, wo die Cowboys sich auf den Pferden irre Rennen liefern, und nachher gibt’s eine wilde Schießerei im WesternSaloon«, erklärte Lissy ganz ernsthaft. »Ich hab schon einmal so einen Film gesehen.« Sie wandte sich an ihre Mutter. »Aber auf dem Gestüt schießen sie doch nicht, Mami?« Frau Arnold schüttelte lächelnd den Kopf. »Natür26
lich nicht, Kinder. Auf einem Gestüt geht alles ganz ruhig und geordnet zu. Und vor allen Dingen«, sie hob mahnend den Zeigefinger, »ist das endlich einmal ein Ort, wo nicht so wilde aufregende Dinge passieren wie sonst in euren Ferien. Ich bin so froh, daß ich mir dieses Mal keine Sorgen um euch zu machen brauche.« Chris feixte. »Freu dich nicht zu früh, Mutter. Wo wir unsere Füße hinsetzen, da ist immer etwas los. Ich hab das schon so im Gefühl.« Peggy lief zu ihrer Mutter und umarmte sie stürmisch. »Keine Sorge, Mami! Der Chris gibt doch nur an, das weißt du genau! Ich finde es himmlisch, so mitten zwischen lauter Tieren die Ferien zu verbringen! Ich hab mir ja immer so sehr ein Tier gewünscht!« Sie verdrehte verzückt die Augen. »Das ist doch endlich einmal ein Lebewesen, dem man ganz vertrauen kann, das einen liebt und sich nicht lustig über einen macht!« Chris zog neckend an ihren Zöpfen. »Wart nur ab, Peggy, bestimmt wiehern die Pferde vor Vergnügen, wenn sie dich beim Verspeisen deiner Zöpfe beobachten …« Frau Arnold sprang auf, als sie die Klingel hörte. »Das wird bestimmt der Förster sein«, rief sie. 27
»Kommt lieber mit, Kinder! Der Förster will euch bestimmt noch ein paar Fragen stellen.« Der stand draußen auf der Treppe, und er sah wirklich genauso aus wie der Förster aus »Rotkäppchen«: grüne Hosen, eine grüne Jacke, hohe Gummistiefel, eine Flinte über der Schulter, und an seinem Jagdhut prankte eine riesige buntschillernde Fasanenfeder. Chris platzte sofort mit der Geschichte heraus, wie sie Bambi gefunden hatten. Haarklein schilderte er, wie Peggy das Kitz entdeckte und wie Ben das gebrochene Bein geschient hatte. Dann führte er den Förster zu dem Kitz. Bambi hatte die Vorderbeine dicht unter den Körper gezogen und den Kopf aufgerichtet. Es spielte mit den Ohren und sah den Kindern und dem Förster aufmerksam und ängstlich entgegen. Der Förster kniete neben Bambi nieder, hob die Augenlider des zitternden Tieres und nickte, als er sah, daß die Bindehaut gerötet war. »Das ist ein gutes Zeichen«, erklärte er sachlich. »Schlimm ist es immer, wenn die Schleimhäute ganz weiß sind. Dann kann es leicht zu einem Kreislaufzusammenbruch kommen. Aber mit diesem kleinen Kerl 28
hier scheinen wir Glück zu haben. Der sieht wirklich schon wieder ganz munter aus.« Er prüfte fachmännisch den Stützverband, den Ben angelegt hatte. Dann nickte er anerkennend. »Donnerwetter, das nenne ich aber eine anständige Arbeit! Das hätte der Jagdpächter auch nicht besser gekonnt! Alle Achtung, mein Junge!« Er schlug Ben, der vor Verlegenheit puterrot wurde, auf die Schulter. »Wie haben Sie sich denn das Weitere gedacht, Herr Jones, was soll jetzt mit Bambi geschehen?« sagte Frau Arnold. »Ich nehme es selbstverständlich mit«, sagte der Förster. »Bei mir zu Hause ist ein kleines Gehege, dort werde ich es aufpäppeln und so lange beobachten, bis ich sicher bin, daß es draußen in der Natur allein zurechtkommt. Für die Zukunft möchte ich euch noch einen kleinen Rat geben: Solltet ihr irgendwann wieder einmal ein krankes Wild finden, dann laßt es ganz ruhig liegen und lauft zum nächsten Telefon, um den Förster oder den Jagdpächter anzurufen.« Als die Kinder ein betretenes Gesicht machten, fuhr der Förster erläuternd fort: »Manchmal haben diese Tiere ja auch eine Krankheit, die Tollwut oder die Maul- und Klauenseuche, und so etwas ist anstek29
kend.« »Wir haben uns das ja auch gedacht«, erklärte Ben, »aber dann sahen wir, daß es Bambi so schlecht ging, und weil dieser gemeine Autofahrer ja einfach weitergebraust war, ohne …« Der Förster sah Ben interessiert an. »Autofahrer?« fragte er. »Wen meinst du? Habt ihr denn gesehen, wie das Rehkitz angefahren worden ist?« »Gesehen nicht direkt«, erklärte Ben, »aber genau zwei Minuten bevor wir Bambi fanden, ist ein grüner Sportwagen an uns vorbeigerast, der hatte einen ganz eingebeulten Kühler, und die Kotflügel und Scheinwerfer waren kaputt …« Der Förster runzelte die Stirn. »Interessant, interessant«, murmelte er. »Na ja, wir müssen abwarten. Jeder Autofahrer, der in einen Unfall mit einem Reh oder anderem Wild verwickelt war, hat ja die Pflicht, diesen bei der Polizei oder bei dem Förster zu melden. Bis jetzt allerdings habe ich noch nichts gehört.« Er sah Ben an. »Habt ihr den Fahrer erkannt?« »Nein. Der fuhr viel zu schnell.« »Bloß das Nummernschild«, rief Chris aufgeregt, »das konnte ich noch so ein bißchen erkennen. Es fing 30
mit X an, und die beiden letzten Zahlen waren sechs und sieben. Das weiß ich noch genau.« Lissy hob den Kopf. »Und wenn der Fahrer sich nun nicht meldet?« Herr Jones zuckte mit den Achseln. »Dann hat das wohl seine Gründe. Dann hatte der Mann entweder keine Zeit, oder vielleicht hatte er auch etwas auf dem Kerbholz, wer weiß.« »Jedenfalls muß das ein ganz gemeiner, grausamer Kerl sein, der ein so süßes Rehkitz einfach überfährt und nicht einmal anhält, um zu sehen, ob es lebt«, sagte Peggy aufgebracht. »Wenn ich den noch einmal sehe!« Sie ballte zornig ihre Fäuste. »Na! Dem würde ich es aber geben!« Frau Arnold legte beruhigend den Arm um Peggys Schulter. »Das wird wohl kaum passieren«, sagte sie, »daß ihr diesen Menschen noch einmal trefft!« Der Förster lächelte. »Sagen Sie das nicht, gnädige Frau«, murmelte er. »Wir in Wales haben ein altes Sprichwort, das heißt: Sei vorsichtig mit deinen Mitmenschen, denn man trifft im Leben alle Leute ein zweites Mal!«
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Endlich gebt es los! Am nächsten Morgen hatte sich die Sonne hinter dikken grauen Wolken versteckt, und der Wind war noch etwas stärker geworden. Frau Arnold sah besorgt aus dem Fenster. »Hoffentlich wird der Flug nicht so stürmisch! Nachher ist euch allen übel, wenn ihr in Dublin landet!« »Ist Dublin die Hauptstadt von Irland?« fragte Peggy. Chris prustete los. »Donnerwetter, ist das Mädchen schlau! Sag bloß, das habt ihr schon in Geographie gelernt!« Peggy wurde sofort rot. »Ich werd doch einmal fragen können«, sagte sie kleinlaut. »Schließlich bin ich noch nicht so lange in der Schule wie du! Und außerdem«, sie zog ihren Schmollmund, »wenn ihr mich immerzu ärgert, dann sag ich das Mr. Potter, und der ist bestimmt auf meiner Seite. Mr. Potter mag nämlich keine frechen Jungen!« Mr. Potter war der Pilot, der Larry immer von Ame32
rika nach England flog und sich auch sonst um den Millionärssohn kümmerte. Seit Larry einmal gekidnapt worden war, tat sein Vater alles, um jedes Risiko für seinen Sohn auszuschalten. Aber die Arnoldkinder hatten Larry immer Glück gebracht, deshalb unterstützte der Vater jedes Zusammentreffen seines Sohnes mit den englischen Freunden. Sie hatten miteinander schon so manches aufregende Abenteuer erlebt. »Mr. Potter«, sagte Frau Arnold streng, »hat während des Fluges etwas anderes zu tun, als sich um streitende Kinder zu kümmern! Besonders bei diesem Wetter ist das Fliegen nämlich keine Kleinigkeit!« »Ach Mutter! Du hast immer solche Angst, wenn wir fliegen – aber was sollen wir denn sagen, wenn unsere Eltern die waghalsigsten Sachen machen, nach Australien fliegen zum Beispiel oder einmal rund um die ganze Erde!« Als Testpiloten hatten Herr und Frau Arnold schon viele riskante, spannende Flüge unternommen. Jeden Tag konnten die Kinder dann über ihre berühmten Eltern etwas in der Zeitung lesen. Und wenn sie gut zurückgekommen waren und Erfolg gehabt hatten, konnte es sein, daß sie von der Königin empfangen 33
wurden oder der Minister ein großes Essen für sie gab – aber daran durften die Kinder natürlich nie teilnehmen. Das fanden sie eigentlich ziemlich ungerecht. Deshalb freuten sie sich um so mehr, daß sie diesmal fliegen durften und die Eltern ausnahmsweise zu Hause blieben. Herr und Frau Arnold brachten die Kinder um zwölf Uhr zum Flugplatz. Dort gab es eine böse Überraschung. Herr Arnold, der gleich an den Informationsschalter gegangen war, hatte über Funk eine Nachricht von Mr. Potter erhalten. Mit dem Zettel in der Hand kam er zu den Kindern zurück, die mitten in der riesigen Flughafenhalle auf ihren Koffern saßen und vor Ungeduld fast platzten. Gemeinsam lasen sie die Nachricht: »Starker Sturm über dem Atlantik. Habe Probleme mit dem Gegenwind. Aber keine Sorge, kommen bald wohlbehalten an. Gruß Potter.« Lissy wurde ganz blaß. Ängstlich sah sie ihre Mutter an, die ein besorgtes Gesicht machte. »Was bedeutet das, Mami?« fragte sie. »Ist etwas Schlimmes passiert?« Frau Arnold schüttelte den Kopf. »Nein, Kinder, es 34
ist eben nur der Sturm. Ich hab es euch ja schon zu Hause gesagt: Bei solchen starken Böen sollte man mit diesen kleinen Maschinen besser gar nicht fliegen.« »Oh!« Peggy krümmte sich plötzlich und hielt sich den Bauch. »Ich glaube, mir ist schon schlecht!« »Ach Quatsch!« Chris boxte seine kleine Schwester unsanft in die Seite. »Stell dich nicht so an! Das eben war kein Luftloch, Peggy, das war höchsten ein Loch in deinem Magen! Du hast heute morgen nämlich keinen einzigen Bissen runtergeschluckt, falls ich dich erinnern darf.« »Ich schlage vor«, sagte Herr Arnold entschlossen, »wir gehen erst einmal etwas essen. Peggy hat ganz recht, in meinem Magen gibt es auch schon Luftlöcher.« Zehn Minuten später saßen die Kinder an einem Fenstertisch mit Blick über das ganze Rollfeld. In kurzen Abständen starteten und landeten die Maschinen, über Lautsprecher wurden die Zielflughäfen bekanntgegeben: Tokio – Mailand – Helsinki. Chris bekam ganz glänzende Augen. »Ich glaub, ich werde später auch Pilot«, schwärmte er. »Dann werde ich in Tokio zu Mittag essen, so etwas Japanisches, 35
mit Stäbchen, und abends wäre ich schon in Mailand und könnte mir einen riesigen Teller Spaghetti bestellen mit viel Tomatensoße! Mhmh!« Er verdrehte die Augen. Der Kellner, der gerade an ihren Tisch gekommen war, lachte lauthals. »Mit Mailand kann ich dir zwar nicht dienen«, sagte er fröhlich, »aber echte italienische Spaghetti gibt es bei uns schon. Soll ich den Koch mal fragen, ob er für einen hungrigen Löwen eine doppelte Portion rausrücken könnte?« Chris strahlte ihn an. »Würden Sie das für mich tun?« fragte er hingerissen. Als die riesigen dampfenden Nudelberge vor den Kindern standen und sie mit hochgereckten Armen versuchten, die langen glitschigen Dinger um die Gabel zu wickeln, sie an den Mund zu bringen, und wie meistens kurz vorher alles wieder von der Gabel herunterrutschte, ertönte der kleine Gong, und die Stimme aus dem Lautsprecher sagte: »Die Privatmaschine Maybird aus New York befindet sich im Anflug auf London. Sie wird in zirka einer Viertelstunde hier landen.« Wie auf Kommando ließen alle ihre Gabeln fallen, sprangen von den Sitzen und rasten zu den Koffern, 36
die sie an der Garderobe abgestellt hatten. Chris winkte aufgeregt seinen Eltern, die ganz gemächlich ihre Jacken anzogen und sich erst lang und breit vom Kellner verabschiedeten. »Los! Mami! Papi! Macht schon! Larry ist doch gleich da! Wir müssen ihn doch auf dem Rollfeld empfangen! Bitte, Papi! Beeilt euch doch!« Eigentlich ist das Betreten des Rollfeldes für alle Leute untersagt, aber Herr und Frau Arnold gehörten ja sozusagen dazu – sie wurden überall wie alte Bekannte begrüßt. Und niemand hatte etwas dagegen, daß vier Kinder völlig ausgelassen quer über das Rollfeld auf eine kleine silberne Propellermaschine zurannten, winkend und schreiend. Die Tür des Flugzeugs öffnete sich in diesem Augenblick, und Larry steckte seinen Kopf heraus. Er strahlte über das ganze Gesicht. »Hallo!« schrie er. »Hallo Ben! Hallo Lissy! Hallo Chris, altes Haus! Hallo Peggy, wie schmecken deine Zöpfe?« Eine Treppe wurde herangefahren, und Larry nahm gleich zwei Stufen auf einmal, um alle so schnell wie möglich begrüßen zu können. »Bin ich froh«, stöhnte er, »daß ich endlich wieder 37
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bei euch bin! Ich hab mich zu Hause ja so gelangweilt! In Amerika ist überhaupt nichts los, sage ich euch! Den ganzen Tag hab ich nur am Swimmingpool herumgelegen und davon geträumt, daß es endlich losgeht!« »Aber wir«, rief Peggy, »wir hatten es ja viel schlimmer! Wir wußten ja bis gestern überhaupt nicht, daß wir zusammen nach Irland fahren! Unsere Eltern haben die Überraschung bis zum letzten Moment aufgespart, gemein, nicht?« Lissy zupfte Larry am Arm. »Du, Larry, wir haben gestern etwas Tolles erlebt! Wir haben ein Rehkitz gefunden, das ist von einem Auto angefahren worden, und Ben hat es ganz alleine wieder gesund gemacht! Das Bein war gebrochen, und Ben hat einen Stützverband angelegt, richtig mit einem Stock und Binden und so. Ganz toll!« Larry verzog sein Gesicht. »Ich wußte es ja. Wenn ich nicht dabei bin, passieren euch die tollsten Sachen. Ich hätte auch gern …« Larry redete so schnell, daß die Kinder den Rest seiner Worte überhaupt nicht verstanden. Sie brauchten immer eine Weile, bis sie sich an seinen amerikanischen Akzent gewöhnt hatten. Herr Arnold sagte im39
mer: »Larry spricht, als ob er eine heiße Kartoffel im Mund hätte«, und das fanden die anderen wirklich ganz treffend. »Langsam!« stöhnte Frau Arnold. »Du mußt langsamer reden, Larry. Wir verstehen ja kein Wort.« Erschrocken klappte Larry seinen Mund zu. »Ihr versteht nichts?« fragte er. Dann klopfte er sich gegen die Stirn. »Klar. Ich bin ja wieder in England. Hier spricht man ja langsam und deutlich.« Er grinste. In diesem Augenblick kam Mr. Potter aus der Pilotenkanzel geklettert. Er sah unheimlich schick aus in seiner blauen Uniform mit den vielen gelben Streifen, und eine dunkelblaue Schirmmütze trug er auch ganz keck über dem rechten Ohr. Er nahm Peggy sofort in seine starken Arme und schwenkte sie einmal im Kreis. »Na, Prinzessin«, sagte er in seinem breiten Dialekt, den alle Leute aus Texas sprechen, »hast du denn auch schon Sehnsucht nach Onkel Potter gehabt?« »Klar!« rief Peggy strahlend. »Und wie! Fliegen wir jetzt gleich weiter nach Irland, ja? Bitte, bitte, Mr. Potter! Wir sind ja alle schon sooo aufgeregt!« Mr. Potter grinste. »Wir starten, sobald die Maschine aufgetankt ist«, erklärte er. »Guten Tag, Frau Ar40
nold! Guten Tag, Herr Arnold! Mein Gott, ich habe Sie völlig übersehen! Entschuldigung!« Mr. Potter tippte mit den Fingerspitzen an seine Mütze und begrüßte das Ehepaar. Während die Erwachsenen sofort eifrig das Thema Fliegen diskutierten, tauschten Larry und seine Freunde die letzten Neuigkeiten aus. »Ich habe schon mit meinem Vater gesprochen«, sagte Larry. »Ich möchte auch hier in England zur Schule gehen. Hier gefällt es mir viel besser als in Amerika. In so ein Internat wie Chris möchte ich gerne. Wo man nachts in großen Schlafsälen schläft und morgens alle gemeinsam frühstücken und Blödsinn machen und so. Ich finde es stinklangweilig, immer zu Hause bei Mami zu sein, und da kann man bloß mit dem Gärtner oder dem Chauffeur reden.« »Toll«, sagte Chris, »wenn du kommen könntest! Was meint denn dein Vater dazu?« »Er hat gesagt«, Larry fuhr sich mit gespreizten Fingern durch seine kurzen blonden Stoppelhaare, »daß er es sich überlegen will. Es hängt davon ab, wie ich mich in den Ferien benehme.« Ben haute Larry auf die Schulter. »Wir benehmen uns doch immer erstklassig«, sagte er schmunzelnd. 41
»Da sehe ich überhaupt keine Gefahr!« Larry wiegte nachdenklich den Kopf. »Na – ich weiß nicht. Daddy hat gemeint, daß bisher immer irgend etwas Aufregendes passiert ist, wenn wir zusammen waren.« »Ach was«, meinte Lissy beruhigend. »Was soll auf einem Gestüt schon passieren! Wir machen dort ganz gemütliche Ferien und gammeln einfach nur so herum.« »Aber reiten will ich lernen«, sagte Larry. »Das hab ich meinem Vater versprochen.« »Ich auch!« schrie Chris. »Ich möchte auch reiten lernen! Und Lissy kann uns dabei fotografieren! Die werden nachher in der Schule staunen, wenn sie mich wie einen Cowboy auf einem Pferd sehen!« »Ich fotografiere dich sowieso bloß, wenn du runterfällst«, sagte Lissy grinsend. »Ich möcht zu gerne mal ein Foto von meinem Bruder haben, wie er gerade den Erdboden küßt. Das müßte hübsch sein!« »Ach, du!« schnaubte Chris und sprang auf seine Schwester zu. Die rettete sich schnell hinter Bens Rükken, und Ben versuchte, Chris mit kleinen Fausthieben abzuwehren. »Warte! Ich helf dir, Chris!« schrie Larry begeistert 42
und warf sich auch ins Getümmel. Peggy sprang vor Begeisterung auf und ab. »Los! Gib’s ihnen, Ben! Zeig ihnen, was du kannst!« Als man von den fünf Kindern nur noch ein unentwirrbares Knäuel sehen konnte, drehten sich Herr und Frau Arnold erschrocken um. »Kinder!« rief Frau Arnold. »Was ist denn in euch gefahren! Aufhören! Sofort aufhören, sage ich!« Sie versuchte verzweifelt, die Kampfhähne auseinanderzubringen. Als sie schließlich sah, daß alle lachende Gesichter hatten, war sie ganz verwirrt. »Und ich dachte, ihr hättet euch wirklich gestritten!« meinte sie fassungslos. »Wir?« fragte Larry empört. »Wir streiten uns doch nur so zum Spaß!« Mit einem hilflosen Lächeln sah Frau Arnold Mr. Potter an. »Ich hoffe nur, daß Sie es mit dieser Bande aushalten«, seufzte sie. »Da machen Sie sich mal keine Sorgen, Frau Arnold.« Mr. Potter schob seinen Kaugummi seelenruhig von einem Mundwinkel in den anderen. »Die sitzen mucksmäuschenstill, wenn wir erst einmal starten, das versprech ich Ihnen. 43
Die werden sich nämlich noch wundern, wie stark der Wind da oben pustet.« Er sah die Kinder der Reihe nach an. »Habt ihr denn auch jeder eine schöne große Tüte mit?« »Eine Tüte?« fragte Lissy verwundert. »Wofür denn das?« »Na! Zum Reinspucken!« lachte Mr. Potter und hielt sich vor Vergnügen den Bauch, als er bemerkte, wie Lissys Gesicht plötzlich ziemlich blaß wurde. Aber er beruhigte sie gleich wieder. »Der Wetterbericht hat angekündigt, daß der Sturm nachlassen soll.« Prüfend sah er in den Himmel, der immer noch gleichmäßig grau war. Nur weit hinten am Horizont konnte man einen hellen Streifen erkennen. »Seht ihr«, sagte er triumphierend. »In die Richtung fliegen wir. Paßt auf, wenn wir Glück haben, scheint in Dublin die Sonne!«
Der Flug Tatsächlich sollte Mr. Potter recht behalten. Schon während des Fluges riß die Wolkendecke plötzlich auf, 44
und durch die kleinen runden Fenster konnten die Kinder sehen, wie die gleißende Sonne die silbernen Flügel der kleinen »Maybird« zum Leuchten brachte. Unter ihnen sahen die Wolken plötzlich wie weiche, wuschelige Watteberge aus, und über ihnen spannte sich ein endloser dunkelblauer Himmel. Lissy drehte an den vielen Knöpfen über ihrem Sitz, bis ihr plötzlich ein kalter Luftstrahl ins Gesicht pustete. Sie schloß genießerisch die Augen. »Jetzt brauche ich zu meinem Glück nichts weiter als eine winzige Kleinigkeit«, meinte sie. »Und die wäre?« fragte Ben. Lissy tippte mit den Fingern auf ihrem Bauch. »Da
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drinnen muß irgendein Tier sitzen«, meinte sie grinsend. »Das knurrt und brüllt schon die ganze Zeit.« »Ich weiß, wer das ist!« schrie Peggy begeistert. »Das ist ein kleiner Bär, und ich weiß auch, wie der heißt.« Sie strahlte die anderen an. »Das ist der Bär ›Kohldampf‹, und der Bruder hockt in meinem Bauch und knurrt.« Larry öffnete seinen Sicherheitsgurt. »Ich geh mal nach vorn in das Cockpit zu Mr. Potter und frag ihn, wie die Essenslage hier in diesem Vogel so ist.« Er zwinkerte den anderen zu und verschwand vorn in der Kanzel. Mit einem ziemlich langen Gesicht kam er zurück. »Mr. Potter sagt, er hat zwar jede Menge eingekauft, aber er kann uns nichts bringen, weil er sich auf seine Geräte konzentrieren muß. Er kann das Cockpit jetzt nicht verlassen.« Lissy sackte ein bißchen mehr in ihrem Sitz zusammen. »Schade. Und ich hab mich so auf ein gemütliches Essen im Flugzeug gefreut.« Larry runzelte die Stirn. »Und wenn wir uns einfach selbst die Sachen holen?« schlug er vor. »So schlimm kann das doch nicht sein. Ich weiß genau, hinter welcher Klappe alles ist.« 46
Die anderen stimmten begeistert zu. Lissy, mit dem größten Hunger, schnallte sich auch los und half Larry beim Austeilen der Tabletts. Man mußte sie immer an der Vorderlehne verankern, und das war gar nicht so einfach bei dem Geschaukel im Flugzeug. Aber schließlich hatten sie es geschafft. Larry machte ein ganz wichtiges Gesicht, als er die Klappe mit den Essensvorräten öffnete. »Ooooh!« stöhnten die Kinder hingerissen. »Das sieht ja herrlich aus!« Lauter kleine Menüs waren da zurechtgemacht. Für jeden ein Teller, in durchsichtiges Zellophan verpackt, der angefüllt war mit kaltem Huhn, Schinken, Melone, Obstsalat und kleinen frischen Brötchen. Es gab Salz und Pfeffer in kleinen Tütchen, abgepackte Butter, und auch Messer und Gabel steckten in durchsichtigen Tüten. »Und wie steht es mit Limonade?« fragte Chris vorsichtig. »Glaubst du, daß Mr. Potter auch daran gedacht hat?« »Klar!« Larry strahlte. Er öffnete eine andere Klappe und zauberte eine riesige Flasche Orangensaft heraus. »Direkt aus Amerika!« prahlte Larry. »Aus Florida! Da wachsen nämlich die besten Orangen, weil es 47
da immer so warm ist, daß die Bäume dreimal im Jahr Früchte tragen können.« »Nach Florida müßten wir auch mal«, schwärmte Peggy. »Das stelle ich mir ganz toll vor. Gibt es da in den Flüssen auch Krokodile?« »Natürlich!« grinste Larry. »Und die haben genauso eine Leidenschaft für blonde Zöpfe wie du! Die fressen am allerliebsten den ganzen lieben langen Tag nur blonde Zöpfe. Deshalb gibt es da heute nur noch Mädchen mit schwarzen kurzen Haaren!« Peggy tippte sich an die Stirn. »Ihr denkt wohl, ich bin so dumm, daß ich euch jeden Blödsinn glaube! Jedenfalls weiß ich aber ganz genau, daß es in Florida große bunte Papageien gibt …« »… die auf den Palmen sitzen und den ganzen Tag ›Guten Morgen, Lora!‹ krähen, wie?« Chris hielt sich den Bauch vor Lachen. Sie waren gerade mit dem Essen fertig, da vernahmen Sie Mr. Potters Stimme aus dem Cockpit, der über einen Lautsprecher mit ihnen reden konnte. »So, Kinder. Ihr müßt euch wieder fest anschnallen. Wir sind jetzt im Anflug auf Dublin. Setzt euch ruhig auf eure Plätze, okay?« 48
»Okay!« brüllten die Kinder im Chor, räumten in Windeseile alles wieder in die Klappen zurück und setzten sich brav hin. Sie wußten genau, daß Mr. Potter in diesem Punkt nicht mit sich spaßen ließ. Bei Start und Landung mußte eiserne Disziplin herrschen, so hieß sein Grundsatz, denn ein Pilot muß sich darauf verlassen können, daß in den entscheidenden Augenblicken im Passagierraum alles in Ordnung ist. Lissy sah aus dem Fenster. »Dublin!« schrie sie begeistert. »Ich sehe schon Dublin! Direkt unter uns! Oh, sieht das hübsch aus! Und so viele grüne Weiden ringsum! Und das Wasser ist genauso grün wie die Wiesen! Schaut doch mal! Und die roten Dächer, und da, das ist bestimmt eine Kirche, und der Marktplatz! Und da hinten, ob das die Rennbahn ist? Dieses ovale grüne Ding?« »Genau! Das ist die Rennbahn!« sagte Ben beeindruckt. »Was glaubst du«, fragte Chris, »ob wir auch mal mit zu den Pferderennen dürfen?« Larry lachte selbstbewußt. »Auf alle Fälle! Wir können machen, was wir wollen, ist doch klar! Schließlich gehört meinem Vater das Gestüt, und 49
wenn ich sage, wir möchten gern sonntags …« »… und mittwochs«, unterbrach Ben. »Zweimal in der Woche sind Rennen, das weiß ich noch von meinem Großvater, der hat immer die Ergebnisse von den Rennen in der Zeitung gelesen, obwohl wir viel zu arm waren, um selber Geld zu verwetten.« Er stöhnte begeistert. »Bin ich froh, endlich mal wieder zwischen Tieren zu sein und endlich mal wieder Stallmist zu riechen!« Peggy kicherte, aber Lissy stieß sie ärgerlich in die Seite. »Ich finde das überhaupt nicht komisch«, sagte sie. »Ich kann mir schon vorstellen, daß Ben seine Tiere vermißt, überhaupt so das Leben auf dem Dorf. Das ist doch schließlich ganz anders als jetzt in der Stadt.« In diesem Augenblick machte die kleine Maschine einen richtigen Satz, und alle hielten sich den Magen, weil es so kribbelte. Peggy hielt sich die Ohren zu. »Das saust so hier drin!« sagte sie ängstlich. »Hoffentlich ist keine Fliege reingekommen!« »Das kommt vom Höhenunterschied«, klärte Larry sie auf. »Bei mir saust das auch immer in den Ohren, wenn es so schnell runtergeht.« Er griff in seine Hosentasche und holte ein Päckchen Kaugummi raus. »Der echte 50
Weltenbummler«, sagte er großspurig, »hat natürlich immer Kaugummi in der Tasche. Wenn du kaust, dann geht das Sausen sofort weg. Versuch’s mal.« Plötzlich rumpelte es, und dann gab es erst hinten einen kleinen Stoß und dann vorne, und dann schrie Larry: »Hurra! Wir sind gelandet!« »Hurra!« riefen die anderen. »Mr. Potter ist der größte Pilot der Welt!« »Außer unseren Eltern natürlich!« fügte Chris schnell hinzu. Denn er war sehr stolz darauf, so berühmte Eltern zu haben. Mr. Potters Stimme ertönte wieder aus dem Lautsprecher: »Also Kinder. Wir sind da, wie ihr sicherlich schon gemerkt habt. Jetzt bleibt aber brav angeschnallt sitzen, bis wir auf unserem richtigen Parkplatz stehen. Okay? Und dann werden wir wahrscheinlich auch Don Carter sehen.« »Don Carter?« fragte Peggy. »Wer ist denn das schon wieder?« »Das ist der Meister des Gestüts«, erklärte Larry. »Früher war er einmal ein berühmter Jockey, aber jetzt ist er zu alt, um selber die Pferde zu reiten. Jetzt züchtet er lieber Rennpferde. Mein Daddy sagt, er ist ganz in Ordnung.« Peggy seufzte. »Hoffentlich ist er nicht so streng. 51
Wenn wir reiten lernen wollen und er schimpft gleich herum, dann kriege ich bestimmt noch mehr Angst und lerne es nie!« Lissy tippte sich an die Stirn. »Du hast schon Angst, bevor du überhaupt mal ein Pferd gestreichelt hast! So was!«
So viele Pferde! Mr. Potter verließ mit den Kindern die Maschine. »Da vorne«, sagte er, »das ist Don Carter!« Er winkte und schwenkte ein Taschentuch. »Hallo Don! Hier kommt das Völkchen!« Aus der wartenden Menge hinter der Sperre löste sich in diesem Augenblick ein grauhaariger Mann in Reithosen und Reitstiefeln und kam auf sie zu. »Ich werd verrückt!« flüsterte Lissy. »Der ist ja winzig! Ich hab noch nie einen so kleinen Mann gesehen!« »Vielleicht ist das ein Liliputaner!« wisperte Peggy zurück. »Die hab ich mal im Zirkus gesehen!« »Quatsch!« sagte Larry ärgerlich. »Don Carter ist 52
doch kein Liliputaner! Er ist bloß ziemlich klein wie alle Jockeys. Ein Jockey darf ja nicht mehr als hundert Pfund wiegen, sonst ist er für das Pferd zu schwer.« »Was du alles weißt!« staunte Lissy. »Und wer ist denn die große Frau da neben Don Carter?« »Das ist Maggie, seine Frau«, erklärte Mr. Potter. »Ich gebe zu, daß es ziemlich ungewöhnlich aussieht, so ein kleiner Mann mit so einer großen Frau …« »Wie Pat und Patachon!« kicherte Peggy. »… aber trotzdem«, fuhr Mr. Potter unbeirrt fort, »würde ich euch vorschlagen, eure Witze für euch zu behalten. In diesem Punkt ist Don Carter nämlich ziemlich empfindlich.« Das Erstaunliche an Don Carter war, daß er eine Stimme wie ein Riese hatte, tief und dunkel. Er gab erst Mr. Potter die Hand und dann jedem der Kinder. Larry zuckte bei seinem Händedruck zusammen vor Schmerz. »Na, Larry«, sagte Don Carter fröhlich. »Das ist ja hübsch, daß du uns einmal besuchst. Ich hab schon immer zu Maggie gesagt, daß es Zeit wird, den Jungen an Pferde zu gewöhnen. Pferde, weißt du, sind nämlich das Beste, was es gibt auf der Welt!« Er drehte sich um und legte schnell seiner Frau den Arm um die 53
Taille. »Aber Maggie ist das Zweitbeste, ganz bestimmt. Das werdet ihr auch bald merken. Maggie ist nämlich die größte Köchin von ganz Irland.« Chris lächelte zaghaft, nachdem auch er den festen Händedruck von Don Carter überstanden hatte. »Wenn Sie gut kochen können«, sagte er zu Maggie Carter, »dann sind wir ja genau richtig.« Er zog Peggy an den Zöpfen. »Wir essen nämlich alle leidenschaftlich gern. Außer Peggy, die kaut am liebsten an ihren Zöpfen, wie Sie hier sehen.« Peggy stieß ihren älteren Bruder ärgerlich weg. »Ach du!« rief sie. »Immerzu machst du dich über mich lustig!« Sie machte einen Knicks und lächelte Maggie Carter liebenswürdig an. »Meine Lieblingsspeise ist Schokoladenpudding«, sagte sie. »Können Sie das auch kochen?« Don Carter lachte dröhnend. »Ob meine Frau Schokoladenpudding kochen kann, fragt ihr? Da werdet ihr aber staunen! Maggie kocht den besten Schokoladenpudding von ganz Irland!« Er klatschte in die Hände und zeigte auf ein offenes Auto, das hinter der Absperrung stand. »Ich schlage vor, wir fahren gleich los. Bestimmt seid ihr schon ganz gespannt, wie es auf unserem Gestüt aussieht!« 54
Bens Augen leuchteten. »Ich freu mich unheimlich, Mr. Carter«, sagte er, als er neben Don auf den Wagen zuging. »Ich komme nämlich eigentlich auch vom Lande, wissen Sie. Wir hatten zwar nicht so edle Pferde, aber ich bin oft aufs Feld geritten …« Don Carter klopfte Ben auf den Rücken. »Prima, mein Junge«, sagte er anerkennend. »Wenn du was von Pferden verstehst, dann wirst du deine helle Freude bei uns haben. Wir haben davon nämlich einhundertachtundzwanzig Stück.« Ben blieb stehen. »Einhundertachtundzwanzig Pferde?« sagte er überwältigt. »Das sind ja mehr … mehr als wir früher Kühe im ganzen Dorf hatten … das ist ja eine Riesenherde, eine …« Er drehte sich zu den anderen um und schrie: »Wißt ihr eigentlich, wie viele Pferde es auf dem Gestüt gibt? Genau einhundertachtundzwanzig!« Chris machte einen begeisterten Luftsprung. »Toll!« brüllte er. »Ich sag ja: Was Larrys Vater macht, das macht er richtig! Mit Kleinigkeiten gibt er sich gar nicht erst ab.« »Dafür ist er schließlich auch Millionär«, fügte Lissy altklug hinzu. Sie lief neben Maggie Carter her. »Wie weit ist es denn bis zu dem Gestüt?« fragte sie. 55
»Achtzehn Meilen«, sagte Maggie lächelnd. »Das ist nicht weit. In einer halben Stunde sind wir da.« Die Fahrt in dem offenen Wagen war herrlich. Die Kinder hockten auf den Rücklehnen der Sitze und ließen sich den Wind um den Kopf pusten. Die Wolken zogen so schnell über den Himmel, daß immer wieder ein helles Loch aufblitzte, und wenn manchmal ein Sonnenstrahl direkt ihre Gesichter traf, fühlte sich die Haut ganz warm an.
»Ich wette, das Wetter wird besser«, sagte Ben. »Ich hab das so im Gefühl.« Larry blickte hingerissen auf die Landschaft, die sie durchführen. Überall grüne saftige Weiden, Hecken aus blühendem Jasmin und gelbem Ginster dazwi56
schen, kleine sanfte Hügel, auf denen man manchmal eine alte Burgruine oder riesige graue Feldsteine erkennen konnte. Don Carter zeigte auf eine Gruppe dieser Steine. »Das sind Hünengräber!« schrie er gegen den Fahrtwind. »Die sind schon mehrere tausend Jahre alt, von unseren Vorfahren! Kein Mensch weiß, wie die Leute früher diese schweren Steine bewegen konnten! Die wiegen alle Tausende von Tonnen!« Ehrfürchtig starrten die Kinder auf die komischen Gebilde. »Sieht ein bißchen unheimlich aus«, sagte Peggy schließlich ängstlich. »Schwesterchen hat mal wieder Angst!« spottete Chris. Er deutete auf die andere Seite. »Das da sieht schon viel besser aus, wie?« Zwischen zwei Hügeln sah man plötzlich das Meer durchschimmern, und seltsamerweise war es hier nicht blau, sondern grün, es hatte fast die Farbe der Wiesen. »Das ist das irische Meer!« rief Lissy begeistert. »Oh, wie schön! Vielleicht liegt das Gestüt ja direkt am Meer, und dann können wir baden gehen und …« Maggie Carter schüttelte bedauernd den Kopf. »Cill Dara liegt landeinwärts«, erklärte sie. »Es ist minde57
stens zehn Meilen vom Meer entfernt. Aber von manchen Weiden kann man das Meer sehen, denn Cill Dara liegt auf einer Hügelkuppe, und man hat einen wunderschönen Blick, fast bis nach Dublin.« »Cill Dara«, fragte Chris. »Ist das der Name des Gestüts?« Maggie Carter nickte. »Ja, das ist ein alter irischer Name, die Engländer nennen es Kildare. Klingt romantisch, nicht wahr?« Sie stand plötzlich auf und streckte den Arm aus. »Da vorne! Seht ihr? Die weißen langgezogenen Häuser mit dem Fachwerk! Das ist Cill Dara!« »Und da sehe ich auch die ersten Pferde!« rief Peggy. »Da hinten, auf der Koppel! Hinter den weißen
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Zäunen!« Lissy war ganz sprachlos. »Schön«, sagte sie hingerissen, »wunderschön sieht das aus. So etwas habe ich bis jetzt nur auf Bildern gesehen.« Es sah wirklich aus wie ein schönes altes Ölgemälde: die grünen Weiden, die weißen Koppelzäune, dahinter Hecken aus blühenden Buschrosen, rosa und dunkelrot, und überall Stuten mit ihren Fohlen, schwarze und braune, und auch ein paar Schimmel, deren Schweife in dem hellen Licht glänzten wie Silber. Don Carter sah sich um. »Na?« fragte er triumphierend. »Habe ich etwa zuviel versprochen?« Ben schüttelte den Kopf. »Es ist noch schöner, als wir es uns vorgestellt haben, Mr. Carter.« Don Carter trommelte auf das Lenkrad. »Sagt nicht immer Mr. Carter zu mir, das klingt so dumm. Hier nennen mich alle Leute Don, verstanden? Und für euch bin ich auch der Don – das heißt, solange ihr euch anständig benehmt. Sonst müßt ihr wieder Mr. Carter zu mir sagen!« Die anderen lachten fröhlich. »Ich finde auch, daß Don viel besser klingt. Außerdem ist es kürzer«, meinte Larry. »Daddy sagt doch auch Don zu Ihnen, oder?« Don Carter schüttelte den Kopf. »Dein Daddy nennt 59
mich immer nur Mr. Carter. Dein Daddy redet alle Leute bei ihrem Nachnamen an. Er denkt, das ist bei uns in Europa so üblich!« Don Carter lachte amüsiert. »Und dabei reden sich die Amerikaner doch alle nur mit dem Vornamen an! Sogar die Bankdirektoren in New York tun das, habe ich mir erzählen lassen!« Don Carter drückte kräftig auf die Hupe, als sie durch den Torbogen mit dem kleinen Glockenturm in den Hof einfuhren. Die Kinder hatten kaum Zeit, sich alles anzusehen, den Brunnen in der Mitte, der mit Rosen bewachsen war, das Kletterobst überall an den Häusermauern, die Storchennester oben auf dem Dach und die schöne glänzende Kutsche da vorne neben der Pferdetränke …
Was war los mit Dollarboy? Ein Mann in blauem Arbeitsanzug kam quer über den Hof auf sie zugerannt. Er winkte aufgeregt und schrie immer: »Don! Don! Komm schnell her!« Don schaltete den Motor ab und sprang vom Wagen. »Was ist los, Will?« fragte er nervös. »Warum 60
rennst du so?« »Es ist wegen Dollarboy!« keuchte Will. »Ich glaube …« er stockte und wischte sich mit einem riesigen karierten Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Ich glaube, er ist tot.« Don Carter wurde kreidebleich. »Tot?« schrie er. Er packte Will an den Schultern und schüttelte ihn. »Wieso denn tot? Das ist doch nicht möglich.« Will nickte. »Wir haben schon dem Tierarzt Bescheid gesagt, er wird gleich kommen.« Will zuckte mit den Schultern. »Aber das hat keinen Zweck mehr. Der ist mausetot, Don. Der tut keinen einzigen Seufzer mehr.« Maggie trat hinter ihren Mann und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Bleib ganz ruhig, Don«, flüsterte sie eindringlich. »Reg dich nicht auf, Don.« Don schüttelte seine Frau ungeduldig ab. »Wo ist Dollarboy?« fragte er den Arbeiter. »Ich muß ihn sofort sehen.« Will zeigte auf einen der hinteren Ställe, die man durch einen weiteren Torbogen erreichte. »Stall zehn«, sagte er. »Die anderen sind alle da und warten auf dich, Don. Keiner kann verstehen, wie das passiert ist. Ich schwöre dir, Don, wir haben …« Mehr konnten 61
die Kinder nicht verstehen, denn Don und Will setzten sich in Trab und waren nach ein paar Sekunden verschwunden. Ratlos standen die Kinder auf dem Hofplatz herum. »Das ist ja eine schöne Begrüßung«, sagte Larry ein bißchen enttäuscht. »Wieso«, erwiderte Chris, »da kann doch keiner etwas dafür. Und es ist ja auch schlimm, wenn ein Pferd stirbt …« Er sah zu Maggie hinüber, die gerade ziemlich schweigsam die Koffer vom Rücksitz nahm und mit einem Schwung auf die Erde stellte. »Lassen Sie das doch, Frau Carter«, sagte er hilfsbereit. »Wir können unsere Koffer selbst tragen.« Maggie streckte sich und strich eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie sah wirklich ganz irisch aus, mit grünen Augen und einem rötlichen Schimmer in ihren blonden Haaren. »Könnt ihr das?« fragte sie freundlich. »Dann bin ich aber froh. Ich hab nämlich in der Küche so viel zu tun …« »Klar!« sagte Larry. »Kümmern Sie sich nicht weiter darum! Wir machen das schon! Und die Zimmer können wir uns auch später ansehen!« 62
Maggie Carter nickte dankbar und ging auf das Haus zu. »Ich denke auch an den Schokoladenpudding!« rief sie. »Heute gibt es etwas ganz besonders Gutes! Zu eurem Empfang!« »Prima!« riefen Chris und Lissy wie aus einem Mund. Die Kinder warteten, bis Maggie mit ihrem Einkaufskorb im Hauseingang verschwunden war, dann sahen sie sich an. »Ich bin dafür, wir unternehmen erst einmal eine kleine Inspektion«, sagte Larry. Ben nickte. »Wollen wir mit Stall zehn beginnen?« fragte er augenzwinkernd. Peggy starrte Ben an. »Wieso denn Stall zehn?« fragte sie irritiert. »Weil in Stall zehn doch das tote Pferd liegt!« wisperte Chris. »Und wir wollen uns doch mal ansehen, was da los ist!« Peggy machte ein erschrecktes Gesicht, aber Lissy faßte Peggy an der Hand und zog sie mit sich den Jungen nach. So einfach war es gar nicht, den Stall zehn zu finden. Als die Kinder durch den ersten Torbogen getreten waren, standen sie wieder in einem Hof, der haarge63
nau so aussah wie der erste, nur daß keine Kutsche dastand und es keine so breite Eichentür mit zwei Steintrögen rechts und links gab. Hier sahen die Türen alle gleich aus. Hilflos sahen die Kinder sich um. »Wo müssen wir denn jetzt hingehen?« fragte Larry. Chris legte den Finger an die Lippen. »Psst«, murmelte er, »ich glaube, ich höre Stimmen!« Die anderen horchten auch. »Los!« rief Larry mit unterdrückter Stimme. »Wir schleichen uns ran! Ich glaube nämlich nicht, daß Don Carter begeistert wäre, wenn er uns hier sähe!« Im Gänsemarsch drückten die Kinder sich an der Hauswand entlang. Es war gar nicht so einfach, denn überall wuchsen Spalierbäume, und die Zweige waren so voll und schwer von den Früchten, das sie fast bis zur Erde hingen. Manchmal mußten die Kinder direkt untendurchkriechen. Aber plötzlich stockte Ben, der an erster Stelle gegangen war. Er zeigte auf eine grünlakkierte Tür, die nur angelehnt war. »Da ist es!« raunte er. »Da drinnen sind sie!« Er schlich noch ein paar Zentimeter weiter, bis er durch den Türspalt sehen konnte. Unbeweglich blieb er solange stehen, bis die anderen ungeduldig wurden. »He!« Larry, der hinter ihm stand, stupste ihn un64
sanft zwischen die Rippen. »Was ist denn? Wir wollen auch mal was sehen!« Doch Ben starrte weiter durch die Tür. Den anderen kam es wie eine Ewigkeit vor, als er sich endlich umdrehte. Er war ganz weiß im Gesicht. »Mir ist schlecht«, murmelte er. »Ich glaub, ich muß erst einmal einen Schluck Wasser trinken!« Larry hielt ihn am Ärmel fest. »Wieso ist dir schlecht? Was ist denn da drinnen los? Können wir auch mal gucken?« Ben schüttelte den Kopf. »Laßt es lieber sein, so ein totes Pferd sieht nicht gerade schön aus.« Plötzlich hörten sie Stimmen, die näher kamen, und das Klirren von Eisen auf dem Steinpflaster. »Achtung! Sie kommen!« schrie Chris, aber da war es schon zu spät. Die Tür flog auf, und Don Carter stand da. Don machte kein sehr freundliches Gesicht, und es wurde auch nicht besser, als er die Kinder entdeckte, die mit Sündermiene und gesenktem Kopf vor ihm standen. Er stellte sich breitbeinig auf und stemmte die Hände in die Hüften. Plötzlich schien er den Kindern gar nicht mehr klein, sondern sehr, sehr groß. »Was soll das?« knurrte Don Carter. »Was schleicht ihr hier herum?« 65
Als keines der Kinder den Mund aufmachte, ging Don Carter auf Larry zu und hob mit der Fingerspitze dessen Kinn hoch, bis Larry ihm in die Augen sehen mußte. »Was ist los, Larry?« fragte er. »Ich sehe doch, daß ihr ein schlechtes Gewissen habt!« Larry wand sich. »Es war nur, weil wir doch gehört hatten, daß ein Pferd gestorben ist … und weil wir noch nie ein totes Pferd gesehen haben, da …« Don Carter ließ ihn los. »Ach, deshalb! Na, wenn’s wieter nichts ist! Ich habe nicht gewußt, daß tote Pferde euch so interessieren, ich dachte, lebendige sind euch lieber.« Ben nickte hastig. »Sind Sie uns auch, Mr. Carter … äh … Don.« Er verhaspelte sich in der Aufregung. »Bestimmt ist es auch besser, wenn wir gar nicht hingehen. Den Mädchen wird sicherlich schlecht!« Lissy trat empört einen Schritt vor. »Wieso denn immer den Mädchen? Du warst doch auch ganz grün im Gesicht, als du da durch den Türspalt gesehen hast!« Don Carter nickte. »So ein totes Pferd ist auch kein schöner Anblick, das kann ich euch sagen, Kinder. Das geht mir auch immer ganz schön nahe. Da hängt man an so einem Tier und hegt und pflegt es, trainiert 66
jeden Tag und hofft, am Sonntag ein Rennen zu gewinnen, und plötzlich liegt es tot im Stall.« »Woran ist es denn gestorben?« fragte Ben neugierig. Don zuckte die Achseln. »Wenn wir das wüßten! Der Tierarzt konnte auch nichts feststellen. Er will das Pferd abholen lassen und es dann genau untersuchen.« »War Dollarboy denn schon lange krank?« fragte Lissy neugierig. »Nein. Wir haben bloß gemerkt, daß er seit einer Woche bei der Arbeit immer ein bißchen schwitzte, besonders beim Galopptraining. Und einmal, beim Hindernislaufen, da ist er nach dem Sprung gestolpert, als wenn er zu schwach wäre. Aber so etwas gibt es natürlich immer mal.« »Und gefressen hat er auch immer?« fragte Ben. Don hob die Augenbrauen. »Donnerwetter!« sagte er. »Eine kluge Frage. Ich schätze, du willst einmal Tierarzt werden, wie? Der hat mich eben nämlich dasselbe gefragt!« »Hat er denn nun gefressen?« fragte Larry ungeduldig. Don schüttelte den Kopf. »In den letzten zwei Tagen nicht so gut wie sonst. Aber das ist auch nicht sehr 67
ungewöhnlich. Denn ein paar Tage vor dem Rennen wird er natürlich härter trainiert als sonst, und das merkt ein kluges Tier. Dann kriegt es so etwas Ähnliches wie Lampenfieber.« Chris grinste. »Das ist ja lustig. Das ist ja fast wie bei den Menschen.« Don sah Chris nachdenklich an. »Pferde sind manchmal klüger als wir Menschen, mein Junge«, sagte er ernst. »Das kannst du dir mal merken.« Er schlug sich mit der Reitpeitsche gegen den Stiefel. »Okay«, sagte er zu den Pferdepflegern, die inzwischen in einem Halbkreis um die Kinder herumstanden und das Gespräch verfolgt hatten. »Das sind also die Kinder, die jetzt für ein paar Wochen bei uns bleiben.« Er winkte einem schmächtigen Jungen, der sich halb hinter den anderen verborgen hatte. »Komm mal her, Iltis«, befahl er. »Stell dich mal vor.« Iltis kam zaghaft zwei Schritte vor. Als er neben Don stand, noch ein bißchen kleiner und viel dünner, sahen die Kinder, daß sie beide die gleichen krausen Haare und die gleichen schwarzen Augen hatten.
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Ein neuer Freund »Iltis ist mein Sohn«, sagte Don. »Er kann reiten wie der Teufel, und er versteht von Pferden schon fast soviel wie ich.« Don schlug seinem Sohn, der vor Freude rot geworden war, auf die Schulter. »Iltis wird sich in Zukunft um euch kümmern, euch alles zeigen. In ein paar Tagen sollte er sein erstes Rennen reiten. Aber daraus wird ja nun nichts.« »Und warum nicht?« fragte Chris neugierig. Iltis sprach zum erstenmal. »Weil ich den Dollarboy reiten sollte«, sagte er traurig. »Aber der ist ja jetzt tot.« Er sah auf die Erde und bohrte die Spitze seines Reitstiefels immer tiefer in das kleine Loch zwischen zwei Pflastersteinen. Er hatte die Lippen ganz fest zusammengepreßt, und trotzdem sah Lissy, daß seine Mundwinkel zitterten. Iltis gefiel ihr sofort. Sie ging auf ihn zu und gab ihm die Hand. »Ich heiße Lissy«, sagte sie, »und mir tut es unheimlich leid, daß du Sonntag nicht reiten kannst. Wir hätten dir die Daumen gedrückt, dann 69
hättest du bestimmt gewonnen.« Iltis hob den Kopf und lächelte zaghaft. Dann gab er
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Lissy die Hand. »Dollarboy war der Favorit«, sagte Don. »Der hätte dieses Rennen mit Längen gewonnen! Alle auf der Rennbahn wußten, daß Dollarboy nicht zu schlagen ist! Das ist es ja! Deshalb kann ich gar nicht begreifen, daß ausgerechnet vier Tage vorher so etwas passiert.« Er schüttelte nachdenklich den Kopf und entfernte sich mit den anderen. Iltis blieb mit den Kindern zurück. Einer nach dem anderen stellten sie sich vor. Als sie dann ein bißchen verlegen herumstanden und nicht mehr wußten, worüber sie sprechen sollten, lächelte Iltis plötzlich und sagte: »Ich könnte euch ja mal meine Stute zeigen. Sie heißt Golda.« Sein Gesicht leuchtete plötzlich wieder. »Mein Vater hat sie mir zum Geburtstag geschenkt, vor zwei Monaten.« »Wie alt bist du denn?« fragte Lissy neugierig. »Fünfzehn«, sagte Iltis. »Wahrscheinlich sehe ich jünger aus, aber das kommt nur, weil ich so klein bin. Außerdem darf ich nicht viel essen, damit ich nicht dicker werde. Je dünner ich bin, desto leichter habe ich es bei den Rennen.« »Du darfst nicht viel essen?« fragte Chris entsetzt. »Heißt das etwa, daß du hungerst?« 71
»Hungern nicht gerade.« Iltis grinste. »Aber so etwas wie Kuchen und Süßspeisen hab ich schon lange nicht mehr angerührt. Obwohl mir oft genug das Wasser im Mund zusammenläuft, wenn ich nur daran denke.« Peggy verdrehte die Augen. »So ein Leben könnte ich nicht aushaken!« stöhnte sie. »Ein Leben ohne Schokoladenpudding – das wäre nichts für mich.« Ben nickte Iltis bewundernd zu. »Wenn man wirklich etwas sehr gerne möchte, wie Iltis zum Beispiel als Jockey, dann kann man auch auf Schokoladenpudding verzichten. Stimmt’s?« Iltis lächelte. »Stimmt genau.« Er sah die anderen an. »Wie ist es? Wollen wir Golda besuchen? Sie steht da drüben im Abfohlstall.« Auf dem Weg zum Stall erzählte Iltis ihnen mehr über die Stute. »Sie hatte eine ganz berühmte Mutter, Gwendolyn, das war eine Derbysiegerin. Golda ist auch sehr schnell gewesen, aber bei ihrem dritten Rennen hat sie sich verletzt, und da konnte sie nie wieder starten.« »Oh«, sagte Peggy bedauernd. »Wie schade.« Iltis nickte. »Deshalb ist es auch keine wertvolle 72
Zuchtstute geworden, weil man ja gar nicht genau weiß, ob sie jemals schnell genug geworden wäre, um ein großes Rennen zu gewinnen. Und deshalb konnte mein Vater sie auch ziemlich billig kaufen; das erste Fohlen ist bald nach der Geburt gestorben, und da hatte der erste Besitzer keine Lust mehr, das teure Futter für sie zu bezahlen.« »Pfui, wie gemein!« empörte sich Lissy. »Der Mann hatte wohl gar kein Herz.« Iltis grinste. »Mir war es recht. Denn sonst hätte ich sie ja nicht bekommen. Sie hat sich schon wunderbar an mich gewöhnt, sie ist ganz zärtlich und liebt es, wenn man sie krault und streichelt. Nur jetzt ist sie etwas nervös, weil sie bald wieder ein Fohlen bekommen soll.« »Wie süß!« rief Peggy. »Wann soll es kommen?« »Das weiß man bei Stuten nie so auf den Tag genau. Aber in einer Woche ist es bestimmt da.« Er sah die Kinder an. »Drückt mir bitte die Daumen, daß das Fohlen dieses Mal am Leben bleibt!« »Klar drücken wir die Daumen!« rief Ben glühend vor Begeisterung. »Wir können ja nachts Stallwache halten, damit wir im richtigen Augenblick da sind, 73
wenn sie das Fohlen bekommt.« »Das mach ich schon seit einer Woche«, sagte Iltis. »Jede Nacht schlafe ich bei Golda im Stall.« Er verzog sein Gesicht. »Das piekst ganz schön, sage ich euch, wenn man auf dem Stroh schläft! Und Golda weckt mich alle naselang. Das ist vielleicht ein komisches Gefühl, wenn sie einem mit ihren weichen Nüstern über das Gesicht streichelt!« Er lachte fröhlich. Begeistert starrte Larry ihn an. »So was möchte ich auch einmal machen!« sagte er. »Nachts bei einem Pferd in der Box schlafen!« Zweifelnd wiegte Chris den Kopf. »Ich weiß nicht. Das wär mir ein bißchen zu gefährlich. Schlagen die Pferde nachts nicht aus? Ich würde nicht gern den Abdruck eines Hufes im Gesicht haben!« Iltis lächelte. »So etwas tun Pferde nie. Die passen unheimlich auf, daß sie einen Menschen nicht treten. Sogar wenn sie bei einem Hindernis stürzen, im Rennen, dann lassen sie sich so fallen, daß der Reiter nicht verletzt wird.« »Donnerwetter«, staunte Larry. »Das hätte ich diesen Tieren gar nicht zugetraut.« Iltis sah die anderen fragend an. »Wenn ihr keine 74
Angst habt, dann könntet ihr ja nachts mit mir Stallwache halten!« »Angst!« empörte Ben sich. »Wovor sollen wir denn Angst haben!« Iltis zuckte mit den Schultern. »Na ja – ich weiß nicht. Vielleicht vor den Pferden oder vor …« »Gespenstern!« flüsterte Peggy mit weit aufgerissenen Augen. »Gibt es hier vielleicht Gespenster?« Sie sah sich ängstlich auf dem Hof um, der jetzt um die Mittagszeit in blendendes Sonnenlicht getaucht war. Ben legte Peggy einen Arm um die Schulter. »Gespenster gibt es doch nur noch in alten Schlössern, Peggy, und in Kirchtürmen und Burgverliesen, das solltest du doch wissen.« Peggy nickte aufmerksam. Obwohl sie schon fast überzeugt war, daß sie keine Angst zu haben brauchte, steckte sie doch schnell ein Zopfende in den Mund, um sich zu trösten. »Was ist, Iltis?« fragte Larry eifrig. »Könntest du deinen Vater nicht mal fragen, ob wir nachts mit dir aufbleiben dürfen?« Iltis grinste. »Fragen kann ich schon, das ist klar. Aber ich weiß natürlich nicht, ob er es erlaubt.« Sie hatten gerade die Sattelkammer erreicht. Hier roch es nach Leder und Schmierseife und einem ranzi75
gen Fett, mit dem das Leder der Sättel und Trensen eingerieben wurde. Sauber ausgerichtet hingen viele Sättel an der Wand, darunter immer eine Trense mit langen Zügeln, die zu Schlaufen gebunden waren. »Hier! Das ist mein Sattel!« Stolz zeigte Iltis auf einen nagelneuen hellbraunen Sattel, über dem ein kleines Schildchen hing mit dem Namen »Paul Carter«. »Paul?« fragte Ben. »Heißt du so?« Iltis verzog sein Gesicht. »Ja, aber der Name gefällt mir nicht. Alle nennen mich hier Iltis. Ich finde, das ist ein lustiger Name.« Er stockte plötzlich und kniff die Augen zusammen. »He!« rief er. »Was ist denn das?« Iltis bückte sich und hob etwas Glitzerndes auf, das in einer kleinen Ritze des Holzfußbodens steckte. Iltis pfiff durch die Zähne. »So etwas!« sagte er. »Der Doktor läßt sein Zeug doch sonst nicht so herumliegen!« Die Kinder drängten etwas dichter heran. »Laß mal sehen«, bat Larry. »Was hast du denn gefunden?« »Eine Spritze.« Iltis zeigte das Ding hoch. Es war aus Glas, ein Röhrchen, auf dem eine Zahlenskala eingezeichnet war, und vorne steckte eine lange dicke 76
Nadel. »Puh! Das sieht aber gefährlich aus!« sagte Chris schaudernd. 77
»Mit solchen dicken Nadeln bekommen die Pferde ihre Spritzen?« »Ich weiß nicht«, Iltis wirkte etwas unsicher, »der Doktor nimmt sonst eigentlich immer ganz hauchdünne. Er sagt, mit den dünnen Nadeln merken die Pferde den Einstich manch mal gar nicht und bleiben deshalb viel ruhiger.« Er hielt die Spritze in der offenen Hand und horchte. »Das ist das Auto vorn Doktor«, rief er. »Wir können schnell hinrennen und ihm das Ding wiedergeben. Ich glaube, solche Spritzen sind ziemlich teuer.« Iltis rannte aus der Sattelkammer, genau in dem Augenblick, als der Doktor mit seinem Wagen aus dem Hof fahren wollte. »Halt, Doktor!« schrie Iltis aus Leibeskräften und wedelte mit den Armen. »Sie haben etwas vergessen, Doktor!« Der Wagen bremste und fuhr ein paar Meter zurück auf die Kinder zu. »Hier Doktor!« sagte Iltis. »Wir haben etwas gefunden. Das haben Sie da drüben vergessen, in der Sattelkammer.« Er streckte ihm die Spritze entgegen. »Eine Spritze?« fragte der Doktor ungläubig. »Ich hab doch noch nie eine Spritze irgendwo liegengelas78
sen!« Er nahm sie Iltis aus der Hand und drehte sie vorsichtig hin und her. Dann schüttelte er den Kopf. »Die gehört mir nicht«, sagte er schließlich. »Ich benutze eine ganze andere Marke, und außerdem habe ich noch nie in meinem Leben so eine dicke Nadel genommen! Das wäre ja direkt Tierquälerei.« Iltis sah den Tierarzt verständnislos an. »Ja, aber …« meinte er zögernd, »von wem soll die denn sonst sein? Hier auf dem Gestüt ist doch noch nie ein anderer Tierarzt gewesen.« Der Tierarzt hob die Achseln. »Keine Ahnung.« Er hielt die Spritze gegen das Licht und betrachtete sie sorgfältig. Dann hielt er die Nase an die Nadelspitze und roch daran. »Komisch«, murmelte er, »das riecht wie Novalgin.« »Und was ist das?« fragte Iltis neugierig. »Ein Schlafmittel.« Der Tierarzt lachte. »Aber das ist ja wohl kaum möglich! Denn welcher vernünftige Mensch würde einem Rennpferd ein Schlafmittel geben?« Er gab die Spritze an Iltis zurück. »Hier, am besten, du wirfst sie weg. Aber so, daß nichts damit passiert!« Er winkte kurz und ließ seinen Motor wieder an. »Ich muß los, Kinder, ich hab heut noch viel 79
zu tun. Einen ganzen Stall mit Pferden muß ich noch impfen! Adieu!« Die Kinder winkten, bis der Wagen des Tierarztes durch den Torbogen verschwunden war. Dann sahen sie sich ratlos an. »Verstehst du das?« fragte Larry. »Der Doktor sagt, ihm gehört die Spritze nicht, und du sagst, daß es gar keinen anderen Tierarzt hier auf dem Gestüt gibt.« »Merkwürdig«, murmelte Iltis. Unsicher betrachtete er die Spritze. »Und wohin soll ich die jetzt werfen?« Da sprang Ben plötzlich aufgeregt vor. »Ich würde die nicht wegwerfen!« rief er. »Wer weiß, ob wir die nicht einmal gebrauchen können. Wir haben früher die alten Spritzen vom Tierarzt genommen, um damit die schwachen Kälber zu füttern, wenn sie nicht bei der Mutter saugen wollten.« Iltis kaute an der Unterlippe. »Das ist eine gute Idee«, sagte er schließlich. »Wir werfen nur die Nadel weg und behalten die Spritze. Vielleicht brauchen wir sie einmal für mein Fohlen. Ich werde sie bei dem Putzzeug unterbringen, das ich für Golda habe. Es hängt immer in einem Beutel direkt neben ihrer Box.« Iltis sah auf seine Armbanduhr und schlug sich plötzlich gegen die Stirn. »Schon zwei Uhr! Wir sollten 80
ja längst zum Essen kommen! Meine Mutter hat doch heute euch zu Ehren einen Hammelbraten gemacht, mit Bohnen und Klößen! Au weia, hoffentlich schimpft sie nicht.« »Klöße …« wiederholte Ben genießerisch. »Wenn ich nicht irre, handelt es sich da um mein Leibgericht.« Er setzte sich sofort in Trab, um Iltis zu folgen. »Ja – und Golda?« rief Lissy. »Wollten wir die nicht besuchen?« Iltis drehte sich kurz um. »Nach dem Essen«, erwiderte er, »wir haben ja noch den ganzen Nachmittag Zeit!« »Herrlich!« seufzte Peggy. »So viel Zeit! Den ganzen Nachmittag und den ganzen Abend und morgen wieder und übermorgen …« Sie lief neben Chris her. »Glaubst du nicht auch, daß es wunderbare Ferien werden?« »Ich auch«, sagte Chris. »Und Iltis ist nett, findest du nicht?« »Ich glaube«, flüsterte Peggy, damit Iltis sie nicht hören konnte, »das wird ein richtiger Freund. Was meinst du, ob er uns nachts einmal mitnimmt, um auf Golda aufzupassen?« Chris nickte. »Bestimmt. Aber jetzt kann ich nicht mehr an Pferde denken – jetzt muß 81
ich mich erst einmal um meinen knurrenden Magen kümmern.« Don Carter hatte wirklich nicht zuviel versprochen: Seine Frau Maggie kochte phantastisch. Möglich, daß sie tatsächlich die beste Köchin Irlands war – die Kinder waren sofort bereit, das zu glauben. Von der großen geräumigen Küche mit den alten Holzschränken und dem riesigen Eichentisch in der Mitte ging es in den sogenannten Gemüsegarten, der von Heckenrosen umgeben war und ein herrliches schattiges Plätzchen unter einem Efeudach zum Essen bot.
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Maggie hatte mindestens zehn verschiedene leckere Salate in großen glänzenden Tonschüsseln auf die karierte Tischdecke gestellt, dazu ein paar Flaschen selbstgegorenen Apfelmost, einen riesigen Laib frisches Bauernbrot, hartgekochte Eier in einer Kräutersoße, und rechts neben dem Tisch schmurgelte auf einem Holzkohlengrill ein wunderbarer, köstlich duftender Hammelbraten. Wie verzaubert blieben die Kinder stehen. Larry verdrehte verzückt die Augen und rieb sich genüßlich den Bauch. »Ich glaube«, sagte er grinsend, »auf einem Gestüt gibt es zwei Dinge, die besonders interessant sind: erstens die Pferde und zweitens das Essen.« Don Carter, der bereits am Tisch saß und sich gerade eine handtuchgroße Serviette in den Halskragen steckte, lachte amüsiert. »Ich hab’s Maggie ja gleich gesagt …« »Was hast du gesagt?« fragte Maggie, die in diesem Augenblick aus der Küche kam und sich die Hände an der Schürze abwischte. »Daß Kinder die besten Gäste sind. Für Kinder zu kochen, das macht richtig Spaß. Denn die verstehen von einem guten Essen mehr, als wir Erwachsenen denken. Hab ich recht?« 83
»Ganz recht, Don«, sagte Ben eifrig und setzte sich neben ihn auf die Holzbank. »Wir sind alle echte Feinschmecker.« Chris schnupperte die Luft ein. »Das riecht ja hier«, stöhnte er begeistert, »wie im Schlaraffenland.« Maggie lachte gutmütig. »Dann setzt euch erst einmal und haut rein, Kinder. Der Braten ist gleich fertig. Ich muß ihn nur noch aufschneiden. Wer will etwas von der Kruste?« »Ich!« schrien alle Kinder wie aus einem Mund. Don lachte. »So hab ich mir das gewünscht«, sagte er fröhlich. Er sah seinen Sohn von der Seite an. »Na, willst du es dir nicht doch noch einmal überlegen?« Iltis schaute von seinem Teller mit Tomatensalat hoch. »Was denn, Vater?« »Das mit dem Jockey-Beruf. Lern etwas anderes, sei vernünftig und werde so etwas Kluges wie Rechtsanwalt oder Bauunternehmer – da kannst du dein Leben lang soviel essen wie du willst. Da fragt dich keiner, ob du ein Pfund zugenommen hast oder wieviel du überhaupt wiegst!« Iltis schüttelte den Kopf. »Du kennst meinen Entschluß, Vater. Und ich laß mich auch nicht mehr da84
von abbringen. Die Pferde sind das einzige auf der Welt, was mich interessiert. Und ich träume schon davon, einmal ein berühmter Jockey zu werden, seit ich überhaupt denken kann.« Lissy, die Iltis während seiner kurzen Rede genau beobachtet hatte, nickte eifrig. »Ich finde, Iltis hat ganz recht. Ich möchte später auch nicht so einen langweiligen Beruf haben wie Rechtsanwalt oder Steuerberater. Ich möchte ebenfalls mit Tieren arbeiten.« »Iltis, da fällt mir übrigens ein«, sagte Don, »wie geht es denn der Golda? Kann man schon sehen, wann das Fohlen kommt?« Iltis schüttelte den Kopf. »Wir wollten vorhin gerade nach ihr sehen, aber da war es schon zu spät. Nachher werde ich mich gleich um Golda kümmern.« Don nickte zufrieden. »So ist es recht. Und heute nacht? Wer hat heute Nachtwache?« »Ich natürlich«, erklärte Iltis stolz. »Das lasse ich mir nicht nehmen.« »Aber Don!« rief Maggie entsetzt. »Der Junge kann nicht jede Nacht im Stall schlafen! Er bekommt einfach nicht genug Schlaf!« Don Carter lächelte. »Laß nur, Maggie. Jetzt hat er ja Ferien und braucht morgens nicht so früh aufzuste85
hen, um zur Schule zu fahren. Außerdem ist es sein eigenes Fohlen. Und kein echter Jockey darf es sich nehmen lassen, sein erstes Fohlen selber zur Welt zu bringen.« Lissy hatte während der ganzen Zeit Larry in die Seite geboxt. Als er sie ansah, zwinkerte sie ihm bedeutungsvoll zu. Aber Larry verstand einfach nicht, was Lissy meinte. »Warum boxt du mich eigentlich die ganze Zeit?« fragte er schließlich laut. Lissy wurde knallrot. »Es war nur … ich wollte …« stotterte sie. Aber vor Verlegenheit brachte sie nun doch keinen Ton heraus. »Ich weiß schon, was sie wollte«, rief Chris plötzlich mit vollem Mund. »Sie wollte bestimmt fragen wegen heute nacht.« Larry schlug sich gegen die Stirn. »Ach ja!« rief er. »Klar!« Iltis wußte inzwischen auch genau, worum es ging. Er nickte Larry aufmunternd zu. »Worum geht es denn eigentlich?« fragte Maggie verwirrt. »Habt ihr etwa schon Geheimnisse? Ihr kennt euch 86
doch gerade erst seit einer Stunde.« »Das macht nichts«, sagte Iltis. »Sie sind trotzdem schon alle meine Freunde.« »Ich«, sagte Larry hastig, um das Thema wieder auf den Ausgangspunkt zu bringen. »Ich wollte fragen, ob wir vielleicht heut nacht mit Iltis zusammen Nachtwache halten können? Ich meine, wenn Golda heute nacht wirklich ihr Fohlen bekommt …« Don winkte ab. »Das glaub ja nicht, mein Junge. Stuten wie die Golda lassen sich damit Zeit. Es ist eine alte Regel, daß Fuchsstuten immer ein paar Tage über die Zeit gehen.« »Fuchsstuten?« fragte Peggy. »Was ist denn das?« Iltis blickte Peggy fassungslos an. »Sag bloß, du weißt nicht einmal, was ein Fuchs ist?« Peggy wurde rot. »Natürlich weiß ich, was ein Fuchs ist … ich dachte bloß … weil ihr doch von Golda geredet habt, und das ist doch ein Pferd und kein Fuchs …« Don und Iltis brachen in so schallendes Gelächter aus, daß Peggys gestammelte Worte völlig untergingen. »Das hab ich ja noch nie gehört«, prustete Don, »daß jemand einen Fuchs mit einem Pferd verwech87
selt! Hahaha! Kannst du dir so etwas vorstellen, Iltis? Das große Fuchsrennen auf der Galopprennbahn von Dublin! Hahaha!« Er wischte sich die Lachtränen aus den Augen und tätschelte dann tröstend Peggys Arm. »Ein rotbraunes Pferd wird von den Pferdeleuten Fuchs genannt«, erklärte er der verwirrten Peggy. »Also ein Pferd mit einer Haarfarbe, wie die richtigen Füchse sie haben. Und dann gibt es noch Rappen, die sind …« »Schwarz!« schrie Chris dazwischen. »Richtig, Junge. Und die weißen Pferde nennt man wie?« »Schimmel«, sagte Ben. »Da gibt es Apfelschimmel und Blauschimmel, je nachdem, wie die Musterung des Fells ist.« Don nickte zufrieden. »Der Ben weiß eine Menge, das habe ich schon gemerkt. Der würde eines Tages auch einen guten Gestütsmeister abgeben, könnte ich mir vorstellen. Der hat die nötige Ruhe und das Verantwortungsbewußtsein. Weißt du was, Maggie?« Er drehte sich zu seiner Frau um, die gerade die zweite Portion Hammelbraten für die Kinder aufschnitt. »Den Ben könnten wir ruhig mit Iltis zur Nachtwache gehen lassen. Auf den ist Verlaß.« 88
»Ach bitte!« bettelte Lissy flehend. »Wenn Sie Ben gehen lassen, dann dürfen wir doch auch im Stall schlafen, ja? Bitte, bitte, Don! Wir verhalten uns auch ganz mucksmäuschenstill und stören überhaupt keinen Menschen …« »… und kein Pferd«, ergänzte Don. »Das ist ebenso wichtig.« Er warf seiner Frau einen fragenden Blick zu. »Ich möchte das nicht allein entscheiden, Maggie. Was sagst du dazu?« Maggie wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. »Du weißt, was wir Larrys Vater versprochen haben. Wir müssen auf seinen Sohn aufpassen.« »Aufpassen!« rief Larry aufgebracht. »Ich höre immerzu aufpassen! Ich bin doch kein kleines Kind mehr! Und außerdem – was soll einem nachts im Stall schon passieren?« »Da hat der Junge recht«, sagte Don. »Also von mir aus – macht, was ihr wollt, Kinder! Nur keinen Unfug!« Die Kinder sprangen auf und jubelten. Während sie sich über die große Schüssel Schokoladenpudding hermachten und sich Berge von Sahne darüber gossen, besprachen sie voller Eifer die Vorbereitungen für die Nacht. 89
»Wir brauchen jeder eine Decke«, sagte Iltis. »Nachts kann es nämlich kalt werden.« »Und dicke Pullis müssen wir anziehen«, sagte Larry. »Nicht, daß Lissy plötzlich in ihrem hübschen Blümchennachthemd kommt!« Er kicherte so lange, bis er von Lissy einen kräftigen Rippenstoß bekam. »Und Taschenlampen«, sagte Ben, »damit wir uns im dunklen Stall zurechtfinden und Golda besser beobachten können.« Iltis nickte. »Eine starke Taschenlampe ist schon da. Und heute nachmittag bitten wir den Futtermeister, daß er uns ein paar Extra-Strohballen vom Heuboden herunterwirft.« Don winkte energisch ab. »Kommt gar nicht in Frage, mein Junge! Solche Sachen, die nur zu eurem eigenen Vergnügen sind, macht ihr alle schön selbst! Meine Leute haben so viel zu tun, die können nicht ihre Zeit mit diesen Albernheiten vergeuden.« Larry zwinkerte Iltis zu. »Natürlich machen wir das selbst! Ich finde es herrlich, mal auf dem Heuboden zu schuften.« Iltis verzog sein Gesicht. »Da wirst du deine Meinung aber schnell ändern. Bei der Hitze kommt man da oben nämlich ganz schön ins Schwitzen! Und Mük90
ken gibt es da auch jede Menge.« Chris deutete auf seine kleine Schwester. »Dann muß Peggy unten bleiben. Die behauptet nämlich immer, daß sie so süßes Blut hat und von allen Tieren gebissen wird.« Don lächelte Peggy freundlich zu. »Ich finde sie überhaupt süß, eure kleine Schwester. Ich stell mir vor, wie hübsch sie aussieht, wenn sie auf dem Pferd sitzt und bei jedem Galoppsprung ihre Zöpfe auf und ab wippen!« Iltis stand auf und sah die Kinder an. »Und jetzt? Wollen wir jetzt nach Golda sehen?« Maggie erwischte Iltis, der schon weglaufen wollte, gerade noch am Ärmel. »Jetzt zeigst du deinen Freunden erst einmal die Zimmer. Die Koffer sind schon oben. Ich schlage vor, daß die beiden Mädchen das grüne Zimmer bekommen und die Jungen das blaue.« Als die Kinder davonstürmten, rief sie ihnen noch nach: »Und das Badezimmer ist gegenüber auf dem Flur, das kannst du ihnen auch gleich zeigen, sonst vergessen sie womöglich, daß man sich auch auf einem Gestüt ab und zu einmal waschen muß!« Als die Kinder unter lautem Schreien und Lachen endlich verschwunden waren, ließ Maggie sich 91
schweratmend auf der Holzbank neben Don nieder. »Puh!« sagte sie und wischte sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Das ist eine Rasselbande, was?« Don legte seiner Frau eine Hand auf den Arm. »Aber nett sind sie, nicht? Und alles haben sie aufgegessen! Und was für ein Leben hier plötzlich ist!« Maggie nickte. »Ich freue mich auch für Iltis«, sagte sie. »Der Junge hat sonst nie etwas von seinen Ferien gehabt. Jetzt ist doch endlich einmal etwas los!« Wie recht Maggie mit diesen Worten hatte, sollte sie erst später erfahren. Aber sie kannte eben die jungen Feriengäste noch nicht. Wo die hinfuhren, da passierte eben immer irgend etwas. Darauf konnte man sich verlassen wie auf den Sonnenuntergang am Abend. Schließlich wurden sie nicht ohne Grund »die verwegenen Vier« genannt!
Ein Verdächtiger Das blaue Zimmer war wirklich gemütlich. Man nannte es so, weil die Wände blau gestrichen waren, die Betten hatten blau-weiße Bezüge, und aus dem, 92
gleichen Stoff waren die Gardinen vor den winzigen Fenstern. »Wie süß!« schwärmte Lissy, als sie das Zimmer zum erstenmal sah. »Genauso habe ich mir das vorgestellt!« »Als wenn du gewußt hättest, wie die Zimmer auf einem Gestüt sind«, spottete Chris, ihr Zwillingsbruder. Er konnte es nicht lassen, seine Schwester zu nekken. »Du wußtest bis eben ja noch nicht einmal, wie die Pferde aussehen!« Bevor Lissyetwas auf diese Bemerkung erwidern konnte, drehte sich Chris schon zu Ben und Larry um. »Wenn die Mädchen das blaue
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Zimmer nehmen, dann werden wir uns wohl im grünen Zimmer häuslich einrichten, nehme ich an.« Iltis nickte. »Das ist auch größer.« Er sah auf die Uhr. »Ich lauf schon mal runter«, sagte er. »Jetzt, um diese Zeit, wollte der Transporter kommen, um zwei Stuten abzuholen. Wir können uns ja gleich auf dem Hof treffen.« Ben nickte. »In Ordnung. Wir packen nur schnell unsere Koffer aus, dann kommen wir nach.« Das Kofferauspacken lief nach dem alten Rezept: Chris griff mit beiden Armen in die Tiefen seines Koffers, hob den Stapel Wäsche, Pullis, Hosen heraus und beförderte ihn in einem kühnen Schwung in die unterste Kommodenschublade. Die Schuhe schob er unter das Bett, Taschenlampe, Bindfäden, Kaugummis, Taschenmesser, Trillerpfeife, Steinschleuder, Sahnebonbons, Kompaß und Uhr stapelte er auf seinem kleinen Nachttisch auf, rieb sich zwei Minuten später die Hände und sagte zufrieden seufzend: »So. Ich bin fertig.« Die anderen hatten sich genauso beeilt. Fünf Minuten später standen sie schon wieder unten. Aber dort hielten sie erschrocken an. Don stand 94
mitten auf dem Hof, die Hände in die Seiten gestützt und brüllte mit hochrotem Kopf auf einen bärtigen Mann in Reithosen und Gummistiefeln ein, der eine Zigarre im Mundwinkel hatte und sich Dons Schimpfworte scheinbar ungerührt anhörte. »Nimm gefälligst die Zigarre aus dem Mund, wenn ich mit dir rede, Richard!« brüllte er. »Ich bin hier der Chef, merk dir das! Und wenn ich noch einmal sehe, daß du so mit den Pferden umgehst, dann ist deine Zeit hier bald abgelaufen, verstehst du! Hier tritt man keine Tiere mit den Füßen! Verflixt noch mal, warum bist du eigentlich Pferdepfleger geworden, wenn du so grob zu ihnen bist?« Der Mann mit dem Bart schob den Zigarrenstummel ungerührt von einem Mundwinkel in den anderen. Er grinste seinen Chef an. »Ich bin Pferdepfleger geworden, weil ich dafür bezahlt werde«, sagte er kalt. »Und wenn ich vorher gewußt hätte, was für eine Schinderei das ist, dann hätte ich auf das Geld gepfiffen …« »Das kann ich mir vorstellen!« schnaubte Don. »Dann hättest du vielleicht wieder irgendein krummes Ding gedreht, und wärst dafür im Gefängnis gelandet! Ich geb dir einen guten Rat: Führ dich hier anständig 95
auf, sonst ist meine Geduld bald am Ende!« Richard tippte einmal kurz an den Rand seiner Jokkeymütze und verschwand mit schlurfenden Schritten in der Sattelkammer. Als Don sich umdrehte, entdeckte er die Kinder, die atemlos zugehört hatten. Er versuchte, sein grimmiges Gesicht hinter einem Lächeln zu verstecken. »Da seht ihr mal, was man als Gestütsmeister für einen Ärger haben kann. Mit solchen Leuten muß man sich herumstreiten.« »Das war aber ein komischer Typ«, sagte Ben vorsichtig. »Irgendwie gefällt der mir nicht.« Don nickte. »Mir eigentlich auch nicht. Aber was will man machen. Es ist heute nicht mehr so einfach, Pferdepfleger zu bekommen. Die meisten verstehen von Tierhaltung überhaupt nichts mehr. Die denken, man könnte mit Pferden so umgehen wie mit seelenlosen Maschinen.« Chris trat einen Schritt vor. »Sie haben da eben etwas von Gefängnis gesagt. War denn dieser Richard wirklich schon mal im Gefängnis?« Don nickte traurig. »Der Kerl hat im Leben oft Pech gehabt. Immer hat er sich von irgendwelchen Ganoven ausnutzen lassen. Eines Tages kam er in ziemlich he96
runtergekommenem Zustand auf die Farm und hat mich um Arbeit angefleht. Er tat mir leid, und schließlich kann man ja einen Menschen nicht auf ewig verurteilen, weil er einmal gesessen hat …« »Und weshalb ist er im Gefängnis gewesen?« Don sah die Kinder nachdenklich an. »Eigentlich sollte ich ja gar nicht darüber sprechen. Es ist nicht gut, wenn jeder hier weiß, daß Richard schon einmal was ausgefressen hat. Ihr müßt mir versprechen, daß ihr es für euch behaltet.« Die Kinder nickten. »Versprochen!« erklärte Chris feierlich. »Also gut.« Don senkte seine Stimme etwas. »Richard ist vor zwei Jahren in das Wettbüro der Rennbahn in Ascot eingebrochen. Das war gleich nach dem Derby, da haben die Ganoven über hunderttausend Pfund erbeutet.« »Hunderttausend Pfund?« Peggy riß ihre Augen noch ein bißchen weiter auf als üblich. »So viel Geld! Und hat man ihn dann erwischt?« Don nickte. »Aber erst zwei Monate später. Und da war das Geld weg. Richard hat vor Gericht behauptet, daß sein Komplize mit dem ganzen Geld durchgebrannt sei.« 97
»Spannend!« stellte Larry fest. »Wie im Kriminalroman. Und hat man den Komplizen denn schließlich gefunden?« »Nein.« Don schüttelte bedauernd den Kopf. »Von dem fehlt bis jetzt jede Spur.« In diesem Augenblick fuhr ein Heuwagen schwankend unter dem Torbogen in den Hof ein. Drei Arbeiter hockten mit riesigen Strohhüten oben auf dem Wagen und wischten sich den Schweiß aus den sonnenverbrannten Gesichtern. Don ließ die Kinder stehen, um mit den Arbeitern zu sprechen. Larry stellte sich vor die anderen und sah sie aufgeregt an. »Das war ja eine spannende Geschichte, die Don uns da erzählt hat. Ich trau dem Richard nicht über den Weg.« Ben wiegte zweifelnd den Kopf. »Das kann man schlecht sagen, vielleicht ist ihm die Zeit im Gefängnis doch eine Lehre gewesen. Ich schlage vor, wir suchen jetzt mal Iltis.« »Ja!« rief Lissy. »Sonst bekommt Golda inzwischen ihr Fohlen, und wir verpassen den großen Augenblick.« Ein Arbeiter, den sie in der Sattelkammer trafen, 98
zeigte ihnen den Weg zu Goldas Stall. Iltis schleppte gerade einen Eimer voll Wasser herbei. Er grinste fröhlich, als er die anderen sah. »Das hat aber lange gedauert«, sagte er. »Ich warte schon eine Ewigkeit auf euch!« »Was willst du denn mit dem Wasser?« fragte Ben neugierig. »Ich denke, die Pferde haben hier in den Boxen automatische Tränken?« »Haben sie auch. Aber die Golda hat heute nachmittag so geschwollene Beine, ich will sie ein bißchen mit Wasser kühlen.« Golda hatte einen schönen Stall ganz für sich allein. Die Holztür zu ihrer Box war in der Mitte geteilt, und die obere Hälfte stand offen, so daß Golda ihren Kopf herausstrecken und den ganzen Hof übersehen konnte. Als sie Iltis entdeckte, hob sie den Kopf, spielte mit den Ohren und wieherte zärtlich. Iltis lächelte. »Wir sind schon richtige gute Freunde«, erzählte er. »Golda erkennt mich sogar auf der riesigen Weide hinter dem Hof. Wenn ich noch ganz weit weg bin und nur leise pfeife, hört sie mich schon und kommt in vollem Galopp auf mich zu.« Er stellte den Wassereimer vor ihrer Stalltür ab und tätschelte 99
Goldas muskulösen Hals. Golda hatte sich inzwischen umgedreht. Sie stand jetzt mit dem Kopf an der kleinen Selbsttränke, die sich automatisch anschaltete, als Golda mit den Nüstern gegen eine kleine Metallzunge drückte. Sie trank und trank. Iltis stellte sich neben ihren Kopf und sah zu. »Sie hat von Tag zu Tag mehr Durst«, sagte er. »Auch ein Zeichen dafür, daß das Fohlen bald kommt.« »Glaubst du, daß es heute nacht passiert?« fragte Larry aufgeregt. »Das wäre doch wirklich ganz toll!« »O ja!« Peggy klatschte in die Hände. »Das wäre das aller-allerschönste, wenn ich nach den Ferien in der Schule meinen Freundinnen erzählen könnte, wie wir nachts die Geburt eines Fohlens miterlebt haben!« Sie kaute so aufgeregt an ihren Zöpfen, daß es aussah, als würde sie auch noch die Haarspange mit den roten Kunststoffschmetterlingen verschlucken. »Wenn du nicht aufpaßt«, lachte Ben, »dann hast du bald Schmetterlinge im Bauch. Und wir müssen nachts an deinem Bett Wache schieben und warten, bis sie wieder rauskommen!« Peggy warf Ben einen vernichtenden Blick zu und drehte sich um. 100
Aber Iltis, dem die kleine Peggy so gut gefiel, lief schnell hinter ihr her und legte ihr tröstend seinen Arm um die Schultern. »Laß dich doch nicht immer ärgern«, murmelte er. »Die machen doch nur solchen Blödsinn, weil du genau so reagierst, wie sie es möchten. Ich finde deine Zöpfe übrigens ganz lustig. Früher habe ich mir auch immer eine kleine Schwester gewünscht. Und die hätte dann genau solche frechen Zöpfe haben müssen wie du.« Peggy strahlte. Sie ließ es sich ruhig gefallen, daß Iltis seinen Arm um sie gelegt hatte. Triumphierend sah sie die anderen an. »Seht ihr!« rief sie. »Iltis hält zu mir, jetzt könnt ihr nicht mehr eure Launen an mir auslassen.« Golda scharrte mit den Hufen. Ungeduldig drehte sie sich in ihrer Box, fuhr mit dem Maul immer wieder durch die leere Futterkrippe und hob dann den Kopf, um Iltis vorwurfsvoll anzusehen. »Schaut euch das an!« rief Iltis lachend. »So zeigt sie mir, wenn ihr Magen knurrt!« Er klopfte beruhigend ihren Hals. »Ist schon gut, altes Mädchen. Gleich gibt’s Abendbrot! Heute kriegst du auch eine Sonderration Möh101
ren, die Maggie extra für dich aus dem Dorf mitgebracht hat!« Sie schien ihn genau verstanden zu haben, denn Golda wieherte plötzlich fröhlich und, als wollte sie ihn zur Eile treiben, schob sie ihn sanft, aber bestimmt zur Tür. Die Kinder lachten. »Du hast aber wirklich Glück, daß du so ein süßes Pferd bekommen hast!« meinte Larry fast neidisch. »Ich würde auch gerne eine Stute haben, mit der ich lauter kleine Kunststücke einüben könnte.« Iltis sah Larry verwundert an. »Wieso?« meinte er. »Deinem Vater gehört doch hier alles! Dem gehört auch Presto.« »Na und?« sagte Larry lässig. »Wer ist schon Presto?« »Du weißt nicht, wer Presto ist?« rief Iltis entsetzt. »Das ist das berühmteste Pferd Englands! Bald soll er das große Derby in Dublin gewinnen! Da geht es um fünfzigtausend Pfund! Alle Leute rechnen damit, daß Presto das Rennen gewinnt, und dann ist er vielleicht sogar das schnellste Rennpferd der Welt!« »Donnerwetter!« Larry streckte vor Stolz seine Brust noch ein bißchen weiter raus. »Davon hat mir 102
Daddy überhaupt nichts erzählt. Wo steht denn dieses Wunderpferd?« »Das Wunderpferd ist ein Hengst und steht gleich hier in der Nähe!« Iltis zeigte auf einen schmalen Durchgang, der zu weiteren Wirtschaftsgebäuden führte. »Presto hat natürlich einen eigenen Stall. Der ist sogar mit besonderen Türen gesichert, damit ihm nichts passieren kann. Denn Presto ist ja genauso wertvoll wie ein berühmtes Ölgemälde im Museum!« Lissy lachte. »Das ist vielleicht ein komischer Vergleich. Können wir Presto einmal besuchen?« Iltis schüttelte bedauernd den Kopf. »Das geht nicht. Da ist der Zutritt strengstens verboten. Und außerdem ist alles abgeschlossen. Presto soll seine Ruhe haben, damit ihm vor dem wichtigen Rennen nicht noch irgend etwas passiert.« Die anderen nickten. Es beeindruckte sie schon sehr, daß um ein Pferd so viel Aufwand getrieben wurde. »Na ja«, meinte Larry, »wir werden Presto bestimmt noch sehen. Ich nehme an, daß er doch auch manchmal aus seinem Stall herausgeholt wird, oder?« »Klar«, sagte Iltis. »Er wird ja jeden Morgen von meinem Vater trainiert. Und dann kommt übermorgen der Jockey, der ihn auf dem Derby reiten wird. Das ist 103
ein Italiener, der kommt extra wegen Presto.« Er wandte sich an Larry. »Wenn er das Rennen gewinnt, dann verdient er viel Geld. Zehn Prozent der Summe, glaub ich.« »Laß mal rechnen.« Chris zog seine Stirn kraus. »Zehn Prozent von fünfzigtausend. Das sind … das sind … also …« »Fünftausend!« rief Peggy. »Ist doch völlig klar!« Die anderen sahen Peggy erstaunt an. »Seit wann haben wir denn ein Rechengenie unter uns?« fragte Lissy erstaunt. »Ich wußte gar nicht, daß du so gut in Mathe bist!« Peggy errötete vor Stolz. »Ich habe eben doch mehr Fähigkeiten, als ihr denkt!«
Eine aufregende Nachtwache »Jetzt müssen wir uns aber beeilen und das Stroh für heute nacht herunterholen«, meinte Iltis plötzlich. »Sonst haben wir nicht mehr genug Zeit, bevor die Pferde gefüttert werden. Wer kommt mit mir auf den Heuboden?« 104
Natürlich wollten alle auf den Heuboden, und so konnte man eine Minute später sechs Kinder eine schmale Holzleiter hinaufkrabbeln sehen, ehe sie in der Dachluke verschwanden. »Toll«, sagte Larry, als er sich oben den Staub vom Gesicht wischte und die kleinen Strohhalme, die ihm beim Klettern unablässig auf den Kopf gefallen waren. »Toll, wie weit man von hier oben sehen kann!« Ganz hinten, in einer Talmulde, gab es einen kleinen Ort, dessen rote Ziegeldächer in der Abendsonne leuchteten. Sogar den Wetterhahn aus Messing auf der Kirchturmspitze konnten die Kinder von ihrem Aussichtsturm erkennen. »Das ist Dellany«, erklärte Iltis. »Dort erledigt meine Mutter immer die Einkäufe, und unsere Arbeiter trinken da in der Gaststätte abends ihr Bier. Manchmal ist in Dellany auch ganz schön was los, wenn ein Zirkus kommt, oder im Herbst, wenn Kirmes ist. Dann bauen sie Schießbuden auf und ein Karussell, und es gibt auch Zuckerwatte und Türkischen Honig zu kaufen. Außerdem ist da noch ein Milchgeschäft, in dem sie auch Eis machen. Himbeereis schmeckt mir am besten, aber sie haben auch Nußeis, und so ein Eis mit kleinen Schokoladenraspeln drin und …« 105
Lissy hielt sich die Ohren zu. »Hör bloß auf, Iltis!« stöhnte sie. »Mir läuft ja jetzt schon das Wasser im Mund zusammen! Können wir da nicht mal hinfah106
ren?« »Hinfahren ist gut«, grinste Iltis. »Habt ihr vielleicht ein Auto?« Er überlegte. »Am besten machen wir Autostop. Ein Lastwagen wird uns bestimmt mitnehmen. Also, fahren wir doch morgen nach Dellany.« Die Sache wurde sofort beschlossen. Während sie alle ächzend und stöhnend die schweren Strohballen bis zur Dachluke zerrten, wurde genauestens darüber debattiert, wer welches Eis essen würde. Iltis steckte seinen Kopf durch die Luke und prüfte, ob unten auch nicht gerade jemand vorbeiging, der dann die schweren Strohballen auf den Kopf bekäme. »Achtung!« brüllte er und gab dem ersten Ballen einen kräftigen Stoß, so daß er mit aller Wucht hinuntersauste und unten mit einem dumpfen Prall auf dem Kopfsteinpflaster aufschlug. Ein Ballen nach dem anderen folgte. »Ich glaub, das wär’s«, sagte Iltis schließlich. »Jetzt muß ich mich beeilen, um beim Füttern zu helfen. Ihr könnt ja schon mal reingehen und sehen, wie das mit einem kleinen Picknick für heute nacht ist.« »Picknick?« fragte Larry neugierig. »Glaubst du, das geht wirklich? Ich fand es ja toll, wenn wir nachts mitten im Pferdestall so ein kleines Essen veranstalten könnten.« 107
»Frag doch mal Maggie«, schlug Ben vor. »Bei dir sagt sie sowieso nicht nein.« Larry nickte. »Und wann wollen wir dann unsere Nachtwache beginnen?« »Ich schlage vor, abends um neun. Dann ist hier auf dem Hof keine Menschenseele mehr.« Iltis grinste. »Das ist ziemlich unheimlich, sage ich euch. Heute nacht ist bestimmt Vollmond, und dann heulen unten im Dorf immer die Hunde. Und die Fledermäuse flattern im Stall herum, daß man immer denkt, da ist noch jemand.« Peggy bekam ganz weiße Lippen. »Oh«, sagte sie zaghaft. »Ich glaube, da habe ich Angst.« »Quatsch«, sagte Chris übermütig. »Ein Indianerherz kennt keine Angst. So ein paar Fledermäuse machen mir doch nichts aus! Ich könnte nachts auch ganz alleine hier Wache halten, das würde mich vollkommen kaltlassen.« Wenn Chris allerdings gewußt hätte, was in dieser Nacht alles passieren würde, hätte er sicherlich nicht so laut geprahlt … Um neun Uhr verließen die Kinder pünktlich ihre Zimmer Jeder hatte eine Wolldecke unter dem Arm, 108
und Lissy schleppte mit Chris den Picknickkorb, den Maggie für sie bis obenhin mit herrlichen Sachen gefüllt hatte. Es duftete so köstlich nach einem frischgebackenen, noch warmen Rosinenkuchen, daß Lissy sich richtig zusammennehmen mußte, um nicht gleich jetzt schon hineinzubeißen. Iltis wartete schon auf sie. Er hatte bereits damit begonnen, neben Goldas Futterkiste das Stroh zu einem richtigen Lager auszubreiten. »Wenn wir jetzt die Decken drauflegen«, sagte er, »dann ist es hier genauso weich wie im Bett.« »Da fällt mir ein«, sagte Ben, »daß wir noch gar nicht nach Golda gesehen haben. Wie geht es ihr denn?« Iltis machte ein besorgtes Gesicht. »Sie hatte heute abend keinen Appetit. Den Hafer hat sie liegenlassen, und nur die Karotten hat sie gefressen. Aber unheimlich lange brauchte sie dazu.« Ben nickte. »Vielleicht geht es ja bald los mit der Geburt, denn dann fressen die Stuten ja oft nicht mehr so gut.« »Ich habe auch schon Fieber gemessen«, erklärte Iltis, »aber die Temperatur ist ganz normal.« Lissy kicherte. »Wie sich das anhört: Fieber messen! Wo macht man das eigentlich?« 109
Larry grinste. »Natürlich genau da, wo man es bei dir auch macht, Lissy! Oder hast du vergessen, wie du Grippe hattest und deine Mutter jeden Morgen mit dem Thermometer kam?« »Aber bestimmt gibt es für Pferde ganz riesengroße Thermometer!« meinte Peggy. »Ja. Und für Elefanten sind sie dann so groß wie eine Rakete!« Chris breitete die Arme aus, um anzudeuten, wie groß so ein Thermometer sein müßte. Iltis hielt sich den Bauch vor Lachen. »Ihr habt vielleicht Ideen!« keuchte er. »Ein Elefantenthermometer!« Er stellte sich auf die Zehenspitzen und holte aus einem kleinen Wandschrank ein ganz normales Thermometer heraus und hielt es hoch. »Hier. Damit mißt man einem Pferd Fieber.« »Ja … aber …« Peggy begann direkt zu stottern. »So eins haben wir doch auch zu Hause!« Iltis nickte. »Eben. Es ist ein ganz normales Thermometer. Man muß bloß beim Fiebermessen aufpassen, daß es nicht wegrutscht und irgendwo im Pferd verschwindet. Deshalb muß man mit der einen Hand den Schweif zur Seite biegen und mit der anderen das Ende des Thermometers die ganze Zeit festhalten.« »Und läßt Golda sich das alles gefallen?« fragte Lar110
ry verwundert. »Klar. Von mir schon. Aber bei Richard hat sie schon einmal ausgeschlagen und ihm mit dem Huf fast das Schienbein kaputtgeschlagen.« Iltis verzog sein Gesicht. »Aber ich nehm der Golda das überhaupt nicht übel. Der Richard ist nämlich ein ganz brutaler Kerl. Ich kann ihn nicht ausstehen. Ich wünschte, mein Vater würde ihn rauswerfen.« Ben überlegte. »Richard – ist das der Pferdepfleger mit dem schwarzen Bart und der karierten Jockeymütze? Der schon einmal im Gefängnis gesessen hat?« Iltis sah erstaunt hoch. »Genau. Woher kennst du ihn denn?« Chris beugte sich aufgeregt vor. »Wir haben heute nachmittag zufällig mitbekommen, wie dein Vater mit Richard Streit hatte. Er hat ihn richtig angeschrien.« Iltis zuckte mit den Schultern. »Das ist nichts Neues. Mit dem Richard kriegt hier jeder Krach.« »Er soll ziemlich grob mit den Pferden sein«, sagte Lissy. »Dein Vater hat gesagt, er würde ihn rausschmeißen, wenn er sich nicht bessert.« Iltis ließ sich auf das Strohlager fallen und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Wenn es nach 111
mir ginge, hätte ich ihn schon längst rausgeschmissen.« »Und warum tut dein Vater es nicht?« »Aus Mitleid, weil der sonst auf der Straße sitzt. Wenn jemand aus dem Gefängnis kommt, dann steht das in seinen Papieren, und dann ist es nicht so einfach, irgendwo eine Arbeit zu finden.« Iltis entdeckte in diesem Augenblick den Picknickkorb, den Lissy in der Ecke abgestellt hatte. »Ich werd verrückt! Rosinenkuchen!« rief er. »Mein absolutes Lieblingsgericht.« Er nahm den Kuchen heraus und sah die anderen an. »Was meint ihr?« fragte er strahlend. »Wollen wir schon eine kleine Kostprobe nehmen?« »Von mir aus!« lachte Larry. »Aber ich dachte, du darfst überhaupt keinen Kuchen essen, damit du nicht dicker wirst.« Iltis schüttelte unbekümmert den Kopf. »Bei Rosinenkuchen ist mir alles egal. Da kann ich einfach nicht widerstehen!« Iltis schnitt mit seinem Klappmesser für jeden eine dicke Scheibe ab. Dann verteilte er die Becher und goß jedem von dem selbstgemachten Apfelmost ein. Inzwischen war es draußen ganz dunkel. Der Mond 112
war noch nicht aufgegangen, und die Kinder konnten sich kaum noch sehen. Iltis holte einen Kerzenstummel aus dem Schrank und stellte ihn auf eine Untertasse. »Besser, wir haben ein bißchen Licht«, meinte er, »sonst stolpert noch einer über den anderen.« Im Licht der flackernden Kerze krochen die Kinder dicht unter der Decke zusammen, horchten auf Goldas Schnauben und das Schlagen der Fledermausflügel gegen die Fensterscheiben. Es war genau die richtige Stimmung, um Gruselgeschichten zu erzählen. Ben räusperte sich und begann mit geheimnisvoller Stimme: »Es war einmal ein kleines Mädchen, das schlief nachts allein zu Hause. Ihre Eltern waren auf einen Ball gegangen zum Tanzen, einen Wachhund hatten sie nicht und auch keine Köchin oder Kindermädchen. Das Haus stand einsam auf einer Waldlichtung, und kein Mensch hörte es, wenn dort jemand schrie oder um Hilfe rief. Das Mädchen konnte nicht einschlafen, obwohl es schon sehr spät war, weil es sich fürchtete. Draußen tobte ein Sturm, und das Rauschen der Blätter klang wie die Brandung des Ozeans. Die Wölfe heulten, und eine Eule schrie. Da hörte das Kind plötzlich ganz deutlich, wie unten die Haustür klapperte …« 113
»Still!« wisperte Iltis plötzlich. Er setzte sich kerzengerade auf. »Ich habe eben etwas gehört!« »Quatsch!« lachte Larry. »Das kommt nur von Bens Gruselgeschichte. Du hast ganz einfach Angst!« Iltis schüttelte wild den Kopf. »Nein, nein. Horcht doch mal! Ihr müßt ganz still sein!« Da! Jetzt hörten die anderen Kinder es auch. Irgendwo wieherte ein Pferd, aber das Wiehern klang nicht freudig, sondern ganz angstvoll. Und dann hörte man auch das Schlagen der Hufe gegen die Stallwand. Die Kinder starrten sich an. »Was bedeutet das?« fragte Peggy zitternd. »Still, du Angsthase!« zischte Chris. Wieder hielten sie die Luft an. Plötzlich sprang Iltis auf, rannte auf die Kerze zu und pustete sie aus. »Warum hast du das gemacht?« fragte Ben verwundert, als die Kinder jetzt vollkommen im Dunkeln saßen. »Ich habe Stimmen gehört!« murmelte Iltis. »Ich will nicht, daß jemand merkt, daß wir hier sind. Wißt ihr, welches Pferd das war, das eben so gewiehert hat?« »Nein«, flüsterte Lissy ängstlich. »Das war Presto.« 114
Larry war plötzlich auch ganz aufgeregt. »Presto? Der berühmte Hengst? Das teure Pferd, von dem du uns heute erzählt hast?« Iltis nickte. »Genau. Der demnächst das große Derby gewinnen soll …« »… und fünfzigtausend Pfund«, vollendete Chris den Satz. »Wiehert er denn sonst nie?« fragte Ben. »Nein. Ich habe das noch nie gehört.« Iltis Stimme klang sehr besorgt. »Irgendwie ist das alles sehr komisch …« »Glaubst du, wir sollten einmal nachsehen?« schlug Larry unternehmungslustig vor. »Vielleicht ist ja nur eine Katze bei ihm im Stall, und er hat sich erschrocken, als sie ihm auf den Rücken gesprungen ist.« »In dem Stall ist bestimmt keine Katze«, sagte Iltis kurz. »In dem Stall ist außer Presto überhaupt niemand.« »Aber die Stimmen!« Lissy hatte ihre Angst inzwischen überwunden. »Bist du ganz sicher, daß du Stimmen gehört hast?« »Nein. Ganz sicher nicht …« »Dann sehen wir eben nach!« rief Chris. »Das ist 115
das einfachste! Der Stall ist doch gleich da hinten!« Iltis nickte. Er nahm ein Streichholz und zündete die Kerze wieder an, nachdem er sie so dicht an die Mauer gestellt hatte, daß der Lichtschein durch die kleinen hohen Fenster bestimmt nicht nach draußen dringen konnte. »Wer kommt mit?« fragte Iltis. Die Jungen wollten natürlich alle mitgehen, aber schließlich stimmten sie ab, daß einer von den Jungen bei den Mädchen bleiben sollte, damit sie sich nicht ängstigten. So blieb Larry da, und nur Chris und Ben schlichen hinter Iltis nach draußen. »Bleibt nicht zu lange«, zischte Larry, »damit wir wissen, was los ist!« »In zehn Minuten sind wir wieder da«, flüsterte Iltis zurück. Dann waren sie in der Dunkelheit verschwunden.
Wer ist Griffin? Gerade, als die Jungen hintereinander geduckt über den Hof laufen wollten, kam der Mond hinter einer 116
Wolke hervor und tauchte alles in silberblaues Licht. »Verflixt!« fluchte Iltis und hechtete wieder zurück an die Häuserwand. »Wir müssen uns hier entlangschleichen, sonst sind wir ja auf tausend Meter zu erkennen!« Die drei Jungen liefen weiter bis zum Torbogen. Iltis wagte sich als erster vor und lugte um die Ecke. Plötz-
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lich wurde er ganz starr. »Ich werd verrückt!« wisperte er. »Was ist los?« Chris stieß ihn ungeduldig an. »Siehst du was?« Iltis nickte. »Bei Presto im Stall brennt Licht.« »Vielleicht hat es jemand brennen lassen«, meinte Ben vorsichtig. »Das kann doch mal vorkommen.« »Nein. Das ist ein anderes Licht, es geht immer hin und her. Ich wette, daß da jemand mit einer Taschenlampe ist.« Er winkte den anderen. »Kommt! Wir schleichen uns noch weiter ran!« Aber dazu kamen sie nicht mehr, denn in diesem Augenblick quietschte eine Tür, und man hörte das eilige Trappeln von Schritten. Jemand zischte ungeduldig: »Beeil dich, Griffin!« Eine Autotür wurde aufgerissen und wieder zugeklappt, ein Motor sprang an, und dann raste ein Auto mit hoher Geschwindigkeit direkt auf sie zu. »Zurück!« schrie Iltis gerade noch rechtzeitig. Die Kinder konnten sich eben noch gegen die Hauswand pressen, da zischte auch schon ein Auto an ihnen vorbei, raste über den Hof, verschwand im zweiten Torbogen und war weg. Alles war wieder still.
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Als sie sich von dem Schock erholt hatten, sahen die Kinder sich fassungslos an. »Hast du eine Ahnung, was das bedeuten soll?« fragte Ben. Iltis zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht …« Er runzelte die Stirn. »Wir sollten besser mal nachsehen, ob mit Presto alles in Ordnung ist.« Die anderen nickten. Hintereinander gingen sie zum Stall. Iltis blieb vor der Stalltür stehen. »Dachte ich mir’s doch«, sagte er. »Die Tür ist offen.« »Aufgebrochen?« fragte Chris aufgeregt. »Nein. Ganz normal. Sie war anscheinend nicht abgeschlossen. Und dabei hat sie drei verschiedene Schlösser, und mein Vater hat jedem eingeschärft, darauf zu achten, daß diese Tür immer zu ist.« Die Tür quietschte leise, als Iltis sie weiter aufstieß und eintrat. Presto scharrte unruhig in seiner Box. Als Iltis die Taschenlampe anknipste, hob er den Kopf und schnaubte nervös. Das Weiße leuchtete in seinen Augen, und sein ganzer Hals war schweißnaß. Presto war ein wunderschönes Pferd, das sah man auf den ersten Blick. Er hatte ein pechschwarzes glänzendes Fell und eine lange seidige Mähne. Seine Beine waren ganz schlank und schmal, und überall konnte man die Adern und Nerven sehen, wie bei vielen 119
hochgezüchteten Vollblutpferden. Seine Nüstern waren weit geöffnet und glänzten rosa.
Iltis ging einmal vorsichtig um Presto herum. Er leuchtete ihn mit der Taschenlampe ab, leuchtete auf den Boden und in die Futterkrippe. Aber er konnte nichts Verdächtiges entdecken. Schließlich nahm er ein Bündel Stroh und rieb Presto den Schweiß ab. »Das muß man machen, damit er sich nicht erkältet«, erklärte Iltis. »Das Schlimmste, was er jetzt kriegen könnte, wäre eine Lungenentzündung oder eine Grippe.« 120
»Kriegen Pferde so etwas auch?« fragte Chris verwundert. »Klar.« Iltis klopfte beruhigend Prestos Hals, verließ die Box und schob den Riegel vor. Etwas klimperte, als Iltis mit dem Fuß dagegen trat. Er bückte sich und leuchtete das Kopfsteinpflaster mit der Taschenlampe ab. »Eine Spritze!« schrie Chris aufgeregt, aber er preßte sich sofort die Hand vor den Mund, als er hörte, wie laut seine Stimme in dieser Stille hallte. »Schon wieder eine Spritze«, sagte Ben. »Sie sieht genauso aus wie die, die wir heute morgen gefunden haben. Weißt du noch?« Iltis runzelte die Stirn. »Was hat das bloß zu bedeuten …« grübelte er. »Natürlich kann das Zufall sein, daß wir die Spritze jetzt gefunden haben«, meinte Chris. »Wer weiß, wie lange die hier schon liegt.« Er steckte sie in seine Jakkentasche. »Auf jeden Fall nehmen wir sie mit. Langsam habe ich nämlich das Gefühl, als wenn hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.« Iltis tunzelte die Stirn. »Griffin«, murmelte er langsam. »Den Namen hab ich noch nie gehört …«
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Als Chris, Ben und Iltis wieder in Goldas Stall erschienen, wurden sie sofort von neugierigen Fragen bedrängt. »Was war los mit Presto?« »Habt ihr jemanden gesehen?« »Ist etwas passiert?« »Hatte Larry recht, daß es nur eine Katze war?« »Oder vielleicht Fledermäuse?« Iltis mußte erzählen. Als er gerade von dem Auto berichtete, unterbrach Larry ihn. »Was für ein Auto war das denn?« Ben runzelte die Stirn. »Das ist ja das Komische. Man konnte natürlich nicht viel erkennen. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, als ob ich dieses Auto kenne.« »Stimmt!« schrie Chris. »Mir kam das auch so vor! Ich hab es allerdings bloß am Motorgeräusch gehört!« Lissy tippte sich an die Stirn. »Du glaubst doch wohl selbst nicht, daß du Autos am Motor erkennen kannst!« »Wieso«, meinte Chris schnippisch. »Unser Vater kann das doch schließlich auch!« »Aber du bist erstens nicht unser Vater, und zweitens kein berühmter Pilot«, kicherte Peggy, die sich 122
freute, daß Chris endlich auch einmal ausgelacht wurde. Ben wedelte mit den Armen. »Streitet euch jetzt nicht! Dazu haben wir keine Zeit. Die Sache ist ernst. Wir müssen jetzt unbedingt beratschlagen, was wir machen sollen.« Chris wandte sich zu Iltis. »Das ist doch völlig klar. Wir müssen zu deinem Vater und ihm alles berichten. Immerhin geht es um euren wertvollsten Hengst, und wenn dem etwas passiert …« Er schwieg vielsagend. Iltis schüttelte den Kopf. »Mein Vater ist nicht da. Er ist heute abend zu einer Auktion in den Norden gefahren.« Lissy stöhnte entsetzt. »Hilfe! Was machen wir denn jetzt? Wann kommt er zurück?« »Bestimmt nicht vor morgen abend«, meinte Iltis düster. »Und bis dahin kann eine Menge passieren!« Er raufte sich die Haare. Die anderen dachten angestrengt nach. Schließlich ergriff Larry das Wort. »Bis jetzt«, sagte er vorsichtig, »ist ja eigentlich noch nichts wirklich Schlimmes passiert. Mehr oder weniger sind das ja alles Vermutungen von uns. Wenn dein Vater nicht da ist, dann müssen wir eben selber weitersehen. Ich mei123
ne, es bleibt uns doch gar nichts anderes übrig …« Ben sah zweifelnd zu Iltis hinüber, der nachdenklich an der Unterlippe kaute. »Ich finde, das muß Iltis allein entscheiden. Wenn er auch glaubt, daß wir die Verantwortung solange übernehmen können, bis sein Vater zurückkommt …« Iltis hob den Kopf. Er sah Ben dankbar an. »Ich glaube«, sagte er, »wir haben gar keine andere Wahl. Und im Augenblick könnte mein Vater auch nicht mehr machen, als sich auf die Lauer zu legen. Und wir sind schließlich sechs. Wir haben doch viel bessere Chancen …« »Außerdem haben Kinder nachts bessere Augen«, meinte Peggy, während sie aufgeregt an ihren Zopfenden kaute. »Und wir können uns besser verstecken, weil wir kleiner sind.« Die anderen grinsten, aber sie sagten nichts. So unrecht hatte Peggy schließlich gar nicht. Larry verteilte eine Runde Kaugummis. »Das beruhigt die Gemüter«, sagte er fröhlich. »Ein Kaugummi zur rechten Zeit hat schon manchem Polizeiinspektor zu einem großen Coup verhelfen.« »Das glaubt aber auch bloß ihr Amerikaner!« meinte Iltis amüsiert. »Ich hab noch nie gehört, daß in 124
Scotland Yard ein Inspektor einen Mordfall mit Kaugummi gelöst hätte.« »Apropos Mordfall!« Chris sprang auf. »Glaubt ihr, daß der Tod von Dollarboy etwas mit der Sache zu tun hat?« Die anderen sahen sich an und überlegten. Immerhin war Dollarboy ganz plötzlich gestorben. Und bis jetzt kannte niemand die Ursache. Iltis nickte. »Ich werde meinen Vater sofort morgen fragen, ob man schon die Todesursache herausgefunden hat.« Sein Gesicht wurde plötzlich ganz grimmig. »Wenn sich rausstellen sollte, daß da etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist … ich will sagen, daß jemand Dollarboy umgebracht hat … dann … dann …« Ben legte Iltis beruhigend den Arm um die Schultern. »Spar dir deine Drohungen auf, bis du genau Bescheid weißt. Bis jetzt tappen wir ja noch im Dunkeln. Wir haben keinen einzigen Anhaltspunkt.« »Ich will ja nichts sagen«, unterbrach Larry, »aber mich würde es nicht wundern, wenn dieser Richard etwas damit zu tun hätte. Ich schlage vor, daß er ab morgen von uns beschattet wird.« Die anderen nickten begeistert. »Genau! Wir müs125
sen jetzt alle verdächtigen Personen unter die Lupe nehmen!« »Außerdem müssen wir herausfinden, wer alles einen Schlüssel zu Prestos Stall hat«, sagte Ben. Während sie immer wieder den Fall besprachen, machten Lissy und Peggy sich nützlich und breiteten die Schätze aus dem Picknickkorb auf der Decke aus. Im Schein der Kerzen hielten sie dann ihr verdientes Nachtmahl. Golda, die über die Stalltür zu ihnen herüberblickte, bekam auch einen Apfel, den sie mit lautem Schmatzen, Knirschen und Schlürfen verzehrte. Dann drehte sie sich fünfmal um die eigene Achse und ließ sich schwerfällig hinfallen. Bald hörte man nur noch ihre schweren gleichmäßigen Atemzüge, die immer ein bißchen wie leises Stöhnen klangen. Iltis lugte über die Stallwand. Lächelnd kam er zurück. »Ich glaube, für heute nacht haben wir nichts mehr zu befürchten. Golda schläft.« »Und eine Stute, die schläft, bekommt bestimmt nicht gleichzeitig ein Baby«, meinte Ben. »Da ist es am besten, wenn wir uns auch aufs Ohr legen. Wer weiß, was morgen noch alles auf uns zukommt.« Eine Viertelstunde später hörte man im Stall nichts weiter als das Schnarchen von Ben, das Schnauben 126
von Golda und hin und wieder ein Rascheln im Stroh, wenn eines der Kinder sich im Schlaf bewegte. Sogar die Fledermäuse schienen in dieser Nacht todmüde zu sein. Nicht eine einzige ließ sich blicken, bis es im Osten allmählich hell wurde.
Ein ereignisreicher Tag Wahrscheinlich hätten die Kinder nach dieser aufregenden Nacht am nächsten Morgen bis in die Puppen geschlafen, wenn nicht Larrys Magen so laut geknurrt hätte, daß er davon aufwachte! Larry rieb sich verschlafen die Augen und sah sich um. Verständnislos blickte er gegen die Stallwände, betrachtete stirnrunzelnd die Wolldecke, die sich an seinen Füßen zusammengerollt hatte. »Wieso schlafe ich denn in Hosen …« murmelte er unsicher. »Was ist denn überhaupt los? Ich …« Da wieherte plötzlich Golda. Und sie schlug mit den Vorderbeinen so laut gegen die Stalltür, daß Larry erschrocken auf seinem Strohlager herumwirbelte. Er strahlte plötzlich: Klar, sie waren ja im Stall! Sie hat127
ten Ferien! Und gestern nacht hatten sie das erste aufregende Abenteuer erlebt. Ungeduldig rüttelte Larry die anderen wach. »He! Ihr Schlafmützen! Aufwachen! Es ist schon taghell! Und Golda hat Hunger, wie mir scheint! He! Iltis! Wach auf!« Iltis war mit einem Satz in der Höhe. Erschrocken sah er auf die Uhr. »Schon sechs!« stöhnte er entsetzt! »Um die Zeit hat Golda sonst schon längst ihr Futter! Hilfst du mir, Larry?« »Klar. Sag nur, was ich machen soll. Kriegt die Dame Spiegeleier mit Schinken zum Frühstück, oder mag sie lieber Cornflakes?« Iltis lachte amüsiert. Er war richtig glücklich, endlich einmal Gefährten um sich zu haben, die ein bißchen Leben und Spaß in den Alltag brachten. »Was für ein Tag ist heute?« fragte er. »Laß mal sehen: Donnerstag!« gab Larry zurück. Iltis nickte. »Donnerstags bekommt die Lady immer als Vorspeise ein Kilo Karotten. Aber fein gewaschen und geputzt, wenn ich bitten darf! Die Dame ist nämlich ziemlich anspruchsvoll.« Peggy hatte sich inzwischen auch schon den Schlaf aus den Augen gewischt. Sie öffnete ihre Zopfspangen und ließ die Haare lose herunterfallen. »Bitte, Lissy«, 128
bat sie, »kannst du mir meine Zöpfe neu flechten? Ich glaube, sie sind heute nacht ganz durcheinandergekommen.« Chris stöhnte. »Mensch, hast du Sorgen! Während wir uns hier über das Gestüt den Kopf zerbrechen, denkst du natürlich wieder nur an deine Schönheit!« Peggy streckte ihrem Bruder die Zunge raus. »Ist doch gar nicht wahr! Du hast eben doch sowieso nur ans Frühstück gedacht! Das hab ich dir doch angesehen!« Ben räumte die Wolldecken zusammen, faltete sie und legte sie auf einen Stapel. Dann ging er in die Futterkammer und holte eine Mistgabel heraus. »Soll ich schon einmal bei Golda ausmisten und ihr frisches Stroh geben?« schlug er vor. »Sie kann ja gleich das Stroh kriegen, auf dem wir heute nacht geschlafen haben.« Iltis nickte. »Eine gute Idee.« Er kam mit einer Schüssel voll Hafer, die er in Goldas Krippe schüttete. Zärtlich tätschelte er ihren Hals. »Na, altes Mädchen«, murmelte er, »wie geht’s denn? Ist dein Baby okay?« Golda schnubberte an Iltis herum und knabberte ganz behutsam an seinen Hosentaschen. 129
Iltis grinste. »Die ist vielleicht raffiniert! Sie weiß genau, daß es als Nachtisch immer ein Stück Zucker gibt! Und weil ich das manchmal vergesse, erinnert sie mich neuerdings daran. Hier.« Er holte das Zuckerstück aus der Hosentasche und legte es auf die flache Hand. »Nimm’s dir, Golda.« Chris war inzwischen, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, auf der Stallgasse auf und ab marschiert, den Kopf nachdenklich gesenkt. Plötzlich blieb er stehen. Seine Augen leuchteten. »Ich hab’s!« schrie er. »Ich hab’s!« Die anderen sahen ihn verwundert an. »Jetzt ist er 130
ganz verrückt geworden«, sagte Lissy kopfschüttelnd, als Chris wie ein Gummiball auf und ab sprang und immer wieder in die Hände klatschte. »Vielleicht«, sagte Larry kühl, »erzählst du uns auch einmal, was dich in so große Begeisterung versetzt.« Chris lachte. Er schlug Larry auf die Schulter und zupfte an Peggys neu geordneten Zöpfen. »Klar sag ich’s euch! Klar! Es hat etwas mit dem Auto zu tun, das heute nacht hier auf dem Hof gewesen ist. Ich habe euch doch gestern bereits gesagt, daß ich Autos am Motorgeräusch erkennen kann.« »Stimmt«, sagte Lissy trocken, »das hast du gesagt. Bloß, glauben kann ich das nicht.« »Und wenn ich es euch jetzt beweise?« rief Chris triumphierend. »Wenn ich euch jetzt sage, daß ich das Auto von heute nacht kenne?« Die anderen starrten Chris ungläubig an. Sie wußten ja, daß er gerne ein bißchen angab – aber diese Sache war wohl doch etwas zu dick! Ben zuckte mit den Achseln. »Bitte«, sagte er. »Wir hören.« Chris beugte sich vor. Er dämpfte seine Stimme zu einem Flüstern. »Das Auto gehört dem Kerl, der das 131
Reh überfahren hat! Wißt ihr nicht mehr? Der grüne Sportwagen!« Lissy schüttelte den Kopf. »Das ist doch reiner Blödsinn! Wie soll denn ausgerechnet das Auto von England nach Irland …« Chris unterbrach sie hastig. »Aber ich weiß es genau! Heute nacht hab ich nämlich so einen blöden Traum gehabt, von dem angefahrenen Reh und dem Auto mit dem kaputten rechten Scheinwerfer, das an uns vorbeigesaust war, als wir das Reh gefunden hatten …« Iltis hob erstaunt den Kopf. »Stimmt«, sagte er leise. »Der rechte Scheinwerfer bei dem Auto heute nacht war auch kaputt. Daran kann ich mich plötzlich erinnern.« »Und ein Sportwagen war es auch!« schrie Chris. »Das steht hundertprozentig fest!« Peggy stampfte zornig mit dem Fuß auf. »Dieser gemeine Kerl!« rief sie. »Erst fährt er ein armes unschuldiges Reh tot, und dann bringt er auch noch Pferde um! Wenn wir den erwischen, dann, dann …« Sie schwieg verwirrt und sah sich hilflos um. Sie hatte keine Ahnung, was sie mit dem Mann machen würde. Ben zwinkerte ihr zu. »Du hast recht, Peggy. Das 132
paßt irgendwie zusammen … jemand, der so brutal ein Reh überfährt und es einfach im Graben liegenläßt, dem traut man auch zu, daß er Pferde umbringt.« Er sah die anderen an. »Aber viel weiter hat uns das immer noch nicht gebracht«, meinte er schließlich niedergeschlagen. »Denn damals haben wir uns ja die Nummer von dem Wagen nicht aufgeschrieben.« »Es war etwas mit einem X und einem Y!« rief Lissy. »Daran kann ich mich genau erinnern!« Larry klatschte in die Hände. »Ich bin dafür, daß wir jetzt erst einmal frühstücken gehen, und dann überlegen wir weiter.« »Auf jeden Fall«, sagte Iltis hastig, »dürfen wir Richard nicht aus den Augen lassen. Ich hab so ein Gefühl, als wenn der in dieser Sache mit drinsteckt!« »Wir können ihn ja einfach mal fragen, ob er Griffin kennt«, sagte Chris, »dann sind wir schon wieder ein Stück weiter.« Das Frühstück war schon lange fertig, als die Kinder frischgewaschen in Maggies Küche erschienen. Maggie lächelte ihnen zu. »Na? Wie war denn eure Stallwache?« Peggy strahlte. »Ganz ganz toll!« schwärmte sie. 133
»Zuerst haben wir ein bißchen geschlafen, aber dann wurde es ganz aufregend, dann fing nämlich plötzlich der Hengst Presto …« Weiter kam Peggy nicht, denn Chris hatte ihr einen kräftigen Tritt ans Schienbein verpaßt. Er drängelte sich vor, strahlte Maggie an und sagte in schmelzendem Ton: »Ist es wahr, Maggie, daß wir heute morgen Pflaumenmus bekommen?« Maggie lächelte. »Natürlich. Wenn ihr das gerne mögt.« Chris verdrehte die Augen. »Wir schwärmen für Pflaumenmus!« rief er hingerissen. Peggy stand inzwischen mit hochrotem Gesicht in der Ecke und rieb sich ihr Schienbein. Vor Wut über sich selbst hätte sie am liebsten geheult. Es war ja auch zu dumm, daß immer ausgerechnet sie sich verplappern mußte! Ängstlich sah sie Maggie an. Aber die hantierte weiter munter mit den Bratpfannen herum, in denen herrlicher Speck brutzelte. Sie hatte Peggys Worte anscheinend schon wieder vergessen. Aufatmend setzte Peggy sich zu den anderen in die Efeulaube, nahm den Becher mit der Schokoladenmilch, setzte ihn an die Lippen und war daher für die nächsten fünf Minuten nicht mehr zu hören. 134
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Richard war gerade dabei, die Jockeysättel einzufetten, als die Kinder wie zufällig über den Hofplatz auf ihn zuschlenderten. »Hallo, Richard«, sagte Larry. »Magst du Kaugummi?« Er hielt Richard ein Päckchen hin. Richard grinste. »Klar mag ich Kaugummi«, sagte er. »Wer mag das schließlich nicht! Und in der Hitze hier kriegt man ja auch immer Durst, die Sonne …« »Setz dich doch in den Schatten, wenn dir zu heiß ist«, schlug Iltis ungerührt vor. »Es zwingt dich doch keiner, in der knalligen Sonne zu sitzen.« Richard schüttelte den Kopf. »Im Schatten ist mir wieder zu kalt«, meinte er. »Da kriege ich dann gleich wieder meinen Husten. Da, wo ich war …« Er stockte plötzlich. Neugierig beugte Chris sich vor. »Wo warst du denn, Richard?« Richard schüttelte den Kopf und polierte weiter an dem Sattelknauf herum. »Das ist nichts für Kinder«, sagte er. »Darüber redet man nicht.« Peggy sah Richard an. Irgendwie tat er ihr plötzlich leid. Sie stellte sich vor, wie das sein muß, wenn man aus dem Gefängnis kommt und alle Leute immer gleich fragen: Wo kommst du denn her … »Soll ich dir helfen?« fragte sie freundlich. »Bei uns 136
in der Familie kann ich nämlich am besten Schuhe putzen. Ich weiß einen Trick, um das Leder ganz blank zu bekommen!« Richard grinste. »Den Trick kenn ich auch. Schau mal, so!« Er spitzte die Lippen und spuckte auf das Leder. Blitzschnell verrieb er dann die Spucke. Peggy wurde ganz rot. »Das habe ich nicht gemeint …« stotterte sie. Richard lachte. Er warf seinen Kopf zurück und wieherte richtig vor Lachen. Und genau in diesem Moment sagte Iltis ganz ruhig: »Kennst du eigentlich einen Griffin, Richard?« Richard hörte sofort auf zu lachen. Seine Augen wurden ganz schmal, und Lissy hätte schwören können, daß er eine Spur blasser geworden war. »Griffin?« wiederholte er langsam. Dann schüttelte er den Kopf. »Nie gehört.« Er sah Iltis an. »Wie kommst du denn ausgerechnet darauf?« Iltis zuckte mit den Achseln. »Nur so. Ich dachte«, er sah Richard in die Augen, »ich dachte, ihr kennt euch vielleicht. Von früher …« Richard ließ den Sattel fallen und sprang auf. »Ich kenne keinen Griffin!« brüllte er. »Und ich habe auch 137
keine Zeit, eure lausigen Fragen zu beantworten! Was rennt ihr überhaupt hier rum und stört einen anständigen Menschen bei der Arbeit? Schert euch weg, sage ich!« Er fuchtelte mit den Armen und schrie und schimpfte noch, als die Kinder längst verschwunden waren. Die Kinder liefen, bis sie Richard nicht mehr hören konnten. Dann blieben sie keuchend stehen. »Donnerwetter«, sagte Larry ganz außer Atem, »der hat sich aber aufgeregt, was?« Iltis nickte. »Ich wette, der kennt den. Der ist doch richtig zusammengezuckt, als er den Namen Griffin hörte.« Peggy war immer noch ganz verstört. »Und dabei war er erst so nett«, sagte sie hilflos. »Ich hätte nie gedacht, daß der so schreien kann.« »Eins ist jedenfalls sicher.« Ben hob den Kopf. »Wir müssen Richard im Auge behalten.« Iltis nickte. »Donnerstags nachmittags hat er immer frei. Da fährt er runter ins Dorf.« Chris strahlte. »Prima! Dann können wir ja gleich mal sehen, was er da so treibt.« »Meinst du, wir sollen ihn verfolgen?« fragte Larry 138
unschlüssig. »Natürlich! Aber so, daß er es nicht merkt! Wir müssen das ganz raffiniert machen!« »Am besten, wir fahren schon vor ihm ins Dorf. Dann hat er nicht das Gefühl, daß wir ihm hinterherspionieren.« Die anderen nickten begeistert. »Wie wäre es«, schlug Peggy mit großen Augen vor, »wenn wir in der Eisdiele auf ihn warten würden? Ich könnte mir vorstellen, daß das Warten viel mehr Spaß macht, wenn man dabei eine riesige Portion Erdbeereis essen könnte …« Iltis lachte. »Eure kleine Schwester ist wirklich unheimlich süß«, meinte er begeistert. »Und außerdem hat sie auch gute Ideen. Wenn ich mir das so überlege – bestimmt habe ich vor Wochen das letzte Eis gegessen!« Nach dem Mittagessen machten die Kinder sich auf den Weg. Es gab weder eine Bahn noch einen Bus. Aber Iltis hatte ja erzählt, wie man am schnellsten vorwärtskommt. Er stellte sich unten an der Chaussee einfach mitten auf die Straße und winkte, wenn ein Auto näherkam. »Hier nehmen die einen alle mit«, 139
sagte er, »hier kennt sich jeder.« Ein Lastwagen brummte näher. »Das ist Mr. Fowler!« schrie Iltis. »Der liefert immer Waschmittel und so etwas in den Laden von Mary Doggins. Der nimmt uns bestimmt mit! He! Mr. Fowler!« Iltis winkte wie verrückt. Tatsächlich. Der Laster bremste und blieb neben Iltis stehen. Mr. Fowler drehte die Scheibe herunter und streckte den Kopf heraus. »Hallo, Iltis«, sagte er, »soll ich dich mitnehmen?« Iltis nickte. Er zeigte auf die fünf anderen Kinder, die etwas verlegen am Straßenrand standen. »Können meine Freunde auch mit, Mr. Fowler?« sagte er. »Wir wollen nämlich nach Dellany zum Eisessen und …« Mr. Fowler war ein netter Mann. Er nickte großzügig. »Klar nehm ich deine Freunde mit, Iltis. Ich wußte gar nicht, daß es auf dem Gestüt so viele Kinder gibt.« Er schüttelte einem Kind nach dem anderen die Hand. »Die sind auch nicht von hier«, erklärte Iltis. »Die sind aus England. Und Larry, der mit den Stoppelhaaren, ist aus Amerika.« Mr. Fowler hob erstaunt die Augenbrauen. »Soso! Aus Amerika.« Larry schob seinen Kaugummi von dem rechten in den linken Mundwinkel und sagte im breitesten ame140
rikanischen Akzent: »Hallo, Mr. Fowler. Wirklich nett von ihnen, daß Sie unsere ganze Bande mitgenommen haben.« Mr. Fowler lachte. »Der redet ja wie ein richtiger Cowboy aus dem Wilden Westen!« Er wandte sich an Iltis. »Und wie geht es deinem Vater und deiner Mutter? Alles in Ordnung?« »Danke. Es geht ihnen ziemlich gut. Meine Mutter hat nur manchmal Rückenschmerzen, aber das geht auch immer wieder weg.« »Und die Pferde? Alles gesund, wie ich hoffe?« Iltis zögerte einen Augenblick. Er überlegte, ob er die Geschichte mit Dollarboy erzählen sollte, aber dann beschloß er doch, lieber zu schweigen. »Ja, ja«, sagte Mr. Fowler, während er beide Hände um das Steuerrad legte und auf die Fahrbahn starrte. »Morgen ist ja wieder Rennen in Dublin. Sag deinem Vater mal einen schönen Gruß. Vielleicht ruf ich ihn noch an und hol mir ein paar Tips, auf welches Pferd ich setzen soll.« Iltis nickte. »Werde ich gerne tun, Mr. Fowler.« Der Fahrer lachte. »Na ja. Bei dem großen Rennen nächste Woche, da ist ja schon sonnenklar, wie ich wette. Da habe ich meine Buchung schon gemacht. 141
Zwanzig Pfund hab ich gesetzt. Dreimal darfst du raten, auf wen.« Iltis zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung.« Mr. Fowler grinste. »Auf Presto natürlich! Ist doch eine todsichere Sache! Presto ist das schnellste Pferd von Irland. Der schlägt sie alle, sage ich dir! Der bringt die fünfzigtausend Pfund nach Hause! Darauf kannst du dich verlassen!« Die Kinder schwiegen. Sie warteten, bis Mr. Fowler sie mitten auf dem Marktplatz abgesetzt hatte, dann stürmten alle gleichzeitig auf Iltis los. »Nächsten Sonntag schon ist das Rennen?« riefen sie. »Davon hast du gar nichts gesagt! Und Presto soll gewinnen. Da wird es ja höchste Zeit, daß wir etwas unternehmen!« Iltis nickte. »Das ist es ja eben, viel Zeit haben wir wirklich nicht mehr.« Chris hielt plötzlich die Luft an. Er ergriff Bens Arm und deutete mit dem Kopf auf den kleinen Parkplatz unter den Linden. »Da!« raunte er. Ben strengte seine Augen an. »Ich weiß nicht, was du meinst!« Chris’ Händedruck wurde stärker. »Das Auto!« wisperte er aufgeregt. »Der grüne Sportwagen!« 142
»Bist du sicher?« fragte Ben skeptisch. »Kannst du das denn von hier aus erkennen?« Chris nickte eifrig. »Klar. Das gelbe Nummernschild seh ich ganz deutlich, und in England sind die Nummernschilder gelb!« Er winkte Ben. »Komm! Wir sehen uns den Wagen mal aus der Nähe an!« So lässig wie möglich schlenderten die Kinder über den kleinen Marktplatz, vorbei an dem kleinen Zeitungskiosk, vor dem ein paar Männer herumstanden, an ihrer Pfeife zogen und redeten. Frauen mit Einkaufskörben kamen ihnen entgegen, Kinder mit einem Fußball, und vorn an der Ecke wurde gerade aus einem Möbelauto ein großes dunkelbraunes Sofa ausgeladen. Niemand achtete auf die Kinder. Und keiner kümmerte sich um sie, als sie zwischen den Lindenbäumen herumspazierten und den grünen englischen Sportwagen von allen Seiten begutachteten. »Er muß es sein!« rief Chris aufgeregt. »Er hat genauso einen verbeulten Kotflügel und den zerbrochenen Scheinwerfer, und der Kühler ist …« »XY!« rief Peggy aufgeregt. »Er hat auch eine Nummer, die mit XY beginnt!« Lissy schüttelte noch immer fassungslos den Kopf. 143
»So ein Zufall«, sagte sie, »daß wir den Wagen ausgerechnet hier wiedertreffen!« Sie sah sich neugierig um. »Wo der Fahrer wohl ist?«
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Iltis grinste. Er zeigte auf ein niedriges rotes Klinkerhaus mit einem schön geschwungenen Messingschild über der Tür, auf dem stand »Old Vic«. »Ich wette, daß er in der Kneipe ist«, sagte Iltis, »wenn man hier in Irland einen Mann sucht, dann ist er meistens in der Kneipe. Das hat mein Großvater immer gesagt, und meistens stimmt das auch. Wollen wir mal reingehen und uns umsehen?« Ben wiegte bedenklich den Kopf. »Ich weiß nicht … vielleicht würde das auffallen, wenn wir da reingehen.« Er deutete auf die andere Straßenseite. »Ich schlage eher vor, daß wir da drüben unser Eis essen, wie wir uns das vorgenommen hatten. Das ist doch der Eisladen, oder?« Iltis nickte. »Sicher seid ihr bei euch etwas anderes gewöhnt. Aber sie haben wirklich sehr gutes selbstgemachtes Eis, und man kann sich draußen vor der Tür auf die Bank setzen. Das ist ganz gemütlich.« »Genau. Und von dort haben wir alles genau im Blick.« Larry war schon losgegangen. »Kommt! Ich gebe eine Runde Eis für alle aus! Mein Daddy hat mir reichlich Taschengeld mitgegeben. Wie wär es mit einer großen Portion gemischtes Eis für jeden?« »Oh, Larry!« Peggy strahlte. »Könnte ich vielleicht 145
auch noch ein ganz ganz kleines bißchen Schlagsahne auf mein Eis bekommen?« Sie wurde etwas verlegen, als Chris sie vorwurfsvoll ansah. »Ich meine doch nur … weil Larrys Vater so reich ist … und … und außerdem helfen wir ihm doch, die bösen Leute auf seinem Gestüt zu jagen!« Larry brach in schallendes Gelächter aus. »Eigentlich hat sie recht«, sagte er prustend. »Was wir hier machen, ist doch richtige Schwerarbeit: Tag und Nacht im rollenden Einsatz! Dafür muß Daddy auf alle Fälle auch noch die Schlagsahne zum Eis spendieren. Komm Peggy, wir laufen vor. Bis die anderen soweit sind, haben wir schon eine Extraportion weg …« »Halt! Das ist unfair! Wartet!« Lissy rannte den beiden hinterher. Nur Ben und Iltis hatten es nicht so eilig. Sie machten einen kleinen Umweg an der Kneipe vorbei. Vor der Eineangstür verlangsamten sie ihren Schritt. »Die Tür ist offen«, flüsterte Iltis. »Es würde mich ja unheimlich reizen …« »Nein. Laß das.« Ben wurde plötzlich ganz energisch. »Wir dürfen nichts riskieren. Paß auf! Da kommt jemand!« Wie gut, daß Iltis gewartet hatte. Denn genau in diesem Augenblick flog die Tür auf, und zwei Männer 146
kamen heraus. Der Mann in dem hellgrauen Anzug schlug dem anderen auf die Schulter. »Also gut, Griffin«, brummte er. »Dann sind wir uns soweit einig. Sonntag abend kommt die erste Rate.« Ben und Iltis hielten die Luft an. Sie waren vor einem Schaufenster stehengeblieben. Darin konnten sie die beiden Männer genau beobachten und jedes Wort verstehen. Der Mann, der Griffin genannt wurde, war sehr klein, er trug einen Arbeitsanzug und hatte eine Jockeymütze auf dem Kopf. Jetzt tippte er mit dem Finger gegen den Mützenrand. »Okay, Boß«, schnarrte er. »Auf mich können Sie sich verlassen. Ich erledige das. Sonntag nacht kriegt der Gaul noch eine Ladung. Dann ist das Ding bombensicher.« Der Mann im Anzug verzog sein Gesicht. »Aber sieh dich vor. Mir hat das heute nacht nicht gefallen. Wieso war da Licht in dem anderen Stall? Hast du erfahren, was da los war?« Griffin schüttelte den Kopf. »Bis jetzt nicht. Aber ich hab da so meine Beziehungen …« Iltis stieß Ben in die Seite. »Mit den Beziehungen meint der bestimmt Richard, darauf geh ich jede Wette ein!« flüsterte er aufgeregt. 147
Ben nickte nachdenklich. »Was haben die denn gemeint mit der letzten Ladung für den Gaul? Glaubst du etwa, daß sie Presto..« Iltis ballte die Fäuste. »Klar haben sie den gemeint. Oh! Ich könnte verrückt werden! Diese gemeinen Kerle! Wenn man nur genau wüßte, was sie eigentlich vorhaben!« Ängstlich sah er Ben an. »Glaubst du, daß sie Presto umbringen wollen? Dann müssen wir doch etwas tun!« »Und was?« »Ich weiß nicht.« Iltis sah den beiden Männern hilflos hinterher. »Zur Polizei gehen. Oder den Pflegern auf dem Gestüt Bescheid sagen. Oder wenigstens Maggie …« »Maggie würde sich viel zu sehr aufregen, das hat gar keinen Zweck«, entschied Ben. »Aber wir könnten natürlich der Polizei …« Er kraulte sich nachdenklich am Kopf, während er beobachtete, wie der Mann im hellgrauen Anzug in den Sportwagen stieg und davonfuhr. Griffin wartete einen Augenblick, dann zündete er sich eine Zigarre an und ging gemächlich wieder in die Kneipe zurück. Vor der Tür stieß er fast mit einem Polizisten zusammen, der gerade einen Jungen auf dem 148
Fahrrad angehalten hatte und seinen Namen notierte. »Guten Tag, Sergeant!« rief Griffin fröhlich. »Haben Sie schon wieder einen kleinen Sünder erwischt?« Der Polizist sah von seinem Notizblock auf und grinste. »Ah! Sie sind’s, Mr. Pudd! Tja, diese Jungen begreifen einfach nicht, daß der Bürgersteig nicht für die Fahrräder da ist. Da muß man ihnen mal eine kleine Lektion erteilen.« Er lachte. »Aber besser kleine Sünder als große, sage ich immer.« Griffin lachte zurück. »Da haben Sie auch recht. Ich bin froh, daß es hier in unserem Ort so ruhig zugeht. Da kann man sich noch aufeinander verlassen.« Er tippte an seine Mütze. »Wenn Sie Lust haben, können wir noch ein kleines Bier zusammen trinken. Das warme Wetter macht durstig, finden Sie nicht?« »Genau.« Der Polizist klappte sein Notizbuch zu und gab dem Jungen einen Wink weiterzufahren. »Ich hab sowieso gleich Feierabend. Da wär ein Bierchen genau das Richtige.« Ben blickte Iltis an, der genauso gebannt zugehört hatte wie er. »Bist du immer noch der Meinung, daß wir zur Polizei gehen sollten mit unserer Geschichte?« 149
fragte er. Iltis schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Die würden uns kein Wort glauben.« Er seufzte. »Ich sehe schon, wir müssen die Sache ganz alleine durchstehen.
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Drück bloß die Daumen, daß morgen auf dem Rennen nichts passiert, wenn mein Vater nicht da ist.« »Wieso«, sagte Ben, »was soll denn auf dem Rennen passieren?« Iltis zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich hab bloß so ein blödes Gefühl …« Er brach mitten im Satz ab, denn drüben auf der anderen Straßenseite stand Larry und schrie sich die Lunge aus dem Leib. »He! Ihr da! Kommt ihr endlich? Euer Eis ist schon fast geschmolzen!« »Los«, sagte Iltis entschlossen. »Jetzt gibt es erst einmal Eis. Immer schön eins nach dem anderen.«
Auf dem Rennplatz Obwohl sie diese Nacht kein Auge zutaten und sich ständig mit der Bewachung von Prestos Stall abwechselten, passierte überhaupt nichts. Alles blieb totenstill. Nicht einmal der Uhu, der in der vorigen Nacht gerufen hatte, ließ sich hören. Der Mond schien hell über den Hof und leuchtete alle Ecken aus, gründlicher als eine Taschenlampe es gekonnt hätte. Aber weder von Griffin noch von einem anderen Menschen 151
war eine Spur zu entdecken. Iltis, der zweimal während der Nacht zu Richards Kammer auf der anderen Seite des Hofes geschlichen war, kam auch jedesmal mit der gleichen Nachricht zurück. »Richard liegt in seinem Bett und schnarcht so laut, daß sich die Dachbalken biegen. Heute hat der bestimmt keine bösen Sachen vor, da bin ich mir ziemlich sicher.« Ben gähnte. Er rieb sich immer wieder verstohlen die Augen, während er neidisch Peggy betrachtete, die sich auf ihrem Strohlager behaglich zusammengerollt hatte und tief und traumlos schlief, die Wolldecke bis über beide Ohren gezogen. »Wie geht es Golda?« fragte Ben. »Alles in Ordnung?« Chris folgte Iltis in Goldas Box. Die Stute hatte sich hingelegt, die Vorderbeine unter ihren dicken, schwerfälligen Bauch gezogen. Sie blinzelte nicht einmal, als Iltis ihr mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchtete. Iltis lächelte zufrieden. »Golda schläft. Das ist das sicherste Zeichen, daß in der nächsten Zeit kein Baby kommt.« Fürsorglich schüttelte er das Stroh an Goldas Rücken noch etwas lockerer. »Damit sie sich nicht verletzt beim Aufstehen«, erklärte er. »Sie ist in der 152
letzten Zeit etwas schwerfällig geworden.« Er knipste die Taschenlampe wieder aus und schob Chris aus dem Stall. »Komm, wir wollen sie schlafen lassen. Wenn das Fohlen erst mal da ist, wird Golda noch genug schlaflose Nächte haben.« Larry grunzte verschlafen, als Iltis und Chris sich auch noch auf das Strohlager zwängten. »Ist was passiert?« murmelte er, drehte sich aber im gleichen Augenblick auf die andere Seite und schlief weiter. Iltis und Chris grinsten sich an. »Bloß gut, daß heute nacht alles ruhig ist«, flüsterte Iltis. »Ich fürchte, wir hätten sonst vor lauter Müdigkeit gar nichts machen können!« Chris nickte. Eine Sekunde später hörte man nur noch seine tiefen Atemzüge. Nur Iltis lag noch wach. Er hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt und starrte gegen die dunkle Stalldecke. Ihm gingen so viele Gedanken durch den Kopf, daß er keinen Schlaf finden konnte. Immer wieder sah er den toten Dollarboy vor sich. War er ermordet worden? Was hatten die Spritzen zu bedeuten? Und was hatten sie mit Presto vor? So viele Fragen, auf die er sich keinen Reim machen konnte … und Goldas Fohlen war auch noch nicht da 153
… und der Vater immer noch auf der Auktion … und morgen waren Rennen in Dublin … vier Pferde sollten starten … hoffentlich würde alles gutgehen. Iltis versuchte krampfhaft, an etwas anderes zu denken. Er stellte sich eine wunderschöne grüne Wiese vor, mit Gänseblümchen und Wiesenschaumkraut und Margeriten, und mitten auf der Wiese stand ein kleines staksiges Fohlen und sah mit großen verwunderten Augen in die Welt … Iltis lächelte, als er endlich einschlief. Am nächsten Morgen regnete es etwas. Auf dem Hof herrschte Unruhe und eine ungewohnte Betriebsamkeit, denn der Schmied war mit seinem Wagen gekommen. Drei Pferde waren an den eisernen Haken an der Stallmauer festgebunden. Nacheinander riß der Schmied die Eisen von den Hufen ab, beschnitt das Horn mit einem scharfen gebogenen Hufmesser und paßte ihnen neue Eisen an, die er dann über dem Feuer glühend machte und zurechtbog. Manchmal rutschten die Pferde auf dem nassen Kopfsteinpflaster etwas aus, und dann schrie der Schmied die Pferdepfleger an, die nicht aufgepaßt hatten. Larry, der fasziniert zuschaute, sagte: »Ich begreife 154
nicht, daß die Pferde sich das so ruhig gefallen lassen. Wenn ich Pferd wäre, dann würde ich einmal kräftig ausschlagen! So ein Pferd ist doch viel stärker als ein Mensch!« Iltis nickte. »Das stimmt. Aber die Pferde sind seit ihrer Kindheit daran gewöhnt, daß die Hufe ausgekratzt und beschnitten werden, und sie wissen, daß sie gehorchen müssen. Meistens sind die Vollblüter auch lammfromm, aber nachher wirst du vielleicht noch ein Schauspiel erleben.« »Wieso?« fragte Larry aufgeregt. »Nachher kommt Presto an die Reihe. Er soll doch nächsten Sonntag bei dem großen Rennen starten, und da bekommt er schon heute neue Eisen, damit er sich besser einlaufen kann. Aber der Presto ist nicht so ruhig wie die Stuten! Der wirbelt hier alles durcheinander, sage ich dir!« Im gleichen Augenblick kam ein großer Lastwagen in den Hof gefahren. Auf den Seitenwänden stand in großen weißen Buchstaben: »Achtung! Rennpferde!« Iltis zeigte auf den Wagen. »Das ist der Transporter, der unsere Pferde nach Dublin bringt. Nach dem Mittagessen fährt er los. Maggie hat gesagt, wir sollen aber nicht mit dem Transporter fahren, sondern mit 155
Bertie und Richard.« »Und wer ist Bertie?« fragte Larry. »Das ist unser Jockey. Er reitet ganz toll, du wirst es ja sehen, er hat schon mehr als zweihundert Rennen
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hier in Irland gewonnen.« Er zeigte auf die Hofdurchfahrt. »Da kommt Bertie übrigens. Er bringt gerade Presto.« Iltis runzelte die Stirn, als er den Hengst näherkommen sah. Presto hielt den Kopf leicht gesenkt, ganz brav trottete er am durchhängenden Zügel neben dem Jockey her. Er kümmerte sich weder um den Transporter, der gerade mit lautem Scheppern die hintere Klappe herunterließ, noch beachtete er Peggy und Lissy, die in diesem Augenblick laut kreischend vor einer Maus davonrannten, die aus einem der Ställe geflitzt kam und im nächsten Mauerloch verschwand. »Komisch«, murmelte Iltis, während er sich die nassen Haare aus dem Gesicht strich. »Der Presto benimmt sich so seltsam, ganz anders als sonst.« Fassungslos schüttelte er den Kopf. »So etwas habe ich noch nie erlebt. Sonst bringt der sich immer fast um vor Aufregung, steigt kerzengerade in die Höhe und wiehert und schlägt mit den Vorderbeinen. Da brauchen wir immer mindestens drei Pfleger, um ihn zu halten. Und jetzt steht er da, als wenn er nicht bis drei zählen könnte.« Auch der Schmied wunderte sich. Als Iltis auf ihn zutrat, rief er ihm entgegen: »Was ist denn mit eurem Superpferd los, Iltis? Habt ihr den inzwischen ge157
zähmt? So ruhig war der noch nie!« Iltis zuckte mit den Achseln. Er ging auf Presto zu und klopfte seine Schenkel. Presto zitterte in den Flanken, als wenn er jeden Augenblick umfallen würde. »Ich begreif das nicht«, murmelte Iltis. »Ob er krank ist?« Der Schmied lachte. »Der und krank? Der hat doch eine Bärengesundheit. Ich nehme an, er hat heute nacht schlecht geschlafen.« Er schlug Iltis auf die Schulter. »Oder vielleicht ist er mit dem falschen Bein aufgestanden, genau wie du manchmal, he?« Iltis lächelte schwach über diesen Scherz. Sorgenvoll sah er zu, wie Prestos Hufe neu beschlagen wurden. Der Hengst zuckte nicht ein Einziges Mal zusammen, brav ließ er sich vom Pfleger die Beine anheben, die Eisen aufschlagen, und nicht einmal, als er an der Hand des Pflegers eine Proberunde über den Hof traben mußte, machte er irgendwelche Kapriolen. Richard, der gerade mit einer Stute über den Hof kam, blieb staunend stehen. »So was!« murmelte er. »Der Presto benimmt sich ja heute so vernünftig!« Ben ging neben Richard her. »Glauben Sie, daß mit Presto etwas nicht in Ordnung ist?« fragte er vorsichtig. Richard lachte. »Mit dem soll etwas nicht in Ord158
nung sein? I wo! Der wird doch behandelt wie eine Prinzessin! Dem ist doch noch nie ein Haar gekrümmt worden! Ne ne, der ist ganz in Ordnung, verlaß dich drauf, Junge.« Ben senkte nachdenklich den Kopf. Richard hatte so im Brustton der Überzeugung gesprochen. Das klang so ehrlich … es war ziemlich schwer, sich vorzustellen, daß Richard irgend etwas im Schilde führte. Dann wäre er doch wenigstens ein bißchen unsicher geworden, oder? Trotzdem nahm Ben sich vor, Richard bei dem Rennen nicht aus den Augen zu lassen. Die Kinder waren noch nie in ihrem Leben auf einem Rennplatz gewesen. Staunend standen sie vor dem riesigen grünen Rasen, blickten zu den Tribünen empor, auf denen die Besucher sich drängelten, und sahen fassungslos zu, wie die Menschen vor den Wettbüros geduldig Schlange standen, um ihr Geld einzusetzen für das Pferd, dem sie die größten Chancen gaben. »Wenn einer Glück hat«, erklärte der Jockey Bertie ihnen sachkundig, »dann kann er hier ein Vermögen verdienen.« »Aber auch ein Vermögen verlieren«, fügte Iltis hinzu. »Erinnerst du dich nicht an den alten Captain, der 159
sein Landhaus verkaufen mußte und den Schmuck seiner Frau und alles, was er besaß? Bloß, weil er immer auf die falschen Pferde gesetzt hatte.« Bertie nickte. »Das mit dem Captain war eine komi-
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sche Sache«, sagte er. »Da haben wir nie ganz dahintergeblickt.« Er stieß Iltis unsanft in die Seite. »Wenn man vom Teufel spricht!« flüsterte er. »Da vorne geht er. Ganz vornehm heute mit steifem Hut und Stockschirm!« Mit dem Kopf deutete Bertie auf einen älteren Herrn mit Schnurrbart, der sich gerade durch die endlosen Schlangen vor den Wettbüros drängte. Iltis hielt die Luft an. Dieser Mann in seiner Begleitung … mit dem hellgrauen Anzug … kannten sie den nicht? Hatten sie den nicht gerade gestern unten im Ort … Er warf einen vielsagenden Blick zu Larry und Chris. Nur mit den Augen verständigten sich die Jungen. Völlig klar. Den mußten sie beschatten! Der Captain und ihr »Freund« beugten sich gemeinsam über das Heft mit den Rennprogrammen, der Captain schrieb irgend etwas an den Rand, dann nickten die beiden und gingen in verschiedene Richtungen auseinander. Der Captain stellte sich dann an dem Wettschalter an, wo nur hohe Summen gesetzt wurden, ab 50 Pfund für den Sieger. Hier war die Schlange viel kürzer, denn nicht viele Leute haben das Geld, so eine hohe Summe auf ein einziges Pferd zu setzen. Iltis hob plötzlich den Kopf. »Ist das jetzt nicht das Rennen, in dem Dollarboy laufen sollte?« fragte er. 161
Bertie nickte betrübt. »Richtig. Ich sage dir, Iltis: Das Rennen hätte Dollarboy bestimmt gewonnen! Die Stute Jeremy hätte gegen ihn gar keine Chance gehabt, schon gar nicht bei so nassem Boden wie heute! Da war Dollarboy unschlagbar!« »Und jetzt wird also Jeremy gewinnen?« fragte Larry neugierig. Bertie lächelte. »So genau weiß man das natürlich nicht. Aber sie hat die besten Aussichten.« »Und wem gehört die Stute?« fragte Larry weiter. Bertie nickte. »Ich habe da gestern so ein Gerücht gehört … ich weiß bloß nicht, ob es stimmt … die Stute soll der Captain vor ein paar Wochen gekauft haben …« Chris und Iltis stießen sich an. Der Captain! Schon wieder! War das nicht merkwürdig, daß ausgerechnet der Captain, der da mit ihrem »Freund« irgend etwas getuschelt hatte, das Pferd besaß? Wenn Dollarboy nun nicht zufällig gerade vor vier Tagen gestorben wäre, dann hätte seine Stute keine Chance gehabt … »Los!« zischte Ben, »wir müssen ihn verfolgen! Wir müssen wissen, was der Kerl treibt!« Iltis nickte Bertie zu. »Wir schauen uns ein bißchen um«, sagte er lässig. »Ich zeig meinen Freunden mal die Ställe und die Tribünen und so. Bis später, Bertie.« 162
»Okay!« Bertie tippte an seine Mütze und hatte die Kinder im nächsten Augenblick vergessen. Peggy starrte Iltis verständnislos an. Sie kaute an ihren Zöpfen und fragte nur immer wieder: »Was ist denn los? Warum macht ihr denn so komische Gesichter? Ich begreife überhaupt nichts.« »Macht nichts«, sagte Chris ungerührt, »das sind wir ja schon gewöhnt, daß du nichts begreifst.« Peggy traten sofort die Tränen in die Augen. »Ihr seid richtig gemein!« schluchzte sie. »Nie erzählt ihr mir irgend etwas! Ich verstehe gar nicht, was ihr plötzlich mit dem Captain zu tun habt! Den kennen wir doch gar nicht!« Sie drehte sich um und sah gerade noch, wie Chris und Larry sich davonschlichen. »Und wo gehen die beiden jetzt hin?«, rief sie. »Wieso nehmen die mich nicht mit? He! Larry! Chris! Wartet auf mich!« Ben hielt Peggy gerade noch an einem ihrer Zopfenden zurück. »Du bleibst schön hier, mein Fräulein«, flüsterte er. »Die beiden verfolgen doch unseren ›Freund‹ …« »Freund?« fragte Peggy, »welchen Freund denn?« Ben fuhr sich stöhnend durch die Haare. »Den Mann in dem grünen Sportwagen, du Dummerchen! 163
Der da eben mit dem Captain zusammengestanden hat!« »Begreifst du denn nicht!« fauchte Lissy ungeduldig. »Wir müssen doch endlich erfahren, wo der Typ hingehört! Und was er nachts in der Box von Presto zu suchen hatte!« Peggy nickte. »Ach so«, sagte sie, »jetzt verstehe ich …« Lissy und Ben warfen sich einen Blick zu. »Endlich …!«
Das Versteck Chris und Larry schlichen hinter ihrem »Freund« her. Der hatte anscheinend keine Ahnung, daß er verfolgt wurde. Lässig schlenderte er an den Tribünen vorbei, blieb einen Augenblick an der Bar stehen und trank in einem Zug ein kleines Bier aus, dann verschwand er durch eine Tür mit der Aufschrift »Zutritt strengstens verboten! Nur mit Ausweis!« »Wir haben doch keinen Ausweis«, flüsterte Chris, »was machen wir jetzt?« 164
»Ist doch ganz klar«, sagte Larry lässig. »Wir tun einfach so, als hätten wir einen. Vielleicht haben wir ja Glück und werden gar nicht gefragt.« Vorsichtig drückte er die Klinke herunter. Die Tür gab sofort nach. Larry warf einen Blick durch den Spalt, grinste plötzlich und winkte Chris heran. »Keine Gefahr!« flüsterte er. »Hier scheint es nur zu den Stallungen zu gehen.« Die beiden schlichen durch die Tür, zogen sie vorsichtig hinter sich zu und sahen sich in der neuen Umgebung um. Offensichtlich war dies der Hinterausgang der Tribünen, der von den Jockeys und Rennstallbesitzern benutzt wurde, um schneller zu den Pferden zu kommen. Die Tribüne, die von vorn strahlend weiß und vornehm wirkte, sah von hinten ziemlich schäbig aus. Der graue Putz bröckelte schon überall ab, aus den schmalen, hohen Fensterschlitzen zogen die Küchendämpfe der Kantine ab, und überall roch es nach Pommes frites. Der Boden war vom Regen in der Nacht aufgeweicht, und die Pferde, die nach dem Rennen herumgeführt wurden, hatten vom Schlamm verschmutzte Beine. Sie dampften noch unter den Decken, die man ihnen auf den Rücken gelegt hatte. Gegenüberlagen 165
die Ställe. Aus Lautsprechern hörte man die Ansagen vom Rennplatz, ständig wurden irgendwelche Nummern aufgerufen, und man sah Jockeys mit ihren Sät-
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teln hastig hin und her laufen. Weiter rechts neben den Ställen stand ein Pferdetransporter. Die Kinder hätten vielleicht gar nicht auf ihn geachtet, wenn der Fahrer nicht in diesem Augenblick laut gehupt hätte. Chris umfaßte Larrys Arm. »Das ist er!« wisperte er. »Wer?« fragte Larry verständnislos. »Griffin! Mensch! Erkennst du ihn nicht wieder?« Larry nickte langsam. Tatsächlich. Der Fahrer war kein anderer als jener Griffin, den sie nachts in Prestos Stall überrascht hatten! »Und da vorne biegt auch unser Freund um die Ekke! Schau bloß mal!« »Er steigt vorn bei Griffin ein! Ob die jetzt wegfahren?« Erschrocken sahen die beiden sich an. »Wenn die jetzt abhauen, wissen wir immer noch nicht, wo sie herkommen. Dann können wir Iltis’ Vater keinen richtigen Hinweis geben!« Chris nagte an der Unterlippe. Er beobachtete das Auto, das immer noch vor dem Stall stand. Griffin unterhielt sich mit dem Mann im hellgrauen Anzug, anscheinend gab es noch ein Problem, über das sie sich nicht einigen konnten. Zwei Minuten später stiegen sie wieder aus und verschwanden im Stall. Chris und Lar167
ry schlichen sich etwas näher an den Pferdetransporter heran. Die seitliche Klappe war noch nicht verschlossen, und sie konnten einen Blick in das Innere werfen. Bis auf einen Stand, in dem ein brauner Hengst vor sich hin döste, war alles leer. Ein paar Strohballen waren an der Wand aufgestapelt, links hingen Sättel und Wassereimer, daneben standen zwei große hölzerne Futterkisten. Larry und Chris hatten im gleichen Augenblick einen Einfall: »Und wenn wir uns …« »… in dem Transporter verstecken und einfach mitfahren?« Sie grinsten, obwohl ihnen das Herz vor Aufregung bis zum Halse schlug. »Aber was machen wir«, flüsterte Chris, »wenn sie uns erwischen?« Larry zuckte großspurig mit den Achseln. »Viel können sie nicht machen, das ist doch klar. Wir tun einfach so, als ob wir ihnen einen Streich spielen und als blinde Passagiere mitfahren wollten.« Chris nickte nachdenklich. »Sollen wir den anderen nicht lieber Bescheid sagen?« fragte er. »Sie haben ja keine Ahnung, wo wir sind.« Besorgt sah er sich um. Jeden Augenblick konnten Griffin und sein Begleiter 168
zurückkommen, jeden Augenblick konnte der Transporter abfahren. Wenn sie jetzt zur Tribüne zurückliefen, würden sie womöglich den entscheidenden Augenblick verpassen. »Also gut«, sagte Larry plötzlich entschlossen. »Ich verstecke mich schon im Wagen, und du rennst noch einmal zurück und sagst den anderen Bescheid. Wenn du zurückkommst und der Wagen dann schon weg ist«, er verzog sein Gesicht, »dann kannst du mir bloß noch die Daumen drücken, daß alles klargeht.« Chris war nicht sehr behaglich bei dem Gedanken, Larry allein zu lassen, aber es war wirklich die beste Idee. Denn sie konnten schließlich nicht einfach beide verschwinden, ohne jemandem Bescheid zu sagen. »Ich guck mal, ob ich mich in der rechten Futterkiste verstecken kann«, murmelte Larry, während er den Weg bis zum Transporter abschätzte, »oder sonst irgendwie hinter dem Stroh. Beeil dich, Chris. Es wäre mir schon lieber, wenn ich diese Fahrt nicht alleine machen müßte!« Chris schlug Larry einmal kameradschaftlich auf die Schultern und verschwand dann durch die Hintertür wieder im Tribünenraum. Eine Menschentraube hatte sich draußen auf dem überdachten Vorplatz versam169
melt. Gerade wurde das fünfte Rennen gestartet. Die Stimme des Mannes am Lautsprecher, der immer den Stand des Rennens durchgab, überschlug sich fast: »Im ersten Bogen liegt Hadu vorn! Die Stute Jeremy hatte einen schlechten Start … aber sie gewinnt Boden … der Jockey reitet wie der Teufel … jetzt geht sie an Gunda vorbei … überholt in der zweiten Geraden auch Faruk … die Stute Jeremy ist nicht mehr aufzuhalten … gleich hat sie Hadu erreicht … Kopf an Kopf preschen sie vorwärts … beide kämpfen verbissen um jeden Zentimeter Boden! … Da … ist Hadu gestolpert? … Oder nein … der Jockey hat einen Steigbügel verloren … er ist irritiert … muß Hadu zurückhalten … Jeremy prescht vor … herrlich … ihre weiten Galoppsprünge … niemand könnte sie jetzt aufhalten … außer Dollarboy natürlich, auf den heute viele gesetzt hätten … aber Dollarboy vom Gestüt Kildare ist ja vor einigen Tagen unter mysteriösen Umständen gestorben … Jeremy jetzt in der Zielgeraden … die anderen Pferde sind weit abgeschlagen … ja! Ja! Jeremy gewinnt leicht mit vier Längen Vorsprung vor Faruk!« Ein Geschrei und Gejohle brach aus, die Leute, die eben noch starr mit ihren Ferngläsern auf ihren Plätzen gestanden hatten, rannten sofort nach vorn an die 170
Balustrade, um der Stute zu applaudieren. Chris kämpfte sich verbissen vorwärts. Er stieß seine spitzen Ellenbogen den Leuten in die Seite, die sich
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ärgerlich nach ihm umdrehten. Aber das war ihm egal. Er mußte die anderen finden, und zwar schnell! Es ging um jede Sekunde! Vielleicht war Larry in diesem Augenblick schon unterwegs … »Hallo Chris! Da bist du ja! Hast du gehört? Die Stute Jeremy hat das Rennen gewonnen! Das ist doch das Pferd von dem komischen Captain, weißt du … ich habe das Gefühl, da stimmt irgend etwas nicht …« Ben hatte Chris schon von weitem gesehen. Er faßte seine Hand und zog ihn mit sich zu den anderen. Iltis war ganz blaß. »Ich hab so eine Wut«, knirschte er, »daß die Stute Jeremy gewonnen hat! Wie lahm die gelaufen ist! Das Rennen hätte Dollarboy mit Leichtigkeit gewonnen, sage ich euch!« Chris winkte hastig ab. »Wo sind die Mädchen?« fragte er. »Da vorn. Die sitzen auf der Tribüne.« Ben zeigte mit dem Finger nach oben zu den Sitzplätzen, wo Lissy und Peggy einträchtig nebeneinander saßen und ein Eis in der Hand hielten. »Wir hatten Angst, daß sie uns hier in dem Trubel verlorengehen … aber … wo ist denn Larry?« »Das will ich euch ja gerade erzählen. Also, paßt auf …« Chris haspelte eilig die ganze Geschichte herunter, 172
wie sie den »Freund« verfolgt hatten und auf Griffin gestoßen waren, und daß die beiden wahrscheinlich jeden Augenblick mit dem Transporter losfahren würden. »Und wir fahren mit. Dann wissen wir, wo die Typen hingehören«, schloß Chris. »Ich wollte bloß, daß Ihr Bescheid wißt. Erzählt Bertie irgendeine Geschichte, damit er nicht argwöhnisch wird. Wir kommen schon irgendwie zurück!« Er winkte noch einmal kurz und war schon wieder in dem Menschengewimmel verschwunden, noch ehe Ben etwas erwidern konnte. Ben machte ein besorgtes Gesicht. »Die Geschichte gefällt mir nicht«, sagte er. »Wie leicht kann da etwas passieren. Wenn unser ›Freund‹ wirklich so brutal ist, wie wir meinen, dann ist es doch gefährlich, sich so direkt in die Höhle des Löwen zu begeben. Ich glaube, wir sollten die beiden zurückholen …« Aber dazu war es schon zu spät. Chris hastete durch die Gänge, immer in der Angst, daß er die richtige Tür nicht mehr finden würde. Aber ganz plötzlich, als er schon glaubte, sich hoffnungslos verirrt zu haben, stand er doch wieder vor der richtigen Tür, riß sie auf, raste über den Platz … und da stand wirklich der Transporter noch da. Chris schlich 173
vorwärts, preßte sich dann eng gegen die Seitenwand des großen Wagens, bis er die Seitentür erreicht hatte. Mit einem Satz war er im Innern des Wagens. Das Pferd hob erschrocken den Kopf und prallte so heftig zurück, daß es mit dem Hinterteil gegen die Holzstange stieß. »Pssst!« machte Chris erschrocken. »Ganz ruhig, ich tu dir doch nichts …« Schnell klappte Chris den Deckel der Futterkiste hoch. »Larry!« rief er leise. »Bist du da?« »Klar, du Trottel! Steig mir bloß nicht auf den Kopf!« Larry hatte sich in der Kiste ganz klein zusammengerollt und eine Pferdedecke über sich gelegt. Wenn man nicht gewußt hätte, daß er da hockte – man hätte ihn wirklich nicht erkannt. »Ist da noch Platz für mich?« flüsterte Chris. Larry rückte noch etwas mehr zur Seite. »Ja, komm … steig ein …« In diesem Augenblick stockte beiden der Atem. Sie hörten Stimmen! Zwei Männer kamen näher! Atemlos hörten sie, wie die beiden miteinander sprachen. »Jeremy hat gewonnen. War ja klar! Das bringt uns fünfzigtausend Pfund! Der Captain kann froh sein, 174
wie wir die Sache für ihn schaukeln! Ohne uns hätte er das nie geschafft …« »… denn der Dollarboy hätte Jeremy ganz leicht geschlagen! Gut, daß wir den Gaul rechtzeitig ausgeschaltet haben, wie? Gib zu, daß wir raffinierte Kerle sind, Georgie!« Chris preßte sich gegen die Holzverkleidung. Er wagte kaum zu atmen, als die beiden Männer immer noch näher kamen. Längst hatte er die Stimmen erkannt: Es waren Griffin und der Bursche in dem hellgrauen Anzug. Georgie hieß der also! »Duck dich«, wisperte Larry, »und keinen Ton!« Chris nickte. Er schluckte verzweifelt. Es sauste in seinen Ohren, als die Schritte vor der Seitentür haltmachten und Griffin sagte: »Sollen wir noch einmal nach dem Hengst sehen?« Die Tür ging einen Spalt auf, Licht fiel hinein … Chris blinzelte und preßte sich noch tiefer in die dunkle Ecke. »Nicht nötig«, sagte Georgie, »der ist doch lammfromm. Mit dem haben wir noch nie Ärger gehabt. Es wird Zeit, daß wir zurückfahren. Los, steig schon ein!« Die Seitentür flog zu, der Motor wurde gestartet, der Wagen schwenkte herum, und Chris flog quer 175
durch den Raum. Er hatte in der Kurve das Gleichgewicht verloren. Der Hengst wieherte erschrocken, aber da hatte Chris sich schon wieder aufgerappelt. »Kannst rauskommen, Larry«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich glaube, im Augenblick passiert uns hier nichts.« Larry kroch mit steifen Gliedern aus seiner Kiste. Er schüttelte sich den Staub aus den Kleidern und hockte sich dann neben Chris auf den Boden, den Rücken fest gegen die Wand gepreßt, um nicht bei jeder Kurve umzufallen. Der Wagen holperte durch Schlaglöcher, manchmal hörten sie, wie das Wasser in den Pfützen aufspritzte. Schließlich kamen sie auf eine glatte Straße, und der Motor wurde lauter und dröhnte, als sie schneller fuhren. Der Hengst legte ängstlich die Ohren an. »Dem gefällt das hier drinnen auch nicht«, sagte Chris mitfühlend. Er hangelte sich vorsichtig hoch und klopfte dem Tier beruhigend den Hals. »Schon gut, Alter«, murmelte er. »Geht bald vorbei. Bald bist du wieder zu Hause …« »Zu Hause ist gut«, meinte Larry grimmig. »Ich wär froh, wenn ich wüßte, wohin es überhaupt geht!« 176
Es wird gefährlich! In der Zwischenzeit war auf dem Rennplatz auch das sechste Rennen gelaufen. Bertie auf der Stute Feodora war zweiter geworden, und aus Freude darüber lud er alle Kinder zu Limonade und Kuchen ins Restaurant ein. Als Lissy, Peggy, Ben und Iltis Platz genommen hatten, sah Bertie verwundert von einem zum anderen. »Nanu – wo ist denn der Rest?« Ben sah möglichst unschuldig aus. »Welcher Rest denn?« fragte er. »Die anderen beiden!« Bertie kratzte sich am Kopf. »Irre ich mich denn so? Da waren doch noch zwei, oder?« Er zählte die Kinder, in dem er mit dem Zeigefinger nacheinander auf jeden einzelnen zeigte. »Vier. Stimmt. Und vorher waren es sechs. Also los, Kinder, ärgert den Bertie nicht, das kann er nicht vertragen!« Iltis wurde verlegen. Er räusperte sich und stotterte herum. »Ähem … ja … also, Bertie, die Sache ist folgendermaßen …« 177
Ungeduldig trommelte Bertie mit dem Löffel gegen seine Kaffeetasse. »Nun red schon, Iltis! Du brauchst doch sonst keine halbe Stunde, um einen Satz hervorzubringen!« Peggy nahm den Strohhalm aus dem Mund, wischte sich über die Lippen und strahlte Bertie an. »Die Limonade schmeckt ganz toll, Bertie!« sagte sie schwärmerisch. »Ich glaube, ich habe noch nie eine bessere getrunken!« Sie hielt Bertie die Flasche hin. »Wollen Sie einmal probieren?« Bertie schüttelte den Kopf. Er strich Peggy freundlich über das Haar. »Danke, mein Püppchen. Das ist sehr lieb von dir. Aber Bertie trinkt lieber Kaffee …« Er wurde plötzlich wieder ernst. »Und wo sind nun die Jungen, Peggy?« »Ach, wissen Sie«, sagte Peggy treuherzig, »um die muß man sich keine Sorgen machen. Die hauen immer mal ab. Mein Daddy regt sich auch ständig darüber auf. Eben sind sie noch da – und im nächsten Augenblick sind sie schon verschwunden. Und dann tauchen sie plötzlich zu Hause wieder auf, und man weiß überhaupt nicht, wo sie die ganze Zeit gesteckt haben. Die sind eben so.« Peggy strahlte in die Runde. Lissy atmete erleichtert auf. Sie hatte ziemlich viel Angst 178
ausgestanden, daß Peggy etwas Dummes sagen könnte. Bertie gab sich offensichtlich mit der Auskunft zufrieden. »Ich hab’s ja gesagt«, murmelte er. »Alles Lausebengels. Na, mir soll’s recht sein. Hauptsache, sie sind wirklich pünktlich zu Hause.« Lissy stieß Ben unter dem Tisch gegen das Schienbein. Sie fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, daß Larry und Chris jetzt irgendwo in der Weltgeschichte herumfuhren, ohne daß ihnen jemand helfen konnte, falls wirklich etwas passieren sollte … Bekümmert sah sie Ben an. Der nickte ihr aufmunternd zu und flüsterte ihr so leise ins Ohr, daß Bertie es auf keinen Fall hören konnte: »Keine Angst, Peggy, die zwei schaffen das schon.« Aber in diesem Augenblick war es gar nicht so sicher, ob die beiden es schaffen würden. Ungefähr eine halbe Stunde, nachdem sie den Rennplatz verlassen hatten, bog der Transporter plötzlich ganz scharf links ein und bremste so hart, daß die Kinder mit dem Kopf gegen die Holzwand prallten. Larry rieb sich erschrocken die Stirn. »Au weh … wenn das keine Beule gibt!« 179
»Die könnten wirklich etwas vorsichtiger fahren, wenn sie uns im Auto haben!« grinste Chris mit schiefem Gesicht. Er hatte sich auf die Zunge gebissen, und das brannte jetzt höllisch. »Still!« flüsterte Larry. »Die haben den Motor abgestellt. Ob wir schon da sind?« »Verflixt!« zischte Chris erschrocken. »Wir müssen uns in der Kiste verstecken, aber schnell!« In aller Eile kletterten sie in die Kiste, drängten sich so eng wie möglich zusammen und zogen sich die Pferdedecken über die Köpfe. Dann ließen sie den Deckel zuschnappen. »Hoffentlich kriegen wir hier drin überhaupt Luft!« klang es dumpf aus Larrys Ecke. »Klar!« antwortete Chris. »Futterkrippen haben immer irgendwo Löcher, damit der Hafer nicht schimmelig wird!« So genau wußte Chris das zwar gar nicht, aber er mußte es sich einfach einreden, da er sonst schon vor lauter Angst erstickt wäre. In diesem Augenblick flog die Tür auf. Griffins Stimme drang ganz gedämpft durch die Futterkiste. »Dann wollen wir den Gaul mal rausholen! Und anschließend genehmigen wir uns einen anständigen Schluck, was, Georgie? Den haben wir aber verdient, 180
bevor wir heute nacht wieder losfahren.« »Heute nacht?« Das war Georgies Stimme. »Wieso denn heute nacht?« »Der Boß hat es befohlen. Er hat gesagt, Presto sei immer noch viel zu munter. Das gefällt ihm nicht. Er will das Pferd eben halb tot haben, weißt du, um sicher zu gehen, daß er wirklich bei dem großen Rennen nicht starten kann.« »Und wir müssen heute nacht wieder raus!« maulte Georgie. »Und wieso hat der Captain das zu dir gesagt und nicht zu mir? Schließlich bin ich es, der seine Befehle empfängt und nicht du. Und außerdem ist dies meine Idee. Verstanden!« »Okay, okay. Reg dich nicht auf. Ich sag ja bloß, was der Captain mir bestellt hat.« »Und woher weiß der Captain überhaupt, daß Presto noch nicht soweit ist? Hat er selber nachgesehen oder was?« »Keine Ahnung.« Griffins Stimme klang ziemlich gleichgültig. »Der wird schon irgend jemanden da auf dem Gestüt haben, der mit ihm unter einer Decke steckt.« Chris stieß Larry an. »Ich wette hundert zu eins, 181
daß das der Richard ist!« flüsterte er. »Hoffentlich denken die anderen dran, ihn weiterhin zu bewachen.« Griffins Schritte, die während der ganzen Zeit über die Holzbohlen geknarrt waren, blieben plötzlich stehen. »Hast du auch etwas gehört?« fragte er Georgie. »Nee. Was denn?« »Mir war so«, sagte Griffin gedehnt, »als hätte ich eben ein Flüstern gehört.« »Wo? Hier im Wagen?« »Genau hier. Komisch.« »Quatsch. Das bildest du dir ein. Kann doch gar nicht sein«, meinte Georgie lässig. »Hier gibt es doch überhaupt keinen Platz, wo sich jemand verstekken …« Da fiel sein Blick auf die beiden Futterkisten. Die Jungen hielten die Luft an. Bitte, bitte, dachte Chris verzweifelt. Sieh in die falsche Kiste! Bitte! Bitte! Aber leider ging der Wunsch nicht in Erfüllung. Mit einem Satz war Georgie an ihrer Kiste und riß den Deckel auf. Es war dunkel in dem Wagen, und die Kinder hatten sich gut unter der Pferdedecke versteckt. Doch es half nichts. »Ha!« schrie Georgie. »Ich glaube, du hattest recht, Griffin!« Er riß mit einer Handbewegung die Pferdedecke herunter und starrte dann entgeistert auf die 182
beiden zusammengekauerten Gestalten, die nicht wagten, sich zu bewegen. »Ich werd verrückt!« sagte Georgie. »Zwei Kinder! Das gibt’s doch gar nicht. Los! Rauskommen, aber ein bißchen flink, wenn ich bitten darf!« Er packte Larry am Kragen und zog ihn hoch, Chris griff er einfach in die dicken blonden Haare. Der schrie vor Schmerzen auf, aber Georgie lachte nur höhnisch. »So, Freundchen«, sagte er grimmig, »nun erzählt mal schön. Aber dalli! Oder soll ich euch helfen, wie?« Er stieß Larry mit der Stiefelspitze gegen das Schienbein. Larry zuckte zusammen. Er sah auf. »Bitte, entschuldigen Sie«, sagte er kläglich. »Wir … wir haben nur einen Scherz gemacht … wir haben gespielt und da …« »… da stand da der Wagen, und dann sind wir reingekrochen … aber als wir wieder rauswollten, da war die Tür schon von außen zugemacht, und Sie sind losgefahren!« vollendete Chris, der sofort begriffen hatte, was Larry wollte. Larry hoffte, daß die beiden Gangster die Geschichte glauben und sie einfach laufen lassen würden. Aber da hatte er sich gründlich verrechnet. 183
Georgie kniff die Augen zusammen und sah die beiden argwöhnisch an. »So klein seid ihr doch nicht mehr, daß ihr solche Kinderstreiche macht«, sagte er gedehnt. »Ihr führt doch etwas anderes im Schilde … ich spüre das doch … he!« Er stieß Larry in die Seite. »Ihr wollt hier herumspionieren, hab ich recht?« Larry schüttelte verzweifelt den Kopf. »N … nein … be … bestimmt nicht …« stotterte er. Georgie wandte sich an Griffin. »Hast du eine Ahnung, was man mit solchen Kerlen macht?« Griffin zuckte mit den Schultern. »Wenn du mich fragst – mir kommt die Sache einigermaßen komisch vor. He!« Er wandte sich an die Jungen. »Woher kommt ihr denn eigentlich?« Larry war inzwischen schon ganz grün im Gesicht vor Angst. Hilflos sah er seinen Freund an. Chris fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Wir … wir kommen aus Dublin, Sir.« Georgie lachte dröhnend. »So, so, aus Dublin wollt ihr kommen! Daß ich nicht lache! Ich rieche doch hundert Meilen gegen den Wind, daß ihr keine Iren seid! Ihr seid Engländer, ganz waschechte Engländer!« Griffin tippte auf Larry. »Der nicht. Der scheint dem Akzent nach eher ein Amerikaner zu sein. Redet 184
so komisch. Das fiel mir schon gleich auf.« Georgie runzelte die Stirn. »Amerikaner?« fragte er gereizt. »Das ist aber ein Zufall! Da scheint mir doch … weißt du eigentlich, Griffin, daß das Gestüt Kildare einem Amerikaner gehört?« Griffin riß die Augen auf. »Keine Ahnung! Und du meinst also …« Er schwieg vielsagend. Georgie nickte. »Genau das meine ich. Die beiden hier werden natürlich lügen wie gedruckt, aus denen kriegen wir kein wahres Wort raus, das ist doch klar.« Er rieb sich mit dem Handrücken die Stirn. »Mal überlegen, was wir mit den beiden am besten machen …« »Ach bitte!« flehte Larry. »Lassen Sie uns doch einfach laufen! Wir haben bestimmt nichts Böses getan! Wir sind doch nur in Ihrem Auto ein Stückchen mitgefahren! Wir sagen auch ganz bestimmt nichts!« »He! Was soll das!« Georgie faßte Larry an den Schultern und schüttelte ihn. »Wie kommst du denn darauf, daß es hier etwas zu verheimlichen gibt, he? Du weißt also doch Bescheid, Bürschchen.« Er schüttelte Larry so durch, bis ihm ganz schwindlig war. »Okay, wir werden euch wieder laufen lassen, bloß 185
nicht heute. Heute nacht bleibt ihr schön hier, denn da können wir uns keine kleinen Spione leisten, hahaha«, er lachte vergnügt. »Was meinst du, Griffin, sollen wir sie solange in das alte Backhaus sperren? Da sind sie doch ziemlich sicher, oder?« Griffin nickte begeistert. »Eine wunderbare Idee! Das ist auch weit genug vom nächsten Wohnhaus entfernt, da können sie rufen und schreien, bis ihnen die Zunge heraushängt – hören wird sie doch keiner!« Larry und Chris sahen sich an. Chris hatte plötzlich ganz weiche Knie. Er schloß für ein paar Sekunden die Augen. Dann hatte er sich wieder gefaßt. »Wir kommen da schon raus, Larry«, murmelte er zwischen zusammengepreßten Zähnen. »Nur nicht den Mut verlieren, das ist die Hauptsache. Wir dürfen uns nur nicht einschüchtern lassen.« Georgie riß Larrys Arme nach hinten und kreuzte sie auf dem Rücken. »Vorwärts!« befahl er. Larry stolperte voran. Jedesmal, wenn er langsamer gehen wollte, bekam er einen unsanften Stoß in den Rücken, dann traten ihm vor Schmerz Tränen in die Augen, aber er biß immer wieder die Zähne zusammen und sagte kein Wort. Auch Chris ließ sich die Angst nicht 186
anmerken. Schweigend gingen sie an einem alten Bauernhaus vorbei, durch eine halb eingefallene Scheune, dann durch einen Obstgarten. Sie mußten unter einem Lattenzaun durchkriechen und standen schließlich vor dem Backhaus: eine aus Felssteinen gemauerte Höhle, die eine dicke, feste Holztür mit einem schweren Eisenriegel abschloß. Als Griffin den Riegel zurückschob, quietschte es ohrenbetäubend. »Muß auch mal geölt werden«, brummte Griffin nur, dann schob er die beiden Jungen in das schwarze Loch und schlug die Tür wieder zu. Sie hörten das laute Lachen von Georgie und Griffin noch, als die beiden schon ziemlich weit weg waren. Chris und Larry waren in den ersten Sekunden wie erstarrt. Sie wagten überhaupt nicht, sich in dem dunklen Raum zu bewegen. Atemlos horchten sie. Irgendwo tropfte es, gleichmäßig platschte ein Wassertropfen nach dem anderen auf einen Stein. Larry schüttelte sich. »Puh«, sagte er, »das ist ja schaurig hier!« Chris preßte die Lippen zusammen. Er streckte die Hände aus und tastete sich langsam vorwärts, bis seine Finger gegen die Steinmauer stießen. Langsam bewegte er sich an der Wand weiter. Er spürte Risse und 187
Fugen, manchmal eine kleine Einbuchtung, und einmal stieß er mit dem Fuß gegen etwas Eisenhartes. »Au!« schrie er und zog den Fuß hoch. »Verflixt, ich habe mich gestoßen.« »Wir müssen etwas abwarten«, schlug Larry zähneklappernd vor, »bis wir uns an die Dunkelheit gewöhnt haben. Dann stoßen wir wenigstens nicht mehr überall an.« Als sie sich etwas beruhigt hatten, kam es ihnen tatsächlich vor, als würde es heller in dem Raum. Von irgendwo mußte ein schwacher Lichtschein kommen. Die beiden entdeckten Kisten rings an den Wänden, auf denen unleserliche Worte standen. Hinten sah man noch den alten Ofen, in dem früher Brot gebacken worden war – ein riesiges eisernes Ding mit zwei Klappen und einem Ofenrohr, das oben in der Decke verschwand. »Wie bei Hänsel und Gretel«, sagte Larry schaudernd. »Jetzt fehlt nur noch, daß eine Hexe auftaucht und wir den Finger durch die Gitterstäbe stecken müssen …« »Gitterstäbe gibt es hier keine«, sagte Chris. Er zeigte nach oben. »Aber immerhin kann ich jetzt sehen, woher das Licht kommt. Da, wo das Ofenrohr in der 188
Decke verschwindet, sind ein paar Steine herausgebrochen!« »Ja! Und man kann auch etwas Grünes sehen … sieht aus wie Gras oder so.« Chris nickte. »Das fiel mir schon auf, als die beiden uns hergeschleppt haben. Das ganze Backhaus ist richtig überwuchert von Gras und Blumen.« Zweifelnd sah er an dem Ofenrohr hoch. »Glaubst du, daß wir eine Chance haben, da oben rauszukommen?« Larry tippte sich an die Stirn. »Das ist doch völlig hoffnungslos. Durch so ein kleines Loch würde ja nicht einmal Peggy passen! Oder Iltis, obwohl der wirklich dünn wie eine Bohnenstange ist.«
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An die anderen Kinder hätte Larry lieber nicht erinnern sollen. Sofort wurden Chris und er mutlos. Sie setzten sich auf eine der Kisten, stützten das Kinn in die Hände und starrten vor sich hin. »Hier finden die uns nie«, sagte Chris schließlich. »Die wissen doch überhaupt nicht, wo wir sind.« Larry nickte. »Stimmt«, sagte er trübsinnig. »Ich glaube, diesmal hat es uns richtig erwischt.«
Ein neuer Verbündeter Als Berties Auto in die Hofeinfahrt zum Gestüt einbog, wurden die Kinder hinten im Wagen unruhig. Aufgeregt sahen sie aus dem Fenster und versuchten, Larry oder Chris irgendwo zu entdecken. »Ich wette, die sind längst zu Hause«, sagte Iltis. »Jetzt verstecken sie sich irgendwo, und bestimmt wollen sie uns einen Schrecken einjagen.« Ben sagte nichts. Er rieb nervös die Handrücken gegeneinander und versuchte, dabei trotzdem so fröhlich wie möglich auszusehen, um die anderen nicht zu ängstigen. Er hatte so ein komisches Gefühl, als ob irgend 190
etwas schiefgegangen war. Wenn er bloß wüßte, was! »So, Kinder«, sagte Bertie, als er den Motor abstellte. »Nun lauft mal schnell zu Maggie in die Küche. Ich bin sicher, es gibt schon längst Abendbrot.« »Vielen Dank, Bertie«, sagte Peggy, beugte sich vor und gab dem Jockey einen schmatzenden Kuß. »Es war ganz toll auf der Rennbahn!« Iltis lief neben den anderen in Richtung Küche her. »Was glaubt ihr«, fragte er, »ob die beiden schon da sind?« »Wenn sie da sind«, sagte Lissy, »dann sitzen sie bestimmt bei Maggie und schlagen sich den Bauch voll. Ich kenn doch Chris. Der hat seit heute mittag nichts mehr gegessen, der hat dann doch immer nur noch einen einzigen Gedanken: den Futtertrog!« Sie lachte. »Aber ehrlicherweise kann ich ihn gut verstehen.« »Ich bin gespannt, was Maggie uns heute gekocht hat«, schwatzte Peggy. »Vielleicht hat sie ja einen Kuchen gebacken …« »Mir steht der Sinn eher nach einem richtigen Stück Fleisch«, meinte Iltis. »Und Tomatensalat müßte es geben und …« »Hör bloß auf!« Lissy hielt sich die Ohren zu. »Ich kann das nicht mehr hören, oder ich falle gleich auf 191
der Stelle um vor Hunger.« »Sollen wir dich tragen?« fragte Iltis übermütig. »Komm, Ben, hilf mal! Eins … zwei … drei … hopp!« Mit einem Schwung hatte Ben Lissy unter die Arme gefaßt, und Iltis griff im gleichen Augenblick nach ihren Füßen. Wie ein Paket trugen sie die zappelnde, schreiende Lissy quer über den Hof. »Laßt mich runter!« schrie Lissy und schlug mit den Armen auf Ben ein. »So ein Blödsinn!« »Wir wollen bloß verhindern, daß du umkippst, Lissy«, sagte Ben grinsend. »Ich versteh gar nicht, warum du so garstig bist! Du solltest dich bei uns bedanken!« Beinahe wären sie mit Richard zusammengestoßen, der gerade mit zwei Eimern über den Hof kam. Verwundert blieb Richard stehen. »Nanu? Was soll das denn? Ist der jungen Dame nicht gut?« Iltis lachte. »Viel zu gut geht es der!« Richard sah zweifelnd von einem zum anderen. »Ideen haben die Kinder!« Kopfschüttelnd ging er weiter. Iltis und Ben ließen Lissy wieder los. Richards Anblick hatte sie plötzlich daran erinnert, daß Larry und Chris nicht bei ihnen waren. Und daß die ganze Situation eigentlich gar nicht so lustig war … 192
»Los!« knurrte Ben. »Jetzt sehen wir erst einmal nach, ob Chris und Larry schon angekommen sind!« Sie stürmten in Maggies Küche. Maggie stand am Herd und wendete gerade die Pfannkuchen in der riesigen Pfanne. Es roch betäubend nach Heidelbeerkompott und heißen Omeletts, und auf dem Tisch mitten in der Küche stand schon ein riesiges Stück Fleisch, ganz rosig und saftig, in dem eine Gabel steckte. Schüsseln mit Bratkartoffeln standen da und Remouladensoße … »… und Tomatensalat!« schrie Iltis. »Ich hab es ja gewußt, Mami, daß du heute Tomatensalat machst!« Er sprang seiner Mutter an den Hals und gab ihr einen übermütigen Kuß. Erstaunt lächelnd sah Maggie sich um. »So etwas!« lachte sie. »So hab ich dich ja lange nicht gesehen, Iltis. Mir scheint, deine neuen Freunde machen dir viel Spaß. Nun setzt euch schnell. Ich warte schon seit einer Viertelstunde auf euch. Hoffentlich ist alles noch schön heiß. Lissy, ob du mir einmal bei den Pfannkuchen hilfst? Es ist so kompliziert, wenn man drei Pfannen gleichzeitig auf dem Ofen hat …« Ben räusperte sich. »Maggie«, fragte er vorsichtig, »sind Larry und Chris vielleicht schon hier gewesen?« 193
»Larry und Chris?« fragte Maggie verwundert. Sie drehte sich um, pustete sich die Haare aus dem erhitzten Gesicht und wischte die Hände an der Schürze ab. »Nein. Wieso auch? Sie sind doch mit euch gekommen, oder nicht? Ich meine, ihr seid doch alle zusammen mit Bertie von der Rennbahn gekommen und …« Niemand gab eine Antwort, doch Peggy rutschte schnell auf der Bank an das Ende des Tisches. »Darf man schon anfangen?« fragte sie. »Ich hab so einen großen Hunger, Maggie! Muß ich erst Fleisch essen, oder darf ich schon gleich einen Pfannkuchen haben?« »Nimm nur gleich einen Pfannkuchen«, sagte Maggie und schob ihr das Kompott etwas dichter an den Teller, »und iß tüchtig. Ihr habt wohl einen anstrengenden Tag gehabt, wie?« »Ja, es war ganz aufregend!« plapperte Peggy. »Wir haben so viele Pferde gesehen, und die sind gerannt! So schnell! Und Bertie kann ganz wunderbar reiten, sein Pferd ist Zweiter geworden …« Maggie war sofort abgelenkt. Natürlich interessierte es sie, wie Bertie mit dem Hengst abgeschnitten hatte. »So«, sagte sie zufrieden. »Bertie ist Zweiter geworden. Da wird der Don sich aber freuen.« »Und die Stute Jeremy hat in dem Rennen gewon194
nen, in dem Dollarboy starten sollte«, sagte Iltis, der sich gerade eine dicke Scheibe Fleisch abschnitt. »Ich wette, daß Dollarboy mit Leichtigkeit gewonnen hätte. Alle haben gefragt, was denn mit ihm los ist. Keiner konnte es sich erklären, daß er plötzlich tot im Stall lag.« Maggie nickte düster. »Wir verstehen es auch nicht«, sagte sie. »Dein Vater ist deswegen sehr beunruhigt gewesen.« »Hoffentlich ist es keine ansteckende Krankheit«, sagte Ben vorsichtig. Maggie schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall. Der Tierarzt hat Dollarboy ja nachher noch untersucht. Er konnte überhaupt nichts feststellen.« »Seltsam«, sagte Iltis. »Ja, wirklich. Sehr seltsam«, stimmte Maggie zu. »Schmeckt es euch denn, Kinder?« Die anderen nickten. Eine Weile hörte man nur das Schmatzen und Kauen und Klappern der Bestecke auf den Tellern, während Maggie am Herd stand und immer neue Pfannkuchen in dem heißen, zischenden Fett briet. »Nun müssen Chris und Larry aber bald kommen«, sagte sie plötzlich. »Sonst ist alles kalt.« Sie wandte 195
sich an Iltis. »Hol die beiden doch schnell, Iltis, sag ihnen, daß sie nichts mehr bekommen, wenn sie nicht gleich erscheinen.« Iltis druckste herum. »Ich … ich weiß nicht …« »Was weißt du nicht?« forschte seine Mutter. Da sprang Ben hastig auf. »Ich geh schon, Iltis«, sagte er schnell. »Ich glaub, ich weiß wo die beiden sind. Die haben sich bestimmt irgendwo versteckt.« »Oder sie sind bei Golda«, meinte Maggie. »Vielleicht wollten sie auch nur nach der Stute sehen.« Iltis schlug sich an die Stirn. »Golda!« rief er. »Meine Güte, an die habe ich den ganzen Nachmittag überhaupt nicht mehr gedacht. Es ist so viel passiert und …« Ohne den Satz zu beenden war er aus der Küche gerannt. »Ach ja!« rief Lissy. »Die arme, arme Golda! Den ganzen Nachmittag ist sie allein gewesen, und keiner hat sich um sie gekümmert! Dürfen wir auch schon aufstehen, Maggie?« Maggie nickte gutmütig. »Die Pfannkuchen für Larry und Chris stell ich dann unten ins Wärmefach. Ich geh nachher noch zur Nachbarin, die hat heute Geburtstag. Sagt es den Jungen, wenn sie kommen. Es ist alles da. Das Fleisch ist in der Speisekammer, und …« 196
»Ja, ja!« rief Peggy. »Wir finden es schon, Maggie!« Und dann waren sie alle wie der Wirbelwind verschwunden. Kopfschüttelnd, aber mit einem verständnisvollen Lächeln räumte Maggie den Tisch ab. »Iltis! Warte! Wir kommen mit!« Keuchend lief Ben hinter Iltis her, der wie ein Wiesel über den Hof rannte, um nach seiner Stute Golda zu sehen. »So warte doch!« Aber Iltis hatte keine Geduld mehr. Er riß die Stalltür auf und pfiff leise nach seiner Stute. Sofort raschelte das Stroh in ihrer Box, er hörte, wie sie sich schüttelte, schnaubte, und dann leise und freudig zu wiehern begann. »Golda! Mein gutes Mädchen!« murmelte Iltis, während er den Riegel von ihrer Stalltür zurückschob. »Hab ich mich heute überhaupt nicht um dich gekümmert … warst du so allein … und dein Baby ist immer noch nicht da … du mußt aber lange warten …« Sanft strich er ihr über den Hals, die Brust, die Flanken. Als wenn Golda jedes Wort verstünde, senkte sie den Kopf und ließ sich mit halb geschlossenen Augen seine Liebkosungen gefallen. Es sah aus, als wäre Goldas Bauch noch ein bißchen dicker geworden. Prüfend legte Iltis die Finger an ihr 197
Euter. »Dicker«, stellte er fachmännisch fest. »Schau mal, es kommt schon so etwas wie Milch heraus …« Ben, der hinter Iltis stand, nickte. »Ich weiß, das nennt man Biestmilch. Das kenne ich von den Kühen. Da muß man immer aufpassen, daß die nicht in die richtige Milch kommt, weil das für Menschen gefährlich ist.« Er scheuchte ein paar Fliegen fort, die sich um Goldas Augen gesetzt hatten. »Glaubst du, daß es jetzt bald losgeht?« »Kann sein. Jedenfalls ist es besser, wenn ich gleich hierbleibe und Wache halte. Schließlich möchte ich dabeisein, wenn Goldas Fohlen zur Welt kommt.« »Wem gehört es dann eigentlich? Dir?« fragte Lissy neugierig. Iltis schüttelte den Kopf. »Meinem Vater, das ist doch klar.« »Aber er hat dir doch die Stute geschenkt!« rief Peggy. »Dann müßte dir auch das Fohlen gehören!« Iltis lächelte nachsichtig. »Ein Fohlen ist sehr wertvoll«, erklärte er. »Das kann man nicht einfach so verschenken. Wer weiß«, er tätschelte Goldas Hals, »vielleicht wird das Fohlen mal ein berühmtes Rennpferd und gewinnt viel, viel Geld …« »So wie Presto!« sagte Lissy begeistert. »Das wäre 198
doch toll!« Kaum hatte Lissy Prestos Namen ausgesprochen, da wurden die Kinder sofort wieder ernst. »Larry und Chris«, sagte Ben dunkel, »sie sind immer noch nicht hier!« »Hoffentlich ist ihnen nichts passiert!« flüsterte Peggy ängstlich. »… und überhaupt: Wenn Larrys Vater erfährt, daß wir schon wieder solche Sachen machen, dann wird er bestimmt wütend!« sagte Lissy. »Er wird uns nie wieder ohne einen Bewacher in Urlaub schicken! Wißt ihr noch, was das für eine Aufregung war, als sie Larry entführt hatten, um Lösegeld zu erpressen?« Die Kinder schwiegen einen Augenblick. Sie waren alle in bedrückter Stimmung. Aber Ben meinte schließlich: »So schlimm kann es ja diesesmal gar nicht sein. Denn wer weiß schon, daß Larry der Sohn des berühmten amerikanischen Millionärs ist!« »Hoffentlich hast du recht«, murmelte Iltis. »Mir wäre jedenfalls lieber, wenn die beiden wohlbehalten wieder bei uns wären!« Lissy sah auf die Uhr. »Schon gleich halb neun!« sagte sie erschrocken. »Um drei Uhr sind sie weggegangen! Ich verstehe das nicht! So lange dürften sie 199
uns wirklich nicht ohne Nachricht lassen!« Peggy klammerte sich an Ben. »Ich glaube, mir ist schlecht!« flüsterte sie. »Ich habe solche Angst.« Ben lächelte Peggy aufmunternd an. »Schlecht ist dir höchstens von den vielen Pfannkuchen, Peggy! Ich wette, du hast mindestens fünf Stück gegessen!« Iltis preßte die Hände gegen die Schläfen. »Wenn wenigstens mein Vater bald zurückkäme«, sagte er hilflos, »dann könnten wir ihm die ganze Sache erzählen, und vielleicht würde ihm ja etwas einfallen …« »Psst!« zischte Lissy. »Ich höre Schritte!« »Vielleicht ist das ja dein Vater«, wisperte Ben. »Dann müssen wir uns genau überlegen, was wir sagen, damit wir keinen Ärger kriegen, daß wir so auf eigene Faust gehandelt haben!« Sie horchten auf die Schritte, die schwerfällig näherkamen. »Ist da jemand?« rief eine Stimme. Es war Richard. Er hatte eine Taschenlampe in der Hand und leuchtete in die Stallgasse, die im Dunkeln lag. »Ach, die Kinder!« sagte er erleichtert. »Ich habe mich schon gefragt, wer hier herumschleicht. Warum macht ihr denn kein Licht auf dem Gang?« 200
»Wir haben es vergessen, Richard«, sagte Ben. »Ist ja schon gut«, brummte Richard. »Ich hab mich nur gewundert. In der letzten Zeit passieren hier so komische Dinge, da muß man schon ein Auge drauf haben, nicht?« »Komische Dinge?« wiederholte Iltis gedehnt. »Wie meinst du das, Richard?« Richard schob die Mütze in den Nacken und kratzte sich am Kopf. »Genau kann ich das auch nicht sagen. Ich will ja auch niemanden beunruhigen … aber manchmal war mir so, als hätte ich nachts ein Auto hier auf dem Hof gehört. Und einmal bin ich aus dem Bett gesprungen, weil ich dachte, der Presto hätte gewiehert … aber ich hatte mich wohl getäuscht. Denn als ich aus dem Fenster gesehen hab, war alles wieder ruhig.« Iltis und Ben warfen sich vielsagende Blicke zu. Wieso erzählte Richard ihnen das jetzt alles? War das vielleicht eine Falle? Wollte er womöglich prüfen, was sie schon herausgefunden hatten? Richard sah die Kinder erstaunt an. »Na! Was ist denn los! Ihr steht da herum wie die Ölgötzen! Hat euch etwas die Sprache verschlagen? Und wo sind denn überhaupt die anderen beiden? Die hab ich 201
schon den ganzen Abend nicht gesehen.« Ben fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Wir wissen auch nicht, wo die sind«, sagte er zögernd. »Die waren plötzlich verschwunden …« »Wieso – verschwunden!« rief Richard. »So etwas gibt es doch gar nicht! Zwei Jungen können doch nicht einfach verschwinden! Habt ihr sie denn nicht gesucht?« Seine Stimme klang wirklich besorgt. Er schüttelte Iltis an den Schultern. »Es ist doch etwas passiert! Mir macht ihr nichts vor! Das sehe ich doch an euren Gesichtern! Ich hab mir das schon heute morgen gedacht, als ihr mich gefragt habt, ob ich einen gewissen Griffin kenne …« Plötzlich zog Richard scharf die Luft ein. Er sah Iltis forschend an. »Hat es damit vielleicht etwas zu tun?« Iltis hob trotzig den Kopf und schwieg. Richard ließ ihn los. Er drehte sich um und rieb sich nachdenklich das Kinn. Dann drehte er sich wieder zu den Kindern um, die betreten vor ihm standen. »Also gut, Kinder«, sagte er schließlich. »Ich habe euch heute morgen belogen. Als ihr mich nach Griffin fragtet, da … da wurde ich so wütend … ich hab wohl auch gebrüllt … tut mir leid … war nicht so gemeint … ich hab nur …« 202
Ben hob den Kopf. »Soll das heißen, daß Sie diesen Griffin doch kennen?« fragte er aufgeregt. Richard nickte. In seinem Gesicht zuckte es. »Grif203
fin ist ein Schwein«, preßte er hervor. »Ich hasse ihn! Ich hasse keinen Menschen auf der Welt so wie ihn! Er hat mich ins Gefängnis gebracht! Ich war unschuldig! Total unschuldig, sage ich euch! Und dieser Gangster läuft immer noch frei herum …« Richard ballte die Fäuste. »Aber wehe, wenn ich den einmal erwische …« Ben trat einen Schritt vor. »Soll das heißen, Sie wissen gar nicht, daß Griffin hier ist?« fragte er gedehnt. Richard wirbelte herum. Er war plötzlich kalkweiß im Gesicht. »Griffin hier?« fragte er heiser. »Hier? In Kildare?« Die anderen nickten. »Und wir fürchten«, sagte Iltis, »daß Larry und Chris in seiner Gewalt sind. Die beiden haben Griffin nämlich verfolgt. Und jetzt sind sie schon seit über fünf Stunden weg, und wir haben noch keine Nachricht von ihnen.« Richard zitterte am ganzen Körper. Er ließ sich auf eine Futterkiste fallen, zündete sich, obwohl es verboten war, eine Zigarette an, und sagte: »Nun mal der Reihe nach, Kinder. Nun erzählt mir alles schön der Reihe nach. Oh! Diesesmal entkommt mir der Kerl nicht! Das schwöre ich!« 204
»Erzähl du, Ben«, sagte Iltis. »Du kannst das am besten. Ich bringe vor Aufregung sonst alles durcheinander.« Ben begann also in kurzen Stichworten zu erzählen, was sie bisher entdeckt hatten. Von den leeren Spritzen, den Geräuschen in Prestos Stall und dem grünen Sportwagen, der in der Dunkelheit entkommen war … »Grüner Sportwagen?« schrie Richard aufgeregt. »Ich werd verrückt! Den hat er auch früher schon gehabt! Ich kann mich genau daran erinnern!« Er ballte die Fäuste. »Der Kerl ist gefährlich, sag ich euch! Er schreckt vor nichts zurück! Und wenn ein paar Pferde sterben müssen, damit er sein Ziel erreicht, das wäre ihm auch egal!« Iltis nickte düster. »Wir glauben, daß er auch Dollarboy auf dem Gewissen hat. Der mußte sterben, damit die Stute Jeremy gewinnen konnte, das ist ganz einfach. Inzwischen haben wir nämlich herausbekommen, daß Griffin und dieser Captain, dem Jeremy gehört, unter einer Decke stecken.« Richard riß erstaunt die Augen auf. »Was du nicht sagst! Der Captain und Griffin …« Er runzelte nachdenklich die Stirn. »Und wenn wir nicht aufpassen«, rief Lissy, »dann 205
passiert mit Presto genau das gleiche! Wir glauben nämlich, daß Griffin dem Hengst irgend etwas spritzt, damit er nicht so schnell laufen kann!« »Deshalb war der Hengst heute morgen beim Schmied so ruhig!« rief Richard erschrocken. Er sprang von der Futterkiste auf und fuchtelte erregt mit den Armen. »Sofort muß ich zu Presto und sehen, ob alles in Ordnung ist. Das würde ich ja nicht überleben, wenn dem Hengst etwas passiert! Womöglich gibt man dann mir an allem die Schuld, weil ich doch die Schlüssel zu seinem Stall habe und …« Er brach mitten im Satz ab und starrte die Kinder an. Peggy fragte erstaunt: »Was ist los, Richard? Du siehst ja aus, als wenn du ein Gespenst gesehen hättest!« Richard nickte. »Das habe ich auch. Mir fällt nämlich gerade ein, daß neulich – zwei Wochen ist das ungefähr her – der Schlüssel zu Prestos Stall nicht da war. Er hängt sonst immer in meinem Zimmer neben dem Kleiderschrank, damit ich ihn griffbereit habe. Aber da war er plötzlich nicht mehr. Ich hab überall gesucht, in meinen Taschen, in den Schränken, im Stall, auf dem Hof … aber er war einfach verschwunden.« 206
»Und du hast meinem Vater nichts erzählt?« fragte Iltis vorwurfsvoll. »Das hättest du ihm doch melden müssen. Ich meine, dann wäre doch …« Richard schüttelte den Kopf. »Das Komische ist ja, daß der Schlüssel am nächsten Tag wieder da war! Wie immer, neben dem Kleiderschrank! Ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Aber dann habe ich mir gesagt, du bist eben dumm, Richard, hast sicherlich nicht richtig hingesehen.« Ben preßte die Lippen zusammen. »Nun ist mir die Sache ziemlich klar: Die Kerle haben von dem gestohlenen Schlüssel zu Prestos Stall schnell eine Kopie machen lassen und ihn am nächsten Tag wieder an die alte Stelle gehängt, als ob nichts gewesen wäre!« »Und jetzt können sie immer rein und raus, wie es ihnen gerade beliebt!« rief Peggy empört. »Und wenn wir nicht aufpassen, dann geben sie Presto noch ein paar Spritzen, und dann ist er auch tot!« Sie schluchzte und zerrte ihr großes kariertes Taschentuch aus der Rocktasche. Richard strich Peggy über die Haare. »Keine Angst, mein kleines Mädchen«, sagte er beruhigend. »Dem Presto wird nichts passieren. Dafür sorge ich! In den Stall kommt keiner mehr rein!« Lissy zog plötzlich ängstlich die Luft ein. »Und 207
wenn sie nun gar nicht wiederkommen?« fragte sie. »Wenn sie Larry und Chris geschnappt und Verdacht geschöpft haben? Dann schleppen sie die beiden womöglich irgendwohin, wo wir sie nie wiederfinden! Vielleicht sind sie schon unterwegs zur Grenze oder zum Hafen … vielleicht haben sie irgendwo ein Schiff in einer einsamen Bucht versteckt …« Weinend warf Peggy sich auf einen Strohballen. »Ich will aber nicht, daß mein Bruder Chris mit einem Schiff weggeschleppt wird! Ich will, daß Chris wiederkommt! Und Larry soll auch wiederkommen!« Iltis rang die Hände. »Wenn bloß mein Vater hier wäre!« stöhnte er. »Der wüßte bestimmt, was wir jetzt tun müßten.« Richard klopfte Iltis auf die Schulter. »Das weiß ich auch, Iltis. Keine Bange. Ich hab da schon einen Plan …«
Die Flucht Larry und Chris hockten auf der Kiste und verspeisten die letzten Reste Schokolade, die Larry noch tief in 208
seiner Hosentasche gefunden hatte. Etwas Kaugummipapier klebte daran und ein bißchen Sand, aber das störte die beiden nicht. »Allmählich wurde mir das schon unheimlich«, sagte Chris mit schwachem Grinsen. »Jedesmal, wenn mein Magen knurrte, dachte ich, gleich taucht irgendwo ein Grislybär auf!« Larry verzog sein Gesicht. »Eins muß man dir ja lassen: Du hast wenigstens Humor. Mir ist der nämlich langsam vergangen.« »Denk einfach an was Schönes«, schlug Chris tapfer vor. »Mir fällt nichts ein«, knurrte Larry. Er vergrub das Gesicht in den Händen und scharrte mit den Füßen auf dem Steinboden herum. »Denk an etwas Lustiges, was du mal gelesen hast. Huckleberry Finn zum Beispiel. Oder denk daran, wie du im Amazonas das Krokodil besiegt hast.« »Das geht nicht«, murrte Larry. »Ich hab nie ein Krokodil besiegt. Das hab ich euch bloß erzählt, weil ich euch imponieren wollte.« »Ach so.« Chris senkte den Kopf. Er grübelte vor sich hin. Immer noch tropfte es langsam von der Dekke, und die nassen Wände glänzten in dem schummrigen Tageslicht, das aus dem Loch neben dem Ofen209
rohr hereindrang. »Wie spät ist es?« fragte Chris nach einer endlosen Weile. Larry sah auf seine Uhr, die Leuchtziffern hatte. Er stöhnte auf. »Auch das noch. Die Uhr ist stehengeblieben!« »Jetzt wissen wir nicht einmal, wie spät es ist! Was meinst du, ob die anderen schon vom Rennen zurück sind?« fragte Chris. »Bestimmt. Meinem leeren Magen nach zu urteilen, ist es sicher schon acht Uhr abends.« Er stand auf, und plötzlich schlug er mit den Fäusten gegen die verschlossene Holztür. »Aufmachen!« brüllte er. »Lassen Sie uns gefälligst raus hier! Wir haben Hunger! Wir wollen nach Hause! Aufmachen!« Chris verzog sein Gesicht. »Das nützt doch nichts, Larry«, sagte er ruhig. »Ich glaube, die sind überhaupt nicht mehr da. Man hört doch nichts.« Alles blieb totenstill bis auf das ständige Tropfen des Wassers. Larry hielt sich die Ohren zu. »Ich halte das nicht mehr aus!« schrie er. »Ich werd noch verrückt hier drin! Glaubst du, daß die uns hier einfach sitzenlassen? Für immer?« 210
Chris schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht. Irgendwann werden sie schon kommen und uns hier wieder rausholen.« Larry starrte nach oben. »Es wird bald dunkel«, sagte er. »Dann ist es ganz aus. Dann sehen wir überhaupt nichts mehr!« Larry bückte sich, zerrte die Kisten von der Wand und wuchtete sie stöhnend in die Mitte des Raumes. Erstaunt sah Chris ihm zu. »Was soll das eigentlich?« »Ich will sehen, ob wir oben an das Loch kommen«, sagte Larry verbissen, während er versuchte, eine Kiste auf die andere zu stellen. »Hilf mir mal. Sitz doch nicht so rum. Gleich ist es dunkel, dann können wir überhaupt nichts mehr machen.« Chris stand auf. »Das schaffen wir nie«, sagte er verzweifelt. »Das ist doch mindestens zwei Meter hoch.« Aber trotzdem half er Larry, die Kisten wie eine Pyramide aufeinanderzustapeln. Manchmal fiel ihnen eine Kiste auf die Füße, das tat weh, aber sie arbeiteten verbissen weiter, bis auch die letzte Kiste oben an der Spitze eines riesigen Dreiecks stand. Larry klopfte sich den Dreck von den Händen, während er das Bauwerk bestaunte. »So«, sagte er ent211
schlossen, »jetzt versuch ich es.« »Und wenn du runterfällst und alle Kisten auf dich drauf, dann bist du tot«, sagte Chris. Aber er versuchte nicht, Larry von seinem Vorhaben abzubringen, denn eine andere Wahl hatten sie nicht. »Langsam!« rief Chris erschrocken, als Larry die Kisten hochkletterte. »Vorsichtig! Der Turm schwankt ja!« »Du mußt ihn eben festhalten!« gab Larry zurück. Eine Weile hörte man nur Larrys angestrengte Atemzüge und das Knacken der hölzernen Kisten. »Hoffentlich brechen die nicht ein«, sagte Chris. »Ich würd ja gerne mal wissen, was da drin ist.« »Wir können ja später eine aufmachen!« rief Larry. »Übrigens bin ich fast oben. Drück mal die Daumen, daß ich an das Loch herankomme.« Chris drückte die Daumen so fest, daß es beinah weh tat. »Klappt es?« rief er ängstlich. »Geschafft!« Larrys Stimme klang triumphierend. »Ich kann die Hand rausstrecken, Chris! Die Steine sind ganz moosig und glatt. Aber das Loch ist viel zu klein, da kommt keiner von uns raus. Was machen wir jetzt?« 212
Chris überlegte verzweifelt. »Keine Ahnung. Wir brauchen irgend etwas, um das Loch zu vergrößern.« Er sah sich in dem Raum um. »So etwas wie eine Spitzhacke.« »Spitzhacke! Ausgerechnet! Du hast vielleicht Ideen! Schau lieber mal in der zerbrochenen Kiste nach. Vielleicht finden wir da was.« Chris brach die Bretter noch weiter auseinander. Vorsichtig steckte er die Finger in die Kiste. »Sägespäne«, sagte er verwundert. »Ich fühle bloß Sägespäne.« Er wühlte mit der Hand darin herum. Plötzlich zuckte er zusammen. »Ich hab was in der Hand. Einen kleinen Karton! Was das wohl ist?« Vorsichtig zog Chris die Schachtel heraus. »Da steht etwas drauf«, sagte er, »aber ich kann es nicht lesen. Es ist viel zu dunkel hier.« »Steck es ein«, sagte Larry, »und guck nach, ob noch etwas drin ist.« Aber außer kleinen Kartons konnte Chris nichts in der Kiste entdecken. Mutlos sah er zu Larry auf, der oben wie ein Wilder an den Steinen rüttelte. Sand rieselte herunter und einmal auch ein Grasbüschel, der Chris direkt in den offenen Mund fiel. Prustend sprang Chris zur Seite. »Was machst du 213
denn eigentlich da oben? Ich kann überhaupt nichts mehr sehen?« »Achtung!« rief Larry. »Gleich fällt ein Stein runter! Geh ganz zur Seite!« Erschrocken preßte Chris sich an die Wand, da polterte es auch schon. Ein dicker Stein schlug auf dem Boden auf. »Noch einer!« schrie Larry. Erde rieselte herunter und kleine Kieselsteine. Plötzlich wurde die Luft in der Höhle viel besser. Es roch nach Gras und Vogelbeeren und Klee und … »Die Sterne!« schrie Chris aufgeregt und zeigte nach oben. »Ich sehe die Sterne! Du hast es geschafft, Larry!« »Na klar habe ich es geschafft. Das Loch ist jetzt groß genug. Ich brauch jetzt nur noch einen anständigen Klimmzug zu machen, dann bin ich draußen.« Chris riß vor Freude die Arme hoch. Dann rieselte es auf ihn herab. Steine, Mörtel, Erde, altes Laub, Haselnüsse, es raschelte und knackte und knarrte, und auf einmal klang Larrys Stimme von oben durch das Loch. »Geschafft, Chris! Ich bin draußen! Komm schnell hinterher!« Das ließ Chris sich nicht zweimal sagen. Er kletterte wie eine Katze auf 214
den Kisten nach oben, streckte seine Hand aus und suchte einen sicheren Halt, holte tief Luft, spannte die Muskeln bis aufs Äußerste an und machte einen Klimmzug. Mit dem letzten Schwung war er draußen. Er fiel kopfüber in das nasse Gras und blieb stöhnend liegen. Larry beugte sich über ihn. »Alles okay?« flüsterte er. »Mhmh«, brummte Chris erschöpft. »Los! Wir müssen uns beeilen! In dem Haus da drüben brennt Licht! Wer weiß, wer dort wohnt!« Larry deutete auf das Bauernhaus, das in einer Mulde stand, von Vogelbeerbüschen ziemlich verdeckt. »Wenn ich bloß wüßte, wo wir hier sind!« flüsterte Larry. Von weit her, hinter den Hügeln, hörte man ab und zu das Brummen von Motoren. »Da muß eine Straße sein«, sagte Chris. »Ich schlage vor, wir gehen dahin.« Larry nickte. »Vielleicht nimmt uns ja ein Autofahrer mit.« Er nagte an der Unterlippe. »Sollten wir uns nicht einmal an das Haus heranschleichen und einen Blick durch die Fenster werfen?« Chris schüttelte den Kopf. »Das ist viel zu gefährlich! Außerdem müssen wir so schnell wie möglich 215
zurück und die anderen warnen! Die wissen doch nicht, daß Griffin heute nacht schon wieder zurückkommen will, um Presto die Spritze zu geben!« »Du hast recht«, flüsterte Larry. »Los, beeilen wir uns!« Die beiden stolperten über die buckelige Wiese, rannten immer in die Richtung der Straße, wo sie manchmal die Scheinwerfer eines Autos über die Hügel huschen sahen. Chris fiel mit dem Gesicht in einen Brennesselbusch, Larry stieß seinen Fuß an einem spitzen Feldstein, aber die beiden rannten immer weiter. Irgendwo schlug ein Hund an und begann wie wild zu bellen. »Schneller!« keuchte Larry. »Ich kann nicht mehr!« stöhnte Chris. »Ich hab solches Seitenstechen.« In dem Bauernhaus gingen plötzlich alle Lichter an. Ein Wagen bog in die Einfahrt ein. Man hörte Stimmen, aber sie konnten nicht verstehen, was gesprochen wurde. »Mir scheint, die Kerle haben Besuch bekommen«, knurrte Larry, der stehengeblieben war und sich umsah. »Auch gut«, meinte Chris. »Dann haben sie wenig216
stens keine Zeit, nach uns zu sehen.« »Wir sind gleich da!« rief Larry. »Man hört die Au-
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tos schon ganz deutlich. Wir müssen bloß noch durch diesen Graben.« Nebeneinander wateten sie durch den kleinen klaren Bach. »Hab ich einen Durst«, sagte Larry. »Ich möchte am liebsten etwas trinken. Ob das Wasser sauber ist?« »Klar«, sagte Chris, »hier gibt es doch keine Abwässer, hier ist noch alles reinste Natur.« Die beiden formten aus ihren Händen eine Mulde und ließen das klare Wasser hineinlaufen. Sie tranken, als wären sie am verdursten. »So ein Wasser zur rechten Zeit«, sagte Chris, der plötzlich wieder ganz munter war, »ersetzt manchmal ein ganzes Abendbrot. Mich würde ja interessieren, was die anderen heute abend alles verspeist haben.« Larry hielt sich gequält den Bauch. »Sprich nicht davon, Chris! Eins mußt du mir versprechen.« Er blieb stehen. »Ja?« fragte Chris neugierig. »Kein Wort mehr über das Essen, bis wir sicher in Maggies schöner warmer Küche gelandet sind. Okay?« Chris schlug grinsend ein. »Okay, Larry.« »Da vorne kommt ein Auto!« rief Chris aufgeregt. 218
Er rannte auf die Mitte der Straße und winkte aufgeregt. Ben, Iltis, Peggy und Lissy waren Richard in Prestos Stall gefolgt. Ehrfürchtig standen sie da, als Richard dem Pferd einen Halfter umlegte, ihm freundlich zuredete und ihn aus seiner Box herausführte. Der Hengst schnaubte aufgeregt. Er schlug mit dem Schweif und scharrte mit den Vorderhufen, während er die Kinder aus seinen großen dunklen Augen anblitzte. Peggy wich erschreckt einen Schritt zurück. »Der sieht aber ganz anders aus als heute morgen!« sagte sie mit kleiner Stimme. »Heute morgen war er so lieb, und jetzt sieht er ganz wild aus!« Richard lachte und fuhr mit den Fingern durch Prestos Mähne. »So gefällt er mir viel besser. Er sieht richtig ausgeschlafen aus, findet ihr nicht?« Presto riß den Kopf zurück und stieg kerzengerade in die Luft. Dabei wieherte er so laut, daß die Pferde in den Nachbarställen unruhig wurden. Richard untersuchte Prestos Nüstern und die Bindehäute der Augen. »An den Bindehäuten kann man sehen, ob ein Pferd gesund ist.« 219
»Und?« fragte Lissy aufgeregt. »Ist Presto gesund?« »Soweit ich sehe, fehlt ihm nichts«, sagte Richard. »Anscheinend sind die Gangster nicht richtig zum Zuge gekommen.« Er nickte grimmig. »Bei Presto ist ihnen das nicht gelungen, was sie mit Dollarboy geschafft haben!« »Vielleicht«, sagte Ben vorsichtig, »haben sie es noch gar nicht versucht? Ich meine, vielleicht soll die richtige Spritze erst noch kommen?« »Aber sie waren doch vorgestern nacht da!« rief Lissy. Ben zuckte mit den Achseln. »Wer weiß. Vielleicht sind sie gestört worden, bevor sie Presto eine Spritze geben konnten.« »Und wieso«, wollte Iltis wissen, »war Presto dann heute morgen so verändert? So ruhig? Könnt ihr mir das erklären?« Darauf hatte keiner eine Antwort. Richard schlug schließlich energisch in die Hände. »Auf jeden Fall können wir kein Risiko mehr eingehen. Ich lege mich heute nacht bei Presto ins Stroh und paß auf ihn auf.« »Und wenn die bösen Männer kommen?« fragte Peggy. Richard grinste. »Laß sie nur kommen. Mit denen werde ich schon fertig.« 220
»Aber wie denn?« Richard runzelte die Stirn. »Ich laß mir noch etwas
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einfallen«, meinte er schließlich. Lissy trat einen Schritt vor. »Ich hätte schon eine Idee«, sagte sie zaghaft. »Ich weiß bloß nicht, ob ihr sie lächerlich findet. Wir haben das im Internat mal gemacht mit einer Lehrerin, die wir nicht ausstehen konnten … und das hat ganz prima geklappt.« »Könntest du uns vielleicht einmal sagen, wovon du überhaupt sprichst?« fragte Ben trocken. »Ich verstehe kein Wort.« Lissy nickte. »Ich spreche von Schmierseife.« Die anderen starrten sie fassungslos an. »Schmierseife?« wiederholten sie wie aus einem Mund. »Ja«, sagte Lissy, »Schmierseife.« Larry und Chris saßen gemütlich in den weichen Polstern eines sehr vornehmen englischen Autos und genossen die Fahrt durch die nächtliche Landschaft. Der Fahrer holte ein Päckchen Schokoladenkekse aus dem Handschuhfach und reichte sie nach hinten. »Hier, ihr beiden Ausreißer«, sagte er schmunzelnd. »Ich wette, daß ihr Hunger habt.« Gierig griffen die beiden Jungen nach den Keksen. »Und wo soll es denn nun eigentlich hingehen?« fragte der Fahrer. »Das habt ihr mir immer noch nicht 222
erzählt.« »Wir wohnen eigentlich in Kildare, auf dem Gestüt«, erklärte Larry. »Wir haben uns bloß in einem Lastauto versteckt, und das ist plötzlich losgefahren, und wir konnten nicht mehr aussteigen.« »Ts, ts, ts«, machte der Fahrer, »solche Lausbuben. Bis nach Kildare ist es ein ganzes Stück«, erklärte er. »Eigentlich fahre ich ja nur nach Greenwood, aber ich kann euch Kinder schließlich nicht mitten in der Nacht allein auf der Straße stehen lassen. Da muß ich euch halt hinbringen.« Larry und Chris strahlten. »Oh! Vielen vielen Dank!« riefen sie. Und dann lehnten sie sich wieder erleichtert in die Kissen zurück. Chris stieß Larry an. »Wenn ich mir vorstelle, daß wir das alles hätten zu Fuß gehen sollen!« flüsterte er und deutete auf die Landstraße, die sich in endlosen Schleifen über die Hügel schlängelte. »Da wären wir vor morgen früh noch nicht dagewesen«, meinte Larry. »Und dann ist vielleicht schon alles zu spät.« Er preßte die Hände gegen die Schläfen. »Ich mag überhaupt gar nicht daran denken, was passiert, wenn wir zu spät kommen!« 223
Chris nickte düster. Er hatte auch schon keinen anderen Gedanken mehr.
Die Gangster werden gestellt Abends um zehn, als die Pferdeburschen den letzten Rundgang durch die Ställe gemacht hatten und glaubten, daß nun alles ruhig sei, begann im letzten Stall vor dei; großen Koppel eine ungeheure Betriebsamkeit: Ein Mädchen mit blonden abstehenden Zöpfen schlich über den Hof auf den Stall zu, einen kleinen Plastikeimer mit Schmierseife in der Hand. Sie war ganz außer Atem, als sie bei den anderen Kindern ankam. »Das war vielleicht schwierig«, stöhnte sie. »Ich dachte doch, Maggie sei gar nicht da, und da bin ich einfach so durch die Küche in die Kammer gelaufen. Doch Maggie stand plötzlich vor mir und fragte mich, was ich denn eigentlich suche.« »Wieso war meine Mutter denn zu Hause?« fragte Iltis. »Das verstehe ich nicht. Ich dachte, sie wollte zu der Geburtstagsfeier.« »Ist doch egal, Kinder!« rief Richard leise, aber un224
geduldig. »Helft mir lieber! Die Stallgasse ist lang! Wer hat einen Schwamm?« »Bei Golda im Stall sind noch zwei alte Schwämme, mit denen hab ich immer den Sattel von innen abgerieben«, sagte Iltis. »Die können wir nehmen.« Er rannte los. Ben prüfte inzwischen das Kopfsteinpflaster. »Gut, daß es so abschüssig ist«, sagte er. »Wenn wir hier oben einen Bindfaden spannen, dann stolpern die bestimmt, und auf der Schmierseife rutschen sie bis unten vor die Tür.« Lissy kicherte. »Ja! Uns genau vor die Füße!« Sie sah sich am Ende des Stallgangs um. »Aber wo wollen wir uns denn verstecken? Hier sehen sie uns doch sofort!« Richard zeigte auf die letzte Box. »Die ist leer. Hier hat früher mal ein Jährling gestanden, aber den hat der Chef verkauft. Da können wir uns prima verstekken.« Peggy kramte in ihren Rocktaschen und zog triumphierend eine Tüte mit Himbeerbonbons hervor. »Die hab ich noch gefunden«, sagte sie, »falls wir heute nacht Hunger bekommen!« 225
Lissy lachte. »Ich wette, die hast du einfach aus der Speisekammer gemopst!« Peggy wurde rot. »Na ja … ich dachte … ich weiß ja auch nicht … wenn Larry und Chris nun doch kommen … und Hunger haben …« Sie schob sich einen Bonbon in den Mund und verdrehte verzückt die Augen. Lissy nahm ihr schnell die Tüte aus der Hand. »Ich denke, die sollen für Chris und Larry sein!« Plötzlich huschte ein Schatten draußen am Fenster vorbei. Peggy schrie vor Schreck auf und deutete hinaus. »Da!« stammelte sie. »Da ist etwas!« Richard, der zusammen mit Iltis die Schmierseife auf dem Fußboden verteilte, sprang auf. »Sind sie schon da?«, fragte er entsetzt. »Teufel! Damit habe ich nicht gerechnet! Schnell, Kinder! In die leere Box! Und kein Wort mehr!« Peggy und Lissy hatten sich schon versteckt. Zähneklappernd starrten sie auf Richard, der gebückt unter dem Fenster durchkroch. »Der Bindfaden!« zischte Ben. »Wir haben ja noch gar nicht den Bindfaden gespannt!« »Verflixt!« Richard zerrte nervös an der Garnrolle, die sich in seiner Hosentasche verheddert hatte. 226
»Pssst! Sie kommen!« Ben und Iltis flüchteten in die Box, als die Stalltür sich knarrend etwas weiter öffnete. Sie hörten vorsichtige Schritte. Plötzlich sprang jemand vorwärts und rief: »Jetzt haben wir dich!« Richard hob erschreckt die Hände. »Hilfe! Halt! Laßt mich los! Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?« »Nichts da!« Larry schüttelte streng den Kopf. »Jetzt haben wir dich, Richard!« »Ja!« sagte Chris. »Wir haben gleich gedacht, daß du mit den Gangstern unter einer Decke steckst! Gut, daß wir noch rechtzeitig hier aufgetaucht sind!« In der Box sahen sich Ben und Iltis fassungslos an. Chris und Larry waren da! »Hurra!« brüllten sie. Wie die Indianer tanzten sie um Larry und Chris herum, umarmten und küßten sie, und redeten alle auf einmal. »Wir haben schon solche Angst gehabt!« schrie Peggy. »Hier! Wollt ihr Himbeerbonbons?« »Wo seid ihr denn gewesen?« fragte Ben. »Wieso kommt ihr so spät?« »Richard gehört zu uns«, brüllte Iltis. »Wir haben ihn zu unrecht verdächtigt. Er ist auf unserer Seite! 227
Wir haben einen tollen Plan!« Richard fuchtelte verzweifelt mit den Armen. »Nicht so laut, Kinder! Wir müssen uns beeilen, begreift ihr das nicht! Jeden Augenblick können sie kommen! Und wenn sie uns hier sehen, dann ist alles aus!« Die Kinder waren sofort still. »Später erzählen wir euch alles!« flüsterte Larry. »Aber Richard hat recht! Wir wissen nämlich genau, daß Griffin heute nacht zurückkommt. Sie wollen Presto eine Spritze geben! Wir haben es genau gehört! Sie wollen ihn umbringen wie Dollarboy!« »Oh!« stöhnte Peggy. »Wie gemein! Wie kann man nur so gemein sein!« Ben grinste. »Die kriegen heute nacht aber ihr Fett ab, darauf kannst du dich verlassen!« Um Mitternacht schlug die große Kirchturmglocke unten im Dorf. Bim bam, bim bam. Richard gähnte. Er hatte große Mühe, seine Augen offen zu behalten. Er tippte Ben auf die Schulter. Der grunzte nur und drehte sich auf die andere Seite. Richard nahm einen Strohhalm und kitzelte ihn damit an der Nase. Ben verzog sein Gesicht und nieste so laut, 228
daß er davon aufwachte. »Was … was ist los?« fragte er schläfrig. »Du bist an der Reihe!« flüsterte Richard. »Du mußt jetzt Wache schieben.« Er ließ sich ins Stroh fallen und schloß die Augen. »Ich schlaf jetzt ein Viertelstündchen. Weck mich, wenn du etwas Besonderes hörst.« Langsam stand Ben auf, streckte seine müden Glieder und tastete sich an der Stallwand vor bis zum Fenster. Er mußte ganz vorsichtig gehen, um nicht auf dem von der Schmierseife spiegelglatten Fußboden auszurutschen. Er sah aus dem Fenster. Wolkenfetzen flogen schnell über den Himmel, und manchmal wurde der Hof gespenstisch vom Mondlicht erleuchtet. Alles war totenstill. Drüben im Haupthaus waren inzwischen auch alle Lichter ausgegangen. Da! Was war das? Ben zuckte zusammen. Ein schwarzer Schatten fiel durch die Hofdurchfahrt. Und da noch einer! Zwei Männer huschten an der Hauswand entlang, ganz leise, Schritt für Schritt näherten sie sich Prestos Stall! Ben tastete sich zurück und rüttelte Richard wach. »Sie kommen!« zischte er. Er schüttelte Iltis, Chris und Larry. »Los! Aufwachen! Es geht los! Sie sind gleich da!« Im Nu waren die Kinder hellwach. 229
»Gleich!« flüsterte Iltis. »Gleich geht die Tür auf!« Genauso war es. Ein Schlüssel drehte sich im Schloß, dann wurde vorsichtig die Tür geöffnet. Sie knarrte leise. Da hörten die Kinder, wie Griffin schimpfte. »Verflixt! Die Tür hätten wir mal ölen sollen. Die weckt ja Tote auf!« Der andere lachte glucksend. »Tote nicht, Griffin. Aber Presto wird nervös. Er schnaubt schon.« »Ja, ja, der kennt uns schon. Aber bis jetzt ist es ihm ja noch nicht schlecht gegangen. Waren ja erst harmlose Spritzen. Immer bloß eine kleine Dosis. Heute wird es ernst. Heute kriegt er eine richtige Ladung. Wetten, daß er am Sonntag zum Rennen kein Bein mehr vor das andere setzen kann?« Peggy preßte die Hand vor den Mund. »Oh! Wie gemein!« flüsterte sie empört. Chris boxte sie in die Rippen. Peggy nickte erschrocken. Auf keinen Fall durften die beiden Gangster merken, daß jemand sie belauschte. Die beiden machten die Tür sorgfältig hinter sich zu. Presto scharrte unruhig mit den Hufen. Er schnaubte und atmete nervös, als wüßte er, was jetzt mit ihm passieren sollte. Der Riegel von Prestos Box 230
wurde zurückgeschoben. Presto wieherte und stieg. Lissy zuckte zusammen, als sie hörte, wie Presto mit dem Kopf an die Decke schlug. »Still, du blödes Tier!« zischte Griffin. »Mach doch nicht immer so einen Zirkus!« »Hier ist die Spritze!« sagte der andere. »Los! Mach schnell!« Genau in diesem Augenblick sprang Richard aus der Box und brüllte: »Hände hoch!« Er hatte eine Pistole in der Hand, die er auf die beiden richtete. Griffin und der andere wirbelten herum. Entsetzt starrten sie in die Mündung des Revolvers. »Das …« stotterte der eine. »Abhauen!« zischte Griffin. »Nichts wie weg hier!« Beide stürzten zur Tür zurück. Aber da stand schon Ben. »Hier geht’s nicht raus«, sagte er. Die beiden rannten zurück. »Hinten ist noch ein Ausgang«, schrie Griffin. Aber da stolperten sie plötzlich über den Bindfaden. Der Länge nach schlugen sie auf der Stallgasse hin und rutschten auf der Schmierseife den langen Gang hinunter. Verzweifelt ruderten sie mit den Armen und versuchten, wieder auf die Beine zu kommen. Griffin se231
gelte auf dem Bauch den ganzen abschüssigen Weg hinunter und schrie dabei wie verrückt. Die Kinder waren inzwischen aus der Box herausgerannt. Voller Schadenfreude sahen sie, wie die beiden Gangster am
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Ende des Ganges liegenblieben. »Nicht bewegen!« befahl Richard mit eiskalter Stimme. »Der Revolver ist geladen. Hände hoch!« Ängstlich rissen die beiden die Hände in die Höhe. »Nicht schießen!« rief Griffin entsetzt. »Du wirst doch nicht auf uns schießen, Richard!« Richard antwortete nicht. Er nickte nur den Jungen zu und sagte: »Festbinden!« Mit einem Satz waren die Jungen da, holten die großen Schnurrollen aus den Hosentaschen und banden die beiden fest. Ganz fachgerecht, wie sie es bei Karl May gelesen hatten, bis die beiden sich nicht mehr rühren konnten. Da steckte Richard zufrieden seine Pistole wieder ein und sagte grinsend. »Das war übrigens nur eine Spielzeugpistole. Ich wußte gar nicht, daß ihr vor so etwas Angst habt!« Griffin war ganz weiß vor Wut. Er starrte Richard feindselig an. Plötzlich hörten die Kinder draußen ein Motorengeräusch. »Das ist mein Vater!« schrie Iltis und rannte hinaus. Sie hörten, wie er draußen seinem Vater ganz schnell alles erklären wollte und sich seine Sätze dabei vor lauter Aufregung überschlugen. 233
Don kam in den Stall. Nachdenklich sah er sich die beiden Verbrecher an, die gefesselt am Boden hockten. Er nickte grimmig. »Dafür«, sagte er drohend, »schikke ich euch ins Gefängnis. Darauf könnt ihr Gift nehmen.« Er wandte sich an Richard. »Sei so gut und ruf die Polizei an. Die sollen die beiden hier gleich abholen. Ich will sie hier nicht eine Minute länger sehen als notwendig.« Dann drehte er sich zu Iltis um. Er legte ihm seine Hand auf die Schulter und sagte: »Und ich dachte, du bist bei deiner Stute … ich hab eben, als ich kam, einen Blick in die Box geworfen …« Don grinste. »Und was glaubst du, was ich gesehen habe?« Iltis wurde feuerrot im Gesicht. »Das Fohlen?« schrie er. »Das Fohlen ist da?« »Geht und schaut selbst nach!« sagte Don lächelnd. »Über alles andere sprechen wir später. Ich bleibe hier bei euren Gefangenen und passe auf sie auf, bis die Polizei kommt.« Golda lag in ihrer Box, Schweiß dampfte auf ihrem glänzenden nassen Fell. Aber sie sah ganz zufrieden 234
aus und schien zu lächeln, als die Kinder ehrfürchtig vor ihr standen. Mit ihrer großen rosafarbenen Zunge leckte sie zärtlich über das kleine Füllen, das vor ihr im Stroh lag. Es hatte ein kastanienbraunes Fell und einen kleinen weißen Fleck mitten auf der Stirn, und der rechte Vorderhuf war auch schneeweiß. Seine langen, staksigen Beine sahen komisch aus im Verhältnis zu dem kleinen Körper und dem kleinen Kopf. Die Augen waren noch geschlossen. »Wie süß!« sagte Peggy hingerissen. »Oh, wie süß! Hast du schon einmal so ein süßes Fohlen gesehen, Lissy?« »Du weißt doch genau, daß ich noch nie ein Fohlen gesehen habe, Peggy«, sagte Lissy, die ihre Augen auch nicht von dem Neugeborenen lösen konnte. Iltis hatte schon die Luke zum Heuboden geöffnet. Wie ein Wiesel war er die Leiter hinaufgeklettert und warf jetzt einen Strohballen nach dem anderen herunter. »Los! Helft mir!« rief er. »Wir müssen die Stute und das Fohlen abreiben, damit sie sich nicht erkälten! Und einer muß den Tierarzt anrufen! Und Golda braucht Wasser! Und einer muß Maggie aufwecken und ihr sagen, daß sie für die Stute Leinsamen kochen soll!« 235
Er blieb einen Augenblick stehen, nachdem alle Kinder davongestoben waren. Er seufzte glücklich: »So lange habe ich auf diesen Augenblick gewartet! Endlich ist das Fohlen da.«
Das große Rennen Am Sonntag, als das große Rennen in Dublin stattfand, hatte sich die Aufregung schon wieder etwas gelegt. Die beiden Verbrecher saßen hinter Schloß und Riegel, die Polizei hatte das alte Bauernhaus durchsucht und auch das Medikament gefunden, mit dem Dollarboy getötet worden war: eine Überdosis von einem sehr starken Schlafmittel. Und damit hatten die Gangster auch Presto außer Gefecht setzen wollen. Goldas Fohlen hatte die Augen jetzt geöffnet und konnte auf seinen langen wackligen Beinen schon ein bißchen in der Box herumgehen. Golda war eine wunderbar zärtliche Mutter. Wenn das Fohlen trank, dann leckte Golda ihm sanft den Rücken, bis es ein ganz goldglänzendes Fell hatte. Die 236
Kinder hatten es »Sternchen« getauft, wegen des kleinen weißen Sterns auf der Brust. Jetzt saßen die Kinder in ihren besten Kleidern in der ersten Reihe der Tribüne auf dem Rennplatz und starrten voller Spannung auf den Start. In einer Minute sollte das große Rennen beginnen. Presto, mit dunkelblauen Bandagen und wunderschön gekämmter Mähne, tänzelte aufgeregt herum. Bertie, der Jockey, hatte alle Mühe, Presto zu halten. »Er kann es gar nicht mehr erwarten!« sagte Don stolz. »Seht mal! Er will schon immer lossausen! Der hat einen richtigen Rennkopf, der Presto!« Larry preßte aufgeregt die Hände zusammen. »Wir müssen die Daumen drücken, daß er gewinnt!« flüsterte er. Der Startschuß! Wie vom Pfeil getroffen sausten die Pferde los! Die Jockeys stellten sich in die Bügel, beugten sich weit vor und ließen die Pferde am langen Zügel losschießen. Über 2400 Meter ging das Rennen, also fast zweimal um die ganze Bahn. Presto war sofort an erster Stelle. Er galoppierte wie eine Maschine. Seine kleinen festen Hufe trommelten 237
im gleichen Rhythmus den Boden. Bertie sah sich um. Der zweite lag drei Meter zurück. Bertie beugte sich weiter vor, und es sah aus, als ob er Presto etwas ins Ohr flüsterte. Presto legte die Ohren an und lief noch schneller! Die anderen waren schon weit abgeschlagen! Der Sprecher war so aufgeregt, daß sich seine Stimme immerzu überschlug. »Presto, die große Sensation!« brüllte er. »Presto, vom Start weg an der ersten Stelle! Presto läßt niemanden an sich heran! Jetzt! Er wird noch schneller! Nein, das ist unglaublich, Presto legt immer noch zu! An zweiter Stelle Königswind, aber Königswind hat keine Chance, er fällt zurück. Oldtimer holt auf, kämpft sich dichter an Presto heran, hat ihn jetzt auf zehn Meter eingeholt, aber da schießt Presto wieder vor! Unglaublich, welche Reserven dieser Hengst noch hat, nach zweitausend Metern! Jetzt die Zielgerade …« Don saß angespannt auf der Tribüne. Schweiß stand auf seiner Stirn. Seine Lippen bewegten sich unaufhörlich: »Lauf! Presto! Lauf!« flüsterte er. Ziel! Presto war als erster durchs Ziel gegangen! Presto war Sieger des großen Rennens! 238
Die Kinder sprangen von ihren Sitzen auf und jubelten. Presto hatte es geschafft! Sie fielen sich in die Arme und tanzten herum. Don wischte sich eine dicke Freudenträne aus dem Augenwinkel. Er nahm Iltis in die Arme und sah die anderen Kinder glücklich an. »Das habe ich euch zu verdanken«, sagte er gerührt. »Wer weiß, ohne euch wäre Presto jetzt vielleicht tot, und wir hätten die Verbrecher nie geschnappt!« Ben wurde verlegen. »Natürlich hätten Sie das auch ohne uns geschafft, Don.« »Aber nicht so schnell! Und ihr wißt ja, wie schnell alles gehen mußte! Wenn ihr an dem Abend nicht Wache gehalten hättet, dann hätte Presto die Spritze bekommen, und wer weiß, was dann passiert wäre.« Don lächelte. »Eigentlich habt ihr jetzt eine tolle Überraschung verdient«, sagte er. Die Kinder sahen sich an. Warum er wohl so geheimnisvoll tat? Larry trat einen Schritt vor. »Eine Überraschung, Don?« fragte er mutig. »Ja.« Don nickte. Dann öffnete er feierlich die Aktentasche, die er bei sich trug und zog eine Papierrolle heraus, die mit einer roten Schleife verschnürt war. »Das ist eine Urkunde«, sagte er, »die ist für euch.« 239
Die Kinder sahen sich enttäuscht an. Was sollten sie schon mit einer Urkunde anfangen? »Lest nur«, sagte Don lächelnd, »dann wißt ihr, was ich meine.« »Lies vor!« schrie Lissy aufgeregt. »Lies vor, Larry!« Larry räusperte sich. »Also«, begann er. »Hier steht: Schenkungsurkunde.« »Weiter!« drängte Chris. »Mach es doch nicht so spannend!« Larry fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Hiermit wird urkundlich bescheinigt«, las er vor, »daß das Hengstfohlen der Stute Golda rechtmäßig in den Besitz der Kinder Larry, Iltis, Ben, Chris, Lissy und Peggy übergeht.« Larry ließ das Blatt sinken. Er schluckte aufgeregt. »Soll das heißen …« begann er stotternd. Don lachte. »Ja. Das soll heißen, daß ich euch Goldas Fohlen schenke. Es gehört euch allen zusammen. Wenn ihr euch weiter so gut vertragt wie bisher, dann kann es ja keine Schwierigkeiten geben.« »Nein! Bestimmt nicht!« jubelte Chris. »Wir werden auch ganz gut auf Sternchen aufpassen.« »Und ihr habt immer einen Grund, wiederzukom240
men«, sagte Don lächelnd. »Schließlich seid ihr ja jetzt für ein Lebewesen verantwortlich. Ihr könnt kommen, so oft ihr Ferien habt.« Iltis sah seine neuen Freunde begeistert an. Dann fiel er seinem Vater um den Hals. »Das war das schönste Geschenk, das ich je in meinem Leben bekommen habe, Vater!« sagte er glücklich. Don klopfte seinem Sohn den Rücken. »Ihr habt es ja auch verdient«, sagte er stolz. »Du und deine Freunde.«
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